Die Theologische Diskussion zum Thema »Der Machbare Mensch

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Die Theologische Diskussion zum Thema »Der Machbare Mensch« in den
USA
Gesellschaft für Evangelische Theologie, Berlin, Februar, 2003
Rolf Ahlers, Albany, New York
Herr Weth bat mich die theologische Diskussion über neuste Entwicklungen
in der Humanmedizin in den USA zu beleuchten. Unsere Aufmerksamkeit
fällt besonders auf ethische Fragen über Stammzellforschung und Klonen.
Was folgt ist genau dies: Eine Untersuchung einiger Stimmen die an der
Öffentlichkeit in den USA wichtig wurden. Die Nummerierung der
verschiedenen Abschnitte ist nicht streng logisch, also z.B. konfessionell,
geordnet, sondern assoziiert und trennt locker verschiedene Stellungnahmen.
Ich fasse jeweils am Anfang die Analyse der untersuchten Position in einer
These zusammen, die die Stellungnahme kurz resümiert.
1.1 Vatikan: Der Vatikan uminterpretiert in Donum Vitae (Das Geschenk
menschlichen Lebens, 19 87) und anderen Verlautbarungen alte
Lehrtraditionen im Zusammenhang neuerer (aber nicht neuester)
medizinischer Einsichten zur Sicherung und Ausweitung der biblisch
fundierten Lehre der menschlichen Würde: Donum Vitae I, l, "Jedes
menschliche Wesen muß — als Person — vom ersten Augenblick seines
Daseins an geachtet werden. " l Das heißt, menschliche Würde besteht
seit dem Zeitpunkt des Eindringens der Samenzelle in die Eizelle.
Richard Doerflinger vom Amt für Policy Development, National
Conference of Catholic Bishops in Washington DC plädiert am 2. Mai,
2001 im Clinton NBAC gegen Forschung an Stammzellen: menschliche
Foeten sind Menschen und schutzbedürftig - obwohl Zellen von
natürlichen Fehlgeburten vielleicht einige Forschung eraubt, wenn
solche Zellen nicht defekt sind. Doerflinger spricht sich auch aus gegen
das Klonen. Er betont, daß der Vatikan und so auch die amerikanische
Katholische Kirche den Human Cloning Prohibition Act 2001
unterschreiben.2
' Donum Vitae, Origins, 16:697-711, vgl. auch http://vvww.vatican.va/roman curia/con.gregations/cfaith/
documents/rc_con_cfaith_doc_19870222_respect-for%20human-life_ge.html. Der selbe Abschnitt zitiert
auch das II. Vatikanische Konzil. Es wird hier betont, daß „menschliche Leben von der Empfängnis an mit
höchster Sorgfalt zu schützen ist." Meine Betonung, RA.
2
Vgl. Aussagen von Richard M. Doerflinger vom dem (Clinton) NBAC (National Bioethics Advisory
Committee), 2. Mai, 2001. "Ich bedanke mich", sagt Doerflinger von der National Conference of Catholic
Bishops, „für die Möglichkeit im Namen unserer Konferenz (der Katholischen Bischöfe) über Klonen zu
sprechen und die Befürwortung unserer Konferenz des Human Cloning Prohibition Act 2001 und des
Verbots des Klonens auszudrücken."
1.2 Gilbert Meilaender (Valparaisio): Die Gottesferne der modernen
Wissenschaft. Ein breiter Strom des Denkens, der die menschliche
Tendenz in der Neuzeit im Zeitalter der Wissenschaft, alles in seinen
Griff zu bekommen, als ungöttlich oder zumindeszt gottesfern kritisert,
motiviert
solche
Denker
wie
Gilbert
Meilaender
gegen
neue
Möglichkeiten
der
Stammzellenforschung
und
das
Klonen
zu
3
protestieren. Lutherische Theologen wie Gilbert Meilaender
errichten
grelle Warnzeichen vor dem homo faber, dem Menschen, der die Welt
nach seinem Ebenbilde schaffen will.4 Diese Richtung bewegt sich im
Fahrwasser des frühromantischen und später existentialphilosophischen
Denkens, das etwa mit Friedrich Heinrich Jacobi5 und Johann Georg
Hamann im 18. Jahrhundert anhebt und von Heidegger6 aus neue Wege
in unserer Zeit eingeschlagen hat. Meilaender zitiert gern C.S. Lewis,
den
Anglikanischen
Existentialisten,
dessen
Schriften
oft
deutliche
Jacobische Züge tragen. Der moderne Mensch will die ganze Natur
überwinden und 'erobern'. „Die Sterne werden nicht zur Natur bis wir
3
Gilbert Meilaender ist Richard and Phyllis Duesenberg Professor of Christian Ethics, Valparaiso
University. Er ist Mitherausgeber des Journal of Religious Ethics and des Religious Studies Review. Seit
dem Sommer 2001 ist er Mitglied des President's Bioethics Councii, dessen Mitgliedschaft seit dem
Anfang der Busch Regierung neu konstitutiert wurde. Meilaender verfasste die Bücher: Body, Soul and
Bioethics, und The Taste for the Other: The Social and Ethical Thought ofC. S. Lewis. Vgl. auch Working:
Its Meaning and Its Limits, Indianapolis: University of Notre Dame Press, 2000. Sein letztes Buch, Love
TakingShape: Sermons on the Christian Life, kam bei Eerdmans im Juni 2002 heraus.
4
Vgl. die Thesen „A Theologians' Brief On the place ofthe human embryo within the Christian tradition &
the theological principles for evaluating its moral Status", eine anglikanische theologische Äußerung zu
Embryonen- und Stammzellenforschung, die Gilbert Meilaender mit unterzeichnet hat:
http://www.linacre.org/atheol.html. Diese Schrift wurde am l. 6. 2001 dem englischen House of Lords
vorgelegt. Sie ist erschienen in: Ethics in Medicine: An International Journal of Medicine. 17:3 (Fall
2001).
5
Seit Jahren beschäftigt sich der Verfasser mit der Aufgabe, offene theologische Grundfragen der
Gegenwart besser zu beantworten durch Untersuchung wichtiger gedanklicher Weichenstellungen zur Zeit
der Frühromantik und des Frühidealismus und insgesamt etwa der Zeit von etwa 1781 bis 1831. Mit Bezug
auf den Ursprung lebensphilosophischer und existentialtheologischer Anfänge bei Jacobi, Fichte und
Reinhold, vgl. Vf, "Fichte, Jacobi und Reinhold über Spekulation und Leben" Fichte-Studien, 21, 2003 im
Druck. Vgl. auch Vf., "Jacobi, Reinhold and Fichte on Speculation and Life" demnächst in Idealistic
Studies 33, 2003. Vgl. auch "Reinholds Weicher Monismus" Referat auf dem 2. Internationalen Carl
Leonhard Reinhold Kongreß, Luzern Schweiz, März, 2002, erscheint demnächst im Druck Hgg. von
Martin Bondeli and Alessandro Lazzari, Schwabe & Co Verlag, Basel, Schweiz, 2003.
