Panikstörung Souverän bleiben! UNTERNEHMEN ZNS Ein Ratgeber für Menschen mit Panikstörung und deren Angehörige Inhalt Vorwort3 Was ist Angst? 4 Entwicklung der Angst Gesunde Angst – krankhafte Angst Einteilung der Ängste 6 Generalisierte Angststörung Panikstörung Phobische Störung Soziale Phobie Zahlen zur Angst 9 Angstabwehr 10 Was ist Panik? 11 Symptome einer Panikattacke Ursachen und Auslöser Symptomverstärkender Teufelskreis Vermeidungsverhalten Verlauf und Prognose 16 Was kann man tun? 17 Goldene Regeln zur Angstbewältigung Psychotherapeutische Ansätze Weitere Behandlungsverfahren Anhang23 Literaturtipps Selbsthilfegruppen 2 Vorwort Angst haben wir alle. Der Unterschied liegt in der Frage: Wovor. Frank Thiess (1890–1977), deutscher Essayist Sehr geehrte Patientin, sehr geehrter Patient, beim Thema Angst meinen wir alle zu wissen, worüber wir reden. Wenn man dann aber hinterfragt, was jeder Einzelne von uns darunter versteht, bemerken wir schnell, dass es sich bei Angst für den Einen um eine hilfreiche Erfahrung handelt, während sie vom Anderen als eine lebenseinschränkende und leidvolle Störung wahrgenommen wird. Diese Broschüre richtet sich an all diejenigen, für die Angst einen krank machenden Aspekt besitzt. Sie möchte Ihnen und Ihren Angehörigen Informationen bieten, die Ihnen das Arztgespräch erleichtern. Denn nur Ihr Arzt kann im Falle einer Angststörung die für Sie notwendige Hilfe in die Wege leiten. Wer dabei Angst hat, über seine Angststörung zu sprechen, weil er denkt, er würde damit eine „Schwäche” zeigen, sollte immer eines bedenken: Bei einer Angststörung handelt es sich um eine Erkrankung und diese lässt sich allein dann behandeln, wenn sich der Betroffene seinem Arzt anvertraut. Nur auf diesem Wege gibt es die Chance, bald wieder souverän im Leben zu stehen! 3 Was ist Angst? Angst ist für das Überleben unverzichtbar. Hannah Arendt (1906–1975), deutsch-US-amerikanische Philosophin Angst mit nur einem Satz zu definieren, ist sehr schwierig. Man kann von einem beengenden Gefühl unmittelbarer Bedrohung, das vom Willen und der Vernunft nicht kontrollierbar ist, sprechen. Medizinisch betrachtet ist Angst – fast immer – von vegetativen Symptomen wie Blässe, Schweißausbruch, Zittern oder Herzklopfen begleitet. Als stark übersteigerte Formen der Angst gelten die Angsterkrankungen. Entwicklung der Angst Unsere Angst entwickelt sich erst im Laufe des Lebens. Wir kommen also weder als „Angsthase” noch als besonders tapferer, angstfreier Mensch auf die Welt. Die ersten sichtbaren Furchtreaktionen zeigen Säuglinge im vierten bis sechsten Lebensmonat. Längere Abwesenheit der Eltern können Kinder erst ertragen, wenn sie ein inneres Bild der vertrauten Person(en) aufrechterhalten können. 4 Gesunde Angst – krankhafte Angst Angst ist zunächst einmal eine gesunde, das Leben erhaltende Empfindung. Angst befähigt uns zur Sorge und Sorgfalt uns selbst und unseren Mitmenschen gegenüber. So wie der Schmerz eine wichtige Alarmfunktion für den Körper besitzt, kommt auch der Angst eine wichtige Bedeutung zu. Wenn wir uns ohne Angst und ohne Schmerz dem Feuer nähern würden, trügen wir unter Umständen lebensgefährliche Verletzungen davon. Es gibt also durchaus gesunde Aspekte der Angst. Man spricht hier von der so genannten Realangst: Angesichts einer