Raus aus der Dopamin Falle

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RAUS AUS DER
DOPAMIN FALLE
VON
KLAUS GROCHOWIAK
EMINA MUSOVIC
1
Inhaltsverzeichnis
Einleitungsvortrag
3
Typische Aussagen auf Entzug: „Junkie Talk“
6
Inszenierung von Ablehnungserfahrungen und Ambivalenzerfahrungen
7
Selbstablehnung des Körpers; Bedürfnisse
8
Was sind Spiele?
9
Der Beginn eines Spiels: Das Ausblenden
9
Der Köder
10
Die Eskalation des Spiels: Härtegrad 1 - 3
12
Das Aufmerksamkeitsspiel
13
„Jetzt habe ich dich, du Schwein“ (Märtyrerrolle)
13
Das Nähe-Distanz-Spiel
14
Sieh bloß, was du angerichtet hast (Schuld)
15
Liebesentzug/Sexentzug
16
„Ich armer Teufel“ und „Ich bin behindert“
18
„Ich bin überarbeitet“
19
Selbstsabotage in Beruf und Fortbildung
20
Aufmerksamkeitsspiele: „Alarm schlagen“
21
Ablehnung und Sex
22
Selbstbild - Entscheidung - Glaubenssätze und Wahrnehmungsfilter
23
Wie unterbricht man Spiele?
24
Die Lösung: Der Weg des Entzugs
25
Anhang I: Motivation
26
Anhang II: Dramadreieck
33
Anhang III: Dopaminerge Bahnen im Gehirn
37
2
Einleitung
Die meisten von uns kennen Situationen, in denen wir unbewusst
etwas dafür tun, dass wir Ablehnung oder Misserfolg erleben. Wir
gehen in die Therapie oder ins Coaching, um die unbewussten
Gründe für dieses selbstzerstörerische bzw. selbstverletzende Verhalten zu bearbeiten.
Wir arbeiten an den traumatischen Erfahrungen, an den systemischen Verstrickungen und an den Entscheidungen und Glaubenssätzen, die sich auf der Basis dieser Erfahrungen gebildet haben.
Und vieles verbessert sich oder hört ganz auf, aber oft bleibt ein Kern
übrig, der uns zwanghaft, so als wenn wir geradezu süchtig danach
wären, zu den immer gleichen Verhaltensweisen treibt, von denen
wir wissen, dass sie uns nicht gut tun. Freud sprach in diesem
Zusammenhang vom Wiederholungszwang.
Und ich kenne keinen Kollegen, der nicht schon daran verzweifelt
wäre, dass er mit bestimmten Klienten an diesem Punkt einfach nicht
weitergekommen ist.
Neuere Forschungen im Rahmen der Neurophysiologie geben uns
einen Hinweis darauf, dass es sich hier tatsächlich um eine Art Sucht
handelt – Sucht nach der Dopamin-Belohnung für ein Verhalten,
dass dafür sorgt, dass wir einen ganz spezifischen Schmerz immer
und immer wiederholen.
Normalerweise
dient
Dopamin dazu Mensch und
Tier dazu zu motivieren,
Situationen zu suchen, die
eine Belohnung oder eine
positive Erfahrung versprechen. Neuere Forschungen zeigen, dass das
Dopamin auch die Wirkung
haben kann, im Nukleus
Accumbens Verhaltensweisen anzuregen, die uns
Situationen
aufsuchen
lassen, vor denen wir eigentlich Angst haben.
Kent Berridge, PhD, und seine Kollegen von der University of
Michigan fanden heraus, dass die beiden Regionen im Nukleus
Accumbens, die für Belohnung und Furcht zuständig sind, nur
wenige Millimeter auseinander liegen. Dopamin spielt hier als Neurotransmitter eine hervorragende Rolle. Durch Injektionen konnte bei
Ratten gezeigt werden, dass je nachdem, in welche der beiden
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Regionen injiziert wurde, die Tiere entweder dreimal mehr aßen als
normal oder sich so verhielten, als sei ein Raubtier anwesend.
Berridge nimmt an, dass Dopamin Fehlfunktionen in diesem Areal
sowohl für exzessives Suchtverhalten als auch für krankhafte Angst
zuständig sind.
Gleichzeitig beeinflussen die Dopamin-Rezeptoren unser Lernen aus
Fehlern. Der Austausch einer Base innerhalb des Gens für den
Dopamin-D2-Rezeptor gibt Hinweise darauf, wie Menschen aus
positiven oder negativen Rückmeldungen lernen. Das hat ein Team
um Markus Ullsperger vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und
Neurowissenschaften in Leipzig herausgefunden.
MPI-Forscher haben mittels funktioneller Magnetresonanztomografie
(fMRT) die neuronale Aktivität untersucht, die dem Fehlerlernen
zugrunde liegt. © MPI
Positive oder negative Rückmeldungen bestärken uns in einem bestimmten Verhalten oder veranlassen uns, fehlerhaftes Verhalten zu
vermeiden. Die Fähigkeit, aus Erfolgen bzw. Fehlern zu lernen,
variiert aber zwischen Individuen. Ein wichtiger Faktor scheint dabei
Dopamin im Gehirn zu sein.
Die Dichte der Rezeptoren für diesen Botenstoff hängt von der
genetischen Variante des entsprechenden Rezeptorgens ab - die
Variante A1 bedingt eine Reduktion der Rezeptordichte. Und das
könnte auch zu einem Defizit in der Fähigkeit führen, aus Fehlern zu
lernen.
Die geringere Empfindlichkeit bei reduzierter Dopamin-D2-Rezeptordichte gegenüber negativen Handlungskonsequenzen liefert somit
erste Hinweise auf einen möglichen neurobiologischen Mechanismus, der die Entwicklung von Sucht und selbstschädigendem
Verhalten begünstigen könnte.
Wenn wir diesen Gedanken weiter denken, dann ist der Schritt zu
folgender Einsicht nicht weit.
Stellen wir uns folgende Situation vor: Ein Kleinkind sucht die Nähe
der Mutter. Wenn dies gelingt, gibt es Dopamin als Verstärker, der
das Kind immer wieder motiviert, dieses Verhalten zu zeigen. Was
passiert aber, wenn die Mutter sich ablehnend verhält? Es gibt einen
emotionalen Schmerz und es entsteht die Angst, dass die nächste
Annäherung wieder auf eine Ablehnung stoßen könnte. Dem
ambivalenten Verhalten der Mutter entspricht jetzt eine ambivalente
Motivationslage des Kindes. Es will hin und hat gleichzeitig Angst
davor.
Da das Kind aber zur Mutter muss, das Bedürfnis ist viel zu stark,
entsteht eine Konditionierung, bei der Dopamin ausgeschüttet wird,
4
wenn das Kind die Angst überwindet. So entsteht ein ambivalenter
Bindungsstil und der Glaubenssatz: Liebe ist ambivalent – und wenn
es nicht ambivalent ist, dann ist es keine Liebe oder langweilig.
Oder stellen wir uns vor, ein Junge hat einen Vater, der nur dann
Interesse an seinem Sohn zeigt, wenn er mit ihm Sport macht. In
diesem Zusammenhang wiederholt sich folgende Situation jedes Mal
von Neuem: Der Junge ist erschöpft und kann nicht mehr, aber der
Vater fordert ihn auf, seinen „inneren Schweinhund“ zu überwinden
und noch weiter zu machen. Nur wenn der Junge das auch tatsächlich tut, erlebt er Anerkennung und Zuwendung von seinem
Vater. Die Folge ist, dass er darauf konditioniert ist, seine
Erschöpfungsgrenze ständig zu überschreiten und sich gerade
dadurch gut zu fühlen. Als Erwachsenen haben wir dann einen
Manager, der wegen eines akuten Burnouts zu uns kommt und
lächelt, während er uns darüber erzählt, dass er ständig über seine
Grenzen geht und Erschöpfung gar nicht mehr richtig wahrnehmen
kann.
Die Hoffnung vieler Psychotherapeuten war es nun, dass durch die
Arbeit an diesen traumatischen Erfahrungen (unterbrochene
Hinbewegung) sich dieses Verhalten auflösen würde. Leider ist das
meist nicht der Fall. Der Grund scheint ganz naheliegend: Die
Interventionen erreichen zwar den präfrontalen Kortex, aber nicht die
Ebene des Nukleus Accumbens, des ventralen tementalen Areals
(VTA) und anderer subkortikaler Strukturen. D. h. die Ebene, auf der
die Sucht nach einem „negativen“ Dopamin-Kick gespeichert ist, wird
nicht automatisch reorganisiert, wenn wir mit den üblichen kognitivemotionalen Techniken arbeiten.
Klienten erleben diese Situation ganz ähnlich wie andere Süchte
auch. Wenn es z. B. in einer Liebesbeziehung zu lange keine
Ablehnungserfahrung gab, dann erleben sie eine unspezifische Erregung, die sie dazu treibt, etwas zu tun, was mit Sicherheit zu einer
solchen führt. Und schon die Partnerwahl ist durch diesen unbewussten Mechanismus beeinflusst; wir suchen unbewusst jemanden,
mit dem wir diese Ambivalenz erneut erleben können.
Diese Sucht führt dann natürlich zu einem entsprechenden Selbstbild, zu entsprechenden Glaubenssätzen über Männer, Frauen,
Beziehungen usw. Es entstehen passende Wahrnehmungsfilter und
Partnerauswahl-Strategien. All dies stabilisiert die Sucht.
Kurz gesagt: Die betreffende Person entwickelt Interaktionsspiele,
die es ihr gestatten, die Erfahrung von Ablehnung, Ambivalenz, Misserfolg und Schmerz immer wieder zu reinszenieren.
Zusätzlich führt diese Dopamin-Fehlfunktion auch dazu, dass
bestimmte neuronale Bahnen in den präfrontalen Kortex blockiert
werden, so dass aus positiven Gegenbeispielen nichts gelernt
werden kann.
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Typische Aussagen auf Entzug: „Junkie Talk“
Für selbstreflexive Wesen wie uns Menschen ist es unmöglich, unser
zwanghaftes Verhalten nicht irgendwie zu rationalisieren. Wir leiden
darunter, wir wissen, dass es unproduktiv ist und wir können es
scheinbar nicht abstellen – also müssen wir es rechtfertigen. Diese
Rationalisierungen nennen wir „Junkie Talk“.
Hier ein Beispiel: Ein Klient, der seit 27 Jahren glücklich verheiratet
ist, kam zu Klaus, da er sich, wie er sagte, mit seiner Frau wegen
jeder Kleinigkeit heftig stritt und diese Situation gerne beenden
möchte. Die Darstellung typischer Streitereien sah so aus, als sei es
immer seine Frau, die den Streit beginnen würde.
In Zuge des Einleitungsinterviews sagte er: „Ich hatte früher auch
sehr harmonische Beziehungen, aber die wurden mir nach kurzer
Zeit langweilig.“ Daraufhin sagte ich zu ihm: „D. h., du möchtest,
dass ich dir helfe, dass deine jetzige Beziehung auch langweilig
wird?“ Er sah mich sehr verwirrt an und sagte dann: „Nein, das ist
doch Quatsch.“ „Ja, die Vorstellung, dass Harmonie gleichbedeutend
mit Langeweile sein muss, ist in der Tat Quatsch!“
Damit war die erste Rationalisierung geplatzt.
Als nächstes sagte er:
„Meine Frau und ich sagen uns immer, dass unsere Streitereien
immerhin dafür sorgen, dass wir nichts Wichtiges unter den Teppich
kehren.“
Klaus: „Du sagtest doch gerade, dass ihr euch wegen Kleinigkeiten
streitet. Und außerdem gehst du von der Vorannahme aus, dass
Streit die einzige und beste Form ist, um Wichtiges nicht unter den
Teppich zu kehren.“
Klient: „Ja, das stimmt, das ist auch Quatsch.“
Klaus: „Stimmt!“
Die zweite Rationalisierung war geplatzt und wir begannen mit einer
Familienaufstellung. Die beiden oben erwähnten Rationalisierungen
sind ein schönes Beispiel für Junkie Talk.
Kurz nach der Aufstellung teilte er mit, dass ihm gerade eine
Erinnerung hochkam. Er saß vor dem Computer, und parallel zur
Arbeit bereitete sich ein Teil von ihm auf den nächsten Streit mit
seiner Frau vor. Es wurde ihm klar, dass seine bisherige Einschätzung, dass seine Frau die Streitereien begann, selbst eine
heftige Verzerrung war.
