Folien 2016

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Prolog: Stammzell-Debatte
Warum reden alle über Stammzellen?
Stammzellen können sich in andere Zellen
differenzieren.
Je nach dem, was entstehen kann, hat die
Stammzelle unterschiedliche Potenz:
Die befruchtete Eizelle kann einen Organismus
bilden: Totipotenz
Manche Stammzellen können sich in alle
Zelltypen umwandeln, aber keinen Organismus
erzeugen: Pluripotenz
Manche Stammzellen können nur noch einen
Gewebstyp bilden: Multipotenz
Prolog: Stammzell-Debatte
Embryonale Stammzellen
Mit fortschreitender Differenzierung nimmt die
Potenz ab.
Embryonale Stammzellen haben daher mehr
Möglichkeiten als adulte Stammzellen.
Ethische Frage: um embryonale Stammzellen zu
gewinnen, muss man einen Embryo zerstören.
Dürfen wir Menschen töten, um zu heilen?
Praktische Frage: der Empfängerorganismus
erkennt die Stammzellen als fremd (Abstoßung)
Prolog: Stammzell-Debatte
Adulte Stammzellen
Adulte Stammzellen sind bestenfalls multipotent
Sie können einen bestimmten Gewebstyp bilden
Vorteil: man kann sie vom Empfänger entnehmen (keine Abstoßungsreaktion).
Nachteil: sie können sich nicht in andere Zellen
umbilden / sich an ihre Umgebung anpassen.
„Ohrmaus“ und „Laborburger“ sind mittels
adulter Stammzellen gezüchtet worden.
Ohrmaus: Knorpelgewebe wurde in Ohrform
gezüchtet und einer Nacktmaus eingepflanzt,
um die Zellen lebend zu erhalten.
Laborburger: Muskelstammzellen werden in
Kultur gezüchtet (Fleisch für Vegetarier?)
Prolog: Stammzell-Debatte
Induzierte pluripotente Stammzellen
Durch Einbringen von vier Genen lassen sich
differenzierte
Zellen
in
pluripotente
Stammzellen umsteuern (iPS).
Dadurch kann man von einem Patienten Zellen
entnehmen, zu Stammzellen umsteuern und
defekte Organe / Gewebe nachzüchten und
wieder einbringen.
Man verbindet damit die Vorteile von
embryonalen (Pluripotenz) und adulten (keine
Abstoßung, keine Tötung von Embryonen)
Stammzellen:
Nobelpreis 2012 an Yamanaka und Gurdon
Prolog: Stammzell-Debatte
Gehirn aus der Petrischale
Universität Wien (August 2013) – menschliche
Stammzellen wurden mit Wachstumsfaktoren
behandelt und in Kultur gehalten.
Die Zellen teilten sich und differenzierten
verschiedene Gewebe: Großhirn, Hippocampus
und Ventrikel. Die Neuronen sind aktiv und
zeigen rudimentäre Selbstorganisation.
Größe begrenzt (fehlende Blutversorgung). Aber
auch dafür gibt es Stammzellen.
Vision: persönliches Reservegehirn / Kyborgs für
Raumflüge / Biocomputer
Problem: darf man eine denkende Petrischale in
den Müll werfen?
Prolog: Stammzell-Debatte
Auf dem Weg zur Unsterblichkeit?
Mithilfe der iPS Technik könnte man
Kopien von Organen züchten und bereit
halten, wenn die Originale ausfallen.
Damit könnte man das Altern stoppen
und alle verschlissenen Teile ständig
austauschen.
Gretchenfrage: Wie halten wir es mit
der Identität? Die ethische Bewertung
hängt daran, ob wir diesen Klonen eine
Identität zusprechen oder nicht.
Karlsruhe im Jahre 2050 – auf dem Weg zum Supermarkt schauen Sie noch mal schnell bei Ihrem Klon
vorbei…
Ab welcher Größe hat ein Erbsenhirn
Bewußtsein?
Was denken
Sie: Dürfen wir
den Menschen
das Recht auf
ihren Klon
verwehren?
Modellbildung und Ethik in der Biologie
A: Werkzeuge: Wie wir reden und warum das wichtig ist
1: Leben, Gen, Art, Organismus – nicht Dinge, sondern Aktivitäten/Prozesse
2: Beschreiben, Erklären, Auffordern – der Zweck einer Rede ist entscheidend!