äußeren Gefahr wird der Mensch körperlich, gefühlsmäßig und auf gedanklicher Ebene in einen Alarmzustand versetzt. Jeder weiß aber auch, wie man das Erleben von Angst be- oder verarbeiten kann, z. B. indem man der Angst machenden Situation eine andere Bedeutung gibt: Bei nächtlichen Geräuschen im Haus wird dies dann nicht möglichen Einbrechern, sondern der herumlaufenden Katze zugeschrieben. Wichtig ist es, über ein angemessenes Maß an Realangst zu verfügen. Genügend, um nicht unvorbereitet in eine Risikosituation zu laufen und nicht zu viel, um nicht handlungsunfähig („starr vor Angst”) zu sein. Wir sehen: Zu viel Angst und zu wenig Angst haben Krankheitswert. Im ersten Fall werden Sie auf Hilfe angewiesen sein und ihre Lebensqualität ist eingeschränkt. Im zweiten Fall ist es möglich, dass Sie sozial integriert und erfolgreich sind. Obwohl beide Varianten Krankheitswert haben, kommt der übersteigerten Angst eine größere Bedeutung zu. 5 Einteilung der Ängste Angst kann man immer in sich finden. Man muss nur tief genug suchen. André Malraux (1901–1976), Romancier, französischer Kulturminister und Kunstwissenschaftler Angst ist nicht gleich Angst. Daher unterscheidet man aus medizinischer Sicht drei große Gruppen von Angststörungen. Um zu verdeutlichen, dass es sich um krank machende Aspekte der Angst handelt, wird jeweils das Wort „Störung” angefügt. lAngststörung (generalisierte Angst, frei flottierende Angst) l Panikstörung (oder Panik-Attacken) mit oder ohne Platzangst (Agoraphobie) l Phobische Störung (sach- und situationsbezogen) Bei allen diesen Ängsten ist der Übergang vom Normalen zum Krankhaften fließend. Es ist eine Frage des Ausmaßes der Angst, ob z. B. eine allgemein ängstliche Persönlichkeit in die Rolle eines Patienten gerät oder nicht. Es gibt viele Leute, die es systematisch meiden zu fliegen, ohne dass sie deswegen psychologische Hilfe beanspruchen oder beanspruchen müssten. An welchem Punkt die Angst, vor anderen Menschen zu sprechen, so einschränkend wird, dass es sinnvoll wäre, professionelle Hilfe zu suchen, ist häufig schwer zu sagen. Ebenso, wann die Angst vor Spinnen wirklich krankhaft wird. Zum besseren Verständnis seien zunächst die drei Formen der Angsterkrankungen voneinander abgegrenzt. 6 Generalisierte Angststörung Von einer generalisierten Angststörung spricht man, wenn die Symptome der Angst an den meisten Tagen, mindestens mehrere Wochen lang auftreten. Zu den wichtigen Symptomen, anhand derer Ihr Arzt die Diagnose stellt, gehören: lBefürchtungen (angespanntes Gefühl, Nervosität, Konzentrationsschwierigkeiten), lmotorische Spannung (z. B. Zittern, Muskelverspannungen, Ruhelosigkeit), l vegetative Übererregbarkeit (z. B. Schwitzen, Schwindel). Panikstörung Da sich das von Ihrem Arzt verordnete Medikament gegen eine Panikstörung richtet, informiert Sie diese Broschüre in dem Kapitel „Was ist Panik?” ausführlich über dieses Thema. Phobische Störung Eine phobische Störung bezieht sich stets auf eine spezifische Situation oder ein Objekt. Bei einer objektbezogenen Phobie 7 kommt es zum Auftreten von Angst in Bezug auf bestimmte Objekte wie Spinnen, Schlangen oder Feuer. Soziale Phobie Die soziale Phobie ist eine situationsbezogene Unterform der phobischen Störungen. Die Patienten meiden zwischenmenschliche Kontakte wie das Sprechen in der Öffentlichkeit oder Treffen mit dem anderen Geschlecht. Häufig kommt es hierbei zu Symptomen wie Erröten, Meiden von Blickkontakt, Händezittern etc. Wenn wir im Folgenden von Angsterkrankungen sprechen, dann handelt es sich meist um allgemeingültige Aussagen, die für alle großen Formen der Angsterkrankungen zutreffen. 