Auskunfts- und Informationspflichten gemäß LFGB und Lebensmittel-Basis-VO Axel Preuß, Münster (Information duties according to LFGB (German Food and Feeds Law Record) and Lebensmittel-Basis-VO (Regulation (EC) No 178/2002) 1. Einleitung Mit der sogenannten Lebensmittel-Basis-Verordnung (EG) Nr. 178/2002 (Basis-VO) (1) wurde das bisher praktizierte System der Vorgaben für die Lebensmittelproduktion und seine Kontrolle grundlegend reformiert. Seit dem 1.1.2005 ist den Lebensmittelunternehmern ausdrücklich eine hohe primäre Verantwortung für die Sicherheit ihrer Produkte zugewiesen worden. Zwar galt schon immer, daß ein Lebensmittelhersteller oder –händler seine Sorgfaltspflicht erfüllen mußte, der Vorrang dieser Pflicht wurde aber nun im Erwägungsgrund Nr. 30 der Basis-VO klar begründet: „Der Lebensmittelunternehmer ist am besten in der Lage, ein sicheres System der Lebensmittellieferung zu entwickeln und dafür zu sorgen, daß die von ihm gelieferten Lebensmittel sicher sind; er sollte daher auch die primäre rechtliche Verantwortung für die Gewährleistung der Lebensmittelsicherheit tragen.“ Dementsprechend ist nun in Artikel 17 Abs. 1 Basis-VO vorgeschrieben: „Die Lebensmittel- und Futtermittelunternehmer sorgen auf allen Produktions-, Verarbeitungs- und Vertriebsstufen in den ihrer Kontrolle unterstehenden Unternehmen dafür, daß die Lebensmittel oder Futtermittel die Anforderungen des Lebensmittelrechts erfüllen, die für ihre Tätigkeit gelten, und überprüfen die Einhaltung dieser Anforderungen.“ Die wichtigste Maßnahme, dieser Verpflichtung nachzukommen, ist die Einrichtung eines wirksamen Kontrollsystems, was zudem schon durch Artikel 5 der Lebensmittelhygiene-Verordnung (EG) Nr. 852/2004 (2) vorgeschrieben ist. 2. Vorgaben der VO Die Behörden der amtlichen Lebensmittelkontrolle sollen gezielt die Erfüllung der unternehmerischen Pflichten zur Einrichtung wirksamer Kontrollsysteme überprüfen und sich dafür aus der klassischen Inspektion und Produktkontrolle nach dem Stichproben- bzw. Zufallsprinzip entsprechend zurückziehen. Dies bezieht sich allerdings nur auf die Kontrollen bei den Herstellern, die im Zuständigkeitsgebiet ansässig sind, Kontrollen im Handel von Produkten gerade aus anderen Ländern bleiben davon unberührt. Sowohl die Unternehmen als auch die Behörden sind neuerdings zu einem risikobasierten Vorgehen verpflichtet. Unternehmer sollen Gefahrenpunkte identifizieren und beherrschbar machen. Als Risiko definiert die Basis-VO eine Funktion aus der Wahrscheinlichkeit des Schadeneintritts und der Schwere der Gefahr. Bei hohen Gesundheitsgefahren, insbesondere bei drohenden irreversiblen Schäden, genügt schon eine geringe Eintrittswahrscheinlichkeit, damit Maßnahmen zur Schadenabwehr zwingend erforderlich werden. Diese Orientierung am tatsächlichen Risiko gilt genauso für die Ermessensabwägung bei den Überwachungsbehörden. Ein Schaden muß noch nicht eingetreten sein; es genügen konkrete, auf Tatsachen begründete Verdachtsmomente für einen möglichen Eintritt. 3. Praktische Umsetzung Als Gefahr ist hier zwar vor allem die mögliche Beeinträchtigung der Gesundheit von Mensch und Tier zu sehen; daneben müssen aber auch Kontaminationen, welche die Produkte zum Verzehr ungeeignet machen, berücksichtigt werden. Allerdings können die übliche Behandlung von -2- Lebensmitteln durch die Verbraucher sowie ihr allgemein vorauszusetzendes Wissen darüber, aber auch ausdrückliche Hinweise auf den Produkten ein bestehendes Risiko unter Umständen wieder reduzieren oder ganz ausschalten. So muß – zumindest bisher – noch nicht auf den Packungen vor dem übermäßigen Verzehr von Kaffee oder alkoholischen Getränken gewarnt werden. Ebenso