Die Theologische Diskussion zum Thema »Der Machbare Mensch« in den USA Gesellschaft für Evangelische Theologie, Berlin, Februar, 2003 Rolf Ahlers, Albany, New York Herr Weth bat mich die theologische Diskussion über neuste Entwicklungen in der Humanmedizin in den USA zu beleuchten. Unsere Aufmerksamkeit fällt besonders auf ethische Fragen über Stammzellforschung und Klonen. Was folgt ist genau dies: Eine Untersuchung einiger Stimmen die an der Öffentlichkeit in den USA wichtig wurden. Die Nummerierung der verschiedenen Abschnitte ist nicht streng logisch, also z.B. konfessionell, geordnet, sondern assoziiert und trennt locker verschiedene Stellungnahmen. Ich fasse jeweils am Anfang die Analyse der untersuchten Position in einer These zusammen, die die Stellungnahme kurz resümiert. 1.1 Vatikan: Der Vatikan uminterpretiert in Donum Vitae (Das Geschenk menschlichen Lebens, 19 87) und anderen Verlautbarungen alte Lehrtraditionen im Zusammenhang neuerer (aber nicht neuester) medizinischer Einsichten zur Sicherung und Ausweitung der biblisch fundierten Lehre der menschlichen Würde: Donum Vitae I, l, "Jedes menschliche Wesen muß — als Person — vom ersten Augenblick seines Daseins an geachtet werden. " l Das heißt, menschliche Würde besteht seit dem Zeitpunkt des Eindringens der Samenzelle in die Eizelle. Richard Doerflinger vom Amt für Policy Development, National Conference of Catholic Bishops in Washington DC plädiert am 2. Mai, 2001 im Clinton NBAC gegen Forschung an Stammzellen: menschliche Foeten sind Menschen und schutzbedürftig - obwohl Zellen von natürlichen Fehlgeburten vielleicht einige Forschung eraubt, wenn solche Zellen nicht defekt sind. Doerflinger spricht sich auch aus gegen das Klonen. Er betont, daß der Vatikan und so auch die amerikanische Katholische Kirche den Human Cloning Prohibition Act 2001 unterschreiben.2 ' Donum Vitae, Origins, 16:697-711, vgl. auch http://vvww.vatican.va/roman curia/con.gregations/cfaith/ documents/rc_con_cfaith_doc_19870222_respect-for%20human-life_ge.html. Der selbe Abschnitt zitiert auch das II. Vatikanische Konzil. Es wird hier betont, daß „menschliche Leben von der Empfängnis an mit höchster Sorgfalt zu schützen ist." Meine Betonung, RA. 2 Vgl. Aussagen von Richard M. Doerflinger vom dem (Clinton) NBAC (National Bioethics Advisory Committee), 2. Mai, 2001. "Ich bedanke mich", sagt Doerflinger von der National Conference of Catholic Bishops, „für die Möglichkeit im Namen unserer Konferenz (der Katholischen Bischöfe) über Klonen zu sprechen und die Befürwortung unserer Konferenz des Human Cloning Prohibition Act 2001 und des Verbots des Klonens auszudrücken." 1.2 Gilbert Meilaender (Valparaisio): Die Gottesferne der modernen Wissenschaft. Ein breiter Strom des Denkens, der die menschliche Tendenz in der Neuzeit im Zeitalter der Wissenschaft, alles in seinen Griff zu bekommen, als ungöttlich oder zumindeszt gottesfern kritisert, motiviert solche Denker wie Gilbert Meilaender gegen neue Möglichkeiten der Stammzellenforschung und das Klonen zu 3 protestieren. Lutherische Theologen wie Gilbert Meilaender errichten grelle Warnzeichen vor dem homo faber, dem Menschen, der die Welt nach seinem Ebenbilde schaffen will.4 Diese Richtung bewegt sich im Fahrwasser des frühromantischen und später existentialphilosophischen Denkens, das etwa mit Friedrich Heinrich Jacobi5 und Johann Georg Hamann im 18. Jahrhundert anhebt und von Heidegger6 aus neue Wege in unserer Zeit eingeschlagen hat. Meilaender zitiert gern C.S. Lewis, den Anglikanischen Existentialisten, dessen Schriften oft deutliche Jacobische Züge tragen. Der moderne Mensch will die ganze Natur überwinden und 'erobern'. „Die Sterne werden nicht zur Natur bis wir 3 Gilbert Meilaender ist Richard and Phyllis Duesenberg Professor of Christian Ethics, Valparaiso University. Er ist Mitherausgeber des Journal of Religious Ethics and des Religious Studies Review. Seit dem Sommer 2001 ist er Mitglied des President's Bioethics Councii, dessen Mitgliedschaft seit dem Anfang der Busch Regierung neu konstitutiert wurde. Meilaender verfasste die Bücher: Body, Soul and Bioethics, und The Taste for the Other: The Social and Ethical Thought ofC. S. Lewis. Vgl. auch Working: Its Meaning and Its Limits, Indianapolis: University of Notre Dame Press, 2000. Sein letztes Buch, Love TakingShape: Sermons on the Christian Life, kam bei Eerdmans im Juni 2002 heraus. 4 Vgl. die Thesen „A Theologians' Brief On the place ofthe human embryo within the Christian tradition & the theological principles for evaluating its moral Status", eine anglikanische theologische Äußerung zu Embryonen- und Stammzellenforschung, die Gilbert Meilaender mit unterzeichnet hat: http://www.linacre.org/atheol.html. Diese Schrift wurde am l. 6. 2001 dem englischen House of Lords vorgelegt. Sie ist erschienen in: Ethics in Medicine: An International Journal of Medicine. 17:3 (Fall 2001). 5 Seit Jahren beschäftigt sich der Verfasser mit der Aufgabe, offene theologische Grundfragen der Gegenwart besser zu beantworten durch Untersuchung wichtiger gedanklicher Weichenstellungen zur Zeit der Frühromantik und des Frühidealismus und insgesamt etwa der Zeit von etwa 1781 bis 1831. Mit Bezug auf den Ursprung lebensphilosophischer und existentialtheologischer Anfänge bei Jacobi, Fichte und Reinhold, vgl. Vf, "Fichte, Jacobi und Reinhold über Spekulation und Leben" Fichte-Studien, 21, 2003 im Druck. Vgl. auch Vf., "Jacobi, Reinhold and Fichte on Speculation and Life" demnächst in Idealistic Studies 33, 2003. Vgl. auch "Reinholds Weicher Monismus" Referat auf dem 2. Internationalen Carl Leonhard Reinhold Kongreß, Luzern Schweiz, März, 2002, erscheint demnächst im Druck Hgg. von Martin Bondeli and Alessandro Lazzari, Schwabe & Co Verlag, Basel, Schweiz, 2003. 