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Inszenierung von Ablehnungs- und Ambivalenzerfahrungen
Wie oben schon erwähnt ist ein ambivalenter Bindungsstil in der
Regel das Resultat einer ambivalenten Beziehung der Mutter zum
Kind.
Hat sich dieser Bindungsstil erst einmal etabliert und der dazu passende Glaubenssatz „Liebe ist ambivalent“ gebildet, beginnt der
Wiederholungszwang.
Am besten man stellt schon bei der Partnerwahl sicher, dass die
Liebe bzw. die Beziehung mit einem „Ja, aber ...“ beginnt. Z. B.: „Ja,
ich liebe dich, aber ich bin über meine erste große Liebe noch nicht
hinweg.“ „Ja, ich liebe dich, aber du bist mir zu alt.“ „Ja, ich liebe
dich, aber eigentlich bist du mir zu klein.“
Oft ist das aber der jeweiligen Person selbst nicht bewusst. Bei
Vater-Töchtern erleben wir es immer wieder, dass sie seelisch so
fest mit ihrem Vater verbunden sind, dass kein anderer Mann jemals
die Nummer 1 in ihrem Herzen sein kann. Dasselbe gilt natürlich
auch für die so genannten Mutter-Söhnchen.
Oder jemand konnte seine erste Liebe nicht haben, weil der Mann im
Krieg gefallen ist, oder die gesellschaftlichen Vorurteile eine Heirat
verhindert haben. Dies führt oft dazu, dass man an diesen Menschen
seelisch gebunden bleibt und irgendjemanden heiratet, da man nicht
alleine bleiben möchte.
Für jemanden mit dem Glaubenssatz, dass er sowieso nicht voll und
ganz gemeint und geliebt sein wird, ist ein zweiter Platz genau das,
was er erwartet.
D. h. die Startbedingungen der Beziehung sind schon von einer
Grundambivalenz geprägt, die dann die Atmosphäre der Beziehung
dominiert.
Natürlich kann es selbst einem Menschen mit diesem Glaubenssatz
passieren, dass sich jemand in ihn/sie verliebt und ihn wirklich meint.
Diese „Gefahr“ kann man aber leicht dadurch begegnen, dass man
irrational eifersüchtig wird, wegen jeder Kleinigkeit so tut, als ob
der/die andere in Wirklichkeit mit der Beziehung unzufrieden ist. So
kann man z. B. leicht aus der Tatsache, dass der andere gerade
keine Lust auf Sex hat, ableiten, dass man nicht mehr begehrt wird.
Das Unbewusste ist aber noch viel raffinierter. Man stelle sich vor,
dass der Mann aus seiner Unsicherheit heraus oft Sex will, obwohl er
selbst gar nicht besonders erregt ist, da der Sex für ihn eine Art Test
ist, ob seine Frau ihn noch „wirklich“ will. Die Frau spürt natürlich
diese Absicht und den Zustand, in dem der Mann ist, und fühlt sich
manipuliert und missbraucht, was ihre Lust auf Sex nicht gerade
anstachelt. Was dem Mann „beweist“, dass seine Befürchtung
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begründet war. Wir sprechen hier von einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung, deren innere Dynamik dem Mann allerdings verborgen bleibt.
Nach diesem Muster kann man unendliche viele Variationen bilden, um sich
seinen Glaubenssatz und seine Sucht nach Ablehnung sicher zu stellen.
Selbstablehnung des Körpers; Bedürfnisse
Die Möglichkeiten, Ablehnungs- und Ambivalenzerfahrungen zu
inszenieren, bedürfen immer bestimmter Situationen und eines
Gegenübers. Es gibt allerdings noch eine verschärfte Form,
Ablehnung möglich zu machen, nämlich seinen eignen Körper und
seine eigenen Bedürfnisse abzulehnen. Mehr noch, die Kontrolle
darüber zu haben, wann und wie man seinen eigenen Körper und
seine Gesundheit sabotiert. Damit ist gewährleistet, dass diese Form
von Ablehnung zu jeder Zeit möglich ist und keine äußere Situation
braucht oder einen entsprechenden Gegenüber.
Im Fall einer jungen Frau gab es eine frühe Ablehnungserfahrung in
der Kindheit, sowohl von der Mutter als auch vom Vater. Die Folge
war eine ständige Erschaffung von Situationen, in denen gewährleistet war, dass das Ergebnis eine Ablehnungserfahrung war. Man
könnte sagen, Personen und Ereignisse wurden magnetisch angezogen oder auch Ereignisse künstlich erschaffen. Daraus erfolgte ein
immer größer werdendes Misstrauen Menschen gegenüber und ein
Einsamkeitsgefühl. Nach etlichen Reinszenierungen dieser Ablehnungserfahrung traf die Klientin eine Entscheidung, und zwar: „Ich
bleibe lieber ein ganzes Leben allein, als mich so behandeln zu
lassen. Und niemand kann mich so ablehnen und mir weh tun wie ich
mir selbst!“ Das führte natürlich nicht zum vollständigen Abbruch der
Ablehnungserfahrungen, aber zur rechtzeitigen Entdeckung und
damit zur Beendigung der Situation. Gleichzeitig hatte die getroffene
Entscheidung fatale Folgen für die Klientin. Die Aussage: „Niemand
kann mich so ablehnen und mir weh tun, wie ich mir selbst“, führte zu
einem inneren Sabotageprogramm gegen den eignen Körper und
Organismus. Sporteinheiten wurden bis zum Stadium der
Erschöpfung getrieben, Essen wurde akribisch kontrolliert und
Schmerzen als Lebensgrundgefühl etabliert. Und wenn der Körper es
wagte, durch eine Erkältung Fieber zu bekommen, gab es eine
Sporteinheit zusätzlich mit der Kampfansage: „Du kriegst mich nicht
klein, ich zeige dir jetzt mal, wer hier der Boss ist“. Alle natürlichen
Bedürfnisse wie Ruhe, Entspannung und sogar regelmäßiger Schlaf
wurden getilgt. Der innere Zerstörungsdialog sorgte für einen
ständigen Kampfgeist gegen den Körper bis zum völligen Erschöpfungszustand. Und wenn der eintrat, setzte wieder der
Zerstörungsdialog ein: „Du bist halt zu schwach“. Diese Form der
Ablehnung lebt vom ständigen Armdrücken mit sich selbst, indem
man sich in seinem Größenwahn fühlt als sei man der Sieger über
den Körper bei gleichzeitigem Verlust natürlicher Körperempfindungen. Aus anfänglichen Wehwehchen werden dann chronische
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Erkrankungen, die wiederum verhindern, voll und ganz auf seine
Ressourcen zurückzugreifen, und schaffen die Ausrede: „Ich habe
keine Kraft, mich diesen Aufgaben zu stellen.“ Somit haben wir ein
inneres Ablehnungsprogramm des Körpers, seiner Bedürfnissem mit
der Garantie auf vollständige Sabotage seiner Lebensmöglichkeiten,
ohne Einwirken von außen. Bei gleichzeitiger Überzeugung: „Ich
kann ja nichts dafür, mein Körper macht schlapp“, entsteht eine
Abkopplung von Geist und Körper, die auf einer tiefen
Selbstverachtung und Selbstablehnung basiert. Ein würdeloses
Gefühl, deren Fratze so grausam ist, das man alles möglich macht,
um dieses Gefühl nicht spüren zu müssen. Wer dieses Spiel zum
Lebensmodell gemacht hat, bezahlt den Preis, als stolzer lebender
Toter gebrechlich sterben zu dürfen.
Die kommunikative Oberfläche der Dopamin-Falle ist immer ein Spiel
im Sinne der Transaktionsanalyse. Wir werden uns daher im
Folgenden mit der Struktur von Spielen näher beschäftigen.
Was sind Spiele?
Einen besonderen Stellenwert haben in der TA die so genannten
Spiele, die von Berne in seinem Werk "Spiele der Erwachsenen"
erstmals untersucht wurden. Mit Spielen werden in der TA komplexe
Transaktionen bezeichnet, die immer wiederkehrende Muster
aufweisen und zum Schluss meist mit unguten Gefühlen ausgehen.
Im Gegensatz zu dem, was üblicherweise unter Spiel verstanden
wird, definiert Berne den Begriff wie folgt:
Ein Spiel besteht aus einer fortlaufenden Folge verdeckter
Komplementär-Transaktionen, die zu einem ganz bestimmten,
voraussagbaren Ereignis führen. Charakteristisch ist dabei, dass der
Zweck des Spiels die Befriedigung eines psychischen Bedürfnisses
ist, das nur wenig mit dem zu tun haben muss, was vordergründig im
Mittelpunkt des Gespräches steht.
Die Struktur der Spiele1
Der Beginn eines Spiels: Das Ausblenden
Ein Spiel kann nur beginnen, wenn der Spieler ganz am Anfang etwas
Wesentliches ausblendet. Dieses Ausblenden ist fast immer unbewusst.
 Der Spieler blendet etwas bei sich selbst aus.
 Der Spieler blendet etwas aus, was seinen Kommunikationspartner
betrifft.
 Der Spieler blendet etwas aus, was die Realität betrifft.
1
Die Struktur der Spiele orientiert sich an der Darstellung von Renate und Ulrich Dehner: Schluss mit
diesen Spielchen, Campus Verlag
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Dieses Ausblenden können wir auch als eine Form der Verzerrung der
Wirklichkeit verstehen. Sagt z. B. ein Kranker: „Ich muss trotzdem zur
Arbeit gehen, da die anderen Kollegen nicht wissen, wie es geht, und es
eilt sehr.“ Fragt man ihn nun, ob das bedeutet, dass die Firma dicht
machen müsste, wenn er für längere Zeit ins Krankenhaus kommt, dann
wird schnell klar, dass er seine Bedeutung extrem verzerrt hat.
Spielangebote sind auch leicht dadurch zu erkennen, dass der Sprecher
Universalquantifikatoren nutzt: „Du hörst mir nie zu. Immer muss ich alles
alleine machen“, usw.
Man kann ein Spiel aber auch damit beginnen, dass man bei einem
vorhandenen Problem etwas ausblendet:




Man missachtet die Existenz des Problems.
Man missachtet die Bedeutsamkeit des Problems.
Man missachtet die Lösbarkeit des Problems.
Man missachtet die eigene Fähigkeit, das Problem zu lösen.
Der Köder
Anschließend wirft er einen Köder aus, der den Partner, wenn er
anbeißt, mit in das Spiel zieht. Der geübte Spieler weiß intuitiv, dass
er dem anderen das Richtige anbieten muss, damit wirklich ein Spiel
zustande kommt.
Das kann ein Reizthema sein, eine Bemerkung, die der andere
einfach nicht unkommentiert stehen lassen kann, es ist ein Wert
involviert, der dem anderen sehr wichtig ist usw.
Im Zweifelsfalle werden gleich mehrere Köder ausgeworfen, so dass
ganz sicher ist, dass der andere anbeißt.
Ein Köder wird nur dann geschluckt, wenn er auf einen wunden
Punkt des anderen trifft. Sagt man z. B. zu jemandem, für den
Loyalität sehr wichtig ist: „Ich fühle mich von dir im Stich gelassen!“,
dann ist es sehr wahrscheinlich, dass der andere nicht einfach mit
den Schultern zuckt, sondern versucht, sich zu rechtfertigen – und
schon ist er im Spiel.
Bei einem anderen reicht vielleicht schon ein leidendes Gesicht oder
der Satz: „Mir geht es gar nicht gut.“
Wenn ihr eure eigenen wunden Punkte kennen lernen wollt, fragt
euch ganz ehrlich:
 Wo fühle ich mich schnell angegriffen?
 Worauf muss ich einfach reagieren?
 Welche Behauptungen oder Unterstellungen zwingen mich dazu,
mich zu verteidigen?
 Wo entsteht ein innerer Druck für mich zu handeln?
Spiele dienen in der Regel dazu, die eigene Lebensposition und das
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Bild, welches wir von anderen bzw. uns selbst haben, zu bestätigen.