8 Zahlen zur Angst Noch niemals hatte die Menschheit so viel Angst wie heutzutage – und noch niemals hatte sie so viel Grund dazu. Bertrand Russell (1872–1970), englischer Mathematiker und Philosoph, 1950 Nobelpreis für Literatur Die Wahrscheinlichkeit, in unserem Leben an einer Angsterkrankung zu leiden, beträgt 10 bis 15 %. In den USA geht man sogar davon aus, dass jeder Vierte einmal in seinem Leben eine Angsterkrankung erleidet. In der Gesamtzahl finden sich am häufigsten Patienten mit einer generalisierten Angststörung und einer Platzangst (dazu in Kapitel „Was ist Panik?”) wieder. Panikstörungen treten insgesamt etwas seltener auf. Wenn ein Verwandter ersten Grades erkrankt ist, dann liegt das Erkrankungsrisiko des betreffenden Familienmitglieds mit 15 bis 20 % über dem der Allgemeinbevölkerung. Bei eineiigen Zwillingen steigt die Wahrscheinlichkeit sogar auf 30 % an. Diese Beobachtung spricht für eine erbliche Komponente der Erkrankung. In Deutschland, Österreich und der Schweiz sind es über 2,5 Millionen Menschen, die unter krankhafter Angst leiden. 9 Angstabwehr Dem Furchtsamen rauschen alle Blätter. Deutsches Sprichwort Wenn wir schon Angst haben (müssen), dann wollen wir natürlich auch über Möglichkeiten verfügen, damit umzugehen – oder besser noch: sie abzuwehren. Es gibt hierbei eine Vielzahl von Abwehrmöglichkeiten, die uns helfen, in einem Gleichgewicht zwischen Angst haben und unsensibler Rücksichtslosigkeit und übertriebener Vorsicht zu leben. Es wird uns ungemein erleichtert zu fliegen oder Zug zu fahren, wenn wir die Möglichkeit eines Absturzes oder einer Zugentgleisung verdrängen. Jeder von uns kennt solche Beispiele. Bei einer Angststörung reichen diese Schutzmechanismen nicht mehr aus, was schließlich zur Erkrankung führt. 10 Was ist Panik? Ängste bleiben nie dieselben an einem Menschen: Die einen entstehen, die anderen vergehen. Platon (427–348 od. 347 v. Chr.), griechischer Philosoph Eine Panikstörung besteht aus einzelnen Panikanfällen oder -attacken. Panikanfälle sind unvermittelt auftretende, extreme Angstzustände, die in der Regel wenige Minuten dauern. Medizinisch spricht man auch von paroxysmaler (= anfallsartiger) episodischer Angst. Nicht selten wird der Ort des Auftretens einer Panikattacke mit deren Entstehung in Zusammenhang gebracht. Aus diesem Grund beginnen viele Leute mit Panikanfällen die Örtlichkeiten, an denen diese Zustände auftreten, zu meiden. Oft sind dies Orte, wo viele Menschen auf kleinem Raum versammelt sind (Kino, Theater, Konzert, Warenhaus … ) oder enge (vorübergehend verschlossene) Räume (Aufzug, U-/SBahn, Flugzeug, Bus …). Andererseits können auch weite Plätze oder Brücken zu solchen Orten werden. Dies kann dazu führen, dass immer mehr Orte gemieden werden und so der Lebensradius zunehmend eingeengt wird. Im Extremfall kann eine betroffene Person aus den erwähnten Gründen („aus Angst vor der Angst”) das Haus nicht mehr verlassen. Häufig treten Panikstörungen