6
Der Einfluß Heideggers in den USA manifestierte sich nicht nur direkt, sondern auch indirekt etwa durch
den deutsch-jüdischen Hans Jonas. Wohl einer der wichtigsten Schüler der Position von Jonas ist der
Mediziner und Ethiker Leon Kass. Der jüdische Arzt und Philosoph Kass (Chicago) wurde vom
Präsidenten Bush August 2001 als Vorsitzender des unter des republikanischen Regierung neu
konstituierten President's Councii on Bioethics ernannt. Wohl die gründlichste Schrift von Kass ist: Life,
Liberty and the Defence ofDignity . The Challengefor Bioethics. San Francisco: Encounter Books, 2002.
Das Buch ist Hans Jonas und Paul Ramsey gewidmet. Vgl. Das Referat vom Vorsitzenden Kass vor dem
NBAC am 16. l. 2003 gehalten mit dem Titel „Beyond Therapy: Biotechnology and the Pursuit of Human
Improvement" vom 16.-l 7. l. 2003, http://www. bioethics.gov/material/kasspaper.html
sie gewogen und gemessen haben: Die Seele hat keine naturhafte
Objektivität bis wir sie psychoanalysiert haben. Macht der Natur zu
entreißen heißt aber auch sich der Natur preiszugeben". Am Ende dieses
Weges der Moderne "ist der ganze (Denk)prozeß verkrüppelt, denn das
menschliche Wesen, das davon einen Vorzug haben sollte wurde ihm
vielmehr aufgeopfert."7 Jacobi hätte dies schreiben können. Der moderne
Menschen verkrüppelt, "stultifies", alles, und es ist besser, alles Gott zu
überlassen und in die gute, von Gott geschaffene Natur nicht
hineinzupfuschen. Moderne Wissenschaft stellt sich an Gottes Stelle. So
beteuert Meilaender: "Only by stopping, only by declining to exercise
our will in this way do we force ourselves to look for other possible
ways to achieve admitteldly desireable ends. Only by declining to use
embryos for this research do we awaken our imagination and force
ourselves to seek other sources for stem cells..." Schon vor mehr als
dreißig Jahren fragte ich mich - damals aber mehr im Blick auf
Heidegger, Marcuse und Adorno -, ob Technik, und im weiteren Sinne
überhaupt die Haltung der Weltverfügung, die Jacobi in allen seinen
Schriften anvisiert, wirklich repressiv und Gottes, menschen- und
weltfeindlich sei, und ich kam, damals schon unter dem Einfluß des
Hauptstroms des deutschen Idealismus, zu dem Schluß, daß dies nicht
der Fall sei, sondern daß die Technik auch positiv, nicht nur
verkrüppelnd und versklavend wirkt wenn sich der Mensch seiner
Fähigkeiten und dessen Grenzen, theologisch ausgedrückt, seiner
Sündhaftigkeit, bewußt ist.9 Auf dieses Bewußtsein und
Selbstbewußtsem des modernen Menschen kommt alles an, der die
Naitivität überwunden hat und sentimentalisch^ rückkoppelnde
7
„The stars do not become Nature till we can weigh and measure them: the soul does not become nature till
we can psycho-analyze her. The wresting of powers from Nature is also the surrendering of things to
Nature." "The whole process is stultified, for this time the being who stood to gain and the being who has
been sacrificed are one and the same." Meilaender, CS Lewis zitierend, S. 144 in Holland, Lebacqz and
Zoloth, Hg., The Human Embryonic Stern Cell Debate , MIT Press, 2001.
8
AaO, 144f.
9
Vgl. vom Vf., "Is Technology Repressive?" In: Tijdschrift voor Filosoße, Fall, , 32:3 (1970), 651—700.
Vgl. auch Vf., "Is Technology Intrinsically Repressive?" In: Continuum, Spring/Summer, 8:1/2, (1970)
111—123 und Vf., "Technologie und Wissenschaft bei Heidegger und Marcuse" in: Zeitschrift für
Philosophische Forschung, vol. 25:4, (Herbst 1971) 575—90.
10
Ich beziehe mich hier auf die berühmte Unterscheidung des „Naiven" vom „Sentimentalen" von Schiller.
Schiller sagt in seiner Schrift Ober Naive und Sentimentalische Dichtung: „Sie (die Gegenstände der Natur)
sind, was wir waren; sie sind, was wir wieder werden sollen. Wir waren Natur wie sie, und unsere Kultur
soll uns, auf dem Wege der Vernunft und der Freiheit, zur Natur zurückführen. Sie sind also zugleich
Darstellung unserer verlorenen Kindheit." Schiller: Ober naive und sentimentalische Dichtung (entstanden
1794-1795, Erstdruck in Die Hören 1/2, Tübingen, 1795-96) , S. 4. Friedrich Schiller, Sämtliche Werke
Ausgabe Fricke/Göpfert, München: Hanser Verlag, 3. Auf. 1962, 5. Band, S.- 695. Die Position der
„schönen Seele", die damals, vor 200 Jahren von den frühen Romantikern u. auch vom frühen Hegel,
Mechanismen in sein Denken und Handeln eingebaut hat, die ständig
bereit sind, die Möglichkeiten und die Grenzen des Menschen
anzuerkennen. So würde ich eher gemäßigten theologischen Positionen
zustimmen wie der von Margaret Farley und Ted Peters11, die Gott in
unserer Welt^ wirken sehen und ein diesem Wirken gegenüber
verantwortliches menschliches Handeln auch und gerade mit den besten
technischen Mitteln nicht als überheblich, sondern im Gegenteil als die
einzig möglich verantwortliche Position ansehen, die der theodizeischen
Grundfrage Genüge tut: Wie kann der gütige Schöpfergott13 mit dem oft
vom Menschen in die Welt gebrachten Übel und dessen Verantwortung
gegenüber Gott in Übereinstimmung gebracht werden?14
2.0
Richard McCormick, Margaret Farley, Thomas Shannon, Michael
Mendiola: Katholische Lehrtradition im Amerikanischen Kulturraum: Im
Spiegel
neuester
medizinischer
Einsicht
ist
Menschwerdung
ein
biologischer Prozeß, nicht ein punktuelles Ereignis und eröffnet ein
weites moralisches Feld, das embryonale Stammzellenerforschung
erlaubt.
