Die Wortgrammatik Wörter können aufgrund ihrer verschiedenen Funktionen im Satz und der damit verbundenen Formmerkmale in verschiedene Wortklassen (Wortarten) eingeteilt werden. Die Wortgrammatik beschreibt die einzelnen Wortklassen nach ihrer Funktion, ihren Formen und ihrer Bedeutung. Wir unterscheiden die folgenden Wortklassen: Flektierbare Unflektierbare Nomen, Verb, Adjektiv, Pronomen, Artikel Adverb, Präposition, Konjunktion, Interjektion Das Verb Wörter wie die folgenden werden Verben genannt: arbeiten, schreiben, essen, regnen, sein, bleiben, wissen, einschlafen, hinaufsteigen, abtrocknen, fabrizieren … Die deutschen Bezeichnungen für Verb sind Tätigkeitswort oder Zeitwort. Verben drücken Handlungen, Vorgänge und Zustände aus. Ihre Hauptfunktion ist es, das Prädikat eines Satzes zu bilden. Das Prädikat ist die zentrale Einheit eines Satzes, von der die anderen Satzteile abhängig sind. Ein Prädikat enthält immer mindestens eine finite (= in Person und Numerus bestimmte) Verbform: Ich gehe nach Hause. Verben können flektiert (konjugiert, gebeugt) werden. Die verschiedenen Wortformen eines Verbs drücken die Kategorien Person, Numerus, Modus, Tempus und Aktiv/Passiv aus. Die Verben können unter verschiedenen Gesichtspunkten beschrieben werden: Morphologisch: Form Flexion – Wie werden die Wortformen gebildet? Grammatische Kategorien – Welche Bedeutung haben die Wortformen? Semantisch: Bedeutung Bedeutungsklassen – Handlung, Vorgang oder Zustand? Aktionsart – Wie verläuft die Verbhandlung? Syntaktisch: Funktion im Satz Voll-, Hilfs-, Modalverben – Wie bilden die Verben das Prädikat im Satz? Verb und andere Satzglieder – Mit welchen anderen Elementen stehen die Verben im Satz? Flexion Verben Die Flexion der Verben – Konjugation – beschreibt, wie die einzelnen Wortformen eines Verbs gebildet werden. Flexionsklassen: Regelmäßige Verben – Unregelmäßige Verben – Modalverben – haben, sein und werden Regelmäßige Verben Unregelmäßige Verben: Unregelmäßig nennen wir Verben, deren Stamm nicht in allen Zeiten und Modi gleich ist. Die wichtigste Veränderung ist der Vokalwechsel zwischen Stamm des Präsens, Stamm des Präteritums und Stamm des Perfekts. Farbig hervorgehoben sind die jeweiligen Stämme: der Präsensstamm, der Präteritumstamm und der Perfektstamm. Stammformen: Präsens Präteritum Partizip Perfekt gehen ging gegangen fahren fuhr gefahren verlieren verlor verloren Besonderheiten: Ablaut in Stammformen Die unregelmäßigen Verben unterscheiden sich in den Zeiten des Präteritums und beim Partizip Perfekt von den regelmäßigen Verben. Modalverben: dürfen, können, mögen, möchten, müssen, sollen, wollen Hilfsverben: haben, sein, werden Der Infinitiv Formen mit zu erweiterter Infinitiv – Infinitiv ohne zu Formen Der Infinitiv Präsens ist traditionellerweise die Grundform oder die Nennform eines Verbes. Er setzt sich aus dem Verbstamm und der Endung –en oder –n zusammen. Neben dem Infinitiv Präsens gibt es noch weitere Infinitivformen: Aktiv Infinitiv Präsens: sagen, rennen – Infinitiv Perfekt: gesagt haben, gerannt sein – Infinitiv Futur I:sagen werden, rennen werden Infinitiv Futur II: gesagt haben werden, gerannt sein werden Vorgangspassiv: Infinitiv Präsens: geöffnet werden – Infinitiv Perfekt: geöffnet worden sein Zustandspassiv: Infinitiv Präsens: geöffnet sein – Infinitiv Perfekt: geöffnet gewesen sein Der Infinitiv drückt Person und Numerus nicht aus. Person und Numerus werden implizit durch das Subjekt oder das Objekt des finiten Verbs bestimmt: Ich nehme mir vor, heute noch wegzufahren.