6 Der Einfluß Heideggers in den USA manifestierte sich nicht nur direkt, sondern auch indirekt etwa durch den deutsch-jüdischen Hans Jonas. Wohl einer der wichtigsten Schüler der Position von Jonas ist der Mediziner und Ethiker Leon Kass. Der jüdische Arzt und Philosoph Kass (Chicago) wurde vom Präsidenten Bush August 2001 als Vorsitzender des unter des republikanischen Regierung neu konstituierten President's Councii on Bioethics ernannt. Wohl die gründlichste Schrift von Kass ist: Life, Liberty and the Defence ofDignity . The Challengefor Bioethics. San Francisco: Encounter Books, 2002. Das Buch ist Hans Jonas und Paul Ramsey gewidmet. Vgl. Das Referat vom Vorsitzenden Kass vor dem NBAC am 16. l. 2003 gehalten mit dem Titel „Beyond Therapy: Biotechnology and the Pursuit of Human Improvement" vom 16.-l 7. l. 2003, http://www. bioethics.gov/material/kasspaper.html sie gewogen und gemessen haben: Die Seele hat keine naturhafte Objektivität bis wir sie psychoanalysiert haben. Macht der Natur zu entreißen heißt aber auch sich der Natur preiszugeben". Am Ende dieses Weges der Moderne "ist der ganze (Denk)prozeß verkrüppelt, denn das menschliche Wesen, das davon einen Vorzug haben sollte wurde ihm vielmehr aufgeopfert."7 Jacobi hätte dies schreiben können. Der moderne Menschen verkrüppelt, "stultifies", alles, und es ist besser, alles Gott zu überlassen und in die gute, von Gott geschaffene Natur nicht hineinzupfuschen. Moderne Wissenschaft stellt sich an Gottes Stelle. So beteuert Meilaender: "Only by stopping, only by declining to exercise our will in this way do we force ourselves to look for other possible ways to achieve admitteldly desireable ends. Only by declining to use embryos for this research do we awaken our imagination and force ourselves to seek other sources for stem cells..." Schon vor mehr als dreißig Jahren fragte ich mich - damals aber mehr im Blick auf Heidegger, Marcuse und Adorno -, ob Technik, und im weiteren Sinne überhaupt die Haltung der Weltverfügung, die Jacobi in allen seinen Schriften anvisiert, wirklich repressiv und Gottes, menschen- und weltfeindlich sei, und ich kam, damals schon unter dem Einfluß des Hauptstroms des deutschen Idealismus, zu dem Schluß, daß dies nicht der Fall sei, sondern daß die Technik auch positiv, nicht nur verkrüppelnd und versklavend wirkt wenn sich der Mensch seiner Fähigkeiten und dessen Grenzen, theologisch ausgedrückt, seiner Sündhaftigkeit, bewußt ist.9 Auf dieses Bewußtsein und Selbstbewußtsem des modernen Menschen kommt alles an, der die Naitivität überwunden hat und sentimentalisch^ rückkoppelnde 7 „The stars do not become Nature till we can weigh and measure them: the soul does not become nature till we can psycho-analyze her. The wresting of powers from Nature is also the surrendering of things to Nature." "The whole process is stultified, for this time the being who stood to gain and the being who has been sacrificed are one and the same." Meilaender, CS Lewis zitierend, S. 144 in Holland, Lebacqz and Zoloth, Hg., The Human Embryonic Stern Cell Debate , MIT Press, 2001. 8 AaO, 144f. 9 Vgl. vom Vf., "Is Technology Repressive?" In: Tijdschrift voor Filosoße, Fall, , 32:3 (1970), 651—700. Vgl. auch Vf., "Is Technology Intrinsically Repressive?" In: Continuum, Spring/Summer, 8:1/2, (1970) 111—123 und Vf., "Technologie und Wissenschaft bei Heidegger und Marcuse" in: Zeitschrift für Philosophische Forschung, vol. 25:4, (Herbst 1971) 575—90. 10 Ich beziehe mich hier auf die berühmte Unterscheidung des „Naiven" vom „Sentimentalen" von Schiller. Schiller sagt in seiner Schrift Ober Naive und Sentimentalische Dichtung: „Sie (die Gegenstände der Natur) sind, was wir waren; sie sind, was wir wieder werden sollen. Wir waren Natur wie sie, und unsere Kultur soll uns, auf dem Wege der Vernunft und der Freiheit, zur Natur zurückführen. Sie sind also zugleich Darstellung unserer verlorenen Kindheit." Schiller: Ober naive und sentimentalische Dichtung (entstanden 1794-1795, Erstdruck in Die Hören 1/2, Tübingen, 1795-96) , S. 4. Friedrich Schiller, Sämtliche Werke Ausgabe Fricke/Göpfert, München: Hanser Verlag, 3. Auf. 1962, 5. Band, S.- 695. Die Position der „schönen Seele", die damals, vor 200 Jahren von den frühen Romantikern u. auch vom frühen Hegel, Mechanismen in sein Denken und Handeln eingebaut hat, die ständig bereit sind, die Möglichkeiten und die Grenzen des Menschen anzuerkennen. So würde ich eher gemäßigten theologischen Positionen zustimmen wie der von Margaret Farley und Ted Peters11, die Gott in unserer Welt^ wirken sehen und ein diesem Wirken gegenüber verantwortliches menschliches Handeln auch und gerade mit den besten technischen Mitteln nicht als überheblich, sondern im Gegenteil als die einzig möglich verantwortliche Position ansehen, die der theodizeischen Grundfrage Genüge tut: Wie kann der gütige Schöpfergott13 mit dem oft vom Menschen in die Welt gebrachten Übel und dessen Verantwortung gegenüber Gott in Übereinstimmung gebracht werden?14 2.0 Richard McCormick, Margaret Farley, Thomas Shannon, Michael Mendiola: Katholische Lehrtradition im Amerikanischen Kulturraum: Im Spiegel neuester medizinischer Einsicht ist Menschwerdung ein biologischer Prozeß, nicht ein punktuelles Ereignis und eröffnet ein weites moralisches Feld, das embryonale Stammzellenerforschung erlaubt. Amerikanische Katholische Theologen wie Richard McCormick, Margaret Farley und Thomas Shannon, (und protestantische Theologen wie Ted Peters), berufen sich auf eine jahrhundertealte kirchliche Lehrtradition, in der menschliches Leben sich erst langsam entwickelt, und nicht am Punkt der Fertilisation der Eizelle beginnt. So Schelling und Hölderlin, beschwört wurde, wurde von Hegel schon vor 1800 erkannt als unrealistisch und als ein hoffnungslos antikes Ideal. Das unbefleckte, sündlose Heilsein der menschlichen Natur ist ein Ideal, das der antiken Welt gehörte. Hegel spricht dagegen von einem „Sündenfall des Denkens" TWA