VOLKSOPER WIEN - Bundestheater

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VOLKSOPER WIEN
STUART NEILL.
Sein Rollendebüt
als Manrico,
heute eine seiner
gefragtesten
Partien, gab der
Tenor 2008 in
Stockholm.
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Das zweite Leben des Stuart Neill
STUART NEILL. Der amerikanische Tenor singt den Manrico
in Giuseppe Verdis „Il trovatore“ an der Volksoper.
FOTO: SARAH BOLMSTEN
S
tuart Neill ...? Nie gehört ...! Moment mal, oder vielleicht
doch? Ist das nicht jener Tenor, der vor langer Zeit den
Arturo in Bellinis I Puritani an der Wiener Staatsoper gesungen hat, diese heikle Belcanto-Partie mit ihrem gefürchteten hohen D? Und nun singt er den Manrico in Verdis Il
trovatore, eine doch schon eher ins Dramatische tendierende
Rolle?
Das hat sich in Wien wohl so mancher Opernfreund gefragt, als die Volksoper die Besetzung für ihre Produktion des
Il trovatore bekannt gab, mit der sie Verdis 200. Geburtstag feiert. Auf diese Verwirrung angesprochen, lacht Stuart Neill kurz
auf, Ähnliches widerfährt ihm nämlich öfters. „Als ich 2008 an
der Mailänder Scala bei der Inaugurazione den Don Carlo gesungen habe, schrieb ein Kritiker, ich sei ein unbekannter Tenor, der aus dem Nirgendwo aufgetaucht wäre. Dabei habe
ich schon 1997 als Edgardo an der Scala debütiert. Und als ich
vor wenigen Jahren Ioan Holender erneut vorsingen wollte,
war er völlig überrascht über mein Begehren, denn er hatte
geglaubt, ich hätte meine Karriere längst aufgegeben.“ Das
war zwar nicht der Fall, aber private Gründe hatten dazu geführt, dass Stuart Neills vormals erfolgreiche Laufbahn für ein
paar Jahre an Höhe verloren hatte und er danach neu durchstarten musste. „Nach meiner Scheidung 2001 war ich allein
für die Erziehung meiner kleinen Tochter verantwortlich. Das
hat meine Karriere in mancherlei Hinsicht beeinflusst. Ich
konnte nicht so viel singen, wie ich wollte, vor allem aber
konnte ich nicht so viel reisen, wie ich es hätte tun müssen. Ich
habe mich daher für einige Jahre von der Oper zurückgezogen
und vorwiegend Konzerte gesungen. Mein Comeback auf der
Bühne feierte ich 2006 als Radames in Frankfurt.“
Das neue Fach hat wohl mit dazu beigetragen, dass sich Intendanten und Publikum in Bezug auf Stuart Neill neu orientieren mussten. Denn war er in den 1990er-Jahren vor allem als
Arturo, als Edgardo in Lucia di Lammermoor oder als Arnold in
Guillaume Tell gefragt, so sind es nun neben dem Radames vor
allem Manrico, Cavaradossi und Canio, mit denen er weltweit
gastiert – wozu demnächst auch noch der Otello kommen
wird. Sein Rollendebüt war zwar erst 2016 in Barcelona vorgesehen, nun wird er ihn aber schon nächstes Jahr in Palermo
zum ersten Mal singen. Von einem Fachwechsel möchte Stuart
Neill dennoch nicht sprechen. „Ich könnte immer noch I Puritani oder Edgardo singen. Das Problem ist nur, dass heutzutage ganz andere Stimmen für diese Art von Rollen gefragt
sind. Wir haben schon vergessen, dass diese Opern an der Met
früher von Luciano Pavarotti oder Chris Merritt gesungen wurden. Heute singt sie Juan Diego Flórez. Das sind zwei gänzlich
verschiedene Stimmtypen, die sich nicht vergleichen lassen.