Ein typisches Spiel wird z. B. aus der Opferposition heraus
begonnen, etwa mit dem „Ruf nach Hilfe“. Beteiligte können in dieses
Spiel einsteigen und Vorschläge zur Lösung anbieten („Warum
machst du nicht …?“). Das Opfer hält aber seine Position aufrecht,
indem es die Vorschläge abwertet („Ja, aber …“). Die Überzeugung
„Ich bin hilflos“ wird durch dieses Spiel aufrechterhalten und
bestätigt. Das Dramadreieck von Stephen Karpman hilft bei der
Klärung solch unproduktiver Kommunikationsabläufe.
Im Anhang findet ihr einen Text zum Thema Dramadreieck.
In besonderen Situationen, z. B. bei verbalem Flirten, können von
den Transaktionspartnern auch Spiele im Sinne der Transaktionsanalyse entwickelt werden, die von den Beteiligten als angenehm
und reizvoll empfunden werden.
Spiele sind immer Ausdruck eines Sekundärgefühls und dienen
dazu, andere Menschen in die Aufrechterhaltung eigener ungelöster
Konflikte einzubinden.
Da diese Absicht mit den geltenden moralischen und ethischen
Standards unvereinbar ist, darf, kann und will der Spieler sich diese
Motive nicht bewusst machen. Dies bedeutet natürlich nicht, dass sie
ihm völlig unbewusst sind. Daraus entsteht ein vorbewusstes
Dilemma, welches das Selbstwertgefühl der Person untergräbt.
Dies führt dann wiederum oft dazu, dass man sich, um sein schlechtes
Gewissen
irgendwie
ausdrücken
zu
können,
ein
Minderwertigkeitsgefühl zulegt, was sozusagen bewusstseinsfähig
ist. Man hält sich für nicht attraktiv, intelligent, kreativ usw., um sich
nicht eingestehen zu müssen, dass das eigentliche Problem das
würdelose Verhalten ist, dass sich in jedem Spiel äußert.
Gleichzeitig ist es ein wesentliches Merkmal der Spiele, dass man
nicht die Verantwortung dafür übernimmt, sondern diese auf die
Mitspieler schiebt. Sicherlich haben diese ihre Verantwortung für ihr
Mitspielen, aber das entlastet denjenigen, der das Spiel inszeniert, in
keiner Weise.
Dabei ist zu beachten, dass Menschen in der Regel sofort ein
Störgefühl bekommen, wenn jemand ihnen gegenüber ein Spiel beginnt. Das Unterbrechen des Spielangebots ist darum so schwierig,
weil eine Unterbrechung fast immer im Gegensatz zu den üblichen
Höflichkeitsregeln steht. Der Spieler nutzt also die Höflichkeitserziehung seines Gegenübers aus, um ihn zum Mitspielen zu
erpressen.
Da die Spiele für den Spieler selbst letztlich unbefriedigend bleiben,
bestrafen sie sowohl die Mitspieler, aber natürlich besonders die, die
nicht mitspielen, mit ihrer Verachtung.
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 Spiele sind absolut notwendig, um Selbstsabotage und
Selbstschädigung realisieren zu können.
 Sie garantieren ein akzeptables Selbst- und Fremdbild.
 Ich kann weder mir noch dem anderen eingestehen: „Ich bin
süchtig nach Ablehnungserfahrungen, und darum manipuliere ich
unsere Kommunikation so lange, bis ich bekomme, was ich will.
Anschließend gebe ich dir die Schuld dafür, dass ich mich
schlecht fühle.“
 Und die jeweiligen Spiele haben die Funktion, diese entwürdigenden Strategien zu verschleiern.
Die Konfrontation mit diesen unappetitlichen Aspekten unseres
Verhaltens ist eine wesentliche Voraussetzung für den Ausstieg aus
der Dopamin-Falle und dem Wiederholungszwang.
Die Eskalation des Spiels: Härtgrad 1 - 3
Jedes Spiel beginnt normalerweise auf dem Härtegrad 1, d. h. hier
geht es um die kommunikative Ebene. Es geht um Aufmerksamkeit,
darum, dass man sich bestimmte Glaubenssätze über sich und die
Welt immer wieder bestätigt.
Wenn die Umgebung aber auf diese Ebene nicht oder nicht genug
eingeht, dann hat der Spieler die Option, den Härtegrad des Spiels
zu verschärfen. Jetzt kann er seine materielle Sicherheit, seine
Gesundheit oder seinen sozialen Status als Erpressungsmittel
einsetzen:
 „Wenn du mir nicht hilfst, schaffe ich mein Abitur nicht.“
 „Wenn du mich nicht liebst, werde ich krank.“
 „Wenn du meine Schulden nicht bezahlst, muss ich einen
Offenbarungseid ablegen.“
Wenn das auch noch nichts hilft, dann gibt es immer noch die
Möglichkeit, sein Leben einzusetzen:
 „Wenn du mir nicht hilfst, bringe ich mich um.“
 „Wenn du mich nicht liebst, saufe ich mich zu Tode.“
 „Sie sind als Therapeut, Arzt usw. meine letzte Hoffnung, wenn Sie
mir nicht helfen können, dann hat das Leben keinen Sinn mehr für
mich.“
Ob ein Spieler so weit geht, dass er das Spiel auf Härtegrad 2 oder 3
eskaliert, ist nie ganz sicher. Allerdings bedeutet das nur, dass er
dann den Spielpartner wechselt. Wenn ein Spiel einfach nicht funktioniert, führt das immer dazu, dass der Spieler oder sein möglicher
Partner die Transaktion abbricht.
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Beispiele für Spiele
„Das Aufmerksamkeitsspiel“
Jeder Mensch und natürlich jedes Kind braucht Aufmerksamkeit, um
sich gesehen und wertgeschätzt zu fühlen. Wenn ein Kind ein
Aufmerksamkeitsdefizit hat, dann versucht es alle möglichen
Varianten, um doch noch die Aufmerksamkeit zu bekommen, die es
braucht. Es wird vorlaut, krank, aggressiv, es versucht über Leistung,
Hilfsbereitschaft, Nettsein usw., Aufmerksamkeit zu bekommen.
Je nachdem, welche der Strategien in der Kindheit gut funktioniert
hat, werden diese Strategien auch als Erwachsener genutzt.
So haben wie den Seminarteilnehmer, der über Fragen und
Bemerkungen Aufmerksamkeit erzwingt, wir haben Menschen, die
über ihre Probleme und Krankheiten Aufmerksamkeit zu erzwingen
versuchen, wir haben Menschen, die über flirtives Verhalten
versuchen, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen.
Die Wirkung bei den Spielpartnern ist über kurz oder lang immer
dieselbe – man ist genervt. Und nur der jeweilige wunde Punkt
zwingt uns dazu, zumindest für eine Weile, mitzuspielen.
„Jetzt habe ich dich, du Schwein“ (Märtyrerrolle)
„Jetzt habe ich dich, du Schwein“ ist eines der weitest verbreiteten
Spiele, das auf einem Ur-Misstrauen Menschen gegenüber basiert.
Die Kernüberzeugung bzw. der Kernglaubenssatz lautet: „Du kannst
niemanden vertrauen“, und ich setzte alles daran den Anderen und
mich selbst davon zu überzeugen. Das Gegenüber wird voller
Misstrauen beobachtet, es wird auf Situationen gewartet und es
werden Situationen geschaffen, um das Verhalten immer wieder aufs
Neue zu testen. Es entsteht eine Rechtfertigungsschleife, deren
Rollenverteilung klar nach Opfer und Aggressor unterscheidet.
Ein typisches Beispiel auf der Beziehungsebene wäre der
eifersüchtige Partner. Alle Überzeugungsversuche, dass die Liebe
auf absoluter Treue basiert, werden getilgt. Das kann folgendermaßen aussehen: Ein Paar sitzt im Restaurant beim Essen. Am
Nebentisch sitzen zwei attraktive Frauen. Die Partnerin hat die
Frauen sofort bemerkt und beobachtet nun ihrem Partner ganz
akribisch. Als er dann gleichzeitig mit der Frau am Nachbartisch auf
die Toilette geht und sie als Erste vorbeilässt, ist das Drama entfacht.
Seine Partnerin konfrontiert ihn nun damit, dass er die Frau lüstern
angesehen hat. Er beginnt sofort, sich zu rechtfertigen, worauf sie
kontert: „Ich habe es doch ganz genau gesehen, wie du sie
angesehen hast. Von wegen, ich bin die Einzige für dich.“ Was sie
genau genommen sagt, ist aber „Ich wusste doch, dass man dir nicht
vertrauen kann, und jetzt habe ich dich, du Schwein.“ Das Spiel lebt
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davon, dass das Gegenüber nicht gewinnen kann und der Spieler mit
allen Mitteln seinen Partner davon überzeugen will, dass er nicht
liebenswert ist oder ein hoffnungsloser Fall. Der Anteil, der dieses
Spiel spielt, lässt sich immer neue Tests einfallen, und dabei gibt es
kein Spielende. Streng genommen bedeutet das, dass das Gegenüber über kurz oder lang das Handtuch wirft.
Und damit kommen wir zur nächsten Ebene des Spiels: Was nun
folgt ist, dass sich die verlassene Partnerin nun bestätigen kann: „Ich
wusste doch, dass ich niemanden trauen kann, er sagte, er liebt
mich, und hat mich dann verlassen. Wenn er mich wirklich geliebt
hätte, wäre er geblieben“. Nun schwelgt sie im bittersüßen Schmerz
der abermals unerfüllten Liebe und sagt sich: „Wirklich erfüllte Liebe
gibt es nicht.“ Gleichzeitig fühlt sie sich in diesem bittersüßen
Schmerz groß und mächtig, da sie in der Lage ist, diese
Enttäuschung zu tragen, somit haben wir den klassischen Märtyrer!
Der Preis dieses Spiels ist die Isolation vom Leben, der Liebe und
Glück. Der Ursprungskernglaubenssatz und das daran gekoppelte
Gefühl ist: „Ich bin nicht liebenswert“, und beruht auf einer tiefen
Ablehnungserfahrung aus der frühen Kindheit, z. B. der
unterbrochenen Hin-zu-Bewegung zur Mutter. Und damit kommen
wir gleich zu einem weiteren Spiel: „Das Nähe-Distanz Spiel“.
„Das Nähe-Distanz-Spiel“
Wie eben erwähnt beruht das „Nähe-Distanz-Spiel“ auf einer tiefen
Ablehnungserfahrung in der Kindheit, deren Ursprung in der MutterKind-Beziehung liegt. Man kann sich das wie folgt vorstellen: Eine
Mutter, die aus ihrer eigenen Prägung heraus keinen freien Zugang
zu ihren Gefühlen hat, bekommt eigene Kinder. Nun spürt sie die
Liebe zu ihrem Kind und nimmt es auch in den Arm, aber ab einem
gewissen Punkt wird ihr die Nähe zu viel, und sie stößt das Kind von
sich. Das macht sie nun immer wieder. Die Bedürfnisse des Kindes
werden nicht berücksichtigt und in den Vordergrund gestellt. Das
Kind lernt nun auf der emotional-körperlichen Ebene, dass es zwar
Liebe und Nähe erhält, aber nur bis zu einem bestimmten Punkt, und
dann werden die Bedürfnisse abgelehnt. Wenn sich diese Erfahrung
mehrmals wiederholt hat, manifestiert sich diese Erfahrung und damit
die Erkenntnis „Ich bin zu viel“, „Ich bin nicht o. k.“, „Meine
Bedürfnisse sind nicht wichtig“. Auf der Verhaltensebene bedeutet
dies, dass das Kind im Erwachsenenalter, vor allem auf der MannFrau-Ebene, Nähe zulässt und ab einem bestimmten Punkt
zurückschreckt und das Gegenüber wegstößt/ablehnt. Dies ist eine
Vermeidungsstrategie des Kindes, da es durch die Mutterbindung
gelernt hat, dass die Nähe ab einem bestimmten Zeitpunkt aufhört,
sorgt es dafür, diese Ablehnungserfahrung nicht zu erleben und
bricht damit den Nähe-Kontakt ab. Das wäre die emotionalkörperliche Ebene.
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Im „Nähe-Distanz-Spiel“ wird ein Partner gewählt wird, der
gewährleistet, dass man die Macht hat, ihn anzuziehen und
wegzudrücken. Im Grunde genommen bedeutet das: „Nur wenn ich
bestimmen kann, wie nah es wird, behalte ich die Kontrolle und fühle
mich sicher“, und im umgekehrten Fall: „Nur wenn ich abgelehnt
werde, werde ich geliebt.“ Beliebte Aussagen sind noch: „Ich brauche
meine Freiheit“, „Ich mag es nicht, wenn jemand so an mir klebt“,
„Klammern in der Beziehung nimmt mir die Luft zum Atmen.“ Somit
werden Ablehnung und Liebe in Zusammenhang gebracht.