Bd. 19, 498f, 490, TWA Bd. 8, Enz § 24 Zusatz S. 86-91, Zusatz 3 zu § 24, der anerkannt werden muß wenn verantwortliches Handeln in der Gegenwart ermöglicht werden soll. " Ted Peters thematisiert in vielen Schriften eschatologische Fragen und die Stellung des Menschen in einer von Gott geleiteten Welt. Vf. hat verschiedene Aspekte dieses Themas untersucht in den Schriften "History and Philosophy äs Theodicy: On 'Worid History äs the World's Judgment'" Idealistic Studios 30:3 (Herbst 2000) 159-172. Die These wurde auf dem Stuttgarter Kongress der Internationalen HegelVereinigung von 1999 vorgetragen, der unter dem Thema tagte: „Weltgeschichte als Weltgericht?" Vgl. auch vom Vf. "The Dialectic in Hegel's Philosophy of History" in: Robert L. Perkins, ed., History and System. Hegel's Philosophy of History, State University ofNew York Press, Albany, 1984, 149—72. Verfasser hat das Verhältnis von absolutem Gott und finaler Welt anhand von Hegels Denken untersucht: "Endlichkeit und Absoluter Geist in Hegels Philosophie" in: Zeitschrift für Philosophische Forschung, Spring, 1975, Band 29:1, 63—80. 13 Hegels Verständnis des Zusammenhangs des Schöpfungsgedankens mit der finalen Welt und endlichen menschlichen Fähigkeiten des Denkens und Handelns hat Vf. vor Jahren untersucht in der Schrift "The Absolute äs the Beginning in Hegel's Logic", in: Tijdschriftvoor Filosoße, June, 1975, 261-76. 14 Die gegenwärtige bioethische Provozierung anthropologischer Grundfragen hat der Verfasser untersucht in der Schrift „Biotech and Theodicy: What Can and What Ought We To Do in Procreative Technology?" Albany Law Review 65:3 (2002) 679-700. Thesen dieser Schrift wurden vorgetragen auf dem Kongress in der Albany Law School über Manufactured Humanity am 25. 10. 2001. Beiträge untersuchten rechtliche, biologische, philosophische und theologische Fragen die aufgeworfen werden durch die neuen biotechnischen Möglichkeiten. sagt Thomas Shannon: "Ich bin nicht davon überzeugt, daß der menschliche Blastocyst im starken Sinne eine menschliche Person ist, wie dies behauptet wird (in der offiziellen katholischen Position.)"15 Diese Theologen begrüßen Stammzellenforschung wenn wenigstens folgende Sicherungen gewährleistet sind: a) Foetenbergung bei legalen Abtreibungen darf nicht kommerzialisiert werden, b) Therapeutische Schöpfung von Foeten durch Klonen muß streng rechtlich getrennt werden von Klonen für Fortpflanzungszwecke. 2.1 Margaret Farley (Yale): „Verzögerte Hominisierung." Dem frühen Embryo fehlen ausreichende moralische Qualitäten um ihn vor der Forschung zu schützen. Margaret Farley zählt sich zu „eine(r) wachsende(n) Gruppe von katholischen Theologen die den menschlichen Embryo in seinen frühesten Entwicklungsstadien nicht... vor den ersten Anzeichen der Konstitution der Wirbelsäule oder vor der Plazentaimplantation als eine individualisierte menschliche Einheit mit differenzierten Potentialen, ein menschliches Wesen zu werden versteht."16 Der Begriff „Potential" ist wegen der Betonung des aristotelischen Begriffs Potenz in der langen katholischen Lehrtradition nicht unwichtig: Wenn menschliches Potential vorliegt, besteht kein Recht mehr auf Forschung, aber gerade die sich schnell veränderten Forschungshorizonte deuten an, daß dieses Potential erst langsam in Erscheinung tritt. Margaret Farley betont die Verbindung von traditionellem Lehrgut und modernen medizinischen Einsichten. So lehrte die Kirche einst die Beseelung etwa am Ende des l. Trimesters. Dagegen hebt Farley hervor, daß heute die offizielle Lehre des Vatikans „des potentiellen menschlichen Lebens seit dem Zeitpunkt der Befruchtung neueren biologischen Einsichten entspricht. Aber die (hier vertretene) Position einer verzögerten Hominisierung beruft sich auf {noch) neuere Studien. Naturwissenschaftliche Forschungsergebnisse sind für die katholische Tradition extrem wichtig, auch wenn sie nicht in jedem Fall ausschlaggebend sind." (117, Anm. 5, meine Betonung, RA). 15 Vgl. Thomas Shannon, S. 816 in "Human Embryonic Stern Cell Therapy" Theological Stvdies 64:4 (Dec. 2001) 811-824: "I am not persuaded that the human blastocyst is a human person in the strong sense ofthat term äs is being argued." Vgl. das naheliegende Urteil des Lutheraners Ted Peters: "Because pluripotent stem cells do not have the actual potential for becorning a human being, they do not have dignity to be comprornised (by stem cell research). In this case, the dignity honored is that offuture beneficiaries ofthis rnedical research." 136 in "Ernbryonic Stern Cells and the Theology of Dignity" in Holland et al, The Embryonic Stem Cell Debate, 2001. 1(1 Farley, "Roman Catholic Views on hES Cell Research" 113-118 in Holland et. AI, The Human Embryonic Stem Cell Debate aaO, Zitat 115. So fehlen dem Embryo in seinen frühen Stadien die moralischen Qualitäten der Person. Dies rechtfertigt verschiedene medizinische Experimente. (115f) 2.2.1 Margaret Farley hebt auch hervor: Wissenschaftliche Einsicht durch Erforschung an erwachsene Stammzellen17 erkennt, daß sie sich ent- und 1ß redifferenzieren. Diese Möglichkeit, ja, Wahrscheinlichkeit, stützt die Kritik an der Forschung an menschlichen foetalen Stammzellen. Diese Kritik zielt auch auf Klonen und somatic cell nuclear transfer.19 2.2 Tom Shannon (Worcester Polytechnic Institute): Die Metaphyik der Individuation des Duns Scotus wird auf embryonale Forschung angewandt: Vor der kritischen Individualisierung können embryonale Stammzellen für Forschungszwecke gebraucht werden. Der katholische Theologe Thomas A. Shannon nimmt, ähnlich wie Margaret Farley, eine liberale Position im Universum der katholischen Positionen ein. Shannon versteht totipotente und pluripotente Stammzellen noch nicht ausreichend differenziert um menschliche Individualität darzustellen. Zwillinge können noch im Frühstadium der menschlichen embryonalen