3.4 System Bestandsgebäude

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3.4 System Bestandsgebäude
Umgangsmöglichkeiten mit Wohnungsbeständen
Mit der Energiepreisentwicklung der Umwelt- und
Klimapolitik und den daraus resultierenden Förderprogrammen wurden bislang einige wesentliche Rahmenbedingungen für die energetische Bestandsentwicklung erläutert. In diesem Abschnitt werde ich mich
nun dem Umgang mit Bestandsgebäuden annähern.
Abb. 38: Prozentuale Verteilung der Wohnungen in Deutschland nach Baualtersstufen
Bestandsgebäude lassen sich nicht pauschal betrachten, sondern sind in ihrer Ausformung äußerst
vielfältig. Für sie gelten komplexere Zusammenhänge
und andere Zielsetzungen als für Neubauten. Im folgenden Kapitel wird versucht den Gebäudebestand
in Zahlen zu erfassen, nach verschiedenen Aspekten
zu differenzieren, um danach zu klären, welche Anforderungen an dessen Entwicklung gestellt werden
und mit welchen Planungsmethoden man diesen begegnen kann.
Abb. 39: Prozentuale Verteilung des Wohnungsbestandes im Jahr 2000
57
System Bestandsgebäude
3.4.1 Wohngebäudebestand der Bundesrepublik Deutschland in Zahlen
Die Bestandsgebäude lassen sich grob in zwei Klassen einteilen: Neubauten und Altbauten. Unter energetischen Gesichtspunkten gelten alle Gebäude,
die älter als ein Jahrzehnt sind, bereits als Altbauten.
Diese Gebäude weisen bereits im Vergleich zu heute
einen erhöhten Energieverbrauch auf. Die Anteile dieser beiden Gruppen am Gesamtbestand unterscheiden sich deutlich.
Der Wohnungsbestand in der Bundesrepublik
Deutschland betrug im Jahr 2002 rund 38.689.800
Wohnungen. Während nur etwa ein Drittel dieser Wohnungen auf ein Baualter vor dem Zweiten Weltkrieg
datiert wird, bilden die seit den 50er Jahren errichteten Wohnungen mit zwei Dritteln, die deutliche Mehrheit im Bestand. Dieses Verhältnis lässt sich durch
die starken Zerstörungen der Bausubstanz während
des Krieges begründen. Der Wohnungsmangel nach
dem Krieg führte zu einer hohen Wohnbautätigkeit
besonders in der direkten Nachkriegszeit. Diese Entwicklung lässt sich für ganz Deutschland beobachten.
Wie in der Abbildung 38 verdeutlicht, nimmt der Bestand der Jahre 1949 – 1978 den größten Anteil ein
(47%). In dieser Altersspanne sowie zwischen 1979
– 1990 (14%) dominieren im Bestand die Wohnungen
in Mehrfamilienhäusern (vgl. Abb. 40). Der Einfamilienhausbau nimmt erst in den 90er Jahren zu. Bestandsgebäude neueren Datums (1990 und später)
Abb. 40: Altersstruktur der Wohnungen in Deutschland
58
sind lediglich mit 11% vertreten.
Insgesamt gibt es in Deutschland heute über 17 Millionen Wohngebäude. 11 Millionen davon sind Gebäude mit nur einer Wohnung und entsprechen damit
dem klassischen Einfamilienhaus. Über 3 Millionen
Gebäude besitzen zwei Wohnungen und ziemlich
genau 3 Millionen Gebäude besitzen drei oder mehr
Wohnungen. Dagegen stellen Gebäude mit drei Wohnungen und mehr eine Anzahl von rund 20 Millionen
Wohnungen, die Gebäude mit zwei Wohnungen eine
Summe von rund sieben Millionen Wohnungen und
die Gebäude mit einer Wohnung, die bereits erwähnten 11 Millionen Wohnungen. Die mit Abstand größte
Anzahl der Wohnungen (ca. 55 %) ist somit klar dem
Bereich der Mehrfamilienhäuser zuzuordnen, die größere Anzahl der Gebäude allerdings stellen die klassischen Einfamilienhäuser mit nur einer Wohnung. (s.