Gleichzeitig werden Menschen, die nicht auf dieses Spiel reagieren
und einen wirklich meinen, als „Staatsfeind Nummer Eins“ betrachtet.
Es ist die tiefe Sehnsucht nach Liebe bei gleichzeitiger Ablehnung
seiner selbst, die dieses Spiel am Leben hält. Nur in der Ambivalenz
wird ein Gefühl von Liebe zugänglich bei gleichzeitiger Vermeidung
wahrer Begegnungen und Nähe.
„Sieh bloß, was du angerichtet hast“ (Schuld)
Bei dem Spiel „Sieh bloß, was du angerichtet hast“ geht es darum,
nicht die Verantwortung für sich zu übernehmen, und darum dem
Spielpartner die Schuld in die Schuhe zu schieben.
Eine Variante dieses Spiels besteht darin, dass sich z. B. der Vater
auf der Basis seiner Unzufriedenheit mit der Ehe- bzw.
Lebenssituation oft zurückzieht und bei jeder „Störung“ so tut, als ob
diese dafür verantwortlich ist, dass er irgendeinen Lapsus gemacht
hat. Dies gibt ihm dann den Vorwand, seiner Unzufriedenheit in Form
von Vorwürfen Luft zu machen. Dies führt sehr schnell dazu, dass
keiner mehr wagt, ihn zu unterbrechen, und er in seiner selbst
gewählten Isolation bleibt. Er übernimmt nicht die Verantwortung für
seine Unzufriedenheit.
Eine andere Variante könnte darin bestehen, dass der Mann die
Verantwortung für das Haushaltsgeld und/oder die Erziehung der
Kinder der Frau überlässt, um ihr dann Vorwürfe machen zu können.
Dieses Spiel kann man natürlich auch im Beruf spielen, indem man
„ganz demokratisch“ die Mitarbeiter um Vorschläge bittet. Wenn sich
diese dann nicht als erfolgreich erweisen, kann man die Verantwortung auf die Mitarbeiter abwälzen. Der Chef „vergisst“ dabei, dass er die
alleinige Verantwortung dafür trägt, welche Vorschläge er annimmt und
welche nicht.
Solche Spiele mitzumachen setzt natürlich voraus, dass man ein
entsprechendes komplementär Programm hat, z. B.: „Ich wollte ja
nur helfen,“ oder „Wenn ich dem anderen nicht alles abnehme, was
er nicht gerne macht, dann kann ich auch nicht erwarten, dass er
mich liebt.“ Alle komplementären Programme sind letztlich Ausdruck
eines eigenen Minderwertigkeitsgefühls, man glaubt, kein Recht zu
haben, sich gegen diese Schuldzuweisungen und gegen das
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dahinter liegende Spiel zu wehren. Je anfälliger jemand für Schuldzuschreibungen ist, weil er damit aufgewachsen ist und sowieso
glaubt „Ich bin an allem Schuld!“, desto einfacher ist es natürlich, ihn
in ein solches Spiel hineinzuziehen.
Die einzige Möglichkeit, dieses Spiel zu unterbrechen, besteht darin,
die Verantwortung ganz bei dem anderen zu lassen und keine gut
gemeinten Ratschläge zu geben.
Eine besonders perfide Variante dieses Spiels besteht darin, aus
Angst vor Nähe oder Intimität „rechtzeitig“ eine Situation zu kreieren,
die dem anderen die Schuld dafür in die Schuhe schiebt, das die
schöne Stimmung wieder mal im Eimer ist.
Liebesentzug/Sexentzug
Eines der Standardspiele und gleichzeitig eines der Standard-Racheprogamme auf der Mann-Frau-Ebene ist das Liebesentzugs- bzw.
Sexentzugspiel. Bevorzugt wird das Spiel von Frauen gespielt.
Historisch gesehen wurden Frauen durch die Geschichte hindurch
benachteiligt und unterdrückt. Da wir hier von einer faktischen ökonomischen, gesellschaftlichen, religiösen und körperlichen Unterlegenheit ausgehen müssen, ist das Verbrechen an den Frauen über
alle Maßen grausam. In der Moderne und den daraus entstandenen
Rechten der Frauen wurde zumindest eine rechtliche Ebene auf
Augenhöhe geschaffen. Die moderne Frau ist weder finanziell noch
emotional-kognitiv abhängig vom Mann. Gleichzeitig ist die Rede von
„der Rache der Frauen an den Männern“.
Die psychosexuelle Entwicklung des Mannes und der Frau verläuft
auf folgende unterschiedliche Weise ab. Der Mann wird schon sehr
früh in seiner psychosexuellen Entwicklung mit dem hormonellen
Druck auf Samenentleerung konfrontiert. Jegliche Unterdrückung
dieses Impulses sorgt in den Nächten für feuchte Träume, damit
nimmt der natürliche Zyklus den Samenstau in die Hand und sorgt
für Entleerung. Dieser natürliche Ejakulationsreflex macht es für
Männer generell viel schwieriger als für Frauen, ihre sexuellen
Impulse zu unterdrücken. Was nicht bedeutet, dass es nicht möglich
ist, doch dieser Unterdrückungsmechanismus muss sich schon in der
frühen Kindheit des Mannes gefestigt haben. Bei Frauen ist das nicht
der Fall, sie werden nicht von feuchten Träumen heimgesucht und
können den Sexualreiz viel besser unterdrücken bzw. kontrollieren.
Nehmen wir ein Paar, das in einer festen Beziehung lebt. Der Sex
war zwischen beiden nie ein Thema, ganz im Gegenteil, das
Begehren wurde ausgiebig miteinander ausgelebt. Nach einigen
Jahren Beziehung findet die Frau heraus, dass ihr Partner sie
betrogen hat. Und er streitet es nicht ab und bittet um Verzeihung.
Nach einiger Zeit verzeiht sie ihm den Seitensprung - mit einer
kleinen Einschränkung -, die spricht sie natürlich nicht aus, aber
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denkt sich: „Wenn du denkst, dass ein „Es-tut-mir-leid“ ausreicht, und
dann ist alles wieder beim Alten, dann irrst du dich!“ Der Partner
spürt natürlich die Distanz und versteht, dass es Zeit braucht, bis die
Annäherung wieder möglich wird. Er bemüht sich, schenkt ihr
Blumen, führt sie regelmäßig zum Essen aus und denkt sich
innerlich: „Wenn ich mich nur genug bemühe und ihr meine Reue
zeige, dann wird alles so wie früher.“ Das beteuert seine Frau auch
und weist daraufhin, dass Wunden und Verletzungen Zeit brauchen,
bis sie heilen. Nur eine wichtige Botschaft äußert sie nicht, und zwar:
„Das wirst du mir büßen!“ Sie lächelt und ist gewillt, an der
Beziehung zu arbeiten und das verloren gegangene Vertrauen
wiederzuerlangen. Die Tage vergehen und sie fällt abends völlig
erschöpft ins Bett, da der Arbeitsalltag so schwer war. In den darauf
folgenden Nächten hat sie schwäre Migräne und am Ende ist sein
Schnarchen so laut, dass sie lieber im Gästezimmer übernachtet.
Der Mann kommt sich langsam wie ein Lüstling vor, da alle seine
Annäherungsangebote abgelehnt werden, und er spricht sie darauf
an mit den Worten: „Ich habe den Eindruck, du magst nicht mehr mit
mir schlafen, bin ich nicht mehr begehrenswert?“ Die Frau versteht
gar nicht, was er meint, und entgegnet: „Nein, mein Schatz, wie
kommst du denn darauf, ich bin in letzter Zeit so erschöpft, und dann
immer diese Migräne, so dass ich zu nichts zu gebrauchen bin. Das
hat doch nichts mit dir zu tun.“
Nun hätten wir das Racheprogramm der Frau, das verpackt im
Engelsgesicht und liebevollen Worten eigentlich meint: „Dir werde ich
es zeigen, wen du betrügen kannst.“ Gleichzeitig erpresst sie durch
die vorgeschobenen Begründungen ein emotionales Verständnis des
Partners. Dieser hat durch seinen Seitensprung solch ein schlechtes
Gewissen, dass er gar nicht wagt, sein Störgefühl wahrzunehmen
oder zu äußern.
Nach langem Sexentzug beginnt der Mann erneut eine Affäre und
die Partnerin kommt erneut dahinter. Jetzt ist das Drama perfekt, und
sie entgegnet ihm: „Von wegen, es tut dir leid und es kommt nie
wieder vor, ich habe dir eine zweite Chance gegeben, und du
hintergehst mich wieder. Jetzt habe ich dich, du Schwein!“
Wie kommt es, dass sie sich nicht gleich von ihm getrennt hat und
stattdessen dieses Racheprogramm bevorzugt? Eine These könnte
sein, dass ihre Mutter mit einem Mann, ihrem Vater, verheiratet war,
der sie ständig betrogen hat. Und statt ihn zu verlassen, wurden
Ausreden vorgeschoben, z. B.: „Wegen euch Kindern bin ich mit ihm
zusammengeblieben“ oder „Ich habe ihn doch geliebt.“ Was weiß
das Kind nun? Mutti handelt aus Liebe zu ihren Kindern oder aus
Liebe zu ihrem Mann oder eben beides. Und gleichzeitig leidet sie
furchtbar darunter. Nun sucht sich das Kind im Erwachsenenalter
Männer, die untreu sind, da der Glaubenssatz ist: „Wahre Liebe und
Treue gibt es gar nicht. Und für mich ist das nicht vorgesehen.“ Aber
es gibt noch eine wichtige Ebene, und zwar die Rache des Kindes an
den Männern für die Mutter! Da das Kind mit der Traurigkeit der
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Mutter aufgewachsenen ist, hervorgerufen durch die Seitensprünge
des Vaters, gab es auch eine Art Solidarisierung des Kindes mit der
Mutter. Und so fasst die Tochter den Entschluss: „Mutti, für dich
räche ich mich an den Männern!“
„Ich armer Teufel“ und „ Ich bin behindert“
Beide Spiele rechnet man in der TA zu den so genannten DoktorSpielen.
Die harte Variante dieses Spiels sind Menschen, die seit Jahren
arbeitslos sind, von der Sozialhilfe leben und alle Versuche, sie zu
qualifizieren und wieder in die Berufswelt zu integrieren, scheitern bei
ihnen. Das sind die so genannten schweren Fälle oder „die armen
Teufel“. Ihre Spielpartner sind häufig Sozialarbeiter, die ihr Leben mit
dem Spiel verbringen: „Ich will dir ja nur helfen.“
Aber auch außerhalb dieses Kontextes finden wir Menschen, die ihre
Zukunft aufs Spiel setzen, weil sie einfach nicht die nötigen Schritte
unternehmen, um aus der kindlichen Abhängigkeit von den Eltern,
der begüterten Oma usw., herauszukommen. Sie sind ständig dabei,
irgendwelche Projekte zu starten, bei denen aber von vornherein klar
ist, dass sie scheitern werden oder nicht das finanzielle Potenzial
haben, den Betreffenden zu ernähren.
Ironisch wird es dann, wenn z. B. ein Arbeitsloser unbedingt
Verkäufer werden will, aber sehr stark stottert und deswegen eine
Sozialphobie hat. Er hat sich mit diesem „Traumjob“ einen gesucht,
bei dem die Gefahr, dass er ihn findet, bei Null liegt.
Dieses Spiel stellt den Versuch dar, andere Menschen in die Position
zu bringen, dass sie sich für das materielle und/oder psychische
Wohlergehen verantwortlich fühlen.
Hier helfen nur das klare Aussprechen des Spiels und die
Verweigerung jeglicher weiterer Unterstützung.
Oft ist dieses Spiel die Fortführung eines Erpressungsspiels des
Kindes, das versucht hat, über diese Schiene die Aufmerksamkeit
der Mutter oder des Vaters zu erpressen.
Aber auch der Künstler, der längst nicht so begabt ist, wie er selbst
glaubt, und es immer wieder fertig bringt, Frauen in die Rolle zu
manipulieren die Verantwortung für sein materielles Überleben zu
übernehmen, gehört in diese Kategorie.