Amerikanische
Katholische
Theologen
wie
Richard
McCormick, Margaret Farley und Thomas Shannon, (und protestantische
Theologen wie Ted Peters), berufen sich auf eine jahrhundertealte
kirchliche Lehrtradition, in der menschliches Leben sich erst langsam
entwickelt, und nicht am Punkt der Fertilisation der Eizelle beginnt. So
Schelling und Hölderlin, beschwört wurde, wurde von Hegel schon vor 1800 erkannt als unrealistisch und
als ein hoffnungslos antikes Ideal. Das unbefleckte, sündlose Heilsein der menschlichen Natur ist ein Ideal,
das der antiken Welt gehörte. Hegel spricht dagegen von einem „Sündenfall des Denkens" TWA Bd. 19,
498f, 490, TWA Bd. 8, Enz § 24 Zusatz S. 86-91, Zusatz 3 zu § 24, der anerkannt werden muß wenn
verantwortliches Handeln in der Gegenwart ermöglicht werden soll.
" Ted Peters thematisiert in vielen Schriften eschatologische Fragen und die Stellung des Menschen in
einer von Gott geleiteten Welt. Vf. hat verschiedene Aspekte dieses Themas untersucht in den Schriften
"History and Philosophy äs Theodicy: On 'Worid History äs the World's Judgment'" Idealistic Studios
30:3 (Herbst 2000) 159-172. Die These wurde auf dem Stuttgarter Kongress der Internationalen HegelVereinigung von 1999 vorgetragen, der unter dem Thema tagte: „Weltgeschichte als Weltgericht?" Vgl.
auch vom Vf. "The Dialectic in Hegel's Philosophy of History" in: Robert L. Perkins, ed., History and
System. Hegel's Philosophy of History, State University ofNew York Press, Albany, 1984, 149—72.
Verfasser hat das Verhältnis von absolutem Gott und finaler Welt anhand von Hegels Denken untersucht:
"Endlichkeit und Absoluter Geist in Hegels Philosophie" in: Zeitschrift für Philosophische Forschung,
Spring, 1975, Band 29:1, 63—80.
13
Hegels Verständnis des Zusammenhangs des Schöpfungsgedankens mit der finalen Welt und endlichen
menschlichen Fähigkeiten des Denkens und Handelns hat Vf. vor Jahren untersucht in der Schrift "The
Absolute äs the Beginning in Hegel's Logic", in: Tijdschriftvoor Filosoße, June, 1975, 261-76.
14
Die gegenwärtige bioethische Provozierung anthropologischer Grundfragen hat der Verfasser untersucht
in der Schrift „Biotech and Theodicy: What Can and What Ought We To Do in Procreative Technology?"
Albany Law Review 65:3 (2002) 679-700. Thesen dieser Schrift wurden vorgetragen auf dem Kongress in
der Albany Law School über Manufactured Humanity am 25. 10. 2001. Beiträge untersuchten rechtliche,
biologische, philosophische und theologische Fragen die aufgeworfen werden durch die neuen
biotechnischen Möglichkeiten.
sagt Thomas Shannon: "Ich bin nicht davon überzeugt, daß der
menschliche Blastocyst im starken Sinne eine menschliche Person ist,
wie dies behauptet wird (in der offiziellen katholischen Position.)"15
Diese Theologen begrüßen Stammzellenforschung wenn wenigstens
folgende Sicherungen gewährleistet sind: a) Foetenbergung bei legalen
Abtreibungen darf nicht kommerzialisiert werden, b) Therapeutische
Schöpfung von Foeten durch Klonen muß streng rechtlich getrennt
werden von Klonen für Fortpflanzungszwecke.
2.1 Margaret Farley (Yale): „Verzögerte Hominisierung." Dem frühen
Embryo fehlen ausreichende moralische Qualitäten um ihn vor der
Forschung zu schützen. Margaret Farley zählt sich zu „eine(r)
wachsende(n) Gruppe von katholischen Theologen die den menschlichen
Embryo in seinen frühesten Entwicklungsstadien nicht... vor den ersten
Anzeichen der Konstitution der Wirbelsäule oder vor der
Plazentaimplantation als eine individualisierte menschliche Einheit mit
differenzierten Potentialen, ein menschliches Wesen zu werden
versteht."16 Der Begriff „Potential" ist wegen der Betonung des
aristotelischen Begriffs Potenz in der langen katholischen Lehrtradition
nicht unwichtig: Wenn menschliches Potential vorliegt, besteht kein
Recht mehr auf Forschung, aber gerade die sich schnell veränderten
Forschungshorizonte deuten an, daß dieses Potential erst langsam in
Erscheinung tritt. Margaret Farley betont die Verbindung von
traditionellem Lehrgut und modernen medizinischen Einsichten. So
lehrte die Kirche einst die Beseelung etwa am Ende des l. Trimesters.
Dagegen hebt Farley hervor, daß heute die offizielle Lehre des Vatikans
„des potentiellen menschlichen Lebens seit dem Zeitpunkt der
Befruchtung neueren biologischen Einsichten entspricht. Aber die (hier
vertretene) Position einer verzögerten Hominisierung beruft sich auf
{noch) neuere Studien. Naturwissenschaftliche Forschungsergebnisse
sind für die katholische Tradition extrem wichtig, auch wenn sie nicht in
jedem Fall ausschlaggebend sind." (117, Anm. 5, meine Betonung, RA).
15
Vgl. Thomas Shannon, S. 816 in "Human Embryonic Stern Cell Therapy" Theological Stvdies 64:4 (Dec.
2001) 811-824: "I am not persuaded that the human blastocyst is a human person in the strong sense ofthat
term äs is being argued." Vgl. das naheliegende Urteil des Lutheraners Ted Peters: "Because pluripotent
stem cells do not have the actual potential for becorning a human being, they do not have dignity to be
comprornised (by stem cell research). In this case, the dignity honored is that offuture beneficiaries ofthis
rnedical research." 136 in "Ernbryonic Stern Cells and the Theology of Dignity" in Holland et al, The
Embryonic Stem Cell Debate, 2001.
1(1
Farley, "Roman Catholic Views on hES Cell Research" 113-118 in Holland et. AI, The Human
Embryonic Stem Cell Debate aaO, Zitat 115.
So fehlen dem Embryo in seinen frühen Stadien die moralischen
Qualitäten der Person. Dies rechtfertigt verschiedene medizinische
Experimente. (115f)
2.2.1 Margaret Farley hebt auch hervor: Wissenschaftliche Einsicht durch
Erforschung an erwachsene Stammzellen17 erkennt, daß sie sich ent- und
1ß
redifferenzieren. Diese Möglichkeit, ja, Wahrscheinlichkeit, stützt die
Kritik an der Forschung an menschlichen foetalen Stammzellen. Diese
Kritik zielt auch auf Klonen und somatic cell nuclear transfer.19
2.2 Tom Shannon (Worcester Polytechnic Institute): Die Metaphyik der
Individuation des Duns Scotus wird auf embryonale Forschung
angewandt: Vor der kritischen Individualisierung können embryonale
Stammzellen für Forschungszwecke gebraucht werden. Der katholische
Theologe Thomas A. Shannon nimmt, ähnlich wie Margaret Farley, eine
liberale Position im Universum der katholischen Positionen ein. Shannon
versteht totipotente und pluripotente Stammzellen noch nicht
ausreichend differenziert um menschliche Individualität darzustellen.