Kompetzenzzentrum 2006d, 9-11) Ein- und Zweifamilienhäuser umfassen insgesamt einen Anteil von 57,6
% der Wohnfläche und stellen gleichzeitig über 82 %
aller Wohngebäude dar. (vgl. Abb. 39)
Wohngebäudebestand der Wohnungsunternehmen
Die in etwa 3000 in den Mitgliedsverbänden des Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) zusammengeschlossenen Wohnungsunternehmen, bewirtschaften ca. 6,2 Millionen
Wohnungen. (s. GdW 2006, 206) Das entspricht rund
einem Drittel des gesamten Mietwohnungsangebotes von 20 Millionen Wohnungen in Deutschland. Die
System Bestandsgebäude
Abb. 41: Prozentuale Verteilung der Wohnungen des GdW nach Baualtersstufen
vom GdW repräsentierten Unternehmen bewirtschaften also knapp 30 % des gesamten vermieteten und
zwei Drittel des gewerblich-professionell verwalteten Mietwohnungsbestandes in Deutschland. In den
neuen Bundesländern wird sogar nahezu jede zweite Mietwohnung von Unternehmen des GdW-Bereiches bewirtschaftet (s. GdW 2006, 11). Dies zeigt
die große Bedeutung der Wohnungswirtschaft bzw.
der durch den GdW repräsentierten Unternehmen
zum einen für die sektoralen Ziele „Haushalte“ des
Klimaschutzprogramms der Bundesregierung (vgl.
Kapitel 3.2.3) und zum anderen für die Wohnungsversorgung. Gemessen am Anteil aller bewohnten
Mietwohnungen liegen die Tätigkeitsschwerpunkte
der vom GdW bundesweit vertretenen Unternehmen
vor allem in Verdichtungsräumen und Stadtregionen,
so dass die Unternehmen auch einen wesentlichen
Beitrag zur Stadtentwicklung beitragen können. (s.
GdW 2006, 11)
Der Großteil der wohnungswirtschaftlichen Bestände stammt, wie der gesamte Wohnungsbestand
Deutschlands, aus der Nachkriegszeit (vgl. Abb. 41)
. Der Bestand der Jahre 1960 - 1970 nimmt mit 26
% den größten Anteil ein. Zusammen mit den Baualtersklassen 1949 - 1959 (20%) und 1971 - 1980
(18%) wurden somit 66 % des wohnungswirtschaftlichen Bestandes vor der ersten bzw. teilweise vor der
zweiten Wärmeschutzverordnung errichtet (vgl. Kapitel 3.6). Dies verdeutlicht sich bei der Betrachtung
der Wohneinheitenverteilung nach städtebaulichem
Gebiet, denn 81,5 % der GdW-Wohnungen liegen in
Siedlungen der 50er bis 80er Jahre. (s. GdW 2006,
212) Der wesentliche Bestand der Wohnungsunternehmen setzt sich aus Wohnungen, die mehr als zwei
Wohnungen haben, zusammen. Diese Gruppe der
Wohnungen in Mehrfamilienhäusern macht 96,7 %
des Bestandes aus. Lediglich 2,8 % der Wohnungen
befinden sich in Gebäuden mit weniger als drei Wohnungen, also in Einfamilien- und Reihenhäusern.
Die meisten Wohnungen (1.172.811) werden von den
nordrhein - westfälischen Mitgliedsunternehmen des
GdW bewirtschaftet. Insgesamt beläuft sich der Bestand an Wohneinheiten in NRW auf rund 8 Millionen
Wohnungen. In diesem Zusammenhang ist vor allem der „Verband der Wohnungswirtschaft Rheinland
Westfalen“ (VdW) von großer Bedeutung, da die 460
Mitgliedsunternehmen des Verbandes rund 1,24 Millionen Wohnungen bewirtschaften. Dies entspricht in
etwa einem Achtel des Wohnungsbestandes in NRW.
Nach Angaben des VdW lebt jeder vierte NRW-Bürger in einer dieser Wohnungen. (s. InWIS Forschung
& Beratung GmbH 2007, 5)
Instandsetzungsbedarf des deutschen Gebäudebestands
Die Beurteilung des Instandsetzungsbedarfs des gesamtdeutschen Gebäudebestandes wird anhand des
Endberichts „Dialog Bauqualität“ (02.09.2002) des
Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung ermittelt.
Der langfristige Instandsetzungsbedarf ist beim Wohnungsbestandes der alten Bundesländer am höchsten. (vgl. Abb. 42 u. 43). Die Gegenüberstellung des
Instandsetzungsbedarfs von 1992 und 1999 zeigt einen gleichbleibenden Instandsetzungsbedarf. Ebenfalls lässt sich erkennen, dass der Instandsetzungsbedarf für die Baualtersklasse 1949 bis 1970 besonders
hoch ist. Dies hängt mit dem niedrigen Qualitätsstandard des Bauens in den Nachkriegsjahren und dem
sehr hohen Anteil dieser Gebäudeklasse zusammen.
