POLITISCHER HINTERGRUNDBERICHT Projektland: Ungarn Datum: 07. April 2014 Parlamentswahlen in Ungarn Klarer Sieg für Viktor Orbán Ministerpräsident Viktor Orbán und die nationalkonservative Fidesz – Magyar Polgári Szövetség (dt. Ungarischer Bürgerbund, FIDESZ) sind als klarer Sieger aus den Parlamentswahlen am 6. April 2014 hervorgegangen. Nach dem vorläufigen Ergebnis konnte die Regierungspartei 96 von 106 Direktmandaten für sich entscheiden. Bei den Zweitstimmen errang das aus FIDESZ und der Kereszténydemokrata Néppárt (dt. Christlich-Demokratische Volkspartei, KDNP) bestehende Regierungsbündnis im landesweiten Durchschnitt nach Auszählung von 99 Prozent der Stimmen 44,54 Prozent, das aus fünf Oppositionsparteien bestehende Linksbündnis Kormányváltás (dt. Regierungswechsel) 25,99 Prozent, die rechtsradikale Partei Jobbik Magyarországért Mozgalom (dt. Bewegung für ein besseres Ungarn, JOBBIK) 20,54 Prozent und die grün-liberale Partei Lehet Más a Politika (dt. Die Politik kann anders sein, LMP) 5,26 Prozent. Die aktuelle Projektion der Mandatsverteilung zeigt für FIDESZ/KDNP eine Mehrheit von 133 von 199 Sitzen. Dies entspricht exakt einer verfassungsändernden 2/3-Mehrheit. In einigen Wahlkreisen lagen die nach relativer Mehrheitwahl zu bestimmenden Direktkandidaten so nah beieinander — unter anderem in der nordostungarischen Großstadt Miskolc und im 18. Budapester Stadtbezirk — dass die Stimmen von Wählern im Ausland und von Wahlbürgern, die zwar in Ungarn, aber fernab ihres Wohnortes gewählt haben, erst noch ausgezählt werden mussten. Wahlberechtigt waren insgesamt mehr als acht Millionen Ungarn. Die Wahlbeteiligung lag bei 60,2 Prozent. Neues Wahlgesetz Ein direkter Vergleich der Wahlgänge von 2010 und 2014 ist schwierig, da am 06. April 2014 ein neues Wahlgesetz zur Anwendnung kam, welches zahlreiche Veränderungen nach sich zog. Dazu zählt vor allem die Reduzierung der Abgeordneten Hanns-Seidel-Stiftung_Politischer Sonderbericht_Ungarn_07. April 2014 1 des Ein-Kammer-Parlaments von 386 auf 199, die dadurch notwendige Neuzeichnung der Wahlkreise und die Abschaffung eines zweiten Wahlgangs. In Ungarn gibt es seit den ersten freien Wahlen von 1990 ein Mischsystem aus Persönlichkeits- und Listenwahlrecht. In der Vergangenheit wurden 176 Parlamentarier in Wahlkreisen, der Rest der 386 Sitze über Parteilisten bestimmt. Bei den Wahlkreisen gab es dann eine Stichwahl unter den drei besten Kandidaten, wenn keiner der Bewerber eine absolute Mehrheit erhalten hatte. Im neuen Wahlgesetz wurde das Mischsystem zwar beibehalten, jedoch der zweite Wahlgang und die Mindestwahlbeteiligung von 50 Prozent abgeschafft. Zudem ist auch das Gewicht der Persönlichkeitswahl gestiegen, da jetzt mehr als die Hälfte (106) der Parlamentarier in den Wahlkreisen und nur 93 über die Parteilisten bestimmt werden. Diese Listenplätze werden proportional nach dem sogenannten D'Hondt-Verfahren vergeben, vorbehaltlich einer Fünf- Prozent- Hürde für Einzelparteien und einer Zehn bis Fünfzehn-Prozent-Hürde bei Parteizusammenschlüssen von zwei bzw. drei Parteien. Die Neuzeichnung der Wahlkreisgrenzen hatte im Vorfeld der Wahlen Kritik hervorgerufen, die nun allerdings unberechtigt erscheint. Während die Regierung argumentierte, dass