3: Information, Signal, Bedeutung – „objektiv“ (ohne „ich“ und „Du“) gibt es nicht!
B: Handwerkskunst: Wie „Wissenschaft“ arbeitet und warum das wichtig ist
4: Sehen, Beobachten, Experimentieren – funktionaler Kontext und Erkenntnis
5: Bild, Modell, Überprüfung – der Dreischritt der Wissenschaft
6: Erklärung und die Kunst der Reduktion
C: Auf DICH gestellt: Warum „Ethik“ nicht mit dem Rechner geht
7: Naturalistischer Fehlschluss: Beispiel Eugenik
8: Können wir „Ethik“ rechnen: Soziobiologie und Spieltheorie
9: Auf was können wir „Ethik“ dann bauen? Nutzen versus Verantwortung
10: Der Weg ist das Ziel – „Ethik“ ist kein Ding, sondern eine Aktivität
11: Gretchenfrage – können „wir“ überhaupt entscheiden?
12: Aus dem biologischen Alltag: Tierversuche
„Nutzen“ oder „Werte“?
Prinzip Wirtschaftlichkeit: Nutzen als Richtschnur der Ethik?
Utilitarismus
Utilitarismus ist eine Ethik, die den
maximalen Nutzen als Kriterium
heranzieht.
„Handle so, dass das größtmögliche
Maß an Glück entsteht!“
„Es ist besser, ein unzufriedener Mensch zu sein als ein zufriedenes
Schwein; besser ein unzufriedener Sokrates als ein zufriedener Narr.
Und wenn der Narr oder das Schwein anderer Ansicht sind, dann
deshalb, weil sie nur die eine Seite der Angelegenheit kennen. Die
andere Partei hingegen kennt beide Seiten."
Jeremy Bentham gilt als Begründer des Utilitarismus – maximalen Nutzen als
Richtschnur zu nehmen, ist jedoch in England tief verwurzelt, Benthams Schüler,
John Stewart Mill, verfeinerte den Utilitarismus, indem er auch geistige Werte in
den hedonistischen Kalkulus mit einbezog.
Glück
wurde
von
Bentham
ursprünglich recht materialistisch als
körperliches Wohlergehen definiert.
Sein Schüler Mill erweiterte den
Begriff jedoch auf eine intellektuellgeistlich-spirituelle Form.
„Nutzen“ oder „Werte“?
Prinzip Wirtschaftlichkeit: Nutzen als Richtschnur der Ethik?
Wohlfahrtsfunktion
Der maximale Nutzen für die größte
Zahl als Richtschnur
Wurzeln im Leviathan – Begriff des
„commonwealth“
Utilitarismus ist stark auf die Wirtschaftstheorie ausgerichtet
Utilitaristische „Wohlfahrtsfunktionen“ spielen in der Wirtschaftstheorie eine
große Rolle. Der „utilitaristische Kalkulus“ versucht, verschiedene Einflüsse in
Zahlen zu bringen und mathematisch zu modellieren. Diese ursprünglich angelsächsische Tradition breitet sich aus.
Durch die starke Ökonomisierung der
Gesellschaft seit den 1980ern dringt er
stark in nicht-ökonomische Bereiche.
Kann ich Ethik also berechnen?
„Nutzen“ oder „Werte“?
Der Zweck heiligt die Mittel?
Kritik am Utilitarismus
Die Maximierung des Nutzens kann
unter bestimmten Umständen zu
Handeln führen, das „inhuman“ ist.
Das Motiv des Handelns ist für den
Utilitarismus belanglos, was zählt, ist
rein das Ergebnis.
Die Aussage „Der Zweck heiligt die
Mittel“ würde utilitaristisch also häufig
bejaht werden.
In seinem Roman „Verbrechen und Strafe“ (früher „Schuld und Sühne“) setzt sich
der russische Schriftsteller Fjodor Dostojewskij 1866 kritisch mit dem
Utilitarismus auseinander. Er lässt den Studenten Raskolnikow eine Pflandleiherin
ermorden, um sein Studium zu finanzieren und so für die Welt viel nützlicher zu
werden, als diese „unnütze Laus es je sein könnte“.
