Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 1. Sitzung Reise in die Welt der neurotischen und psychosomatischen Störungen und der schweren Persönlichkeitsstörungen Der Horizont wird auf der einen Seite begrenzt durch den Bereich der psychischen Gesundheit / Normalität …… (vgl. Kernberg, 2006, S. 166) … auf der anderen Seite durch den Bereich der Psychosen, einschließlich der Schizophrenien und schizophreniformen Störungen. 1 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 1. Sitzung Vorbemerkung: Symptomatische Verhaltensweisen unterscheiden sich oftmals gar nicht so kategorial von unserem alltäglichen Verhalten, sondern nur graduell. 2 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 1. Sitzung Vorbemerkung: Konsequenzen einer dimensionalen Betrachtungsweise: Anregung zur Selbstreflexion Gewisser Schutz vor Diskriminierung 3 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 1. Sitzung : Überblick : Akzentuierung der psychoanalytischen Neurosenlehre, aber auch Berücksichtigung von lerntheoretischen, mitunter auch systemischen ätiologischen Konzepten. 4 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 1. Sitzung : Überblick : Andere Modelle der Psychotherapie, wie z. B. die Gestalttherapie, die Gesprächspsychotherapie, das Psychodrama, haben bislang keine annähernd so differenzierten Konzepte zur Ätiologie psychischer Störungen vorlegen können. 5 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 1. Sitzung : Überblick : Die Verhaltenstherapie hat ursprünglich bekannte Veränderungsmechanismen, wie z. B. Konditionierungen oder Imitationslernen, als Ursachen für auffälliges Erleben und Verhalten angenommen. 6 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 1. Sitzung : Überblick : In der Verhaltenstherapie ist zunächst das frühere S-O-RSchema erweitert worden um zwei weitere Aspekte: S-O-R-K-C, wobei (K) die Kontingenz, mit der nachfolgende, verstärkende oder bestrafende Konsequenzen (C) einem Verhalten (R) folgen, bezeichnet. 7 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 1. Sitzung : Überblick : Diese „Verhaltensgleichung“ forderte die Verhaltenstherapeuten auf, systematisch zwischen Entstehungs- und aufrechterhaltenden Bedingungen bei dem Problemverhalten zu unterscheiden. 8 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 1. Sitzung : Überblick : „Die wichtigsten Weiterentwicklungen der Verhaltenstherapie resultieren aus dem Versuch, … auch Kognitionen als verhaltenssteuernde Variablen zu betrachten.“ (D. Schulte, 1999, S. 54) 9 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 1. Sitzung : Überblick : D. Schulte (1999, S. 54) stellt fest: „Er (der praktisch tätige Therapeut) soll nicht erklären, sondern Veränderungen in Gang setzen - … . Erklärung ist nur insoweit erforderlich und gerechtfertigt (!), als sie für die Therapieplanung und –durchführung hilfreich ist.“ 10 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 1. Sitzung : Überblick : In jüngster Zeit hat die moderne Verhaltenstherapie die ursprünglich linearen Verhaltensgleichungen dynamisiert, hat Rückkopplungsschleifen einbezogen und es ist eine prozeßorientierte Betrachtungsweise mit mehrfachen Interdependenzen an die Stelle der früheren linearen Verhaltensgleichungen getreten. (vgl. Reinecker, 1999, S. 108 ff) 11 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 1. Sitzung : Überblick : 12 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 1. Sitzung : Freuds Entdeckung, daß „normale wie pathologische Vorgänge denselben Regeln folgen“ (Freud, 1913a, GW VIII, S. 392) Der Übergang von psychischer Gesundheit zu psychischer Krankheit ist fließend. Definitionen: 13 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 1. Sitzung : Definitionen: Die Abgrenzung zwischen psychischer Gesundheit und Krankheit kann prekär werden in Grenzbereichen. Neben dem Symptomverhalten muß der situative Kontext, in dem dieses Verhalten auftritt, berücksichtigt werden. 14 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 1. Sitzung : Neben dem situativen Kontext sind Definitionen: selbstverständlich der spezifische kulturelle und evtl. subkulturelle Hintergrund und – darüber hinaus – der historisch-gesellschaftliche Kontext von eminenter Bedeutung. 15 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 1. Sitzung : Da jede Bestimmung dessen, was in einer Sozietät als Definitionen: psychische Störung gilt, auf mehr oder weniger bewußten – gesellschaftlichen Wertungen beruht, kann es keine wertfreie, neutrale, theoriefreie Definition von Neurose geben. 16 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 1. Sitzung : Definitionen: „Neurosen sind mißlungene Verarbeitungs- und Lösungsversuche unbewußter, in ihrer Genese infantiler Konflikte, die durch eine auslösende Situation reaktiviert wurden.“ „Neurosen sind Lösungsversuche von unbewußten TriebimpulsAbwehr-Konflikten mit intraindividuell unteroptimalem Ausgang.“ 17 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 1. Sitzung : Definitionen: „Neurotisches Verhalten ist ( a ) erlernt und ( b )fehlangepaßt. Die Ausbildung bedingter Reflexe ist an der Entstehung der überwiegenden Mehrheit neurotischer Erscheinungen beteiligt.“ 18 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 1. Sitzung : Definitionen: Abgrenzung zu den somatischen und psychosomatischen Störungen: Es handelt sich bei Neurosen um psychische Störungen der Erlebnisverarbeitung bzw. einer erlernten Fehlanpassung, die keine nachweisbaren organischsomatischen Ursachen haben. 19 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 1. Sitzung : Definitionen: Im Unterschied zu den Psychosen – dies wäre ein weiteres allgemeines Definitionsmerkmal – ist bei den neurotischen Störungen die Realitätsprüfung voll intakt und die neurotisch kranken Menschen verfügen in der Regel über eine erhebliche Einsichtsfähigkeit. 20 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 1. Sitzung : Definitionen: Übereinstimmende Elemente in der Neurosendefinition „Neurosen sind überwiegend psychogen und nur zu einem geringeren Teil somatogen bedingt. Die pathologische Abweichung von der Norm läßt sich eher als quantitative, denn als qualitative beschreiben. 21 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 1. Sitzung : Definitionen: Übereinstimmende Elemente in der Neurosendefinition In der Regel ist die soziale Einordnung erhalten und der Verlauf nicht so destruierend wie bei den Psychosen. Die gegenwärtigen Störungen stehen mit dem gestörten Entwicklungs- und Lernprozessen der Lebensgeschichte in einem kausalen Zusammenhang.“ H.H. 22 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 1. Sitzung : Modelle zur Pathogenese von neurotischer Symptomatik: Das Modell des aktualisierten Entwicklungs konflikts Auslösende Situation (Freud: „Versuchungs- und Versagungssituation“) ⇒ aktueller Konflikt ⇒ Angst (oder andere unlustvolle Affekte) ⇒ Regression ⇒ Reaktualisierung von infantilen Konflikten ⇒ Verstärkung der Konfliktspannung (Angst) ⇒ Abwehr ⇒ Mißlingen der Verdrängung ⇒ Kompromißbildung zwischen den einzelnen Konfliktanteilen ⇒ Symptombildung 23 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 1. Sitzung : Modelle zur Pathogenese von neurotischer Symptomatik: Das Modell des aktualisierten Entwicklungs konflikts Das Symptom stellt einerseits eine in jeder Hinsicht unzureichende Lösung dar, andererseits „die jeweils beste Organisationsform eines psychischen Konfliktes“, „die dem Kranken zu einem bestimmten Zeitpunkt unter seinen gegebenen inneren und äußeren Bedingungen möglich ist“. 24 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 1. Sitzung : Modelle zur Pathogenese von neurotischer Symptomatik: Das Trauma Modell Als Entwicklungstrauma bezeichnen wir eine schwere und massiv belastende, in der Regel soziale Einwirkung. In der Praxis handelt es sich meist um realen sexuellen Missbrauch (…) oder um aggressive Misshandlung (oder Vernachlässigung). Gesamtpopulation einer psychosomatischen Klinik (n=407): 10 % sexueller Missbrauch, 25% aggressive Misshandlung; fast alle Betroffenen hätten zusätzlich eine gestörte emotionale Beziehung zu beiden Eltern beschrieben. 25 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 1. Sitzung : Modelle zur Pathogenese von neurotischer Symptomatik: Das Trauma Modell Worin liegt die eigentlich pathogene Wirkung solcher traumatischer Ereignisse? 1. „sich wiederholendes Ausgeliefertsein an einen Zustand gewaltsam erzwungener Ohnmacht, in dem es keine Hoffnung auf Entrinnen oder auf nicht stattfindende Wiederholung gibt.“ 2. „die traumatisierende Bedeutung der verführerischen Überstimulierung („overstimulation“, Shengold). Diese führt durch die nicht kontrollierbare, überflutende Sexualisierung im Kind zu einem massiven Erlebnis von Überwältigung, 26 …“. Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 1. Sitzung : Modelle zur Pathogenese von neurotischer Symptomatik: Das Trauma Modell Worin liegt die eigentlich pathogene Wirkung solcher traumatischer Ereignisse? 3. „regelhafte Kombination mehrerer belastender Bedingungen“, wodurch die Chancen für gleichzeitige kompensierende (protektive) Faktoren, welche die Erlebnisverarbeitung verbessern könnten, sinken. 4. Zusätzlich kann sich „das Zusammenwirken von kindlichen Phantasien und deren Realisierung durch grenzenverletzende Handlungen anderer“ pathogen auswirken. 27 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 1. Sitzung : Modelle zur Pathogenese von neurotischer Symptomatik: Das Trauma Modell Worin liegt die eigentlich pathogene Wirkung solcher traumatischer Ereignisse? 5. „anhaltende Schuldgefühle, die dem Opfer des Traumas im Erwachsenenalter Verursachung oder Mitverursachung seines Schicksals vorwerfen (Identifizierung mit dem Aggressor)“ 6. „die Verwirrung des Wirklichkeitssinnes (Ist das wirklich passiert oder habe ich es mir nur eingebildet, wie die anderen sagen?)“ (aus: Hoffmann, Hochapfel, 2004, S. 64 – 67) 28 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 1. Sitzung : Modelle zur Pathogenese von neurotischer Symptomatik: Das Modell der verfehlten Lernvorgänge Hoffman u. Hochapfel betonen, „daß die Gesetzmäßigkeiten des Lernens sich besonders zur Beschreibung der Erhaltung von Symptomen eignen. ... Was oben als sekundärer Krankheitsgewinn beschrieben wurde, wird ausgezeichnet mit dem Prinzip der sozialen Verstärkung erfaßt (social reinforcement). ... Man wird die Chronifizierung mancher Neurosen auf diese Weise zufriedenstellend“ erklären können. (S. 68) (aus: Hoffmann, Hochapfel, 2004, S. 64 – 67) 29 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 1. Sitzung : Modelle zur Pathogenese von neurotischer Symptomatik: Das Modell der verfehlten Lernvorgänge Nicht selten kommt es also dazu, „daß ein Symptom sich im Laufe der Zeit gegenüber den ursprünglich hervorbringenden Konfliktbedingungen verselbständigt, sich von ihnen gleichsam abkoppelt. ... Zur Konfliktgeschichte tritt eine Lerngeschichte hinzu.“ Kurzformel: Lerngeschichte ⇒ verfehlte Lernvorgänge ⇒ Symptom (⇒ symptomerhaltende Lernvorgänge ⇒ Symptomchronifizierung) 30 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 2. Sitzung : Neuere theoretische Erwägungen zum Begriff des Unbewußten Freud stellte 1923 fest: „Wir erkennen, daß das Ubw nicht mit dem Verdrängten zusammen fällt; es bleibt wichtig, daß alles Verdrängte ubw ist, aber nicht alles Ubw ist verdrängt.“ 31 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 2. Sitzung : Das Unbewußte aus der Sicht der Objektbeziehungstheorien: Neuere theoretische Erwägungen zum Begriff des Unbewußten „Aus den verdrängten Triebwünschen, die in Freuds (1923) Strukturtheorie im Es lokalisiert wurden, werden bei Kernberg Objektbeziehungsrepräsentanzen, die mit Affekten einhergehen. Der unbewußte innerpsychische Konflikt geschieht jetzt nicht mehr zwischen Triebimpulsen und Abwehrmaßnahmen, sondern zwischen Beziehungserfahrungen (…).“ (Mertens, 2008, S. 124) 32 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 2. Sitzung : Neuere theoretische Erwägungen zum Begriff des Unbewußten Das Unbewußte aus der Sicht der Objektbeziehungstheorien: „Triebwünsche werden von Kernberg als affektive Motivationen betrachtet; die in den Beziehungserfahrungen gespeicherten affektiven Erinnerungen (z.B. das Erleben von Lust, Wohlgefühl, Vitalisierung, Neugier im Fall von befriedigenden Objektbeziehungen) sind die treibende Kraft, nach ähnlichen Erfahrungen in der Gegenwart zu suchen. Triebe manifestieren sich somit als libidinöse oder aggressive Affekte.“ (Mertens, 2008, S. 124) 33 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 2. Sitzung : Neuere theoretische Erwägungen zum Begriff des Unbewußten Das Unbewußte aus der Sicht der Objektbeziehungstheorien: „Das Unbewußte wird aus all den Objektbeziehungserfahrungen gebildet, welche nicht bewußt werden durften, weil die elterlichen Reaktionen auf diese Erfahrungen zu starke Unlust und Angst erzeugt haben. … Im Unbewußten sind auf jeden Fall diese Selbst-Objekt-Beziehungsrepräsentanzen gespeichert und die unbefriedigenden traumatischen Erfahrungen üben einen dynamischen Einfluß auf die Wahrnehmung und Gestaltung gegenwärtiger Beziehungen aus.“ (Mertens, 2008, S. 124) 34 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 2. Sitzung : Neuere theoretische Erwägungen zum Begriff des Unbewußten Die Unterscheidung von Vergangenheitsunbewußtem und Gegenwartsunbewußtem (1): „Während das Vergangenheits-Unbewußte durch eine tiefe, bereits in der Kindheit grundgelegte Verdrängungsschranke vom Bewußtsein abgetrennt ist, verhindern Schamund Schuldgefühle, die in der Hier-und-JetztInteraktion mit dem Analytiker entstehen, das Bewußtwerden von Inhalten des GegenwartsUnbewußten, das eher aus Phantasien des Adoleszenten und des Erwachsenen gebildet wird.“ (Mertens, 2008, S. 125) 35 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 2. Sitzung : Neuere theoretische Erwägungen zum Begriff des Unbewußten Die Unterscheidung von Vergangenheitsunbewußtem und Gegenwartsunbewußtem (2): Nach Sandler und Sandler (1984) besteht das VergangenheitsUnbewußte „zum größten Teil aus nichtdeklarativen, impliziten Wissensund Fühlelementen, die so etwas wie eine nichtbewußte Schablone für alle späteren Gedächtnisinhalte bilden (…). (Mertens, 2008, S. 125) 36 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 2. Sitzung : Neuere theoretische Erwägungen zum Begriff des Unbewußten Die Unterscheidung von Vergangenheits-Unbewußtem und Gegenwarts-Unbewußtem (3): Das Gegenwarts-Unbewußte, das überwiegend von deklarativen autobiographischen Gedächtniselementen gebildet wird, konstituiert sich im Hier und Jetzt einer Interaktion und Kommunikation immer wieder aufs Neue, wobei es aber einen Teil seiner Sozialisierung aus dem VergangenheitsUnbewußten erfährt (Mertens, 2008, S. 125) 37 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 2. Sitzung : Neuere theoretische Erwägungen zum Begriff des Unbewußten Die Unterscheidung von VergangenheitsUnbewußtem und Gegenwarts-Unbewußtem (4): „Verdrängte Wünsche und Phantasien eines erwachsenen Menschen werden also nicht im Vergangenheits-Unbewußten in unveränderter Form aufbewahrt (…), sondern entstehen im Gegenwarts-Unbewußten, sind aber dennoch in ihren intrapsychischen und interaktionellen Eigentümlichkeiten von den im VergangenheitsUnbewußten grundgelegten Erfahrungsmustern abhängig. Unbewußte konflikthafte Phantasien, …“ (Mertens, 2008, S. 125) 38 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 2. Sitzung : Neuere theoretische Erwägungen zum Begriff des Unbewußten Die Unterscheidung von VergangenheitsUnbewußtem und Gegenwarts-Unbewußtem (5): „Unbewusste konflikthafte Phantasien, die von Klinikern erschlossen und rekonstruiert werden, sind demnach im Gegenwarts-Unbewussten anzunehmen. Diese unbewussten Phantasien des Gegenwarts-Unbewussten sind mit den unbewussten subjektiven Repräsentationen der gegenwärtigen Personen – in der analytischen Situation mit der Person des Analytikers – eng verbunden und funktionieren auf einem höheren Level unbewusst kognitiv-emotionaler Abläufe und in einem anderen Gedächtnissystem als das Vergangenheits-Unbewusste. Dieses kann allerdings mehr oder weniger stark das Gegenwarts-Unbewusste steuern.“ (Mertens, 2008, S. 125) 39 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 2. Sitzung : Neuere theoretische Erwägungen zum Begriff des Unbewußten Die Unterscheidung von VergangenheitsUnbewußtem und Gegenwarts-Unbewußtem (6): „Der ganze Bereich der Abwehrmechanismen findet ebenfalls im Gegenwarts-Unbewussten seinen Einsatz, sowie alle Arten kompensatorischer und adaptiver Mechanismen und daraus resultierender Kompromissbildungen. Deren Ziel besteht in der Aufrechterhaltung eines inneren Gleichgewichts, von Gefühlen der Sicherheit und der Integrität des Selbst.“ (Mertens, 2008, S. 125) 40 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 2. Sitzung : Mertens: Merkmale unbewusster Prozesse in verschiedenen psychoanalytischen Denkrichtungen Neuere theoretische Erwägungen zum Begriff des Unbewußten 41 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 2. Sitzung : Mertens: Bewusste und unbewusste Vorgänge aus der Sicht verschiedener methodischer und konzeptueller Zugänge Neuere theoretische Erwägungen zum Begriff des Unbewußten 42 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre Definitionen und Grundannahmen 4. Psychische Konflikte sind allgegenwärtig und unvermeidlich und gehen einher mit Unlust bzw. einem Gefühl mangelnder Sicherheit. Frühe Überlastungen des Kindes, z.B. durch Traumata, durch Mißhandlung, Mißbrauch oder chronische Vernachlässigung lassen in der Regel (vgl. den Ansatz der Salutogenese bei Antonowski) eine Disposition dafür entstehen, daß die Betroffenen von später auftauchenden Konflikten überwältigt werden. 43 M. Heine Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre Definitionen und Grundannahmen 5. „Das Kind ist prädisponiert, unbewußte Wünsche, die dem bewußten Denken unakzeptabel erscheinen, durch eine entwicklungsabhängige Hierarchie von Abwehrmechanismen zu modifizieren, die ihm dabei helfen, Unlusterfahrungen zu vermeiden. Diese Hierarchie spiegelt später den Grad der individuellen Pathologie wider; ein dominierender Einsatz früher Abwehrmechanismen hängt normalerweise mit gravierenden Störungen zusammen.“ 44 M. Heine Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre Definitionen und Grundannahmen 6. Weitere Kernannahmen betreffen das Wesen psychoanalytisch orientierter Therapien. Sie heben hervor, daß die multiplen Bedeutungen der Symptome sich in der Regel für den Therapeuten wie für den Patienten im Zuge der psychoanalytischen Behandlung erschließen. Was zuvor lediglich als irrationales und störendes Erleben anmutete, erscheint nach Einbeziehung unbewußter Dimensionen als subjektiv sinnvoll.* Als ein wesentliches Hilfsmittel zum Erkennen von nicht anerkannten, also unbewußt gewordenen Aspekten früherer Beziehungen gilt die Analyse von Übertragungen, die sich im assoziativen Verlauf oder – oft noch deutlicher – in Reinszenierungen manifestieren. 45 M. Heine Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Definitionen und Grundannahmen 7. Schließlich reklamieren Fonagy und Target für die moderne Psychoanalyse, daß sie nicht nur den internalisierten Beziehungen aus der Kindheit, sondern auch den gegenwärtigen Beziehungen des Patienten besondere Beachtung schenkt. Für die positive Veränderung und psychische Weiterentwicklung des Patienten kämen – über Deutung und Einsicht hinaus – der realen Beziehung zum Analytiker besonderer Wert zu. Voraussetzung sei, daß es gelinge, eine intensive und möglichst sichere, haltende Beziehung mit dem Patienten herzustellen, die es ihm erlaube, sich einigermaßen vertrauensvoll zu öffnen und dann günstigere Lösungen für seine Konflikte zu finden. 46 M. Heine Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Definitionen und Grundannahmen Nachdem ich nun wichtige Grundannahmen der Psychoanalyse dargestellt habe, über die in der psychoanalytischen Fachgemeinschaft heute weitgehender Konsens bestehen dürfte, will ich Ihnen nun die wichtigsten Merkmale der gegenwärtigen psychoanalytischen Hauptströmung erläutern. 47 M. Heine Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Die Hauptmerkmale der zeitgenössischen psychoanalytischen Hauptströmung (Mainstream) (vgl Kernberg, 2002) Vorbemerkung: „Die Psychoanalyse gibt es schon lange nicht mehr.“ (Mertens, 1997a, S. 15)) „Frühe und systematische Deutung der Übertragung. ... . Zentrale Bedeutung der Gegenübertragungsanalyse und ihrer Verwendung in der Deutung der Übertragung als konsistenter Bestandteil der psychoanalytischen Arbeit, ... . Systematische Charakteranalyse, ... . Die Analyse der Übertragungswiderstände als im Charakter ver-wurzelte Abwehrbewegungen, die eine dazugehörige unbewußte Objektbeziehung widerspiegeln, spielt in der Ich-Psychologie ... ebenso wie bei den Kleinianern als Analyse der „pathologischen Organisation“ und bei den Independents als pathologisches Beziehungsmuster eine Rolle. 48 M. Heine Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Die Hauptmerkmale der zeitgenössischen psychoanalytischen Hauptströmung (Mainstream) (vgl Kernberg, 2002) Verschärfte Aufmerksamkeit für unbewußte „Inszenierungen“ der Übertragungs- und Gegenübertragungsentwicklungen mit Betonung der unbewußten Bedeutungen im „Hier und Jetzt“ als Teil der Übertragungsanalyse von der Oberfläche zur Tiefe hin in der IchPsychologie. Widerstände sind als Objektbeziehungen und nicht einfach als unpersönliche Mechanismen konzipiert. ... Zentralität der Vorherrschaft der Affektivität. Vorherrschen der Modelle der internalisierten Objektbeziehungen. ... .* 49 M. Heine Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Die Hauptmerkmale der zeitgenössischen psychoanalytischen Hauptströmung (Mainstream) (vgl Kernberg, 2002) Technische Neutralität: ... Dieses „Drei-Personen-Modell“ betont die Doppelfunktion des Analytikers, indem er einerseits in eine Übertragungs- Gegenübertragungsbeziehung eintaucht und andererseits eine objektive Distanz aufrechterhält, aus der die Beobachtung und die Deutung der Inszenierungen der inneren Objektbeziehungen des Patienten möglich werden. ... . Ausdrückliche Hervorhebung der Vielfältigkeit der „Königswege“ zum Unbewußten: ... . Sorgfältige Vermeidung von „Indoktrinierung“ durch kategorische Deutungsstile und Betonung der aktiven Arbeit des Patienten im Aufdecken von unbewußten Bedeutungen mit Hilfe der Deutungsversuche des Analytikers. 50 M. Heine Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Die Hauptmerkmale der zeitgenössischen psychoanalytischen Hauptströmung (Mainstream) (vgl Kernberg, 2002) Eine zunehmende Skepsis gegenüber linearen Entwicklungsmodellen. Die Verdichtung der Erfahrungen aus multiplen Entwicklungsebenen erweisen sich nämlich als verdichtete Erfahrungs- und Verhaltensmatrices, die erst nach und nach in verschiedene historische Ereignisse entwirrt werden können.“ (Kernberg, 2002, S. 12 f) 51 M. Heine Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Psychoanalytische Definitionen von Neurose „Neurosen sind mißlungene Verarbeitungs- und Lösungs-versuche unbewußter, in ihrer Genese infantiler Konflikte, die durch eine auslösende Situation reaktiviert wurden.“ „Neurosen sind Lösungsversuche von unbewußten Triebimpuls-Abwehr-Konflikten mit intraindividuell unteroptimalem Ausgang.“ 52 M. Heine Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 2. Sitzung : Exkurs: Internationale Bemühungen um eine Vereinheitlichung der psychiatrischen Klassifikation und der Kampf um den Begriff der Neurose 53 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 2. Sitzung : Exkurs: Internationale Bemühungen um eine Vereinheitlichung der psychiatrischen Klassifikation und der Kampf um den Begriff der Neurose Ein erstes einheitliches Klassifikationsschema in Wien 1889 erstellt „Bis zum Ende des zweiten Weltkrieges blieben fast alle nationalen wie internationalen Versuche, zu einer einheitlichen Klassifikation psychischer Störungen zu gelangen, weitgehend erfolglos.“ 54 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 2. Sitzung : Exkurs: Internationale Bemühungen um eine Vereinheitlichung der psychiatrischen Klassifikation und der Kampf um den Bis zum Vorliegen der 9. Fassung des ICD wurde massive Kritik geäußert an den jeweiligen vorausgehenden Systematisierungsversuchen Kritikpunkte waren: Begriff der Neurose 55 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 2. Sitzung : Exkurs: Internationale Bemühungen um eine Vereinheitlichung der psychiatrischen Klassifikation und der Kampf um den Begriff der Neurose die antipsychiatrische Position von Szasz (1960) die geringe Zuverlässigkeit psychiatrischer Diagnosen die soziale Stigmatisierungswirkung von psychiatrischen Diagnosen die kategoriale Klassifikation, stattdessen Plädoyer für eine typologische und dimensionale Systematik ein Ethnozentrismus: einseitig würden die amerikanischen und westeuropäischen kulturellen Standards 56 dominieren Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 2. Sitzung : Exkurs: Internationale Bemühungen um eine Vereinheitlichung der psychiatrischen Klassifikation und der Kampf um den Begriff der Neurose Das bis zum Jahr 1999 noch offiziell gültige ICD 9 hat sich als internationales Klassifikationssystem schon beachtlich durchsetzen können. In den Formulierungen fand vor allem der Einfluß biologisch und psychoanalytisch orientierter Psychiater seinen Niederschlag. Das ICD 9 blieb noch dem medizinischen Krankheitsmodell verpflichtet (Ätiologie, Pathogenese, Symptom, Diagnose, Prognose, Therapie). 57 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 2. Sitzung : Exkurs: Neue Klassifikationssysteme: Das DSM IV: Diagnostic and Statistic Manual of Mental Disorders. (2000) (American Psychiatric Association, APA) Das ICD 10, Kapitel V, (F): Internationale Klassifikation psychischer Störungen (International Classification of Diseases, Chapter V (F): Mental and behavioural Disorders) (Dilling et al., 1991. 1993) Internationale Bemühungen um eine Vereinheitlichung der psychiatrischen Klassifikation und der Kampf um den Begriff der Neurose 58 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 2. Sitzung : Exkurs: Internationale Bemühungen um eine Vereinheitlichung der psychiatrischen Klassifikation und der Kampf um den Begriff der Neurose Das DSM IV: Seit 2003 liegt das DSM IV in der Fassung als Textrevision (TR) , die von Saß, Wittchen, Zaudig und Houben besorgt wurde, vor. Fast alle Störungen, die in den Katalog der ICD 10 aufgenommen worden sind, sind auch im DSM IV - TR aufgeführt. Für die DSM IV besitzen forschungsorientierte Gesichtspunkte stärkeres Gewicht, was sich u. a. darin ausdrückt, daß die beschreibenden Texte in der ICD 10 „kürzer und weniger kategorisch sind“. An die Stelle von Formulierungen in der ICD 10 wie …normalerweise … oder: … sollten vorhanden sein … treten in dem DSM IV: … müssen … oder … sind erforderlich … 59 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 2. Sitzung : Exkurs: Internationale Bemühungen um eine Vereinheitlichung der psychiatrischen Klassifikation und der Kampf um den Begriff der Neurose Beide Systeme – das DSM IV und das aktuell gültige ICD 10 – „vermeintlich atheoretische Klassifikationen psychischer Störungen“ (Kernberg) – möchten sich an rein phänomenologischen Kriterien orientieren, frei von ätiopathogenetischen Implikationen. 