Entwicklung entstehen. Individualität ist biologisch bestimmt. Menschlicher Lebenswert und menschliche Würde sind keine dignitas aliena. Biologisch verstanden, „an individual is literally indivisible".20 Und wenn der Organismus noch vervielfältigt werden kann, ist er eben kein untrennbares Individuum. Shannon beruft sich auf Duns Scotus in seiner Bestimmung menschlicher „Individuation". Menschliche Individualisierung kann im frühen Stadium des embryologischen Leben mit Scotistischen Mitteln verstanden werden. Wichtig ist m. E. daß sich Shannon in der Gegenwart auf alt-bewährte katholische Prinzipien der Vergangenheit beruft. Scotus verstand metaphysisch den Vorgang der Individualisierung aus einer „gemeinsamen menschlichen Natur"; Shannon appliziert dieses Prinzip auf den biologischen Vorgang. Vor der Individualisierung ist noch keine Menschenwürde da, die auf ein einzelnes Individuum zutrifft. Totipotente und pluripotente Zellen sind 17 Gretchen Vogel, „Can Old Cells Learn New Tricks?" Science 287, Feb. 25, 2000, 1418-1419. Pittinger, M. F., Mackay, A. M., Beck, S. C., Jaiswal, R. Kl, Mosca, D. R-, Moorman, M. S., Simonetti, D. W., and Marshak, C. S., 1999, "Multilineage potential of adult human mesenchymal stem cells"§ Science 284:143-147. 19 Margaret Farley, "Roman Catholic Views on hES Cell Research" in Holland et.al. Human Embryonic Stern Cell Research, aaO, 115. 20 Shannon, "From the Micro to the Macro", 177-184 in Holland, Lebacqz and Zoloth, Hgg, The Human Embryonic Stern Cell Debate , MIT Press, 2001, Zitat S. 178 18 moralisch priviligiert und menschlich in einem allgemeinen aber nicht in einem auf ein einzelnes Individuum zutreffenden Sinne. Im allgemeinen Status können sie für Forschungszwecke benutzt werden. Foetale Zellen aus dem präindividuellen Stadium foetaler Entwicklung können benutzt werden um Stammzellen zu gewinnen. Forschung an solchen Zellen wird nicht an menschlichen Personen vorgenommen, weshalb sie erlaubt ist. 2.3 Michael Mendiola (GTU): Die reiche Offenheit katholischer Lehrtradition enthält Möglichkeiten, die dem Ermessen frei gegebene Anwendung von Glaubensinhalten so auszulegen, daß verbrauchende Stammzellenforschung wenigstens diskussionsfähig wird. Der katholische Theologe Michael Mendiola (Pacific School of Religion, Berkeley, California) reflektiert „in response to the Roman CatholicChristian tradition"21, unser Punkt 1.1, nämlich der Lehrtradition über die ethische Erlaubtheit verbrauchender Embryonenforschung. „It is the destruction of embryos that poses the greatest challenge or barrier from this tradition's perspective." (AaO). Die verbrauchende Embryonenforschung wird von der offiziellen katholischen Position wegen der absoluten Menschwürde, die seit der Befruchtung der Eizelle vorliegt, abgelehnt. Mendiola meint dieser Absolutismus kann von innerhalb der katholischen Tradition selbst in Frage gestellt und so ein Weg in eine neue, fruchtbare, offenere Diskussion gefunden werden. (120). "Innerhalb der katholischen Lehrtradition befindet sich ein reicher Fundus von theoretisch nunanzierter Positionen über _ sozialethische und politische Fragen," von denen aus Urteile über Stammzellenforschung möglich sind, die durchaus nicht mit der offiziellen Position des Vatikans übereinstimmen. Mendiola versucht die Härte des offiziellen katholischen Verbots aufzuweichen mit Hinweis auf die Lehrtradition selbst. So weist er (120) auf den letzten Satz von Anm. l von Gaudium et Spes (1965, Papst Paul VI), wo auf die „Wechsel() der Umstände", mit denen die theoretische Lehre konfrontriert ist und auf die hin sie flexibel zu interpretieren sei, hingewiesen wird. Mendiola beruft sich offensichtlich auf die alte aristotelisch-thomistische Hermeneutik, in der die konkrete Anwendung und Applikation von Theorien und Lehren letzlich dem Ermessen 21 Michal M. Mendiola, "Human Emnbryonic Stern Cells: Possible Approaches from a Catholic Perspective." 119-125 in Holland et al, Hgg, The Human Embryonic Stern Cell Debate. Zitat S. 119. 22 Mendiola, „Within the tradition lies a broad and sophisticated stream of ethical reflection on social and political life known äs Catholic social teaching." AaO, 120. ausgeliefert sind wegen der „mutability of historical circumstances" (120). Der bewegliche Kontext, auf den sich jede Lehre beziehen muß, indiziert nach Mendiola folgendes (12l): a) verbrauchende Embryonenforschung wird schon in privaten Labors getrieben, b) die Hoffnung besteht, daß in der Zukunft durch solche Forschung das konkrete menschliche Leiden gelindert wird,23 c) Menschen „guten Willens" (121) haben verschiedene Ansichten über die moralische Würde des menschlichen Embryos. Bei allen drei Punkten beruft sich Mendiola auf die Lehren von Richard McCormick. McCormick unterscheidet „universally binding moral principles" und „specific applications" dieser Prinzipien:24 Sich zu weigern, diese Unterscheidung zu machen, heißt die Lehrtradition verstoßen.25 Richard McCormick und, ihm folgend, Michael Mendiola, entwickeln den Proportionalismus aus der katholischen Tradition der Kasuistic: Handeln ist moralisch legitim wenn a) sie wenigstens gleich wertvoll ist als die abgelehnte Handlung, wenn b) keine weniger schädliche Alternative besteht und c) der zukünftige Schutz des Lebens durch die Handlung nicht beeinträchtigt wird. (Mendiola, aaO, 122) Mendiolas „Ethik der Toleranz", die sich bewußt auf katholische Lehrtradition beruft, divergiert also radikal von der offiziellen Position des Vatikans. Der Vatikan lehnt jede Manipulation des Eis nach der Befruchtung für nur erhoffte Therapien ab. Die ,JEthik der Toleranz " thematisiert ein gehöriges Stück Kritik an Vatikanischer Autokratie und erforscht die katholische Dogmengeschichte mit dem Anliegen, bei der Errichtung von Handlungsrichtlinien ein breites Spektrum von Stimmen zu Wort kommen zu lassen. Dieser