in Kombination mit einer Platzangst (Agoraphobie) auf, die entgegen landläufiger Meinung nicht nur in engen Räumen, sondern auch häufig in folgenden Situationen auftritt: lMenschenmengen l l auf öffentlichen Plätzen bei Reisen mit weiter Entfernung oder allein 11 Symptome einer Panikattacke Angst verursacht im Körper eine Reaktion, die durch das vegetative Nervensystem vermittelt wird. Da Angst häufig mit Bedrohungssituationen oder Gefahr gekoppelt ist, resultieren daraus ganz bestimmte Symptome, die die Alarmfunktion der Angst an uns vermitteln. Die folgenden Symptome bemerken Patienten mit einer Panikstörung sehr häufig während einer Attacke. Sie können einzeln oder in Kombination auftreten. l Herzklopfen, Herzrasen oder unregelmässiger Herzschlag Schwindel, Benommenheit oder Schwächegefühl l Kurzatmigkeit oder Atemnot lSchwitzen l Schmerzen oder Beklemmungsgefühl im Brustkorb l Zittern oder Beben l Hitzewallungen oder Kälteschauer l Erstickungs- oder Würgegefühl l Kribbeln oder Taubheit in bestimmten Körperteilen lTodesangst l Übelkeit oder Magen-Darmbeschwerden l Gefühle der Unwirklichkeit oder des Losgelöstseins l Angst, verrückt zu werden l Angst, die Kontrolle zu verlieren l Nicht minder schwer wiegen zumeist die Folgen dieser Symptome. Es kommt zu: l Vermeidungsverhalten (damit zum sozialen Rückzug bis zur Isolation) l Selbstbehandlungsversuchen (mit Tabletten oder Alkohol, „dann wird vieles leichter oder erträglicher”) l Konflikten (familiärer und/oder beruflicher Natur) l Erwartungsangst (Angst vor der Angst) 12 Auf die genannten Punkte wird im Weiteren noch genauer eingegangen. Ursachen und Auslöser Bei der Entstehung einer Panikstörung ist man zunächst davon ausgegangen, dass psychologische Faktoren die wichtigste Rolle spielen und dass es zu einer Auslösung der eigentlichen Panikattacke über Stresssituationen kommt. Mittlerweile weiß man mehr über die Entstehung von Panik und geht davon aus, dass ein Zusammenspiel von biologischen und verhaltensbedingten Faktoren erforderlich ist. Verhalten: Unser Verhalten ist erlernt. Berühmt für diese Erkenntnis sind die Versuche mit dem Pawlov’schen Hund. Hierbei wurden zwei unabhängige Reize miteinander verknüpft. Der völlig „natürliche” Reiz des Anbietens von Nahrung löste bei dem Hund das Speicheln aus. Während der Fütterung wurde dann ein zweiter Reiz in Form eines Klingelsignals präsentiert. Wurde der Klingelreiz allein angeboten, löste er keine spezifische Reaktion aus. Wurden die beiden Reize, Futter und Klingelsignal, oft genug gemeinsam präsentiert, bildete der Hund eine Verknüpfung zwischen diesen beiden Reizen. Wurde nun der ehemals neutrale Klingelreiz präsentiert, begann der Hund auch ohne Futterangebot zu speicheln. Er hatte gelernt, dass der Ton mit der Gabe von Futter gleichzusetzen ist. In ähnlicher Form entsteht eine Angstreaktion. Aus einer ehemals „neutralen” Situation wird über eine Assoziation der Auslöser einer Panikattacke. Langfristig gesehen führt dies zu einem Vermeidungsverhalten, dem Auslöser wird aus dem Weg gegangen. 