Weiterhin auffällig ist, dass der Instandsetzungsbedarf von Ein- und Zweifamilienhäusern im Vergleich
zu Mehrfamilienhäusern bedeutend höher ist. Auf die
Wohneinheit bezogen, ist der Instandsetzungsbedarf
sowohl bei Ein- und Zweifamilienhäusern als auch
bei Mehrfamilienhäusern der Baualtersklasse von
1919 - 1948 am höchsten (vgl. Abb. 44). Der höhere
59
System Bestandsgebäude
Abb. 42: Instandsetzungsbedarf Stand 1992/1999 alte Bundesländer
Instandsetzung und Modernisierung in den neuen
Bundesländern. Der Schwerpunkt des Instandsetzungsbedarfs liegt bei den konventionell errichteten
Mehrfamilienhäusern.
Insgesamt ist der Instandsetzungsbedarf in Deutschland von 1993 (163 Mrd. DM) bis 2000 (115 Mrd. DM)
deutlich um 50 Mrd. DM gesunken. Dieser Rückgang
ist besonders durch die umfangreichen Instandsetzungsmaßnahmen in den neuen Bundesländern erreicht worden, während, wie schon erwähnt, in den
alten Bundesländern von einem gleichbleibenden Instandsetzungsbedarf ausgegangen werden kann. (s.
Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung 2002,
25 - 33)
3.4.2 Planen und Bauen im Bestand
Abb. 43: Instandsetzungsbedarf des Wohnungsbestandes der alten
Bundesländer nach Fristigkeiten
Abb. 44: Instandsetzungsbedarf des Wohnungsbestandes der alten
Bundesländer in DM/Wohnung
Instandsetzungsbedarf je Wohneinheit bei Ein- und
Zweifamilienhäusern ist auf den höheren Anteil von
Außenbauteilen, die damit verbundene verstärkte Alterung und den höheren Verschleiß der Außenbauteile zurückzuführen. Ebenso sind die größeren Wohneinheiten im Ein- und Zweifamilienhausbereich für
den höheren Instandsetzungsbedarf je Wohneinheit
verantwortlich.
Der Instandsetzungsbedarf des Wohnungsbestandes
der neuen Bundesländer ist seit 1994 für alle Baualtersklassen stark zurückgegangen. Dies ist zurückzuführen auf die beträchtlichen Anstrengungen zur
60
Das Planen und Bauen im Bestand wird seit Jahren
durch Architekten und Stadtplaner als das Aufgabenfeld der nächsten Jahrzehnte identifiziert. Dies lässt
sich an der Bautätigkeit in Deutschland festmachen.
Das Verhältnis von Neubau und Bauen im Bestand
verschiebt sich in den letzten Jahren kontinuierlich
Richtung Bestand. (s. Bundesamt für Bauwesen und
Raumordnung 2002, 15) „Seit dem Jahr 2000 übersteigt die Modernisierungstätigkeit anteilsmäßig den
Neubauanteil am Wohnungsbauvolumen.“ (Meisel
2005 , 27). Auch bezüglich des Investitionsvolumens
im Hochbau übersteigt der Bestand den Neubaubereich deutlich um fast 20 %. Dagegen übertrifft die Zahl
der Baugenehmigungen für Neubauten die Zahl der
Baugenehmigungen im Bestand um ein Vielfaches.
Für diese starke Diskrepanz lassen sich zwei Gründe
aufführen. Zum einen ist eine Vielzahl der Baumaßnahmen im Bestand nicht genehmigungspflichtig und
zum anderen sind Bestandsmaßnahmen im Vergleich
zu Neubaumaßnahmen häufig kostenintensiver, da
die Planungsunsicherheit meistens größer und die
Durchführung der Maßnahmen aufwendiger ist.
Auch in der Wohnungswirtschaft ist man sich darüber einig, dass „Wohnungsbau“ künftig überwiegend
im Bestand stattfindet. Die aktuellen wohnungswirtschaftlichen Bestandsinvestitionen verdeutlichen dies.
Auch die Investitionstätigkeit, der vom GdW bundesweit vertretenden Unternehmen, ist überwiegend auf
den Bestand ausgerichtet. Im Laufe der 90er Jahre
hat die relative Bedeutung der Bestandsinvestitionen
- trotz rückläufiger absoluter Werte - bis zum Jahr
System Bestandsgebäude
2002 kontinuierlich zugenommen. Die Investitionen
für Instandhaltung und Modernisierung, erreichten
eine Größenordnung von 77% der gesamten Investitionsleistungen im GdW-Bereich. Seit 2002 ist wieder
ein leichter Bedeutungszugewinn der Neubauinvestitionen festzustellen. (s. GdW 2006, 11) Insgesamt ist
2005 allerdings ein Rückgang der Bauinvestitionen zu
verzeichnen. Die gesamtwirtschaftlichen Bauinvestitionen und damit die Beschäftigung und Umsätze der
Betriebe fielen auf einen neuen Tiefstand. Die Wohnungsbauinvestitionen sanken im Vergleich zum Vorjahr um 3,4%. Somit verringert sich nun bereits seit
sechs Jahren kontinuierlich, die in den Wohnungsbau
investierte Leistung. (s. GdW 2006, 8)
Kategorisierung der Bestandsgebäude
Bestandsgebäude lassen sich sowohl nach ihrem
Baualter und ihrer Bauform, als auch den verwendeten
Konstruktionen und Baustoffen differenzieren. Über
die Verschiedenartigkeit dieser Merkmale lassen sie
sich in unterschiedliche Gebäudetypen einteilen. Der
Gebäudevielfalt sind keine Grenzen gesetzt, dennoch
ist es sinnvoll, anhand einer Grobabschätzung über
die Baualtersklasse sowie die Gebäudegröße, die
Charakteristika der Bestandsgebäude zu bestimmen.