60 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 2. Sitzung : Exkurs: Internationale Bemühungen um eine Vereinheitlichung der psychiatrischen Klassifikation und der Kampf um den Es gibt weltweit eine Tendenz, die „Neurose“ nicht mehr als eine quasi nosologische Entität zu behandeln, sondern in verschiedene Verhaltensdimensionen aufzulösen. Ein solches Vorgehen ist weder theoretisch noch therapeutisch neutral, es hat zahlreiche Konsequenzen, sowohl positive wie negative. Begriff der Neurose 61 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 2. Sitzung : Exkurs: Internationale Bemühungen um eine Vereinheitlichung der psychiatrischen Klassifikation und der Kampf um den Begriff der Neurose Die präzisere Beschreibung der psychischen Störungen hat die Diagnostik verläßlicher gemacht und zu bedeutenden Fortschritten in der Forschung beigetragen. Die Akzentuierung des Deskriptiven bringt die Gefahr mit sich, die Frage zu vernachlässigen, worunter der Patient wirklich leidet bzw. welche psychischen Probleme evtl. hinter der vom Patienten geklagten Symptomatik noch stehen könnten. 62 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 2. Sitzung : Exkurs: Internationale Bemühungen um eine Vereinheitlichung der psychiatrischen Klassifikation und der Kampf um den Begriff der Neurose Es ist den Herausgebern der deutschen Textrevision des DSM IV allerdings zugute zu halten, daß sie selbstkritisch die „Konzentration auf einen deskriptiven, verhaltensorientierten Ansatz“ problematisieren, „der weitgehend stark interpretationsbedürftige und theoriebezogene Begrifflichkeiten in der Definition von Zeichen und Symptomen vermeidet“ (DSM IV – TR, S. XXI) Es sei zwar davon auszugehen, daß bei diesem Vorgehen „zunächst die klinische Beurteilerreliabilität“ sich erhöhe, doch gehe damit auch einher die Gefahr einer Hypostasierung von beobachtbare Zeichen und der Unterschätzung des Empfindens der zu beurteilenden Person. 63 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 2. Sitzung : Exkurs: Internationale Bemühungen um eine Vereinheitlichung der psychiatrischen Klassifikation und der Kampf um den Begriff der Neurose Unklar und ungeregelt bleibe, „wie der Kliniker zu seiner Beurteilung kommt. Welches Gewicht gibt er der subjektiv-verbalen Ebene (d.h. subjektiven Erlebnissymptomen)? Welche dieser Erlebnissymptome übernimmt er direkt, welche filtert er aufgrund bestimmter Kriterien? Diese Fragen betreffen direkt Validitätsaspekte sowohl hinsichtlich einzelner Symptome wie auch der Ableitung einer Diagnose vor allem bei Störungen, deren Symptomatik wesentlich im subjektiven Bereich bleibt. Im übrigen bringt in vielen Fällen die zusätzliche Forschung mit verhaltensorientierten desriptiven Kriterien kaum noch Erkenntnisgewinn, …“. (a.a.O., S. XXI) 64 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 2. Sitzung : Exkurs: Internationale Bemühungen um eine Vereinheitlichung der psychiatrischen Klassifikation und der Kampf um den Begriff der Neurose Das multiaxiale System des DSM IV Achse I enthält Klinische Störungen, Entwicklungsstörungen und andere klinisch relevante Probleme. Achse II soll Geistige Behinderungen und Persönlichkeitsstörungen abbilden. Auf Achse III werden medizinische Krankheiten aus anderen Kapiteln der ICD-10 codiert. Auf Achse IV werden psychosoziale und Umgebungsprobleme berücksichtigt. Auf Achse V soll eine Gesamtbeurteilung des psychosozialen Funktionsniveaus auf einer GAF-Skala, die jetzt bis 100 reicht, vorgenommen werden. (a.a.O., S. XIII) 65 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 2. Sitzung : Allgemeine Einteilung nach Hoffmann / Hochapfel (2004): Psychogene Störungen mit körperlicher Symptomatik Psychogene Störungen mit (vorwiegend) psychischer Symptomatik Charakterneurosen und Persönlichkeitsstörungen Konfliktreaktionen 66 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 2. Sitzung : Allgemeine Einteilung: Psychogene Störungen mit körperlicher Symptomatik Es werden 3 Untergruppen unterschieden: Psychosomatischer Erkrankungen im engeren Sinne (G. Engel: Psychosomatosen; heute genannt: „Organkrankheiten mit psychosozialer Komponente“) Funktionelle Störungen (heute genannt: „somatoforme autonome Funktionsstörungen) und Konversionsstörungen/dissoziative Störungen der Bewegung und der Sinnesempfindungen 67 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 2. Sitzung : Allgemeine Einteilung: Psychogene Störungen mit körperlicher Symptomatik Die Psychosomatosen werden von Uexküll definiert als Folgezustände langandauernder vegetativer Spannungen. In der Folge ständiger „Als-ob-Reaktionen“ (Furcht, Aggression) – Uexküll redet deshalb treffend von „Bereitstellungserkrankungen“ – kommt es zu organpathologischen bzw. –destruktiven Veränderungen. 68 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 2. Sitzung : Allgemeine Einteilung: Psychogene Störungen mit körperlicher Symptomatik Die Psychosomatosen Die sogenannten „holy seven“: Asthma bronchiale, Ulcus pepticum ventriculi et duodeni, Colitis ulcerosa, essentielle Hypertonie, rheumatoide Arthritis (primär chronische Polyarthritis), das atopische Exzem (Neurodermitis) und die Hyperthyreose. 69 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 2. Sitzung : Allgemeine Einteilung: Psychogene Störungen mit körperlicher Symptomatik Die Psychosomatosen Nach Auffassung von Hoffmann und Hochapfel (2004) müßten den „holy seven“ weitere Erkrankungen an die Seite gestellt werden, die ähnliche seelisch-körperliche Wechselwirkungen aufweisen, z. B.: Die koronaren Herzerkrankungen Chronische Entzündungskrankheiten, wie die Multiple Sklerose, Morbus Crohn und abakterielle Prostatitis 70 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 2. Sitzung : Allgemeine Einteilung: Psychogene Störungen mit körperlicher Symptomatik Die funktionellen Störungen Die funktionellen Störungen betreffen: das Herz-Kreislaufsystem (z. B. Tachykardie) das Atmungssystem (z. B. Hyperventilation), den Magen-Darm-Trakt (z. B. Obstipation), die Harn- und Geschlechtsorgane (z. B. die sog. sexuellen Funktionsstörungen) 71 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 2. Sitzung : Allgemeine Einteilung: Psychogene Störungen mit körperlicher Symptomatik Die Konversionsneurosen Konversionsneurosen bringen neurotische Konflikte auf somatischer Ebene zum Ausdruck. Die Symptome beziehen sich dabei vor allem auf sensorische oder motorische Störungen (psychogene Blindheit oder Taubheit, Lähmungen, Mißempfindungen, Schmerzen), die einen direkt symbolischen Ausdrucksgehalt haben, also sekundäre Somatisierungen sind. 72 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 3. Sitzung : Allgemeine Einteilung: Psychogene Störungen mit vorwiegend psychischer Symptomatik Die Psychoneurosen Die Hysterie Die Phobien Die Zwangsneurosen Die neurotische Depression Die Angstneurose Das Depersonalisations- und Derealisationssyndrom 73 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 3. Sitzung : Allgemeine Einteilung: Psychogene Störungen mit vorwiegend psychischer Symptomatik Die „ich-strukturellen Störungen“ (Fürstenau) (unscharfe Kategorie) Süchte Perversionen Delinquenz Schwere Persönlichkeitsstörungen 74 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 3. Sitzung : Allgemeine Einteilung: Psychogene Störungen mit vorwiegend psychischer Symptomatik Die Persönlichkeitsstörungen einschl. der Charakterneurosen Frühere nosologische Beschreibungen betrafen: Den hysterischen Charakter Den zwanghaften Charakter Den depressiven Charakter Den schizoiden Charakter 75 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 3. Sitzung : Allgemeine Einteilung: Psychogene Störungen mit vorwiegend psychischer Symptomatik Die Persönlichkeitsstörungen einschl. der Charakterneurosen Heute ist die Kategorie der Charakterneurosen weitgehend ersetzt durch die der Persönlichkeitsstörungen, z. B: Die histrionische Persönlichkeitsstörung Die anankastische Persönlichkeitsstörung Die depressiv-masochistische 76 Persönlichkeitsstörung Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 3. Sitzung : Allgemeine Einteilung: Psychogene Störungen mit vorwiegend psychischer Symptomatik Die Persönlichkeitsstörungen einschl. der Charakterneurosen Darüber hinaus gehört hierzu das große Gebiet der sog. schweren Persönlichkeitsstörungen, die u. a. die narzißtische Persönlichkeitsstörung, die Borderline-Störung, die schizoide Persönlichkeitsstörung umfaßt. 77 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 3. Sitzung : Allgemeine Einteilung: Konfliktreaktionen Es handelt sich um erlebnisreaktive Störungen mit psychischer und körperlicher Symptomatik. Zu den Symptomen der „posttraumatischen Belastungsstörung“ gehören das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen („flashbacks“ bzw. Nachhallerinnerungen), Albträume, emotionale Stumpfheit, vegetative Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung usw. 78 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 3. Sitzung : Allgemeine Einteilung: Konfliktreaktionen Die Art der jeweiligen Reaktion auf die Traumatisierung kann zwar durch eine neurotische Struktur mit beeinflußt werden, diese ist jedoch weder nötig noch ausreichend, um das Auftreten der Störung zu erklären. 79 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 3. Sitzung : Allgemeine Einteilung: Konfliktreaktionen In leichten Fällen kann die differentialdiagnostische Abgrenzung gegenüber der normalen Trauerreaktion schwierig sein, in schweren Fällen ist die Unterscheidung von der Neurose und der Persönlichkeitsstörung nicht einfach. 80 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 3. Sitzung : Vom Sinn der Symptome Nach psychoanalytischer Auffassung verweist das Symptom auf den gesamten Lebenszusammenhang, Krankheits- und Lebensgeschichte sind nicht isoliert voneinander, sondern nur in ihrer wechselseitigen Verschränkung zu verstehen. 81 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 3. Sitzung : Vom Sinn der Symptome Die Neurose ist demnach ein mißlingender Versuch der Bewältigung bestimmter, nämlich phasen- bzw. entwicklungsspezifischer Konflikte. Die neurotische Störung eines Menschen sagt etwas aus über die Gesamtentwicklung eines Menschen, in jedes Symptom ist gewissermaßen eine ganze, hochkomplexe Beziehungs-, Geschlechts- und Triebgeschichte eingelassen. 82 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Theoriegeschichtliche Entwicklung von Freud´s Neuroseverständnis Von der Hereditätsauffassung zur Grundannahme des psychischen Konflikts A) In seiner ersten Arbeit über die Hysterie lehnte sich Freud noch stark an die Heriditätsauffassung von Charcot an und wies Traumen, Kummer, Gemütsbewegungen nur den Rang von „Gelegenheitsursachen“ zu, durch die eine bisher unbemerkte psychische Disposition geweckt werden könnte. 83 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Theoriegeschichtliche Entwicklung von Freud´s Neuroseverständnis Von der Hereditätsauffassung zur Grundannahme des psychischen Konflikts B) In Freud´s weiteren Arbeiten aus den Jahren 1892 / 93 und 1895 (Studien über Hysterie) tritt die Bedeutung krankhafter Erbfaktoren zurück gegenüber der Präponderanz von psychischen Belastungen für „die Erwerbung von Neuropathien“. 84 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Theoriegeschichtliche Entwicklung von Freud´s Neuroseverständnis Von der Hereditätsauffassung zur Grundannahme des psychischen Konflikts C) Breuer´s Konzept der Hypnoid-Hysterie: Die hypnoiden Zustände der Anna O. hätten den „Boden geschaffen“, auf dem sich die traumatischen Erfahrungen, „der Angst- und Erwartungsaffect sich festsetzte“. (Studien über Hysterie, S. 33) 85 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Theoriegeschichtliche Entwicklung von Freud´s Neuroseverständnis Von der Hereditätsauffassung zur Grundannahme des psychischen Konflikts C) Breuers Erklärungsmodell der Hypnoidhysterie bedeutete, daß der Entstehung dieser Art von Störungen ein hypnoseähnlicher Zustand zugrunde liegt. Ein solcher Gemütszustand ist sozusagen der Boden, auf den bestimmte traumatische Erfahrungen fallen. 86 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Theoriegeschichtliche Entwicklung von Freud´s Neuroseverständnis Von der Hereditätsauffassung zur Grundannahme des psychischen Konflikts D) Freud´s Konzept der Abwehrhysterie: Nicht der hypnoide Zustand verursache die Dissoziation von Erinnerungen an ein traumatisches Ereignis, sondern „weil es sich um Dinge handelte, die der Kranke vergessen wollte, die er darum absichtlich aus seinem bewussten Denken verdrängte, hemmte und unterdrückte.“ 87 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : D) Freud´s Konzept der Abwehrhysterie: Theoriegeschichtliche In zunehmender Abgrenzung zu Entwicklung Breuer entwickelte Freud eine von Freud´s mehr und mehr psychologische NeuroseTheorie, eine Verdrängungs- und verständnis Von der Hereditätsauffassung zur Grundannahme des psychischen Konflikts Abwehrtheorie der Hysterie und später der Neurose überhaupt. 88 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Theoriegeschichtliche Entwicklung von Freud´s Neuroseverständnis Von der Hereditätsauffassung zur Grundannahme des psychischen Konflikts D) Freud´s Konzept der Abwehrhysterie: Die Konzepte der „peinlichen Kontrastvorstellung“ und des „Gegenwillens“, mit denen Freud auch in Fällen aus den „Studien über Hysterie“ (Emmy v. N. und Elisabeth v. R.) gearbeitet hat, gelten als Vorstufe der späteren Verdrängungstheorie. 89 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Theoriegeschichtliche Entwicklung von Freud´s Neuroseverständnis Von der Hereditätsauffassung zur Grundannahme des psychischen Konflikts D) Freud´s Konzept der Abwehrhysterie: Denn der ätiologische Grundgedanke ist der einer Verdrängung unliebsamer und konflikthaft erlebter Vorstellungen. Hier sind die Grundlagen für die Konzeptionalisierung des unbewußten Konflikts, wenn nicht für das Unbewußte überhaupt gelegt worden. 90 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Theoriegeschichtliche Entwicklung von Freud´s Neuroseverständnis Von der Hereditätsauffassung zur Grundannahme des psychischen Konflikts E) Die Verführungstheorie: Von 1895 – 1897 vertretene Annahme, dass der Hysterie, aber wohl nicht nur den Hysterien, eine kindliche sexuelle Verführungssituation zugrunde liege. Traumatisch wirke jedoch nicht die frühkindliche Erfahrung als solche, sondern ihr Wiederaufleben als unbewußte Erinnerung, nachdem der Betroffene die sexuelle Reife erlangt habe. 91 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Theoriegeschichtliche Entwicklung von Freud´s Neuroseverständnis Von der Hereditätsauffassung zur Grundannahme des psychischen Konflikts E) Die Verführungstheorie: Die spezifische Ursache der Hysterie sei daher die aktuell wirksame, aber unbewußte Vorstellung passiv erlebter Verführung. Die „Verführungstheorie“ bedeutete gegenüber den damals geläufigen Hysterie-Dispositions-Konzepten einen wesentlichen Fortschritt, weil sie die Symptomentstehung kausal erklärt. 92 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : E) Die Verführungstheorie: Theorie Aufgrund der „Einsicht, daß es geschichtliche im Unbewußten ein Entwicklung Realitätszeichen nicht gibt, so von Freud´s daß man die Wahrheit und die Neurosemit Affekt besetzte Fiktion nicht verständnis Von der Hereditätsauffassung zur Grundannahme des psychischen Konflikts unterscheiden kann“, spricht Freud seit 1897 der Phantasie neben der realen Verführung eine wichtige Rolle in der Neuroseentstehung zu. 93 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Theoriegeschichtliche Entwicklung von Freud´s Neuroseverständnis Von der Hereditätsauffassung zur Grundannahme des psychischen Konflikts E) Die Verführungstheorie: Sie besagt im wesentlichen, daß die passive sexuelle Verführung eines unschuldigen Kindes in der Kindheit als „unbewußte Erinnerung“ im Seelenleben zurückbleibt. Werde diese Erinnerung nach Eintreten der sexuellen Reife wiederbelebt, so gelange sie zu traumatischer Wirksamkeit und werde zur spezifischen Ursache der Hysterie. 94 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : E) Die Verführungstheorie: Theorie Traumatisch wirke also nicht die geschichtliche frühkindliche Erfahrung als Entwicklung solche, sondern ihr von Freud´s Wiederaufleben als unbewußte NeuroseErinnerung, nachdem der verständnis Von der Hereditätsauffassung zur Grundannahme des psychischen Konflikts Betroffene die sexuelle Reife erlangt habe. 95 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Theorie geschichtliche Entwicklung von Freud´s Neuroseverständnis Von der Hereditätsauffassung zur Grundannahme des psychischen Konflikts E) Die Verführungstheorie: Besonders der letzte Punkt ist von entscheidender Bedeutung für die gesamte Neurosen- und Abwehrlehre der Psychoanalyse und wird mit dem Begriff der Nachträglichkeit umschrieben. 96 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : E) Die Verführungstheorie: Theorie Freud hat die geschichtliche „Verführungstheorie“ niemals Entwicklung endgültig aufgegeben. von Freud´s Was sich jedoch herausstellte, Neuroseverständnis war, daß sie in ihrer Von der Hereditätsauffassung zur Grundannahme des psychischen Konflikts ursprünglichen Breite und Absolutheit sowie Universalität nicht mehr zu halten war. 97 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : E) Die Verführungstheorie: Zusammenfassung: Theoriegeschichtliche Freud erkannte etwa seit 1897 die Entwicklung Phantasie als weiteren Faktor in von Freud´s der Hysterieentstehung und Neurosebegann an der von seinen verständnis Von der Hereditätsauffassung zur Grundannahme des psychischen Konflikts Patienten erzählten und an den von ihm geschlußfolgerten Verführungsszenen zu zweifeln. (vgl. Brief an Fliess v. 21.9.1897). 98 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : F) Die Konflikttheorie: Theorie Mit der Berücksichtigung der geschichtliche Phantasie in der Entwicklung Neurosenätiologie war ein von Freud´s entscheidender Schritt zu einer NeuroseWeiterentwicklung sowohl der verständnis Von der Hereditätsauffassung zur Grundannahme des psychischen Konflikts Behandlungstechnik als auch der Konzeption des Triebes und der (infantilen) psychosexuellen Entwicklung getan. 99 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Theoriegeschichtliche Entwicklung von Freud´s Neuroseverständnis Von der Hereditätsauffassung zur Grundannahme des psychischen Konflikts F) Die Konflikttheorie: Nur mit der Relativierung der Verführungsannahme konnten Konzepte wie das der „unbewußten Phantasien“, von „Trauma und Konflikt“ und der „psychischen Realität“ sowie schließlich das der frühkindlichen Sexualität in den Mittelpunkt rücken. 100 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : F) Die Konflikttheorie: Theorie Psychoanalyse ist immer eine geschichtliche Konfliktpsychologie. Entwicklung Die neurotischen Symptome verweisen von Freud´s auf verinnerlichte Konflikte (die nicht Neurosemit äußeren Konflikten zu verwechseln verständnis sind) und stellen einen Kompromiß dar Von der zwischen den daran beteiligten Hereditätsgegensätzlichen seelischen Kräften: auffassung zur Grundannahme Impuls bzw. Trieb und Abwehr. des psychischen Konflikts 101 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : F) Die Konflikttheorie: Theorie Dieses etwas simpel anmutende geschichtliche quasi-„hydraulische“ Entwicklung Pathogenesemodell wird später von Freud´s von Freud differenziert. Dabei Neurosewird die Angst als wichtiger verständnis Von der Hereditätsauffassung zur Grundannahme des psychischen Konflikts Zwischenschritt eingeführt: Jeder Triebabkömmling, der dem Ich gefährlich wird, erzeugt Angst. 102 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : F) Die Konflikttheorie: Theorie Um diese Angst zu beseitigen geschichtliche oder zu verringern, werden vom Entwicklung Subjekt Anstrengungen untervon Freud´s nommen, diese Abkömmlinge Neurosedes Triebes abzuwehren. Durch verständnis Von der Hereditätsauffassung zur Grundannahme des psychischen Konflikts den Kompromiß zwischen Impuls und Abwehr wird die Angst reduziert bzw. im Symptom gebunden. 103 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Theoriegeschichtliche Entwicklung von Freud´s Neurose verständnis Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen M. Heine G) Die sog. Struktur- bzw. Instanzentheorie Ö die Unterscheidung zwischen Es, Ich und Über-Ich 104 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Theoriegeschichtliche Entwicklung von Freud´s Neuroseverständnis Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen M. Heine G) Die sog. Struktur- bzw. Instanzentheorie Das ES - dieses Konstrukt meint alles, was die Triebe psychisch repräsentiert. Freud, 1933a, S.80: „Wir stellen uns vor, es sei am Ende gegen das Somatische offen, nehme die Triebbedürfnisse in sich auf, die in ihm ihren psychischen Ausdruck finden, wir können aber nicht sagen, in welchem Substrat.“ Auch das dynamisch Unbewußte wird dem ES zugerechnet. 105 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Theoriegeschichtliche Entwicklung von Freud´s Neuroseverständnis Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen M. Heine G) Die sog. Struktur- bzw. Instanzentheorie Das ÜBERICH verdankt sich der Verinnerlichung von versagenden bzw. verbietenden Beziehungsepisoden und bildet sich aus deren psychischen Repräsentanzen heraus. Es ist die gebietende, verbietende, billigende oder mißbilligende Instanz. 106 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Theoriegeschichtliche Entwicklung von Freud´s Neuroseverständnis Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen M. Heine G) Die sog. Struktur- bzw. Instanzentheorie Das ICHIDEAL - wird als eine Substruktur des ÜBERICH verstanden. Es gibt auch für das Überich die angestrebten Ideale vor und an ihm orientiert und mißt sich auch das ICH. Die Inhalte des Ichideals werden in hohem Maße durch die vom Kind aufgenommenen Ideale der Großeltern und Eltern geprägt, die das Kind per Identifikation übernimmt. 107 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : M. Heine G) Die sog. Struktur- bzw. Instanzentheorie Theoriegeschichtliche Das ICH gilt als die Entwicklung Steuerungszentrale im von Freud´s psychischen System. Es umfaßt Neurose„alle organisierenden, verständnis Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen integrativen und synthetischen Funktionen der menschlichen Psyche“ (Müller-Pozzi). 108 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Theoriegeschichtliche Entwicklung von Freud´s Neuroseverständnis Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen M. Heine G) Die sog. Struktur- bzw. Instanzentheorie Nach Freud, 1940a, S. 68, hat das ICH die Verfügung über die willkürlichen Bewegungen; die Aufgabe der Selbstbehauptung, die es erfüllt, indem es nach außen die Reize kennen lernt, Erfahrungen über sie aufspeichert (im Gedächtnis), überstarke Reize vermeidet (durch Flucht). mäßigen Reizen begegnet ( durch Anpassung) 109 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Theoriegeschichtliche Entwicklung von Freud´s Neuroseverständnis Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen M. Heine G) Die sog. Struktur- bzw. Instanzentheorie Nach Freud, 1940a, hat das ICH die Aufgabe der Selbstbehauptung, die es erfüllt, indem es lernt, die Außenwelt in zweckmäßiger Weise zu seinem Vorteil zu verändern (Aktivität); gegenüber dem Es entscheidet, ob bestimmte Triebbedürfnisse zur Befriedigung zugelassen werden oder nicht (Ich als Cerberus oder als Schaltzentrale); oder ob es die Befriedigung auf die in der Außenwelt günstigeren Zeiten und Umstände verschiebt 110 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Theoriegeschichtliche Entwicklung von Freud´s Neuroseverständnis Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen M. Heine G) Die sog. Struktur- bzw. Instanzentheorie … oder ihre Erregung überhaupt unterdrückt, abhängig von der in ihm vorhandenen oder induzierten Reizspannung (Affektlage), die es ständig zu beachten hat. „Das Ich strebt nach Lust, will der Unlust ausweichen.“ „Eine erwartete, vorausgesehene Unluststeigerung wird mit einem Angstsignal beantwortet, ihr Anlaß, ob er von außen oder von innen droht, heißt Gefahr.“ (S. 68) 111 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : M. Heine G) Die sog. Struktur- bzw. Instanzentheorie Theoriegeschichtliche - Jegliche Abwehrtätigkeit geht Entwicklung vom Ich aus. von Freud´s - Das Ich kann durch Neuroseverständnis Amalgamierung von libidinösen Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen mit aggressiven Strebungen für eine Neutralisierung von Triebimpulsen sorgen 112 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : M. Heine G) Die sog. Struktur- bzw. Instanzentheorie Theoriegeschichtliche Das dynamisch Unbewußte: Entwicklung Irgendwelche Reize, auf die das Ich von Freud´s mit einer (reiferen) Abwehrtätigkeit, Neurosedie der Gruppe der Verdrängung verständnis zuzurechnen ist, reagiert, werden in Psychoanalytische den Bereich des dynamisch UnbeAuffassungen zur wußten verbannt und sind damit Ätiologie von auch nicht mehr ohne weiteres dem Neurosen Bewußtsein zugänglich. 113 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Theoriegeschichtliche Entwicklung von Freud´s Neuroseverständnis M. Heine G) Die sog. Struktur- bzw. Instanzentheorie Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen Neurotische Symptome entstehen dadurch, daß das Ich eine im Es mächtige Triebregung nicht aufnehmen und nicht zur motorischen Erledigung befördern will oder ihr das Objekt bestreitet, auf das sie zielt. Im Dienste des Über-Ich und der Realität ist das Ich in einen Konflikt mit dem Es geraten. Dies sei der Sachverhalt bei allen Übertragungsneurosen. 