13 Biologische Faktoren: Einige Angsterkrankungen scheinen biologisch durch vererbte (genetische) Faktoren mitbedingt zu sein. Diese Annahme stützen auch Untersuchungen innerhalb von Familien mit mehreren Betroffenen oder mit Zwillingen. Im Laufe der Angsterkrankung kommt es oft zu einer Störung im Bereich der Nervenbotenstoffe (Neurotransmitter). Hier setzen auch die meistens in diesem Fall verordneten Medikamente in ihrer Wirkweise ein. Symptomverstärkender Teufelskreis Häufig kommt es im Rahmen von Angsterkrankungen zu einem symptomverstärkenden Teufelskreis, der die Erkrankung weiter aufrechterhält. Im Volksmund sagen wir so schön „die Katze beißt sich in den Schwanz”. Damit wird recht deutlich veranschaulicht, dass der Patient sich irgendwann in einer schwer zu durchbrechenden Situation befindet. Lässt sich eine Angst mit einer bestimmten Örtlichkeit in Verbindung bringen, kommt der Patient in die Versuchung, diesen Ort zu meiden, was schließlich zu einer noch stärkeren Unsicherheit und Einschränkung des Lebensradius führt. Diesen Teufelskreis verdeutlicht die folgende Abbildung: Angst Unsicherheit Vermeidung Rückzug Isolation Selbstwertverlust Wenn eine große Angst und Unsicherheit herrscht, dann kreisen auch oft die Gedanken um den eigenen Körper. So kommt es bei Patienten mit einer Panikstörung sehr häufig 14 zu der Fehlinterpretation, dass mit ihrem Körper etwas nicht stimmt. Ein in-sich-Hineinhorchen führt für die Patienten meist zu der Bestätigung, dass etwas nicht stimmt; ganz harmlose, sonst alltägliche Symptome wie Schwitzen, ein leichter Schwindel oder Herzstolpern erfahren so eine weitere Verstärkung: Körperliche Symptome Gedanken/Interpretationen Herzstolpern Herzrasen Brustschmerzen Schwitzen Atembeschwerden Schwindel Schwächegefühle Benommenheit Visuelle Symptome Zittern Blässe Atemnot Würgegefühl Kloß im Hals Kribbeln in Extremitäten Ich bekomme einen Herzinfarkt. Ich werde in Ohnmacht fallen. Ich habe einen Hirntumor. Ich bekomme einen Schlaganfall. Ich ersticke. Ich höre auf zu atmen und sterbe. Ich werde gelähmt. Ich bin schwer krank. Ich verliere die Kontrolle über mich. Ich werde verrückt. Ich muss ins Irrenhaus. Realitätsverzerrung und verändertes Selbsterleben (Unwirklichkeitsgefühl) Konzentrationsstörungen Rasende Gedanken Allgemein intensive Angstsymptome Diese Angst bringt mich um. Vermeidungsverhalten Die „Angst vor der Angst”, d. h. vor einer erneuten Panikattacke, bezeichnet man im Medizinischen als antizipatorische Angst. Diese kann ebenfalls ein großes Problem darstellen und das oben erwähnte Vermeidungsverhalten weiter aufrechterhalten und fördern. 15 Verlauf und Prognose Auch der stärkste Mann schaut einmal unters Bett. Erich Kästner (1899–1974), deutscher Dramatiker, Kinderbuchautor Angsterkrankungen manifestieren sich in der Regel bereits zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr. Frauen sind häufiger betroffen als Männer. Da es sich zumeist um Erkrankungen mit einem chronischen Verlauf handelt, haben die Patienten, wenn sie sich nicht in eine Behandlung begeben, einen langen Leidensweg vor sich. Leider besteht sehr häufig eine hohe natürliche Scham, seine Probleme gegenüber einem Arzt anzusprechen. Auch wird sehr gerne nach einem organischen Leiden gesucht, da es fassbarer ist als eine Angsterkrankung. Geholfen werden kann den Patienten aber nur, wenn eine ausreichende Aufklärung über die Ursachen und die zugrunde liegenden Mechanismen ihrer Erkrankung erfolgt ist. Nicht unerheblich ist der Anteil an Patienten, die neben der Angsterkrankung