Zwillinge können noch im Frühstadium der menschlichen embryonalen
Entwicklung entstehen. Individualität ist biologisch bestimmt.
Menschlicher Lebenswert und menschliche Würde sind keine dignitas
aliena. Biologisch verstanden, „an individual is literally indivisible".20
Und wenn der Organismus noch vervielfältigt werden kann, ist er eben
kein untrennbares Individuum. Shannon beruft sich auf Duns Scotus in
seiner Bestimmung menschlicher „Individuation". Menschliche
Individualisierung kann im frühen Stadium des embryologischen Leben
mit Scotistischen Mitteln verstanden werden. Wichtig ist m. E. daß sich
Shannon in der Gegenwart auf alt-bewährte katholische Prinzipien der
Vergangenheit beruft. Scotus verstand metaphysisch den Vorgang der
Individualisierung aus einer „gemeinsamen menschlichen Natur";
Shannon appliziert dieses Prinzip auf den biologischen Vorgang. Vor der
Individualisierung ist noch keine Menschenwürde da, die auf ein
einzelnes Individuum zutrifft. Totipotente und pluripotente Zellen sind
17
Gretchen Vogel, „Can Old Cells Learn New Tricks?" Science 287, Feb. 25, 2000, 1418-1419.
Pittinger, M. F., Mackay, A. M., Beck, S. C., Jaiswal, R. Kl, Mosca, D. R-, Moorman, M. S., Simonetti,
D. W., and Marshak, C. S., 1999, "Multilineage potential of adult human mesenchymal stem cells"§
Science 284:143-147.
19
Margaret Farley, "Roman Catholic Views on hES Cell Research" in Holland et.al. Human Embryonic
Stern Cell Research, aaO, 115.
20
Shannon, "From the Micro to the Macro", 177-184 in Holland, Lebacqz and Zoloth, Hgg, The Human
Embryonic Stern Cell Debate , MIT Press, 2001, Zitat S. 178
18
moralisch priviligiert und menschlich in einem allgemeinen aber nicht in
einem auf ein einzelnes Individuum zutreffenden Sinne. Im allgemeinen
Status können sie für Forschungszwecke benutzt werden. Foetale Zellen
aus dem präindividuellen Stadium foetaler Entwicklung können benutzt
werden um Stammzellen zu gewinnen. Forschung an solchen Zellen
wird nicht an menschlichen Personen vorgenommen, weshalb sie erlaubt
ist.
2.3 Michael Mendiola (GTU): Die reiche Offenheit katholischer
Lehrtradition enthält Möglichkeiten, die dem Ermessen frei gegebene
Anwendung von Glaubensinhalten so auszulegen, daß verbrauchende
Stammzellenforschung wenigstens diskussionsfähig wird. Der
katholische Theologe Michael Mendiola (Pacific School of Religion,
Berkeley, California) reflektiert „in response to the Roman CatholicChristian tradition"21, unser Punkt 1.1, nämlich der Lehrtradition über
die ethische Erlaubtheit verbrauchender Embryonenforschung. „It is the
destruction of embryos that poses the greatest challenge or barrier from
this tradition's perspective." (AaO).
Die verbrauchende
Embryonenforschung wird von der offiziellen katholischen Position
wegen der absoluten Menschwürde, die seit der Befruchtung der Eizelle
vorliegt, abgelehnt. Mendiola meint dieser Absolutismus kann von
innerhalb der katholischen Tradition selbst in Frage gestellt und so ein
Weg in eine neue, fruchtbare, offenere Diskussion gefunden werden.
(120). "Innerhalb der katholischen Lehrtradition befindet sich ein
reicher Fundus von theoretisch nunanzierter Positionen über
_
sozialethische und politische Fragen," von denen aus Urteile über
Stammzellenforschung möglich sind, die durchaus nicht mit der
offiziellen Position des Vatikans übereinstimmen. Mendiola versucht die
Härte des offiziellen katholischen Verbots aufzuweichen mit Hinweis
auf die Lehrtradition selbst. So weist er (120) auf den letzten Satz von
Anm. l von Gaudium et Spes (1965, Papst Paul VI), wo auf die
„Wechsel() der Umstände", mit denen die theoretische Lehre
konfrontriert ist und auf die hin sie flexibel zu interpretieren sei,
hingewiesen wird. Mendiola beruft sich offensichtlich auf die alte
aristotelisch-thomistische Hermeneutik, in der die konkrete Anwendung
und Applikation von Theorien und Lehren letzlich dem Ermessen
21
Michal M. Mendiola, "Human Emnbryonic Stern Cells: Possible Approaches from a Catholic
Perspective." 119-125 in Holland et al, Hgg, The Human Embryonic Stern Cell Debate. Zitat S. 119.
22
Mendiola, „Within the tradition lies a broad and sophisticated stream of ethical reflection on social and
political life known äs Catholic social teaching." AaO, 120.
ausgeliefert sind wegen der „mutability of historical circumstances"
(120). Der bewegliche Kontext, auf den sich jede Lehre beziehen muß,
indiziert nach Mendiola folgendes (12l): a) verbrauchende
Embryonenforschung wird schon in privaten Labors getrieben, b) die
Hoffnung besteht, daß in der Zukunft durch solche Forschung das
konkrete menschliche Leiden gelindert wird,23 c) Menschen „guten
Willens" (121) haben verschiedene Ansichten über die moralische
Würde des menschlichen Embryos. Bei allen drei Punkten beruft sich
Mendiola auf die Lehren von Richard McCormick. McCormick
unterscheidet „universally binding moral principles" und „specific
applications" dieser Prinzipien:24 Sich zu weigern, diese Unterscheidung
zu machen, heißt die Lehrtradition verstoßen.25 Richard McCormick und,
ihm folgend, Michael Mendiola, entwickeln den Proportionalismus aus
der katholischen Tradition der Kasuistic: Handeln ist moralisch legitim
wenn a) sie wenigstens gleich wertvoll ist als die abgelehnte Handlung,
wenn b) keine weniger schädliche Alternative besteht und c) der
zukünftige Schutz des Lebens durch die Handlung nicht beeinträchtigt
wird. (Mendiola, aaO, 122) Mendiolas „Ethik der Toleranz", die sich
bewußt auf katholische Lehrtradition beruft, divergiert also radikal von
der offiziellen Position des Vatikans. Der Vatikan lehnt jede
Manipulation des Eis nach der Befruchtung für nur erhoffte Therapien
ab. Die ,JEthik der Toleranz " thematisiert ein gehöriges Stück Kritik an
Vatikanischer Autokratie und erforscht die katholische
Dogmengeschichte mit dem Anliegen, bei der Errichtung von
Handlungsrichtlinien ein breites Spektrum von Stimmen zu Wort
kommen zu lassen. Dieser amerikanische Katholizismus (Mendiola,
aaO, 123) kritisiert am gegenwärtigen Vatikan die Haltung des „stop the
discourse", in der a limine nur eine Stimme ein Recht zu sprechen hat
und es also gar kein Gespräch gibt. Mendiolas Toleranzethik zielt vor
allem auf offene Diskussion. Im Hinblick auf verbrauchende
Embryonenforschung, (hES, human embryonic Stern Cell Research),
will Mendiola nicht mehr tun als deren Möglichkeit diskussionsfähig
machen. Er nennt die folgenden Positionen: Es gibt a) die Haltung der
Ablehnung solcher Forschung, aber b) ein differenzierter
Argumentationsgang könnte (l) sie als Möglichkeit erwägen, (2)
23
Man fragt sich hier unwillkürlich, ich berufe mich auf Otfried Hoffe: hat aber die Gesellschaft ein Recht
auf Güterabwägung, d.h. die Würde des Embryos zu mindern oder gar zu töten um mögliche oder erhoffte
Therapien für andere zu fördern? Hoffe, Medizin ohne Ethik? Frankfurt: Suhrkamp Verlag, 2002, 86ff
24
Richard McCormick, Health and Medicine in the Catholic Tradition, NY: Crossroads, 1985:139)
25
"To fail to make this distinction is to degrade teaching authority." McCormick, aaO. Ist dies nicht
Situation Ethics? Joseph S. Fletcher, Situation Ethics. The New Morality, Philadelphia: Westminster 1966.
