modelle für alle fälle - Helmholtz

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MODELLSYSTEME FÜR INFEKTION UND IMMUNITÄT / BEREICH MOLEKULARE BIOTECHNOLOGIE
„DIE VORGÄNGE BEI EINER INFEKTION SIND SO KOMPLEX, DASS WIR
FÜR IHRE SYSTEMATISCHE ERFORSCHUNG MÖGLICHST ÜBERSICHTLICHE MODELLSYSTEME ENTWICKELN MÜSSEN.“
Dr. Dagmar Wirth, Arbeitsgruppenleiterin Modellsysteme für Infektion und Immunität
MODELLE FÜR ALLE FÄLLE
Wenn Infektionsforscher die Wege untersuchen, die Krankheitserreger im Körper nehmen, oder nach neuen Wirkstoffen
suchen, können sie dies nicht an Menschen tun. Einen Menschen mit Hepatitis-Viren, HIV oder Salmonellen zu infizieren,
um herauszufinden, was in seinen Zellen geschieht, ist undenkbar. Ebenso, wie ein neues Medikament erst einmal an
Menschen auszuprobieren. Also benötigen Infektionsforscher Modelle.
„Und wir erstellen Modellsysteme, mit denen man
für die vielen Untersuchungen in der Forschung, aber
k Screening
genau diese Fragen der Wissenschaft beantworten
auch für Screenings in der Pharmaindustrie, deutlich
Systematische Testver-
kann“, bringt Dagmar Wirth, die Leiterin der Arbeits-
mehr Zellen benötigt werden, als aus Tieren oder
fahren, um aus einer
gruppe Modellsysteme für Infektion und Immunität,
Menschen gewonnen werden können. Auch sind die
großen Zahl von Pro-
ihre Arbeit auf den Punkt. Modellsysteme können Zell-
Zellen der verschiedenen Spender häufig sehr unter-
ben oder Personen be-
kulturen sein, oder Gewebeproben. An ihnen können
schiedlich.“ Also werden die Zellen vermehrt.
stimmte Eigenschaften
der Prüfobjekte zu
identifizieren.
Kassettenaustausch
k Stammzelle
Körperzellen, die sich
Markierung von aktiven
chromosomalen Orten mit einem
Reportergen
Targeting mit einem
therapeutischen Gen
noch in verschiedene
Zelltypen oder Gewebe
Infektionsforscher testen, was mit den Zellen bei einer
In Katalogen können Forscher Zellen kaufen – die
ausdifferenzieren
Infektion oder mit einem Wirkstoff geschieht – und
bisher in verschiedenen Labors entwickelt wurden.
können. Stammzellen
zwar lange bevor sie Untersuchungen am Menschen
Allerdings werden für diese Massen-Vermehrung die
generieren Tochterzel-
auch nur planen. Die Kunst beim Entwickeln solcher
Zellen verändert und sie bekommen Eigenschaften,
len, die selbst ebenfalls
Modelle ist, die Zellen so reagieren zu lassen, wie dies
die sehr den Eigenschaften von Tumorzellen ähneln.
wieder Stammzellen
die Zellen im Tier oder Mensch täten. Denn die Zellen
Tumorzellen sind darauf spezialisiert, sich stark zu
sind. Wozu sie sich ent-
stammen aus Tieren oder von Menschen. Und manche
vermehren, verlieren dabei aber ihre natürliche Funk-
wickeln, bestimmt das
werden genetisch verändert, um beispielsweise von
tion. So kann eine Leberkrebszelle sich zwar schnell
biologische Milieu, in
einer Tierzelle eine menschliche Antwort zu erhalten.
vervielfachen, ihre Eigenschaften, wie die Fähigkeit,
dem sie sich befinden.