Diese allgemeine und vereinheitlichte Typenbildung
ermöglicht es, grundlegende und schnell erfassbare
Aussagen über das Wesen eines Bestandsgebäudes
zu gewinnen. Das Baualter bildet ein wichtiges Merkmal, weil sich in jeder Bauepoche allgemein übliche
Konstruktionsweisen, aber auch typische Bauteilflächen (z.B. Fenstergrößen) finden lassen. Die Baualtersklassen orientieren sich an historischen Einschnitten, den Zeitpunkten statistischer Erhebungen
und Veränderungen der wärmetechnisch relevanten
Bauvorschriften (s. IWU 2003, 2).
Innerhalb der Literatur existiert einer Vielzahl solcher
Gebäudetypologien. Neben allgemeinen Analysen
und Aussagen zu einzelnen Gebäudetypen ermöglicht z.B. die Deutsche Gebäudetypologie (vgl. Abb.
45) darüber hinaus energetische Aussagen zu den
einzelnen Gebäudetypen. Neben typischen Energiekennwerten und Energieeinsparpotentialen für Einzelgebäude listet die Gebäudecharakterisierung des
IWU auch typische Flächen und U-Werte auf (s. IWU
2003, 2), die für eine energetische Bewertung von
Bestandsgebäuden bzw. zur Energieberatung herangezogen werden können. Weiterhin sind aus zahlreichen Projekten in der Baupraxis typische baualtersklassenspezifische Schwachstellen ermittelt und
Abb. 45: Ausschnitt aus der Deutschen Gebäudetypologie
in einem Ratgeber für die Praxis zusammengestellt
worden (s. Meisel 1995).
Hinzugefügt werden muss, dass die Gebäudetypologien (vgl. Abb. 45), im einzelnen durch regionale
Besonderheiten variieren und lediglich eine grobe
Verallgemeinerung für Bauten in ganz Deutschland
darstellen. Auch wenn insbesondere in den 60er und
70er Jahren überregionale Gemeinsamkeiten auffällig sind, können Planungsaussagen auf Ebene der
Gebäudetypologie nur erste Abschätzungen zu Vorüberlegungen bei der Bestandsentwicklung sein. Für
weitere Schritte bzw. den konkreten Sanierungsfall
muss das vorliegende Gebäude im Bestand analysiert
werden. Umfangreiche Bestandsuntersuchungen und
energetische Bewertungen sollten den Baumaßnahmen zu Grunde liegen. (s. Fachinformationszentrum
Karlsruhe 2004, 45 – 46). Aufgrund dessen stellt der
nächste Abschnitt das inhaltliche und methodische
Vorgehen einer baulich-technischen Bestandsaufnahme vor.
Die Bestandsaufnahme Grundlage eines Planungsgutachtens (Consultings)
Das Grundprinzip jeder Bestandsaufnahme ist die
gedankliche Zerlegung des Gebäudes in einzelne
Bauelemente. Diese müssen getrennt voneinander
untersucht werden. Pauschale Beurteilungen von Gebäuden ohne detaillierte Angaben zum Zustand der
verschiedenen Bauelemente sind unzureichend.
Die Bestandsuntersuchung lässt sich in sieben Einzelschritte unterteilen. Die Beachtung dieser Schritte
gewährleistet eine zuverlässige und wirtschaftliche
Durchführung von Modernisierungsmaßnahmen. Von
Beginn an sind alle sieben Einzelschritte parallel zu
betrachten um eine zielgerichtete Verfahrensweise
zu erreichen. Diese ermöglicht eine Begrenzung des
Untersuchungsaufwands, weil sich die Bausubstanz
61
System Bestandsgebäude
gezielt dort intensiver untersuchen lässt, wo Maßnahmen (wie zum Beispiel die Erneuerung oder der
Einbau von Bädern mit entsprechenden Leitungsführungen) geplant sind.
