Entwicklung eines räumlich und physikalisch adaptiven

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Fifth German-Austrian IBPSA Conference
RWTH Aachen University
ENTWICKLUNG EINES RÄUMLICH UND PHYSIKALISCH ADAPTIVEN
ENERGETISCHEN GEBÄUDEMODELLS IN MODELICA
C. Nytsch-Geusen, K. Mucha, A. Inderfurth und J. Rädler
1
Universität der Künste Berlin, Berlin, Germany
Institut für Architektur und Städtebau,
Fachgebiet Versorgungsplanung und Versorgungstechnik
Email: [email protected]
KURZFASSUNG
EINLEITUNG
Der Beitrag beschreibt die Entwicklung eines in der
Modellierungssprache Modelica implementierten
energetischen Gebäudemodells, bei dem die
räumliche Auflösung (0D, 1D, 3D) sowie das
verwendete physikalische Modell (rein thermische
oder hygrothermische Berechnung) an die geforderte
Fragestellung der Simulationsanalyse flexibel
angepasst werden können. Durch Nutzung des
objektorientierten Ansatzes von Modelica werden
auch unterschiedliche räumliche Auflösungen (0D,
1D, 3D) für einzelne Bereiche eines MehrzonenGebäudemodells ermöglicht, ebenso gemischte
thermische und hygrothermische Gebäudemodelle.
In den letzten Jahren wurde von Forschungseinrichtungen und auch der Industrie eine Vielzahl
an thermischen und hygrothermischen Raum- und
Gebäudemodellen in Modelica implementiert. Je
nach Anwendungszweck sind hierbei die räumlichen
Modellskalen sehr unterschiedlich ausgeprägt. Die
Modellpalette reicht von einfachen 1st-order
Modellen (0D-Modelle), über die klassische
Multizonen-Modellierung (1D-Modelle) bis hin zur
räumlich aufgelösten Raumsimulation (3D-Modelle):
Für die Realisierung eines solchen flexiblen
Modellierungsansatzes wurde eine erweiterbare
modulare Gebäude-Modellarchitektur in Modelica
mit entsprechenden Schnittstellen sowie generischen
und adaptiven Komponentenmodellen entwickelt.
Der Beitrag beschreibt sowohl die zugrunde liegende
Modellarchitektur als auch zwei Anwendungsbeispiele, welche den adaptiven Modellierungsansatz
demonstrieren sollen.
ABSTRACT
This article describes the development of an
energetic building model in Modelica, in which the
spatial resolution (0D, 1D, 3D) and the used physical
model (pure thermal or hygro-thermal calculation)
can be flexibly adapted to the simulation problem.
Through the use of Modelica's object-oriented
approach different spatial resolutions (0D, 1D, 3D)
for the individual parts of a multi-zone-building
model are feasible as well as mixed thermal and
hygro-thermal building models.
For the realization of such a flexible modelling
approach an extensible and modular building model
architecture was developed in Modelica. This
includes respective model interfaces and generic and
adaptive sub-component models.
The article describes the undelying model
architecture and also two case studies, which
demonstrate the adaptive modelling approach.
0D-Gebäudemodelle: In der AIX-Bibliothek der
RWTH Aachen (Lauster et al. 2014) und der
BuildingSystems-Bibliothek der UdK Berlin
(Nytsch-Geusen et. el. 2012) wurden numerisch
schnelle,
stark
vereinfachte
thermische
Gebäudemodelle mit wenigen Zustandsgrößen pro
Gebäude implementiert und zur Modellierung des
thermischen Bedarfs von Stadtquartieren über
Jahreszeiträume verwendet.
1D-Gebäudemodelle: Bei den detaillierteren 1DGebäudemodellen werden 1-dimensional diskretisierte Modelle für die Gebäudekonstruktion (Wände,
Decken etc.) verwendet, meistens in Kombination
mit einem ideal durchmischten Raumluftvolumenmodell pro thermischer Zone. Die Anzahl
der Zustandsgrößen steigt gegenüber den einfachen
0D-Modellen deutlich. Gleichwohl lassen sich mit
diesem Ansatz bei erträglichen Rechenzeiten für
Mehrzonen-Gebäudemodelle, auch bei gleichzeitiger
Berechnung eines Strömungsnetzwerkes zwischen
den Zonen, immer noch Jahreszeiträume simulieren.