Alternativen suchen, wie z.B. den Weg, der von der Bush Regierung als
legitim angesehen ist, nämlich schon existierende „Zellen Linien" für
Forschungszwecke zu gebrauchen, die Herstellung von Foeten - z.B.
durch Klonen - für das „ernten" von Stammzellen aber ablehnt, oder (3)
noch andere Alternativen erwägt, wie das Freisetzen von elternlosen, auf
Eis gelegten „Überschussfbeten" oder noch andere Alternativen (4) wie
die Förderung der Erforschung an „erwachsenen Stammzellen", also das
Gewinnen von entdifferenzierten Stammzellen aus schon differenzierten
Zellen eines Menschen, der sein Gewebe für Forschungszwecke zur
Verfügung stellt.
3.0 Elliot Dorff (University of Judaism, Los Angeles) und Laurie Zoloth
(San Francisco University): Jüdische Mitschöpfungstheologie und
Kommunitarismus: Menschenwürde ist relational, kommunal und
erlaubt, nein fordert sogar die Entwicklung von Heilungsmitteln selbst
auf Kosten von noch unfertigem menschlichem, embryonalem Lebens.
Wir sollten die Beiträge der jüdischen Theologie zu unserem brennenden
Thema nicht vernachlässigen. Ich bechreibe hier kurz die Stimme von
Laune Zoloth und Rabbiner Elliott Dorff.26 Zoloths und Dorffs
Gedanken sind besonders beachtenswert wegen der Potentiale der
Halacha, der jüdischen moralisch-rechtlichen Tradition, in der durch
Gespräch und moralische Überzeugung ein Konsens aus einer Mehrheit
von Stimmen hervorgeht. Die Möglichkeiten der Anwendung dieses
uralten, im Alten Testament verwurzeltzen Modells auf unsere
gegenwärtige säkulare politische Situation ist unmittellbar einleuchtend.
Die Halacha betont aber Obligationen, anders als Rechte und Wahrung
der Privatsphäre. Sie steht also in einem Verhältnis der Dissonanz
wenigstens zu dem angelsächischen, etwa durch Hobbes und Locke
beeinflußten Gesprächsraum innerhalb dessen sich jüdische Theologie zu
Wort meldet (Zoloth, Holland Hg, 96-97). Die Rettung menschlichen
Lebens ist das höchste Gut, auch am Sabbath, nach talmudischer Lehre.
Leben, selbst ein einziges, genießt also Priorität gegenüber anderen
Lehren, wie den Sabbath heiligen: Ein am Sabbath unter einem
kollabierten Haus gefährdetes Leben darf und soll sogar gerettet werden.
So interpretiert Zoloth (97f) die Stammzellenforschung, genetische
Forschung und ähnliche experimentelle Medizin am Menschen als ein
26
Laurie Zoloth, "The Ethics of the Eighth Day: Jewish Bioethics and Research on Human Embryonic
Stern Cells" 95-111 in Holland, et al, Hg, Human Embryonic Stern Cell Debate aaO. Zoloth hielt ein
Referat vor der NBAC am 2. 5. 2001. Vgl. Dorffs Aussagen vor dem NBAC am 2. 5. 2001 und „Stern Cell
Research-a Jewish Perspective" 89-93 in Holland, et al. Hg, Human Embryonic Stern Cell Debate aaO
Talmudisches Gebot, weil durch solche Forschung menschliches Leben
verspricht gerettet werden zu können, selbst wenn damit gegen andere
Gebote, die auch im Talmud vorgeschrieben sind, verstoßen wird.27 So
verbietet talmudisches Recht das Antasten eines toten oder die
Verstümmelung eines lebendigen Leibes. Aber wenn durch
Organtransplantation anderes Leben gerettet werden kann, ist ein solcher
Eingriff nicht nur erlaubt sondern sogar geboten. Frage ist nur, ob eine
solche Ethik auch für die verbrauchende Embryonenforschung zutrifft.
Sollte nämlich der Embryo vollen Status des Menschseins haben, wie es
die offizielle Position des Vatikans etwa betont, würde auch der jüdische
Theologe irgend eine Forschung oder gar Tötung dieses Lebens ablehnen
müssen. Die Frage nach dem moralischen Wert des Embryos wird mit
dem Hinweis auf die Entwicklung des Embryos beantwortet. Der
moralische Wert des Embryos entwickelt sich. Wie alle menschlichen
Phänomene nur relational sinnvoll sind, muß er zeitlich-historisch und
rt Q
___
____
als veränderlich verstanden werden. Der Wert des Embryos ist nicht
plötzlich durch die Befruchtung der Eizelle festgesetzt. Jüdisches Recht
bestimmt den moralischen Wert seit der ersten Formierung des foetalen
Nervensystems, dem „primitive streak". (98f, 110) Der werdende
Mensch, der Foetus, hat nur einen Grenzstatus, wie auch der sterbende
Mensch: In beiden Fällen obliegt keine volle moralische Obligation wie
bei voll entwickelten Menschen. So erlaubt traditionelles Rabbinisches
Gesetz den Schwangerschaftsabbruch. Auch das geborene Kind ist noch
nicht Mensch im vollen sinne: Der moralische Wert eines Kindes
entwickelt sich erst langsam nach der Geburt. (99f). Erst am achten Tag
wird das Kind in die religiöse Gemeinschaft aufgenommen. Moralisch
eigenständiger Wert des Embryo entsteht erst bei der
Plazentaeinpflanzung. Damit ist das starke Familienbe-wußtsein in der
27
Vgl. Dorff, "Stern Cell Research", aaO, 90: "...Ifa fetus was aborted for legitimate reasons (such äs the
preservation ofthe woman's physical or mental health) under Jewish law, it may be used to advance our
efforts to preserve the life and health ofothers." Die Frage reduziert sich auf eine "risk-benefit" Formel:
Wenn das Risiko für die Mutter zu groß ist, also etwa ihr Gemütszustand verspricht zu sehr unter der
Austragung der Schwangerschaft leidet und also die Abtreibung nach jüdischem Gesetz erlaubt und
geboten ist, gewinnt das moralische Übel der Abtreibung moralische Legitimität durch die Vorteile, die
durch die medizinische Erforschung der embryonalen Stammzellen erziehlt werden können. „The question,
then, reduces to a risk-benefit analysis of stem cell research." Dorff, aaO, 91. Man könnte hier
Verbindungen zu dem in der englisch sprechenden Welt weit verbreiteten Utilatirismus etwa in der
Tradition von Bentham u. Mill suchen.
