42 VOLKSOPER WIEN STUART NEILL. Sein Rollendebüt als Manrico, heute eine seiner gefragtesten Partien, gab der Tenor 2008 in Stockholm. ¬ BÜHNE X 2013 bueh1311_VOP Trovatore.indd 42 25.10.2013 9:39:56 Uhr VOLKSOPER WIEN 43 Das zweite Leben des Stuart Neill STUART NEILL. Der amerikanische Tenor singt den Manrico in Giuseppe Verdis „Il trovatore“ an der Volksoper. FOTO: SARAH BOLMSTEN S tuart Neill ...? Nie gehört ...! Moment mal, oder vielleicht doch? Ist das nicht jener Tenor, der vor langer Zeit den Arturo in Bellinis I Puritani an der Wiener Staatsoper gesungen hat, diese heikle Belcanto-Partie mit ihrem gefürchteten hohen D? Und nun singt er den Manrico in Verdis Il trovatore, eine doch schon eher ins Dramatische tendierende Rolle? Das hat sich in Wien wohl so mancher Opernfreund gefragt, als die Volksoper die Besetzung für ihre Produktion des Il trovatore bekannt gab, mit der sie Verdis 200. Geburtstag feiert. Auf diese Verwirrung angesprochen, lacht Stuart Neill kurz auf, Ähnliches widerfährt ihm nämlich öfters. „Als ich 2008 an der Mailänder Scala bei der Inaugurazione den Don Carlo gesungen habe, schrieb ein Kritiker, ich sei ein unbekannter Tenor, der aus dem Nirgendwo aufgetaucht wäre. Dabei habe ich schon 1997 als Edgardo an der Scala debütiert. Und als ich vor wenigen Jahren Ioan Holender erneut vorsingen wollte, war er völlig überrascht über mein Begehren, denn er hatte geglaubt, ich hätte meine Karriere längst aufgegeben.“ Das war zwar nicht der Fall, aber private Gründe hatten dazu geführt, dass Stuart Neills vormals erfolgreiche Laufbahn für ein paar Jahre an Höhe verloren hatte und er danach neu durchstarten musste. „Nach meiner Scheidung 2001 war ich allein für die Erziehung meiner kleinen Tochter verantwortlich. Das hat meine Karriere in mancherlei Hinsicht beeinflusst. Ich konnte nicht so viel singen, wie ich wollte, vor allem aber konnte ich nicht so viel reisen, wie ich es hätte tun müssen. Ich habe mich daher für einige Jahre von der Oper zurückgezogen und vorwiegend Konzerte gesungen. Mein Comeback auf der Bühne feierte ich 2006 als Radames in Frankfurt.“ Das neue Fach hat wohl mit dazu beigetragen, dass sich Intendanten und Publikum in Bezug auf Stuart Neill neu orientieren mussten. Denn war er in den 1990er-Jahren vor allem als Arturo, als Edgardo in Lucia di Lammermoor oder als Arnold in Guillaume Tell gefragt, so sind es nun neben dem Radames vor allem Manrico, Cavaradossi und Canio, mit denen er weltweit gastiert – wozu demnächst auch noch der Otello kommen wird. Sein Rollendebüt war zwar erst 2016 in Barcelona vorgesehen, nun wird er ihn aber schon nächstes Jahr in Palermo zum ersten Mal singen. Von einem Fachwechsel möchte Stuart Neill dennoch nicht sprechen. „Ich könnte immer noch I Puritani oder Edgardo singen. Das Problem ist nur, dass heutzutage ganz andere Stimmen für diese Art von Rollen gefragt sind. Wir haben schon vergessen, dass diese Opern an der Met früher von Luciano Pavarotti oder Chris Merritt gesungen wurden. Heute singt sie Juan Diego Flórez. Das sind zwei gänzlich verschiedene Stimmtypen, die sich nicht vergleichen lassen. Franco Corelli konnte man auch als Alfredo erleben. Heute würde man ihm diese Rolle gar nicht mehr anbieten, dafür wären nur Stimmen vom Schlage Flórez’ gefragt.