Für diesen Zweck wurden eine Vielzahl von
Modelica-Gebäude-Bibliotheken entwickelt. Als
älteste Implementierung ist die Bibliothek ATPlus
der TU Kaiserslautern (Felgner et al., 2002) zu
nennen, später folgten die BuildingPhysicsLibrary
von Fraunhofer FIRST und Fraunhofer IBP (Noudui
et al. 2008), die AIX-Bibliothek der RWTH Aachen
(Müller und Badakhshani 2010), die BuildingsLibrary des LBNL (Wetter et. al. 2011) und die
kommerziellen Bibliotheken HumanComfort-Library
der XRG Simulation GmbH (Michaelsen und Eiden
2009) sowie GreenBuildings-Library von ITI (Unger
et al. 2012).
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3D-Raummodelle:
Der
detaillierteste
dreidimensionale Modellierungsansatz in Modelica, bei
dem sowohl die Baukonstruktion als auch das
Raumluftvolumen räumlich diskretisiert werden
(zonaler Ansatz), ist meistens auf die Abbildung
einzelner Räume beschränkt. Aus Gründen noch
erträglicher Rechenzeiten können mit diesen
Modellen einige hundert Luftvolumina pro
thermischer Zone abgebildet und Simulationszeiträume über einige Tage realisiert werden.
Für diesen Modelltyp liegen nur wenige ModelicaImplementierungen vor. Als erstes wurde am
Fraunhofer IBP das (VEPZO - Velocity Propagating
Zonal Model)-Modell (Norrefeldt und Grün 2012)
entwickelt. Zur Zeit ensteht innerhalb der DFGForschergruppe 1736 "Urban Climate and Heat
Stress in mid-latitude cities in view of climate
change" (UCaHS) im Teilprojekt "Indoor
Simulations" an der UdK Berlin ein vom
Modellierungsansatz verwandtes 3D-Raummodell,
was zur Analyse und Bewertung von Hitzestreß in
Innenräumen verwendet werden soll (Mucha et al.,
2014).
Bisher gibt es allerdings noch kein Gebäudemodell,
bei dem die verschiedenen räumlichen Skalen und
unterschiedlichen physikalischen Modelle in einem
gemeinsamen Modellierungsansatz integriert sind. Es
gibt allerdings zahlreiche Fragestellungen in der
energetischen
Gebäudesimulation,
wo
dies
erforderlich ist. Typische Beispiele hierzu sind:
•
Parameteroptimierung: zunächst wird mit
einem vereinfachten 0D-Modell numerisch
effizient mit Hilfe einer Zielfunktion die Nähe
des optimalen Parametersatzes aufgesucht. In der
Nähe des Optimum wird dann auf ein genaueres,
und numerisch aufwenderiges 1D- und oder 3DModell gewechselt.
•
Räumliche adaptive Modelle: Bei der
Überprüfung des thermischen Komforts eines
Gebäudes wird bis zum ersten Auftreten
kritischer Innenraumzustände mit einem
vereinfachten 0D- oder 1D-Modell gerechnet.
Nach Auftreten dieses Zustands wird das Simulationsexperiment mit einem detaillierten 3DModell fortgesetzt, um räumlich differenzierte
Aussagen zum Innenraumklima zu erhalten.
•
Physikalisch
adaptive
Modelle:
Rein
thermische
Gebäudesimulationen
weisen
erheblich reduzierte Rechenzeiten gegenüber
hygrothermischen Gebäudesimulationen auf.
Sind die hygrisch kritischen Bereiche eines
Gebäudes bekannt oder treten diese nur temporär
auf, kann die gekoppelte Energie- und
Feuchteberechnung auf Teile des gesamten
Gebäudemodells beschränkt werden.
Adaptives Gebäudemodell: Der vorliegende
Beitrag beschreibt das Konzept und die erste
prototypische Implementierung eines räumlich und
physikalisch adaptiven Modelica-Gebäudemodells,
welches innerhalb mehrerer Forschungsprojekte am
Fachgebiet Versorgungsplanung und Versorgungstechnik an der UdK Berlin entwickelt wird.