Franco Corelli konnte man auch als Alfredo erleben. Heute
würde man ihm diese Rolle gar nicht mehr anbieten, dafür wären nur Stimmen vom Schlage Flórez’ gefragt.“ Bei Verdis Requiem, zu dem Stuart Neill eine besondere Beziehung hat –
schon allein deshalb, weil er es mit mehr als 200 Aufführungen
wahrscheinlich öfter gesungen hat als jeder andere Tenor –,
verhält sich die Sache ähnlich: „Auch da bevorzugt man heute
leichte, lyrische Stimmen. Man vergisst, dass der Sänger der
Uraufführung, Giuseppe Capponi, auch als Radames auf der
Bühne stand.“
MENTOR LUCIANO PAVAROTTI
Stuart Neill ist sich selbst nicht ganz im Klaren darüber, ob
er früher, als er vorwiegend das Belcanto-Repertoire bediente, seine Stimme damit eher geschont oder eher strapaziert hat. „Ich kann nur sagen, dass ich heute das für mich adäquate Fach singe und dass sich meine Stimme dabei wohl
fühlt. Ich höre auf sie und auf Menschen um mich herum, denen ich diesbezüglich vertraue. Es gibt eine Menge Leute, die
etwas von Stimmen verstehen und die ich jederzeit anrufen
kann, wenn ich mir diesbezüglich unsicher bin, zum Beispiel
Maestro Gatti.“ Wichtig sei ihm, nichts zu übereilen, sondern
sein Repertoire Schritt für Schritt auszubauen. „Das ist wie
beim Bergsteigen. Mein Bruder war schon öfters auf dem Kilimandscharo. Er erzählt, dass technisch bestens ausgerüstete Bergsteiger, vorwiegend Japaner und Amerikaner, mit
einem Wahnsinnstempo vom Basislager aus aufbrechen.
Doch nach ein paar Tagen hat er sie eingeholt und erreicht
dann noch vor ihnen den Gipfel.“
Auch Stuart Neills Bruder ist Musiker, jedoch nicht Sänger,
sondern klassischer Instrumentalist. Beide wuchsen sie in einer typisch amerikanischen Mittelstandsfamilie in Atlanta
auf, in der es vor allem die Mutter war, die selbst auch gerne
sang und ihre musischen Neigungen auf die Kinder übertrug.
„Ohne jemals selbst Musiker werden zu wollen, habe ich
schon früh in Kirchen gesungen. Da hat mich eines Tages ein
Sänger gehört, der mir riet, Gesangsunterricht zu nehmen.“
Doch noch immer dachte Stuart Neill nicht daran, Sänger zu
werden, selbst nachdem er in kleineren lokalen Wettbewerben Preise davon trug. Erst als er 1988 bei den Met-Competitions in der Sparte Tenor den ersten Preis errang und man
ihm glaubhaft versicherte, dass er stimmlich begabt sei, begann er, eine Sängerlaufbahn ins Auge zu fassen. „Um aus Atlanta rauszukommen und eine echte Gesangsausbildung zu
absolvieren, war ich jedoch auf finanzielle Unterstützung angewiesen. Die Met half mir dabei, Stipendien aufzutreiben, es
dauerte allerdings drei Jahre, bis ich nach Philadelphia gehen
und dort mit der Ausbildung beginnen konnte.“ Dann aber
ging es Schlag auf Schlag: 1992 gewann Stuart Neill den Luci-
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VOLKSOPER WIEN
VOLKSOPER WIEN
Giuseppe Verdi
Il trovatore
Sa., 16. November, 19.00
Dirigent: Enrico Dovico
Regie: Dietrich W. Hilsdorf
Bühne: Dieter Richter
Besetzung: Tito You (Graf Luna),
Melba Ramos (Leonora), Stuart Neill
(Manrico), Janina Baechle (Azucena), Yasushi Hirano (Ferrando)
Do., 14. November, 11.00
(öffentliche Generalprobe),
Di., 19., Fr., 22., Mi., 27.,
Sa., 30. November, 19.00 Uhr
ano-Pavarotti-Wettbewerb, was dazu führte, dass der berühmte Kollege ein gewisses Interesse an ihm und seiner
Laufbahn nahm. Er unterstützte ihn mit Kontakten, die ihm
erste Engagements einbrachten. Sein offizielles Operndebüt
gab er 1993 in Santiago de Chile in I Puritani, kurz darauf sang
er in Dublin den Rodolfo in La Bohème, wenig später folgten
Covent Garden, die Met und 1995 jene drei Auftritte an der
Wiener Staatsoper, ebenfalls in I Puritani, von denen eingangs
schon die Rede war.