“ Bei Verdis Requiem, zu dem Stuart Neill eine besondere Beziehung hat – schon allein deshalb, weil er es mit mehr als 200 Aufführungen wahrscheinlich öfter gesungen hat als jeder andere Tenor –, verhält sich die Sache ähnlich: „Auch da bevorzugt man heute leichte, lyrische Stimmen. Man vergisst, dass der Sänger der Uraufführung, Giuseppe Capponi, auch als Radames auf der Bühne stand.“ MENTOR LUCIANO PAVAROTTI Stuart Neill ist sich selbst nicht ganz im Klaren darüber, ob er früher, als er vorwiegend das Belcanto-Repertoire bediente, seine Stimme damit eher geschont oder eher strapaziert hat. „Ich kann nur sagen, dass ich heute das für mich adäquate Fach singe und dass sich meine Stimme dabei wohl fühlt. Ich höre auf sie und auf Menschen um mich herum, denen ich diesbezüglich vertraue. Es gibt eine Menge Leute, die etwas von Stimmen verstehen und die ich jederzeit anrufen kann, wenn ich mir diesbezüglich unsicher bin, zum Beispiel Maestro Gatti.“ Wichtig sei ihm, nichts zu übereilen, sondern sein Repertoire Schritt für Schritt auszubauen. „Das ist wie beim Bergsteigen. Mein Bruder war schon öfters auf dem Kilimandscharo. Er erzählt, dass technisch bestens ausgerüstete Bergsteiger, vorwiegend Japaner und Amerikaner, mit einem Wahnsinnstempo vom Basislager aus aufbrechen. Doch nach ein paar Tagen hat er sie eingeholt und erreicht dann noch vor ihnen den Gipfel.“ Auch Stuart Neills Bruder ist Musiker, jedoch nicht Sänger, sondern klassischer Instrumentalist. Beide wuchsen sie in einer typisch amerikanischen Mittelstandsfamilie in Atlanta auf, in der es vor allem die Mutter war, die selbst auch gerne sang und ihre musischen Neigungen auf die Kinder übertrug. „Ohne jemals selbst Musiker werden zu wollen, habe ich schon früh in Kirchen gesungen. Da hat mich eines Tages ein Sänger gehört, der mir riet, Gesangsunterricht zu nehmen.“ Doch noch immer dachte Stuart Neill nicht daran, Sänger zu werden, selbst nachdem er in kleineren lokalen Wettbewerben Preise davon trug. Erst als er 1988 bei den Met-Competitions in der Sparte Tenor den ersten Preis errang und man ihm glaubhaft versicherte, dass er stimmlich begabt sei, begann er, eine Sängerlaufbahn ins Auge zu fassen. „Um aus Atlanta rauszukommen und eine echte Gesangsausbildung zu absolvieren, war ich jedoch auf finanzielle Unterstützung angewiesen. Die Met half mir dabei, Stipendien aufzutreiben, es dauerte allerdings drei Jahre, bis ich nach Philadelphia gehen und dort mit der Ausbildung beginnen konnte.“ Dann aber ging es Schlag auf Schlag: 1992 gewann Stuart Neill den Luci- ¬ 2013 11 BÜHNE bueh1311_VOP Trovatore.indd 43 25.10.2013 9:40:00 Uhr 44 VOLKSOPER WIEN VOLKSOPER WIEN Giuseppe Verdi Il trovatore Sa., 16. November, 19.00 Dirigent: Enrico Dovico Regie: Dietrich W. Hilsdorf Bühne: Dieter Richter Besetzung: Tito You (Graf Luna), Melba Ramos (Leonora), Stuart Neill (Manrico), Janina Baechle (Azucena), Yasushi Hirano (Ferrando) Do., 14. November, 11.00 (öffentliche Generalprobe), Di., 19., Fr., 22., Mi., 27., Sa., 30. November, 19.00 Uhr ano-Pavarotti-Wettbewerb, was dazu führte, dass der berühmte Kollege ein gewisses Interesse an ihm und seiner Laufbahn nahm. Er unterstützte ihn mit Kontakten, die ihm erste Engagements einbrachten. Sein offizielles Operndebüt gab er 1993 in Santiago de Chile in I Puritani, kurz darauf sang er in Dublin den Rodolfo in La Bohème, wenig später folgten Covent Garden, die Met und 1995 jene drei Auftritte an der Wiener Staatsoper, ebenfalls in I Puritani, von denen eingangs schon die Rede war. ZERRISSENER CHARAKTER Nun also kehrt er als Manrico nach Wien zurück, wo sich die Volksoper dieses besonders schwer zu besetzenden