Im 0D-Detaillierungsgrad kann das adaptive
Gebäudemodell mit seinem stark vereinfachten,
abstrahierten und numerisch schnellen Modellierungsansatz zur Berechnung des thermischen
Energiebedarfes einer Vielzahl von Gebäuden, wie
z.B. einer Wohnsiedlung verwendet werden.
Sein numerisch mittelschneller 1D-Detaillierungsgrad eignet sich typischerweise zur Modellierung
und Simulation von Mehrzonen-Gebäudemodellen,
wodurch z.B. räumlich verteilte thermische Energiebedarfe, Lufttemperaturen, Luftfeuchten sowie
Luftwechsel zwischen den einzelnen Räumen eines
komplexen Gebäudes untersucht werden können.
Im
genauesten,
rechenaufwändigsten
3DDetaillierungsgrad kann ein örtlich aufgelöstes
Raummodell definiert werden, welches die
dreidimensionale Strömung im Raumluftvolumen,
die geometrische Verteilung langwelliger und
kurzwelliger Strahlung im Raum sowie den
mehrdimensionalen Wärmetransport im Baukörper
beschreibt. Mit diesem Modell lassen sich z.B.
Aussagen zur örtlichen thermischen Behaglichkeit im
Einzelraum treffen.
In allen drei räumlichen Skalen lassen sich
wahlweise rein thermische oder hygrothermische
Berechnungen durchführen.
MODELLARCHITEKTUR
Ziel der Entwicklungen ist der Entwurf einer
modularen und flexiblen Modellarchitektur, mit der
sich die Anforderungen an die unterschiedlichen
räumlichen Skalen und die flexible Nutzung
verschiedener physikalischer Modelle umsetzen
lassen. Die beiden wichtigsten Themen sind hierbei
die Definition geeigneter Modellschnittstellen
(Modelica-Konnektoren) zur Verbindung der
Teilmodelle sowie die Beschreibung der Geometrie,
der Diskretisierung und der Topologie der
Gebäudemodelle.
Modellschnittstellen
Beim Schnittstellendesign wird ein hierarchischer
Ansatz gewählt, bei dem grundlegende Konnektortypen wie z.B. ein HeatPort (Wärmetransport), ein
MoisturePort
(Feuchtetransport)
oder
ein
RadiationPort (kurzwelliger Strahlungstransport) zu
komplexeren
übergeordneten
Konnektortypen
kombiniert werden (vgl. Abbildung 1).
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HeatPort
HeatPort
MoisturePort
MoisturePort
RadiationPort
RadiationPort
Side1
name
Abbildung 3: Visualisierung der
Oberflächentemperaturen eines unterschiedlich (3x3
und 10x10) equidistant diskretisierten thermischen
3D-Wandmodells, welches auf zwei seiner Kanten
von einem wärmeren Körper erwärmt wird
Side2
Abbildung 1: Fenstermodell, auf dessen Innen- und
Außenseite jeweils drei spezielle Konnektoren zu
einem komplexen Konnektor integriert werden
Hierdurch kann die notwendige Anzahl an
Verbindungen zwischen den Sub-Komponenten einer
Gebäudezone deutlich minimiert werden, was die
Anwendung der Modellbibliothek stark vereinfacht
(vgl. Abbildung 2).
2) Nicht-equidistante Bauteildiskretisierung
WallThermal3D wall(
angleAzi=180.0,angleTil=90.0,
nY=3,nZ=4,
equidistantGrid=false,
pointsSegY={0,1.5,2.2,4.0},
pointsSegZ={0,1.4,2,3.2,4.5},
constructionData=construction);
3) Nicht-diskretisierte Wandmodelle mit Öffnungen
WallThermal1DNodes wall1(
angleAzi=180.0,angleTil=90.0,
height=2.5,width=2.0,
yOpening=1.0,zOpening=0.6,
widthOpening=0.8,heightOpening=1.2,
constructionData=construction);
Abbildung 2: Einfaches Gebäudemodell mit zwei
Zonen, welche über eine gemeinsames thermisches
Wandmodell miteinander verbunden sind
Räumliche Auflösung und Gebäudegeometrie
Je nach erforderlicher räumlicher Auflösung können
die baukonstruktiven Elemente und die Luftvolumina
des adaptiven Gebäudemodells durch eine
entsprechende Modell-Parametrisierung in ihrer
Diskretisierung und Geometrie (z.B. Fensteröffnungen in Wänden) angepasst werden. Die
Abbildungen 3 und 4 zeigen 3D-Visualisierungen für
einige Beispiele von Wandmodellen sowie Auszüge
aus der zugehörigen Modelica-Beschreibung, aus der
die Parametrisierungen ersichtlich werden.