kann man davon ausgehen, daß die Verbraucher wissen, daß Backwaren mit nicht durchgebackener Füllung (z.B. Bienenstich) kühl gelagert werden müssen, wenn sie über einen längeren Zeitraum aufbewahrt werden sollen. Erkennt ein Unternehmer, daß ein von ihm zu verantwortendes Lebensmittel auch unter Berücksichtigung dessen haushaltsüblicher Behandlung nicht mehr sicher ist, so muß er nach Artikel 19 Basis-VO geeignete Maßnahmen ergreifen. Dazu gehören der Rückruf der vertriebenen Produkte und ggf. eine öffentliche Warnung, wenn nämlich eine Gefahr für die Gesundheit der Verbraucher besteht und das Lebensmittel bereits in den Händen der Verbraucher ist. Derartige Rückrufe sind aber bisher kaum zu beobachten, obwohl sie in anderen Branchen (z. B. der Autoindustrie) seit Jahren üblich sind. So wurden allein im Monat Mai 2005 laut der Zeitschrift „Motorwelt“ des ADAC Fahrzeuge neun verschiedener Typen von sechs namhaften Autoherstellern wegen sicherheitsrelevanter Defekte zurückgerufen, ohne daß eine spürbare öffentliche Irritation über die Sicherheit der Fahrzeuge dieser Hersteller entstanden wäre. Unterhalb der drohenden Gesundheitsschädigung, also in Fällen einer eher längerfristigen Gesundheitsgefährdung, genügt es nach Artikel 19 Abs. 3 Basis-VO, wenn der Unternehmer lediglich die amtlichen Kontrollbehörden darüber informiert, welche Maßnahmen er zur Abwehr des Risikos ergriffen hat. Diese Selbstanzeigepflicht darf jedoch von den Behörden nicht zu einer Ahndung schuldhaften Fehlverhaltens genutzt werden, welches häufig für Produktionsfehler ursächlich ist. Den entsprechenden Riegel schiebt § 44 Abs. 4 des neuen Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches (LFGB) (3) vor; eine vergleichbare Konstellation gibt es auch im Steuerrecht. Damit erhält ein Unternehmer eine interessante Möglichkeit, sich der Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfolgung zu entziehen: Er muß einen Fehler nur rechtzeitig von sich aus der Behörde anzeigen, bevor diese auf anderem Wege Kenntnis davon erhält oder auch nur einen Verdacht schöpft. 4. Rückverfolgbarkeit Ein wichtiges Element, mit dem im Krisenfall ein bestehendes Risiko auf sein tatsächliches Ausmaß reduziert werden soll, ist die so genannte Rückverfolgbarkeit. Damit soll sichergestellt werden, daß ein in einem Lebens- oder Futtermittel verarbeiteter Stoff bzw. eine Zutat durch alle Produktions-, Verarbeitungs- und Vertriebsstufen in beiden Richtungen verfolgt werden kann. So wird der Begriff „Rückverfolgbarkeit“, der im englischen Text der Basis-VO übrigens „traceability“ lautet und daher besser als „Verfolgbarkeit“ übersetzt worden wäre, in Artikel 3 Nr. 15 Basis-VO definiert. Beachtet man diese Definition, so ist offenkundig, daß die Verfolgung eines Stoffes bzw. einer Zutat durch alle Produktions- und Vertriebsstufen nur realisierbar ist, wenn ein Hersteller den Verbleib der jeweils eingehenden Chargen dieser Zutat auch den jeweils ausgelieferten Chargen seiner Produkte zuordnen kann. Gerade in der mittelständischen Industrie sind entsprechende Dokumentationssysteme aber noch längst nicht überall Realität. Man macht dort geltend, daß der verfügende Text in Artikel 18 BasisVO nur vorgibt, daß die Herkunft eingehender Zutaten sowie der Verbleib ausgehender Produkte dokumentiert sein muß; von einer Verknüpfung dieser Informationen sei dort keine Rede. Diese Haltung wird erstaunlicher Weise auch von einigen Vertretern der Bundesregierung bzw. der Landesregierungen eingenommen. Man übersieht dabei jedoch, daß auch die Begriffsbestimmung in Artikel 3 Basis-VO verfügenden Charakter hat und erst einmal definiert, was „Rückverfolgbarkeit“ überhaupt ist. Ohne die betriebsinterne