Eine verschärfte Variante dieses Spiels ist das Spiel mit einer
tatsächlichen Behinderung (Stottern, Amputation, Blindheit usw.)
oder einer vorgeschobenen (sozialer Stress, ständige Kopfschmerzen, der unerträgliche Konkurrenzkampf in unserer
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Gesellschaft usw.).
Der Spieler macht eine tatsächliche oder vermeintliche Behinderung
zum Vorwand dafür, dass man an ihn keine normalen Erwartungen
haben darf, also ihn schonen muss: „Was erwarten Sie eigentlich von
einem Mann mit Holzbein?“
Diese Menschen sind natürlich für alle, die das Spiel „Ich will dir ja
nur helfen“, spielen, ein gefundenes Fressen. In diesen Fällen haben
weder der Klient noch die co-abhängigen Familienangehörigen ein
echtes Interesse an Besserung.
Um sich die tatsächliche Dynamik dieses Spiels klar zu machen,
muss man sich nur für einen Augenblick vergegenwärtigen, dass es
sehr viele Menschen gibt, die trotz ihrer Behinderung
außergewöhnliches leisten. Milton Erickson oder Wolfgang Schäuble
waren/sind trotz ihrer Abhängigkeit vom Rollstuhl sehr produktiv. Es
gibt stotternde Trainer, die ihre Sache sehr gut machen, blinde
Anwälte und Menschen, die tatsächlich ein Holzbein haben und
trotzdem mit ihrer Frau zum Tanzen gehen.
Jede tatsächliche oder vermeintliche Behinderung kann zum
Vorwand werden, die Verantwortung für das eigene Leben auf
andere abzuschieben. Häufig verhalten sich diese Bedürftigen ihren
Helfern gegenüber sehr ungnädig.
„Ich bin überarbeitet“
„Ich bin überarbeitet“ gehört zu den Erschöpfungs-Spielarten. Der
Klassiker ist der berufstätige Mann, der spät von der Arbeit kommt
und so erschöpft ist, dass er nicht am familiären Leben teilnehmen
kann. Die Wahrheit ist aber, dass er dem familiären Treiben aus dem
Weg gehen möchte und dafür eine passende Ausrede hat: „Ich bin
erschöpft“, und er möchte bedauert werden, dass er sich so aufopfert
für seine Familie. Die Standardaussagen sind: „Ich mache das doch
für euch.“ „Wenn ich könnte, würde ich viel lieber Zeit mit euch
verbringen.“ Das Spiel lebt sozusagen von dem Verständnis der
Ehefrau und seiner Kinder bei gleichzeitigem Vorwurf, der sagt:
„Wenn ihr nicht wärt, dann müsste ich nicht so viel arbeiten und wäre
somit auch nicht ständig erschöpft.“ Das sorgt beim Gegenüber für
ein schlechtes Gewissen, was wiederum dafür sorgt, dass der
Partner/die Partnerin seine/ihre Bedürfnisse nach familiärem Kontakt
unterdrückt.
Mehr noch, in diesem bestimmten Fall kann man davon ausgehen,
dass der Mann sein Wunschbild der Mutter geheiratet hat. Damit ist
gemeint, dass Mutti die Person war, die alle Bedürfnisse zur Seite
gelegt hat, um für die Familie da zu sein, während der Ehemann
gearbeitet hat. Somit wäre die Idealpartnerin des Kindes eine wie
Mutti. Eine, die sich aufopfernd um Heim und Kinder kümmert. Um
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das aber nicht äußern zu müssen, ist das Zurückgreifen auf eine
passable Ausrede wie „Ich bin erschöpft und überarbeitet“ das Mittel
der Wahl. Der Kernglaubenssatz solcher Spieler wäre dann: „Die
ganze Welt dreht sich nur um mich und meine Bedürfnisse“, und um
das nicht zugeben zu müssen, wird ein schlüssiges Ausredemodell
geschaffen, dem das Gegenüber nichts entgegensetzten kann:
„Schließlich macht er das ja für uns.“ Man könnte sagen, der Spieler
erpresst sich so ein Verständnis und ein Bedauern von der Partnerin.
Gleichzeitig gibt es noch eine Ebene, die wichtig wäre zu erwähnen.
Wenn dieses Spiel nun greift und der Spieler sein Verständnis und
Bedauern erhält, kann er sich gleichzeitig in der Erschöpfung groß
und heroisch fühlen, da er sich augenscheinlich für das Wohl der
Familie aufopfert.
Ein weiteres Beispiel und meiner Meinung nach sehr häufig
gewählter Kontext, ist: „Ich bin zu erschöpft, um mich jetzt darauf zu
konzentrieren.“
Nehmen wir die Seminarsituation z. B. in der Ausbildung zum NLPPractitioner. Jetzt haben wir einen augenscheinlich sehr motivierten
Teilnehmer, der sich schon darauf freut, die mitgelieferte Literatur zu
studieren. Nun ist es Samstag früh, und er hat sich ganz fest
vorgenommen zu lesen, da bemerkt er, wie ihn eine Müdigkeit
überkommt, die er gleich auf seinen harten Job zurückführt, und legt
sich hin. Der Arbeitsalltag beginnt Montag früh, und er nimmt sich
gedanklich vor, nach der Arbeit zu lesen. Nun arbeitet er viel zu
lange, so dass er völlig erschöpft ins Bett fällt. Das Muster wiederholt
sich täglich, und an den Tagen, an denen er früher Schluss macht,
rennt er zum Einkaufen, muss die Wohnung putzen und alles
erledigen, was liegengeblieben ist. Er schläft unter dem Stress nicht
mehr gut und isst unregelmäßig, der Körper brütet wieder mal eine
Erkältung aus, und er muss kapitulierend sagen: „Ich bin zu
erschöpft, um mich auf NLP zu konzentrieren.“ Wenn nun das
Gegenüber ein Tabu aus seiner Familie aufrechterhält, z. B. die
Mutter hat Krankheit als Ausrede benutzt, um die Hilfe des Kindes zu
erpressen, und das Ganze mit dem Tabu unterlegt: „Sprich niemals
das schmerzhaft Offensichtliche an und teile meine Illusion“, dann
haben wir den Spielgewinn des Spielers. Er äußert, dass er erschöpft
und kränklich ist und deshalb nicht weiterkommt. Der Appell an den
anderen ist: „Habe Verständnis, teile meine Illusion, sei
verständnisvoll und, im härtesten Fall: rette mich!“
Selbstsabotage in Beruf und Fortbildung
Selbstsabotage meint hier ein sich wiederholendes Muster, mit dem
eine Person die bewusst angesteuerten Ziele unbewusst vereitelt.
Dies kann im Einzelnen wie folgt aussehen:
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 Ein Verkäufer, der natürlich gerne viel Umsatz machen möchte,
bekommt immer gerade dann ein Motivationsloch, wenn es
besonders gut läuft.
 Ein Angestellter, der gerne Geschäftsführer werden möchte,
bricht völlig unnötig einen Streit mit dem Inhaber vom Zaun, wenn
seine Beförderung zum Greifen nahe ist.
 Ein Teilnehmer an einer selbst gewählten Weiterbildung erlebt
immer dann, wenn er sich zum Lernen aufraffen will, lähmende
Müdigkeit.
Diese Beispiele ließen sich beliebig vermehren. Allen gemeinsam ist,
dass ein unbewusster Persönlichkeitsanteil eine ambivalente SkriptBotschaft realisiert: „Junge, mach was aus dir, aber ...!“ Was nach
dem „Aber“ kommt, kann sehr unterschiedlich sein, z. B. „Werde
nicht erfolgreicher als dein Vater, letztlich wirst du es sowieso nicht
schaffen, du gehörst nur zu uns, wenn du auch arm und erfolglos
bleibst, warum soll es dir besser gehen als mir/uns“, usw.
Was auffällt: Wenn Menschen über dieses Muster reden, pflegen sie
auf eine eigentümliche Art zu lächeln. Das ist das Lächeln des
kleinen Kindes, das Mutti oder Vati anlächelt und denkt: „Na, mache
ich es nicht gut für euch?“ Dieses Lächeln deutet unserer Meinung
nach auch darauf hin, dass mit diesem „Versagen“ ein Dopamin-Kick
verbunden ist. Unser Gehirn belohnt uns auf der Basis früherer
Konditionierungen für diese Selbstsabotage mit Dopamin: Mach’s
noch einmal, Sam!
Aufmerksamkeitsspiele: „Alarm schlagen“
Im Coaching wird man häufig mit dem Spiel „Alarm schlagen“
konfrontiert. In Seminaren kann man es auch immer wieder beobachten, wie bestimmte Teilnehmer gerne auf das Spiel zurückgreifen, das wie folgt abläuft. Wir nehmen einen Teilnehmer, der
vordergründig immer beteuert er, würde alles tun und jede Hilfe
annehmen, um sich aus seinen Problemschleifen zu befreien. Dabei
setzt er immer den gleichen leidenden Gesichtsausdruck auf, und die
weinerliche, verzweifelte Stimme summt leise: „Hilf mir“! Gut, das tut
man dann auch, der Therapeut legt sich ins Zeug und legt ein sehr
tiefgehendes Coaching ab. Jetzt müsste man meinen, dass der
Teilnehmer, zwar noch etwas aufgewühlt, aber erleichtert, froh ist
über die neu gewonnen Erkenntnisse und die Auflösung. Aber
Folgendes ist der Fall: Der Teilnehmer sieht aus, als wäre er
gezwungen worden, in der Hölle mit dem Teufel um sein Leben zu
pokern. Sein leidender Gesichtsausdruck verändert sich zu einem
Ausdruck des Entsetzens. Auch hier läuft das Aufmerksamkeitspiel
weiter. Was vor der Intervention noch „Mir geht es so schlecht, bitte
hilf mir“ hieß, heißt jetzt „Sieh, wie schlecht es mir geht, und bedaure
mich dafür.“
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Beim nächsten Mal kommt der Teilnehmer zum Seminar und sieht
wesentlich entspannter aus, sodass man davon ausgehen kann,
dass es ihm viel besser gehen muss. Er lacht und hat offensichtlich
Spaß. Nun kommen andere an die Reihe und es folgen Coachings.
Das nimmt dieser Teilnehmer wahr, und langsam aber stetig
verändert sich sein Gesichtsausdruck von freudig lächelnd in leidend
weinerlich. Jetzt ist es soweit, Bühne frei für den 2. Akt. Er schlägt
Alarm! Nur niemand reagiert erst mal auf ihn, somit nimmt er sofort
Kontakt zum Seminarleiter auf, um ihn darüber in Kenntnis zu
setzten, wie bei ihm ein tiefes Gefühl der Verzweiflung und
Traurigkeit angetriggert wurde, bei der letzten Demo. Dabei bekommt
er fast keine Luft mehr und wirkt wie ein Häufchen Elend, und damit
wären wir wieder bei dem Appell „Hilf mir, mir geht es so schlecht“!
Nun, der Seminarleiter, reagiert auf sein Genervtheitsgefühl, was das
Indiz für ein Sekundärgefühl ist, und winkt freundlich ab und rät ihm,
ein Einzelcoaching zu buchen. Und auch der Rest der Gruppe hat
das Spiel durchschaut und geht nicht auf die Appell-Ebene ein. Was
passiert jetzt? Der Teilnehmer geht frustriert nach Hause und sagt
sich unbefriedigt: „Keiner liebt mich, ich bin niemandem wichtig“.
Auch das ebbt ab, und er kommt zur nächsten Erkenntnis: „Ich
brauche niemanden, die können mich mal alle, und die werden
schon sehen, was sie davon haben“. Somit beginnt das
Racheprogramm durch trotziges Verhalten mit gleichzeitigem Appell:
„Ich bin ganz allein und zornig, und jetzt müsst ihr euch schon
anstrengen mit eurer Aufmerksamkeit, damit ich euch verzeihe.“
Damit erpresst er das Gegenüber mit einer Art Liebes- bzw.
Aufmerksamkeitsentzug, um die ihm aus seiner Sicht zustehende
Aufmerksamkeit zu erhalten. Hier reden wir von einer
unangemessenen Erwartungshaltung an Gott und die Welt und
streng genommen an Mutti, die heißt: „Lieb mich, auch wenn ich
schrecklich bin.“
Ablehnung und Sex
Da es sich bei der Sexualität immer auch um die Identität als Mann
und Frau handelt, kommen wir hier zu einem Thema, das der
Ablehnung die Krone aufsetzt.