1) Equidistante Bauteildiskretisierung
WallThermal3D wall(
angleAzi=180.0,angleTil=90.0,
height=1.0,width=1.0,nY=10,nZ=10,
constructionData=construction);
Abbildung 4: Visualisierung der
Oberflächentemperaturen eines nicht-equidistanten
3D-Wandmodells (links) und von vier nicht nichtdiskretisierten 1D-Wandmodellen mit
Bauteilöffnungen (rechts)
PHYSIKALISCHE MODELLIERUNG
Das physikalische Verhalten des adaptiven
Gebäudemodells
ist
entsprechend
dem
objektorientierten Sprachansatz von Modelica in
unterschiedliche, untereinander kombinierbare TeilModelle (Konstruktionslemente, Raumluftvolumenmodelle, Zonenmodelle etc.) implementiert. Diese
Submodelle werden über hierarachisch aufeinander
aufbauende Modellebenenen (Bauelement →
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Zonenmodell → Gebäudemodell → Stadtteilmodell)
zu komplexeren Gebäude-Systemen konfiguriert.
Modelle für Konstruktionselemente
Die adaptive Gebäude-Modellbibliothek umfasst
derzeit erst Modelle grundlegender opaker und
transparenter Baukonstruktionen für die rein
thermische und auch hygrothermische Simulation.
Abbildung 6: Visualisierung der
Raumlufttemperaturen beim zonalen Raumluftmodell
Zonenmodelle
Abbildung 5: Externe (links) und interne Sicht
(rechts) auf das 1D-diskretisierte hygrothermische
Wandmodell mit internen Schnittstellen für den
Wärmetransport (rot) und Feuchtetransport (lila).
Abbildung 5 zeigt exemplarisch am Beispiel des
hygrothermischen 1D-Wandmodells, daß diese
Konstruktionsmodelle wiederum aus feingranulareren grundlegenden Sub-Modellen zum Wärmeund Feuchtetransport zusammengesetzt sind. Das
verwendete hygrothermische Transportmodell basiert
im Wesentlichen auf den Modellierungs-ansätzen,
die von (Noudui et al., 2008) verwendet wurden.
Die Modelle der opaken Baukonstruktionen liegen in
der Bibliothek als 1D- oder 3D-Varianten vor,
transparente
Bauteilkonstruktionen
(Fenster,
Glasfassaden) nur in 1D-Modellierung. Die
Fenstermodelle unterstützen bzgl. ihrer Modellstruktur den Durchgang direkter und diffuser
Strahlung sowohl auf der Innenals auch
Außenseite.
Zukünftig soll die Bibliothek um weitere speziellere
und komplexere Baulemente ergänzt werden, wie
z.B. um elektrisch/thermische Modelle hinterlüfteter
bzw. nicht hinterlüfteter Fotovoltaikfassaden.
Raumluftvolumenmodelle
Die Bibliothek bietet die Wahl zwischen einem ideal
durchmischten null-dimensionalen und einem dreidimensional
aufgelösten
zonalen
Raumluftvolumenmodell (vgl. Abbildung 6).
Letzteres
basiert
auf
einer
vereinfachten
Implementierung der Navier-Stokes-Gleichungen.
Vergleiche mit detaillierten CFD-Simulationen haben
gezeigt, dass dieses Modell in der Lage ist die
Geschwindigkeiten von Raumluftströmungen in
einer thermischen Zone qualitativ wiederzugeben,
wie in (Mucha et al., 2014) genauer beschrieben
wird.