Das „Hedonistische Kalkül“ beruht auf
der Grundüberzeugung, dass alles
messbar und damit bewertbar ist.
„Nutzen“ oder „Werte“?
Die Falle des Utilitarismus: Menschen als Mittel zum Zweck
Einzelwürde - Gemeinwohl
Der utilitaristische Kalkulus arbeitet
statistisch. Große Zahl wiegt schwer.
Dies führt immer dann zu Problemen,
wenn die Würde eines Einzelnen
gegen das Wohl vieler steht.
Sedlacek, Ekonimija dobra i zla
Fallbeispiel Anencephalie. Bei dieser Mißbildung des Neuralrohrs fehlt ein
großer Teil des Gehirns. Die Kinder sterben daher wenige Tage nach der Geburt.
Durch Pränataldiagnostik recht früh feststellbar, etwa 75% der Mütter treiben ab
(bei Trisomie 21: 95%). In vielen Ländern (außer Deutschland und Schweiz) sind
die Kinder zur Organspende zugelassen, da sie „teilhirntot“ sind.
Das kann so weit gehen, dass die
Existenz Einzelner weniger wiegt als
ein vielleicht nur kleiner Vorteil vieler.
Im Grunde ist der utilitaristische
Kalkulus die neuzeitliche Version des
Opfers…
„Nutzen“ oder „Werte“?
„Innere Haltung“ oder „Ergebnis“?
Tugendethik
Utilitarismus legt das Ergebnis
(„maximale Wohlfahrt der vielen“) als
Richtschnur an. Die Motive spielen
keine Rolle.
Gegenposition: die inneren Werte als
Richtschnur ethischen Handelns.
Aristoteles formulierte das Maßhalten
als Richtschnur für jedes Handeln.
Allgemeine Tugenden:
Tradition der Tugendethik. Von Aristoteles in seiner Nikomachischen Ethik
(Darstellung von Raffaele) formuliert, später christlich umgedeutet (Darstellung
justitia und temperantia vom Bamberger Dom und schließlich von Kant auf eine
allgemeine philosophische Grundlage gestellt. Hier steht die innere Haltung im
Zentrum (beim Utilitarismus: das Ergebnis).
•Gerechtigkeit (justitia)
•Mäßigung (temperantia)
•Tapferkeit (fortitudo)
•Weisheit (sapientia)
„Nutzen“ oder „Werte“?
Welche Werte sollen wir nehmen?
Grenzen der Tugendethik
Tugenden sind (teilweise) abhängig
von Kultur und Religion. Kann man
universell gültige Werte finden?
Wenn das nicht gelingt, landen wir bei
Moral, aber nicht bei Ethik!
Tugendethik betrachtet Haltung und
Handlung, nicht das Ergebnis. Gut
gewollt gleich gut gehandelt?
Welche Tugenden? Aischylos (Griechenland, 500 v. Chr.): verständig, gerecht,
fromm, tapfer. Stoiker (Rom, 100 v. Chr.): Mäßigung, Gerechtigkeit, Tapferkeit,
Weisheit. Konfuzius (China, 500 v. Chr.): menschlich, gerecht, weise, gesittet,
wahrhaftig). Yoga: Gewaltlosigkeit, Wahrhaftigkeit, Enthaltsamkeit, LoslassenKönnen, Nicht-Stehlen. Kant: vernünftiger Wille.
Tugendethik führt zu absurden Folgen,
wenn eine Situation widersprüchlich
ist (Tyrannenmord, Verstecken von
politischen Flüchtlingen)
„Nutzen“ oder „Werte“?
Kategorischer Imperativ
„Handle nur nach derjenigen
Maxime, durch die du zugleich
wollen kannst, dass sie ein
allgemeines Gesetz werde.“
„Handle so, dass du die
Menschheit sowohl in deiner
Person, als in der Person eines
jeden
anderen
jederzeit
zugleich als Zweck, niemals
bloß als Mittel brauchst “
Nochmals Kant. In seiner Grundlegung zur Metaphysik der Sitten ringt Kant um
eine universelle Begründung für ethisches Handeln. Er findet zwei Prinzipien, die
als kategorischer Imperativ bekannt sind. Die erste ist eine Universalisierung, die
zweite ist eine Anti-Instrumentalisierung.