Es geht hierbei hauptsächlich um Erniedrigung, Selbstablehnung und
vor allem um Selbstverachtung. Was ist damit gemeint? Wie schon
bei dem „Nähe-Distanz-Spiel“ erwähnt, basiert die Ablehnung auf
einer frühkindlichen Ablehnungserfahrung z. B. die unterbrochene
Hin-zu-Bewegung zur Mutter. Der Erwachsene vermeidet nun eine
bestimmte Nähe, um diese Ablehnungserfahrung nicht wieder
erleben zu müssen. Gleichzeitig ist gerade dieses ambivalente Spiel
zwischen abwechselnder Nähe und Distanz der eigentliche Reiz. Auf
den Sex übertragen bedeutet das jetzt, dass ein sexueller Reiz nur
dann entsteht, wenn die Ablehnungserfahrung gewährleistet ist. Das
kann wie folgt aussehen: Die Frau nähert sich dem Mann, weil sie
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das Begehren spürt und Nähe sucht und damit letztlich Sex. Der
Mann reagiert darauf und sucht ebenso die Nähe, nun wird es ihm zu
viel und er schreckt zurück, beziehungsweise er spürt nicht das
gleiche Verlangen wie seine Partnerin. Die Frau fragt ihn nun, was
denn nicht stimmen würde, und er antwortet: „Mir ist jetzt nicht
wirklich danach“. Es entsteht nun eine Spannung und die Frau
wendet sich ab, mit den Worten „Wenn du nicht willst, dann eben
nicht“. Ein Streit entfacht und beide giften sich an, dabei fallen
unappetitliche Zuschreibungen. Durch die abweisende Art der Frau
entsteht nun beim Mann eine Erregung und er sucht wiederum ihre
Nähe. Der Satz dazu wäre: „Ich weiß, dass ich eigentlich deiner nicht
würdig bin, aber liebe mich trotzdem“. Nun beginnt das
entwürdigende Spiel voller Selbstverachtung und Selbstablehnung,
indem der Mann um die Gunst der Frau bettelt. Hier könnte man
auch sagen: „Wie das Kind um die Aufmerksamkeit der Mutter
bettelt“. Die eigene Demütigung und Unterwerfung wird integriert in
das Selbstbild und wird damit zur Überzeugung, dass wahre Liebe
nur in der Ablehnung möglich ist. Die Ablehnungserfahrung mit Mutti
wird zur einzig praktizierbaren Sexualform und als einzig möglicher
Sexualreiz verstanden und erlebt. Beliebte Sätze solcher Partner
sind: „Wenn es harmonisch ist, dann langweile ich mich in der
Beziehung“ oder „Leidenschaftlicher Sex ist ein Kampf.“
Mehr noch ist ihre psychosexuelle Entwicklung so konditioniert
worden, dass jedes Abweichen von diesem Modells ein Verrat an der
Mutterliebe darstellt. Und um die Demütigung und Selbstverachtung
nicht spüren zu müssen, wird es als leidenschaftliches Bild einer
Liebesbeziehung im Inneren manifestiert. Partner werden nach
diesem Ablehnungsmuster ausgesucht, das natürlich ein
komplementäres Programm des Gegenübers voraussetzt. Da es sich
bei dem Sexualchakra und damit der Sexualität immer auch um den
Energie- und Lebensmotor handelt, könnte man sagen, dass solche
Partner ihre eigene Identität als Mann-/Frau-Selbst verachten und
ablehnen. Nun ist es auch so, dass eine erfüllte Liebesbeziehung
von vornherein ausgeschlossen wird. Denn die Vorrausetzung, diese
Form von Sexualität leben zu können, ist, vom Gegenüber nicht
gesehen zu werden.
Selbstbild – Entscheidung - Glaubenssätze und
Wahrnehmungsfilter
Abschließend noch einiges Allgemeine zu den Auswirkungen der
Dopamin-Sucht und den Spielen, die sich auf der Basis dieser
Konditionierungen entwickeln.
Wie haben schon darauf hingewiesen, dass, wie bei jeder Sucht und
bei jedem Spiel, das Selbstbild in der Tiefe leidet. Man erlebt sich
selbst als würdelos und ist gleichzeitig nicht in der Lage, sich diese
Tatsache ganz ins Bewusstsein zu holen. Die Folge dieser
Verdrängung sind dann Minderwertigkeitsgefühle, ein Gefühl der
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Hoffnungslosigkeit und der Versuch, diese Situation zu überspielen
bzw. sie wie bei den Spielen „Ich armer Teufel“ oder „Ich bin
behindert“ auszubeuten, was aber die Würdelosigkeit nur noch
vertieft.
Dieser seelischen Dynamik liegen im Regelfall unbewusste
Entscheidungen in der Kindheit zugrunde. Es geht dabei immer um
die Frage: „Wie kommt einer wie ich durchs Leben?“ Dabei basieren
diese Entscheidungen auf Glaubenssätzen, die das Kind auf der
Basis seiner Erfahrungen in der Familie gebildet hat.
Um diese Glaubenssätze und die entsprechenden Entscheidungen
im Laufe des Lebens aufrechterhalten zu können, bedarf es
verschiedenster Wahrnehmungsfilter, die alle Erfahrungen ausblenden bzw. verzerren, die gute Gegenbeispiele für die alte
Glaubenssätze wären. So haben selbst Menschen, die glauben, dass
sie nicht liebenswert sind, trotzdem die Erfahrung gemacht, dass sie
später jemand wirklich gemeint und geliebt hat. Menschen, die sich
selbst nichts zutrauen, haben trotzdem die Erfahrung gemacht, dass
ihnen etwas sehr gut gelungen ist, usw.
Wie wir wissen, führt gerade das Dopamin dazu, dass es, wenn es
negativ konditioniert ist, verhindert, dass wir aus Fehlern lernen und
neue positive Erfahrungen integrieren. Es scheint also, dass der
Ausweg aus diesem Teufelskreis unter anderem die Dekonditionierung dieser Zwangs-Sucht-Schleife ist.
Wie unterbricht man Spiele?
Spiele bei sich und anderen zu erkennen ist eine Sache, sie zu
unterbrechen eine andere. Wir werden im Folgenden fünf
verschiedene Strategien zum unterbrechen von Spielen vorstellen.
1. Metakommunikation. Wir kommentieren dem anderen
gegenüber, der uns das Spiel anbietet, was er gerade für ein
Spiel anzettelt.
2. Mitteilung über das eigene Genervtsein. Genervtsein ist in der
Regel ein Hinweis darauf, dass der andere gerade aus einem
Sekundärgefühl heraus agiert.
3. Der Köder und der wunde Punkt werden benannt. Beispiel:
„Möchtest du, dass ich mich schuldig fühle?“
4. Provokationstherapie. Beispiel: „Natürlich habe ich sie lüstern
angeschaut und mich gleich für morgen mit ihr für eine wilde
Nacht verabredet. Sie hat übrigens versprochen, ihre Freundin
mitzubringen. Wenn du Lust hast, kannst du gerne dabei sein.“
5. Ignorieren. Nur auf die Fakten und nicht auf die Subbotschaft
bzw. die Appell-Ebene eingehen. Beispiel: „Mir geht es gar nicht
gut!“ „Ja, sehe ich.“
24
25
Die Lösung, der Weg des Entzugs, besteht aus folgenden
Schritten:
1. Dopamin-Aufstellung: Hier stellen wir den Klienten, das positive
und das negative Dopamin-System sowie die Ablehnungserfahrung,
und/oder die Eltern auf. Ziel ist es, die systemische Dynamik
aufzudecken, die zur Konditionierung geführt hat.
- Nähe Distanz
- Doppelbotschaften
- Bedingungen für die Zugehörigkeit
- usw.
2. Bewusstmachen
Konditionierung.
des
Selbstbildes
auf
der
Basis
dieser
3. Kontexte klären, in denen das Programm wirkt, Partnerwahl,
Beruf, Weiterbildung etc.
4. Über Aufstellungen und Einzelcoachings werden die Spiele
herausgearbeitet, die gespielt werden, um den Kick zu bekommen,
sowie die Selbstsabotage-Programme, besonders im Rahmen von
Liebesbeziehungen und Erfolg, herausgearbeitet.
5. Mit Hilfe der Techniken Anker verschmelzen und Anker verketten
wird die alte Stimulus-Response-Kopplung geschwächt und eine
neue Bahnung installiert.
6. Es werden die inneren Dialoge, die mit dieser Sucht einhergehen,
aufgelöst und neue, hilfreiche Formen des Selbstgesprächs
installiert.
7. Installation von sozialem Feedback. Wir berichten unseren
Freunden, dass wir süchtig nach einer bestimmten Klasse negativer
Erfahrungen sind, und dass wir uns gerade in einem Entzugsprozess
befinden. Wir geben ihnen die Erlaubnis, uns Feedback zu geben,
wenn sie bemerken, dass wir gerade dabei sind, in unser altes
Muster zurückzufallen.
8. Installation der Haltung: Ich bin süchtig, und der Entzug wird viele
Monate dauern. Der Erfolg wird auch davon abhängen, in wie weit
ich bereit bin, mich den unappetitlichen Seiten meiner eigenen Spiele
zu stellen, mit denen ich andere funktionalisiert habe.
9. Zielbild: Ein Leben ohne diese entwürdigende Sucht. Rückgewinnung der eigenen Würde.
10. Nutzung des homöopathischen Medikaments L-Dopa C 30.
26
Anhang I:
Hier noch einige allgemeine Überlegungen zum Thema Motivation
und Ambivalenz.
Motivation
Von den vielen Meta-Programmen nimmt der so genannte
Richtungs-Sort Hin-zu und Weg-von eine besondere Stellung ein, da
er etwas über unsere Motivation und damit gleichzeitig über eines
der wichtigsten Bedürfnisse des Menschen, nämlich Lustgewinn und
Unlustvermeidung,
aussagt.
Dabei
zeichnen
sich
die
Annäherungsziele dadurch aus, dass man leicht feststellen kann, ob
man sich ihnen nähert und wann man sie erreicht hat. Bei
Vermeidungszielen sieht die Situation ganz anders aus. Selbst wenn
ich etwas Unangenehmes gerade vermieden habe, kann ich nicht
sicher sein, ob ich es völlig vermieden habe oder ob es nicht doch
wieder auf mich zukommen kann. Darüber hinaus kann in jedem
Moment etwas Neues, was es zu vermeiden gilt, auftauchen. Daher
erfordert ein generalisiertes Vermeidungsverhalten eine dauernde
Kontrolle und eine verteilte statt fokussierte Aufmerksamkeit.
Hat jemand z. B. das Ziel, um gar keinen Preis negativ aufzufallen
oder unbedingt alles richtig zu machen, lebt er in ständiger
Anspannung, da die Tatsache, dass er bisher sein Ziel erreicht hat,
nicht bedeutet, dass es nicht im nächsten Moment schon ganz
anders sein könnte.
Die so gebundenen psychischen Energien fehlen bei dem Versuch,
positive Ziele zu erreichen. Daher macht es durchaus Sinn, wenn wir
im NLP bestrebt sind, Menschen darin zu unterstützen, primär einen
Hin-zu-Stil zu entwickeln und Weg-von-Motivationen nur situativ zu
nutzen. Warum dies manchmal alles andere als leicht ist, wird aus
den folgenden Erläuterungen einsichtig.
Hin-zu und Weg-von: Eine zu einfache Unterscheidung
Die Behauptung, dass Menschen nach Lustgewinn streben und
Unlusterfahrungen zu vermeiden suchen, scheint auf den ersten
Blick den Erfahrungen jedes Therapeuten zu widersprechen.
Klienten kommen doch meist deshalb in die Therapie, weil sie Dinge
tun, die ihnen ganz offensichtlich nicht gut tun, und die sie trotzdem
nicht abstellen können. Selbstschädigendes Verhalten ist alles
andere als ungewöhnlich.
Sicherlich sagen alle Menschen auf der bewussten Ebene, dass sie
gesund, glücklich und erfolgreich sein wollen. Mir ist noch niemand
begegnet, der sagte, dass es für ihn erstrebenswert ist, Aids zu
haben, an einer tiefen Depression zu leiden und auf der Straße zu
leben.