Sowohl das 0D- als das 3D-Raumluftvolumenmodell
ist kompressibel modelliert und kann optional auch
um eine Feuchtebilanz erweitert werden.
Im Zonenmodell werden das jeweils gewählte
Luftvolumenmodell mit den zonenbegrenzenden
Oberflächen integriert und mit den Modellen zur
kurzwelligen
Strahlungsverteilung
und
zum
langwelligen Strahlungsaustausch verknüpft. Der
langwellige Strahlungsaustausch erfolgt über das
Radiosity-Verfahren nach (Goral et al., 1984), wobei
wahlweise vereinfachte flächengewichtete oder
geometrische Sichtfaktoren (z.B. nach der Methode
von (Walton, 2002)) genutzt werden können.
Das
kurzwellige
Strahlungsverteilungsmodell
arbeitet derzeit noch stark vereinfacht nach einem
flächengewichteten Verfahren.
Die
in
den
Zonenmodellen
enthaltenen
Luftvolumenmodelle können untereinander und mit
dem Gebäudeumgebungsmodell über Strömungspfadmodelle verbunden werden, wodurch auch eine
Berechnung des zonalen und interzonalen
Luftwechsel ermöglicht wird.
Modell der Gebäudeumgebung
Das Modell der Gebäudeumgebung berechnet für ein
oder mehrere Gebäudemodelle die gewünschten
klimatischen Randbedingungen (solare Direkt- und
Diffusstrahlung, Außenluft- und Himmelstemperatur,
Windgeschwindigkeit und -richtung, Außenluftfeuchte) für die unterschiedlich orientierten
Gebäudefassaden. Hierfür werden über einen
Dateileser mit NetCDF-Technologie in Verbindung
mit einer Akima-Interpolation Wetterdatensätze
effizient eingelesen (Rädler et al., 2012). Es stehen in
der Gebäude-Bibliothek mit Meteonorm erzeugte
vorgefertigte Wetterdatensätze für eine Reihe
exemplarischer weltweiter Standorte zur Verfügung.
Diese können vom Nutzer der Bibliothek um eigene
Datensätze ergänzt werden.
Die Anwendung des adaptiven Gebäudemodells wird
mit den beiden Beispielen zur Stadtquartierssimulation (0D-Modellierung) und zur Simulation
eines thermischen Modellhauses (1D- und 3DModellierung) demonstriert.
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ANWENDUNGSBEISPIEL
STADTQUARTIER
Im ersten Anwendungsbeispiel wird die numerische
Effizienz des thermischen 0D-Gebäudemodells für
seine
Eignung
zur
Stadtquartierssimulation
untersucht. Für eine performante Simulation wird ein
Gebäudemodell mit nur 9 Zustandsgrößen
konfiguriert. Alle an die Außenluft grenzenden
Bauteile, alle innerhalb des Gebäudes liegenden
Bauteile und alle an den Gebäudeuntergrund
angrenzende Bauteile werden jeweils aggregiert und
so über insgesamt 3 thermische Kapazitäten
abgebildet. Weiterhin besitzt das 0D-Gebäudemodell
genau ein Sub-Modell für eine transparente Fassade
(vgl. Abbildung 7), sowie zwei PI-Regler, mit
welchen die ideale Heiz- und Kühllasten für
gegebene Heiz- und Kühlgrenztemperaturen
bestimmt werden. Für Gebäude mit unterschiedlich
orientierten transparenten Fassaden kann die Anzahl
dieser Submodelle über ein Parameter leicht
angepasst werden.
Abbildung 8: Stadtquartiersimulation mit 40
Einzelgebäuden unterschiedlicher Ausrichtung
•
V1: Free floating temperature: Für alle
Gebäude
wird
das
frei
schwingende
Innenraumklima berechnet.
•
V2: Ideal loads: Für alle Gebäude wird die
ideale Heiz- und Kühllast für eine
Heizgrenztemperatur
von
20°C
bzw.
Kühlgrenztemperatur 24 °C berechnet.
•
V3: Ideal loads, constant azimuth: wie V2,
allerdings sind alle Gebäude mit ihren transparenten Öffnungen nach Süden ausgerichtet.