amerikanische Katholizismus (Mendiola, aaO, 123) kritisiert am gegenwärtigen Vatikan die Haltung des „stop the discourse", in der a limine nur eine Stimme ein Recht zu sprechen hat und es also gar kein Gespräch gibt. Mendiolas Toleranzethik zielt vor allem auf offene Diskussion. Im Hinblick auf verbrauchende Embryonenforschung, (hES, human embryonic Stern Cell Research), will Mendiola nicht mehr tun als deren Möglichkeit diskussionsfähig machen. Er nennt die folgenden Positionen: Es gibt a) die Haltung der Ablehnung solcher Forschung, aber b) ein differenzierter Argumentationsgang könnte (l) sie als Möglichkeit erwägen, (2) 23 Man fragt sich hier unwillkürlich, ich berufe mich auf Otfried Hoffe: hat aber die Gesellschaft ein Recht auf Güterabwägung, d.h. die Würde des Embryos zu mindern oder gar zu töten um mögliche oder erhoffte Therapien für andere zu fördern? Hoffe, Medizin ohne Ethik? Frankfurt: Suhrkamp Verlag, 2002, 86ff 24 Richard McCormick, Health and Medicine in the Catholic Tradition, NY: Crossroads, 1985:139) 25 "To fail to make this distinction is to degrade teaching authority." McCormick, aaO. Ist dies nicht Situation Ethics? Joseph S. Fletcher, Situation Ethics. The New Morality, Philadelphia: Westminster 1966. Alternativen suchen, wie z.B. den Weg, der von der Bush Regierung als legitim angesehen ist, nämlich schon existierende „Zellen Linien" für Forschungszwecke zu gebrauchen, die Herstellung von Foeten - z.B. durch Klonen - für das „ernten" von Stammzellen aber ablehnt, oder (3) noch andere Alternativen erwägt, wie das Freisetzen von elternlosen, auf Eis gelegten „Überschussfbeten" oder noch andere Alternativen (4) wie die Förderung der Erforschung an „erwachsenen Stammzellen", also das Gewinnen von entdifferenzierten Stammzellen aus schon differenzierten Zellen eines Menschen, der sein Gewebe für Forschungszwecke zur Verfügung stellt. 3.0 Elliot Dorff (University of Judaism, Los Angeles) und Laurie Zoloth (San Francisco University): Jüdische Mitschöpfungstheologie und Kommunitarismus: Menschenwürde ist relational, kommunal und erlaubt, nein fordert sogar die Entwicklung von Heilungsmitteln selbst auf Kosten von noch unfertigem menschlichem, embryonalem Lebens. Wir sollten die Beiträge der jüdischen Theologie zu unserem brennenden Thema nicht vernachlässigen. Ich bechreibe hier kurz die Stimme von Laune Zoloth und Rabbiner Elliott Dorff.26 Zoloths und Dorffs Gedanken sind besonders beachtenswert wegen der Potentiale der Halacha, der jüdischen moralisch-rechtlichen Tradition, in der durch Gespräch und moralische Überzeugung ein Konsens aus einer Mehrheit von Stimmen hervorgeht. Die Möglichkeiten der Anwendung dieses uralten, im Alten Testament verwurzeltzen Modells auf unsere gegenwärtige säkulare politische Situation ist unmittellbar einleuchtend. Die Halacha betont aber Obligationen, anders als Rechte und Wahrung der Privatsphäre. Sie steht also in einem Verhältnis der Dissonanz wenigstens zu dem angelsächischen, etwa durch Hobbes und Locke beeinflußten Gesprächsraum innerhalb dessen sich jüdische Theologie zu Wort meldet (Zoloth, Holland Hg, 96-97). Die Rettung menschlichen Lebens ist das höchste Gut, auch am Sabbath, nach talmudischer Lehre. Leben, selbst ein einziges, genießt also Priorität gegenüber anderen Lehren, wie den Sabbath heiligen: Ein am Sabbath unter einem kollabierten Haus gefährdetes Leben darf und soll sogar gerettet werden. So interpretiert Zoloth (97f) die Stammzellenforschung, genetische Forschung und ähnliche experimentelle Medizin am Menschen als ein 26 Laurie Zoloth, "The Ethics of the Eighth Day: Jewish Bioethics and Research on Human Embryonic Stern Cells" 95-111 in Holland, et al, Hg, Human Embryonic Stern Cell Debate aaO. Zoloth hielt ein Referat vor der NBAC am 2. 5. 2001. Vgl. Dorffs Aussagen vor dem NBAC am 2. 5. 2001 und „Stern Cell Research-a Jewish Perspective" 89-93 in Holland, et al. Hg, Human Embryonic Stern Cell Debate aaO Talmudisches Gebot, weil durch solche Forschung menschliches Leben verspricht gerettet werden zu können, selbst wenn damit gegen andere Gebote, die auch im Talmud vorgeschrieben sind, verstoßen wird.27 So verbietet talmudisches Recht das Antasten eines toten oder die Verstümmelung eines lebendigen Leibes. Aber wenn durch Organtransplantation anderes Leben gerettet werden kann, ist ein solcher Eingriff nicht nur erlaubt sondern sogar geboten. Frage ist nur, ob eine solche Ethik auch für die verbrauchende Embryonenforschung zutrifft. Sollte nämlich der Embryo vollen Status des Menschseins haben, wie es die offizielle Position des Vatikans etwa betont, würde auch der jüdische Theologe irgend eine Forschung oder gar Tötung dieses Lebens ablehnen müssen. Die Frage nach dem moralischen Wert des Embryos wird mit dem Hinweis auf die Entwicklung des Embryos beantwortet. Der moralische Wert des Embryos entwickelt sich. Wie alle menschlichen Phänomene nur relational sinnvoll sind, muß er zeitlich-historisch und rt Q ___ ____ als veränderlich verstanden werden. Der Wert des Embryos ist nicht plötzlich durch die Befruchtung der Eizelle festgesetzt. Jüdisches Recht bestimmt den moralischen Wert seit der ersten Formierung des foetalen Nervensystems, dem „primitive streak". (98f, 110) Der werdende Mensch, der Foetus, hat nur einen Grenzstatus, wie auch der sterbende Mensch: In beiden Fällen obliegt keine volle moralische Obligation wie bei voll entwickelten Menschen. So erlaubt traditionelles Rabbinisches Gesetz den Schwangerschaftsabbruch. Auch das geborene Kind ist noch nicht Mensch im vollen sinne: Der moralische Wert eines Kindes entwickelt sich erst langsam nach der Geburt. (99f). Erst am achten Tag wird das Kind in die religiöse Gemeinschaft aufgenommen. Moralisch eigenständiger Wert des Embryo entsteht erst bei der Plazentaeinpflanzung. Damit ist das starke Familienbe-wußtsein in der 27 