Worauf können wir bauen?
Guter Wille als einzig Absolutes,
Begabung,
Fähigkeiten,
Verstand
können auch negativ genutzt werden.
Handeln nicht von Naturgesetzen bestimmt, sondern von praktischer
Vernunft (Maximen, Imperative).
Hypothetischer Imperativ: wer den
Zweck will, will auch das Mittel dazu
(Interessen, nicht Ethik)
Kategorischer Imperativ: von freiem
Willen bestimmtes Handeln, von den
eigenen Interessen unabhängig.
„Nutzen“ oder „Werte“?
Kategorischer Imperativ – Neuformulierung der Goldenen Regel?
„Handle nur nach derjenigen
Maxime, durch die du zugleich
wollen kannst, dass sie ein
allgemeines Gesetz werde.“
„Was Du nicht willst, was man
Dir tu, das füg‘ auch keinem
andern zu“
Brauchen wir einen „kategorischen“ Imperativ? Die „Goldene Regel „ (ein hypothetischer Imperativ) funktioniert gut, wenn die Gemeinschaft nach ethischen
Werten lebt. Wenn nicht (Diktatur, Gesellschaften im Umbruch, ethische
Dilemmata), funktioniert sie nicht. Daher Kants Ringen um ein Absolutes.
Kategorisch - hypothetisch?
Auch die Goldene Regel ist eine
Handlungsanweisung,
die
EigenInteresse und Gemeinwohl ausgleicht.
Im Grunde geht sie nicht über SpielTheorie hinaus (tit for tat). Man folgt
Regeln, weil man weiß, dass es die
andern auch tun.
Laut Kant ist die Goldene Regel ein
hypothetischer Imperativ und daher
nicht wirklich ethisch (da sie nur eine
subtilere Verfolgung egoistischer
Interessen darstellt).
„Nutzen“ oder „Werte“?
Kategorischer Imperativ – Hilft das nun wirklich?
„Mittel zum
Zweck“
Ethische Dilemmata
Kind bei
Dialyse
Abtreibung
„Leben
wollen“
Der Kategorische Imperativ nimmt keine Entscheidung ab! Das anencephale
Kind als Organspender wird „Mittel zum Zweck“, das abgetriebene Kind ebenfalls
– man spricht ihm das Recht zu Leben ab, um die Mutter zu schonen. Beide Wege
lassen sich mit dem Kategorischen Imperativ begründen oder widerlegen!
Der Fortschritt der Biologie schafft
immer neue Situationen, wo man
ethische Entscheidungen treffen muss.
Sehr häufig sind die Alternativen nicht
schwarz oder weiß (Egoismus versus
Altruismus), sondern beide „irgendwie
ungut“. Sie müssen aber entscheiden!
Der Kategorische Imperativ lässt sich
zu einem Weg der Entscheidungsfindung (Heuristik) weiter entwickeln:
Prinzip Verantwortung. Mehr dazu in
der nächsten Vorlesung!
Intermezzo: Denken Sie mal nach!
Sollte es erlaubt sein, über induzierte pluripotenten Stammzellen Klone zu züchten?
A
Ja, weil man damit vielen Kranken helfen kann
B
Nein, weil das Geld besser für Medizin in Afrika angelegt wäre
C
Ja, weil es unethisch wäre, dies einem Kranken zu verwehren
D
Nein, weil jemand Mittel zum Zweck wird
Take-home: Was erwarten wir von Ihnen
Begriffe, die Sie kennen, erklären und verinnerlichen sollten
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Adulte, embryonale, induzierte pluripotente Stammzellen
Utilitarismus, hedonistischer Kalkulus, Wohlfahrtfunktion
Tugendethik, Kardinaltugenden, Maxime, Imperativ
Kategorischer Imperativ, hypothetischer Imperativ
Goldene Regel, ethische Dilemmata
Konzepte, die Sie kennen, erklären und verinnerlichen sollten
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Die Grundzüge der Stammzelldebatte erklären können
Die Leitideen von Utilitarismus und Tugendethik erklären können
Für beide Ethiksysteme Begrenzungen angeben können
Kategorischen Imperativ erklären und von der Goldenen Regel abgrenzen können
Für ein ethisches Dilemma utilitaristisch und tugendethisch argumentieren können
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