T_setHeating
100
T_setCooling
90
80
70
toAmbientSurfacesPorts
60
seconds
toAmbientAirpathPorts
window
innerConstructions
zone
50
40
D1
1D
30
ambientConstructions
D
20
s
n
o
i
ct
u
rt
s
n
o
C
d
n
u
ro
10
0
0
5
10
15
20
25
30
35
40
toAmbientAirPorts
Number of buildings
CPU time per building (free floating temp.)
CPU time per building (ideal loads)
CPU time per building (ideal loads, const. azimuth)
2D
toSolidHeatPorts
2D
toSolidMoisturePorts
Abbildung 7: Vereinfachtes thermisches ODGebäudemodell zur Stadtquartiersimulation
Im Simulationsexperiment wird das Gebäudemodell
auf einer Fassadenseite mit einem hohen
Glasflächen-anteil parametrisiert, um einen starken
Einfluss der solaren Einstrahlung auf das
Innenraumklima und die damit verbundenen Heizund Kühllasten zu erzeugen. Es werden
Jahressimulationen mit dem Außenklima von San
Francisco (Meteonorm 7-Wetterdaten) mit 1, 2, 5,
10, 20 und 40 Gebäudemodellen durchgeführt, wobei
jedes einzelne Modell um jeweils weitere 10° in
seiner vertikalen Achse gedreht wird. Hierdurch
erhält
jedes
der
ansonsten
identischen
Gebäudemodelle
seine
individuelle
solare
Einstrahlung (vgl. Abbildung 8).
Abbildung 9 zeigt die benötigte Simulationszeit für
eine Jahressimulation (gerechnet mit DasslVerfahren in Dymola) pro Einzelgebäude in
Abhängigkeit der insgesamt gleichzeitig simulierten
Gebäude für die drei Varianten:
Abbildung 9:Rechenzeit (CPU time in s) für die
Jahressimulation pro Einzelgebäude in Abhängigkeit
von der Anzahl an gleichzeitig simulierten Gebäuden
Der numerische Aufwand für eine Jahressimulation
ist für ein Gebäudemodell, bei dem das frei
schwingende Klima errechnet wird am geringsten
und liegt bei einer Gebäudeanzahl von 40 Gebäuden
für das Einzelgebäude in etwa konstant bei ca. 3 s
(Variante V1). Werden zusätzlich die idealen Heizund Kühlasten berechnet liegt der numerische Aufwand pro Gebäude bei etwa 12 s und steigt fast auf
den Faktor 10 bei 40 Gebäuden an (95 s pro Jahressimulation, Variante V2). Werden die Gebäude nicht
individuell ausgerichtet, bleibt der numerische
Aufwand für die Jahressimulation in etwa gleich bei
10,5 s (Variante V3).
Der Grund für diese erheblich unterschiedlichen
Rechenzeiten für das in der Größe des Gleichungssystems unveränderte Simulationsmodell wird aus
Abbildung 10 ersichtlich, in welcher die Abfolge
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eines bedeckten und zwei anschließenden sonnigen
Wintertagen dargestellt ist.
verschiedenste Experimente zur Raumenergiebilanz,
zu den Wärme- und Lufttransportvorgängen
innerhalb von Räumen sowie zum Lüften, Heizen
und Kühlen von Gebäuden durchgeführt werden.
Abbildung 10: Simulierte ideale Heizlast und Kühllast (1. und 2. Reihe), Innenluft- und Außenlufttemperaturen (3. Reihe) für das 1.,10. und 30. Gebäude
sowie diffuse und direkte Einstrahlung (4. Reihe) an
einem bedeckten und zwei sonnigen Tagen im Januar
Befinden sich alle identischen Gebäudemodelle des
Stadtquartiers bei gleicher Außentemperatur nur
unter dem Einfluss der richtungsunabhängigen
diffusen Einstrahlung, wird für sie von den PIReglern die exakt gleiche Heizlast berechnet.