man die Bevölkerungszahlen anpassen und den demographischen Entwicklungen Rechnung tragen müsse, beklagte die Opposition, dass die Regierung ihre eigene Startposition bei den Wahlen verbessern wolle. Im neuen System umfasst jeder Wahlkreis durchschnittlich 76.000 Wahlberechtigte. Bei den letzten Parlamentswahlen hatte die Opposition zwei von 176 Direktmandaten gewonnen. Trotz einer Veränderung des Wahlgesetzes und der Wahlkreise, angeblich, so der Vorwurf, zu Ungunsten der Opposition, gelang es dem Linksbündnis nun, zehn von 106 Direkmandaten für sich zu entscheiden. Wahlrecht für Auslandsungarn Eine weitere wichtige Änderung des neuen ungarischen Wahlgesetzes betrifft Wahlbürger im Ausland. Neu ist die Tatsache, dass ungarische Staatsbürger keinen Wohnsitz mehr im Land haben müssen, um ihr (aktives) Wahlrecht auszuüben. Das betraf erstmals Angehörige der ungarischen Minderheit in den Nachbarländern, die seit einer Reform des Staatsbürgerschaftsrechts im Jahre 2011 die ungarische Staatsbürgerschaft erwerben können, ohne in Ungarn zu wohnen. Von dieser Möglichkeit haben etwa 550.000 Menschen Gebrauch gemacht — vorwiegend in Rumänien, der Slowakei, Serbien und der Ukraine — von denen sich rund 234.000 für die Wahlteilnahme haben registrieren lassen. Angehörige der ungarischen Minderheit waren allerdings nur berechtigt, ihre Stimme für eine Parteiliste abzugeben und dies auch nur nach vorheriger Registrierung bei der Wahlkommission, dafür jedoch erstmals in der Geschichte Ungarns bequem per Briefwahl. Von der Briefwahl machten Hanns-Seidel-Stiftung_Politischer Sonderbericht_Ungarn_07. April 2014 2 insgesamt etwa 65.000 Personen Gebrauch. Die sogenannten Auslandsungarn in Siebenbürgen, der Vojvodina, der Karpato-Ukraine und der Südslowakei stehen der nationalkonservativen Politik von Orbán nahe und sollen nach Medienberichten zu 95 Prozent für FIDESZ/KDNP gestimmt haben. Auch JOBBIK hat sich massiv um die Stimmen dieser Auslandsungarn bemüht. Anders verhielt es sich mit rund einer halben Million aus beruflichen oder familiären Gründen vorübergehend im Ausland lebender Ungarn mit ständigem Wohnsitz in Ungarn. Diese mussten, wie auch in der Vergangenheit, nach vorheriger Anmeldung ihre beiden Stimmen beim jeweils zuständigen ungarischen Konsulat oder in den Botschaften persönlich abgeben oder am Wahltag in ihre Heimat reisen. Insgesamt haben sich nur etwa 2.800 im Ausland arbeitende oder studierende Ungarn für die Parlamentswahlen bei ihren Auslandsvertretungen angemeldet. Bei dieser Personengruppe lag die Wahlbeteiligung mit 85,43 Prozent dann aber deutlich über dem Landesdurchschnitt (60,2 Prozent). Vertreter nationaler Minderheiten Bei den Parlamentswahlen vom 6. April 2014 hatten erstmals auch die in Ungarn lebenden Minderheiten die Möglichkeit, über eigene Listen jeweils maximal einen gewählten Vertreter ins Parlament zu entsenden, wobei nach Registrierung im jeweiligen Nationalitätenwahlverzeichnis diese Wähler ihre Zweitstimme verloren. Offiziell anerkannt sind in Ungarn dreizehn nationale Minderheiten, darunter Ungarndeutsche, Ruthenen, Serben, Rumänen, Armenier, Polen und Roma. Allerdings schaffte es keine der anerkannten nationalen Minderheiten, eine ausreichende Anzahl von Personen