eine weitere Problematik aufweisen. Häufig gehört dazu das Auftreten einer Depression („die Angst treibt einen in die Depression”) oder eines Missbrauchs von Tabletten oder Alkohol („ich ertrage das alles nur mit Tabletten oder Alkohol”). Der Anteil dieser Patienten wird immerhin auf etwa ein Drittel geschätzt. Diese Tatsache soll nochmals die Notwendigkeit eines individuell abgestimmten Therapieplans (Arztbesuch und eingehende Beratung und/oder Medikation und/oder Psychotherapie) verdeutlichen. 16 Was kann man tun? Es gehört Mut dazu, sich einer Angst zu stellen und sie auszuhalten. Hoimar von Ditfurth (1921–1989) Arzt und Publizist Um den geschilderten Teufelskreis bei Angsterkrankungen wirksam durchbrechen zu können, ist die Mithilfe des Patienten und ein individuell abgestimmter Therapieplan erforderlich. Wichtig ist der Arztbesuch, die eingehende Beratung und die Einhaltung des daraus resultierenden Therapieplans. Therapeutisch finden sich zwei große Behandlungsansätze. Zum einen der medikamentöse Ansatz, zum anderen der psychotherapeutische Ansatz. Viele Patienten profitieren von einer Kombination dieser beiden Verfahren, da es sich – wie wir gesehen haben – bei Angsterkrankungen um eine Problematik handelt, die sich auf verschiedenen Ebenen abspielt und neben biologischen auch verhaltensbedingte Faktoren einschließt. Goldene Regeln zur Angstbewältigung Hier zunächst einige allgemeine Regeln, die Sie sich zu Nutze machen sollten: 10 Goldene Regeln zur Angst- und Panikbewältigung 1.Denken Sie immer daran, dass Ihre Angstgefühle und die dabei auftretenden körperlichen Symptome nichts anderes sind als eine Übersteigerung der normalen Körperreaktion in einer Stress-Situation. 17 2. Solche Gefühle und Körperreaktionen sind zwar sehr unangenehm, aber weder gefährlich, noch in irgendeiner Weise schädlich. Nichts Schlimmes wird geschehen! 3. Steigern Sie sich in Angstsituationen nicht durch Gedanken wie: „Was wird geschehen?” und „Wohin kann das führen?” in noch grössere Ängste hinein. 4.Konzentrieren Sie sich nur auf das, was um Sie herum und mit Ihrem Körper wirklich geschieht – nicht auf das, was in Ihrer Vorstellung noch alles geschehen könnte. 5. Warten Sie ab und geben Sie der Angst Zeit, vorüberzugehen. Bekämpfen Sie Ihre Angst nicht, laufen Sie nicht davon, sondern akzeptieren Sie die Angst. 6.Beobachten Sie, wie die Angst von selbst wieder abnimmt, wenn Sie aufhören, sich in Ihre Gedanken („Angst vor der Angst”) weiter hineinzusteigern. 7.Denken Sie daran, dass es beim Üben nur darauf ankommt zu lernen, mit der Angst umzugehen – nicht, sie zu vermeiden. Nur so geben Sie sich selbst eine Chance, Fortschritte zu machen. 8. Halten Sie sich innere Ziele vor Augen und beobachten Sie, welche Fortschritte Sie schon – trotz aller Schwierigkeiten – gemacht haben. Denken Sie daran, wie zufrieden Sie sein werden, wenn Sie auch dieses Mal Erfolg haben. 9.Wenn Sie sich besser fühlen, schauen Sie sich um und planen Sie den nächsten Schritt. 