peter grimes

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PETER GRIMES
Benjamin Britten
Uraufführung: London 1945; T.: Montagu Slater nach Georg Crabbe
Peter Grimes, Fischer (Tenor), John, sein Lehrling (stumme Rolle), Witwe Ellen Orford,
Lehrerin (Sopran), Kapitän Balstrode, früher in der Handelsmarine (Bariton), Auntie,
Besitzerin des Gasthofs "The Boar" (Alt), zwei Mädchen, die in "The Boar" auftreten
(Sopran), Bob Boles, Methodist und Fischer (Tenor), der Richter Swallow (Bass), Frau
Sedley, Witwe eines Angestellten der Ost-Indischen Kompagnie (Mezzosopran), Reverend
Horace Adams (Tenor), Ned Keene, Apotheker und Quacksalber (Bariton), Dr. Thorp
(stumme Rolle), Hobson, Bote (Bass). Fischer, Volk.
The Borough, ein Dorf an Englands Ostküste, 1830.
Der Prolog führt uns - ohne Orchestervorspiel - in den Gerichtssaal, in dem Swallow Peter
Grimes anklagt, seinen Lehrjungen getötet zu haben. Die Stimmen werden hier von Britten in
einer Art rezitativischen Gesangs geführt, der vom Orchester durch kurze, trockene Akkorde
gestützt wird. Peter Grimes, menschenscheu und einsilbig, behauptet, der Lehrling sei in
einer Sturmnacht auf hohem Meer umgekommen. Der Richter spricht den Fischer frei, aber
die Zweifel halten sich hartnäckig im Dorfe. Die Chöre, die bei Britten oft besondere
Wichtigkeit erlangen - gewissermassen als Beobachter oder "innere Stimmen", nach Art der
griechischen Tragödie - treten hier bedeutungsvoll hervor. Peter bleibt allein zurück, aber
Ellen gesellt sich ihm zu, die einzige im Ort, die ihm glaubt und Zuneigung zu dem seltsam
schroffen Menschen hegt. Britten lässt die beiden ein Duett "a cappella" anstimmen, eine in
Opern sehr selten anzutreffende Form.
Ein Orchesterspiel ertönt vor dem ersten Akt, wie auch vor den späteren Szenen. Hier
verdeutlicht sich Brittens ganz eigene Art der Orchesterbehandlung, die stets durchsichtig
und charakterisierend - fast wie bei Kammermusik - bleibt.
Das Bühnenbild des ersten Aktes zeigt eine enge Gasse des Dorfes, die auf das Meer
hinausführt. Das Meer ist der wahre Handlungsträger (ein wenig wie in Ibsens Drama "Die
Frau vom Meer"). Man sieht die typischen Häuser Ostenglands, die Kirche, einen Laden, die
Taverne. Es ist ein grauer Morgen, und die Fischerboote werden zum Auslaufen
klargemacht. Die Chöre singen in A-Dur, aber das Orchester mischt andere Tonarten hinein,
woraus eine seltsame Polytonalität entsteht, die den Eindruck von lastender Schwere, von
Einförmigkeit entstehen lässt, von Farblosigkeit, in der alle Linien unklar werden. Man glaubt
ununterbrochen das Rauschen des Meeres zu vernehmen (und hier denkt man manchmal
an den "Fliegenden Holländer", so verschieden die Dramen und Epochen auch sind), Peter
tritt auf, und die Dorfbewohner bezeugen ihm deutlich ihre Feindseligkeit. Vor dem herannahenden Gewitter flüchten alle in den Gasthof, nur er bleibt bei seinem Boot. Wieder gesellt
Ellen sich zu ihm; sie verspricht, ihm einen neuen Lehrjungen zu suchen, da alle sich
weigern, mit ihm auszufahren. Balstrode gegenüber ist Peter ein wenig aufgeschlossener,
aber auch dieser geht in die Taverne und lässt Ellen und Peter allein.