für die Registrierung im Nationalitätenwahlverzeichnis und genügend Stimmen für die Wahl eines Abgeordneten zu mobilisieren. Alle Minderheiten dürfen nun trotzdem den ersten Kandidaten ihrer Minderheitenliste ins Parlament entsenden. Dieser Sprecher ist jedoch ohne Antragsoder Abstimmungsrecht und hat begrenzte Redezeiten. Die Vor- und Nachteile der Registrierung im jeweiligen Nationalitätenwahlverzeichnis wurden innerhalb der nationalen Selbstverwaltungen der Minderheiten im Vorfeld der Wahlen kontrovers diskutiert und unterschiedlich bewertet. Während der Vertreter der deutschen Minderheit in Ungarn, Ottó Heinek, Angehörige der deutschen Minderheit ausdrücklich zur Registrierung aufforderte, entschieden sich nur etwa 14.000 (von insg. etwa 200.000) Personen, diesem Aufruf zu folgen. Rund 9.000 registrierte Ungarndeutsche gaben schließlich ihre Stimme ab. Der Vorsitzende der Landesselbstverwaltung der Roma-Minderheit, Flórián Farkas, selbst Abgeordneter der FIDESZ in der ungarischen Nationalversammlung, warb in Anbetracht des Zweitstimmenverlusts für taktisches Vorgehen und empfahl nur soviele Registrierungen im Nationalitätenwahlverzeichnis der Roma wie Stimmen für einen Hanns-Seidel-Stiftung_Politischer Sonderbericht_Ungarn_07. April 2014 3 gewählten Parlamentsvertreter notwendig sind. Die übrigen Stimmberechtigten der rund 700.000 Personen umfassenden Roma-Minderheit in Ungarn sollten von ihrem allgemeinen Wahlrecht mit Erst- und Zweitstimme Gebrauch machen. Trotzdem registrierten sich weniger als 20.000 Roma und nur einige tausend gaben ihre Stimme ab. Klassischer Lagerwahlkampf Im Rahmen der Wahlrechtsreform von 2011 wurden die Hürden für die Aufstellung von Kandidaten und Parteien erheblich gesenkt und mit insgesamt 18 Parteilisten und 1.577 Direktkandidaten standen so viele Bewerber und Wahllisten wie nie zuvor zur Auswahl. Der Wahlkampf spiegelte die tiefgreifende Polarisierung der ungarischen Gesellschaft wider. Beide politischen Lager reduzierten die Wahlen zu einer Glaubensfrage. Premierminister Orbán verkündete im März 2014 ein 10-Punkte Wahlprogramm, dass unter anderem die Förderung exportfähiger ungarischer Mittelstandbetriebe und Reindustrialisierung, die vollständige Ausschöpfung von EU-Fördermöglichkeiten, die Umstrukturierung der Bodenbesitzverhältnisse, eine weitere Reduzierung der Steuern auf Arbeit, Vollbeschäftigung, Ostöffnung und die billigste Energie in Europa versprach. Außerdem wurde den Wählern versichert, dass der 2010 begonnene "Freiheitskampf" für die Rechte der Magyaren fortgesetzt werde. Im Gegenzug präsentierte die Opposition ein 8-Punkte Programm, allerdings ohne konkrete Aussagen, wie die Wahlversprechungen umgesetzt werden könnten. Das Wahlprogramm der Allianz enthielt Ziele wie die Abschaffung der flat tax und die Einführung einer gerecht(er)en zweistufigen Einkommenssteuer, Förderung des Mittelstandes und Kampf gegen Armut, Erhöhung des Netto-Minimallohns und der Renten, Reduzierung der Preise für Grundnahrungsmittel, Schaffung von 250.000 neuen Arbeitsplätzen sowie Rückholung der etwa 500.000 ins Ausland abgewanderten Ungarn in die Heimat. Insgesamt machte die Opposition aber vor allem durch Streit, Fehler und Affären auf sich aufmerksam und war mehr