Stücks annimmt und mit Stuart Neill einen der gefragtesten Sänger derzeit für diese Rolle aufbietet. Vor allem seine Stretta hat in Berlin, in einer konzertanten Aufführung an der Seite von Anja Harteros, das Publikum zu Beifallsstürmen hingerissen. Ist der Druck beim Manrico nicht besonders groß, denn alle Welt scheint nur auf das hohe C am Schluss von „Di quella pira“ zu warten? Gelingt es, hat der Tenor gewonnen, geht es schief, wiegt die Qualität des Übrigen dies kaum noch auf. „Ich spüre keinen Druck“, sagt Stuart Neill. „Natürlich ist es wie im Zirkus. Manche Leute erfreuen sich nicht an einem hohen Ton als solchem, sondern sind bloß neugierig, ob der Tenor ihn schmeißt. Trotzdem kann mich das nicht aus der Fassung bringen. Ich singe prinzipiell immer beide Strophen, denn auch die Stimme braucht Zeit, um sich auf den hohen Ton vorzubereiten. Außerdem hilft das, wenn man nervös ist, sich zu fassen und die Stimme in den Griff zu bekommen.“ Ob er die Stretta an der Volksoper transponiert oder im originalen C-Dur singen wird, stand zum Zeitpunkt des Interviews noch nicht fest. „Ich habe schon beide Versionen gesungen. Sollte ich mich für die transponierte Version entscheiden, dann nicht, weil ich das C nicht hätte. Aber transponiert liegt das Passaggio bequemer. Aus diesem Grund haben viele Tenöre die Stretta transponiert gesungen, auch Luciano Pavarotti.“ Il trovatore zählt zu jenen Opern, auf die man gerne als Beispiel für jene Stücke verweist, die trotz wirrer und schwer nacherzählbarer Handlung ein Hit wurden. Das stereotype Grundmuster, Tenor liebt Sopran, hat aber im Bariton einen Rivalen, gilt auch hier, allerdings wird die Dreier-Konstellation um eine vierte Figur bedeutungsvoll erweitert, nämlich durch die Zigeunerin Azucena, der eigentlichen Drahtzieherin der Handlung. Weil ihre Mutter einst vom Vater des Grafen Luna auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden war, wollte sie aus Rache einen seiner kleinen Söhne töten, verwechselte in der Aufregung jedoch das Kind mit ihrem eigenen und warf dieses in die Flammen. An seiner statt zieht sie nun Manrico, Lunas Bruder, groß, den sie im Glauben belässt, er sei ihr Sohn. An der auffallend großen Liebe Manricos zu Azucena setzt Regisseur Dietrich W. Hilfsdorf an. Die Koproduktion mit der Oper Bonn hatte dort bereits im Frühjahr 2012 Premiere und stieß bei Publikum und Kritik auf große Begeisterung. Auch Stuart Neill fühlt sich darin sehr wohl, obwohl sie in manchem vom tradierten Schema abweicht. „Besonders am Schluss: Für gewöhnlich eilt Manrico Leonora entgegen, die zu ihm ins Gefängnis kommt und ihm die Freiheit verheißt, weil sie sich als Preis dafür seinem Rivalen Luna versprochen hatte, jedoch Gift nahm, um dieses Versprechen nicht halten zu müssen. In dieser Produktion hält nicht Manrico die sterbende Leonora in den Armen, sondern Luna. Manrico steht apathisch daneben, hadert mit seinem Schicksal und hat jede Hoffnung aufgegeben. Es ist aber auch fraglich, ob er mit Leonora überhaupt glücklich geworden wäre. Denn seine Mutterliebe ist extrem stark. Diese beiden Lieben schließen sich bei ihm eigentlich aus. Manrico ist in dieser Produktion ein gequälter, zerrissener B Charakter. Das finde ich sehr interessant.“ PETER BLAHA FOTOS: THILO BEU, CATHLEEN HERWARTH VON BITTENFELD/BEAUTYSHOTS BERLIN IL TROVATORE. Dietrich W. Hilsdorfs Inszenierung am Theater Bonn, 2012. ¬ BÜHNE 11 2013 bueh1311_VOP Trovatore.indd 44 25.10.2013 9:40:03 Uhr