Die sieben Einzelschritte systematischer Gebäudebeurteilung sind:
1.Schritt: Maßliches Erfassen des Baugefüges in Plänen und Fotos
2.Schritt: Klären der vorhandenen Konstruktionen,
Baustoffe und technischen Gebäudeausrüstung
3.Schritt: Erfassen von Schäden und Schwachstellen
nach Art, Grad und Ausmaß
4.Schritt: Klären von Schadensursachen und Wirkungsmechanismen
5.Schritt: Überprüfen und Festlegen von Einzelzielen
baulicher Maßnahmen
6.Schritt: Klären verschiedener, alternativer Baumaßnahmen an Bauelementen
7.Schritt: Kosten-/Nutzenvergleiche mit Kostenberechnungen nach Bauelementen
Im ersten Schritt müssen eventuell vorhandene Bestandspläne beschafft und kritisch überprüft werden.
Sollten keine Bestandspläne vorliegen, ist zu prüfen,
inwieweit sie für die angestrebten Maßnahmen benötigt werden, denn vollständige Neuaufmaße sind
sehr arbeitsaufwändig und bilden deshalb eher die
Ausnahme. Praxisgerechter sind hingegen gezielte
Teilaufmaße an Veränderungspunkten im Gebäude.
Bezüglich der Durchführung des zweiten Schrittes
ist in der Praxis häufig eine unzureichende Durchführung feststellbar. Bei diesem Schritt ist vor allem
darauf zu achten, dass auch vollständig verdeckte
Bauteile maßlich erfasst werden um Fehlplanungen
zu vermeiden. Im heutigen Bestand ist immer mit ungewohnten Konstruktionen zu rechnen. Zur Klärung
vorhandener Konstruktionen und Baustoffe stehen
verschiedene zerstörungsarme Techniken zur Verfügung, wie z.B. die Untersuchung des Wandaufbaus
mittels Bohrkernen. Die Entnahme von Proben zur
Klärung von Konstruktionen und Baustoffen ist genau
zu planen, denn durch die Auswahl einer Untersuchungsstelle kann das Untersuchungsergebnis stark
beeinflusst werden. Hier ist die Erfahrung des Beurteilenden gefragt.
Um den dritten Schritt zielgerichtet durchzuführen,
müssen die typischen Schadensschwerpunkte und
Schwachstellen von Gebäuden sowie die benötigten
Verfahrenstechniken vorab bekannt sein. Aus Art,
62
Grad und Ausmaß der Schäden am Gebäude ergeben sich notwendige bauliche Instandsetzungsmaßnahmen. Auf diese Weise kann die Menge und Priorität der Instandsetzungsmaßnahmen erfasst werden.
Weiterhin können so die Kosten nach BauelementVerfahren abgeschätzt werden. Die Erfassung der
relevanten Daten kann in der Regel auch von nicht
auf Bauschadensfragen spezialisierten Architekten
und Ingenieuren geleistet werden, lediglich zur Ursachenklärung sind Sachverständige eventuell hinzuzuziehen.
Die bereits angesprochene exakte Erklärung von
Schadensursachen und Wirkungsmechanismen
(vierter Schritt) erfordert eventuell die Kompetenz
von Fachleuten, die dann gesondert mit spezifischen
Aufgabenstellungen zu beauftragen sind. Als Beispiel
kann hier die Gebäudedurchfeuchtung als häufiges
und schwieriges Problem bei der Ermittlung von Ursachen und Wirkungsweisen genannt werden.
Die Schritte fünf bis sieben stellen die Verbindung zu
Planungszielen und möglichen Baumaßnahmen her.
Hierbei ist es vor allem wichtig, methodisch die Ebene der Betrachtung der Bauelemente weiterzuführen,
das heißt: Ziele, mögliche Baumaßnahmen und Kosten sind nach Bauelementen getrennt zu ermitteln.
Um die vielfältigen zu erfassenden Kriterien der Beurteilung der verschiedenen Bauelementbereiche zu
erleichtern, ist neben der ausführlichen Fotodokumentation, die Verwendung von Checklisten sinnvoll.
Über die Checklisten ist es möglich, die Vollständigkeit einer Untersuchung zu dokumentieren, denn in
der Praxis stellt die Unvollständigkeit der Bestandsaufnahme eine wesentliche Fehlerquelle dar. (s. Meisel 2005, 82-90)
Die Dokumentation der baulich-technischen Bestandsaufnahme als eine entscheidende Grundlage
für die Planung von Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen wird heute durch den Einsatz
von Softwareprogrammen (z.B. epiQR) erleichtert.