Numerisch bedeutet dies, dass die Numerik des
verwendeten Modelica-Tools (hier Dymola 2014
FD1) eine gemeinsame Schrittweitenadaption für alle
Gebäudemodelle
vornehmen kann. An den
nachfolgenden sonnigen Tagen ergeben sich dagegen
stark unterschiedliche Heiz- und Kühllasten, wie am
Beispiel des 1., 10. und 30. Gebäudes zu sehen ist. In
Folge dessen muss jeder einzelne PI-Regler mit
einem unterschiedlichen Gradienten die notwendigen
Wärmeströme berechnen, so dass die gemeinsame
Schrittweite des Dassl-Solvers stets an die größte
Regelanpassung aller 40 Gebäude adaptiert werden
muss, was zu deutlich höheren Rechenzeiten führt.
Abbildung 11: Thermisches Modellhaus mit
Fußbodenheizungen und Kühldecken
Im Anwendungsbeispiel wird das thermische
Modellhaus in seiner Konfiguration mit eingesetzter
Mittelwand betrachtet, wodurch sich ein ZweiZonen-Modell ergibt. Die Lüftungsöffnungen in der
Trenn-wand werden verschlossen, so dass eine
Wärmeübertragung
zwischen
beiden
Zonen
ausschließlich durch Transmission erfolgen kann.
Ebenso
wird
ein
Luftwechsel
mit
der
Modellhausumgebung
ausgeschlossen.
Die
Fußbodenheizung in der rechten thermischen Zone
des Modellhauses wird mit konstant 20 W Leistung
betrieben. Wie im ersten Anwendungsbeispiel
wirken auf das Modellhaus die KlimaRandbedingungen von San Francisco ein.
1D-Modellellierung
ANWENDUNGSBEISPIEL
THERMISCHES MODELLHAUS
Im zweiten Anwendungsbeispiel wird das adaptive
Gebäudemodell in seiner 1D- und 3D-Variante auf
die Analyse eines Aufheizvorganges eines
thermischen Modellhauses (vgl. Abbildung 11)
angewandt.
Am Fachgebiet für Versorgungsplanung und
Versorgungstechnik der UdK Berlin wurde ein
thermisches Modellhaus für Lehr- und Forschungszwecke entwickelt (Nytsch et al., 2010). Das
Thermische Modellhaus stellt eine mobile
Versuchseinrichtung mit kompakten Abmessungen
(Innenraummaße: 1m x 0,5m x 0,5 m) dar, mit der im
Modellmaßstab verschiedene Effekte zur Gebäudeklimatisierung im physikalischen Experiment
nachvollzogen werden können. Durch seine
vielfältigen Konfigurationsmöglichkeiten können
Abbildung 12:1D-Gebäudemodell des thermischen
Modellhauses mit Zwischenwand
Abbildung 12 zeigt das 1D-Gebäudemodell des
thermischen Modellhauses, Abbildung 13 die dazugehörige 3D-Visualisierung, in welcher die direkte
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Erwärmung der Fußbodenheizung und die indirekte
Erwärmung der Wandflächen in der rechten Zone
(Konvektion und Wärmestrahlung) erkennbar ist.
Raumluftvolumenmodell (hybride 0D/1D-Modellierung). Die Bauteildiskretisierung erfolgt in beiden
Zonen dreidimensional (vgl. Abbildung 15).
Abbildung 13: Visualisierung der
Innenoberflächentemperaturen beim 1DGebäudemodell des thermischen Modellhauses
Abbildung 15: Visualisierung der
Innenoberflächentemperaturen beim 3DGebäudemodell des thermischen Modellhauses
Die Randbedingungen (Gebäudemodellparameter,
Heizleistung, Außenklima) des Simulationsexperiments sind ansonsten identisch mit dem der
1D-Modellierung.
Abbildung 16 zeigt beispielhaft für die unterste
(box[2,2,1]), mittlere (box[2,2,2]) und oberste
(box[2,2,3]) Luftzelle die dort auftretenden
vertikalen Geschwindigkeitskomponenten, wobei
Werte von ca. 0,01 m/s berechnet werden. Der
Energieeintrag durch die Fußbodenheizung (20 W)
überwiegt an diesem trüben Tag deutlich die solaren
Gewinne der Gebäudezone.