Vgl. Dorff, "Stern Cell Research", aaO, 90: "...Ifa fetus was aborted for legitimate reasons (such äs the preservation ofthe woman's physical or mental health) under Jewish law, it may be used to advance our efforts to preserve the life and health ofothers." Die Frage reduziert sich auf eine "risk-benefit" Formel: Wenn das Risiko für die Mutter zu groß ist, also etwa ihr Gemütszustand verspricht zu sehr unter der Austragung der Schwangerschaft leidet und also die Abtreibung nach jüdischem Gesetz erlaubt und geboten ist, gewinnt das moralische Übel der Abtreibung moralische Legitimität durch die Vorteile, die durch die medizinische Erforschung der embryonalen Stammzellen erziehlt werden können. „The question, then, reduces to a risk-benefit analysis of stem cell research." Dorff, aaO, 91. Man könnte hier Verbindungen zu dem in der englisch sprechenden Welt weit verbreiteten Utilatirismus etwa in der Tradition von Bentham u. Mill suchen. 28 Dorff, aaO, 90: Nach jüdischem Gesetz ist die Schwangerschaft "die Hüfte der Mutter" "and neither men nor women may amputate their thigh at will because it would be injuring their bodies. On the other hand, if the thigh turns gangrenous, both men and women have the positive duty to have it amputated to save their lives. Similarily, ifthe woman's life or health is at stake, an abortion must be performed to save her life or her physical or mental health." Meine Betonung. jüdischen Tradition verbunden: Ein volles menschliches Individuum mit Eigenwert - etwa im Sinne Lockes - existiert in der jüdischen Tradition wohl nie, weil menschlicher Wert immer communaler Wert ist. So wird das Kleinkind erst allmählich unabhängig von der Mutter, und nach jüdischem Verständnis ist es daher auch eine wichtige Frage, ob Kinder der Mutter gehören, und auch ob geklonte Menschen überhaupt Menschen sind, weil sie unabhängig von dem sozialen und Sinn-Kontext der normalen Ehe, künstlich im Labor „fabriziert" sind. (100) Laurie Zoloth betont den Wert biotechnischer Forschung im jüdischen Glauben (100-102). Sie ist nicht nur gut, sie ist vom Glauben geboten. Zoloth betont, daß „the nearly universal communal response to all genetic advances that can promote health and increase fertility has been enthusiastically positive in the Jewish worid." (102) So liegt im Prinzip nichts außerhalb der Heilungsobligation, und das beinhaltet genetische Experimente und überhaupt Förderung der neuesten Heilungspotentiale, wie die Stammzellforschung. Jüdisches Gesetz untersucht aber jede neue Technik nach traditionellen Richtlinien. Der Verkauf von Eiern kommerzialisiert menschliche Fortpflanzungspotenz und muß daher mit Vorsicht beurteilt werden. Zumindest ist die freie Zustimmung der Mutter nötig. (103) Mit der Gewinnung von Stammzellen von abgetriebenen Foeten verhält es sich ähnlich: Wie die Autopsie, obwohl eigentlich unerlaubt, doch möglich wird durch den Erwerb von neuen medizinischen Einsichten, so auch mit der Gewinnung von Stammzellen von Abortusen. Jüdisches Gesetz scheint also wenig vor dem zu zögern, was weite Kreise westeuropäischer Kultur im Fahrwasser Kants lernten als die „Instrumentalisierung" des Menschen abzulehnen. 4.1 Karen Lebacqz (GTU): Die unverdorbene Natur des " Differenten" und die "Schöne Seele". Eine Ethik, die eine gute gegen eine schädliche Handlung abwägt, ermöglicht die verbrauchende Stammzellenforschung. Die Aneignung der postmodernen Ideenwelt manifestiert sich in dem Denken der protestantischen Theologin Karen Lebacqz. Postmodemes Denken ist eklektisch, denkt global, feministisch, betont Achtung jeder Form von Leben und besonders Menschenrechte. Das Eklektische erlaubt aus dem reichen Sack biblischer und dogmengeschichtlicher Lehrbestände Rückenstützung für diese oder jene, besonders aber der „politically correct" Position zu gewinnen. Einem Protestanten wie Meilaender fällt sicherlich eine gewisse Beliebigkeit mit der Meinung auf, daß Achtung für jedes Leben, auch Pflanzen, eine adäquate Basis für Achtung von Foeten ist, die aber vor etwa der 14. Woche abgetrieben werden können.29 Überhaupt ist die ziemlich breite Diskussion über den Begriff „respect", „Achtung", in den USA mit starken psychologischen Nuancen überlagert, die für das akademische Gespräch in der angelsächsischen Welt nicht untypisch ist. Man freut sich natürlich, daß Theologen auch im Chor des allgemeinen Gesangs des Selbstverständnisses der Welt mitsingen können. Es sei dies gesagt zu dieser postmodemen Disposition: Respekt für „unverdorbene Natur" und deren „Wildnis", eine Form von „Differenz" oder „Anderem", ist beseelt von der Naivität der „schönen Seele", als ob es so etwas wie „unverdorbene Natur" gibt und als ob sich nicht „Natur" ständig veränderte und an menschliche Eingriffe anpasste und so verändert! Es gibt kein ungezüchtetes Vieh mehr, und auch die berühmten, hunderte von Jahre alten Californischen Redwood Trees sind wohl Zeugen einer ganz anderen, vom Menschen weitaus weniger angetasteten Zeit, die aber nicht mehr existiert, und auch diese Bäume sind „Mitbürger" dieser neuen Welt, die humanisiert ist zum schlechten und zum guten! Postmodemes Gerede von „biocentric equality", „community with nature" und einer „dezentrierten Menschheit" kennt alle richtigen Modeworte, ist aber wenig reflektiert. Z.B: Was ist denn „intrinsic nature"?30 Die Folge menschlicher Eingriffe in die vorher unbefleckte Natur, die um die Vernunft „zentriert" waren, und deren zerstörerische Eingriffe jetzt eingesehen werden, ist klar: Diese zerstörerische Vernunft muß „decentered" werden.31 Man muß also die Vernunft aufgeben und sich nunmehr vernunftlos in die Natur wieder integrieren. So sind also die massiven Naivitäten gewollt. Mit Habermas möchte ich aber sagen: Wir brauchen in unserer Welt mehr, nicht weniger Vernunft. Es ist kein Zufall, daß die Biotech Firma Geron sich eine Theologin wie Lebacqz als Vorsitzende ihres Ethikrates aussucht, denn eine Welt, die den Menschen „decentered" und ihn nunmehr in einem universell verbundenen Netz von Leben sieht, wo jedes Leben gleich viel Wert ist, kann leicht einen „vorsichtigen Gebrauch" menschlicher Blastozysten anraten, um Leiden anderswo in dem Netz zu lindem.32 Ein Wert, nämlich die Verbesserung anderen menschlichen Lebens (b) als das foetale Leben (a), von dem Stammzellen entnommen werden, wird 29 Karen Lebacqz, "On the Elusive Nature of Respect" 149-162 in Holland, Lebacqz and Zoloth, Hgg, The Human Embryonic Stern Cell Debate , MIT Press, 2001. 