114 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Theoriegeschichtliche Entwicklung von Freud´s Neuroseverständnis M. Heine I) Freud´s Klassifikation der Neurosen Freud unterscheidet zwischen den Aktualneurosen und den Psychoneurosen Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen 115 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Theoriegeschichtliche Entwicklung von Freud´s Neuroseverständnis Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen M. Heine I) Freud´s Klassifikation der Neurosen: Die Aktualneurosen Der Ursprung der Aktualneurosen ist nach Freud nicht in den infantilen Konflikten zu suchen, sondern in der Gegenwart. Die Symptome sind hier nicht symbolischer Ausdruck und überdeterminiert, sondern resultieren direkt aus einer fehlenden (Neurasthenie) oder inadäquaten sexuellen Befriedigung. 116 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : M. Heine I) Freud´s Klassifikation der Neurosen: Die Aktualneurosen Theoriegeschichtliche Zu den Aktualneurosen hat Freud Entwicklung zunächst die Angstneurose und von Freud´s die Neurasthenie gezählt und Neurosespäter vorgeschlagen, die verständnis Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen Hypochondrie ebenfalls dort einzuordnen. 117 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : M. Heine I) Freud´s Klassifikation der Neurosen: Die Psychoneurosen Theoriegeschichtliche Innerhalb dieser Gruppe werden Entwicklung a) die Übertragungsneurosen und von Freud´s b) die narzißtischen Neurosen Neuroseunterschieden. Gemeinsam ist verständnis Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen beiden, daß ihnen ein unbewußter psychischer Konflikt zugrunde liegt. 118 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : M. Heine I) Freud´s Klassifikation der Neurosen: Die Psychoneurosen Theoriegeschichtliche Zu den Übertragungsneurosen Entwicklung zählen die „Angsthysterie“ von Freud´s (Phobie), die Hysterie und die NeuroseZwangsneurosen. Bei diesen verständnis Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen Störungen ist die Übertragungsfähigkeit in der analytischen Behandlungssituation gegeben. 119 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : M. Heine I) Freud´s Klassifikation der Neurosen: Die Psychoneurosen Theoriegeschichtliche Die Entwicklung ÜBERTRAGUNGSNEUROSEN von Freud´s Heute würden wir sagen, daß es Neuroseverständnis sich um „reife Neurosen“ Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen handelt, bei denen von einem gut integrierten Ich mit vorwiegend ungelösten ödipal-libidinösen Konflikten auszugehen ist. 120 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Theoriegeschichtliche Entwicklung von Freud´s Neuroseverständnis Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen M. Heine I) Freud´s Klassifikation der Neurosen: Die Psychoneurosen Die narzißtischen Neurosen Die narzißtischen Neurosen - ein Begriff, der aktuell kaum noch verwendet wird – stehen in der Gruppe der Psychoneurosen den Übertragungsneurosen gegenüber. 121 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Theoriegeschichtliche Entwicklung von Freud´s Neuroseverständnis M. Heine I) Freud´s Klassifikation der Neurosen: Die Psychoneurosen Die narzißtischen Neurosen Diese Gegenüberstellung hat theoretische und behandlungstechnische Gründe. Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen 122 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Theoriegeschichtliche Entwicklung von Freud´s Neuroseverständnis Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen M. Heine I) Freud´s Klassifikation der Neurosen: Die Psychoneurosen Die narzißtischen Neurosen Freud ging davon aus, daß bei den narzißtischen Neurosen die Libido von den Objekten (fast) vollständig abgezogen und auf das Ich (das Selbst) zurückgezogen werde. 123 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Theoriegeschichtliche Entwicklung von Freud´s Neuroseverständnis Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen M. Heine I) Freud´s Klassifikation der Neurosen: Die Psychoneurosen Die narzißtischen Neurosen Infolgedessen seien Patienten mit narzißtischen Neurosen nicht in der Lage, die libidinösen Übertragungen zu entwickeln, die sonst gerade den Hauptgegenstand der Analyse bilden würden. 124 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : I) Freud´s Klassifikation der Neurosen: Die Psychoneurosen Theoriegeschichtliche Die narzißtischen Neurosen Entwicklung Zunächst hat Freud den narzißtischen von Freud´s Neurosen die Psychosen und die Neuroseschweren Melancholien zugeordnet. verständnis Psychoanalytische In einer späteren Arbeit („Neurose und Psychose“) hat er nur noch die Auffassungen zur Ätiologie von Affektionen vom melancholischen Typ Neurosen unter diese Kategorie subsumiert. M. Heine 125 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Psychoanaly tische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen M. Heine Die Ätiologie der Neurosen aus ich-psychologischer Sicht: In der psychoanalytischen IchPsychologie werden die neurotischen Konflikte als Konflikte zwischen den Instanzen Es, Ich und Überich, d.h. als intersystemische Konflikte, konzeptualisiert oder als intrasystemische Konflikte, die z.B. auf konträre Inhalte des Überichs bzw. Ichideals zuzuführen sein können. 126 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Psychoanaly tische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen M. Heine Die Ätiologie der Neurosen aus ich-psychologischer Sicht: Nach Fonagy (2003) ist die moderne Ich-Psychologie „eine Konflikttheorie, nach der alle psychischen Inhalte, Gedanken, Handlungen, Pläne, Phantasien und Symptome als Kompromissbildungen betrachtet werden, als durch viele Faktoren bestimmte Konfliktkomponenten. … 127 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Psycho analytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen M. Heine Die Ätiologie der Neurosen aus ich-psychologischer Sicht: „… Der Kompromiß tritt auf zwischen vier Konfliktelementen: das sind 1. intensive persönliche und einzigartige Kindheitswünsche nach Befriedigung (Triebabkömmlinge); 2. Angst oder depressiver Affekt und deren Vorstellungsinhalt von Objektverlust, Liebesverlust oder Kastration (Unlust); 3. psychische Operationen von variierender Komplexität, die zur Verringerung von Unlust eingesetzt werden (Abwehr); und 4. Schuld, Selbstbestrafung, Reue und Buße sowie andere Manifestationen des Überich.“ 128 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Psychoanaly tische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen M. Heine Die Ätiologie der Neurosen aus ich-psychologischer Sicht: „Die Repräsentationen des Selbst und des Anderen gelten als Produkte des Konflikts zwischen diesen Elementen, auch als Kompromissbildungen. Es wird allerdings akzeptiert, daß diese Kompromissbildungen wiederum weitere Kompromisse zwischen den obigen Tendenzen beeinflussen und deshalb die Konfliktergebnisse leicht wie primäre Determinanten wirken.“ 129 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen M. Heine Die Ätiologie der psychischen Störungen aus der Sicht der Selbstpsychologie: H. Kohut und seine Anhänger sind den Fragen nachgegangen, wie es dem Individuum gelingt, ein Gefühl von Selbstkohäsion aufrechtzuerhalten und sein Selbstwertgefühl so zu regulieren, daß es sich auch im Falle von Enttäuschungen oder Kränkungen mit Selbstachtung bzw. mit Selbstakzeptanz begegnen kann. 130 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen M. Heine Die Ätiologie der psychischen Störungen aus der Sicht der Selbstpsychologie: Die Relevanz von Triebkonflikten tritt in der Selbstpsychologie hinter den Problemen mit der narzißtischen Regulation zurück. Angst vor dem Objektverlust vorrangig: ⇒ Kohut, 1973, S. 38: „...., die Angst vor dem Objektverlust steht in Häufigkeit und Wichtigkeit an erster Stelle und die Kastrationsangst an letzter.“ 131 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen M. Heine Die Ätiologie der psychischen Störungen aus der Sicht der Selbstpsychologie: Die Selbstpsychologie i. S. Kohut´s betrachtet die narzißtischen Störungen letztlich als Folge einer Blockade in der Entwicklung des Narzißmus des Kindes,- einer Blockade, die auf die mangelnde Spiegelung des Kindes in den ersten Lebensjahren durch die Mutter zurückzuführen sei. 132 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen M. Heine Die Ätiologie der psychischen Störungen aus der Sicht der Selbstpsychologie: Die Mütter dieser entwicklungsgestörten Kinder seien oft selbst derart auf narzißtische Zufuhr angewiesen, daß sie ihre Kinder selbst als narzißtische Selbstobjekte benötigen würden und deshalb nicht in der Lage seien, sich gerade in der Phase besonderer narzißtischer Bedürftigkeit, also zwischen dem 1. und dem 3. Lebensjahr, ihrem Kind als narzißtisches „Selbstobjekt“ zur Verfügung stellen zu können. 133 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen M. Heine Die Ätiologie der psychischen Störungen aus der Sicht der psychoanalytischen Objektbeziehungstheorie: Die Objektbeziehungstheoretiker, u.a. Balint, Fairbairn, Gunthrip, Winnicott und – später – Kernberg verlassen den vergleichsweise monadologischen Blick traditioneller Psychoanalytiker auf die psychische Entwicklung, indem sie für jegliche Entäußerung und Modifikation von Triebhaftem die Bezogenheit auf ein oder mehrere Objekte als konstitutiv ansehen. 134 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen M. Heine Die Ätiologie der psychischen Störungen aus der Sicht der psychoanalytischen Objektbeziehungstheorie: Während in der traditionellen psa. Theorie die Ausformungen des ödipalen Konflikts im Zentrum des Interesses standen, geraten nun sicherlich forciert durch Arbeiten von Melanie Klein - prägenitale Konflikte stärker ins Blickfeld. 135 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen M. Heine Die Ätiologie der psychischen Störungen aus der Sicht der psychoanalytischen Objektbeziehungstheorie: In diesem theoretischen Kontext wird z. B. die höchst bedeutsame Frage aufgeworfen, wie sich kohärente Repräsentanzen von den Objekten und vom eigenen Selbst herausbilden und konturieren. 136 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre M. Heine 4. Sitzung : Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen Die Ätiologie der psychischen Störungen aus der Sicht der psychoanalytischen Objektbeziehungstheorie: Graphik aus: Fiedler, Persönlichkeitsstörungen,4. Aufl., 1998, S. 230 137 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen M. Heine Die Ätiologie der psychischen Störungen aus der Sicht der psychoanalytischen Objektbeziehungstheorie: Die vor allem von O.F. Kernberg in den letzten 20 Jahren vorgelegten Befunde und Annahmen haben außerordentlich innovativ gewirkt für unser heutiges Verständnis von der Ätiologie schwerer Persönlichkeitsstörungen 138 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen M. Heine Die Ätiologie der psychischen Störungen aus der Sicht der psychoanalytischen Objektbeziehungstheorie: Die systematische Erforschung der Psychodynamik und der strukturellen Besonderheiten bei Patienten mit schweren Persönlichkeitsstörungen hat u. a. wichtige Erkenntnisse über deren spezifische, die sog. unreife Abwehr erbracht, hat die Diagnostik präzisiert und neue Behandlungsmöglichkeiten für diese Patienten eröffnet, die bislang als unbehandelbar oder prognostisch als extrem ungünstig galten. 139 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen M. Heine Die Ätiologie der psychischen Störungen aus der Sicht der Arbeitsgruppe um Fonagy (z. B. Fonagy et al., 2004): Fonagy hat - gemeinsam mit Target unter Einbeziehung neuester empirischer Befunde aus der Bindungstheorie, der Entwicklungspsychologie, den Kognitionswissenschaften, der Neurobiologie und der Gedächtnisforschung das Konzept der Mentalisierung entwickelt. 140 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen M. Heine Die Ätiologie der psychischen Störungen aus der Sicht der Arbeitsgruppe um Fonagy (z. B. Fonagy et al., 2004): Zunächst hat sich Fonagy jahrelang intensiv darum bemüht, eine fruchtbare Auseinandersetzung zwischen den theoretischen Positionen der Bindungstheorie und der modernen Psychoanalyse voranzutreiben. (zusammenfassend: Fonagy, 2003) 141 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen M. Heine Die Ätiologie der psychischen Störungen aus der Sicht der Arbeitsgruppe um Fonagy (z. B. Fonagy et al., 2004): Zu diesem Zweck haben Fonagy und seine Mitarbeiter Unklarheiten und Inkonsistenzen von Forschungsergebnissen der bisherigen Bindungsforschung aufgegriffen und haben unter dem bindungstheoretischen Paradigma weitere empirische Untersuchungen durchgeführt. 142 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen M. Heine Die Ätiologie der psychischen Störungen aus der Sicht der Arbeitsgruppe um Fonagy (z. B. Fonagy et al., 2004): In bindungstheoretischen Untersuchungen hatte sich gezeigt, daß die mütterliche Feinfühligkeit und die elterlichen Bindungsrepräsentanzen als determinierende Faktoren für das Bindungsmuster des Kindes nicht ausreichten. (vgl. Fonagy, 2003) 143 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen M. Heine Die Ätiologie der psychischen Störungen aus der Sicht der Arbeitsgruppe um Fonagy (z. B. Fonagy et al., 2004): Die Ergebnisse ihrer empirischen Untersuchungen (z. B. Fonagy et al., 1994) brachten zutage, daß Mütter, obwohl sie einer besonders stressbelasteten und soziökonomisch benachteiligten Gruppe zugehörten, sicher gebundene Kinder hatten, wenn sie über die Fähigkeit zur Mentalisierung verfügten. 144 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen M. Heine Die Ätiologie der psychischen Störungen aus der Sicht der Arbeitsgruppe um Fonagy (z. B. Fonagy et al., 2004): Unter „Mentalisierung“ verstehen die Autoren „die Fähigkeit, den anderen (und die eigene Person) als Wesen mit geistig-seelischen Zuständen zu betrachten“ (Dornes, 2004b, S. 176). Eigene Handlungen und die der anderen werden dann nicht mehr nur funktional teleologisch, sondern ca. von 1,5 Jahren an als subjektiv intentional verstanden. 145 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : M. Heine Die Ätiologie von bestimmten psychischen Störungen aus der Sicht der Arbeitsgruppe um Fonagy (z. B. Fonagy et al., 2004 und Fonagy u. Target (2006)): Psychoanaly Entwicklungslinie der Mentalisierung tische vgl. L. Köhler (Forum der Psa., Bd. 20, Heft 2, 2004): 1. – 2. Lebensmonat: „Die Regulation des inneren Auffassungen physiologischen Milieus des Kindes wird auf die Interaktion zwischen dem kindlichen Selbst und der Pflegeperson zur Ätiologie delegiert.“ d.i. „an das dyadische System >>delegierte<< von Homöostase. Wenn die Herstellung der Homöostase systematisch scheitert, „besteht die Gefahr schwerer Neurosen dysphorischer Zustände. Winicott spricht von agonalen Ängsten, affektive Zustände, die oftmals später unbedingt gemieden, verhindert, abgewehrt werden müssen. Eßstörungen, Sucht, fragiles Selbstwertgefühl, abgewehrter Objekthunger a. a. können die Folge sein. 146 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : M. Heine Die Ätiologie von bestimmten psychischen Störungen aus der Sicht der Arbeitsgruppe um Fonagy (z. B. Fonagy et al., 2004 und Fonagy u. Target (2006)): Psychoanaly Entwicklungslinie der Mentalisierung tische vgl. L. Köhler (Forum der Psa., Bd. 20, Heft 2, 2004): 3. – 7. Lebensmonat: Lächelspiele. „Synchronie der Auffassungen aufsteigenden und abnehmenden Spannung – mit einer subliminalen Zeitverschiebung. Dyadisches Beziehungszur Ätiologie wissen wird erworben. „Beim geglückten Wechselspiel von macht das Kind die Erfahrung, daß eine andere Person sich seinen Bedürfnissen, seinem Erleben, seinem Rhythmus Neurosen und Ausdruck angleicht.“ Regulation des autonomen Nervensystems spielt sich ein.- Das Kind „lernt in den frühen Interaktionen, wie es seine emotionalen Signale einsetzen kann, um auf seine Umgebung einzuwirken. … Die Effektanz, .. beeinflußt die positive oder negative Tönung seines sich bildenden affektiven Kerns und formt seinen sozialen Stil: seine Ausdauer im Verfolgen einer 147 Handlung und die Vielzahl der Mittel, die es dafür einsetzt. “ Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : M. Heine Die Ätiologie von bestimmten psychischen Störungen aus der Sicht der Arbeitsgruppe um Fonagy (z. B. Fonagy et al., 2004 und Fonagy u. Target (2006)): Psychoanaly Entwicklungslinie der Mentalisierung tische vgl. L. Köhler (Forum der Psa., Bd. 20, Heft 2, 2004): 3. – 7. Lebensmonat: Ereignisse von >>self-with-other-inAuffassungen a-certain-way<< (Stern, 1998) werden gespeichert. „Die so gebildeten frühesten Repräsentanzen sind vermutlich zur Ätiologie >>Ereignisrepräsentanzen<<, in denen Selbst, Objekt und von die Vice-versa-Interaktion als Ganzes aufbewahrt wird. Diese präverbalen Er-Innerungen, die auch einen Teil des Neurosen prozeduralen Gedächtnisses ausmachen , können nicht in Gestalt konkreter Vorfälle ins Gedächtnis zurückgerufen werden, sondern drücken sich in gewissen Einstellungen und Verhaltensweisen, unter anderem im Bindungs- oder Trennungsverhalten aus.“ (Köhler, a.a.O., S. 165) 148 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : M. Heine Die Ätiologie von bestimmten psychischen Störungen aus der Sicht der Arbeitsgruppe um Fonagy (z. B. Fonagy et al., 2004 und Fonagy u. Target (2006)): Psychoanaly Entwicklungslinie der Mentalisierung tische vgl. L. Köhler (Forum der Psa., Bd. 20, Heft 2, 2004): 8. – 18. Lebensmonat: Erstes Aufdämmern von etwas Auffassungen Geistigem, Innerem, Mentalen, erkennbar durch >>affect attunement<< der Mutter und >>joint attention<<. zur Ätiologie Beginn der Unterscheidung von Innen- und Außenwelt – von Beginn einer „theory of mind“. Beginn von Intersubjektivität: „Das Empfinden des eigenen Selbst und Neurosen des anderen schließt nun , zusätzlich zum äußeren Verhalten und den direkten Sensationen, auch innere oder subjektive Erlebenszustände ein.“ (Köhler, a.a.O.) 149 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : M. Heine Die Ätiologie von bestimmten psychischen Störungen aus der Sicht der Arbeitsgruppe um Fonagy (z. B. Fonagy et al., 2004 und Fonagy u. Target (2006)): Psychoanaly Entwicklungslinie der Mentalisierung tische vgl. L. Köhler (Forum der Psa., Bd. 20, Heft 2, 2004): 8. – 18. Lebensmonat: Auffassungen Das Erleben von Subjektivität setzt die Affektabstimmung zur Ätiologie durch die Mutter voraus. Affektabstimmung besteht nicht allein darin, daß die Mutter sich in die Affektlage des Kindes von einfühlt, „sie besteht vielmehr darin, daß die Mutter den einer Handlung des Kindes zugrundeliegenden Neurosen Gefühlszustand erfaßt und in anderer Weise wiedergibt,“ z.B. in einer mimisch-semantischen Form. Dadurch erfährt das Kind sich nicht nur von innen, also körperlich, sondern auch von außen durch die spezifischen Reaktionen der Mutter. „Es bildet nun eine sekundäre Re-Präsentanz seiner selbst,“ indem der affektspiegelnde Ausdruck der Mutter enkodiert wird. 150 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : M. Heine Die Ätiologie von bestimmten psychischen Störungen aus der Sicht der Arbeitsgruppe um Fonagy (z. B. Fonagy et al., 2004 und Fonagy u. Target (2006)): Psychoanaly Entwicklungslinie der Mentalisierung tische vgl. L. Köhler (Forum der Psa., Bd. 20, Heft 2, 2004): 8. – 18. Lebensmonat: Zwei Formen der Affektspiegelung: Auffassungen Kongruenz und Markierung zur Ätiologie „Kongruenz meint: Die Spiegelung ist dem inneren Zustand des Kindes adäquat, d h. es bestehen ein zeitlicher Zusamvon menhang und eine kreuzmodale (modusübergreifende) Ähnlichkeit zwischen der Spiegelung und dem Neurosen Affektausdruck des Kindes. „Markierung bedeutet, daß der Affektausdruck des Kindes zwar kongruent, aber nicht identisch widergespiegelt wird. … Es gibt aber auch die Möglichkeit, einen Affektausdruck qualitativ wiederzuspiegeln, aber in veränderter Intensität, so daß er sich deutlich vom Affektausdruck des Kindes unterscheidet. 151 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen M. Heine Die Ätiologie der psychischen Störungen aus der Sicht der Arbeitsgruppe um Fonagy (z. B. Fonagy et al., 2004 und Fonagy und Target, (2006): Unter Bezug auf entwicklungspsychologische Untersuchungen stellen die Autoren fest, daß sich die Fähigkeit zur Mentalisierung erweitert und ca. im 4. Lbj. die Stufe der Metakognition erreicht sei, die es dem Kind ermöglicht, über die eigenen mentalen Zustände und die der anderen nachzudenken. „Dann verfügt das Kind nicht nur über ein mentales, sondern auch über ein repräsentationales Weltbild, in dem es den subjektiven Charakter seiner geistigen Hervorbringungen durchschaut“ (Dornes, a.a.O.)152 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen M. Heine Die Ätiologie der psychischen Störungen aus der Sicht der Arbeitsgruppe um Fonagy (z. B. Fonagy et al., 2004, und Fonagy und Target (2006): Anders als die traditionellen Vertreter der „theory of mind“ gehen die Autoren nicht davon aus, daß die Fähigkeit zur Mentalisierung bloß auf ein biologisches Programm zurückzuführen sei, sondern daß die Herausbildung der Mentalisierung in hohem Maße „von den frühen Bindungserfahrungen, also von der affektiv-interaktiven Qualität der Primärbeziehungen abhängig ist“. (Dornes, a.a.O.) 153 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen M. Heine Die Ätiologie der psychischen Störungen aus der Sicht der Arbeitsgruppe um Fonagy (z. B. Fonagy et al., 2004): Die in den letzten Jahren insbesondere im Rahmen der Bindungsforschung durchgeführten Untersuchungen sprechen dafür, daß die affektiv-interaktive Qualität der Primärbeziehungen wesentlichen Einfluß darauf ausübt, ob und in welchem Maß ein Kind die Fähigkeit gewinnt, die eigenen oder fremden Reaktionen im Kontext bestimmter geistig-seelischer Zustände adäquat zu interpretieren. 154 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen M. Heine Die Ätiologie der psychischen Störungen aus der Sicht der Arbeitsgruppe um Fonagy (z. B. Fonagy et al., 2004): Wenn die frühen Interaktionen mit den primären Bezugspersonen defizitär sind, indem es an der notwendigen Affektspiegelung, der Markierung der Affekte, der Möglichkeit zum Spiel mit der Realität mangelt, wie dies durch Vernachlässigung, Gewalt, Mißbrauch, chronisches Mißverstehen entstehen kann, wird nach Fonagy et al. die Herausbildung der Fähigkeit zur Mentalisierung wahrscheinlich eingeschränkt. 155 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Psychoanalytische Auffassungen zur Ätiologie von Neurosen M. Heine Die Ätiologie der psychischen Störungen aus der Sicht der Arbeitsgruppe um Fonagy (z. B. Fonagy et al., 2004, und Fonagy und Target (2006): Die Beeinträchtigung der Mentalisierung kann zwei Ausprägungsformen aufweisen: Die gehemmte Mentalisierung Die überaktive Mentalisierung (vgl. Dornes, 2004, Forum der Psychoanalyse, Bd. 20, S. 175 - 199 156 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Empirische Studien zur Wirksamkeit psychodynamischer Therapie M. Heine Leichsenring hat 2002 eine Übersicht über vorliegende Studien zur Wirksamkeit psychodynamischer Therapie, die zwischen 1960 und 2001 veröffentlicht wurden, vorgelegt. Die einbezogenen Studien mußten folgende methodische Mindestanforderungen erfüllen: Beschreibung der angewendeten Therapie und der untersuchten Patienten Verwendung reliabler und valider Erfolgsmaße Uabhängige Rater bei Fremdbeurteilung des Therapie-Erfolges Ausreichende Stichprobengröße (sh. Gütekriterien bei Ermann et al. (2001) 157 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Empirische Studien zur Wirksamkeit psychodynamischer Therapie M. Heine Unterscheidung von kontrollierten und naturalistischen Studien In kontrollierten Studien werden die Patienten den Behandlungen und den Behandlern! zufällig zugewiesen und die Therapien werden nach Manualen durchgeführt. → „efficacy studies“ In naturalistischen Studien werden Therapien untersucht, wie sie unter den Bedingungen des psychotherapeutischen Alltags durchgeführt werden. → „effectiveness studies“ (vgl. Leichsenring, 2002, S. 141) 158 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Empirische Studien zur Wirksamkeit psychodynamischer Therapie M. Heine Die kontrollierten Studien sichern vor allem die interne Validität, die naturalistischen Studien die externe Validität. Leichsenring (2002) stellt die Forderung nach randomisierten kontrollierten Studien (RC Trials), wie sie die APA erhoben habe, u. a. unter Berufung auf den anerkannten Psychotherapieforscher Seligman, in Frage, da „ihre Ergebnisse … für die Praxis nur begrenzt repräsentativ“ (S. 141) seien. 159 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Empirische Studien zur Wirksamkeit psychodynamischer Therapie M. Heine Auch die unbedingte Forderung nach einer unbehandelten Kontrolloder einer Placebogruppe“ stellt nach Leichsenring „einen Fetisch der Psychotherapieforschung dar. Sie sind ethisch bedenklich und wissenschaftlich überholt.“ Aufgrund der ermittelten Daten zu den Effekten des Wartens seien „Lambert und Bergin (1994) zu dem Schluß gekommen, daß es Zeit ist, PlaceboKontrollen aufzugeben.“ (S. 141) 160 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Empirische Studien zur Wirksamkeit psychodynamischer Therapie M. Heine Leichsenring vertritt die Auffassung, daß „RC Trials allenfalls für Kurztherapien angemessen“ seien, „nicht jedoch für Langzeittherapien: Über mehrere Jahre hinweg sind glaubhafte Vergleichsbedingungen ebenso wenig möglich wie die Durchführung von Therapien nach Manualen.“ (S. 141) 161 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Empirische Studien zur Wirksamkeit psychodynamischer Therapie M. Heine Leichsenring (2002): „Solange nur RCT´s als Wirkungsnachweise zugelassen werden, werden (psychodynamische) Therapien längerer Dauer automatisch von einer „empirischen Validierung“ ausgeschlossen. Das ist Politik, nicht wissenschaftliche Forschung.“ Leichsenring plädiert dagegen für eine Kombination von naturalistischen und kontrollierten Studien. 162 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Empirische Studien zur Wirksamkeit psychodynamischer Therapie M. Heine Zur Wirksamkeit von psychodynamischen Kurztherapien: Psychodynamischen Kurztherapien → in der Regel Therapien von bis zu 30 Sitzungen Leichsenring legt Wert darauf, die vorhandenen Untersuchungsergebnisse nach der methodischen Güte der Untersuchung zu sichten. 163 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Empirische Studien zur Wirksamkeit psychodynamischer KurzTherapie M. Heine Im Gegensatz zu Grawe et al. (1994), Svartberg und Stiles (1991) und Anderson und Lambert (1995) habe Crits-Cristoph (1992) in seine Meta-Analyse nur Untersuchungen einbezogen, die strenge Auswahl-Kriterien erfüllen (TherapieManuale, erfahrene Therapeuten, Mindestzahl von Sitzungen). Ergebnis: PDKT führe im Vergleich mit unbehandelten Wartelisten-Patienten zu großen Therapie-Effekten (Verbesserungen) im Sinne von Cohen (1988). 164 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Empirische Studien zur Wirksamkeit psychodynamischer KurzTherapie M. Heine „Crits-Christoph ermittelte Effektgrößen von 1.10 für die Zielsymptomatik, 0.82 für die allgemeine psychiatrische Symptomatik und 0.81 für die soziale Anpassung. Effekte ab 0.80 werden als groß angesehen (Cohen, 1988).