mit internen Rivalitäten als mit der Formulierung von Politikalternativen beschäftigt. Vor allem der Skandal um geheime, nicht deklarierte Konten des MSZP-Vizevorsitzenden Gábor Simon sorgte seit Anfang Februar für negative Schlagzeilen. Zwar trat Simon von allen Ämtern zurück und trat auch nicht zur Wahl an. Die Tatsache allerdings, dass bis heute nicht geklärt beziehungsweise glaubhaft gemacht werden konnte, woher die insgesamt rund eine Million Euro kommen, und ob es sich um private oder um Parteigelder handelt, sorgte für großen Ansehens- und Glaubwürdigkeitsverlust auf Seiten der MSZP. Dem Wahlbündnis der ungarischen Linken gehörten insgesamt fünf Parteien an, wobei die frühere Regierungspartei Magyar Szocialista Párt (dt. Ungarische Sozialistische Hanns-Seidel-Stiftung_Politischer Sonderbericht_Ungarn_07. April 2014 4 Partei, MSZP) dominierte. Spitzenkandidat der Wahlallianz war nach einem internen zähen Konkurrenzkampf der MSZP-Vorsitzende Attila Mesterházy, der sich gegen die ehemaligen Premierminister Gordon Bajnai (2009-10) von der Együtt — a Korszakváltók Pártja (dt. Gemeinsam — Partei der neuen Ära, EGYÜTT) und Ferenc Gyurcsány (2004-09) von der Demokratikus Koalíció (dt. Demokratische Koalition, DK) durchsetzte. Weitere Mitglieder des Bündnisses waren die ungarischen Liberalen (Magyar Liberális Párt, MLP) und die Partei Dialog für Ungarn (Párbeszéd Magyarországért, PM). Der Zusammenschluss der seit Jahren tief gespaltenen Opposition ließ lange auf sich warten und kam allein aufgrund wahltaktischer Überlegungen zustande. Einzeln hatten die sozialliberalen Parteien zum Teil kaum eine Chance, die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden und überhaupt ins Parlament einzuziehen. Das jetzige Wahlergebnis ist eine klare Niederlage des Oppositionsbündnisses. Auch im Verbund war man nicht in der Lage, den Menschen brauchbare Lösungen für ihre Probleme zu unterbreiten. Nach den verlorenen Wahlen dürfte sich die linke Opposition nun neuerlich fragmentieren. Bereits für die Europawahlen am 25. Mai 2014 wird man getrennte Wege gehen. JOBBIK und LMP: braune und grüne Alternativen Enttäuschte beider politischen Lager hatten zwar eine Vielzahl anderer Parteien zur Auswahl — von der kürzlich erst gegründeten Magyarországi Cigány Párt (dt. Ungarns Roma Partei, MCP) über die Magyar Munkáspárt (dt. Ungarische Arbeiterpartei, MMP) bis hin zur Független Kisgazda-, Földmunkás- és Polgári Párt (dt. Unabhängige Partei der Kleinlandwirte, der Landarbeiter und des Bürgertums, FKGP). Als Alternative zu den Blöcken FIDESZ/KDNP auf der einen und MSZP/EGYÜTT/DK/PM/MLP auf der anderen Seite, mit realistischer Aussicht auf Überwindung der Fünf-Prozent-Hürde, standen allerdings nur die rechtsextreme Partei Jobbik Magyarországért Mozgalom (dt. Bewegung für ein besseres Ungarn, JOBBIK) und die grün-liberale Partei Lehet Más a Politika (dt. Die Politik kann anders sein, LMP) zur Wahl. Beide Parteien hatten eine Koalition mit dem Wahlsieger bereits vor den Wahlen kategorisch ausgeschlossen. JOBBIK zog nach den letzten Wahlen in 2010 mit 16,7 Prozent der Stimmen als drittstärkste Partei ins ungarische Parlament ein. Die Partei konnte ihr Ergebnis auf 20,54 Prozent der Stimmen verbessern und hat in einigen