28
Dorff, aaO, 90: Nach jüdischem Gesetz ist die Schwangerschaft "die Hüfte der Mutter" "and neither men
nor women may amputate their thigh at will because it would be injuring their bodies. On the other hand, if
the thigh turns gangrenous, both men and women have the positive duty to have it amputated to save their
lives. Similarily, ifthe woman's life or health is at stake, an abortion must be performed to save her life or
her physical or mental health." Meine Betonung.
jüdischen Tradition verbunden: Ein volles menschliches Individuum mit
Eigenwert - etwa im Sinne Lockes - existiert in der jüdischen Tradition
wohl nie, weil menschlicher Wert immer communaler Wert ist. So wird
das Kleinkind erst allmählich unabhängig von der Mutter, und nach
jüdischem Verständnis ist es daher auch eine wichtige Frage, ob Kinder
der Mutter gehören, und auch ob geklonte Menschen überhaupt
Menschen sind, weil sie unabhängig von dem sozialen und Sinn-Kontext
der normalen Ehe, künstlich im Labor „fabriziert" sind. (100) Laurie
Zoloth betont den Wert biotechnischer Forschung im jüdischen Glauben
(100-102). Sie ist nicht nur gut, sie ist vom Glauben geboten. Zoloth
betont, daß „the nearly universal communal response to all genetic
advances that can promote health and increase fertility has been
enthusiastically positive in the Jewish worid." (102) So liegt im Prinzip
nichts außerhalb der Heilungsobligation, und das beinhaltet genetische
Experimente und überhaupt Förderung der neuesten Heilungspotentiale,
wie die Stammzellforschung. Jüdisches Gesetz untersucht aber jede neue
Technik nach traditionellen Richtlinien. Der Verkauf von Eiern
kommerzialisiert menschliche Fortpflanzungspotenz und muß daher mit
Vorsicht beurteilt werden. Zumindest ist die freie Zustimmung der
Mutter nötig. (103) Mit der Gewinnung von Stammzellen von
abgetriebenen Foeten verhält es sich ähnlich: Wie die Autopsie, obwohl
eigentlich unerlaubt, doch möglich wird durch den Erwerb von neuen
medizinischen Einsichten, so auch mit der Gewinnung von Stammzellen
von Abortusen. Jüdisches Gesetz scheint also wenig vor dem zu zögern,
was weite Kreise westeuropäischer Kultur im Fahrwasser Kants lernten
als die „Instrumentalisierung" des Menschen abzulehnen.
4.1 Karen Lebacqz (GTU): Die unverdorbene Natur des " Differenten" und
die "Schöne Seele". Eine Ethik, die eine gute gegen eine schädliche
Handlung abwägt, ermöglicht die verbrauchende Stammzellenforschung.
Die Aneignung der postmodernen Ideenwelt manifestiert sich in dem
Denken der protestantischen Theologin Karen Lebacqz. Postmodemes
Denken ist eklektisch, denkt global, feministisch, betont Achtung jeder
Form von Leben und besonders Menschenrechte. Das Eklektische
erlaubt aus dem reichen Sack biblischer und dogmengeschichtlicher
Lehrbestände Rückenstützung für diese oder jene, besonders aber der
„politically correct" Position zu gewinnen. Einem Protestanten wie
Meilaender fällt sicherlich eine gewisse Beliebigkeit mit der Meinung
auf, daß Achtung für jedes Leben, auch Pflanzen, eine adäquate Basis für
Achtung von Foeten ist, die aber vor etwa der 14. Woche abgetrieben
werden können.29 Überhaupt ist die ziemlich breite Diskussion über den
Begriff „respect", „Achtung", in den USA mit starken psychologischen
Nuancen überlagert, die für das akademische Gespräch in der
angelsächsischen Welt nicht untypisch ist. Man freut sich natürlich, daß
Theologen auch im Chor des allgemeinen Gesangs des
Selbstverständnisses der Welt mitsingen können. Es sei dies gesagt zu
dieser postmodemen Disposition: Respekt für „unverdorbene Natur" und
deren „Wildnis", eine Form von „Differenz" oder „Anderem", ist beseelt
von der Naivität der „schönen Seele", als ob es so etwas wie
„unverdorbene Natur" gibt und als ob sich nicht „Natur" ständig
veränderte und an menschliche Eingriffe anpasste und so verändert! Es
gibt kein ungezüchtetes Vieh mehr, und auch die berühmten, hunderte
von Jahre alten Californischen Redwood Trees sind wohl Zeugen einer
ganz anderen, vom Menschen weitaus weniger angetasteten Zeit, die
aber nicht mehr existiert, und auch diese Bäume sind „Mitbürger" dieser
neuen Welt, die humanisiert ist zum schlechten und zum guten!
Postmodemes Gerede von „biocentric equality", „community with
nature" und einer „dezentrierten Menschheit" kennt alle richtigen
Modeworte, ist aber wenig reflektiert. Z.B: Was ist denn „intrinsic
nature"?30 Die Folge menschlicher Eingriffe in die vorher unbefleckte
Natur, die um die Vernunft „zentriert" waren, und deren zerstörerische
Eingriffe jetzt eingesehen werden, ist klar: Diese zerstörerische Vernunft
muß „decentered" werden.31 Man muß also die Vernunft aufgeben und
sich nunmehr vernunftlos in die Natur wieder integrieren. So sind also
die massiven Naivitäten gewollt. Mit Habermas möchte ich aber sagen:
Wir brauchen in unserer Welt mehr, nicht weniger Vernunft. Es ist kein
Zufall, daß die Biotech Firma Geron sich eine Theologin wie Lebacqz
als Vorsitzende ihres Ethikrates aussucht, denn eine Welt, die den
Menschen „decentered" und ihn nunmehr in einem universell
verbundenen Netz von Leben sieht, wo jedes Leben gleich viel Wert ist,
kann leicht einen „vorsichtigen Gebrauch" menschlicher Blastozysten
anraten, um Leiden anderswo in dem Netz zu lindem.32 Ein Wert,
nämlich die Verbesserung anderen menschlichen Lebens (b) als das
foetale Leben (a), von dem Stammzellen entnommen werden, wird
29
Karen Lebacqz, "On the Elusive Nature of Respect" 149-162 in Holland, Lebacqz and Zoloth, Hgg, The
Human Embryonic Stern Cell Debate , MIT Press, 2001.