Verbindung von Ein- und Ausgängen ist sie gar nicht realisierbar und die Verpflichtung aus Artikel 18 zu ihrer Sicherstellung nicht zu erfüllen. Dieser Artikel stellt lediglich klar, daß nicht jeder Unternehmer den gesamten Weg einer -3- Zutat kennen muß, sondern sich seine Verpflichtung lediglich auf jeweils eine vor- bzw. nachgelagerte Stufe beschränkt. Gemäß Artikel 18 Abs. 3 Basis-VO müssen von einem Lebensmittelunternehmer nur die Produkte identifiziert werden können, die er an ein anderes Unternehmen geliefert hat. Damit sind die Abgaben von Produkten an Endverbraucher sinnvollerweise von der Rückverfolgbarkeit ausgenommen. Darüber hinaus kommen in der Praxis weitere Fälle vor, in denen die Pflicht zur Verfolgbarkeit nicht mehr zu erfüllen ist. Gorny hat einleuchtende Beispiele dafür in seinem Kommentar zur Basis-VO (4) erwähnt, z.B. die Massengutanlieferungen per Schiffsfracht im Welthandel. 5. Information und Warnung der Öffentlichkeit Mit § 43 Abs. 3 im neuen LFGB erhalten die amtlichen Kontrollbehörden das Recht, von einem Lebensmittelunternehmer alle Informationen zu verlangen, die zur Rückverfolgbarkeit bestimmter Lebensmittel erforderlich sind. So können sie überprüfen, ob die Unternehmer ihren diesbezüglichen Pflichten zur Einrichtung entsprechender Systeme auch nachkommen. Dieses Recht ist notabene nicht an das Vorliegen eines speziellen Verdachts gebunden. Das LFGB stellt daneben mit § 40 Abs. 2 klar, daß für den Fall, daß gesundheitsschädliche Lebensmittel auf dem Markt sind, deren Hersteller die vorrangige Aufgabe hat, die Öffentlichkeit davor zu warnen. Diese Pflicht ergibt sich aus Art. 19 Basis-VO, wie oben schon dargelegt. Die amtlichen Kontrollbehörden sollen hier nur noch ersatzweise die Öffentlichkeit informieren, wenn der Hersteller selbst nicht aktiv wird und selbst eine entsprechende Anordnung nach § 39 Abs. 2 Nr. 8 LFGB nicht befolgt. Allerdings werden die Behörden durch § 40 Abs. 1 LFGB ermächtigt, auch in anderen als von der Basis-VO erfaßten Fällen die Verbraucher zu informieren. Dies können ekelerregende Produkte sein, aber auch Fälle der Täuschung in großem Ausmaß. Selbst zum Schutz der Branche vor Umsatzeinbrüchen aufgrund eines „schwarzen Schafes“ in den eigenen Reihen ist dessen öffentliche Benennung erlaubt. Warnungen sind selbst dann zulässig, wenn es zwar konkrete Verdachtsmomente gibt, aber noch keine endgültige Klarheit darüber besteht, wie groß die Gefahr überhaupt ist. Damit wird dem in Art. 7 Basis-VO festgelegten Vorsorgeprinzip, das verbunden ist mit der Zulässigkeit vorläufiger Risikomanagementmaßnahmen, Rechnung getragen, um ein hohes Gesundheitsschutzniveau sicherzustellen. Bei allen von den Behörden vorgesehenen Maßnahmen zur Information der Öffentlichkeit ist jedoch der im Rechtsstaatsprinzip verankerte Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu berücksichtigen. So ist bei öffentlichen Warnungen zur Abwehr eines Schadens auch stets vorher zu prüfen, welcher Schaden damit auf der anderen Seite angerichtet wird. Der Gesundheitsschutz geht zwar immer den wirtschaftlichen Interessen eines Unternehmens vor, in den Fällen der Täuschung sind aber lediglich materielle Schäden auf beiden Seiten, bei Herstellern wie Verbrauchern, abzuwägen. Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall wird daher in nicht wenigen, vom LFGB grundsätzlich als zulässig angesehenen Konstellationen dazu führen, daß eine öffentliche Warnung doch nicht erfolgen kann, weil ein Folgeschaden beim Hersteller (Umsatzeinbruch) ungleich höher wäre. Die Wahrnehmung der neuen Rechte und Pflichten durch Unternehmen wie Behörden wird allerdings durch viele ungenaue und stark auslegungsbedürftige Begriffe in den jetzt geltenden Rechtsvorschriften erschwert. So werden in den kommenden Jahren wohl erst die Gerichte endgültig klären müssen, in welchen Fällen jeweils welche Maßnahmen erforderlich und angemessen sind. Dies sollte jedoch nicht daran hindern, die neuen Prinzipien und Begriffe schon heute in der Lebensmittelproduktion und -kontrolle einzuführen und anzuwenden. Zusammenfassung -4- Mit der sogenannten Basis-Verordnung (EG) Nr. 178/2002 wurde das bisher praktizierte System der Vorgaben für die Lebensmittelproduktion und seine Kontrolle grundlegend reformiert. Seit dem 1.1.2005 ist den Lebensmittelunternehmern ausdrücklich eine hohe, primäre Verantwortung für die Sicherheit ihrer Produkte zugewiesen worden. Die Behörden sollen gezielt die Erfüllung der unternehmerischen Pflichten zur Einrichtung wirksamer Kontrollsysteme kontrollieren und sich aus der klassischen Inspektion und Produktkontrolle eher zurückziehen. Sowohl die Unternehmen wie auch die Behörden sind neuerdings zu einem risikobasierten Vorgehen verpflichtet. Unternehmer sollen Gefahrenpunkte identifizieren und beherrschbar machen. Als Gefahr ist hier vor allem die mögliche Beeinträchtigung der Gesundheit von Mensch und Tier zu sehen. Erkennt ein Unternehmer, daß ein von ihm verantwortetes Lebensmittel nicht mehr sicher ist, muß er geeignete Maßnahmen ergreifen. Dazu gehören der Rückruf der vertriebenen Produkte und ggf. eine öffentliche Warnung, wenn nämlich eine Gefahr für die Gesundheit der Verbraucher besteht und das Lebensmittel bereits in den Händen der Verbraucher ist. Ein wichtiges Element, mit dem im Krisenfall ein bestehendes Risiko auf sein tatsächliches Ausmaß reduziert werden soll, ist die so genannte „Rückverfolgbarkeit“. Damit soll sichergestellt werden, daß ein in einem Lebens- oder Futtermittel verarbeiteter Stoff bzw. eine Zutat durch alle Produktions-, Verarbeitungs- und Vertriebsstufen in beiden Richtungen verfolgt werden kann. Gerade in der mittelständischen Industrie sind entsprechende Dokumentationssysteme aber noch längst nicht überall Realität. Den Behörden kommt für den Fall, daß gesundheitsschädliche Lebensmittel auf dem Markt sind, nur noch ersatzweise für den Hersteller die Aufgabe zu, die Öffentlichkeit zu warnen. Allerdings ermächtigt sie das neue Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch, unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit auch in anderen als von der Basis-Verordnung erfaßten Fällen die Verbraucher zu informieren (z.B. ekelerregende Produkte, Täuschung in großem Ausmaß, Benennung schwarzer Schafe zur Vermeidung von Umsatzeinbrüchen). Die Wahrnehmung der neuen Rechte und Pflichten durch Unternehmen wie Behörden wird allerdings durch viele ungenaue und stark auslegungsbedürftige Begriffe in den jetzt geltenden Rechtsvorschriften erschwert. So werden in den kommenden Jahren wohl erst die Gerichte klären müssen, in welchen Fällen welche Maßnahmen jeweils erforderlich und angemessen sind. Dies sollte jedoch nicht daran hindern, schon heute die neuen Begriffe und Prinzipien in der Lebensmittelproduktion und -kontrolle einzuführen und anzuwenden. Anschrift des Verfassers: Dr. Axel Preuß Chemisches Landes- und Staatliches Veterinäruntersuchungsamt Joseph-König-Str. 40 D-48147 Münster Literatur 1. Lebensmittel-Basis-Verordnung (EG) Nr. 178/2002 (Basis-VO) vom 28.01.2002, ABl. L 31, S. 1 2. Artikel 5 der Lebensmittelhygiene-Verordnung (EG) Nr. 852/2004 vom 29.04.2004, ABl. L 226, S. 3 3. Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB) vom 01.09.2005, BGBl. I S. 2618, § 44, Abs. 4 4. D. Gorny, Grundlagen des Europäischen Lebensmittelrechts. Behr’s Verlag, Hamburg 2003, S. 136