„Solche Zell-Testsysteme werden sehr häufig einge-
Giftstoffe abzubauen, geht dabei jedoch verloren. An
setzt“, weiß Dagmar Wirth. „Das Problem ist, dass
einer solchen Zelle die natürlichen Abläufe im Körper
zu simulieren ist schwierig. Und hier setzt Dagmar
Wirth an. Sie hat ein System entwickelt, mit dem sie
ganz normale Zellen dazu bringt, sich zu teilen und zu
wachsen, bis sie so viele davon hat, wie sie benötigt
– und dann schaltet sie den Vermehrungsmodus
k Hepatitis B
der Zelle einfach ab. „Ein Beispiel, an dem wir das
Infektionskrankheit der
erproben, sind differenzierte Zellen und Stammzel-
Leber mit dem Hepa-
len aus Blut oder Gefäßen. Diese Zellen sind rar und
titis-B-Virus, die meist
es gibt bislang keine Möglichkeit, sie außerhalb des
akut, gelegentlich
Körpers zu vermehren.“ Also versuchen die Modell-
aber auch chronisch
verläuft. Weltweit häu-
entwickler, Gene in die Zellen einzubauen, die Zellen
wachsen lassen. Diese Gene werden über Schalter
Aber bei aller genetischen Übereinstimmung: Mäuse
figste Virusinfektion
aktiviert. Sind genügend Zellen angezüchtet, schalten
sind eben doch keine Menschen. Also muss der
und häufigste Ursache
die Forscher den Schalter wieder aus und die Zelle
Organismus Maus dem Organismus Mensch ange-
für chronische Leberer-
fällt in ihre ganz normale Funktion zurück – ohne sich
nähert werden. Wie wichtig diese Anpassung ist, zeigt
krankungen.
weiter zu teilen oder sonstige Eigenschaften einer
das Beispiel Hepatitis B. Es ist die weltweit häufigste
Tumorzelle zu haben. „Diese so genannten Schalter-
Virusinfektion – bei etwa jedem dritten Menschen
Gen-Kassetten verpacken wir in Viren und können sie
sind die Spuren einer Hepatitis-B-Erkrankung im Blut
so gezielt in Zellen einschleusen.“
zu finden. Die Viren greifen uns an, lösen kurzfristig eine akute Infektion aus und nisten sich dann
Und wenn die Wissenschaftler besonders komplexe
im Durchschnitt bei etwa 10 Prozent der Patienten
Fragen haben, die sie mit einzelnen Zellen nicht mehr
dauerhaft in unseren Leberzellen ein. Die Folgen
beantworten können, entwickelt Dagmar Wirth die
sind Leberzirrhose und -krebs. „Das Problem bei der
passenden Tier-Modellsysteme. Der am häufigsten
Modellentwicklung ist, dass die Leber einer Maus
eingesetzte Modellorganismus: die Maus. Auch wenn
nicht von Hepatitis B Viren infiziert werden kann“,
uns Menschen augenscheinlich nicht viel mit den
erklärt Dagmar Wirth. Also schleust sie Gene der
Kleinnagern verbindet, sind sie uns genetisch doch
Hepatitis-B-Viren so in die Zellen der Maus ein, dass
sehr ähnlich und deshalb wichtig für die Erforschung
sie die Infektion mit Hepatitis-B-Viren in der Maus
von Infektionskrankheiten.
nachstellen kann.
„Wir haben ein System entwickelt, mit dem sich
gezielt genetische Veränderungen in das Erbgut von
Zellen einschleusen lassen – und zwar dort, wo sie
am effektivsten funktionieren.“ Und so führt sie Wissenschaftler Stück für Stück näher an das Verständnis von Infektionen heran.
DAGMAR WIRTH
Dagmar Wirth hat an der TU Braunschweig Chemie studiert (1982-1987) und sich bereits während
ihres Studiums für biochemische und biologische Themen interessiert. Während ihrer Promotion
am HZI – damals GBF – hat sie die Funktion bestimmter chromosomaler Elemente untersucht, die
die Anordnung der DNA in der Zelle und die Expression von Genen in Eukaryonten regulieren. Im
Anschluss hat sie sich am HZI und der MH-Hannover mit der Entwicklung von viralen Vektoren für
die Übertragung von Genen in Zellen und für die Gentherapie beschäftigt. Seit 2006 leitet Dagmar
Wirth die Arbeitsgruppe Modellsysteme für Infektion und Immunität am HZI. Sie erforscht Technologien, mit denen sie spezifische Infektionsmodelle entwickelt, die für die Infektionsforschung
Stand: April 2009
verwendet werden. Und sie entwickelt Technologien für biotechnologische Anwendungen.
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