Wahlkreisen im Norden und Osten des Landes Direktmandate nur knapp verfehlt. In den Komitaten Heves, Szabolcs-Szatmár-Bereg, Borsod-Abaúj-Zemplén wurde JOBBIK zweitstärkste Kraft bei den Direkstimmen. Die Partei stellt mittlerweile in 12 Gemeinden bzw. kleineren Städten den Bürgermeister und gilt zehn Jahre nach Gründung als fest verankert in der ungarischen Politik und Gesellschaft. JOBBIK definiert sich selbst als "wertorientierte, konservative, christliche und patriotische Partei". Sie propagiert Antiziganismus und die Wiederherstellung von Hanns-Seidel-Stiftung_Politischer Sonderbericht_Ungarn_07. April 2014 5 Großungarn durch Aufhebung des Vertrags von Trianon. JOBBIK bezeichnet sich als "antizionistisch", wird aber gemeinhin als antisemitisch eingestuft. In 2012 machte beispielsweise der JOBBIK Parlamentsabgeordnete Márton Gyöngyösi international Schlagzeilen, als er forderte, die Doppelstaatsbürgerschaft aller Parlamentskollegen offenzulegen, die einen israelischen Pass hätten und somit Juden seien. Im Februar 2014 fand in Esztergom eine JOBBIK-Wahlkampfveranstaltung in einer ehemaligen Synagoge statt, was umgehend den von Parteichef Gábor Vona erwünschten nationalen und internationalen Aufmerksamkeitseffekt brachte. Dem gleichen Zweck diente auch die öffentlichkeitswirksame Entfernung von EU-Fahnen aus dem ungarischen Parlament durch JOBBIK-Abgeordnete, und zwar mit dem Argument, die ungarische Souveränität würde durch die Präsenz von EU-Fahnen im Abgeordnetenhaus verletzt. Im Wahlprogramm der JOBBIK wurde unter anderem die Wiedereinführung der Todesstrafe, die Schaffung einer Gendarmerie nach dem Vorbild der Horthy Ära sowie die Zwangssterilisation von Sexualstraftätern und Frauen gefordert, die "aus eigenem Verschulden nicht für ihre Nachkommenschaft sorgen können". Im Wirtschaftsbereich forderte man die Rückbesinnung auf eine natürliche, kleinteilige Landwirtschaft zur Selbstversorgung, eine möglichst umfassende Abkopplung vom globalen Geschehen und den EU-Austritt. Die strukturschwachen Regionen im Süden und Osten des Landes sind Hochburgen der JOBBIK. Gleichzeitig ist JOBBIK einer repräsentativen Umfrage zufolge aber auch die beliebteste Partei unter ungarischen Studenten und die Wählerschaft gilt als überdurchschnittlich hochgebildet. LMP wurde 2009 anlässlich der damaligen Europawahlen aus einer Vielzahl von kleinen Umwelt-, Bürgerrechts- und Nichtregierungsorganisationen gegründet, die eine Reform des politischen Systems und ein Ende der polarisierten politischen Kultur in Ungarn zum Ziel hatte. Zwar verfehlte die LMP den Einzug ins Europaparlament mit nur drei Prozent der Stimmen; der Partei gelang es bei den ungarischen Parlamentswahlen in 2010 jedoch, aus dem Stand heraus 7,44 Prozent der Stimmen auf sich zu vereinen und mit fünfzehn Abgeordneten ins Parlament einzuziehen. Seitdem versucht LMP sich als alternative Partei der Mitte zu positionieren und gleichermaßen jene bürgerlichen und progressiven Wähler anzusprechen, die sich weder durch FIDESZ/KDNP noch das Wahlbündnis "Regierungswechsel" vertreten fühlten. Dies gelang LMP vor allem in Budapest, wo sie in einigen Wahlbezirken jetzt solide zweistellige Ergebnisse einfahren konnte und in einigen Wahlbezirken drittstärkste