Abbildung 14: Simulierte Innenlufttemperaturen
(linke und rechte Zone) und Außenluftemperatur
(oben) des thermischen Modellhauses sowie diffuse
und direkte Einstrahlung (unten) an drei bedeckten
und einem sonnigen Tag im Januar
Die Temperaturentwicklung in Abbildung 14 zeigt,
dass an trüben Tagen der Einfluss der
Fußbodenheizung dominiert, welche die rechte Zone
auf ca. 30°C Lufttemperatur erwärmen kann, die
linke unbeheizte Zone erwärmt sich durch die
Wärmeübertragung durch die Mittelwand auf etwa
20°C. Am vierten sonnigen Tag dominiert der
Einfluss der solaren Gewinne in beiden Zonen,
wodurch diese Spitzenwerte von knapp 60 °C bzw.
50 °C Lufttemperatur erreichen.
Die notwendige CPU-Zeit mit dem 1DGebäudemodell zur Durchführung einer Wochensimulation beträgt 0,4 s und einer Jahressimulation
ca. 15 s (gerechnet mit Dassl-Verfahren in Dymola).
3D-Modellierung
Im nächsten Schritt wird das thermische Modellhaus
als 3D-Gebäudemodell konfiguriert. Im Simulationsexperiment sollen die vertikal auftretenden
Geschwindigkeit in der rechten beheizten Zone
ermittelt
werden.
Zur
Begrenzung
des
Rechenaufwandes wird daher nur in der rechten
Zone ein dreidimensional diskretisiertes Raumluftvolumenmodell (3x3x3) eingesetzt, in der linken
unbeheizten Zone ein ideal durchmischtes 0D-
Abbildung 16: Simulierte vertikale Komponente der
Luftgeschwindigkeiten der mittleren drei Luftzellen
(oben) sowie solare Einstrahlung und Heizleistung
(unten) der rechten Zone an einem bedeckten Tag im
Januar
Die notwendige CPU-Zeit mit dem detaillierten 3DGebäudemodell zur Durchführung einer Wochensimulation beträgt ca. 2.341 s mit dem DasslVerfahren bzw. 561 s mit dem CVode-Verfahren.
ERGEBNISANALYSE UND AUSBLICK
Das neu entwickelte adaptive Gebäudemodell ist auf
Grund seiner flexiblen Architektur in der Lage
sowohl für die Simulation größerer Gebäudegruppen
zur Stadtquartierssimulation (erstes Anwendungsbeispiel) als auch zur mehrzonigen Gebäude-
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simulation bis hin zur detaillierten Raumluftströmungssimulation (zweites Anwendungsbeispiel)
verwendet zu werden. Der numerische Aufwand des
detaillierten 3D-Gebäudemodells ermöglicht zurzeit
nur Simulationszeiträume im Wochenbereich. 0Dund 1D-Jahressimulationen lassen sich dagegen mit
vergleichsweise
niedrigem
Rechenaufwand
durchführen.
Zukünftige Entwicklungsarbeiten zum adaptiven
Gebäudemodell werden sich zum einen auf die
Erweiterung und Verfeinerung der Modellbibliothek
inkl. ihrer experimentellen Validierung konzentrieren. Zum anderen soll durch den Einsatz von
Methoden zur Modell-Parallelisierung/Co-Simulation
sowie durch die Nutzung anderer numerischer
Verfahren die Performanz der 3D-Gebäudemodellierung deutlich verbessert werden.
DANKSAGUNGEN
Die Entwicklung des thermischen Modellhauses
wurde mit den Mitteln der Heinz-Trox-Stiftung
unterstützt.
Das dreidimensionale zonale Raumluftvolumenmodell ensteht im Teilprojekt "Indoor Simulations"
der Forschergruppe 1736 "Urban climate and heat
stress in mid-latitude cities in view of climate
change“ (UCaHS), unterstützt von der Deutschen
Forschungsgemeinschaft
(DFG) unter dem
Geschäftszeichen NY 68/4-1.
LITERATUR
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(PMV) control ventilation system. In
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Wetter M., Zuo W., Nouidui, T. 2011. Recent
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Proceedings of the 4rd German-Austrian IBPSA
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Propagating Zonal Model for the prediction of
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enclosed spaces. Proceedings of the 9th
Interational
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Conference,
3.-5.
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