“ (S. 142) Keine Unterschiede, wenn PDKT mit anderen Therapie-Formen wie kognitivbehavioraler (CBT) oder medikamentöser Behandlung verglichen wurde. 165 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Empirische Studien zur Wirksamkeit psychodynamischer KurzTherapie M. Heine Studien zur Wirksamkeit der PDKT nach Störungsbildern geordnet: Wirksamkeit der PDKT bei Depression: Unter Anwendung strenger Auswahlkriterien erbrachte eine Meta-Analyse von Leichsenring (2001) das Ergebnis, daß PDKT und kognitivbehaviorale Therapie (CBT) bei der Behandlung von Depression gleich wirksam sind. → große Effekte (Prä – Post) bei der Reduzierung der depressiven Symptomatik (0.90 – 2.80) sowie bei der allgemeinen psychiatrischen Symptomatik (0.79 – 2.65) 166 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Empirische Studien zur Wirksamkeit psychodynamischer KurzTherapie M. Heine Studien zur Wirksamkeit der PDKT nach Störungsbildern geordnet: Wirksamkeit der PDKT bei Generalisierten Angststörungen (GAS): Crits-Christoph et al. (1996) haben „signifikante Verbesserungen bei Pat. mit GAS nach PDKT in einer offenen manualgeleiteten Interventionsstudie nachgewiesen. Die gefundenen Prä - Post – Effektgrößen waren groß (Angst: 0.95 – 1.99) und liegen in der Größenordnung, wie sie für kognitive Therapien berichtet werden.“ Erfolgsquote hoch: 79 %. Bislang keine RCT´s. 167 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Empirische Studien zur Wirksamkeit psychodynamischer KurzTherapie M. Heine Studien zur Wirksamkeit der PDKT nach Störungsbildern geordnet: Wirksamkeit der PDKT bei Panikstörung und Agoraphobie: „In einem RCT zur Panikstörung war PDKT kombiniert mit Clomipramin einer ausschließlichen Behandlung mit Clomipramin signifikant überlegen im Hinblick auf die Prophylaxe von Rückfällen (20% vs. 75%) … Auch in einer offenen Interventionsstudie von Milrod et al. (2000, 2001) erreichte PDKT bei Panikstörungen signifikante Verbesserungen, im Follow-up nach 40 Wochen stabil.“ Erfolgsraten hoch: 93% bei Therapieende, 90% zur Katamnese. 168 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Empirische Studien zur Wirksamkeit psychodynamischer KurzTherapie M. Heine Studien zur Wirksamkeit der PDKT nach Störungsbildern geordnet: Wirksamkeit der PDKT bei Belastungsstörungen: Signifikante Besserungen bei Posttraumatischen Belastungsstörungen/ Anpassungsstörungen durch PDKT wurden in verschiedenen Untersuchungen demonstriert. In dem RCT von Brom et al. (1989)war die PDKT (nach Horowitz) ebenso wirksam wie die verhaltenstherapeutische Vergleichsbehandlung. 169 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Empirische Studien zur Wirksamkeit psychodynamischer KurzTherapie M. Heine Studien zur Wirksamkeit der PDKT nach Störungsbildern geordnet: Wirksamkeit der PDKT bei Somatoformen Störungen: „In vier RCT´s wurde die Wirksamkeit von PDKT bei somatoformen Störungen gezeigt … PDKT war einer Kontrollbedingung (treatment as usual, TAU) signifikant überlegen. Therapieergebnisse nach ein bis vier Jahren stabil. 170 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Empirische Studien zur Wirksamkeit psychodynamischer KurzTherapie M. Heine Studien zur Wirksamkeit der PDKT nach Störungsbildern geordnet: Wirksamkeit der PDKT bei Bulimie: „Signifikante und stabile Besserungen durch PDKT bei Bulimie wurden in mehreren manualgeleiteten RCT´s nachgewiesen … In zentralen bulimiespezifischen Maßen (Eßanfälle, Erbrechen) war PDKT ebenso wirksam wie CBT. In manchen Studien war CBT der PDKT in einzelnen Maßen der Psychopathologie überlegen.“ In einer späteren Follow-upUntersuchung erwiesen sich die beiden Therapieformen als gleich wirksam. 171 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Empirische Studien zur Wirksamkeit psychodynamischer KurzTherapie M. Heine Studien zur Wirksamkeit der PDKT nach Störungsbildern geordnet: Wirksamkeit der PDKT bei Anorexie: „In einem RCT erreichte PDKT bei Anorexia Nervosa im Einjahres-Follow-up signifikante Besserungen und war im Hinblick auf Gewichtszunahme ebenso wirksam wie eine DiätBeratung, sie war der Diät-Beratung in Maßen der sozialen und sexuellen Anpassung jedoch überlegen (Hall u. Crisp, 1987)“ 172 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Empirische Studien zur Wirksamkeit psychodynamischer KurzTherapie M. Heine Studien zur Wirksamkeit der PDKT nach Störungsbildern geordnet: Wirksamkeit der PDKT bei Persönlichkeitsstörungen: „Signifikante Effekte bei der Behandlung von Persönlichkeitsstörungen mit PDKT wurden in einer Reihe von Untersuchungen gefunden.“ Leichsenring hat die Effektgrößen dieser Untersuchungen berechnet und meta-analytisch zusammengefaßt. Danach betrage die mittlere Effektgröße über die sieben Studien 1.13 (SD=0.42) für Selbstrating-Verfahren und 1.57 (SD=0.82) für Fremdrating-Verfahren. Große Effekte. (S. 146) 173 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Empirische Studien zur Wirksamkeit psychodynamischer KurzTherapie M. Heine Studien zur Wirksamkeit der PDKT nach Störungsbildern geordnet: Wirksamkeit der PDKT bei gemischten Stichproben: „In mehreren dieser Studien war PDKT einer Wartelisten-Bedingung signifikant überlegen (…). In dem RCT von Sloane et al. (1975, 1981) erwies sich PDKT auch in der Langzeitwirkung als ebenso wirksam wie CBT.“ 174 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Empirische Studien zur Wirksamkeit tiefenpsychologisch fundierter und analytischer Therapie M. Heine Die Studie von Dührssen und Jorswieck (1965): Zufallstichprobe von Patienten des Instituts für Psychogene Erkrankungen (AOK) im Vergleich mit zufällig gezogener Wartegruppe und zufällig gezogener Stichprobe aus der allgemeinen Population Analytische und psychodynamische Therapien mit einer Dauer von 150 – maximal 200 Stunden, Frequenz 2 – 3 Sitzungen pro Woche. Vergleich der Krankenhaustage 5 Jahre vor und 5 Jahre nach der psychotherapeutischen Behandlung Ergebnisse: Signifikanter Rückgang der Krankenhaustage nach der Behandlung Weniger Krankenhaustage als die Stichprobe aus der Allgemeinbevölkerung aufwies Die Effektgröße (Krankenhaustage) beträgt nach Leichsenring d=0.78 (großer Effekt) 175 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Empirische Studien zur Wirksamkeit tiefenpsychologisch fundierter und analytischer Therapie M. Heine Die Berliner Studie von Rudolf und Mitarbeitern Drei Behandlungsgruppen nach gestellter Indikation: analytische Psychotherapie, durchschnittlich 265 Sitzungen, Frequenz 2 – 3 Sitzungen pro Woche Psychodynamische Therapie, durchschnittlich 60 Sitzungen, Stationäre Therapie, durchschnittliche Dauer: 2,6 Monate Ergebnisse: In der globalen Abschlußbeurteilung durch die Patienten gaben 96% der ambulant behandelten Patienten an, daß sich ihre Beschwerden gebessert hätten. Wurde als Kriterium für den Therapie-Erfolg eine klinisch signifikante Besserung in Selbstbeurteilungsmaßen zugrunde gelegt, ergaben sich folgende Besserungsraten: Analytische Psychotherapie 76%, psychodynamische Therapie 55%, stationäre Therapie 50%. Große Effekte (≥ 0.80) erzielte die analytische Psychotherapie gemäß der Selbstbeurteilung in den Bereichen (körpernahe) Angst, Depression, Körpersymptomklagen, 176 Angst im Kontakt (Rudolf et al. 1994) Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Empirische Studien zur Wirksamkeit tiefenpsychologisch fundierter und analytischer Therapie M. Heine Die Praxisstudie analytische Langzeittherapie von Rudolf, Grande und anderen (2004) 177 Praxisstudie analytische Langzeittherapie (PAL) Materialien zur Präsentation anlässlich der Tagung „Zur Wirksamkeit von Psychoanalysen und Psychotherapien“ am 17. und 18. Oktober in Heidelberg 178 Fragestellung der Studie Die zentrale Fragestellung der Studie bezieht sich auf die Frage, ob und in welchem Umfang sich in unterschiedlich intensiven Psychotherapien Umstrukturierungen der Persönlichkeit jenseits der Symptomverbesserung erfassen lassen. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass das so genannte DosisWirkungsmodell, wie es von Howard et al (1986) vorgelegt wurde, offenkundig ungeeignet ist, die spezifischen Wirkungen psychoanalytischer Behandlungen zu erfassen, weil die in der Psychotherapieforschung üblichen Messinstrumente für Symptomveränderungen nur in der therapeutischen Anfangsphase, kaum jedoch im späteren Verlauf deutliche Veränderungen abbilden. Die kurzschlüssige Konsequenz solcher Untersuchungen lautete dann häufig: Man könne sich auf Kurztherapien beschränken, weil dadurch die wesentlichen Effekte der Symptombesserung erzielt werden. Um die aus psychoanalytischer Sicht basalen Veränderungen der Persönlichkeitsstruktur zu erfassen, wurde als spezielles Messinstrument die Heidelberger Umstrukturierungsskala entwickelt. (Grande et al 1997, Rudolf, Grande, Oberbracht 2000). In der Studie sollten folgende Fragen beantwortet werden: • • • • • Welches Maß der Symptombesserung lässt sich im Verlauf von analytischen und psychotherapeutischen Behandlungen beobachten? In welchem Umfang werden in beiden Therapieformen Verbesserungen des persönlichkeitsstrukturellen Verhaltens (Umstrukturierung) erzielt? Wie verhalten sich symptomatische und strukturelle Veränderungen zueinander, d.h. wie wirken sich die strukturellen Veränderungen im Unterschied zu den symptomatischen im Leben der Patienten aus? Wie stabil sind die Behandlungsergebnisse auf symptomatischer und struktureller Ebene im Zeitraum nach Abschluss der Behandlung (1-Jahres-Katamnese, 3-Jahres-Katamnese)? Welche ökonomischen Therapieeffekte lassen sich anhand von Krankenkassendaten (Krankschreibungen, Klinikaufenthalte) im Therapieverlauf und im Katamnesezeitraum ermitteln (Effizienz)? 179 Stichworte zum Design der Studie Da für die Prüfung differenzieller Effekte in bezug auf die in vergleichbaren Studien regelmäßig verwendeten Instrumente zur Veränderungsmessung wie z.B. SCL-90R oder IIP sehr große Fallzahlen erforderlich sind, diese jedoch eine differenzierte Analyse des Materials wegen des enormen Aufwands praktisch unmöglich machen, wurde in der vorliegenden Studie entschieden, die Untersuchung von Effekten in den Mittelpunkt zu stellen, die psychoanalysespezifisch sind und mit dem Begriff der „Umstrukturierung“ bezeichnet werden. Dies geschieht mit Hilfe der bereits erwähnten Umstrukturierungsskala. Es wurde erwartet, dass diese Effekte deutlich genug sein würden, um eine statistisch verlässliche Differenzierung der Behandlungsgruppen durch eine Untersuchung von 30 Psychoanalysepatienten und 30 Psychotherapiepatienten zu ermöglichen. Da in psychotherapeutischen Langzeitstudien eine randomisierte Zuweisung nicht realisiert werden kann, wird die Vergleichbarkeit der beiden Gruppen durch ein Matching-Verfahren sichergestellt. Die MatchingKriterien sind Alter, Geschlecht, Bildung und beruflicher Status. In beide Gruppen wurden nur Patienten einbezogen, bei denen, gemessen an Symptombelastung und Persönlichkeitsproblematik, eine schwer ausgeprägte Störung vorlag. Aus den regionalen Einzugsgebieten Heidelberg und Berlin (und als Vergleichsgruppe Zürich) wurden die Psychoanalytiker, die nach den Qualitätsstandards der Fachgesellschaft ausgebildet wurden, eingeladen, an der Studie mitzuarbeiten. Sie sollten je einen Fall Psychoanalyse und Psychotherapie in die Studie einbringen (letzteres konnte zum größeren Teil, aber nicht vollständig realisiert werden). Die Kriterien, nach denen die Therapeuten ihre Patienten auswählten, wurden sorgfältig dokumentiert. Als Messzeitpunkte wurden der Behandlungsbeginn, 3 Monate, 6 Monate, 12 Monate und fortan jedes weitere halbe Jahr bis zur Beendigung der Therapie festgelegt, ferner eine 1-jahres- und eine 3jahreskatamnestische Nachuntersuchung. Das Design wird weiter unten in einer Abbildung graphisch veranschaulicht. 180 Beobachtungsebenen und Datenquellen Die Daten werden aus vier Perspektiven (vgl. die Perspektiven in der Abbildung zum Studiendesign unten) erhoben: 1. Patientenselbsteinschätzung: Anhand von international gebräuchlichen standardisierten Instrumenten (SCL-90, IIP, PSKB-Se) werden Symptome und Persönlichkeitsmerkmale erfasst; darüber hinaus Daten der soziodemographischen und sozialen Situation, Krankheitsverhalten und Einschätzung der Lebensqualität (TPF). 2. Einschätzungen der Psychoanalytiker zu Behandlungsbeginn: Standardisierte Beschreibung der Symptome, Konflikte, des Strukturniveaus, der Beeinträchtigungsschwere, der initialen Arbeitsbeziehung und Gegenübertragung sowie der ICD-10-Diagnosen. Einschätzung der Psychoanalytiker im Behandlungsverlauf: Standardisierte Einschätzung der therapeutischen Arbeitsbeziehung, Gegenübertragung und Umstrukturierung im Problemfokus, jeweils vierteljährlich freier Bericht über Therapiesitzungen. 3. Einschätzungen der externen Untersucher zu Behandlungsbeginn: ICD-10-Diagnosen, OPDBefund, Fokusauswahl aus dem OPD-Befund. Einschätzung der externen Untersuchung im Therapieverlauf auf der Grundlage eines jeweiligen Beziehungsepisoden-Interviews: OPD-Befund, Fokus-Entwicklung, Einschätzung der Heidelberger Umstrukturierungsskala. 4. Krankenkassendaten: Erfassung von Krankheitstagen, Arbeitsunfähigkeit, medizinische Inanspruchnahme je zwei Jahre vor Beginn und nach Abschluss der Therapie 181 Abschließende Bewertung des Studiendesigns Im Sinne eines Bewertungskatalogs von Wallerstein (1999) zeigt die PAL-Studie folgende Charakteristika: • • • • • • • • • • Eine prospektive systematische Studie zur psychoanalytischen Therapie bei klinisch indizierten Behandlungen, ausgeführt durch qualifizierte Therapeuten. Eine signifikanten Fallzahl Einen Vergleich von Psychoanalysen und Psychotherapien Eine Erfassung von Prozess und Ergebnis gleichermaßen Die Möglichkeit, an Einzelfällen Längsschnittstudien durchzuführen Die Möglichkeit, gruppenstatistische Verfahren und Einzelfalldarstellungen zu kombinieren Verwendung operationalisierter psychoanalytischer Begrifflichkeiten Zugrundelegung einer gründlichen diagnostischen Beschreibung der Patienten bei Behandlungsbeginn Berücksichtigung der nach Behandlungsende erreichten Wirkungen und der Entwicklung in der posttherapeutischen Phase Möglichkeit, Prädiktoren der Prozesse und Ergebnisse zu identifizieren. Damit soll ein verbessertes Verständnis der Wirkungsweisen der unterschiedlich intensiven Therapieverfahren, der von ihnen initiierten Prozessverläufe und der darin enthaltenen Chancen für ein Behandlungsergebnis, aber auch der Risiken von Stagnation und Scheitern ermöglicht werden. 182 Forschungsdesign B. Perspektive des Analytikers tiefenpsych. fund. Psychotherapie 1 Stunde/Woche geplant: N = 30 Beginn 1/4 1/2 3/4 1 Jahr Abschluss Katamnese 3 Jahre Analytische Psychotherapie 3-4 Stunden/W. geplant: N = 30 D. Gesundheitspolitische Perspektive Beginn 1/4 1/2 1 Jahr Abschluss Katamnese A. Perspektive des Patienten Forschungsinterviews C. Perspektive des Beobachters 183 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie 4. Sitzung : Empirische Studien zur Wirksamkeit tiefenpsychologisch fundierter und analytischer Therapie M. Heine Neurosenlehre Die PAL - Studie von Rudolf, Grande et al. Die PAL - Studie von Rudolf, Grande et al. Die Heidelberger Umstrukturierungsskala 1. Nichtwahrnehmen des Fokusproblems 1 1+ Völlige Abwehr bzw. Vermeidung des Fokusbereichs, es gibt kein Problem 2. Ungewollte Beschäftigung mit dem Fokus 2– 2 2+ Symptomdruck, interpersonelle Schwierigkeiten, Zumutungen, von auß außen kommend erlebt Bewäl- 3. Vage Wahrnehmung mit dem Fokus 33 3+ Passive Beschä Beschäftigung mit dem Fokus, Ahnung eigener Verantwortung tigung 4. Anerkennung und Erkundung des Fokus 4– 4 4+ Interessiertes Problemverstehen, Arbeitsbeziehung, aktive Bewä Bewältigung 5. Auflösung alter Strukturen im Fokusbereich 5– 5 5+ Abwehr wird brü brüchig, Prozess wird zur Passion, Trauer, Ausgeliefertsein, Verwirrung Strukturelle 6. Neutrukturierung im Fokusbereich 6– 6 6+ Versö Versöhnliches Erleben, neue ErlebensErlebensund Verhaltensmö Verhaltensmöglichkeiten stellen sich spontan ein VerÄnderung 7. Auflösung des Fokus 7– 7 7+ Integration, Selbstü Selbstübereinstimmung, realitä realitätsgerechtes Erleben, Neugestaltungen 184 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie 4. Sitzung : M. Heine Neurosenlehre Die PAL - Studie von Rudolf, Grande et al. Die PAL - Studie von Rudolf, Grande et al. Ergebnisse: Empirische Studien zur Wirksamkeit tiefenpsychologisch fundierter und analytischer Therapie Signifikante und ähnlich deutliche Reduktion von Symptomen sowie von interpersonellen Problemen bei beiden Therapieformen Behandlungen mit höherer Stundenzahl und frequenz zeigen tiefgreifendere und nachhaltigere Wirkungen als niedriger frequente tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapien. Höherfrequente psa. Behandlungen erleichtern aufgrund der intensiven Auseinandersetzung im therapeutischen Prozeß eine Umstrukturierung im eigentlichen Sinne. Vorübergehende Verschlechterungen von der Stufe 5 der Umstrukturierungsskala auf frühere Stufen sind dabei häufig. Diese werden als produktive therapeutische Krisen im Sinne einer regressiven Reaktion in einem nicht-linearen Entwicklungsprozeß verstan 185 den. Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : M. Heine Die Stockholmer Studie von Sandell und Mitarbeitern (1999, 2001) Empirische Zwei Behandlungsgruppen nach gestellter Indikation: Studien zur analytische Psychotherapie, durchschnittlich Wirksamkeit 642 Sitzungen, durchschnittliche Behandlungsdauer 54 Monate, Frequenz 3 – 5 tiefenpsychoSitzungen pro Woche, N = 24 logisch Psychodynamische Langzeittherapie, fundierter durchschnittlich 233 Sitzungen, Behandlungsdauer: 43 Monate, N = 100 und Vor der Therapie zwischen den analytischer Behandlungsgruppen bestehende Therapie Unterschiede wurden statistisch kontrolliert. 186 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Empirische Studien zur Wirksamkeit tiefenpsychologisch fundierter und analytischer Therapie M. Heine Die Stockholmer Studie von Sandell und Mitarbeitern (1999, 2001) Ergebnisse: Die analytische Psychotherapie erreichte – bei gleicher Ausgangslage – im Hinblick auf die Symptombesserung (SCL-90 GSI) einen großen Effekt von 1.55, die psychodynamische Langzeittherapie einen Effekt von 0.60 (Sandell et al. 2001). Die analytische Psychotherapie verbesserte ihre Effekte zwischen dem ersten und dem zweiten Jahr um fast ein Drittel, bei der psychodynamischen Therapie nahm der Effekt in diesem Zeitraum geringfügig ab. Die nachfolgenden Graphiken sind der Veröffentlichung von Sandell et al., 2001, in Psyche 3/2001, S. 277 – 310 187 entnommen. Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Empirische Studien zur Wirksamkeit tiefenpsychologisch fundierter und analytischer Therapie M. Heine Die Stockholmer Studie von Sandell und Mitarbeitern (1999, 2001) Ergebnisse: Sandell et al., 2001, in Psyche 3/2001, S. 277 – 310 Sandell-Studie_SCL-90 Graphik: 188 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Empirische Studien zur Wirksamkeit tiefenpsychologisch fundierter und analytischer Therapie M. Heine Die Stockholmer Studie von Sandell und Mitarbeitern (1999, 2001) Ergebnisse: Sandell et al., 2001, in Psyche 3/2001, S. 277 – 310 Sandell-Studie_Sense of Coherence Scale: 189 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 4. Sitzung : Empirische Studien zur Wirksamkeit tiefenpsychologisch fundierter und analytischer Therapie M. Heine Die Stockholmer Studie von Sandell und Mitarbeitern (1999, 2001) Ergebnisse: Sandell et al., 2001, in Psyche 3/2001, S. 277 – 310 Sandell-Studie_Social Adjustment Scale : 190 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 5. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Hysterie und Konversionsneurosen M. Heine Symptomatik Hinweise zur Differentialdiagnostik Häufigkeit und Krankheitsverteilung Psychogenese und Dynamik Exemplarischer Fallbericht Therapie 191 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre - 5. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Hysterie und Konversionsneurosen Symptomatik M. Heine Konversionssymptomatik Anfälle Ausfälle und Dysfunktionen der Motorik Ausfälle und Dysfunktionen des Sensoriums Darstellung multipler Krankheiten und Körperzustände 192 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre - 5. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Hysterie und Konversionsneurosen Symptomatik M. Heine Konversionssymptomatik Anfälle Klassisch: großer hysterischer Anfall Absencen psychomotorische Anfälle ticartige motorische Entladungen Hyperventilationstetanie: massiv verstärkte Atmung, sekundäre Alkalose des Blutes, tetaniforme Krämpfe 193 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre - 5. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Hysterie und Konversionsneurosen Symptomatik M. Heine Konversionssymptomatik Ausfälle und Dysfunktionen der Motorik schlaffe Lähmungen: Hinken, akute Dysbasie, Abasie, Schiefhals u.a. spastische Störungen 194 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre - 5. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Hysterie und Konversionsneurosen Symptomatik M. Heine Konversionssymptomatik Ausfälle und Dysfunktionen des Sensoriums psychogene Blindheit und Taubheit; Skotomisierung sensible Dysfunktionen: Parästhesien (Mißempfindungen) Hypästhesien (herabgesetzte Sensibilität) Hemianästhesie 195 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre - 5. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Hysterie und Konversionsneurosen Symptomatik M. Heine Konversionssymptomatik Darstellung multipelster Krankheiten und Körperzustände Die Neurose kann jede Erkrankung darstellen oder imitieren. Gehäuft treten auf: die Scheinschwangerschaft, Kloßgefühl im Hals (Globus hystericus) u.a. 196 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre - 5. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Hysterie und Konversionsneurosen Symptomatik M. Heine Hysterische Phänomene Bewusstseinsstörungen Gedächtnisstörungen und Angstphänomene Sexuelle Störungen 197 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre - 5. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Hysterie und Konversionsneurosen Symptomatik M. Heine Hysterische Phänomene Bewusstseinsstörungen Deskriptive Ebene: Dämmerzustände Traumzustände Trancen „Ohnmachten“ Unwirklichkeitserlebnisse bis zu Depersonalisation und Derealisation Pseudodemenz 198 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre - 5. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Hysterie und Konversionsneurosen Symptomatik M. Heine Hysterische Phänomene Bewusstseinsstörungen Dynamisch geht es um den Versuch der Vermeidung einer unerträglichen Wirklichkeit. Es wird versucht, das Problem durch Nichtwissen zu lösen...So erlebt der hysterische Neurotiker quasi eine Pseudo-Demenz, um sich etwa von den Schuldgefühlen, von den inneren Richtern zu befreien oder die Versuchungssituationen in der Außenwelt, die ihn quälen, nicht wahrzunehmen. 199 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre - 5. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Hysterie und Konversionsneurosen Symptomatik M. Heine Hysterische Phänomene Gedächtnisstörungen und Angstphänomene Hysterische Amnesie psychogene Fehlhandlungen Angstphänomene und Phobien Im Rahmen des hysterischen Syndroms sind oft Angstphänomene nachweisbar. Differentialdiagnostik erforderlich 200 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre - 5. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Hysterie und Konversionsneurosen Symptomatik M. Heine Konversionsneurotische und hysterische Phänomene Sexuelle Störungen Anorgasmie aller Stadien, von Frigidität bis zu sexueller Inappetenz Verstärktes sexuelles Agieren: PanSexualisierung, Hypersexualität, Nymphomanie, Erotomanie Verbindung von sexueller Lust mit starken aggressiven und Angstaffekten Schmerzen beim Geschlechtsverkehr (Dyspareunie) Menstruationsstörungen Differentialdiagnose beachten! 201 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre - 5. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Hysterie und Konversionsneurosen Epidemiologie M. Heine Häufigkeit und Krankheitsverteilung: Die Konversionssyndrome finden sich in allen Kulturen, Schichten, Altersgruppen. Auftretenshäufigkeit nicht gesichert. Pseudoneurologische, monosymptomatische Konversionserscheinungen machen wahrscheinlich unter 10% aller psychogenen Körpersymptome, polysymptomatische Phänomene der Somatisierungsstörung ein Mehrfaches davon aus. Diagnose wird häufiger bei Frauen 202 gestellt als bei Männern. Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre - 5. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Hysterie und Konversionsneurosen Psychodynamik M. Heine Psychodynamik 1. A) Im Zentrum der hysterischen Dynamik stehen unbewußte Vorstellungen und Phantasien.... Häufig handelt es sich um sexuelle Inhalte. Bei keiner anderen Neurose haben sexuelle Konflikte eine so weitreichende Bedeutung wie bei den Hysterien und Phobien. Oft dahinterliegende ödipale Problematik. 203 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre - 5. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Hysterie und Konversionsneurosen Psychodynamik M. Heine Psychodynamik 1. B) Aber: Während früher die sexuellen Konflikte ganz im Zentrum des Verständnisses der hysterischen Störungen standen, geht man heute davon aus, dass auch frühinfantile nicht bewältigte Konflikte in dieser sexualisierten Form erscheinen können. So steht bei Störungen der frühen Triangulation nicht die Beziehung des Mädchens zum Vater im Vordergrund, sondern die beginnende Autonomie und Loslösung von der Mutter. (vgl. Schampera, 1997 und 2003) 204 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre - 5. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Hysterie und Konversionsneurosen Psychodynamik M. Heine Psychodynamik Rupprecht-Schampera (1997 und 2003) postuliert, daß „das Kind, das später eine hysterische Entwicklung nehmen wird, in einer bereits stark konflikthaften, von Angst, Depressivität oder Hass geprägten frühen MutterKind-Beziehung den Vater in seiner triangulären Hilfsfunktion nicht ausreichend zur Verfügung hat oder ihn als nicht ausreichend verfügbar erlebt und daß es deshalb versucht, den als abwesend oder distant erlebten Vater aktiv auf sich aufmerksam zu machen, um ihn in seiner triangulären Hilfsfunktion für sich zu gewinnen“. Wenn es z. B. dem kleinen Mädchen gelingt, „als erotisch attraktives weibliches kleines Wesen für den zunächst desinteressierten Vater interessant zu werden“, verwendet es „die ödipale Triangulierung, um die präödipale (frühe) Triangulierung und damit die Separation von der Mutter zu erreichen.