30
Lebacqz, a.a.O, 158.
31
Dies ist ein Haupthema das Friedrich Schlegel im Herbst 1796 mit seinem Begriff Wechselerweis in die
frühromantische Diskussion mit wichtigen Folgen einbrachte. Vgl Violetta Waibel, „Wechselbestimmung.
Zum Verhältnis von Hölderlin, Schiller und Fichte in Jena". S. 43ff in Fichte Studien Nr. 12, 1997.
32
Lebacqz, a.a.O. 158. Vgl. Geron Ethics Advisory Board, Hastings Center Report 29 ) 2:31-36
gegen den Wert des aufgeopferten Spenders der Stammzellen (a)
abgewogen. Der Arzt und Bioethiker Pellegrino hat zu Recht gegen diese
Art von Bewertung protestiert und die Achtung, die dem
Spenderfoetengezollt wird „fragil", genannt.33 Pellegrino spricht aus
einer Perspektive die von Paul Ramsey, Leon Kass, und Helmut
Thielicke vertreten ist. Lebacqz zitiert Thielicke um den unendlichen
Wert eines Foeten zu betonen, der aber trotzdem „für Forschungszwecke
benutzt" werden kann. „Thus, it may be permissible to do good even at
the cost ofdoine härm."34
4.2 Ted Peters (GTÜ): Der Paradieseszustand einer unangetasteten
Menschwürde existiert nicht mehr, denn wir sind aus dem Paradies
durch den Sündenfall des Denkens und der modernen Medizin
ausgetrieben. Der Mensch kann sich auf keinen Fall vor der Nötigung
der Entscheidung für Stammzellenforschung drücken. Ich muß die
Thesen des lutherischen Theologen Ted Peters,35 noch separat vorlegen.
M.E. sind sie am interessantesten von allen anderen hier vorgeführten
Thesen. Peters greift die Diskussion nicht auf der Bühne auf, auf der die
theologischen Gespräche über diese Fragen meist präsentiert werden. Er
läßt sich vielmehr in die biologischen Gespräche ein und weist auf zwei
wichtige, oft übersehene ethische Fragen in dieser Diskussion hin:
Erstens setzen sowohl die Befürworter als auch die Gegner der
verbrauchenden Embryonenforschung die Unterscheidung von
totipotenten von pluripotenten Stammzellen voraus. Die ersten Zellen
erscheinen in der sehr frühen embryonalen Entwicklung und aus jeder
solcher totipotenten Zelle kann ein voller Mensch werden, weil nur
solche Zellen universales Differenzierungspotential besitzen. Damit wird
von beiden Seiten der Debatte die volle Menschenwürde totipotenter
Zellen vorausgesetzt. Nur die Gegner solcher Forschung betonen dieses
aber. Die Befürworter solcher Forschung suchen die Diskussion auf die
pluripotenten Zellen zu beschränken, bei denen wenigere ethische
Fragen auftauchen.36 Nun bestreitet zweitens aber Peters genau diese
33
Pellegrino, E. D, Testimony. In National Bioethics Advisory Committee, Ethical Issues in Human Stein
Cell Research Band. III, Religious Perspectives. Rockville Maryland: National Bioethics Advisory
Commission, 1999.
34
Lebacqz, a.a.O., 159.
35
Vgl. Peters, "Embryonic Stern Cells and the Theology of Dignity" 127-139 in Holland, Lebacqz and
Zoloth, The Human Embryonic Stern Cell Debate. Peters, editor, Genetics. Issues of Social Justice
Cleveland, Ohio: Pilgrim Press, 1998.
36
Peters, aaO, 130.
Unterscheidung. Daneben bestreitet er auch die These, daß nur
totipotenten Zellen des Zygoten Menschenwürde zugesprochen werden
kann. Denn es ist schon in Experimenten an Mäusen erwiesen,37 daß
sich Gehimstammzellen von Erwachsenen differenzieren und zu
Blutzellen redifferenzieren können. Daraus folgert der theologische
Ethiker Peters was der Biologe schon weiß: Daß Fortpflanzung der
Verbindung von Ei- und Samenzelle gar nicht bedarf. Denn fast alle
Komponente einer Fortpflanzung durch Klonen stehen wenigstens
theoretisch schon zur Verfügung. Es mangelt nur noch die Einsicht in
den Vorgang, der den Differenzierungsprozess von Stammzellen in
differenziertes Gewebe steuert. Sollten wir diesen Vorgang verstehen,
und die Möglichkeit dazu steht in Aussicht, wäre verständlich, daß
„babies can come from anywhere", d.h., von jeder Zelle des
•3 Q
erwachsenen Menschen. So entstent die Frage nach dem moralischen
Wert solcher Zellen: Sind Zellen eines erwachsenen Menschen
vergleichbar mit pluripotenten Zellen oder mit dem totipotenten
fertilisierten Eizellen? In der Beantwortung dieser Frage verbindet Peters
transzendentaltheologisches Denken (Rahner) mit einer nach meiner
Meinung theodizeeisch richtig programmierten Pragmatik im
biotechnischen Bereich. Das Paradies existiert nicht mehr. Der
Sündenfall des Denkens ist passiert. Eine vom Denken unangetastete
Natur, also etwa die Würde der befruchteten Eizelle, existiert nicht mehr,
und die Rückkehr in das unschuldige Paradies wird uns vom feurigen
Schwert des Engels Gabriel, der Not, Entscheidungen treffen zu müssen,
verwehrt.39 „Having been thrust from the comforts of natural Eden into
37
Evelyn Strauss, "Brain Stern Cells Show Their Potential" Science 283 (5401) 473.
Peters, aa0, 132.
39
Hegel kam bei der Neuformulierung des logischen Denkens im Fahrwasser der kantischen
transzendentalen Wende zur Identifizierung der Logik und der Metaphysik. Das bedeutet: Die Metaphysik
galt für die „Wissenschaft der Dinge". Kant zeigte aber, daß diese alte Metaphysik nicht mehr tragfahig ist.