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Oft sind es aber unbewusste Programme und Identifikationen mit
Mitgliedern der eigenen Herkunftsfamilie, die einen viel stärkeren
Einfluss auf das Erleben, Denken und Verhalten haben, als die
bewusst geäußerten Lebensziele, die durchaus um das Thema
„Steigerung des Wohlbefindens“ kreisen.
Grawe schreibt dazu: „Es (das Bedürfnis nach Lustgewinn und
Unlustvermeidung, K. G.) ist wohl von allen hier postulierten
Grundbedürfnissen das pervasivste und das unserem Erleben am
besten zugängliche. Kaum einer wird Widerspruch einlegen gegen
die Behauptung, dass wir im Allgemeinen angenehme Zustände anstreben und unangenehme vermeiden. Bei näherer Betrachtung stellt
sich jedoch gerade dieses besonders offensichtliche Bedürfnis als
besonders komplex heraus und gibt zu Fragen Anlass, die über die
Lust/Unlustregulation hinausführen."2
Auf den ersten Blick und auch bei genauerer faktorenanalytischer
Untersuchung stellen wir fest, dass Menschen sowohl in Beziehung
zu Dingen und Ereignissen als auch zu Menschen, als Erstes eine
automatische Bewertung in Sinne von gut/schlecht oder
angenehm/unangenehm vornehmen.
Untersuchungen haben gezeigt, dass beim Erkennen z. B. von
Gemüse beide Gehirnhälften gleichmäßig beteiligt sind. Sollte
beurteilt werden, ob das jeweilige Gemüse gut schmeckt oder nicht,
war die rechte Gehirnhälfte stärker involviert.
„Diese Lateralisierung der bewertungsmäßigen Reizverarbeitung ist
unabhängig davon, ob es sich um positive oder aversive Reize
handelt. Die emotionale Bewertung von Reizen erfolgt, ebenso wie
die Identifikation und Diskriminierung, automatisch und ist kein
bewusster Vorgang."3
Ob ein Reiz positiv oder negativ bewertet wird, hängt allerdings nur
bedingt vom Reiz ab. Kontextbedingungen können die Bewertung
stark beeinflussen, ja sogar umkehren. Je nachdem, was wir vor dem
entsprechenden Reiz erlebt haben, bewerten wir ihn unterschiedlich.
Man spricht in diesem Zusammenhang auch von emotionalem
Priming.4
In verschiedenen Studien konnte gezeigt werden, dass das
emotionale Priming entweder das Vermeidungsverhalten oder das
Annäherungsverhalten fördert. Wird in der Therapie zu viel und zu
lange über die Probleme des Klienten geredet, wird dadurch
automatisch das Vermeidungsverhalten gefördert. Im Gegensatz
dazu führt die Ressourcenorientierung eher zur Stärkung des
2
3
4
NPT, S. 261
NPT, S. 262
Vgl. Kapitel 5.5.12. Priming und Seeding
28
Annäherungsverhaltens und damit zu besseren und schnelleren
Veränderungen auf Seiten des Klienten.
Die Bewertung nach Lust-Unlustqualitäten von Wahrnehmungen und
Tätigkeiten, ist durchaus nicht auf körperliche Erfahrungen
beschränkt. Auch geistige Erfahrungen fallen dieser automatisierten
Bewertung anheim. Für einige Menschen ist z. B. das Lösen von
Rätseln oder das Knobeln an kniffligen logischen Problemen mit
starken Lustgefühlen verbunden; andere bekommen allein schon bei
dem Gedanken, sich damit beschäftigen zu sollen, starke
Aversionsgefühle.
In vielen Lebenssituationen erleben wir gleichzeitig entgegengesetzte Motivationsimpulse. So wird ein Langstreckenläufer nach
einigen Kilometern vielleicht über Atemnot und Muskelschmerzen
klagen. Er könnte diese unangenehmen Körperempfindungen sofort
beenden, wenn er das Rennen abbricht. Gleichzeitig hat er aber den
Ehrgeiz, den Lauf zu beenden, vielleicht will er sich auch nicht vor
den anderen blamieren. Wie auch immer, die zweite Motivationslage
fordert ihn auf weiterzumachen. Er erlebt also gleichzeitig zwei
widersprüchliche motivationale Impulse: hin zum Ziel und weg von
den Schmerzen. Je nachdem, welcher Impuls stärker ist, rennt er
entweder weiter oder gibt auf.
Es kommt aber auch vor, dass sich ehemals positive Ziele in
Aversionsziele verwandeln. Wenn z. B. ein junger Mann die Hin-zuMotivation verspürt, ein Mädchen oder eine junge Frau kennenzulernen, dabei aber immer wieder negative Erfahrungen macht
(Unlustgefühle), dann wird aus der ehemals positiven Motivation eine
negative. Er will das unangenehme Gefühl der Zurückweisung nur
noch vermeiden.
Erlebt ein Mensch solche Zurückweisungserfahrungen noch früher,
z. B. in der Beziehung zur Mutter, wird dies zu einem Vermeidungsverhalten bezüglich intimer Beziehungen führen. Daraus
entstehen dann die berühmt-berüchtigten Nähe-Distanz-Spiele.
Einerseits ist das ursprüngliche Bedürfnis nach Nähe immer noch da,
aber gleichzeitig ist die Angst vor neuerlicher Zurückweisung zu
groß, um das Risiko echter Nähe eingehen zu können. Hat sich ein
derartiger vermeidender Bindungsstil erst einmal entwickelt, wird
weder das Nähebedürfnis noch die Angst vor Zurückweisung
bewusst erlebt.
Sind die ersten Erfahrungen mit der Mutter ambivalent - mal ist sie
emotional erreichbar und mal nicht -, entsteht beim Kind ein
übermäßig starkes Kontroll-Bedürfnis. Da es faktisch erlebt, dass es
keine Kontrolle über die Zuwendung der Mutter hat, versucht es alles
Mögliche, um doch Kontrolle zu bekommen. Es klammert, es
produziert „Probleme“, um die Zuwendung der Mutter zu erzwingen
usw. Dieser Beziehungsstil wird später auf alle intimen Beziehungen
generalisiert.
29
Annäherung und Vermeidung als zwei unabhängige
Motivationssysteme
„Sowohl von neurowissenschaftlichen, als auch von psychologischen
Autoren werden das Annäherungs- und das Vermeidungsverhalten
als zwei getrennte Motivationssysteme konzipiert. Sie interagieren
zwar mit der Tendenz zur wechselseitigen Hemmung und beruhen
auf jeweils eigenen neuronalen Substraten und Mechanismen. Diese
Unabhängigkeit und die Tatsache, dass gut und schlecht subjektiv
als Gegensätze empfunden werden, scheinen im Widerspruch
miteinander zu stehen. Wir empfinden aber auch kalt und warm als
gegensätzlich, obwohl Kälte- und Wärmeempfindungen eine
unterschiedliche neurophysiologische Grundlage haben. (...) Der
dorsale PFC ist maßgeblich an der Repräsentation von
Annäherungs- (linker PFC) bzw. Vermeidungszielen (rechter PFC)
beteiligt, der ventromediale PFC an der Generierung von positiven
(links) und negativen (rechts)."5
Zusätzlich zu dieser neurophysiologischen Differenzierung gibt es
auch starke Hinweise, dass genetische Faktoren die Neigung
entweder zu Annäherungs- oder Vermeidungsverhalten begünstigen.
Diese Dispositionen sind allerdings in ihrer Ausprägung sehr stark
von Umweltfaktoren, namentlich den frühkindlichen Erfahrungen,
überformbar.
Die Ausprägung des Meta-Programms Richtungs-Sort oder, wie wir
auch sagen können, der motivationalen Schemata, hängt also von
genetischen Faktoren und den frühkindlichen Erfahrungen,
namentlich mit der Mutter, zusammen. Spätere Erfahrungen in Beruf
und Partnerschaft, aber auch therapeutische Erfahrungen, können
dieses emotionale Priming beeinflussen, aber kaum umdrehen.
Der Regulatorische Fokus
Bei der Frage nach der Entstehung einer Hin-zu- bzw. Weg-vonPräferenz als Ausdruck des Meta-Programms Richtungs-Sort bietet
die klassische Differentielle Psychologie (Persönlichkeitspsychologie)
einige Hinweise.
Der amerikanische Psychologie-Professor E. Tory Higgins postuliert
mit seiner Forschungsgruppe die Existenz eines relativ stabilen
Persönlichkeitsmerkmals, des sogenannten Regulatorischen Fokus.
Während spätestens seit Freud klar ist, dass Menschen danach
streben, angenehme (lustvolle) Situationen zu erleben und
unangenehme (unlustvolle) Situationen zu vermeiden, lassen sich
5
NPT, S. 268-269
30
laut Higgins, Roney & Crowe (1994) Menschen weiterhin in zwei
Gruppen einteilen:
 Personen mit einem sogenannten Promotions-Fokus sind
besonders sensitiv für positive Zielzustände und versuchen stetig,
sich auf diese zuzubewegen. Sie suchen demnach
gewinnbringende Situationen auf und riskieren gleichermaßen
das Nichtgewinnen in eben solchen Augenblicken. Man könnte
also sagen, dass sie darauf gepolt sind, sich auf lustvolle
Situationen zuzubewegen, während die Vermeidung von
unangenehmen Situationen für sie keine starke motivierende
Wirkung hat.
 Für Personen mit einem sogenannten Preventions-Fokus ist
hingegen eine Vermeidungsstrategie das Medium der
Zielerreichung, denn sie sind besonders sensitiv für negative
Zielzustände. Folgerichtig konzentrieren sie sich vor allem auf die
Vermeidung von Verlusten. Wiederum könnte man sagen, dass
sie darauf gepolt sind, sich von ungewünschten Zuständen
fortzubewegen, während das Erreichen von positiven Zielen sie
nicht besonders anregt.
Higgins (1987) versteht diese beiden Strategien als komplementäre
Wege zur Erreichung des gleichen Ziels: Sie dienen zur
Verminderung der sogenannten Selbst-Diskrepanz. Hiermit ist
gemeint, dass Menschen laufend (unbewusst) ihr aktuelles Selbst mit
jenem Selbst vergleichen, was sie entweder sein könnten (= das
ideale Selbst, im Engl.: ideal self) oder sein sollten (das „gesollte“
oder verpflichtende Selbst, im Engl.: ought self). Die
unterschiedlichen Strategien sind nun Ausdruck der Tatsache, dass
Promotion-Typen vor allem ihr ideales Selbst erreichen möchten,
während die Prevention-Typen vor allem ihr verpflichtendes Selbst
anstreben.
Was in der bisherigen Beschreibung noch sehr abstrakt anmutet, hat
allerdings sehr reale Auswirkungen auf das In-der-Welt-Sein und das
Handeln der beiden unterschiedlichen Typen. Experimente zeigen,
dass Promotions-Typen z. B. größeres Durchhaltevermögen bei der
Bearbeitung von kniffligen Aufgaben zeigen und mehr und außerdem
kreativere Einfälle haben, wenn sie diese in einer Testsituation
produzieren sollen. Sie treffen in der Regel risikoreichere
Anlageentscheidungen und fällen schneller Entscheidungen unter
Unsicherheit.
Während diese Auflistung möglicherweise dazu verleitet
anzunehmen, dass Promotions-Typen die besseren Eigenschaften
haben, sind beide Typen in Wirklichkeit natürlich gleichwertig bzw.
haben ihre guten und schlechten Seiten. Aus der Sicht eines
Personalchefs zum Beispiel wäre es sehr wünschenswert, auf der
Stelle des Vertriebsleiters einen Promotions-Typen zu haben,
während ein solcher als Sicherheitschef in einem Atomkraftwerk
31
völlig fehl am Platz wäre. Dieser und viele andere Jobs, bei denen es
um Genauigkeit und das Einhalten von strengen Regularien geht,
sind viel stärker die Domäne der Preventions-Typen.
Zur Erklärung, was den einen Menschen eher zum „Hasenfuß“, den
anderen wiederum zum „Draufgänger“ macht, dürften mindestens
drei Faktoren beitragen:
Laut Higgins und Silberman (1998) werden die Grundlagen für den
späteren Fokus in der kindlichen Interaktion mit den Eltern, später
auch im Umgang mit Erziehern und Lehrern geprägt. So bildet sich
beim Kind ein Promotions-Fokus heraus, wenn es häufig mit
herausfordernden Situationen konfrontiert wird und für die Erreichung
eines Zieles positive Verstärkung, z. B. Lob oder eine Umarmung
erhält.