“ (2003, S. 72) 205 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre - 5. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Hysterie und Konversionsneurosen Psychodynamik M. Heine Psychodynamik 2. Die Hauptabwehrmechanismen der hysterischen Neurose sind: Verdrängung, Verleugnung, Identifikation, Verschiebung (insbesondere im Bereich der Affekte: sog. Affektvertauschung), Projektion, Agieren. 206 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre - 5. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Hysterie und Konversionsneurosen Psychodynamik M. Heine Psychodynamik 3. Hysteriker haben eine profuse Identifizierungsneigung. Durch Identifizierung können auch unterschiedliche Krankheitsbilder perfekt übernommen werden. Auf der Identifizierungsneigung beruht auch die Suggestibilität des hysterischen Pat. und - sekundär - das Bild von Inauthentizität, Unzuverlässigkeit, Unschärfe, Flatterhaftigkeit. 207 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 5. Sitzung : - Spezielle Neurosenlehre: Hysterie und Konversionsneurosen Psychodynamik M. Heine Psychodynamik 4. Die Rolle der Hyperemotionalität zur Abwehr von nicht akzeptablen Umwelteindrücken und Schuldgefühlen ist von größter Wichtigkeit. Bei der hyperemotionalen "Szene", dem affektiven Durchbruch, dem "Anfall", dem "Nervenzusammenbruch", versucht sich der hysterische Pat. auf eine spezifische Art und Weise mit seinem "inneren Beobachter" (Gewissen) und seinem "äußeren Beobachter" (soziales Gegenüber) auseinanderzusetzen. Weil er sich so erregt, weil er so betroffen ist, weil ihn alles so sehr mitnimmt, weil alles so fürchterlich anstrengend ist, hofft der Hysteriker von innen und außen Vergebung zu erfahren und erreicht jedoch damit oft das Gegenteil. 208 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre - 5. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Hysterie und Konversionsneurosen Psychodynamik M. Heine Psychodynamik 5. Die hysterische Neurose dient unbewußt - der Veränderung des Selbstbildes. Der Pat. verändert sein Selbsterleben auf eine Weise, daß ein günstigeres (in Bezug auf den aktuellen inneren Konflikt) Bild von sich selbst entsteht. Meist erfolgt eine regressive Veränderung des Selbstbildes. Z.B.: "Ich bin klein, hilflos, armselig, auf euch angewiesen u.s.w. … 209 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre - 5. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Hysterie und Konversionsneurosen Psychodynamik M. Heine Psychodynamik … Unbewußt wird zugleich versucht, auch die Außenwelt von dem veränderten Selbstbild durch u.U. dramatische Demonstrationen zu überzeugen. Wenn dies gelingt, kann dies noch einmal rückwirkend zur Entlastung des Überichs beitragen. 210 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre - 5. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Hysterie und Konversionsneurosen Psychodynamik M. Heine Psychodynamik 6. Die Frage, wie es zur Konversion ins Körperliche kommt, ist noch nicht hinlänglich geklärt. (s. Kap. 3.1.3. Psychosomatische Modelle) Die Hypothese ist wahrscheinlich geworden, daß jeder Konflikt auf jeder Entwicklungsstufe auch ins Körperliche konvertiert werden kann. 211 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre M. Heine 5. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Hysterie und Konversionsneurosen 212 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 5. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Hysterie und Konversionsneurosen M. Heine Therapie Analytische orientierte Behandlung Die Bewusstmachung der verdrängten Anteile des intrapsychischen Konflikts. Die gefühlsmäßige Wiederbelebung in der Übertragungssituation. Dadurch die Ermöglichung einer freien Fortentwicklung und Nachreifung der bis dahin vom Konflikt beeinflussten und behinderten Persönlichkeitsanteile. 213 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 5. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Angsterkrankungen M. Heine Klassifikation von Angststörungen F 40 Phobische Störung F 40.0 Agoraphobie F40.00 Agoraphobie ohne Panikstörung F 40.01 Agoraphobie mit Panikstörung F 40.1 Soziale Phobien F 40.2 Spezifische (isolierte) Phobien F 40.8 andere Angststörungen F 40.9 nicht näher bezeichnete Angststörungen Dazu: - nicht näher bezeichnete Phobie Nicht näher bezeichneter phobischer Zustand 214 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 5. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Angsterkrankungen M. Heine Klassifikation von Angststörungen F 41 Andere Angststörungen F 41.0 Panikstörung (episodisch paroxysmale Angst) F 41.1 Generalisierte Angststörung F 41.2 Angst und depressive Störung, gemischt F 41.3 andere gemischte Angststörungen F 41.8 andere spezifische Angststörungen (Angsthysterie) F 41.9 nicht näher bezeichnete Angststörung 215 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 5. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Angsterkrankungen M. Heine F 40 Phobische Störung / Diagnostische Kriterien (1) Störungen, bei denen Angst ausschließlich oder vorwiegend durch eindeutig definierte, im allgemeinen ungefährliche Situationen oder Objekte hervorgerufen wird. Diese werden entweder gemieden oder voller Angst ertragen. Die phobischen Objekte oder Situationen liegen außerhalb der betreffenden Person. Phobische Angst ist subjektiv, physiologisch und reicht vom Unbehagen bis zu panischer Angst. 216 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 5. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Angsterkrankungen M. Heine F 40 Phobische Störung / Diagnostische Kriterien (2) Befürchtungen des Betreffenden können sich auf Einzelsymptome wie Herzklopfen oder Schwächeanfälle richten, treten häufig zusammen auf mit sekundären Ängsten vor dem Sterben, vor Kontrollverlust oder dem Gefühl, wahnsinnig zu werden. „Die Angst wird nicht durch die Erkenntnis gemildert, daß andere Menschen die fragliche Situation nicht als gefährlich oder bedrohlich betrachten.“ (Dilling et al., S. 143) Erwartungsangst: „Allein die Vorstellung, daß die phobische Situation eintreten könnte, erzeugt gewöhnlich schon Erwartungsangst.“ 217 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 5. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Angsterkrankungen M. Heine F 40 Phobische Störung / Differentialdiagnostik F 45.2 Hypochondrische Störung: „Ängste, die sich auf (das Entstehen und) das Vorliegen einer Krankheit oder auf eine körperliche Entstellung beziehen“ (a.a.O.) Phobische Störung < –– > Panikattacke (F 41.0) Eine Panikattacke, die in einer schon bestehenden phobischen Situation auftritt, wird als Ausdruck für den Schweregrad der Phobie gewertet, … . Eine eigentliche Panikstörung soll nur bei Fehlen der unter F 40 angeführten Phobien diagnostiziert werden. 218 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 5. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Angsterkrankungen M. Heine F 40.0 Agoraphobie: Ängste vor offenen Plätzen oder vor Menschenmengen Angst vor der Schwierigkeit, sich wieder sofort und leicht an einen sicheren Ort, im allgemeinen nach Hause zurückziehen zu können. Entsprechend können die Ängste sich auch darauf beziehen, allein in Zügen, Bussen oder Flugzeugen zu reisen (Achtung: DD Klaustrophobie) Angst vor dem Fehlen eines sofort nutzbaren Fluchtweges Angst bei der Vorstellung zu kollabieren, ohnmächtig zu werden und hilflos in der Öffentlichkeit liegen zu bleiben. 219 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 5. Sitzung : M. Heine F 40.0 Agoraphobie / Epidemiologie: Lebenszeitprävalenz in klinischen Stichproben: 3,4 % - 10,9 % (vgl. Michael et al. in Reinecker, 2003) Auftretenswahrscheinlichkeit bei Frauen ca. 2 bis 3 x größer als bei Männern, früher 4 x größer. „Innerhalb der phobischen Störungen machen Agoraphobien in der klinischen Praxis ca. 50 bis 55% der Fälle aus.“ (Reinecker, 2003) In nicht-klinischen Populationen: „Wittchen (1986) fand Angstanfälle bei 9,3 % in einer repräsentativen Bevölkerungsstichprobe. Fragebogen-Reihenuntersuchungen an großen studentischen Populationen in USA und BRD zeigten Ein-Jahres-Prävalenzen von über 30 %, wenn situativ ausgelöste Angstanfälle berücksichtigt wurden. Spezielle Neurosen lehre: Angst erkrankungen 220 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 5. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Angsterkrankungen M. Heine F 40.0 Agoraphobie / Verlauf: Agoraphobien und Angstanfälle setzen in der Regel im frühen Erwachsenalter ein zwischen 20 und 35 Jahren. Beginn vor dem 16. und nach dem 40. Lbj. selten. Beginn meist mit einem Angstanfall an einem öffentlichen Ort, schleichender Beginn selten. Michael, Ehlers und Margraf (2003) berichten von starken Fluktuationen der Symptomatik mit gelegentlichen beschwerdefreien Phasen. Insgesamt wird aber von einem langfristig ungünstigen Verlauf ausgegangen. Die Prognose sei ungünstiger als für schwere Depressionen. Nur 14 % der Patienten mit Panikstörungen und 19 % der Agoraphobiker erreichen nach Wittchen (1991) eine volle Remission. 221 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 5. Sitzung : M. Heine F 40.0 Agoraphobie / Psychodynamik und Pathogenese: K. König geht davon aus, daß allen Angstpatienten eine Unfähigkeit zur Selbststeuerung, insbesondere bezüglich der Impulskontrolle gemeinsam sei. Deshalb würden viele Phobiker dazu neigen, die Bestimmung über sich selbst an sog. schützende, steuernde Objekte abzutreten. Ein Teil der Agoraphobiker weist im Hintergrund eine ängstliche, selbstunsichere oder eine abhängige Persönlichkeit auf, mitunter findet sich eine zwanghafte Persönlichkeit (hier Ängste, jmd. zu verletzen oder zu gefährden.) Nur bei einer kleineren Gruppe der Phobiker sind konkrete negative Erfahrungen mit dem angstauslösenden Objekt zu explorieren. Spezielle Neurosenlehre: Angsterkrankungen 222 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 5. Sitzung : M. Heine F 40.0 Agoraphobie / Psychodynamik und Pathogenese: Aus psychodynamischer Sicht liegen den meisten Phobien abgewehrte, unbewußte Vorstellungen zugrunde. Dieser unbewußte Vorstellungsinhalt wird in einer bestimmten Situation aktiviert, löst dadurch im Ich Angst aus, das sich nun damit behilft, die Quelle der Angst nach außen zu verlagern. Dieser Abwehrvorgang wird als „Verschiebung“ bezeichnet. Die intrapsychische Bedrohung wird also durch eine außen erlebte Gefahr ersetzt. Das nach außen verschobene Angstobjekt kann nun vermieden werden, was zur situativen Angstentlastung führt. Dieser Vermeidungsvorgang kann durch Lernprozesse (operante Konditionierung) sich verfestigen, auf diese Weise chronifizieren und sich auf assoziativ benachbarte Situationen ausweiten (generalisieren). Spezielle Neurosen- lehre: Angster krankungen 223 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 5. Sitzung : M. Heine F 40.0 Agoraphobie / Psychodynamik und Pathogenese (2): Früher ist man davon ausgegangen, daß den phobischen Reaktionen unbewußte sexuelle oder aggressive Konflikte zugrunde lägen. Heute finden sich nach H. H. zunehmend „Ängste vor starker Exposition, Ängste vor Beschämung, oder auch Befürchtungen, sich zu verlieren, Trennungsund Verlustängste“ hinter der phobischen Symptomatik. Annahme von Bowlby, daß die Gruppe der eigentlichen Phobien, bei denen der Patient die Präsenz einer Situation oder eines Gegenstandes fürchtet und die er dann zu vermeiden sucht, eher klein sei. Größer sei die Zahl der sog. Pseudophobien, denen Bowlby auch die Agoraphobie zurechnet. Bei der Pseudophobie leide der Patient unter der Abwesenheit oder dem Verlust einer Bindungsfigur oder einer sicheren Basis, auf die er sich normalerweise zubewegen würde. In der Agoraphobie vermisse der 224 Patient eine Sicherheit spendende Beziehungsperson. Spezielle Neurosenlehre: Angst erkrankungen Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 5. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Angsterkrankungen M. Heine F 40.00 Agoraphobie ohne Panikstörung: F 40.01 Agoraphobie mit Panikstörung: Dazugehöriger Begriff: Panikstörung mit Agoraphobie Achtung DD: Panikstörung (episodisch paroxysmale Angst) Æ unerwartet, nicht an Situationen gebunden, nicht vorhersehbar 225 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 5. Sitzung : M. Heine F 40.1 Soziale Phobie / Symptomatik: Furcht vor prüfender Betrachtung durch andere Menschen in verhältnismäßig kleinen Gruppen (nicht dagegen in Menschenmengen), in der Regel verbunden mit einem niedrigen Selbstwertgefühl und Furcht vor Kritik Die phobischen Reaktionen können sich äußern in Erröten, Vermeiden von Blickkontakt, Händezittern, Übelkeit, Harndrang o.ä. In der Folge kann es dazu kommen, daß soziale Situationen gemieden werden, in Extremfällen kann das Vermeidungsverhalten zu vollstän-diger sozialer Isolation führen. Cave: DD Agoraphobie Soziale Phobien können klar abgegrenzt sein, z. B. auf Essen oder Sprechen in der Öffentlichkeit, oder sie sind unbestimmt und treten in fast allen sozialen Situationen außerhalb des Familienkreises auf. Spezielle Neurosenlehre: Angst erkrankungen 226 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 5. Sitzung : Spezielle Neurosen lehre: Angsterkrankungen M. Heine F 40.1 Soziale Phobie / Epidemiologie: In klinischen Stichproben von Phobikern schildern nach Reinecker 25 % der Patienten soziale Phobien. Die Lebenszeitprävalenz liegt nach verschiedenen Studien für Frauen bei 9% bis 13% und für Männer bei 5% bis 10%. Entgegen Reinecker nehmen Hoffmann / Hochapfel an, daß die soziale Phobie die häufigste Angststörung sei und nach der Depression und der Alkoholabhängigkeit die dritthäufigste psychische Störung überhaupt. 227 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 5. Sitzung : Spezielle Neurosen lehre: Angsterkrankungen M. Heine F 40.1 Soziale Phobie / Beginn und Verlauf: Beginn oft schon in der Kindheit, spätestens in der Jugend, ausgesprochen selten nach dem 25. Lbj. Der Verlauf ist ausgesprochen chronifizierend. In der Folge der sozialen Phobie kommt es häufig zum sozialen Rückzug, entweder auf wenige vertraute Personen wie die Familie oder Freunde oder in die vollständige Isolierung. Die Unsicherheit der sozialen Phobiker läßt sie in der Öffentlichkeit nicht selten entweder als linkisch erscheinen oder als arrogant verkannt werden. 228 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 5. Sitzung : Spezielle Neurosen lehre: Angsterkrankungen M. Heine F 40.1 Soziale Phobie / Erklärungsmodelle (1) Konstitutioneller Faktor: „Soziale Gehemmtheit“ nach dem Entwicklungspsychologen J. Kagan Wahrscheinlich kommt den frühen sozialen Interaktionen im Kindergarten, in der Schule und anderen sozialen Feldern Bedeutung für die Verstärkung und für die Bewältigung von sozialen Ängsten zu. (Noch nicht genügend erforscht.) Verhaltenstheoretiker gehen davon aus, daß 58% der Sozialphobiker auf ungünstige Konditionierungserfahrungen zurückgehen, ca. 13% auf Faktoren des Modelllernens 229 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 5. Sitzung : M. Heine F 40.1 Soziale Phobie/Erklärungsmodelle (2) Das kognitionstheoretische Pathogenese-Modell von Clark und Wells (1995): 1. Ausgeprägtes Sicherheitsverhalten mit dem Ziel, vermeintliche Blamagen zu vermeiden und Angstsymptome zu reduzieren. 2. Verschiebung der Aufmerksamkeit weg von den externalen hin zu den internalen Vorgängen 3. Verzerrte Konstruktionen des sozialen Selbst aus der Betrachterperspektive, die immer als kritisch und abwertend vorausgesetzt wird. 4. Antizipatorische, vor den Ereignissen die Qual vorwegnehmende und nachträgliche, das Erlebnis der Erniedrigung bestätigende gedankliche Verarbeitung; regelhafte Fehleinschätzung der soz. Situation. Spezielle Neurosenlehre: Angst erkrankungen 230 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 5. Sitzung : M. Heine F 40.1 Soziale Phobie/Erklärungsmodelle (3) Das psychodynamische Pathogenese-Modell von S.O. Hoffmann (2003): 1. „Die defizitäre Konzeption des des eigenen Selbst führt unmittelbar zu einer ausgeprägten Selbstunsicherheit, mittelbar stößt sie aber ungeeignete Kompensationsversuche an.“ (H.H., S. 106) 2. Der nachteiligste Kompensationsversuch: eine unbewußte Überhöhung der Selbstsicht, die nach außen projiziert wird. Die soziale Umwelt stellt nun vermeintlich höchste Ansprüche an ihn. 3. Entscheidende Bedeutung kommt dem Affekt der Scham zu. Alle sozialphobischen Vermeidungen seien von der Scham motiviert. 4. Wurde wenig Bindungssicherheit gewonnen, so 231 muß notwendig auch die soziale Sicherheit beein ä hi i Spezielle Neurosenlehre: Angst erkrankungen Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 5. Sitzung : Spezielle Neurosen- lehre: Angsterkrankungen M. Heine F 40.2 Spezifische (isolierte) Phobien /Symptomatik Alle auf eine konkrete Auslösesituation oder ein umschriebenes Auslöseobjekt gerichteten Ängste. Die häufigsten phobischen Angstauslöser sind: Ängste vor Tieren, gehäuft vor Spinnen, Schlangen etc. Ängste vor Naturerscheinungen wie Höhensituationen, Dunkelheit und Gewitter, Feuer Ängste vor der Schule, vor Prüfungen, vor geschlossenen Räumen, vor dem Fliegen Ängste vor Arztbesuchen, vor Spritzen, vor Blut, vor Ansteckung Ängste vor Krankheiten, vor allem Krebs, Hirntumoren, Aids, BSE, Multipler Sklerose 232 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 5. Sitzung : M. Heine F 40.2 Spezifische (isolierte) Phobien /Epidemiologie Nach H.H. liegt die Lebenszeitprävalenz bei über 10% In den USA wurde eine 6-Monats-Prävalenzrate von 4,5% bis 11,8% für spezifische Phobien ermittelt. Traditionell überwiegen Frauen. Spezielle Neurosen lehre: Angsterkrankungen Beginn der spezifischen Phobien: Beginn von Tierphobien und von Dunkelängsten meist im Kindesalter, ebenso Ängste vor Ärzten, Zahnärzten Beginn der Schulängste naturgemäß im Schulalter. Ansonsten variiert das Ersterkrankungsalter. Verlauf der Störung: Alle Spezifischen Phobien haben, wenn sie das Erwachsenenalter erreichen, eine ausgeprägte Tendenz zur Persistenz. 233 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 5. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Angst erkrankungen M. Heine F 40.2 Spezifische (isolierte) Phobien /Psychodynamik und Pathogenese Vgl. die Ausführungen zur Agoraphobie „Für die Entstehung verschiedner Angststörungen ist gesichert, daß ängstliche Eltern die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Ängsten bei ihrem Nachwuchs erhöhen.“ Bei den Spezifischen Phobien sind eine Reihe von Angstauslösern natürlich bzw. evolutionär begründbar. Dazu gehören die Ängste vor Dunkelheit, oder vor der Höhe oder Ängste vor unbekannten, möglicherweise gefährlichen Tieren. … Offenbar sind bestimmte Reize sehr viel geeigneter als andere , die phobische Dynamik in Gang zu setzen. 234 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 5. Sitzung : M. Heine F 40.2 Spezifische (isolierte) Phobien /Psychodynamik und Pathogenese (2) Bei der Mehrzahl der Arzt-, Blut- oder Ansteckungsphobien handelt es sich nach H.H. um die Angst, sterben zu müssen, nicht notwendig um Konditionierungen in der Kindheit. Bei den Krankheitsphobikern wird die Angst vor dem Tod unablässig antizipiert. Hinter der manifesten Schulphobie findet sich eine sehr unterschiedliche Psychodynamik: Spezielle Neurosenlehre: Angsterkrankungen A) Der Schulphobiker fürchtet nicht eigentlich die Schule, sondern hat Angst, das Elternhaus, die Mutter zu verlassen; er hat also mehr eine Trennungsphobie (vgl. Bowlby) B) Die Schulverweigerer haben hingegen mehr Ängste vor der Schule, die aber oft hinter mangelnder Motivation verborgen werden, was weniger beschämend ist. 235 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 6. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Die Angststörungen M. Heine Klassifikation lt. ICD 10: F 41: Andere Angststörungen F 41.0: Panikstörung (episodisch paroxysmale Angst) F 41.1: generalisierte Angststörung F 41.2: Angst und depressive Störung, gemischt Dazugehöriger Begriff: leichte oder nicht anhaltende ängstliche Depression F 41.3: Andere gemischte Angststörungen F 41.8: Andere spezifische Angststörungen Dazugehöriger Begriff: Angsthysterie F 41.9: nicht näher bezeichnete Angststörung Dazugehöriger Begriff: nicht näher bezeichnete236 Angst Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 5. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Angsterkrankungen M. Heine F 41 Andere Angststörungen F 41.0 Panikstörung (episodisch paroxysmale Angst) – Symptomatik nach ICD 10 Wiederkehrende schwere Angstattacken (Panik), die sich nicht auf eine spezifische Situation oder besondere Umstände beschränken und deshalb nicht vorhersehbar sind. Typisch ist ein plötzlicher Beginn mit Herzklopfen, Brustschmerz, Erstickungsgefühlen, Schwindel und Entfremdungsgefühlen. Häufig sekundär dann die Angst zu sterben, vor Kontrollverlust oder die Angst, wahnsinnig zu werden. Die Anfälle dauern meist nur Minuten. Die Patienten erleben meist ein Crescendo der Ängste und vegetativen Symptome. Sekundär können sich gerichtete Ängste vor dem Alleinsein oder Agoraphobien herausbilden. Einer Panikattacke folgt meist die ständige Furcht vor 237 einer erneuten Attacke (Erwartungsangst). Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 5. Sitzung : Spezielle Neurosen- lehre: Angst erkrankungen M. Heine F 41.0 Panikstörung (episodisch paroxysmale Angst) – Epidemiologie und Verlauf Die Prävalenz liegt bei 1% bis 3% der Bevölkerung. H:H. sprechen von einer „gewissen spontanen Remissionsrate“, wenn mit dem ersten Angstanfall einigermaßen gelassen umgegangen werden konnte. „Je stärker die >Angst vor der Angst< das Leben der Patienten beherrscht, desto eher neigen sie zu Chronifizierungen und zum Übergang in phobische, vor allem agoraphobische Krankheitsbilder.“ (H.H., S. 89) 238 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 5. Sitzung : Spezielle Neurosen- lehre: Angsterkrankungen M. Heine F 41.0 Panikstörung (episodisch paroxysmale Angst) – Psychodynamik und Pathogenese Die Angst wird erst einmal als grundlos erlebt. Bei kooperativen Patienten wird jedoch ausnahmslos ein Auslöser der Angstattacke objektivierbar. Meist handelt es sich um flüchtige Impulse, Affekte (Ärger, Wut), Ideen, die wegen der subjektiven Bedrohlichkeit rasch unterdrückt werden. Von der Psa. beobachteter Zusammenhang von unterdrückten aggressiven Impulsen und Entstehen von Angstsymptomatik Im Sinne des Konfliktmodells hätte dann der Pat. lieber Angst als einen Konflikt mit seinem Gewissen, mit einem anderen Bild von sich oder mit äußerer 239 Autorität. Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 5. Sitzung : Spezielle Neurosen- lehre: Angst erkrankungen M. Heine F 41 Andere Angststörungen F 41.1 Generalisierte Angststörung – Symptomatik nach ICD 10 Generalisierte und anhaltende, frei flottierende Angst. Symptome unterschiedlich, aber meist einhergehend mit ständiger Nervosität, Zittern, Muskelspannung Schwitzen, Benommenheit, Herzklopfen, Schwindelgefühle oder Oberbauchbeschwerden. Häufig Befürchtungen, ein Angehöriger könnte erkranken oder verunglücken, oder gehäuft andere Sorgen und Vorahnungen Diese Störung ist häufiger bei Frauen anzutreffen, oft im Zusammenhang mit lang andauernden Belastungen durch äußere Umstände. 240 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 5. Sitzung : Spezielle Neurosen- lehre: Angst er krankungen M. Heine F 41 Andere Angststörungen F 41.1 Generalisierte Angststörung – Epidemiologie und Verlauf Die Prävalenz der Generalisierten Angststörung liegt bei 2,5% bis 5% der Bevölkerung. Spontane Remissionsrate geringer als bei der Panikstörung Frauen überwiegen deutlich Beginn eher schleichend Krankheitsbild nicht so dramatisch, aber dennoch schwer und meist chronisch verlaufend Im Alter oftmals eine spontane Milderung der Symptomatik 241 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 5. Sitzung : M. Heine F 41.1 Generalisierte Angststörung – Psychodynamik und Pathogenese Aus psychodynamischer Sicht liegt der Generalisierten Angststörung eine psychische Schädigung des Patienten in seiner Entwicklung zugrunde und evtl. zusätzlich eine neurophysiologische Vulnerabilität aufgrund einer angeborenen neurophysiologischen Erregbarkeit. Im Sinne des Defizitmodells erlaubten die Entwicklungsbedingungen dem Patienten nicht, eine hinreichend stabile Persönlichkeit mit wirksamen Angsbewältigungsmechanismen herauszubilden. Stattdessen erlebt der Pat. immer wieder seine innere „Brüchigkeit“, seine Ich-Schwäche als bedrohlich und ängstigend. Da die Angst nur unzureichend abgewehrt werden kann – eben wegen der vorhandenen Ich-Schwäche – kommt es zum mehr oder weniger starken Durchbruch der Angst als Symptom. Spezielle Neurosenlehre: Angsterkrankungen 242 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 6. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Die Zwangsneurose M. Heine Definitionen: Der psychiatrische Begriff „Zwang“ ist erstmals 1877 von Westphal eingeführt worden mit der Definition „Formaler Denkzwang, dessen Inhalt oder Gegenstand als widersinnig vom Patienten erkannt werden muß“. 243 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 6. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Die Zwangsneurose M. Heine Definitionen: Nach K. Schneider kann von einem Zwang gesprochen werden, wenn der Betroffene sich von einem „Bewußtseinsinhalt nicht lösen kann, obschon er ihn gleichzeitig als inhaltlich unsinnig oder wenigstens ohne Grund beherrschend oder beharrlich beurteilt“. Das subjektiv erlebte Zwangsgefühl ist also trotz voller Einsicht in seine Unsinnigkeit nicht unterdrückbar. 244 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 6. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Die Zwangsneurose M. Heine Definitionen: Zwang kann unter den verschiedensten Verhältnissen auftreten, in der Neurose wie in der Psychose, in funktionellen wie in hirnorganischen Zuständen, in der Schizophrenie wie in der endogenen Depression. Hier soll es zentral um den Zwang als im Kranken vorherrschendes neurotisches Symptom gehen, also um die Zwangsneurose. 245 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 6. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Die Zwangsneurose M. Heine Definitionen: Für eine Definition der Zwangsneurose lassen sich 5 Aspekte anführen (Stekel 1930): Der Zwangskranke wird von Vorstellungen verfolgt, die ihm fremd erscheinen; er wird von einer inneren Stimme zu Handlungen gezwungen, die er als unsinnig (alogisch) beurteilt. Er empfindet eine Art Spaltung seiner Persönlichkeit, den Kampf zwischen „Ich“ und „Gegen-Ich“. 246 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 6. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Die Zwangsneurose M. Heine Definitionen: Zwangshandlungen werden durch die „Todes- und Unheilsklausel“ durchgesetzt. Die Unterlassung der Zwangshandlung führt den Tod, die Erkrankung oder den Unfall eines dem Kranken nahestehenden Objekts herbei. Der Kranke hat den direkten Glauben an die Allmacht seiner Gedanken. 247 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 6. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Die Zwangsneurose M. Heine Definitionen: Die Zwangshandlungen sind zu einem System ausgebaut. Neben dem Zwang besteht ein mächtiger Affekt des Zweifels, der sich auf die Ausführung der Zwangshandlung bezieht. Jeder Zwang ist mit einem Gegenzwang verbunden. 248 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 6. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Die Zwangsneurose M. Heine Epidemiologie: Der Anteil in der psychotherapeutischen Praxis liegt bei unter 5 %. Die Gesamtmorbidität in der Bevölkerung ist sogar mit nur 0,05 % hochgerechnet worden. Zwangshandlungen und Zwangsgedanken treten in den meisten Fällen gemeinsam auf. In 25% der Fälle klagen die Patienten allein über Zwangsgedanken. (Vgl. Reinecker, 2003) 249 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 6. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Die Zwangsneurose M. Heine Epidemiologie: Während man früher davon ausging, daß Männer häufiger betroffen sind (Hysterie bei Frauen; Zwang bei Männern), zeigen neuere Arbeiten, daß der Zwang bei Männern und Frauen gleich verteilt ist. Dabei fällt jedoch auf, daß Frauen eher an Waschzwängen und Männer an Kontrollzwängen erkranken. Bei Männern beginnt die Symptomatik durchschnittlich mit 20 Jahren, bei 250 Frauen mit etwa 25 Jahren. Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 6. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Die Zwangsneurose M. Heine Symptomatik: 1. Denkstörungen - formal und inhaltlich: unablässiges Grübeln, ständiges Wiederholen der gleichen Abläufe, Weitschweifigkeit, Verlust des Blicks für das Wesentliche, Verschiebung aufs Kleinste. Inhaltlich stehen starke Zweifel im Vordergrund und/oder eine Idee bildet das Zentrum des Denkens. Das Denken ist oft auf einer magischen Ebene angesiedelt. Den Gedanken wird eine magische Allmacht zugesprochen: ein falscher Gedanke kann töten, der Gedanke steht vielleicht schon für die Tat. 251 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 6. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Die Zwangsneurose M. Heine Symptomatik: 2. Zwangsantriebe, Zwangsimpulse, Zwangseinfälle: einschießende Vorstellungen meist aggressiven oder sexuellen Inhalts. Es sind dies als dranghaft erlebte Gedanken und Gefühle, einen anderen angreifen, verletzen, ermorden, anspucken, anurinieren, ansprechen, anschreien, anstarren, unsittlich anfassen, vergewaltigen usw. zu müssen. 252 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 6. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Die Zwangsneurose M. Heine Symptomatik: 3. Zwangshandlungen: Magische Rituale sollen das Böse bannen. Kontrollzwänge sollen Gefahren, schlimme Geschehnisse verhindern. Ordnungszwänge sollen äußerlich dem befürchteten (inneren) Chaos entgegenwirken. 253 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 6. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Die Zwangsneurose M. Heine Symptomatik: Charakteristisch für die Zwangsneurose ist, daß der Zwangsneurotiker sich intensiv, aber vergeblich gegen die einschießenden Gedanken, Phantasien, Impulse, Handlungen zur Wehr setzt; sie als ich-dyston, gleichwohl zur eigenen Person gehörig erlebt. 254 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 6. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Die Zwangsneurose M. Heine Symptomatik: Die Klassifizierung der Zwangsstörung in der ICD 10: F 42.0 vorwiegend Zwangsgedanken oder Grübelzwang F 42.1 vorwiegend Zwangshandlungen (Zwangsrituale) F 42.2 Zwangsgedanken und Zwangshandlungen, gemischt F 42.8 andere Zwangsstörungen F 42.9 nicht näher bezeichnete Zwangsstörung 255 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 6. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Die Zwangsneurose M. Heine Psychodynamik und Pathogenese: Genetische Faktoren: Familiäre Häufungen und Zwillingsstudien sprechen dafür, daß genetische Faktoren eine Rolle spielen. 256 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 6. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Die Zwangsneurose M. Heine Psychodynamik und Pathogenese: Somatische Faktoren: Für die Beteiligung von somatischen Faktoren „sprechen höhere Raten von Zwangsstörungen bei einer Subgruppe von Patienten, die an einem rheumatischen Fieber oder an einer Sydenham-Chorea erkrankten. Bei dieser Subgruppe von Zwangsstörungen wird im Kindesalter eine immunologische Genese angenommen. 257 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 6. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Die Zwangsneurose M. Heine Psychodynamik und Pathogenese: Somatische Faktoren: „Für einen neurobiologischen Kofaktor im Erwachsenenalter spricht die Tatsache, daß insbesondere Schwangerschaft und Geburt häufige Auslösefaktoren von Zwangsstörungen sind. Anatomische Veränderungen im Bereich kortikostriataler Hirnregionen weisen auf mögliche neuroanatomische Faktoren hin.“ (H.H., S. 156) 258 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 6. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Die Zwangsneurose M. Heine Psychodynamik und Pathogenese: Somatische Faktoren: Außerdem „müssen auch Störungen im Bereich verschiedener Neurotransmittersysteme (insbesondere des Serotoninstoffwechsels) angenommen werden, wofür auch die Wirksamkeit der selektiven SerotoninWiederaufnahmehemmer spricht.“ (H.H., S. 156) 259 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 6. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Die Zwangsneurose M. Heine Psychodynamik und Psychogenese: Die Zwangssymptomatik entwickelt sich meist aus Konflikten, die innerpsychisch durch die Virulenz anal-erotischer und anal-sadistischer (antisoziale, motorisch-destruktive) Wünsche entstehen. Mitunter sind auch - vermischt - genitale Strebungen beteiligt. Die spezifische Dynamik wird als ein regressives Ausweichen vor den ödipalen Konflikten aufgefaßt. 260 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 6. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Die Zwangsneurose M. Heine Psychodynamik und Psychogenese: Tendenziell: Im Gegensatz zur hysterischen Neurose ist der Kern des zwangsneurotischen Symptoms die auf einen Triebimpuls zurückgehende bewußte Zwangsvorstellung. 261 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 6. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Die Zwangsneurose M. Heine Psychodynamik und Psychogenese: Der Zwangsneurotiker weist regelhaft ein sehr strenges Über-Ich auf. Den als antisozial erlebten Triebwünschen steht die Hypermoralität des Gewissens gegenüber. Die kreativen Möglichkeiten des Ichs zur Konfliktlösung sind eingeschränkt. Es ist so, als würden Es- und Über-Ich-Inhalte quasi kurzgeschlossen. 262 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 6. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Die Zwangsneurose M. Heine Psychodynamik und Psychogenese: Vorherrschende Abwehrmechanismen sind: Reaktionsbildung, Regression, Isolierung, Ungeschehen-machen, Intellektualisierung. Affektiv erlebt der Zwangsneurotiker meist Ambivalenz, wodurch der Zugang, der Übergang zum Handeln oft verstellt ist. Außerdem vermag das Ich nicht sicher genug zu unterscheiden zwischen Vorstellung und Handlung (vgl. magisches Denken). 263 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 6. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Die Zwangsneurose M. Heine Zur Psychogenese: Im Familienmilieu Häufung von zwanghaften Personen. "Insgesamt bestehen strenge, rigide legalistische, sachbezogene, teilweise aggressive oder auch willkürliche Entwicklungsbedingungen. Spontaneität, Eigenwille, lebhafte Motorik und Aggressivität müssen früh unterdrückt und mit Angst- und Schamgefühlen abgewehrt werden. 264 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 6. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Die Zwangsneurose M. Heine Zur Psychogenese: Der äußere Zwang wird so zu einem inneren. Statt einem Autonomiegefühl entstehen im Kind Scham und Zweifel (Erikson)." Quint: "Beim Zwangsneurotiker fehlt eine ausreichend positive Beurteilung des ausprobierenden Handels". Eine biogenetisch mitbedingte Verursachung der Zwangsneurose ist wahrscheinlich. Ergänzungsreihe. 265 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 6. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Die Zwangsneurose M. Heine Zugrunde liegende Persönlichkeit: Häufig der sog. Zwangscharakter, der sich durch Pedanterie, Rigidität und Enge im Denken auszeichnet. Starkes Bedürfnis nach Ordnung und Sauberkeit, auch im moralischen Bereich. 266 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 6. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Die Zwangsneurose M. Heine Zugrunde liegende Persönlichkeit: Als weitere Persönlichkeitszüge imponieren oft: Ängstlichkeit, Unzulänglichkeitsgefühle, Skrupulösität, Entschlußunfähigkeit, peinliche Genauigkeit und Gewissenhaftigkeit, Unfähigkeit, das Unwesentliche zu vernachlässigen, latent aggressive, evtl. "stänkernde", querulatorische Haltung. 267 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 6. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Die Zwangsneurose M. Heine Zugrunde liegende Persönlichkeit: Die dynamische Struktur des Zwangscharakters (in Anlehnung an Shapiro): Emotionale Autarkie: "Ich brauche niemanden". Vermeidung echt autonomer Handlungen, um Fehler zu vermeiden. Gefühl des Getriebenseins: Dem Zwanghaften sitzt immer ein imaginärer Aufpasser im Nacken. Hoher Leistungsdruck - geringes Maß an Lustgefühlen. 268 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre M. Heine 7. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Die Depression 269 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie 7. Sitzung : Neurosenlehre M. Heine Gliederung Spezielle Neurosenlehre: Die Depression Historisches Diagnostische Merkmale Klassifikation Fallbeispiel Psychodynamik Behandlung Diskussion 270 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie 7. Sitzung : Spezielle NeurosenLehre Die Depression Neurosenlehre M. Heine Historisches Bedeutung in Antike und Mittelalter: Depression = Melancholie Seit Anfang des 20. Jahrhunderts: Bemühung um Systematisierung und Klassifikation, Definitionswandel 271 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 7. Sitzung : Spezielle NeurosenLehre Die Depression M. Heine Historisches 1916 Erstveröffentlichung des Freud´schen Aufsatzes mit dem Titel: „Trauer und Melancholie“. Hier wird der nicht krankhafte Zustand der Trauer dem Zustand der Melancholie gegenübergestellt. 272 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 7. Sitzung : Spezielle NeurosenLehre Die Depression M. Heine Historisches „Die Melancholie ist seelisch ausgezeichnet durch eine tief schmerzliche Verstimmung, eine Aufhebung des Interesses für die Außenwelt, durch den Verlust der Liebesfähigkeit, durch die Hemmung jeder Leistung und die Herabsetzung des Selbstwertgefühls, die sich in Selbstvorwürfen und Selbstbeschimpfungen äußert und bis zur wahnhaften Erwartung von Strafe steigert. Dies Bild wird unserem Verständnis näher gerückt, wenn wir erwägen, daß die Trauer dieselben Züge aufweist, bis auf einen einzigen; die Störung des Selbstwertgefühls fällt bei ihr weg. Sonst aber ist es dasselbe.“ (Freud, S., 1916, GW VIII, S. 429) 273 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie 7. Sitzung : Spezielle NeurosenLehre Die Depression Neurosenlehre M. Heine Definition von „Depression“ gemäß Dorsch (1998) (modifiziert): Komplexer Begriff für vielfältige Symptomatik, die sich • emotional • kognitiv • motorisch • motivational und • vegetativ / somatisch äußert. 274 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie 7. Sitzung : Spezielle NeurosenLehre Die Depression Neurosenlehre M. Heine Diagnostische Merkmale der „Depression“ gemäß WILL (1998 / 2000): Äußerer Eindruck: Depressive wirken bedrückt, niedergeschlagen, traurig, resigniert; sprechen meist mit leiser, monotoner Stimme, das Gesicht ist oft verhärmt, „die niedergezogenen Mundwinkel und die reduzierte Mimik und Gestik bezeugen den Verlust an Vitalität und Lebensfreude“. Sie erscheinen oft vorgealtert; Körperhaltung gebeugt und kraftlos, Schultern hochgezogen, der Gang schwer, die Haut blaß und welk, die Augen dunkel umrandet, der Blick verschleiert und müde. Die Körperbewegungen oft gehemmt und reduziert. Ihrer Umgebung gegenüber zeigen sie sich gleichgültig, teilnahmslos, mitunter verhalten sie sich aber auch mißmutig und gereizt. 275 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie 7. Sitzung : Spezielle NeurosenLehre Die Depression Neurosenlehre M. Heine Diagnostische Merkmale der „Depression“ gemäß WILL (1998 / 2000): Psychische Symptomatik: Leitsymptom ist die traurige Verstimmung, verbunden mit Niedergeschlagenheit, Bedrücktheit, gelegentlich stillem Vor-sich-hin-Weinen und einer Verzweiflung, die untröstbar ist. Manche schwer Depressive zeigen eine emotionale Versteinerung und Erstarrung, in der sie auch nicht weinen können. „Losigkeits-Symptome“: Freudlosigkeit, Lustlosigkeit, Energielosigkeit, Interesselosigkeit, Passivität und Apathie, mitunter auch innere Erregung und psychomotorische Unruhe. Mutlosigkeit, Verzagtheit, Resignation und Pessimismus sind sehr häufig anzutreffen. 276 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie 7. Sitzung : Spezielle NeurosenLehre Die Depression Neurosenlehre M. Heine Diagnostische Merkmale der „Depression“ gemäß WILL (1998 / 2000): Psychische Symptomatik (Fortsetzung): Konzentrationsstörungen mit Verlangsamung, Hemmung des Denkens, „Leere im Kopf“, Tendenz zum zirkulären, unproduktiven Grübeln. „Sie neigen dazu, Probleme überzubewerten und die eigene Person, die umgebende Welt und die Zukunft nur noch negativ zu sehen.“ (Will) Daraus resultieren nicht selten die depressive Entscheidungsunfähigkeit und Entschlußlosigkeit. Störungen des Selbstwertgefühls und Minderwertigkeitsgefühle, negative Selbsteinschätzung bis hin zum Kleinheits- oder Schuldwahn. Angstempfindungen in Form von Verlust-, VersagensVerarmungs-, Scham- und Schuldängsten treten häufig 277 auf Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie 7. Sitzung : Spezielle NeurosenLehre Die Depression Neurosenlehre M. Heine Diagnostische Merkmale der „Depression“ gemäß WILL (1998 / 2000): Psychische Symptomatik (Fortsetzung): In den Beziehungen zu anderen Menschen ziehen sich die Depressiven meist zurück oder verhalten sich außerordentlich anklammernd, was oft weitere Enttäuschungen verursacht. Ihre Gefühlsverarmung und die Konzentration auf die eigene Befindlichkeit beeinträchtigt den Kontakt, ebenso der drängende Wunsch nach Zuwendung, Fürsorge und liebevoller Bestätigung. Bewußte Schuldgefühle sind häufig und nur schwer korrigierbar, auch wenn sie für einen äußeren Beobachter nicht begründet erscheinen. Bei schweren Depressionen können die Patienten auch von Wahnideen und paranoiden Fehldeutungen erfaßt oder von hypochondrischen Überzeugungen beherrscht 278 sein. Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie 7. Sitzung : Spezielle NeurosenLehre Die Depression Neurosenlehre M. Heine Diagnostische Merkmale der „Depression“ gemäß WILL (1998 / 2000): Körperliche Symptomatik: Die Beschwerden werden oft diffus und wenig konkret geschildert. Vegetative Störungen und Mißempfindungen: Kopfschmerzen, z. T. beschrieben als Helm- und Reifengefühl. Unspezifische Störungen des Sehens, Globusoder Würgegefühl im Hals, Druckgefühl auf den Ohren oder Ohrgeräusche, Verminderung des Hörvermögens oder Geräuschempfindlichkeit. Enge im Brustkorb (Reifengefühl), Atemenge, flache und unregelmäßige Atmung, Nicht-durch-atmen-Können, Schmerzen in der Herzgegend, Herzjagen oder „Herzstolpern“, Kreislaufregulationsstörungen, 279 Blutdruckschwankungen. Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie 7. Sitzung : Spezielle NeurosenLehre Die Depression Neurosenlehre M. Heine Diagnostische Merkmale der „Depression“ gemäß WILL (1998 / 2000): Körperliche Symptomatik (Fortsetzung): Funktionelle Magen-Darm-Beschwerden mit Übelkeit, Megendruck, Blähungen, Durchfall oder Verstopfung; Störungen der Blasenfunktion mit Mißempfindungen, Schmerzen und häufigem Harndrang. Häufig sind Muskelverspannungen im Schulter-Nacken-Armbereich, Rücken- und Nackenschmerzen, diffuse Gelenk- und Muskelschmerzen (evtl. larvierte Depression!). Störungen der Haut und der Schleimhäute: Zungenbrennen, trockene Schleimhäute in Nase und Mund, diffuser Juckreiz, trockene, blasse, eingefallene Haut, müder Gesichtsausdruck, tiefliegende verschattete Augen, glanzloses Haar bis hin zum Haarausfall. 280 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie 7. Sitzung : Spezielle NeurosenLehre Die Depression Neurosenlehre M. Heine Diagnostische Merkmale der „Depression“ gemäß WILL (1998 / 2000): Körperliche Symptomatik (Fortsetzung): Depressive klagen häufig über Ein- und Durchschlafstörungen, über Appetitverlust und in der Folge Gewichtsverlust. Das sexuelle Verlangen läßt meist nach, die Potenz vermindert sich und es kann zu Menstruationsstörungen und Schmerzen beim Verkehr kommen. Weitere vegetative Funktionsstörungen: Hitzewallungen, Kälteschauer, Zittern und erhöhte Temperaturempfindlichkeit. 281 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie 7. Sitzung : Spezielle NeurosenLehre Neurosenlehre Nosologische Einordnung Die Depression M. Heine Somatogene Depressionen organische Depression symptomatische Depression Endogene Depressionen schizophrene Depression zyklische Depression periodische Depression Spätdepression Psychogene Depressionen neurotische Depression Erschöpfungsdepression Reaktive Depression 282 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie 7. Sitzung : Spezielle NeurosenLehre Die Depression Neurosenlehre M. Heine Klassifikation nach ICD 10: Affektive Störungen F 30 manische Episode F 31 bipolare affektive Störung F32 depressive Episode F33 rezidivierende depressive Störungen F34 anhaltende affektive Störung F38 sonstige affektive Störungen 283 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 7. Sitzung : Spezielle NeurosenLehre Die Depression M. Heine Klassifikation nach ICD 10: F32: F33 einmalige depressive Episode rezidiv. depressive Phasen; keine manischen Phasen; zwischen den Episoden i.d.R. vollständige Remission; mehrere Monate ohne eindeutig affektive Symptomatik F34: Dysthymia zusammenhängende Perioden mit gutem Befinden, dann monatelange Müdigkeit; Alltag wird bewältigt Zyklothymia andauernde Instabilität der Stimmung, zahlreiche Perioden mit leichter Depression und leicht gehobener Stimmung 284 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie 7. Sitzung : Spezielle NeurosenLehre Die Depression Neurosenlehre M. Heine Diagnostik nach ICD 10: Mindestdauer zwei Wochen mind. zwei Leitsymptome: depressive/ gedrückte Stimmung Verlust von Interesse/ Freude erhöhte Ermüdbarkeit mind. 2-3 der weiteren Symptome: 285 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie 7. Sitzung : Spezielle NeurosenLehre Neurosenlehre Diagnostik nach ICD 10: mind. 2-3 der weiteren Symptome: Die Depression M. Heine verminderte Konzentration/ Aufmerksamkeit vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen Schuldgefühle/ Gefühle von Wertlosigkeit negative/ pessimistische Zukunftsperspektiven Suizidgedanken, Selbstverletzung, Suizidhandlung Schlafstörungen verminderter Appetit zirkadiane Schwankungen 286 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 7. Sitzung : Spezielle NeurosenLehre M. Heine Psychotische vs. Neurotische Depr. Verdachtsmomente für eine psychotische Depression wahnhaftes Die Depression Erleben starke Vitalisierung Tages- und Jahresrhythmen häufig plötzlicher Beginn rezidivierende Phasen familiäre Häufung 287 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 7. Sitzung : Spezielle NeurosenLehre M. Heine Psychotische vs. Neurotische Depr. Verdachtsmomente für eine neurotische Depression schwache Die Depression Vitalisierung gewöhnlich kein zyklischer Verlauf schleichender Beginn keine klaren Phasen keine auffällige familiäre Häufung 288 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 7. Sitzung : Spezielle NeurosenLehre Die Depression M. Heine Prävalenz (Vorkommen) Lebenszeitprävalenz: 12-17% Punktprävalenz in Bezug auf die Weltbevölkerung: 2-7% Prävalenz der Altersdepression (> 65 J.): 15-25% 289 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 7. Sitzung : Spezielle NeurosenLehre M. Heine Prävalenz (Vorkommen) Die Depression Depressionen = 10 -20% der neurotischen Erkrankungen („neurotische“ Depression v.a. im dritten und vierten Lebensjahrzehnt; „psychotische“ Depression v.a. im fünften und sechsten Lebensjahrzehnt) Frauen häufiger von Depressionen betroffen als Männer 290 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 8. Sitzung : Spezielle NeurosenLehre Ätiologie und Psychogenese Die Depression M. Heine Sigmund FREUD (1916): früher Objektverlust, Introjektion des ambivalent besetzten Liebesobjekts, Selbstgefühlsminderung Karl ABRAHAM (1924): das Modell der „bösen Mutter“: schwere Liebesenttäuschung an der Mutter, kindliche Urverstimmung, Wiederbeleben der Urverstimmung in der Erwachsenendepression E. BIBRING (1954): Selbstwertverlust nicht nur durch Frustration bzw. Objektverlust, sondern auch Enttäuschung narzißtischer Bedürfnisse (anale, phallische) 291 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie 8. Sitzung : Spezielle NeurosenLehre Die Depression Neurosenlehre M. Heine Ätiologie und Psychogenese - E. JACOBSON (1953/1971): Selbstwertgefühlsverlust erklärt sich durch bestimmte Energieverteilungs- und insbesondere strukturelle Störungen der Selbstrepräsentanz bzw. des Über-Ich (archaisch) und des Ich-Ideals (zu hoch). M. KLEIN: (Depressive Position (als universales Stadium bzw. Zustand). Melancholie: keine gelungene Internalisation des guten Objekts. Aggressionshemmung (Angst, das gute Objekt zu verlieren). 292 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 8. Sitzung : Spezielle NeurosenLehre Ätiologie und Psychogenese Die Depression M. Heine H. KOHUT: Mangelhafte Spiegelung, keine bejahende freudige Reaktion auf die Existenz des Kindes = „leere“ Depression. Mangelhafte Teilhabe an Ruhe und Sicherheit eines idealisierten Erwachsenen = Schulddepression. A. Green (1983): das Modell der „toten“ Mutter St. Mentzos: das 3-Säulen-Modell 293 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 8. Sitzung : Spezielle NeurosenLehre Die Depression M. Heine Ätiologie und Psychogenese Lerntheoretische ätiologische Modelle M. SELIGMAN: erlernte Hilflosigkeit A. BECK: kognitive, pessimistische Grundkonzepte, depressiver Affekt sekundär, Therapie durch kognitive Korrektur 294 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 8. Sitzung : Spezielle NeurosenLehre Die Depression M. Heine Psychodynamik bei Depressiven Psychodynamik nach E. Bibring (1952): Voraussetzung: erhöhte Verletzbarkeit des Selbstwertgefühls auslösende Situation: narzißtische Kränkung Bedingungen: Ich-Hemmung Absinken der Selbstachtung Hilflosigkeit 295 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 8. Sitzung : Spezielle NeurosenLehre Die Depression M. Heine Psychodynamik bei Depressiven Psychodynamik nach E. Bibring: Hilflosigkeit entsteht durch Versagung gegenüber den „Urwünschen“: Wunsch/ Bedürfnis geliebt zu werden (emotionale Annahme) Wunsch, stark zu sein (narzißtische Annahme) Wunsch, gut zu sein (moralische Annahme) aus der Kluft zwischen Wünschen/ Ansprüchen und Selbsteinschätzung entsteht depressive Verstimmung 296 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 8. Sitzung : Spezielle NeurosenLehre Psychodynamik bei Depressiven Psychodynamik nach E. Bibring: Interaktion der psychodynamischen Elemente: Die Depression M. Heine Unbewußte Verlustphantasien Ausgeprägte Abhängigkeitsbeziehungen Unbewußte Größenphantasien Entstehung aggressiver Affekte Rigide Gewissensbildung Wendung der Aggression gegen das Selbst Erhöhte Verletzbarkeit des Selbstwertgefühls 297 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 8. Sitzung : Spezielle NeurosenLehre M. Heine Psychodynamik bei Depressiven Der depressive Grundkonflikt basiert nach Will (2000) auf der Unverträglichkeit zweier Wünsche: einerseits dem Liebesobjekt nah sein wollen bis zur Verschmelzung, andererseits eine Wut (und eine Gier) ausleben zu wollen, die bis zur Zerstörung des Objekts oder seiner selbst gehen könnte. (a.a.O., S. 88) Die Depression 298 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 8. Sitzung : Spezielle NeurosenLehre Psychodynamik bei Depressiven Als Ursache und zugleich Folge dieses depressiven Grundkonflikts treten in Erscheinung: Die Depression M. Heine Orale Konflikte und Regressionen: Orale Wünsche nach Versorgung und Geborgenheit führen zu starker Abhängigkeit der Depressiven vom Objekt. Die oralen Wünsche sind dabei voller Gier (versteckt oder offen), übermäßig und unerfüllbar, da sie die die ursprünglich erlebte Leere und den Mangel überdecken müssen.“ (S. 89) Selbstwertkonflikte: chronische Differenz zwischen einem überhöhten Ich-Ideal und einem entwerteten Selbstbild Überich- und Schuldkonflkte: „Die überaus strengen Forderungen, Gebote und Verbote des depressiven Gewissens äußern sich in einer Selbstkritik, die sich mit Härte 299 gegen das Ich entfaltet. Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 8. Sitzung : Spezielle NeurosenLehre Psychodynamik bei Depressiven Psychodynamik nach S. Mentzos: Die Depression M. Heine Herabsetzung des Selbstwertgefühls nimmt zentrale Stellung in den Theorien zur Psychodynamik der Depression ein => Theorie zur Regulation des Selbstwertgefühls („Dreifuß-/ Dreisäulenmodell“) 300 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie 8. Sitzung : M. Heine Neurosenlehre Externe Stärkung durch Anerkennung Stärkung durch Identifikation I. Säule II. Säule Die Depression Psychodynamik bei Depressiven Selbstwertregulation III. Säule Spezielle Neuro senLehre nach Mentzos Externe Stärkung durch Spiegelung 301 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 8. Sitzung : Reifes Idealobjekt Archaisches Überich Externe Stärkung durch Anerkennung Leitbilder Frühe Elternimagines Reifes IdealSelbst Symbiose Stärkung durch Identifikation Größenphantasien GrößenSelbst I. Säule Reifes Gewissen Ödipales Überich Die Depression M. Heine Psychodynamik bei Depressiven Selbstwertregulation II. Säule Spezielle Neuro senLehre III. Säule nach Mentzos, 1995 Externe Stärkung durch Spiegelung 302 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 8. Sitzung : Spezielle NeurosenLehre M. Heine Psychodynamik bei Depressiven Psychodynamik nach S. Mentzos: Beeinträchtigung der Selbstwertregulation: Säule Die Depression 1: narzißtische Zufuhr von einem realen Objekt wird verringert oder entfällt Säule 2: Objektverlust, Trennung, Enttäuschung über das idealisierte Objekt Säule 3: Verunsicherung durch Kritik/ Strafe wegen nicht erbrachter Leistungen 303 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 8. Sitzung : Spezielle NeurosenLehre Die Depression M. Heine Psychodynamik bei Depressiven Psychodynamik nach S. Mentzos: Regressive Aktivierung hat zur Folge bei Säule 1: Manie Säule 2: Abhängigkeitsdepression Säule 3: Schulddepression Säule 1/2/3: „leere Depression“ 304 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 8. Sitzung : Spezielle NeurosenLehre Psychodynamik bei Depressiven Psychodynamik nach S. Mentzos: Depressiver Affekt Die Depression M. Heine Ursachen: schwerer realer Verlust oder Kränkung unlösbar erscheinende Konflikte psychophysische Erschöpfung reale Hilfs- und Ausweglosigkeit Wichtig: depressiver Affekt entspricht nicht der klinischen Depression; entwickelt sich erst bei längerem Anhalten und zusätzlich auftretenden Mechanismen (häufig in Form von circuli vitiosi) zur 305 Depression Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 8. Sitzung : Spezielle NeurosenLehre Psychodynamik bei Depressiven Psychodynamik nach S. Mentzos: Drei psychische circuli vitiosi Die Depression M. Heine regressiver Rückzug von der äußeren Welt/ Realität -> Fehlen der narzißtischen Zufuhr > Auswirkung auf Säule 1 -> Überzeugung, nicht geliebt zu werden, verstärkt sich, da Korrektur von außen fehlt Objektverlust/ Trennung: es findet eine Introjektion des ambivalent besetzten Objekts statt -> Erhöhung des 306 Konfliktpotentials -> Blockierung Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 8. Sitzung : Spezielle NeurosenLehre Psychodynamik bei Depressiven Psychodynamik nach S. Mentzos: Drei psychische circuli vitiosi Die Depression M. Heine Rigides Über-Ich -> Hemmung der Frustrationsaggression -> ersatzlose Verdrängung oder Autoaggression -> verstärkt auftretende aggressive Regungen -> immer größere Selbstunterwerfung und bestrafung 307 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie 8. Sitzung : Spezielle NeurosenLehre Neurosenlehre M. Heine Behandlungsansätze bei Depressiven Antidepressiva Psychotherapie Physiotherapie Die Depression Lithium Depression Schlafentzug Elektrokrampftherapie 308 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie 8. Sitzung : Spezielle NeurosenLehre Die Depression Neurosenlehre M. Heine Psychotherapie bei Depressiven Analyse neurotische Depression, Konflikteinsicht durch Entfaltung der Übertragung, Analyse der Übertragungs- und Gegenübertragungsmanifestationen, Aufdecken auch des Gegenwartsund des Vergangenheits-Unbewußten, Ziel: psychische Umstrukturierung Interpersonelle Therapie konkrete Beziehungsschwierigkeiten, Psychodynamik,Übertragung/Gegenübertragung, Bearbeitung der Vergangenheit nicht im Mittelpunkt 309 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie 8. Sitzung : Neurosenlehre M. Heine Spezielle NeurosenLehre Psychotherapie bei Depressiven Die Depression Kognitive Therapie Verhaltenstherapie welche Verhaltensweisen beeinflussen Stimmung negativ, welche Aktivitäten können nicht mehr erfolgen Wahrnehmung, Veränderung depressiver Kognitionen Soziotherapie Umfeld, Rehabilitation, Wiedereingliederung 310 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre 8. Sitzung : Spezielle NeurosenLehre Kognitive Psychotherapie bei Depressiven - Die Depression M. Heine - Aufbau einer tragfähigen Beziehung kurzfristige, entlastende Maßnahmen Aufbau angenehmer, entlastender Aktivitäten Abbau von belastenden Aktivitäten und Strukturen Aufbau von sozialer Fertigkeit und Kontakten Veränderung einseitiger Wahrnehmung und Bewertungsmuster sowie Korrektur absolutistischer Grundüberzeugungen Hautzinger, 1989 311 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Die Klassifikation von Persönlichkeitsstörungen im Rahmen der ICD 10: F 60 Spezif. Persönlichkeitsstörungen F 61 kombinierte und andere Persönlichkeitsstörungen F 60.0 paranoide Persönlichkeitsstörung F 61.0 kombinierte Persönlichkeitsstörungen F 60.1 schizoide Persönlichkeitsstörung F 60.2 dissoziale Persönlichkeitsstörung F 61.1 störende Persönlichkeitsänderungen, nicht klassifizierbar in F 60 oder F 62 F 60.3 emotional instabile Persönlichkeitsstörung F 60.30 impulsiver Typus F 60.31 Borderline-Typus F 60.4 histrionische Persönlichkeitsstörung F 60.5 anankastische Persönlichkeitsstörung F 60.6 ängstliche (vermeidende) Persönlichkeitsstörung F 60.7 abhängige Persönlichkeitsstörung F 60.8 andere spezifische Persönlichkeitsstörungen F 60.9 nicht näher bezeichnete Persönlichkeitsstörung F 62 Andauernde Persönlichkeitsänderung, nicht Folge einer Schädigung oder Erkrankung des Gehirns F 62.0 Andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung F 62.1 Andauernde Persönlichkeitsänderung nach psychischer Erkrankung 312 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Die Klassifikation von Persönlichkeitsstörungen im Rahmen der ICD 10: F 60.3 F 60.30 emotional instabile Persönlichkeitsstörung impulsiver Typus Ö wesentliche Charakterzüge: emotionale Instabilität und mangelnde Impulskontrolle, insbesondere aggressive Durchbrüche häufig F Borderline-Typus 60.31 Ö einige Kennzeichen emotionaler Instabilität, oft das Selbstbild und die „inneren Präferenzen“ unklar und gestört; Neigung zu intensiven, aber unbeständigen Beziehungen; rezid. Krisen, u. U. mit Suiziddrohungen oder anderen autoaggressiven Impulshandlungen einhergehend. 313 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre M. Heine Borderline-Störungen Deskriptive Analyse Strukturelle Analyse Psychodynamik Ätiologie Therapeutische Ansätze Die folgenden Folien enthalten Exzerpte und Zusammenfassungen aus: Kernberg O. F., 1978, 1988; Kernberg u.a. 1993, Clarkin et al., 2001, RhodeDachser, 1982; Volkan, 1992 und aus weiterer angegebener Literatur 314 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre M. Heine Borderline-Störungen • Der Diagnostizierung einer BorderlinePersönlichkeit liegen zugrunde: • A) bestimmte typische Symptomkomplexe • B) eine typische Konstellation von Abwehrmechanismen • C) typische Störungen im Bereich der inneren Objektbeziehungen • D) charakteristische genetisch-dynamische Besonderheiten M. Heine 315 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen • Zur • A) eine Diagnostizierung deskriptive einer BorderlineAnalyse Persönlichkeit ist • B) eine es erforderlich: strukturelle Analyse des Patienten vorzunehmen M. Heine 316 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen • Im Rahmen der • die diagnostischen Verdachtsmomente deskriptiven anhand der Analyse einer vorhandenen BorderlineSymptomatik zu Persönlichkeit erfassen gilt es: M. Heine 317 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, deskriptive Analyse Der Nachweis von 2 – 3 der aufgeführten Symptome gilt als gewichtiger Hinweis auf eine möglicherweise zugrundeliegende Borderline-Persönlichkeit: Symptome: 1. Angst (chronisch, diffus, frei flottierend) 2. Polysymptomatische Neurosen 3. Polymorph-perverse Tendenzen im Sexualverhalten 4. Impulsneurosen und Süchte 5. Primitive Selbstdestruktivität M. Heine 318 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, deskriptive Analyse Ad 2: Polysymptomatische Neurosen a) Polyphobien b) Zwangssymptome c) Konversionsymptome (multiple, besonders ausgestaltete, bizarre K.s.) d) Dissoziative Reaktionen, insbesondere hysterische Dämmerzustände und Fuguezustände sowie Amnesien in Verbindung mit Bewußtseinsstörungen. e) Hypochondrie f) Paranoide und hypochondrische Züge M. Heine 319 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, deskriptive Analyse Ad 3: PolymorphPerverse Tendenzen im Sexualverhalten: „Patienten mit einer manifesten sexuellen Deviation, in der sich verschiedenartige perverse Tendenzen kombinieren.“... Je chaotischer und vielgestaltiger die perversen Phantasien und Handlungen und je labiler die mit solchen Interaktionen verbundenen Objektbeziehungen sind, desto eher ist eine BorderlinePersönlichkeitsstruktur zu erwägen. Bizarre Perversionsformen, besonders wenn sie mit primitiven Aggressionsäußerungen oder auch mit einer Ersetzung genitaler durch urethrale und anale Triebziele (Urinieren, Defäzieren) einhergehen, erwecken ebenfalls den Verdacht auf das Vorliegen einer Borderline-Persönlichkeitsstruktur.“ (Kernberg, 1978, S. 28) M. Heine 320 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, deskriptive Analyse Ad 4: Impulsneurosen und Süchte: Hiermit sind „bestimmte Formen von schweren Charakterstörungen“ gemeint, „bei denen es chronisch immer wieder zu Impulsdurchbrüchen mit Befriedigung von Triebbedürfnissen kommt, und zwar mit der Besonderheit, daß diese Arten von Triebbefriedigung außerhalb der „triebhaften“ Episoden ich-dyston, während dieser Episoden aber ichsynton und sogar hochgradig lustvoll erlebt wird. Der Alkoholismus und andere Süchte, aber auch bestimmte Formen psychogener Fettsucht und Kleptomanie sind hierfür typische Beispiele (Kernberg, 1978, S. 29) M. Heine 321 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, deskriptive Analyse Ad 5: Primitive Selbstdestruktivität: „Zu dieser Gruppe gehören unter anderem Patienten mit ausgeprägten selbstdestruktiven Zügen (die auch kein gut integriertes Über-Ich haben und auffallend wenig in der Lage sind, Schuldgefühle zu empfinden). Als typisches Beispiel hierfür sind Patienten anzuführen, die im Sinne einer unspezifischen Entlastung von Angst- und Spannungsgefühlen sich selbst Schnittwunden oder sonstige Verletzungen zufügen oder die in einer Stimmung von großer Wut, aber ohne eigentliche Depression, impulshafte Suizidversuche unternehmen (Kernberg, 1978, S. 38) M. Heine 322 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, strukturelle Analyse Die strukturelle Analyse: Die strukturelle Analyse basiert auf der Abklärung, inwiefern a) unspezifische Anzeichen von Ich-Schwäche b) primärprozeßhafte Denkformen c) spezifische Anzeichen von Ich-Schwäche (wie sie durch das Überwiegen von primitiven Abwehrmechanismen repräsentiert werden) d) eine spezifische Störung der verinnerlichten Objektbeziehungen vorliegen. (vgl. Kernberg, 1978, S. 41) 323 M. Heine Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, strukturelle Analyse Ad a): Unspezifische Anzeichen von Ich-Schwäche 1. Mangelhafte Angsttoleranz 2. Mangelhafte Impulskontrolle 3. Mangelhaft entwickelte Sublimierungen 4. mangelhafte Differenzierung zwischen Selbst- und Objektrepräsentanzen (vgl. Kernberg, 1978, S. 41) M. Heine 324 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, strukturelle Analyse Ad a): Unspezifische Anzeichen von Ich-Schwäche 1. Mangelhafte Angsttoleranz „Eine mangelhafte Angsttoleranz läßt sich daran ermessen, inwieweit jede Steigerung von Angst über das gewohnte Maß hinaus zu weiterer Symptombildung, alloplastischen Verhaltensweisen oder tieferer IchRegression führt. Ich möchte betonen, daß es hier nicht auf das Ausmaß der Angst an sich ankommt, sondern darauf, wie das Ich auf jede zusätzliche Angstbelastung reagiert.“ M. Heine 325 (vgl. Kernberg, 1978, S. 41) Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, strukturelle Analyse Ad a): Unspezifische Anzeichen von Ich-Schwäche 2. Mangelhafte Impulskontrolle „Charakterstörungen vom Typ des sog. >>triebhaften Charakters<< sind ein Beispiel für eine mangelhafte Impulskontrolle. Man muß hier jedoch unterscheiden zwischen einer unspezifischen, globalen Form und andererseits einem ganz umschriebenen und hochspezifischen >>Mangel an Impulskontrolle<<, wie er im Rahmen bestimmter charakterlicher Abwehrformationen vorkommt. …. (vgl. Kernberg, 1978, S. 41) M. Heine 326 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, strukturelle Analyse Ad a): Unspezifische Anzeichen von Ich-Schwäche 2. Mangelhafte Impulskontrolle .... In solchen Fällen zeigt sich das Spezifische dieser Form von >>mangelhafter Impulskontrolle<< typischerweise an der Ichsynchronizität des betreffenden Triebimpulses im Moment des impulsiven Verhaltens, an der stereotypen Wiederkehr solcher episodischen Impulsdurchbrüche, am fehlenden emotionalen Kontakt zwischen dem impulsiven Persönlichkeitsanteil und dem sonstigen Selbsterleben des Patienten und schließlich an der blanden Verleugnung, mit der solche dissoziierten >>Durchbrüche<< nachher abgewehrt werden. (vgl. Kernberg, 1978, S. 42) M. Heine 327 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, strukturelle Analyse Ad a): Unspezifische Anzeichen von Ich-Schwäche 2. Mangelhafte Impulskontrolle „Etwas ganz anderes ist die unspezifische, globale Form mangelhafter Impulskontrolle, wie man sie typischerweise bei infantilen Persönlichkeiten findet. Sie erscheint hier in Form einer unberechenbaren, sprunghaften Impulsivität als unspezifische Reaktion auf jeden stärkeren Anstieg von Angst oder Triebspannungen gleich welcher Art.“ (Kernberg, 1978, S. 42) M. Heine 328 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, strukturelle Analyse Ad a): Unspezifische Anzeichen von Ich-Schwäche 3. Mangelhaft entwickelte Sublimierungen „Die mangelhafte Ausbildung von Sublimierungen ist wiederum schwer zu beurteilen, denn man muß hierzu unter anderem konstitutionell bedingte Fähigkeiten wie z. B. das Intelligenzniveau und besondere Fertigkeiten abschätzen und Begabungen gegen tatsächliche Leistungen abwägen. Auch die soziale Umwelt des Patienten ist in Rechnung zu stellen. (Kernberg, 1978, S. 42) M. Heine 329 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, strukturelle Analyse Ad a): Unspezifische Anzeichen von Ich-Schwäche 3. Mangelhaft entwickelte Sublimierungen „Kreative Genußfähigkeit und kreative Leistungsfähigkeit sind die beiden wichtigsten Aspekte der Sublimierungsfähigkeit: sie sind auch vielleicht die besten Indikatoren dafür, in welchem Ausmaß der Patient über eine konfliktfreie Ichsphäre verfügt, und daher ist umgekehrt ihr Fehlen ein wichtiger Indikator für eine Ichschwäche.“ (Kernberg, 1978, S. 43) M. Heine 330 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, strukturelle Analyse Ad b): Primärprozeßhafte Denkformen Primärprozeßhafte Denkabläufe bei Borderline-Patienten zeigen sich seltener in Form von formalen Denkstörungen, sondern eher in Form von 1. Primitiven Phantasien 2. einer verminderten Fähigkeit zur Berücksichtigung der formalen Gegebenheiten des Testmaterials 3. der Verwendung formal auffälliger Formulierungen (vgl. Kernberg, 1978, S. 44) M. Heine 331 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, strukturelle Analyse Ad c): Spezifische Anzeichen von IchSchwäche Spezifische Abwehrmechanismen auf dem Niveau der BorderlinePersönlichkeitsorganisation: Abwehr durch Teilung des Ichs – wobei ein Zustand, der ursprünglich schlicht Ausdruck mangelhafter Integration war, nun aktiv zu bestimmten Zwecken herbeigeführt wird -. 1. Mechanismus der Spaltung 2. Frühformen der Projektion, insbesondere die projektive Identifizierung. 3. Primitive Idealisierung 4. Grobe Verleugnung 5. Omnipotenz und Entwertung (vgl. Kernberg, 1978, S. 45) 332 M. Heine Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, strukturelle Analyse Ad d): Die spezifische Pathologie der verinnerlichten Objektbeziehungen - - - Unfähigkeit zur Synthese der >>guten<< und der >>bösen / schlechten<< Introjektionen und Identifizierungen. Konsequenzen: a) mangelhafte Legierung libidinöser mit aggressiven Triebabkömmlingen, dadurch werden die Modulierung und Differenzierung der Affektdispositionen des Ichs erheblich beeinträchtigt. Daraus folgen: dauernde Neigung zu primitiven Affektausbrüchen und häufig eine mangelnde Fähigkeit zu echten Schuldgefühlen und tiefer Anteilnahme. b) „schwerwiegendes Hindernis für die Überich-Integration. c) auch die Zusammensetzung des IchIdeals behindert die ÜberichIntegration. (vgl. Kernberg, 1978, S. 55) M. Heine 333 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, Ätiologie • Gespaltene Partial-Selbst- und Partial-Objekt-Repräsentanzen Part.-Selbst-Repr. - Part.-Objekt-Repr. - Part.-Objekt-Repr.- Part.-Selbst-Repr. - Part.-Selbst-Repr.+ Part.-Objekt-Repr. + Part.-Objekt-Repr.+ Part.-Selbst-Repr. + M. Heine 334 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, Ätiologie • Gespaltene Partial-Selbst- und Partial-Objekt-Repräsentanzen, • bei Dominanz negativ valenter Partial-Repräsentanzen Part.-Selbst-Repr. Part.-Selbst-Repr.+ Part.-Objekt-Repr. Part.-Objekt-Repr. + Part.-Objekt-Repr.Part.-Objekt-Repr.+ Part.-Selbst-Repr. - Part.-Selbst-Repr. + M. Heine 335 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, Ätiologie • Normale Organisation Part.-Objekt-Repr. + + Part.-Objekt-Repr. - Part.-Objekt-Repr. + + Part.-Objekt-Repr. - Part.-Objekt-Repr. + + Part.-Objekt-Repr. - Part.-Objekt-Repr. + + Part.-Objekt-Repr. - Part.-Selbst-Repr.+ + Part.-Selbst-Repr.- Part.-Objekt-Repr. + + Part.-Objekt-Repr. - Part.-Objekt-Repr. + + Part.-Objekt-Repr. - Part.-Objekt-Repr. + + Part.-Objekt-Repr. - M. Heine 336 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, Ätiologie - ein Übermaß an primärer Aggression Der - oder auch an sekundärer, wichtigsten frustrationsbedingter Aggression ; ätiologischen - weitere pathogene Faktoren sind vermutlich Faktoren auch bestimmte Entwicklungsdefekte der primären Ich-Apparate und eine mangelhafte Angsttoleranz (vgl. Kernberg, 1978, S. 57) M. Heine 337 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, Ätiologie Konsequenzen: - Erstens wird durch die mangelhafte Legierung libidinöser mit aggressiven Triebabkömmlingen die normalerweise stattfindende Modulierung und Differenzierung der Affektdispositionen des Ichs erheblich beeinträchtigt, so daß eine dauernde Neigung zu primitiven Affektausbrüchen bestehen bleibt. (vgl. Kernberg, 1978, S. 57) M. Heine 338 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, Ätiologie Konsequenzen: - Weiterhin kann auch die besondere Affektdisposition, die etwas mit der Ichfähigkeit, Depression, Anteilnahme, und Schuldgefühl zu empfinden, zu tun hat, gar nicht erlangt werden, solange positive und negative Introjektionen noch nicht zusammengekommen sind. ... Borderline–Patienten mangelt es oft an der Fähigkeit zu echten Schuldgefühlen und tiefer Anteilnahme gegenüber anderen Menschen. (vgl. Kernberg, 1978, S. 57) M. Heine 339 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, Ätiologie Alternative ätiologische Annahmen: - These von Abend et al.: - - Kritik von Wurmser: - - Die Spaltung im Erleben des Kleinkindes sei nicht Ausdruck der normalen Entwicklung, sondern stelle sich bereits als Folge einer pathologischen frühen Entwicklung dar. Mit der Akzentuierung des ichstrukturellen Defizits gehe die Gefahr einher, die Konflikthaftigkeit der Innenwelt von Borderline–Patienten nicht genau genug wahrzunehmen. Kritik und These von Fonagy, Target, Gergely und Jurist: - Die Disposition zur Herausbildung einer Borderline-Störung gehe darauf zurück, daß der Patient nicht die Möglichkeit hatte, sich hinreichend die Fähigkeit zur Mentalisierung anzueignen, sondern auf den sog. Äquivalenzmodus fixiert blieb. M. Heine 340 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, Charakterzüge Typische Charakterzüge der Patienten mit BorderlinePersönlichkeits- - „Sobald sich eine Situation ergibt, aus der normalerweise eine tiefere zwischenmenschliche Beziehung entstehen könnte, zeigt sich die Unfähigkeit dieser Patienten zu wirklicher Einfühlung und echtem Mitgefühl, ihre unrealistisch verzerrte Wahrnehmung anderer Personen und die dem Selbstschutz dienende Flachheit ihrer emotionalen Beziehungen.“ - (Kernberg, 1978, S. 58) struktur : M. Heine 341 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, Charakterzüge Typische Charakterzüge der Patienten mit BorderlinePersönlichkeits - „Ein weiterer Wesenszug dieser Patienten betrifft die insgesamt stark mit Aggression durchsetzten prägenitalen und genitalen Triebziele, die in ihrem Verhalten mehr oder weniger subtil oder auch in primitiverer, direkterer Form zum Ausdruck kommen. Unverhüllte ausbeuterische Tendenzen, eine maßlose Ansprüchlichkeit und die rücksichtslose und taktlose Manipulation anderer Menschen sind nur einige der Züge, die sich leicht feststellen lassen. Die schon erwähnte Tendenz zur Entwertung der Objekte gehört ebenfalls dazu.“ - (Kernberg, 1978, S. 59f) struktur : M. Heine 342 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, Psychotherapie Entwicklung psychotherapeutischer Techniken für die Behandlung von BorderlinePatienten Seit der Erstveröffentlichung des Buches: `Borderline Conditions and pathological Narcissism´, von Kernberg im Jahr 1975 wurde der psychodynamische Ansatz zur Behandlung von Borderline- und narzißtischen Persönlichkeiten stetig weiterentwickelt, wie sich dies in einer Unzahl an Literatur zu diesem Thema niederschlägt (sh. Literaturverzeichnis). Später wurden die Behandlungskonzepte auch auf andere schwere Persönlichkeitsstörungen bezogen. Eine Autorengruppe um Kernberg hat sich in ihrer vorläufig letzten sehr detaillierten Darstellung der Behandlungsmethodik darum bemüht, ein Manual zur Psychotherapie der Borderline-Persönlichkeit vorzulegen. 343 M. Heine Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, Psychotherapie Prinzipien der übertragungsfokussierten Psychotherapie (Transference-Focused Psychotherapy, TFP) Clarkin, Yeomans, Kernberg (2001) : Psychotherapie der BorderlinePersönlichkeit - „Die Schwerpunkte und strategischen Prinzipien der übertragungs-fokussierten Psychotherapie (TFP) basieren auf einem objektbeziehungstheoretischen, psychodynamischen Verständnis der Persönlichkeitsstörung .... .“ M. Heine 344 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, Psychotherapie Clarkin, Yeomans, Kernberg (2001) : Psychotherapie der BorderlinePersönlichkeit „Das hier dargestellte Therapieverfahren ist primär darauf ausgerichtet, an den unreifen Abwehrmechanismen anzusetzen, wie sie für die BorderlineStörung charakteristisch sind.“ Es ist zu erwarten, daß „sich in der psychodynamischen Therapie eine spezifische Beziehung entwickelt, in der diese unreifen Abwehrmechanismen in ihrem vollen Ausmaß aktiviert werden. Der Therapeut versucht, diese Abwehr nicht zu unterdrücken, sondern sie dem Patienten verstehbar und in ihrer bisherigen Funktion bewußt zu machen.“ M. Heine 345 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, Psychotherapie Clarkin, Yeomans, Kernberg (2001) : Psychotherapie der BorderlinePersönlichkeit „Das Hauptziel der TFP besteht darin, die typischen Muster in den internalisierten Objektbeziehungen bei Patienten mit einer BorderlinePersönlichkeitsorganisation zu verändern, die zu den wiederkehrenden fehlangepaßten Verhaltensweisen und den chronischen affektiven und kognitiven Störungen führen, die für diese Psychopathologie charakteristisch sind. … → M. Heine 346 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, Psychotherapie Clarkin, Yeomans, Kernberg (2001) : Psychotherapie der BorderlinePersönlichkeit Aus unserer Sicht beinhaltet eine tiefgreifende Veränderung der psychischen Grundstruktur auch eine Lockerung der fixierten internalisierten Objektbeziehungen und eine Integration der abgespaltenen Selbst- und Objektrepräsentanzen in ausgewogenere, reifere und flexiblere Vorstellungen von sich selbst und den anderen. ... Eine derartige Veränderung ... wird schrittweise erreicht, indem er (der Patient) in der therapeutischen Beziehung erlebt, wie ihn der Therapeut immer wieder unterstützt, sich seiner gespaltenen und polarisierten Selbst- und Objektrepräsentanzen bewußt zu werden, die für die Heftigkeit und das Chaos in seinem subjektiven Erleben verantwortlich sind.“ ... 347 M. Heine Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, Psychotherapie Clarkin, Yeomans, Kernberg (2001) : Psychotherapie der BorderlinePersönlichkeit „Das grundlegende Konzept der psychodynamischen Therapie von Persönlichkeitsstörungen besteht darin, die Pathologie des Patienten als eine im „Hier-und-Jetzt“ stattfindende unbewußte Wiederholung pathogener, internalisierter Beziehungserfahrungen aus der Vergangenheit anzusehen. Unbewußte Konflikte der Vergangenheit, die als internalisierte Beziehungsmuster in der Psyche verankert sind, werden symbolisch immer wieder reinszeniert und vom Patienten als aktuelle Realität erlebt.“ 348 M. Heine Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, Psychotherapie Clarkin, Yeomans, Kernberg (2001) : Psychotherapie der BorderlinePersönlichkeit „Übertragungen … (sind) Wiederholungen von Objektbeziehungsmustern in der Gegenwart, die auf frühen internalisierten und in der psychischen Struktur niedergeschlagenen Erfahrungen – häufig in verzerrter Form – beruhen; die so entstandenen Strukturen bestimmen das gegenwärtige Erleben von Realität und Beziehungen des Betreffenden. Bei Borderline-Patienten enthalten die internalisierten Beziehungsmuster primitive Anteile und führen zu pathologischen Beziehungen zum Selbst und zu anderen Personen. Die pathologischen Muster entfalten sich in den Reaktionen des Patienten auf den Therapeuten und stellen die wichtigsten Mittel für das Verstehen und Intervenieren in der inneren Welt des Patienten dar.“ (S. 59) 349 M. Heine Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, Psychotherapie Clarkin, Yeomans, Kernberg (2001) : Psychotherapie der BorderlinePersönlichkeit Die Therapieziele werden durch die drei folgenden strategischen Prinzipien erreicht: das Erkennen der dominanten Objektbeziehungsmuster des Patienten, wie sie sich in der Übertragungsbeziehung zwischen Therapeut und Patient darstellen; die Analyse des Rollenwechsels (beispielsweise wenn der Pat. unbewußt zwischen der Opfer- und der Täterrolle hin und her wechselt.) die Integration positiver und negativer Sichtweisen von sich selbst (OpferTäter) und wichtigen Bezugspersonen. 350 M. Heine Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, Psychotherapie Clarkin, Yeomans, Kernberg (2001) : Psychotherapie der BorderlinePersönlichkeit „Die drei Grundbestandteile der Interventionstechnik … sind Klärung, Konfrontation und Deutung der Übertragungsbeziehung zwischen Therapeut und Patient im "Hier-und-Jetzt“.“ 351 M. Heine Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, Psychotherapie Clarkin, Yeomans, Kernberg (2001) : Psychotherapie der BorderlinePersönlichkeit Klärung, Konfrontation, Deutung Klärung Ö besteht darin, dass der Therapeut das subjektive Erleben des Patienten mit seinen unklaren oder verwirrenden Anteilen so lange bespricht, bis entweder der Patient sich verwirrt fühlt, weil ein Widerspruch zutage getreten ist, oder aber beide, Therapeut und Patient, genau verstanden haben, was besprochen wurde. 