Wir können durch die kopemikanische Wende des Transzendentaldenkens nicht mehr ein „Wesen der
Dinge", also etwa die Menschenwürde im gerade befruchteten Ei, annehmen. Dieser Rückfall in eine
unverdorbene Welt der Dinge gibt es nicht mehr. Das heißt in Hegels objektiv-logischer Reformulierung
dieses Ansatzes, daß dieses Gedankenobjekt nichts anderes ist als eine Form „des bewußten Denkens"
selbst. „Die Logik fällt daher mit der Metaphysik zusammen, der Wissenschaft der Dinge in Gedanken
gefaßt, welche dafür galten, die Wesenheit der Dinge auszudrücken." Hegel, Enzyklopädie der
Philosophischen Wissenschaften von 1830, § 24, TWA 8: 80f. In den mündlichen Zusätzen erläutert Hegel
in der Suhrkamp Ausgabe diese Problematik mit Bezug auf die reinen Gedanken oder Denkbestimmungen
in der Logik im 2. Zusatz, aa0 84-86, und auf den „Sündenfall des Denkens" oder überhaupt auf die Frage
der „sündhaften" Stellung des denkenden Menschen gegenüber einer nur vermeintlich unverdorbenen Natur
im 3. mündlichen Zusatz, S. 86-91. Vgl. auch TWA Bd. 19, 498f, 490 (Vorlesungen über die Geschichte
der Philosophie), zur theodizeischen Problematik des Sündenfall des Denkens. Ich will hier nur noch
erwähnen, daß nach Kant die Theologie in verschiedenen Ansätzen versuchte mit Kants neuartigen
Einsichten fertig zu werden. Die neuen theologischen Synthesen Hegels Tübinger Lehrer Storr und Flatt
waren für die jungen Idealisten Hegel, Hölderlin und Schelling, aber nicht sehr befriedigend. Die Frage ist
38
the wildemess of technologic anomie, we now have to make choices."40
Meine Befürwortung Peters' Position, die ich allerdings anders als er,
nämlich mit Mitteln des absoluten Idealismus Hegel, untermauern
würde, stimmt mit Grundansichten nicht nur der Philosophie und
Theologie, sondern auch der Naturwissenschaft überein. Eine
gründliche Erörterung dieser Verbindungen kann ich hier nicht bieten.
Ich will nur einige Hinweise liefern. Im Grunde ist der transzendentale
Ansatz in der Naturwissenschaft und im Denken schon immer bekannt
gewesen, also z.B bei Platon. Lothar Schäfer und Elisabeth Ströker sagen
in dem von ihnen herausgegebenen ersten Band des vierbändigen
Werkes Naturwissenschaft in Philosophie, Wissenschaft und Technik:
„In unseren Tagen hat kein geringerer als Werner Heisenberg bei Platon
erstmalig die klare Einsicht formuliert gefunden, daß die letzte Wurzel
der Erscheinungen nicht die Materie sei, sondern die Symmetrie, die
mathematische Form."41 Ähnliches könnte und müsste über die nun
enorm blühende Biologie gesagt werden.42 John Polkinghorne43, Michael
Welker44 u. a. sind in verschiedenen Publikationen solchen Fragen
theologisch nachgegangen. Ich verstehe meine eigene Position, die
hinter dem, was ich hier dargeboten habe, versteckt war und doch
sichtbar wurde, im Prinzip verwandt mit solcher Arbeit.
auch heute, ob die neuen Wege, die von Schleiermacher eingeschlagen wurden, und die unsere
protestantische Tradition vor allem einschlug, befriedigend sind. Vgl. dazu Christian Danz über
Schleiermacher und Schelling in Ahlers, Hg, System und Kontext, Frühjahr-Sommer, 2003. Die
protestantische Theologie ist schon seit mehr als zwanzig Jahren auf der Suche nach neuen theologischen
Lösungen zu Grundfragen, die damals in dem explosiven nachkantischen Gedankenmilieau aufgeworfen
wurden. Ich bin der Meinung, daß Fragen, die hier auf unserer Konferenz über anthropologische
Angelegenheiten im Bezug auf neue Einsichten in der Biologie ohne den Rückbezug auf theoretische
Erwägungen etwa Hegels oder Schellings nicht befriedigend gelöst werden können.
40
Peters, aaO, 137.
41
Lothar Schäfer und Elisabeth Ströker, Hg, Naturwissenschaft in Philosophie, Wissenschaft und Technik,
Freiburg-München: Alber Verlag, 1993, Band I, Zitat S. 31. Heisenberg wird zitiert aus: Wandlungen in
den Grundlagen der Naturwissenschaft. Stuttgart, 1935, 1959. S. 77ff.
42
Man kann dies z.B. deutlich erkennen in dem hervorragenden Forschungsbericht des Kinderaztes und
Genetiker Ted Friedmann vor dem Kass Kommittee am 11. 7. 02. Friedmann, University of CaliforniaSan Diego, and Chairman, Recombinant DNA Advisory Committee, war und ist zentral, zuerst in der NIH,
dann an der Universität Kalifornia; in der Entwicklung von Gen-Therapien beschäftigt. Das Feld der GenTherapie, selbst voller ethischer Fragen, entstand seit ca 1989-90, erlebte einen grossen Rückschlag mit
dem Tod eines der ersten mit Gen-Therapie behandelten Patienten 1995, Jesse Gelsinger, ist nun auf dem
Weg zum Erfolg. Um 2000 bewies in Paris der Arzt Dr. Alain Fischer die Möglichkeit erfolgreicher GenTherapie. Ted Friedmann sagt im genannten Paper vom Juli, 2002 in Washington: „The field exists, it's a
reality, it's a clinical reality, and poised to move into other clinical situations."
43
Vgl. z.B. John C. Polkinghorne, Science and Theology An Introduction Minneapolis: Fortress Press,
1998, S. 9; „All scientifically interesting facts are already interpreted facts." Über die uns hier besonders
interessierende Theodizeefrage vgl. daselbst S. 85f, 93-95, 112 und 122.
44
Vgl. John C. Polkinghorne, Michael Welker Hg, The End ofthe Woridand the Ends ofGod. Science and
Theology on Eschatology. Trinity Press International 2000. Vgl. auch Vgl. John Charlton Polkinghorne,
"Ordnung und Chaos" 367-371 TRE Bd. 25, (1995).
3. Zusammenfassung: Alle hier untersuchten Positionen, inklusive der
offiziellen Position des Vatikans, bewegen sich in der jüdischchristlichen Lehrtradition. Diese Lehrtradition hat sich oft verändert und
verfügt also über einen großen Reichtum von Lehrbeständen. Jede
Position sucht sich aus der Tradition Lehrelemente heraus, um neuen
medizinischen Phänomenen und den mit ihnen verbundenen ethischen
Fragen, begegnen zu können. Dabei zeigt sich in der theologischen
Diskussion in den USA eine erstaunliche Fülle von ethischen Positionen,
die auch von nicht-theologischem Denken Gebrauch macht. Die
Mehrzahl der Stimmen nimmt im Vergleich mit der konservativen
Position des Vatikans aber eine liberale Haltung gegenüber neuen
medizinischen Möglichkeiten ein und begrüßt neue medizinische
Potentiale.
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