Das Zwischenspiel malt den Sturm auf dem Meere, und das Orchester untermalt auch die
folgende Szene mit ähnlichen Phrasen. Wir befinden uns in Aunties Taverne, wo viele
Menschen Zuflucht vor dem Unwetter gesucht haben. Peters Eintritt ruft fast eine Schlägerei
hervor, doch ein altes, rechtzeitig angestimmtes Lied vermeidet das Ärgste. Als Ellen mit
einem neuen Lehrjungen erscheint und Peter darauf besteht, diesen sofort in sein Haus
mitzunehmen, kommt es neuerlich zu feindseligen Äusserungen.
Das nächste Zwischenspiel suggeriert uns einen hellen, sonnigen Morgen. Es ist Sonntag,
und die Glocken rufen zum Kirchengesang. Ellen und der Lehrling nähern sich dem Strande,
während die Luft von ihrem frohen Liede, von Orgelklang und einem feinen
Orchesterschleier erfüllt ist. Während der Junge, ohne zu sprechen, ruhig im Sande spielt,
bemerkt Ellen unter der abgenützten Wäsche Spuren von Misshandlungen. Da kommt Peter
und besteht darauf, auch heute zum Fischfang auszufahren, obwohl sie die ganze Woche
auf dem Meere verbrachten. Ellen widerspricht ihm sanft, aber er reisst den Jungen mit
Gewalt von ihrer Seite. Einige Nachbarn haben die Szene beobachtet, das Wort "Mörder"
taucht hier und da auf, und die Spannung steigt. Endlich stürzt die Menge in der Richtung
von Peters Haus fort.
Nach einem neuerlichen Zwischenspiel (in Form einer Passacaglia) befinden wir uns in
Grimes' Hütte. Der Fischer verlangt immer neue Arbeitsleistungen von seinem Lehrjungen
und schlägt ihn, wenn er nicht nachkommt. Von ferne hört man Stimmen: es sind die
Dorfbewohner, die sich nähern. Dumpfe Trommeln begleiten ihren Schritt. Der Lehrjunge
benützt die Gelegenheit, um aus der Hütte zu fliehen, Peter eilt ihm nach auf dem Wege zum
Abgrund. Die Menschen haben das Haus erreicht, finden es aber leer. Balstrode ahnt die
Wahrheit und läuft den Flüchtigen nach.
In die vom Mondlicht erleuchtete Dorfstrasse dringt Tanzmusik aus Aunties Gasthof. Ellen
tritt in höchster Angst auf, seit Stunden hat man keine Nachricht von Fischer und Lehrling.
Frau Sedley, eine der alten Klatschbasen des Dorfes, verbreitet beängstigende Gerüchte
und erreicht es, dass wieder eine wütende Menge zu Peters Haus eilt. Inzwischen fällt Nebel
ein. Man hört Sirenen vom Meer ertönen. Peter taucht auf, er ist dem Wahnsinn nahe.
Vergebens sucht Ellen, ihn zu beruhigen. "Welcher Hafen bietet mir Frieden?", wiederholt er
unausgesetzt; es ist, verzerrt nun in höchster Angst, ein Satz aus seinem ersten Gespräch
mit Ellen. Die Szene ist von beklemmendem Realismus. Zum zweiten Male wird man ihn für
den Mörder seines Lehrjungen halten, der sich aus Angst vor ihm vom Felsen ins Meer gestürzt hat. Balstrode rät ihm, aufs Meer hinauszufahren und nie wieder zurückzukehren.
Peter gehorcht. In der langsamen, grauen Morgendämmerung schicken sich die Fischer zu
ihrer Tagesarbeit an, während eine Stimme vom Strand verkündet, dass auf dem Meer ein
Boot kentere. Schwer und lastend geht der Morgen über The Borough auf.
Auszug aus dem Buch "OPER DER WELT" von Prof. Dr. Kurt Pahlen.
ACS - Reisen AG, Bern
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