= Ich nehme mir vor, dass ich heute noch wegfahre. Mit zu erweiterter Infinitiv Bei Verben: Der Infinitiv kommt meist nur in Verbindung mit einem finiten Verb vor. Er wird dann mit zu erweitert: Es freut mich, Sie hier zu treffen. Bei Nomen: Der Infinitiv kann seltener auch nach Nomen stehen. In den meisten Fällen lässt sich die Verbindung Nomen+Infinitiv auf einen Satz mit einem Verb zurückführen. Bei Nomen steht der Infinitiv immer mit zu: die Hoffnung, dich bald wiederzusehen = (ich) hoffe, dich bald wiederzusehen Infinitiv ohne zu: In Verbindungen mit einigen wenigen Verben steht der Infinitiv ohne zu: Mit den Modalverben dürfen, können, mögen, müssen, sollen, wollen: Die Kinder dürfen hereinkommen. Mit den Empfindungsverben hören, sehen, fühlen, spüren (Akkusativ mit Infinitiv): Ich höre ihn die Treppe heraufkommen. Das Partizip Perfekt/Partizip II Formen Das regelmäßige Partizip Perfekt wird mit der Vorsilbe ge, dem Präsensstamm und der Endung t resp. et gebildet: geredet geschaut Das unregelmäßige Partizip Perfekt wird ebenfalls mit der Vorsilbe ge, aber mit dem Perfektstamm und der Endung en gebildet: gegangen geschrieben Unveränderlich: Wenn es für die Bildung von zusammengesetzten Zeiten verwendet wird, ist das Perfektpartizip unveränderlich: Ich habe geschrieben, Ihr hattet geschrieben, Es wird geschrieben worden sein. Veränderlich: Viele Perfektpartizipien können als Adjektive verwendet werden und passen sich wie diese in Genus, Numerus und Kasus an das Nomen an, das sie begleiten: das geschriebene Wort, ein abgebrochenes Stück Holz, die Blätter verblühter Rosen Die meisten Perfektpartizipien, die als Adjektive verwendet werden können, sind in unserem Wörterbuch auch als Adjektive aufgenommen. Das Perfektpartizip wird für die Bildung von zusammengesetzten Zeiten verwendet: Perfekt: er hat/habe gesagt, er ist/sei gegangen Infinitiv Perfekt: gesagt haben, gegangen sein Plusquamperfekt: er hatte/hätte gesagt, er war/wäre gegangen Futur II: er wird/werde/würde gesagt haben, er wird/werde/würde gegangen sein Bei einigen Verben wird das Partizip Perfekt in den zusammengesetzten Zeiten durch den Infinitiv Präsens ersetzt, wenn es unmittelbar nach einem Infinitiv steht: Immer bei den Modalverben dürfen, können, mögen, müssen, sollen, wollen sowie bei brauchen: Ich habe weggehen dürfen. nicht: weggehen gedurft Kongruenz: Übereinstimmung des Verbs mit dem Subjekt Person und Numerus sind Kategorien, die durch finite Verbformen ausgedrückt werden. Numerus und Person sind vom Subjekt des Satzes abhängig: ich, du, er/sie/es, wir, ihrf, sie Die Kategorie Person hat drei Unterscheidungen. Die Unterscheidungen beziehen sich auf die sogenannten Gesprächsrollen: 1. Person – die sprechende Person, 2. Person – die angesprochene Person, 3. Person – die besprochene Person Die Höflichkeitsform: Die 2. Person Singular du und die 2. Person Plural ihr gelten als vertrauliche Formen. Für die höfliche Anrede verwendet man die 3. Person Plural. Diese Form richtet sich sowohl an eine Person (Singular) als auch an mehrer Personen (Plural). Das Personalpronomen wird in der Höflichkeitsform immer großgeschrieben: Sie. Ich laufe weg. ein anderes Subjekt erhält, muss sich die Verbform an das neue Subjekt anpassen. Das Tempus (Plural = Tempora) Das Deutsche kennt sechs verschiedene grammatikalische Tempora (Zeiten): Präsens/Gegenwart, Futur I/Zukunft, Präteritum/Mitvergangenheit, Perfekt/Vergangenheit, Plusquamperfekt/Vorvergangenheit, Futur II/Vorzukunft Tempus und objektive Zeit: Die Namen der verschiedenen Tempora sind nicht viel mehr als reine Namen. Die größte Schwierigkeiten bei der Verwendung der Tempora ist die Tatsache, dass es keinen direkten, gradlinigen Zusammenhang zwischen den Namen der Tempora und wirklichen, objektiv messbaren Zeiten gibt. Dies hat unter anderem folgende Gründe: Die objektive Zeit kann nicht nur durch Tempusformen, sondern zum Beispiel auch mit Hilfe von Adverbien ausgedrückt werden: Ich fahre