Planungsgutachten
Eine zuverlässige Modernisierungsplanung beginnt
immer mit einem Gutachten über die Ausgangslage des betreffenden Gebäudes. Hierfür müssen die
Mängel, Bindungen und Chancen durch die vorhandene bauliche Struktur, die bestehende Nutzung, die
voraussichtliche soziodemographische Entwicklung
System Bestandsgebäude
und die städtebauliche Lage analysiert werden. Ziel
dieser Analyse ist, die für die Planungsentscheidungen nötigen Daten und Fakten systematisch zusammenzutragen. Vorab sind mit dem Investor mögliche
Entwicklungsziele sowie wirtschaftliche Rahmenbedingungen einzugrenzen um eine Basis für Kosten/Nutzenvergleiche zu schaffen. Die vorgestellten sieben Schritte zur systematischen Gebäudebeurteilung
bilden in diesem Zusammenhang die Grundlage für
die baulich-technische Beurteilung und Entwicklung
des Gebäudes. Ebenso sind Daten zur Einordnung
der Immobilie in den städtebaulichen Kontext zu erheben, da die Lagequalität die Entwicklungsziele wesentlich prägt.
Für Bestands-, Planungs- und Kostengutachten dieser Art ist charakteristisch, dass sie auf der Basis
der Zustandsbeurteilung der Immobilie verschiedene
„Maßnahmenstufen“, „Standards“ und „Entwicklungsszenarien“ erarbeiten. Diese müssen dem Auftraggeber transparent dargestellt werden, denn auf Grundlage dieser systematisch aufbereiteten Unterlagen
kann der Auftraggeber eine Entscheidung treffen. (s.
Meisel 2005, 90 – 91)
3.4.3 Maßnahmenstufen, Standards und Baustufen im Umgang mit Bestandsgebäuden
Im Altbaubereich stehen Architekten und Planer vor
komplexeren Planungsaufgaben als im Neubau. Bei
Neuabauten sind die Anforderungen der Nutzer hinsichtlich heutiger Leitbilder problemlos umzusetzen.
Im Gegensatz hierzu liegt der Ansatz für die Entwicklung eines Bestandsgebäudes immer in den vorhandenen Potentialen, „die Möglichkeiten finden ihre
Grenzen oft nur im Budget des Bauherren“ (Kompetzenzzentrum 2007b, 4), denn die Anforderungen an
den Wohnungsstandard werden im Wesentlichen von
den Wohnbedürfnissen und finanziellen Möglichkeiten
des Bewohners bestimmt. „Mit diesem Hintergrund
muss die Aufgabe für die Entwicklung von Konzepten
für die künftige Nutzung von Baubeständen lauten,
eine breite Palette möglicher Verbesserungsansätze
für verschiedene Gebäudetypen und Baualtersstufen
zu entwickeln, die verschiedene Qualitätsniveaus bieten.“ (s. Lehrstuhl für Wohnbau und Grundlagen des
Entwerfens und Institut für Wohnbau 2006, S.17). Es
erscheint somit sinnvoll, den Altbaubestand als ein
Reservoir an verschiedensten, abgestuften, baulichen
Qualitäten anzusehen, deren Erhaltung bzw. strategische Entwicklung zur Abdeckung differenzierter Woh-
nungsbedürfnisse dient. Deswegen und aufgrund der
bereits erläuterten Methodik eines Planungsgutachtens werden im Folgenden Standards, Maßnahmenstufen sowie „stufenweise Verbesserungskonzepte“
(s. Lehrstuhl für Wohnbau und Grundlagen des Entwerfens und Institut für Wohnbau 2006, 13) vorgestellt.
Standards im Umgang mit Bestandsgebäuden
Verschiedene Bauzustände lassen auf heterogene
Instandsetzungssockel schließen. Darauf aufbauend
können differenzierte Standards für Modernisierungsmaßnahmen gewählt werden. Man unterscheidet in
der Literatur in der Regel zwischen drei Standards:
einfacher Standard, mittlerer Standard sowie hoher
Standard. Diese setzen auf drei Sockelzustände auf:
schlechter Zustand, mittlerer Zustand, guter Zustand
(vgl. Abb. 46). Für den baulichen Gesamtaufwand
einer Modernisierungsmaßnahme resultiert daraus
eine Vielzahl von möglichen Kombinationen, die in
gesamtheitlichen Planungskonzepten ermittelt werden können. Der jeweilige Standard kann den Nutzerund Investorenwünschen entsprechend definiert und
angepasst werden. Solche abgestuften Standards
können ein breites Spektrum von Qualitätskategorien ergeben, die der Liquidität und Investitionsbereitschaft unterschiedlicher Nutzergruppen entspricht. (s.