30 Lebacqz, a.a.O, 158. 31 Dies ist ein Haupthema das Friedrich Schlegel im Herbst 1796 mit seinem Begriff Wechselerweis in die frühromantische Diskussion mit wichtigen Folgen einbrachte. Vgl Violetta Waibel, „Wechselbestimmung. Zum Verhältnis von Hölderlin, Schiller und Fichte in Jena". S. 43ff in Fichte Studien Nr. 12, 1997. 32 Lebacqz, a.a.O. 158. Vgl. Geron Ethics Advisory Board, Hastings Center Report 29 ) 2:31-36 gegen den Wert des aufgeopferten Spenders der Stammzellen (a) abgewogen. Der Arzt und Bioethiker Pellegrino hat zu Recht gegen diese Art von Bewertung protestiert und die Achtung, die dem Spenderfoetengezollt wird „fragil", genannt.33 Pellegrino spricht aus einer Perspektive die von Paul Ramsey, Leon Kass, und Helmut Thielicke vertreten ist. Lebacqz zitiert Thielicke um den unendlichen Wert eines Foeten zu betonen, der aber trotzdem „für Forschungszwecke benutzt" werden kann. „Thus, it may be permissible to do good even at the cost ofdoine härm."34 4.2 Ted Peters (GTÜ): Der Paradieseszustand einer unangetasteten Menschwürde existiert nicht mehr, denn wir sind aus dem Paradies durch den Sündenfall des Denkens und der modernen Medizin ausgetrieben. Der Mensch kann sich auf keinen Fall vor der Nötigung der Entscheidung für Stammzellenforschung drücken. Ich muß die Thesen des lutherischen Theologen Ted Peters,35 noch separat vorlegen. M.E. sind sie am interessantesten von allen anderen hier vorgeführten Thesen. Peters greift die Diskussion nicht auf der Bühne auf, auf der die theologischen Gespräche über diese Fragen meist präsentiert werden. Er läßt sich vielmehr in die biologischen Gespräche ein und weist auf zwei wichtige, oft übersehene ethische Fragen in dieser Diskussion hin: Erstens setzen sowohl die Befürworter als auch die Gegner der verbrauchenden Embryonenforschung die Unterscheidung von totipotenten von pluripotenten Stammzellen voraus. Die ersten Zellen erscheinen in der sehr frühen embryonalen Entwicklung und aus jeder solcher totipotenten Zelle kann ein voller Mensch werden, weil nur solche Zellen universales Differenzierungspotential besitzen. Damit wird von beiden Seiten der Debatte die volle Menschenwürde totipotenter Zellen vorausgesetzt. Nur die Gegner solcher Forschung betonen dieses aber. Die Befürworter solcher Forschung suchen die Diskussion auf die pluripotenten Zellen zu beschränken, bei denen wenigere ethische Fragen auftauchen.36 Nun bestreitet zweitens aber Peters genau diese 33 Pellegrino, E. D, Testimony. In National Bioethics Advisory Committee, Ethical Issues in Human Stein Cell Research Band. III, Religious Perspectives. Rockville Maryland: National Bioethics Advisory Commission, 1999. 34 Lebacqz, a.a.O., 159. 35 Vgl. Peters, "Embryonic Stern Cells and the Theology of Dignity" 127-139 in Holland, Lebacqz and Zoloth, The Human Embryonic Stern Cell Debate. Peters, editor, Genetics. Issues of Social Justice Cleveland, Ohio: Pilgrim Press, 1998. 36 Peters, aaO, 130. Unterscheidung. Daneben bestreitet er auch die These, daß nur totipotenten Zellen des Zygoten Menschenwürde zugesprochen werden kann. Denn es ist schon in Experimenten an Mäusen erwiesen,37 daß sich Gehimstammzellen von Erwachsenen differenzieren und zu Blutzellen redifferenzieren können. Daraus folgert der theologische Ethiker Peters was der Biologe schon weiß: Daß Fortpflanzung der Verbindung von Ei- und Samenzelle gar nicht bedarf. Denn fast alle Komponente einer Fortpflanzung durch Klonen stehen wenigstens theoretisch schon zur Verfügung. Es mangelt nur noch die Einsicht in den Vorgang, der den Differenzierungsprozess von Stammzellen in differenziertes Gewebe steuert. Sollten wir diesen Vorgang verstehen, und die Möglichkeit dazu steht in Aussicht, wäre verständlich, daß „babies can come from anywhere", d.h., von jeder Zelle des •3 Q erwachsenen Menschen. So entstent die Frage nach dem moralischen Wert solcher Zellen: Sind Zellen eines erwachsenen Menschen vergleichbar mit pluripotenten Zellen oder mit dem totipotenten fertilisierten Eizellen? In der Beantwortung dieser Frage verbindet Peters transzendentaltheologisches Denken (Rahner) mit einer nach meiner Meinung theodizeeisch richtig programmierten Pragmatik im biotechnischen Bereich. Das Paradies existiert nicht mehr. Der Sündenfall des Denkens ist passiert. Eine vom Denken unangetastete Natur, also etwa die Würde der befruchteten Eizelle, existiert nicht mehr, und die Rückkehr in das unschuldige Paradies wird uns vom feurigen Schwert des Engels Gabriel, der Not, Entscheidungen treffen zu müssen, verwehrt.39 „Having been thrust from the comforts of natural Eden into 37 Evelyn Strauss, "Brain Stern Cells Show Their Potential" Science 283 (5401) 473. Peters, aa0, 132. 