10. Wenn Sie sich in der Lage fühlen, weiterzumachen, dann versuchen Sie, ruhig und gelassen in die nächste Übung zu gehen. (aus Wittchen et al., Angst, Angsterkrankungen, Behandlungsmöglichkeiten. Harger: Freiburg-Basel, 1995) 18 Medikamentöse Behandlung Bei der medikamentösen Behandlung kommen häufig die folgenden Medikamente zur Anwendung: l trizyklische Antidepressiva (TZA) l Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) l Beruhigungsmittel (Tranquilizer). Wie bei anderen Krankheitsbildern auch, hat Ihr Arzt die Möglichkeit, die Medikamentendosierung Ihren ganz individuellen Bedürfnissen anzupassen. Die verschiedenen Substanzklassen entfalten ihre Wirkung über eine Normalisierung der Impulsweiterleitung der Nerven im Gehirn. Dies geschieht durch Erhöhung der Konzentration bestimmter Botenstoffe (sog. Neurotransmitter). Dadurch kommt es zu einer Verbesserung der Beschwerden. Zur Akutbehandlung werden vor allem Beruhigungsmittel eingesetzt, um dem Patienten möglichst rasch eine Linderung der quälenden Panikattacke zu ermöglichen. Der Vorteil der raschen Wirkung birgt eine gewisse Gefahr in sich. Da die Patienten eine schnelle Besserung verspüren, greifen sie gerne und rasch zu diesen Medikamenten, die leider ein Missbrauchs- und Abhängigkeitspotenzial haben. Sie sollten nur kurzfristig in der akuten Behandlung Anwendung finden. Ist eine längere Behandlung erforderlich, kommen die beiden anderen Substanzklassen zur Anwendung. Die Gruppe der Antidepressiva wurde ursprünglich für die Behandlung der Depression entwickelt. Es hat sich aber gezeigt, dass diese Mittel den veränderten Hirnstoffwechsel auch bei Angsterkrankungen wirksam beeinflussen können. 19 Historisch gesehen handelt es sich bei den klassischen Antidepressiva (TZA) um eine ältere Gruppe, die gewisse Nebenwirkungen aufweist. Die SSRI sind demgegenüber eine Weiterentwicklung der TZA – mit besonderem Augenmerk auf einer besseren Verträglichkeit. Bei Panikstörungen stellen die SSRI bereits die Therapie der ersten Wahl dar, da sie sich aufgrund ihrer nachgewiesenen Wirksamkeit und ihrer Verträglichkeit in der Anwendung bewährt haben. Wichtig für Sie ist zu wissen, dass sich die positive Wirkung der meisten im Fall einer Panikstörung verordneten Medikamente erst nach mehreren Wochen voll entfaltet hat. So lange dauert es, bis sich die veränderten Stoffwechselprozesse im Gehirn wieder normalisieren. Daher muss das Medikament regelmäßig eingenommen werden und man darf es nicht vorzeitig und eigenmächtig wieder absetzen, weil sich in den ersten Tagen vielleicht noch kein positiver Effekt eingestellt hat. Ihre Erkrankung erfordert eine längerfristige Behandlung über mindestens sechs Monate. Da Antidepressiva nicht abhängig machen, können sie über einen längeren Zeitraum genommen werden. 20 Psychotherapeutische Ansätze Verhaltensbedingte Aspekte sind – wie bereits gesagt – maßgeblich für die Entwicklung von Angsterkrankungen und zählen zu deren Ursachen und Auslösern. Als solche ermöglichen sie es, Angsterkrankungen durch psychotherapeutische Ansätze zu behandeln. Hierbei gibt es verschiedene Möglichkeiten: l Tiefenpsychologisch orientierte Methoden: Diese gehen von einer Entstehung der Angstsymptomatik durch Konflikte aus. Im Vordergrund steht daher eine Aufdeckung und Auflösung dieser Konflikte sowie von deren unbewussten Beweggründen. l Kognitive Verhaltenstherapie: Nach diesem Ansatz entstehen Angsterkrankungen durch Lernprozesse. Therapeutisch sollen daher Veränderungen des Verhaltens und der Lebensbedingungen bewirkt (erlernt) werden. l Humanistisch-existentialistisch, psychotherapeutischer Ansatz: Dabei handelt es sich um eine Gruppe von Verfahren, die sich auf die Selbstheilungskräfte des Patienten konzentrieren und das Wachstum seiner Persönlichkeit stützen. l Systemische Psychotherapie: Hier wird nicht von einem „individuellen” Problem ausgegangen, sondern die Angsterkrankung als Ergebnis einer fehlerhaften Kommunikation (z. B. in der Partnerschaft oder Familie) verstanden. 