ZERRISSENER CHARAKTER
Nun also kehrt er als Manrico nach Wien zurück, wo sich die
Volksoper dieses besonders schwer zu besetzenden Stücks
annimmt und mit Stuart Neill einen der gefragtesten Sänger
derzeit für diese Rolle aufbietet. Vor allem seine Stretta hat in
Berlin, in einer konzertanten Aufführung an der Seite von Anja
Harteros, das Publikum zu Beifallsstürmen hingerissen. Ist der
Druck beim Manrico nicht besonders groß, denn alle Welt
scheint nur auf das hohe C am Schluss von „Di quella pira“ zu
warten? Gelingt es, hat der Tenor gewonnen, geht es schief,
wiegt die Qualität des Übrigen dies kaum noch auf. „Ich spüre
keinen Druck“, sagt Stuart Neill. „Natürlich ist es wie im Zirkus.
Manche Leute erfreuen sich nicht an einem hohen Ton als solchem, sondern sind bloß neugierig, ob der Tenor ihn schmeißt.
Trotzdem kann mich das nicht aus der Fassung bringen. Ich
singe prinzipiell immer beide Strophen, denn auch die Stimme
braucht Zeit, um sich auf den hohen Ton vorzubereiten. Außerdem hilft das, wenn man nervös ist, sich zu fassen und die
Stimme in den Griff zu bekommen.“ Ob er die Stretta an der
Volksoper transponiert oder im originalen C-Dur singen wird,
stand zum Zeitpunkt des Interviews noch nicht fest. „Ich habe
schon beide Versionen gesungen. Sollte ich mich für die transponierte Version entscheiden, dann nicht, weil ich das C nicht
hätte. Aber transponiert liegt das Passaggio bequemer. Aus
diesem Grund haben viele Tenöre die Stretta transponiert gesungen, auch Luciano Pavarotti.“
Il trovatore zählt zu jenen Opern, auf die man gerne als Beispiel für jene Stücke verweist, die trotz wirrer und schwer
nacherzählbarer Handlung ein Hit wurden. Das stereotype
Grundmuster, Tenor liebt Sopran, hat aber im Bariton einen Rivalen, gilt auch hier, allerdings wird die Dreier-Konstellation
um eine vierte Figur bedeutungsvoll erweitert, nämlich durch
die Zigeunerin Azucena, der eigentlichen Drahtzieherin der
Handlung. Weil ihre Mutter einst vom Vater des Grafen Luna
auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden war, wollte sie aus
Rache einen seiner kleinen Söhne töten, verwechselte in der
Aufregung jedoch das Kind mit ihrem eigenen und warf dieses
in die Flammen. An seiner statt zieht sie nun Manrico, Lunas
Bruder, groß, den sie im Glauben belässt, er sei ihr Sohn. An
der auffallend großen Liebe Manricos zu Azucena setzt Regisseur Dietrich W. Hilfsdorf an. Die Koproduktion mit der Oper
Bonn hatte dort bereits im Frühjahr 2012 Premiere und stieß
bei Publikum und Kritik auf große Begeisterung. Auch Stuart
Neill fühlt sich darin sehr wohl, obwohl sie in manchem vom
tradierten Schema abweicht. „Besonders am Schluss: Für gewöhnlich eilt Manrico Leonora entgegen, die zu ihm ins Gefängnis kommt und ihm die Freiheit verheißt, weil sie sich als
Preis dafür seinem Rivalen Luna versprochen hatte, jedoch
Gift nahm, um dieses Versprechen nicht halten zu müssen. In
dieser Produktion hält nicht Manrico die sterbende Leonora in
den Armen, sondern Luna. Manrico steht apathisch daneben,
hadert mit seinem Schicksal und hat jede Hoffnung aufgegeben. Es ist aber auch fraglich, ob er mit Leonora überhaupt
glücklich geworden wäre. Denn seine Mutterliebe ist extrem
stark. Diese beiden Lieben schließen sich bei ihm eigentlich
aus. Manrico ist in dieser Produktion ein gequälter, zerrissener
B
Charakter. Das finde ich sehr interessant.“
PETER BLAHA
FOTOS: THILO BEU, CATHLEEN HERWARTH VON BITTENFELD/BEAUTYSHOTS BERLIN
IL TROVATORE.
Dietrich W. Hilsdorfs
Inszenierung am
Theater Bonn, 2012.
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