Finkenbusch 2006, 55)
Maßnahmenstufen im Umgang mit Bestandsgebäuden
Neben der bereits erläuterten Einteilung nach Standards für Modernisierungsmaßnahmen, ist im Altbaubereich weiterhin eine Einteilung in Maßnahmenstufen gängige Praxis und soll im Folgenden thematisiert werden. Inwieweit der Altbau an den modernen
Wohnstandard durch entsprechende Maßnahmen
angepasst wird, entscheidet letztendlich der Nutzer
bzw. der Investor. Die notwendigen Maßnahmen
lassen sich je nach Zielsetzung des Eigentümers in
verschiedene Stufen einteilen. Diese Stufen reichen
von der Instandhaltung und Instandsetzung bis hin
zu Umbaumaßnahmen, Erweiterungen, Anbauten,
kompletten Umnutzungen oder sogar bis zu Rückbau
oder Abriss.
Der Begriff Instandhaltung fasst entsprechend der
Definition der DIN 31051 (Ausgabe Juni 2003) als
Oberbegriff die Bereiche Inspektion, Wartung, Instandsetzung und Verbesserung zusammen. Instandhaltung ist demnach eine Maßnahme zur Bewahrung
63
System Bestandsgebäude
und Wiederherstellung des ursprünglichen bzw. eigentlichen Gebäudezustands (Soll-Zustand) sowie
zur Feststellung und Beurteilung des aktuellen bzw.
tatsächlichen Gebäudezustands (Ist-Zustand). Es ist
wichtig, genau zwischen den einzelnen Begriffen zu
unterscheiden, da z.B. in der Wohnungswirtschaft zwischen den Begriffen Instandhaltung, Instandsetzung
und Modernisierung als Hauptunterteilungsbegriffe
differenziert wird. (s. Kompetenzzentrum 2006a, 2)
Die Instandhaltung bildet die wesentliche Grundlage
jeder Nutzung eines Gebäudes, sie schützt das Gebäude vor Substanzverlust und trägt hierdurch zum
Werterhalt der Immobilie bei. Durch regelmäßige Inspektionen lässt sich die Lebensdauer der einzelnen
Bauteile und somit des gesamten Gebäudes erheblich verlängern. (s. Kompetzenzzentrum 2006d, 6)
Unter dem Begriff Instandsetzung sind diejenigen
baulichen Maßnahmen zu verstehen, „die zur Wiederherstellung des ordnungsgemäßen Zustands und
zur Behebung baulicher Mängel dienen.“(s. ebd. 6)
Die zu behebenden Mängel können dabei durch Abnutzung, Alterung, Unterlassen der regelmäßigen
Instandhaltung oder durch einmalige außergewöhnliche Ereignisse, wie z.B. Sturm- oder Wasserschäden, entstanden sein. Bei der Planung von Instandsetzungsmaßnahmen sollte stets geprüft werden, ob
nicht gleichzeitig weitere in Zusammenhang stehende sinnvolle Baumaßnahmen durchgeführt werden
können (wie z.B. energetische Maßnahmen). Die
Kopplung der ohnehin notwendigen Baumaßnahmen
mit Modernisierungsmaßnahmen führt zu einer Optimierung des Bauablaufs sowie zur Kostensenkung
(vgl. Kapitel 3.4.5). Beispielsweise kann auf die Ausbesserung des Putzes verzichtet werden, wenn ein
Wärmedämmverbundsystem aufgebracht wird. (s.
Kompetenzzentrum 2006d, 6)
Von Modernisierung ist die Rede, wenn die baulichen
Maßnahmen über den reinen Erhalt des ursprünglichen Gebäudezustandes hinausgehen. Modernisierung bezeichnet einerseits Maßnahmen, die eine bewohnergerechte Gestaltung des Gebäudes und des
Umfeldes beinhalten, andererseits bau- und haustechnische Maßnahmen, die nachhaltig zu einer Verringerung des Energie- und Wasserverbrauchs führen.
Zur bewohnergerechten Gestaltung des Gebäudes
gehören Verbesserungen der Wohnungszuschnitte in
Form von z.B. Grundrissveränderungen, Wohnungszusammenlegungen oder -teilungen, die Erneuerung
der Küchen oder Bäder sowie die barrierearmen Nutzungsmöglichkeiten der Wohnung und des Umfeldes. Des Weiteren zählen auch Verbesserungen des
64
Schallschutzes zu den Modernisierungsmaßnahmen.