352 M. Heine Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, Psychotherapie Clarkin, Yeomans, Kernberg (2001) : Psychotherapie der BorderlinePersönlichkeit Klärung, Konfrontation, Deutung Konfrontation Öbedeutet, dass der Therapeut zuvor geklärte Informationen, die einander widersprechen, in Konflikt miteinander stehen oder keinen Sinn ergeben, zusammenträgt und den Patienten dann taktvoll mit diesem Material konfrontiert. Vor allem in den frühen und mittleren Phasen der Therapie werden die Schritte Klärung und Konfrontation vor den Deutungen den Vorrang haben. 353 M. Heine Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, Psychotherapie Clarkin, Yeomans, Kernberg (2001) : Psychotherapie der BorderlinePersönlichkeit Klärung, Konfrontation, Deutung Deuten Ö heißt in diesem Therapieverfahren in erster Linie, Objektbeziehungen bewusst zu machen, die unbewusst erlebt werden und sich entweder im Agieren oder in körperlichen Symptomen äußern. Der Deutungsprozeß Ö besteht schließlich darin, klare Hypothesen zu den beobachteten Widersprüchen und Gegensätzen aufzustellen, so dass diese verstehbar werden. 354 M. Heine Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, Psychotherapie Clarkin, Yeomans, Kernberg (2001) : Psychotherapie der BorderlinePersönlichkeit Grundprinzip der psychodynamischen Therapie Ö von einer Position der technischen Neutralität aus zu intervenieren. – „Technische Neutralität ist unentbehrlich in der TFP, weil diese Position es dem Therapeuten erlaubt, alle an den Konflikten des Patienten beteiligten Kräfte zu beobachten, zu verstehen und die Interaktion zwischen ihnen zu analysieren. – Beibehalten der technischen Neutralität bedeutet nicht, mit dem Patienten oberflächlich und emotionslos umzugehen.“ 355 M. Heine Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, Psychotherapie Clarkin, Yeomans, Kernberg (2001) : Psychotherapie der BorderlinePersönlichkeit Schritte in der Formulierung von Deutungen a) Erkennen und Benennen der aktuell aktivierten Objektbeziehung. b) Klärung, wer innerhalb der Dyade zu welchem Zeitpunkt gerade welche Position einnimmt. c) Integration der voneinander abgespaltenen Rollen in der Übertragungssituation. 356 M. Heine Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, Psychotherapie Clarkin, Yeomans, Kernberg (2001) : Psychotherapie der BorderlinePersönlichkeit Prinzipien zum Erreichen therapeutischer Ziele Der Patient bestimmt den Inhalt der Stunde. Der Therapeut fokussiert die Themen, bei denen der Affekt des Patienten am intensivsten ist. Auf das Material achten, das direkt oder indirekt auf den Therapeuten Bezug nimmt, „da sich der Affekt des Pat. oftmals auf das Hier-und-Jetzt“ in der Therapie bezieht. Ö 357 M. Heine Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, Psychotherapie Clarkin, Yeomans, Kernberg (2001) : Psychotherapie der BorderlinePersönlichkeit Prinzipien zum Erreichen therapeutischer Ziele „In der frühen Phase der Therapie eines Borderline-Patienten ist es - ... – typisch, dass der Patient verbal die am wenigsten wichtige Information übermittelt und dass sich die tieferen, die bedeutsameren und vorwiegend unbewußten Informationen durch sein Verhalten und in der Gegenübertragung des Therapeuten mitteilen.“ Registrieren, welcher der drei Informationskanäle am stärksten affektiv besetzt ist. Ö 358 M. Heine Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, Psychotherapie Clarkin, Yeomans, Kernberg (2001) : Psychotherapie der BorderlinePersönlichkeit Prinzipien zum Erreichen therapeutischer Ziele „Während Übertragung und Gegenübertragung bei Borderline-Patienten in der Regel rasch wechseln, muss der Therapeut neben den sich ständig verändernden Gegenübertragungsgefühlen auch seine anhaltende Gegenübertragungsdisposition prüfen.“ „Bei Borderline-Patienten besteht ein recht hohes Risiko eines gefährlichen Gegenübertragungsagierens. ... „Der Therapeut läuft vor allem Gefahr, projizierte Aggression in Handlung umzusetzen, indem er bei Verhaltensweisen des Patienten, die gefährdend für die Therapie sind, „mitspielt“ oder sie nicht konfrontiert.“ 359 M. Heine Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, Psychotherapie Clarkin, Yeomans, Kernberg (2001) : Psychotherapie der BorderlinePersönlichkeit Strategische Prinzipien der Behandlung in Grundzügen Ziel der TFP ist es, Patienten mit BorderlinePersönlichkeitsorganisation zu helfen, mehrdimensionale, zusammenhängende und integrierte Bilder von sich und anderen zu entwickeln. ... Der Therapeut zeigt dem Patienten hierzu die jeweils aktivierten TeilSelbst- und Teil-Objektbilder und die Abwehrmechanismen auf, die deren Aufrechterhaltung als nicht integrierte Fragmente vollständiger Selbst- und Objektrepräsentanzen dienen. 360 M. Heine Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, Psychotherapie Clarkin, Yeomans, Kernberg (2001) : Psychotherapie der BorderlinePersönlichkeit Strategisches Prinzip 1: Definieren der dominanten Obektbeziehungen Schritt 1: Erleben der Verwirrung -> häufig schon in der ersten Stunde beunruhigende, gespannte, bedrohliche oder konfuse Atmosphäre. Die Verwirrung verstärkt im Therapeuten das Gefühl von Hilflosigkeit. Der Therapeut sollte die Verwirrung unvoreingenommen auf sich wirken lassen und sollte aufmerksam auf die spezifische Qualität der in ihm ausgelösten Gefühle achten (Gegenübertragung) achten, da sie ihm als wichtiger Hinweis auf einen derzeit im Patienten aktiven gleichartigen oder komplementären Gefühlszustand dienen kann. 361 M. Heine Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, Psychotherapie Strategisches Prinzip 1: Clarkin, Yeomans, Kernberg (2001) : Psychotherapie der BorderlinePersönlichkeit Definieren der dominanten Obektbeziehungen ¾ Schritt 2: Erkennen der dominanten Objektbeziehungen ¾ Rückschlüsse über die internalisierten Objekte können lediglich aus den wiederhergestellten Interaktionsmustern des Patienten in seinen Beziehungen zu anderen Personen, insbesondere zum Therapeuten, gezogen werden. ... Indem der Therapeut sich die Rollen verdeutlicht, die der Patient gerade einnimmt bzw. dem Therapeuten zuschreibt, kann er ein lebendiges Bild der Repräsentanzenwelt des Patienten gewinnen. 362 M. Heine Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, Psychotherapie Strategisches Prinzip 1: Clarkin, Yeomans, Kernberg (2001) : Psychotherapie der BorderlinePersönlichkeit Definieren der dominanten Obektbeziehungen ¾ Schritt 3: ¾ Deuten dann, wenn der Patient noch emotional beteiligt, die Intensität des Affekts aber im Abnehmen begriffen ist. „Der Therapeut sollte den Prozess so genau wie möglich beschreiben und Details erfassen, welche die Individualität des Patienten widerspiegeln.“ Metaphern bieten oft eine schöne Möglichkeit der Verdichtung, um die Komplexität von Selbst- und Objektvorstellungen zu erfassen. ….“ Benennen der Akteure 363 M. Heine Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, Psychotherapie Strategisches Prinzip 1: Clarkin, Yeomans, Kernberg (2001) : Psychotherapie der BorderlinePersönlichkeit Definieren der dominanten Obektbeziehungen ¾ Schritt 4: Beobachten der Reaktion des Patienten ¾ Nach Benennen der aktivierten Teil-Selbst- bzw. Teil-Objekt-Dyade aufmerksam die Reaktionen des Patienten beobachten! Mögliche Varianten: ¾ a) Die beschriebene Selbst-Objekt-Interaktion wird noch verstärkt. ¾ b) Es kommt zum Rollentausch, z. B. benanntes Selbstbild wird auf den Therapeuten projiziert ... ¾ c) Die Charakterisierung kann zu erkennbarer Einsicht führen. Der Patient liefert weiteres entsprechendes, auch neues Material. 364 M. Heine Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, Psychotherapie Strategisches Prinzip 1: Clarkin, Yeomans, Kernberg (2001) : Psychotherapie der BorderlinePersönlichkeit Definieren der dominanten Obektbeziehungen ¾ Schritt 4: Beobachten der Reaktion des Patienten ¾ Plötzliche Aktivierung einer andersartigen Objektbeziehungsdyade. ¾ Eine zutreffende Rollenbeschreibung kann auch auf totale Ablehnung stoßen. „Mit Fortschreiten der Therapie werden zutreffende Interventionen häufiger zu einer Verlagerung weg von den geschilderten Dyaden und hin zu einer Aktivierung einer entgegengesetzten Dyade führen. Einander entgegengesetzte Selbst- und einander entgegengesetzte Objektrepräsentanzen können dann innerhalb einer einzigen Sitzung präsent sein. In diesem Fall kann die Deutung der Spaltung für den Patienten besonders bedeutsam sein.“ .... • 365 M. Heine Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, Psychotherapie Strategisches Prinzip 2: Beobachten und Deuten der Rollenwechsel Clarkin, Yeomans, Kernberg (2001) : Psychotherapie der BorderlinePersönlichkeit • • • „Der Therapeut sollte für jeden Patienten eine Reihe von Charakteren festlegen und die einzelnen Akteure mit Hilfe von Adjektiven so genau wie möglich beschreiben. Üblicherweise werden die Rollen alternierend gespielt. .... ... ist sich der Patient häufig nicht im klaren, welche Rolle er gerade einnimmt ...“ Ein Rollenwechsel geht häufig dann vor sich, wenn der Therapeut plötzlich den Eindruck hat, den Faden verloren zu haben. 366 M. Heine Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, Psychotherapie Clarkin, Yeomans, Kernberg (2001) : Psychotherapie der BorderlinePersönlichkeit Strategisches Prinzip 3: Beobachten und Deuten der Zusammenhänge zwischen sich gegenseitig abwehrenden Objektbeziehungsdyaden „In der Arbeit mit Borderline-Patienten muß der Therapeut nicht nur die unterschiedlichen Zerrbilder, aus denen sich die Dyaden zusammensetzen, und die Oszillationen zwischen Selbst- und Objektrepräsentanzen innerhalb dieser Dyaden herausarbeiten, sondern er muß außerdem die Funktion erkennen, die eine Dyade in der Beziehung zu einer anderen ausüben kann, um die Fragmentierung und die Konflikte in der inneren Welt des Patienten vollständig verstehen zu können.“ 367 M. Heine Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, Psychotherapie Strategisches Prinzip 4: Integrieren der abgespaltenen Teil-Objekte Clarkin, Yeomans, Kernberg (2001) : Psychotherapie der BorderlinePersönlichkeit ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ Kennzeichen der schrittweisen Integration von seiten des Patienten: „Äußerungen des Patienten, die entweder eine Erweiterung oder eine zusätzliche Klärung der Kommentare des Therapeuten enthalten. Bewahren und Tolerieren von bewußt gewordenem Haß. Toleranz von Phantasien und Öffnung eines Übergangsraums Toleranz und Fähigkeit zur Integration von Deutungen primitiver Abwehrmechanismen, insbesondere der projektiven Identifizierung. Durcharbeiten des pathologischen Größenselbst in der Übertragung. 368 M. Heine Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, Psychotherapie Strategisches Prinzip 4: Integrieren der abgespaltenen Teil-Objekte Clarkin, Yeomans, Kernberg (2001) : Psychotherapie der BorderlinePersönlichkeit ¾ ¾ ¾ Kennzeichen der schrittweisen Integration von seiten des Patienten: Änderungen in dominanten Übertragungsthemen. Die Fähigkeit, Schuldgefühle zu erleben und in eine depressive Position einzutreten. ... Diese Position ist insofern depressiv, als das Individuum den Verlust des primitiven idealen Objekts betrauern und die Realität akzeptieren muß, daß es kein ideales Objekt gibt.“ ... Das „Gefühl von Schuld und Sorge geht einher mit dem Bemühen, ambivalent geliebten Objekten gegenüber etwas wiedergutzumachen; es bildet die Grundlage für eine reifere Abhängigkeit, Dankbarkeit und Kooperation in der Arbeit mit dem Therapeuten und auch für eine Ausdehnung dieser Fähigkeiten auf Beziehungen außerhalb des therapeutischen Rahmens.“ 369 M. Heine Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, Psychotherapie Marsha M. Linehan (1996) : Grundlagen der dialektischen Verhaltenstherapie bei BorderlinePersönlichkeitsstörungen In: Schmitz, Fydrich, Limbacher: Persönlichkeitsstörungen: Diagnostik und Psychotherapie, BeltzVerlag, Weinheim, 1996, S. 179 – 199 Die „dialektische Verhaltenstherapie“: Die DVT kombiniert eine Gruppenbehandlung mit einer Einzelpsychotherapie, in der psychodynamische Ansätze, verhaltenstherapeutische Techniken und Pharmakotherapie zur Anwendung kommen. Der Fokus der DVT … wird auf die schweren dysfunktionalen Verhaltensmuster, einschließlich des suizidalen Verhaltens, gelegt. 370 M. Heine Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, Psychotherapie Marsha M. Linehan (1996) : Grundlagen der dialektischen Verhaltenstherapie bei BorderlinePersönlichkeitsstörungen In: Schmitz, Fydrich, Limbacher: Persönlichkeitsstörungen: Diagnostik und Psychotherapie, BeltzVerlag, Weinheim, 1996, S. 179 – 199 Die „dialektische Verhaltenstherapie“: • Die theoretischen Grundlagen der Behandlung -> werden gebildet durch • • • • eine biosoziale Theorie, dialektisch philosophische Annahmen, die Zen-Prinzipien und die verhaltenstheoretisch fundierten Prinzipien, die nach wie vor die Auswahl der Strategien bestimmen. 371 M. Heine Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, Psychotherapie Marsha M. Linehan (1996) : Grundlagen der dialektischen Verhaltenstherapie bei BorderlinePersönlichkeitsstörungen In: Schmitz, Fydrich, Limbacher: Persönlichkeitsstörungen: Diagnostik und Psychotherapie, BeltzVerlag, Weinheim, 1996, S. 179 – 199 Die „dialektische Verhaltenstherapie“: Der Begriff „kognitiv“ wurde ersetzt durch den Begriff „dialektisch“ -> weil die Behandlung nicht mehr auf einer kognitiven Theorie der Verhaltensund emotionalen Dysfunktion basiert; „weil ein breiterer, theoretischer Rahmen benötigt wurde, der die modifizierte philosophische, theoretische und technische Grundlage der Behandlung umfassen konnte. 372 M. Heine Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, Psychotherapie Marsha M. Linehan (1996) : Grundlagen der dialektischen Verhaltenstherapie bei BorderlinePersönlichkeitsstörungen In: Schmitz, Fydrich, Limbacher: Persönlichkeitsstörungen: Diagnostik und Psychotherapie, BeltzVerlag, Weinheim, 1996, S. 179 – 199 Die „dialektische Verhaltenstherapie“: Biosoziale Theorie Basishypothese: Die DVT geht davon aus, daß „die Verhaltensmuster bei der BorderlinePersönlichkeitsstörung entweder funktionell in Beziehung zu einer fundamentalen Dysregulation des emotionalen Systems stehen oder unvermeidbare Konsequenzen dieser Dysregulation sind. … 373 M. Heine Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, Psychotherapie Marsha M. Linehan (1996) : Grundlagen der dialektischen Verhaltenstherapie bei BorderlinePersönlichkeitsstörungen In: Schmitz, Fydrich, Limbacher: Persönlichkeitsstörungen: Diagnostik und Psychotherapie, BeltzVerlag, Weinheim, 1996, S. 179 – 199 Die „dialektische Verhaltenstherapie“: Biosoziale Theorie „Diese systemische Dysregulation ist eine Folge von emotionaler Vulnerabilität in Kombination mit ausgeprägten Schwierigkeiten, emotionale Reaktionen zu steuern.“ Emotionale Vulnerabilität Ö hohe Sensitivität für emotionale Reize Ö heftige emotionale Reaktionen Ö langsame Rückkehr zur Baseline 374 M. Heine Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, Psychotherapie Marsha M. Linehan (1996) : Grundlagen der dialektischen Verhaltenstherapie bei BorderlinePersönlichkeitsstörungen In: Schmitz, Fydrich, Limbacher: Persönlichkeitsstörungen: Diagnostik und Psychotherapie, BeltzVerlag, Weinheim, 1996, S. 179 – 199 Die „dialektische Verhaltenstherapie“: Biosoziale Theorie „Defizite in der Regulation von Emotionen sieht Linehan „möglicherweise verursacht“ dadurch, daß Borderline-Patienten nicht hinreichend in der Lage sind: stimmungsabhängige dysfunktionale Verhaltensweisen zu hemmen; ihr Verhalten auf Ziele auszurichten, unabhängig von momentanen Stimmungen; ihre physiologische Erregung situationsadäquat zu steigern oder zu verringern; die Aufmerksamkeit von emotional erregenden Reizen abzuziehen; dem emotionalen Erleben (zu begegnen(?)), ohne sofortigen Rückzug oder ohne weitere extreme negative Emotion zu entwickeln. 375 M. Heine Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, Psychotherapie Marsha M. Linehan (1996) : Grundlagen der dialektischen Verhaltenstherapie bei BorderlinePersönlichkeitsstörungen In: Schmitz, Fydrich, Limbacher: Persönlichkeitsstörungen: Diagnostik und Psychotherapie, BeltzVerlag, Weinheim, 1996, S. 179 – 199 Die „dialektische Verhaltenstherapie“: Biosoziale Theorie Die Mechanismen der initialen Dysregulation seien unklar geblieben! Allerdings geht Linehan davon aus, „daß biologische Faktoren eine wichtige Rolle spielen würden.“ Diese könnten sich zusammensetzen aus genetischen Einflüssen, pränatalen Faktoren und traumatischen Kinheitserlebnissen, die die Entwicklung des Gehirns und des Nervensystems betreffen. 376 M. Heine Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, Psychotherapie Die „dialektische Verhaltenstherapie“: Marsha M. Linehan (1996) : Grundlagen der dialektischen Verhaltenstherapie bei BorderlinePersönlichkeitsstörungen In: Schmitz, Fydrich, Limbacher: Persönlichkeitsstörungen: Diagnostik und Psychotherapie, BeltzVerlag, Weinheim, 1996, S. 179 – 199 Biosoziale Theorie Aus der Perspektive von Linehan haben Emotionen eine kognitive Bewertungskomponente, eine physiologische oder biochemische Komponente, eine phänomenologische Erfahrungskomponente, eine muskuläre und mimische Komponente, und eine Handlungskomponente.[1] „Es ist das System, das dysreguliert ist.“ • [1] Eine kommunikative Komponente von Emotionen findet auffälligerweise keine Erwähnung. Linehan betont, daß - angeblich im Unterschied zu anderen Theorien - die DVT annehme, daß die Regulation und Toleranz aller Emotionen dysfunktional vonstatten gehe. Daraus leite sich das Postulat ab, spezifisch emotionale Erfahrungen und Dysregulationen im jeweiligen Einzelfall „äußerst gründlich“ zu erfassen. 377 M. Heine Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, Psychotherapie Marsha M. Linehan (1996) : Grundlagen der dialektischen Verhaltenstherapie bei BorderlinePersönlichkeitsstörungen In: Schmitz, Fydrich, Limbacher: Persönlichkeitsstörungen: Diagnostik und Psychotherapie, BeltzVerlag, Weinheim, 1996, S. 179 – 199 Die „dialektische Verhaltenstherapie“: Biosoziale Theorie Invalidierende Umfelder Damit sich eine BorderlinePersönlichkeitsstörung entwickelt, reicht eine anfängliche temperamentsbedingte Vulnerabilität gegenüber emotionaler Dysregulation nicht aus. Hinzutreten müsse ein sog. „invalidierendes Umfeld“. 378 M. Heine Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, Psychotherapie Die „dialektische Verhaltenstherapie“: Marsha M. Linehan (1996) : Grundlagen der dialektischen Verhaltenstherapie bei BorderlinePersönlichkeitsstörungen In: Schmitz, Fydrich, Limbacher: Persönlichkeitsstörungen: Diagnostik und Psychotherapie, BeltzVerlag, Weinheim, 1996, S. 179 – 199 Biosoziale Theorie Invalidierende Umfelder • • Ö Tendenz, persönliche Erfahrungen zu negieren und / oder unberechenbar und unangemessen (?) auf sie zu reagieren; Ö Insbesondere emotionale Erfahrungen und Interpretationen von Ereignissen werden oft als nicht angemessene Reaktionen betrachtet, werden bestraft, trivialisiert, abgetan oder nicht beachtet, und / oder sie werden auf sozial unakzeptierte Eigenschaften zurückgeführt, z. B. auf Überempfindlichkeit, Boshaftigkeit e.t.c. 379 M. Heine Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, Psychotherapie Die „dialektische Verhaltenstherapie“: Marsha M. Linehan (1996) : Grundlagen der dialektischen Verhaltenstherapie bei BorderlinePersönlichkeitsstörungen In: Schmitz, Fydrich, Limbacher: Persönlichkeitsstörungen: Diagnostik und Psychotherapie, BeltzVerlag, Weinheim, 1996, S. 179 – 199 Biosoziale Theorie Invalidierende Umfelder • • • • Ö Es werden negative Emotionen unterstellt (Projektionen) und zugleich werden negative Affekte kaum geduldet. Ö Die Notwendigkeit der Kontrolle von Emotionen wird sehr betont. Ö Tendenz, das Verhalten vor allem durch Strafen zu regulieren. Linehan geht davon aus, daß sexueller Missbrauch der Prototyp des invalidierenden Umfeldes für Kinder sei. 380 M. Heine Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, Psychotherapie Die „dialektische Verhaltenstherapie“: Marsha M. Linehan (1996) : Grundlagen der dialektischen Verhaltenstherapie bei BorderlinePersönlichkeitsstörungen In: Schmitz, Fydrich, Limbacher: Persönlichkeitsstörungen: Diagnostik und Psychotherapie, BeltzVerlag, Weinheim, 1996, S. 179 – 199 Biosoziale Theorie Invalidierende Umfelder • Die Betroffenen würden auf diese Weise lernen, ihren inneren Zuständen zu misstrauen, und würden stattdessen in ihrer Umgebung nach Anhaltspunkten dafür suchen, wie sie zu handeln, zu denken und zu fühlen hätten. (gilt vor allem für die abhängige Persönlichkeitsstörung oder / und das sog. „falsche Selbst (Winicott)) • In auffälliger Übereinstimmung mit gleichlautenden Formulierungen der Psychodynamik versteht Linehan „die für die Borderline-Persönlichkeitsstörung charakteristischen dysfunktionalen Verhaltensweisen als fehlangepaßte Lösungsversuche für überwältigenden, äußerst schmerzhaften negativen Affekt“. 381 M. Heine Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, Psychotherapie Die „dialektische Verhaltenstherapie“: Marsha M. Linehan (1996) : Grundlagen der dialektischen Verhaltenstherapie bei BorderlinePersönlichkeitsstörungen In: Schmitz, Fydrich, Limbacher: Persönlichkeitsstörungen: Diagnostik und Psychotherapie, BeltzVerlag, Weinheim, 1996, S. 179 – 199 Richtlinien für die kognitive Therapie der Persönlichkeitsstörungen • • • • • - Interventionen sind am wirksamsten, wenn sie auf einer individualisierten Konzepterstellung der Probleme des Klienten beruhen. - Es ist sowohl für den Therapeuten als auch für den Klienten wichtig, miteinander auf klar festgelegte, gemeinsame Ziele hinzuarbeiten. - Es ist wichtig, der Therapeut-Klient-Beziehung mehr Aufmerksamkeit als gewöhnlich zu schenken. -> Das, was im psychoanalytischen Bezugsrahmen „Übertragung“ genannt wird, seien „aus kognitiver Sicht Übergeneralisierte Überzeugungen und Erwartungen, die der Klient in Beziehungen zu Bezugspersonen erworben hat. - Überlegen Sie, mit therapeutischen Schritten zu beginnen, die kein ausführliches Sich-Öffnen erfordern. - Interventionen, die das Gefühl der Selbstwirksamkeit des Klienten stärken, reduzieren oft die Intensität seiner Symptomatik und erleichtern andere Interventionen.“ 382 M. Heine Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Borderline-Störungen, Psychotherapie Marsha M. Linehan (1996) : Grundlagen der dialektischen Verhaltenstherapie bei BorderlinePersönlichkeitsstörungen In: Schmitz, Fydrich, Limbacher: Persönlichkeitsstörungen: Diagnostik und Psychotherapie, BeltzVerlag, Weinheim, 1996, S. 179 – 199 Die „dialektische Verhaltenstherapie“: Richtlinien für die kognitive Therapie der Persönlichkeitsstörungen • • • • • • • - Verlassen Sie sich nicht hauptsächlich auf verbale Interventionen. -> Hierarchie von Verhaltensexperimenten - Bemühen Sie sich, die Ängste Ihres Klienten zu erkennen und anzusprechen, bevor sie Veränderungen initiieren. - Helfen Sie dem Klienten, angemessen mit aversiven Emotionen umzugehen. - Rechnen Sie mit Problemen hinsichtlich der Compliance. - Gehen Sie nicht davon aus, daß der Klient in einem „vernünftigen“ Umfeld lebt. -> Bei der Initiierung von Veränderungen ist es (daher) wichtig, die zu erwartenden Reaktionen der Bezugspersonen im Umfeld des Klienten einzuschätzen, anstatt nur anzunehmen, sie seien angemessen. - Achten Sie während des Therapieverlaufs auf ihre eigenen emotionalen Reaktionen. -> „Da emotionale Reaktionen nicht zufällig entstehen, ist eine außergewöhnlich starke Gefühlsregung wahrscheinlich eine Reaktion auf einen bestimmten Aspekt des Klientenverhaltens.“ - Seien Sie realistisch hinsichtlich der Dauer und der Ziele der Therapie sowie der Maßstäbe, die Sie an sich legen.383 M. Heine Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre - 5. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Hysterie und Konversionsneurosen Charakterneurose M. Heine Der hysterische Charakter Als auffällige Persönlichkeitszüge treten in Erscheinung: Fordernde Abhängigkeit, Egozentrismus, Bedürfnis, Aufmerksamkeit zu gewinnen, evtl. Theatralik, Exhibitionismus, Angst vor der Sexualität, Labilität des Affektes, (oft unbewußte) sexuelle Provokation und Suggestibilität, wodurch sie den Eindruck von Inauthentizität vermitteln, u. U. auch Pseudologia phantastica. 384 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre - 5. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Hysterie und Konversionsneurosen Charakterneurose M. Heine Der hysterische Charakter Die Partnerbeziehungen der hysterischen Persönlichkeit: Charakteristisch sind häufige Szenen und ein immer wieder erneutes Herstellen der als problematisch erkannten Arrangements. Daraus entwickelt sich oft die sog. "sado-masochistische Kampfehe". Hysterische Frauen wählen als Partner oft zwanghaft-depressive Männer und umgekehrt, nach Willi handelt es sich dabei um eine spezifische neurotische Kollusion. 385 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre - 5. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Hysterie und Konversionsneurosen Charakterneurose M. Heine Der hysterische Charakter Psychogenese und zugrundeliegende Dynamik Pathogenese: konstitutioneller Faktor. Entwicklungsstörungen lassen sich insbesondere in der oralen Phase, dort besonders bei der Abhängigkeitsthematik, und in der ödipalen Entwicklung mit einer Fixierung an den gegengeschlechtlichen Elternteil nachweisen. 386 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre - 5. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Hysterie und Konversionsneurosen Die histrionische Persönlichkeit M. Heine Merkmale der histrionischen Persönlichkeitsstörung (ICD 10: F 60.4) Dramatisierung bezügl. der eigenen Person, theatralisches Verhalten, übertriebener Ausdruck von Gefühlen Andauernde Sehnsucht nach Zuneigung und Akzeptiertwerden Überempfindlichkeit gegenüber Zurückweisung und Kritik Weigerung zur Aufnahme von Beziehungen, solange der betreffenden Person nicht unkritisches Akzeptiertwerden garantiert ist; sehr eingeschränkte persönliche Bindungen 387 Institut für Psychologie, Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie Neurosenlehre - 5. Sitzung : Spezielle Neurosenlehre: Hysterie und Konversionsneurosen Die histrionische Persönlichkeit M. Heine Merkmale der histrionischen Persönlichkeitsstörung (Fortsetzung) Gewohnheitsmäßige Neigung zur Überbetonung potentieller Gefahren oder Risiken alltäglicher Situationen, bis zur Vermeidung bestimmter Aktivitäten, ohne das usmaß phobischer Bindungen Eingeschränkter Lebensstil wegen des Bedürfnisses nach Gewißheit und Sicherheit Dazugehörige Begriffe: Infantile Persönlichkeitsstörung Hysterische Persönlichkeit(sstörung) (nach ICD 10, F 60.4) 388