Ein Preventions-Fokus hingegen wird induziert, wenn das Kind
hauptsächlich mittels Tadel und Bestrafung für das Nichteinhalten
von gegebenen Verhaltensrichtlinien erzogen wird.
Neben der individuellen Kind-Eltern-Interaktion scheint die Entwicklung des Regulatorischen Fokus außerdem von globaleren
kulturellen Einflüssen abzuhängen. Lee, Aaker und Gardner (2000)
haben nachgewiesen, dass die Ausprägung des Fokus maßgeblich
davon abhängt, ob in einem Kulturkreis ein independentes oder ein
interdependentes Selbstbild angestrebt wird. In typisch okzidentalen
Kulturen wie den USA oder Deutschland wird ein independentes
Selbstbild favorisiert. Ein Mensch identifiziert sich dort vor allem über
seine Individualität, über all jenes, was ihn von seinen Mitmenschen
unterscheidet. Dies fördert wiederum die Ausformung eines
Promotions-Fokus. Im Gegensatz hierzu definieren sich Menschen in
typisch orientalischen Kulturen wie China oder Japan stärker über
ihre Zugehörigkeit zu den verschiedensten Gruppen. Komplementär
scheint dies die Formung eines Preventions-Fokus zu begünstigen.
Schließlich dürften auch genetische Faktoren6 die Ausprägung des
Regulatorischen Fokus beeinflussen. So könnte z. B. die von Person
zu Person variierende Ausprägung der Empfänglichkeit der
Dopamin-Rezeptoren mit darüber entscheiden, welchen Typus ein
Mensch im Laufe seines Heranwachsens entwickelt.
Abschließend ist anzumerken, dass es neben dem Regulatorischen
Fokus als Persönlichkeitseigenschaft (= chronischer Fokus) auch
den sogenannten situationalen Fokus gibt. D. h. es ist z. B. durch
semantisches Priming möglich, bei einer Person kurzeitig einen
Fokus in der gewünschten Richtung zu induzieren, z. B., indem man
sie Text lesen lässt, welcher von Menschen handelt, die ihre Ziele im
Leben erreicht haben, bzw. von Menschen, die immer vorbildlich
ihren Pflichten nachkommen. Die Person kehrt jedoch nach Ablauf
6
vgl. Kapitel 4.2.1. Affektiver Stil
32
der Priming-Situation relativ schnell wieder zu ihrem chronischen
Fokus zurück.
Literatur
Higgins, E. T. (1987). Self-discrepancy: A theory relating self and
affect. Psychological Review, 94 (3), 319 – 340.
Higgins, E. T., Roney, C. J. R. & Crowe, E. (1994). Ideal Versus
Ought Predilections for Approach and Avoidance: Distinct SelfRegulatory Systems. Journal of Personality and Social Psychology,
66 (2), 276 – 286.
Higgins, E. T. & Silberman, I. (1998). Development of regulatory
focus: Promotion and prevention as ways of living. In: Heckhausen,
J. & Dweck, C. S. (Eds). Motivation and self-regulation across the life
span, 78 – 113. New York, NY: Cambridge University Press.
Lee, A. Y., Aaker, J. L. & Gardner, W. L. (2000). The Pleasures and
Pains of Distinct Self–Construals: The Role of Interdependence in
Regulatory Focus. Journal of Personality and Social Psychology, 78
(6), 1122 – 1134.
33
Anhang II: Dramadreieck
Das Dramadreieck beschreibt ein Beziehungsmuster zwischen drei
Personen, die darin die drei Rollen des Opfers, des Täters
beziehungsweise Verfolgers und des Retters einnehmen. Im Modell
des Dramadreiecks wird der Zusammenhang dieser Rollen
beschrieben, und wie sie oft reihum gewechselt werden.
Verfolger, Opfer und Retter
Das Dramadreieck beschreibt ein Beziehungsmuster zwischen
mindestens zwei Personen, die darin die drei Rollen einnehmen:
 Opfer
 Verfolger
 Retter
Zwischen den Spielern gelten „Regeln“ der Rollenerwartung, die
durch die Wahl einer Rolle vom Rollenträger unwillkürlich befolgt
werden. Dabei übernehmen die Beteiligten diese Rollen aus der
inneren Notwendigkeit des Musters heraus, sie „spielen“ diese Rollen
(sie „sind“ nicht die Rollen).
Die Muster des Dramadreieckes paaren sich oder konkurrieren
gleichzeitig mit persönlichen Mustern der Beteiligten. Die Muster
können teilweise (zumindest in gewissem Maße) auch gezielt
manipulativ „eingesetzt“ werden (zum Beispiel in der Politik, der
Werbung und in Familienfehden).
34
Rollenwechsel im Dreieck
Im Dramadreieck gibt es keinen festen Anfang oder Einstieg und
auch kein feststehendes Ende. Ebenso schnell können sich die
eingenommenen Positionen wieder verändern. Im Laufe dieses
Musters kann es zu plötzlichen Rollenwechseln kommen:
Wenn beispielsweise zwei Menschen sich prügeln und einer
unterliegt, also „Opfer“ ist, dann kann der andere als „Täter“
betrachtet werden. Ein Nachbar kann als „Retter“ dem vermeintlichen
Opfer zu Hilfe kommen und sich gegen den Täter wenden. Wenn
sich beispielsweise das "Opfer“ mit dem ursprünglichen „Täter“
(wieder) solidarisiert und behauptet, das sei alles nur „Spaß“
gewesen und der Nachbar hätte sich unerwünscht eingemischt und
sei sogar schuldig an der Eskalation, kann der „Retter“ nun zum
„Täter“ werden und der ursprüngliche „Täter“ wird zum „Opfer“.
Die Positionen werden dadurch getauscht: Das ehemalige Opfer wird
jetzt zusammen mit dem ehemaligen Täter zum „Täter“ gegen den
Nachbarn, der sich nun in der Opferrolle wiederfindet. Meist wird er
das nicht auf sich sitzen lassen wollen und seinerseits zum „Täter“
werden – und sei es, dass er zuhause den Hund anbrüllt.
Die Beteiligten
Meistens sind die drei Rollen auf drei Personen verteilt. Aber auch
zwei Personen können die drei Rollen abwechselnd untereinander
verteilen. Das Dramadreieck lässt sich auch alleine spielen. Dann
übernehmen einzelne Persönlichkeitsaspekte in einem inneren
Dialog die drei Rollen. Auch ganze Nationen oder Völker können
miteinander das Dramadreieck spielen.
Bedeutung des Dramadreiecks
Das Dramadreieck beschreibt ein Grundmuster menschlicher
Aktion/Reaktion und die damit verknüpften Verhaltensweisen. Es
dient der Regulierung von Nähe und Distanz. Das gilt im Großen
(Krieg und Frieden) wie im Kleinen (Kinderspiel und
Alltagsbeziehung). Als Retter und Opfer ist man sich oft nah, vom
Täter hält man sich fern, und ist ihm in anderer Weise gleichzeitig
sehr nah.
Für dieses Muster gibt es auch analytische, suchttheoretische,
verhaltenstheoretische, systemische und entwicklungspsychologische Erklärungsansätze. Das Dramadreieck kann notwendiges
Lernfeld sein, genauso wie ein unreifes dysfunktionales Beziehungsmuster mit weitreichenden Folgen. Verwicklungen aufgrund dieser
unbewussten Strategien können sich über Generationen erstrecken.
Es gibt historische und aktuelle Beispiele für die bis heute dauernde
Wirkung solcher Dramen.
35
Auswirkungen
Besonders dramatische Auswirkungen finden sich, wenn die Rollen
des Dramadreiecks in gerichtlichen oder politischen Situationen mit
Verurteilung oder Todesfolge „gespielt“ werden. Auch in
Missbrauchs-Situationen (Machtmissbrauch, sexueller Missbrauch)
und deren Aufarbeitung spielt das Dramadreieck oft eine
eigenständige Rolle.
Auch in der großen Politik gibt es dramatische Beispiele, z. B. die
Stellvertreterkriege im „Kalten Krieg“ zwischen Ost und West oder
die Auseinandersetzungen im Nahen Osten, wo die Sowjetunion und
die USA mit den arabischen Völkern jahrzehntelang die Rollen von
Täter, Opfer und Retter wechselten.
Positives Verhalten
Das Bewusstsein für diese Verhaltensmuster ist ein wichtiger Beitrag
zur positiven Verhaltensveränderung im Sinne des Ausstiegs aus
diesem automatisch ablaufenden Kreislauf.
Nach der Theorie kann ein beginnendes Dramadreieck nur durch das
entgegengesetzte Verhalten gestoppt werden: Das Opfer soll lernen,
mit Täterenergie gegen den Täter vorzugehen und z. B.
entsprechend laut und vernehmlich „Stopp“ zu sagen.
Der Täter wird somit quasi zum "Opfer".
Bei einer kritischen Betrachtung kann auch das Verhalten eines
Helfers "zu viel" sein, wenn dem Opfer mehr Unterstützung gegeben
wird als es wirklich braucht, oder sich Helfer manchmal geradezu
aufdrängen. Gemäß der Dramadreieck-Theorie sollte das
vermeintliche Opfer dem Helfer dessen eigene Helfer-"Energie"
spiegeln, z. B. durch die Gegenfrage: "Und wie geht es denn
überhaupt dir (Helfer) persönlich?" Ein wirksamer Helfer, im Sinne
eines reifen und partnerschaftlichen Verhaltens, wird dem Opfer
"nur" zur Selbsthilfe verhelfen. Falls notwendig wird er das Opfer
auch aus der „Schusslinie“ nehmen, aber ihm immer nur soweit Hilfe
geben, bis die Person sich wieder selbst helfen kann.
Zu einer erfolgreichen Bewältigung einer realen Täter-OpferErfahrung gehört, dass der Täter seine Tat bereut und sühnt, das
Opfer dem Täter verzeiht und sowohl Täter als auch Opfer dem
Retter danken. Erst dadurch befreien sich alle Beteiligten wirksam
aus ihren Rollen. Siehe auch: Psychotraumatologie.
Dramadreieck als Übung
Diese Rollen können auch bewusst als Übung zur Selbsterfahrung
gespielt werden, um beispielsweise mehr über gegenseitige
Abhängigkeiten und das eigene Verhalten in solchen Rollen und
Mustern zu lernen. Aus dem Verfahren Psychodrama können
Techniken wie Doppeln, Rollentausch, Rollenwechsel oder Spiegeln
36
verwendet werden. Teilnehmer können im Konfliktmanagement
Rückschlüsse über vergangenes Verhalten in Konfliktsituationen
ziehen und gegebenenfalls neue Handlungsoptionen erarbeiten.
So können auch Menschen mit einer verfestigten Opferhaltung
erkennen, welche Anteile ihres Verhaltens in der Vergangenheit dazu
geführt haben, dass sie in der Opferposition verbleiben, und was sie
tun können, um zu verhindern, erneut Opfer (oder Täter, oder
„hilflose Helfer“) zu werden.
Gleichzeitig können professionelle Helfer ihr eigenes Helfersyndrom
reflektieren. In der Ausbildung von Pädagogen oder Therapeuten
und in der Supervision kann in der konkreten Fallarbeit das gespielte
Dramadreieck eingesetzt werden, um offenzulegen, an welchen
Stellen Helfer ihre Klienten unmündig halten oder Gefahr laufen, in
entsprechende Täter-Opfer-Helfer-Strukturen eingebunden zu
werden.
37
Anhang III: Dopaminerge Bahnen im Gehirn
Die dopaminergen Nervenbahnen des menschlichen Gehirns.
Die Zellkörper vieler dopaminerger Neurone liegen in einem kleinen
Kerngebiet des Hirnstamms, den man wegen seiner dunklen
Pigmentierung (mit Melanin) als Substantia nigra bezeichnet. Eine starke
dopaminerge Nervenbahn führt von dort zum Corpus striatum, einer
Gehirnregion, die für den flüssigen Ablauf von Bewegungen verantwortlich
ist. Bei der Parkinson-Krankheit degeneriert diese "nigrostriatale"
Verbindung.
Aus: S. H. Snyder, Chemie der Psyche, Spektrum Verlag Heidelberg
(1988)
38
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