Kraft wurde. Mit 5,26 Prozent der Zweitstimmen und fünf Abgeordneten wird LMP als vierte Partei nun neuerlich ins Parlament einziehen. LMP tritt ein für eine nachhaltige Energiewende und die Entwicklung erneuerbarer Energien. Der Ausbau von Atomkraft wird abgelehnt. Als größtes Problem der ungarischen Gesellschaft bezeichnete der Parteivorsitzende András Schiffer die Hanns-Seidel-Stiftung_Politischer Sonderbericht_Ungarn_07. April 2014 6 fehlende Mitwirkung der Bürger am demokratischen Prozess. Die Stärkung der direkten Demokratie gehört somit zu einer Kernforderung der Partei. Ausblick An der grundsätzlichen Ausrichtung der ungarischen Politik dürfte sich auch in den kommenden vier Jahren wenig ändern. Allerdings hat der Ministerpräsident bereits vor seiner Wiederwahl angekündigt, dass die Konsolidierung des umfassend umgebauten Staats- und Verwaltungsapparats im Mittelpunkt stehen wird und dass die wichtigsten Zielsetzungen der kommenden Legislaturperiode der Aufbau einer effizienten Staatsverwaltung inklusive E-Verwaltung sein werden, sowie die Förderung und Verbesserung von Energieeffizienz. Von entscheidender Bedeutung wird auch die Konsolidierung der in den vergangenen Jahren verbesserten Wirtschaftskennzahlen sein. Orbáns "unorthodoxe Wirtschaftspolitik" während der vergangenen Legislaturperiode umfasste die Einführung einer einheitlichen Einkommenssteuer (flat tax) von 16 Prozent bei gleichzeitiger Anhebung der Mehrwertsteuer auf den europaweit höchsten Satz von 27 Prozent, sowie die Einführung von mehr als zwanzig neuen Sondersteuern, beispielsweise eine Bankensteuer und Sonderabgaben für Supermarktketten, Energiekonzerne und Telekommunikationsunternehmen. Die von Orbán ebenfalls ergriffenen Maßnahmen zum erfolgreichen Abbau der Staatsverschuldung, zur Senkung des Haushaltsdefizits und der daraus folgenden Beendigung des Defizitverfahrens waren erfolgreich. Nach Einschätzung von Experten fehlt es ihnen jedoch an Nachhaltigkeit, sodass der erreichte Rückgang der Arbeitslosigkeit und das zu verzeichnende leichte Wirtschaftswachstum nicht zwangsläufig Bestand haben werden. Spätestens dreißig Tage nach der Wahl muss der Staatspräsident die konstituierende Sitzung des neu gewählten Parlaments einberufen. Große Veränderungen im neuen Kabinett von Ministerpräsident Orbán sind nicht angekündigt. Außenminister János Martonyi hat bereits vor den Wahlen deutlich gemacht, für das Amt nicht mehr zur Verfügung zu stehen. In den wichtigen Ressorts für Wirtschaft (Mihály Varga) und Humanressourcen (Zoltán Balog) ist hingegen mit keinen Veränderungen zu rechnen. Dr. Martin Axmann Der Autor ist Auslandsmitarbeiter der Hanns-Seidel-Stiftung in Budapest, Ungarn Hanns-Seidel-Stiftung_Politischer Sonderbericht_Ungarn_07. April 2014 7 IMPRESSUM Erstellt: 07. April 2014 Herausgeber: Hanns-Seidel-Stiftung e.V., Copyright 2014 Lazarettstr. 33, 80636 München Vorsitzender: Dr. h.c. mult. Hans Zehetmair, Staatsminister a.D., Senator E.h. Hauptgeschäftsführer: Dr. Peter Witterauf Verantwortlich: Dr. Susanne Luther, Leiter des Instituts für Internationale Zusammenarbeit Tel. +49 (0)89 1258-0 | Fax -359 E-Mail: [email protected], www.hss.de Hanns-Seidel-Stiftung_Politischer Sonderbericht_Ungarn_07. April 2014 8