21 Dieses sind nur die am häufigsten angewandten Psychotherapieformen. Wichtig ist in allen Fällen die Zusammenarbeit des Patienten mit Arzt und Therapeut und somit der Wille, alle verfügbaren Kräfte in das Gesundwerden zu investieren. Weitere Behandlungsverfahren Wenn Sie darüber hinaus noch nach weiteren Möglichkeiten suchen, aktiv zur Verbesserung Ihrer Angsterkrankung beizutragen, bieten sich noch andere Verfahren an, die sinnvoll eingesetzt werden können. Es gibt eine Vielzahl von „Entspannungsverfahren”, wie z. B. die progressive Muskelrelaxation, das autogene Training oder andere Methoden aus dem fernöstlichen Kulturkreis wie Yoga, Chi Gong und Thai Chi. Man kann Maßnahmen zum Stressmanagement lernen, da der Stress ja bekanntlich begünstigend auf das Auftreten von Panikattacken wirkt. Regional und überregional existieren Selbsthilfegruppen, die Ihnen einen Erfahrungsaustausch ermöglichen. Bei Angsterkrankungen spielen – wie schon gesagt – sowohl biologische als auch verhaltensbedingte Faktoren eine Rolle. Dies ist der Grund, wehalb sich eine Kombination aus den zwei großen Behandlungsansätzen – dem medikamentösen und dem psychotherapeutischen Verfahren – für viele Patienten empfiehlt. Wer seinen (individuell abgestimmten) Therapieplan einhält, hat große Chancen auf eine Verbesserung der Angsterkrankung und damit auf den Gewinn neuer Souveränität und Stabilität im Leben. 22 Anhang Literaturtipps Angstfrei leben. Das erfolgreiche Selbsthilfeprogramm gegen Stress und Panik. von Lucinda Bassett Taschenbuch – 259 Seiten Beltz (2007), ISBN: 3407228198 Wenn plötzlich die Angst kommt von Roger Baker Broschiert – 176 Seiten Scm R. Brockhaus (2009), ISBN: 3417205557 15,90 € 9,90 € Die Angst aus heiterem Himmel. 9,00 € Panikattacken und wie man sie überwinden kann. von Christine Brasch und Inga-Maria Richberg Taschenbuch – 288 Seiten Goldmann (2000), ISBN: 3442163943 23 Selbsthilfegruppen Selbsthilfegruppen (SHG) zum Thema Angststörungen und Panikerkrankungen finden sich in vielen größeren Städten. Als Anlaufstellen fungieren auch die Kontakt- und Informationsstellen für Selbsthilfegruppen (KISS) in allen größeren Städten, die z. T. in Kooperation mit großen Krankenkassen und den Gesundheitsämtern betrieben werden. Die Adressen und Telefonnummern finden sich in den regionalen Telefonbüchern. Eine Auswahl an Adressen: DASH (Deutsche Angst-Selbsthilfe) und MASH (Münchner Angst-Selbsthilfe) Bayerstr. 77 a 80335 München Tel.: 089/51 55 53-15 und 089/51 55 53-0 www.panik-attacken.de AGORAPHOBIE e.V. Taunusstr. 5 12161 Berlin Telefon 030/851 58 24 www.angstzentrum-berlin.de 24 Soziale Angst Selbsthilfe Website für Betroffene von sozialer Phobie und Schüchternheit www.sozialeangst.de 25 Notizen 26 27 903339 6/2012 UNTERNEHMEN ZNS Lundbeck GmbH Ericusspitze 2 • 20457 Hamburg Telefon: 0 40/2 36 49-0 Telefax: 0 40/2 36 49-255 E-Mail: [email protected] www.lundbeck.de