39 Hegel kam bei der Neuformulierung des logischen Denkens im Fahrwasser der kantischen transzendentalen Wende zur Identifizierung der Logik und der Metaphysik. Das bedeutet: Die Metaphysik galt für die „Wissenschaft der Dinge". Kant zeigte aber, daß diese alte Metaphysik nicht mehr tragfahig ist. Wir können durch die kopemikanische Wende des Transzendentaldenkens nicht mehr ein „Wesen der Dinge", also etwa die Menschenwürde im gerade befruchteten Ei, annehmen. Dieser Rückfall in eine unverdorbene Welt der Dinge gibt es nicht mehr. Das heißt in Hegels objektiv-logischer Reformulierung dieses Ansatzes, daß dieses Gedankenobjekt nichts anderes ist als eine Form „des bewußten Denkens" selbst. „Die Logik fällt daher mit der Metaphysik zusammen, der Wissenschaft der Dinge in Gedanken gefaßt, welche dafür galten, die Wesenheit der Dinge auszudrücken." Hegel, Enzyklopädie der Philosophischen Wissenschaften von 1830, § 24, TWA 8: 80f. In den mündlichen Zusätzen erläutert Hegel in der Suhrkamp Ausgabe diese Problematik mit Bezug auf die reinen Gedanken oder Denkbestimmungen in der Logik im 2. Zusatz, aa0 84-86, und auf den „Sündenfall des Denkens" oder überhaupt auf die Frage der „sündhaften" Stellung des denkenden Menschen gegenüber einer nur vermeintlich unverdorbenen Natur im 3. mündlichen Zusatz, S. 86-91. Vgl. auch TWA Bd. 19, 498f, 490 (Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie), zur theodizeischen Problematik des Sündenfall des Denkens. Ich will hier nur noch erwähnen, daß nach Kant die Theologie in verschiedenen Ansätzen versuchte mit Kants neuartigen Einsichten fertig zu werden. Die neuen theologischen Synthesen Hegels Tübinger Lehrer Storr und Flatt waren für die jungen Idealisten Hegel, Hölderlin und Schelling, aber nicht sehr befriedigend. Die Frage ist 38 the wildemess of technologic anomie, we now have to make choices."40 Meine Befürwortung Peters' Position, die ich allerdings anders als er, nämlich mit Mitteln des absoluten Idealismus Hegel, untermauern würde, stimmt mit Grundansichten nicht nur der Philosophie und Theologie, sondern auch der Naturwissenschaft überein. Eine gründliche Erörterung dieser Verbindungen kann ich hier nicht bieten. Ich will nur einige Hinweise liefern. Im Grunde ist der transzendentale Ansatz in der Naturwissenschaft und im Denken schon immer bekannt gewesen, also z.B bei Platon. Lothar Schäfer und Elisabeth Ströker sagen in dem von ihnen herausgegebenen ersten Band des vierbändigen Werkes Naturwissenschaft in Philosophie, Wissenschaft und Technik: „In unseren Tagen hat kein geringerer als Werner Heisenberg bei Platon erstmalig die klare Einsicht formuliert gefunden, daß die letzte Wurzel der Erscheinungen nicht die Materie sei, sondern die Symmetrie, die mathematische Form."41 Ähnliches könnte und müsste über die nun enorm blühende Biologie gesagt werden.42 John Polkinghorne43, Michael Welker44 u. a. sind in verschiedenen Publikationen solchen Fragen theologisch nachgegangen. Ich verstehe meine eigene Position, die hinter dem, was ich hier dargeboten habe, versteckt war und doch sichtbar wurde, im Prinzip verwandt mit solcher Arbeit. auch heute, ob die neuen Wege, die von Schleiermacher eingeschlagen wurden, und die unsere protestantische Tradition vor allem einschlug, befriedigend sind. Vgl. dazu Christian Danz über Schleiermacher und Schelling in Ahlers, Hg, System und Kontext, Frühjahr-Sommer, 2003. Die protestantische Theologie ist schon seit mehr als zwanzig Jahren auf der Suche nach neuen theologischen Lösungen zu Grundfragen, die damals in dem explosiven nachkantischen Gedankenmilieau aufgeworfen wurden. Ich bin der Meinung, daß Fragen, die hier auf unserer Konferenz über anthropologische Angelegenheiten im Bezug auf neue Einsichten in der Biologie ohne den Rückbezug auf theoretische Erwägungen etwa Hegels oder Schellings nicht befriedigend gelöst werden können. 40 Peters, aaO, 137. 41 Lothar Schäfer und Elisabeth Ströker, Hg, Naturwissenschaft in Philosophie, Wissenschaft und Technik, Freiburg-München: Alber Verlag, 1993, Band I, Zitat S. 31. Heisenberg wird zitiert aus: Wandlungen in den Grundlagen der Naturwissenschaft. Stuttgart, 1935, 1959. S. 77ff. 42 Man kann dies z.B. deutlich erkennen in dem hervorragenden Forschungsbericht des Kinderaztes und Genetiker Ted Friedmann vor dem Kass Kommittee am 11. 7. 02. Friedmann, University of CaliforniaSan Diego, and Chairman, Recombinant DNA Advisory Committee, war und ist zentral, zuerst in der NIH, dann an der Universität Kalifornia; in der Entwicklung von Gen-Therapien beschäftigt. Das Feld der GenTherapie, selbst voller ethischer Fragen, entstand seit ca 1989-90, erlebte einen grossen Rückschlag mit dem Tod eines der ersten mit Gen-Therapie behandelten Patienten 1995, Jesse Gelsinger, ist nun auf dem Weg zum Erfolg. Um 2000 bewies in Paris der Arzt Dr. Alain Fischer die Möglichkeit erfolgreicher GenTherapie. Ted Friedmann sagt im genannten Paper vom Juli, 2002 in Washington: „The field exists, it's a reality, it's a clinical reality, and poised to move into other clinical situations." 43 Vgl. z.B. John C. Polkinghorne, Science and Theology An Introduction Minneapolis: Fortress Press, 1998, S. 9; „All scientifically interesting facts are already interpreted facts." Über die uns hier besonders interessierende Theodizeefrage vgl. daselbst S. 85f, 93-95, 112 und 122. 44 Vgl. John C. Polkinghorne, Michael Welker Hg, The End ofthe Woridand the Ends ofGod. Science and Theology on Eschatology. Trinity Press International 2000. Vgl. auch Vgl. John Charlton Polkinghorne, "Ordnung und Chaos" 367-371 TRE Bd. 25, (1995). 3. Zusammenfassung: Alle hier untersuchten Positionen, inklusive der offiziellen Position des Vatikans, bewegen sich in der jüdischchristlichen Lehrtradition. Diese Lehrtradition hat sich oft verändert und verfügt also über einen großen Reichtum von Lehrbeständen. Jede Position sucht sich aus der Tradition Lehrelemente heraus, um neuen medizinischen Phänomenen und den mit ihnen verbundenen ethischen Fragen, begegnen zu können. Dabei zeigt sich in der theologischen Diskussion in den USA eine erstaunliche Fülle von ethischen Positionen, die auch von nicht-theologischem Denken Gebrauch macht. Die Mehrzahl der Stimmen nimmt im Vergleich mit der konservativen Position des Vatikans aber eine liberale Haltung gegenüber neuen medizinischen Möglichkeiten ein und begrüßt neue medizinische Potentiale.