jetzt nach Wien. Ich fahre morgen nach Wien. Ich fahre gestern im Zug nach Wien, als plötzlich ein Bekannter einsteigt. Die objektive Zeit ist im ersten Satz gegenwärtig, im zweiten zukünftig und im dritten vergangen. Sie wird durch die Adverbien jetzt, morgen und gestern ausgedrückt. Das Verb (fahre) steht immer im Präsens. Tempusformen können nicht nur zeitliche, sondern auch modale Inhalte bezeichnen: Sie wird wohl zu Hause sein. Er wird wieder einmal nach Wien gefahren sein. Das Verb steht hier im Futur I bzw. Futur II. Die Verbform drückt in diesen Sätzen aber nicht Zukünftigkeit, sondern eine Vermutung aus. Die eigentliche Verbhandlung ist gegenwärtig: Ich vermute, dass sie (jetzt) zu Hause ist. oder vergangen: Ich nehme an, dass er (gestern) wieder mal nach Wien gefahren ist. Die Tempusformen drücken immer eine relative Zeit in Bezug auf den Sprechzeitpunkt aus (siehe unten). Tempus und Sprechzeitpunkt Die Tempusformen drücken keine objektive Zeit aus. Sie werden immer in Bezug auf den Sprechzeitpunkt verwendet. Der Sprechzeitpunkt ist der Zeitpunkt, in dem der Sprechende/Schreibende sich mündlich oder schriftlich ausdrückt. Wenn etwas in Bezug auf den Sprechzeitpunkt geschehen, abgeschlossen ist, gehört es der grammatikalischen Vergangenheit an: Ich habe vor einer halben Stunde eine Jause gegessen. Übersicht der Tempusfunktionen: Zeiten der „Nicht-Vergangenheit“ Bezug auf Gegenwärtiges: Präsens Bezug auf Zukünftiges: Präsens, Futur I Bezug auf in Zukunft Abgeschlossenes, Futur II mit Angabe der Zukünftigkeit (bald, morgen usw.), Perfekt mit Angabe der Zukünftigkeit (bald, morgen usw.) Bezug auf allgemein Gültiges: Präsens Bezug auf vermutetes Gegenwärtiges, Futur I, Präsens mit Angabe der Vermutung (wohl, wahrscheinlich usw.) Zeiten der Vergangenheit Bezug auf Vergangenes, Präteritum, Perfekt, Präsens (stilistisch als „historisches Präsens“) Bezug auf Vergangenes mit Auswirkung auf Gegenwart: Perfekt Bezug auf Vergangenes „vor Vergangenem“: Plusquamperfekt Bezug auf vermutetes Vergangenes: Futur II, Perfekt mit Angabe der Vermutung (wohl, wahrscheinlich usw.) Die Folge der Zeiten – Consecutio Temporum Obligatorische Zeitenfolge im Deutschen? Im Gegensatz zu anderen Sprachen kennt das Deutsche keine streng geregelte Folge der Zeiten. In längeren geschriebenen Texten herrscht zwar gewöhnlich das Präsens oder das Präteritum vor, aber es gibt keine obligatorische Zeitenabfolge (Consecutio Temporum) in aufeinanderfolgenden Sätzen. Nur bei von einem Hauptsatz abhängigen Nebensätzen sind gewisse Tendenzen zu beobachten, die allerdings nicht immer streng eingehalten werden. Bei der Abhängigkeit zwischen Haupt- und Nebensatz kommen drei Abhängigkeitsverhältnisse vor: Gleichzeitigkeit Wenn das Geschehen im Haupt- und im Nebensatz gleichzeitig abläuft, verwendet man in der Regel in beiden Sätzen das gleiche Tempus: Da es regnet, spielen die Kinder im Haus. Da es regnete, spielten die Kinder im Haus. Du hast dort gewartet, während ich Hilfe gesucht habe. Die Gleichzeitigkeit darf auch durch verschiedene Tempora ausgedrückt werden. Voraussetzung ist aber, dass nur Zeiten der Nicht-Vergangenheit oder nur Zeiten der Vergangenheit verwendet werden: Wenn es regnet, werden die Kinder im Haus spielen. Da er nicht zu Hause erreichbar war, wird er wohl in den Ferien gewesen sein. Ich verstehe das Problem besser, nachdem ich Ihren Brief gelesen habe. Ich verstand das Problem besser, nachdem ich Ihren Brief gelesen hatte. Der Modus Das deutsche Verbsystem kennt drei verschiedene Modi (Aussageweisen): Indikativ/Wirklichkeitsform Konjunktiv/Möglichkeitsform Imperativ/Befehlsform Die Modi dienen dazu, die Haltung des Sprechers/Schreibers zum geäußerten Sachverhalt auszudrücken. Der Indikativ kann nicht nur „wirkliche“ Sachverhalte, sondern auch mögliche Sachverhalte und Befehle ausdrücken. Der Konjunktiv hat mehr als nur die Funktion, „Mögliches“ auszudrücken. Der Imperativ entspricht am ehesten seinem Namen: Er dient dazu Befehle und Aufforderungen zu formulieren. Der Indikativ dient dazu, den geäußerten Sachverhalt als gegeben, tatsächlich, wirklich darzustellen. Sein deutscher Name ist dann auch „Wirklichkeitsform“: Er schläft. Der Indikativ kann aber auch Fragen, Hypothetisches, Mögliches, Annahmen, Zweifel und Aufforderungen ausdrücken. Oft geschieht dies durch den Kontext oder mit Hilfe von Adverbien oder anderen Zusätzen im Satz: Wahrscheinlich schläft er. Der Konjunktiv: Im Vergleich zum Indikativ kommt der Konjunktiv nur selten vor. Obwohl er im Deutschen auch „Möglichkeitsform“ heißt, dient er nicht nur dazu, „Möglichkeiten“ auszudrücken. Er dient dazu, in verschiedenen Satztypen verschieden Aspekte (Haltungen des Sprechers) auszudrücken. Indirekte Rede Nebensatz Indirekter Aussagesatz: Er sagt, er habe Hunger. Indirekter Fragesatz: Sie fragte, ob es möglich sei. Indirekte Aufforderung: Er bat sie, sie möge etwas leiser sprechen. Irrealer Bedingungssatz: Wenn wir Zeit hätten, würden wir euch besuchen. Irrealer Einräumungssatz: Selbst wenn ihr euch beeilt hättet, hättet ihr den Zug verpasst. Irrealer Folgesatz: Niemand ist so klug, als dass er alles wüsste. Irrealer Vergleichssatz: Du siehst aus, als ob du die ganze Nacht nicht geschlafen hättest. Unabhängiger Hauptsatz mit Konjunktiv I: Lang lebe das Geburtstagskind! mit Konjunktiv II: Hätte ich nur nichts gesagt! Der Imperativ/Die Befehlsform Der Imperativ drückt eine Aufforderung aus. Obwohl sein deutscher Name „Befehlsform“ lautet, können mit dem Imperativ nicht nur Befehle, sondern alle Arten von Aufforderungen formuliert werden: von einer höflichen Einladung über einen Wunsch oder eine Bitte bis hin zu einem strengen Kommando. Treten Sie doch ein, Frau Müller! Reich mir bitte das Salz! Komm doch mal schnell zu mir! Aktiv und Passiv: das Genus Verbi Aktiv und Passiv werden in der Fachsprache die beiden Genera Verbi (Einzahl = Genus Verbi) genannt. Das Aktiv kommt viel häufiger vor als das Passiv. Es ist sozusagen der „Normalfall“. Beim Passiv werden zwei verschiedene Typen unterschieden: das Vorgangspassiv und das Zustandspassiv. Von diesen beiden Typen kommt das Vorgangspassiv häufiger vor. Aktiv: Sie öffnet das Fenster. Vorgangspassiv: Das Fenster wird geöffnet. Zustandspassiv: Das Fenster ist geöffnet. Wie bei vielen anderen Grammatikbegriffen sind die Namen Aktiv und Passiv – sowie ihre deutschen Übersetzungen „Tätigkeitsform“ und „Leideform“ – eigentlich nicht korrekt. Das Aktiv drückt oft keine Tätigkeit aus: Sie wohnt in Wien. Wir besitzen viele Hunde. Das Buch liegt auf dem Tisch. Im Aktiv ist der Handelnde identisch mit dem Subjekt: Der Lehrer öffnet das Fenster. Im Vorgangspassiv (werden-Passiv) wird der gleiche Prozess beschrieben, aber der Handelnde spielt eine weniger wichtige Rolle als das Objekt der Handlung. Er kann sogar ganz weggelassen werden: Das Fenster wird vom Lehrer geöffnet. Das Fenster wird geöffnet. Das Zusandspassiv (sein-Passiv) beschreibt nicht den Prozess, sondern einen Zustand, das Resultat eines Prozesses. Der Handelnde wird meistens nicht ausgedrückt: Das Fenster ist geöffnet. Bedeutungsgruppen der Verben Verben werden deutsch auch Tätigkeitswörter genannt. Verben können aber auch Vorgänge und Zustände ausdrücken. Sie lassen sich in dieser Weise grob in drei Bedeutungsgruppen unterteilen: Tätigkeitsverben – Vorgangsverben – Zustandsverben arbeiten, besteigen, sich betrinken, einladen, essen, / aufwachen, einschlafen, fallen, sterben, verblühen, / leben, liegen, schlafen, sein, stehen, wohnen; glauben ...