Die bau- und haustechnischen Maßnahmen werden
auch als energetische Modernisierung bezeichnet. (s.
ebd. 6-7) „Im Gegensatz zur Instandsetzung (Wiederherstellung) sind die Maßnahmen der Modernisierung
nicht zwingend notwendig, sie führen jedoch zu einer
Abb. 46: Modell möglicher Instandsetzungsstufen und Modernisierungsstandards in Abhängigkeit von Baunebenkosten
Abb. 47: Instandhaltung / Modernisierung
System Bestandsgebäude
Steigerung der Wohnqualität und sichern darüber hinaus den langfristigen Werterhalt der Immobilie.“ (s.
Kompetenzzentrum 2006a, 5) In Abbildung 47 sieht
man die Unterschiede zwischen Instandsetzung und
Modernisierung noch einmal bildlich veranschaulicht.
Wenn die bisherige Raumaufteilung unbefriedigend
oder eine Anpassung an moderne Wohnverhältnisse
erforderlich ist, können größere Umbau- oder gegebenenfalls Erweiterungsmaßnahmen in Betracht gezogen werden. Um die Wohnfläche zu erweitern, können
im Rahmen der Umbaumaßnahmen z.B. das bisher
ungenutzte Dach- oder Kellergeschoss als Wohnfläche ausgebaut werden. Reichen die vorhanden Ausbaukapazitäten des Bestandes für die beabsichtigte
künftige Nutzung nicht aus, so kann oft durch einen
Anbau zusätzlicher Wohnraum geschaffen werden.
Der Anbau schafft zum einen neue Wohnfläche und
zum anderen können (z.B. in Form eines Wintergartens) neue Qualitäten entstehen, die den Wohnraum
funktional und atmosphärisch aufwerten. (s. Kompetenzzentrum 2006d, 7)
In der letzten Zeit gab es eine Reihe von Umnutzungen von Bestandsgebäuden. Hierbei wird meist ein
bisher anders genutztes Gebäude zu künftigen Wohnzwecken umgebaut. Umnutzungen betreffen somit eigentlich keine Wohngebäude, sondern vor allem Gebäude der Industrie und Landwirtschaft, welche durch
den Wegbruch von Produktions- und Industriezweigen leer stehen und hinsichtlich einer Wohnnutzung
häufig über besonders interessante Raumqualitäten
verfügen. Bei Umnutzungen sollte stets darauf geachtet werden, dass die Bausubstanz, welche nicht
zu Wohnzwecken errichtet wurde, in einem vertretbaren Rahmen umgebaut werden kann. Eine besonders
umfangreiche Bestandsuntersuchung ist demzufolge
für Umnutzungsplanungen erforderlich. (s. ebd. 7-8)
Als letzte Möglichkeit des Umgangs mit Bestandsgebäuden mittels Maßnahmenstufen existiert der Rückbau und Abriss von Gebäuden. Der Begriff Rückbau
steht für den behutsamen Umgang mit vorhandener
Bausubstanz, die abgebrochen werden muss. Das
typische Anwendungsbeispiel für Rückbau ist der Abbruch von einzelnen Etagen eines mehrgeschossigen
Wohngebäudes. Dies kann eine kostengünstige und
architektonisch wertvolle Modernisierungsmaßnahme darstellen. Deshalb sollte eine Rückbaumaßnahme immer als eine mögliche Variante zum konventionellen Abbruch gesehen werden. Abrissmaßnahmen
kommen im Gegensatz zum Rückbau immer dann
zum Einsatz, wenn der Altbestand auf dem nachzunutzenden Grundstück nicht mehr mit vertretbarem
Aufwand einer Nutzung zugeführt werden kann. (s.
ebd. 8)
Im Rahmen dieser Arbeit, in der der Umgang der
Wohnungswirtschaft mit Energiestandards untersucht
wird, steht die energetische Modernisierung, also die
bau- und haustechnischen Verbesserungsmaßnahmen im Vordergrund, weshalb auf die anderen soeben erläuterten Aspekte im Umgang mit Bestandsgebäuden im weiteren Verlauf der Arbeit nicht mehr
eingegangen wird.
Stufenweise Verbesserungskonzepte
Für die Erneuerung des Wohnungsbestandes sind differenzierte Konzepte für eingegrenzte Erneuerungsziele gefragt um bei begrenzten Mitteln Wohnungen,
Wohngebäude und Wohnanlagen bedarfsgerecht,
kundenorientiert und werthaltig zu erneuern.(s. Institut
für Wohnen und Umwelt 2002, 1) „Für eine zukunftsweisende Modernisierungsstrategie ist entscheidend,
dass die Einzelmaßnahmen aufeinander abgestimmt
sind und als Bausteine in mehreren Schritten durchgeführt werden können.“ (s. Kompetzenzzentrum 2006g,
7) Die durchgreifende „Vollmodernisierung“, Leitvorstellung früherer Sanierungsprogramme, kommt allenfalls bei sehr hohem Instandhaltungsrückstand in
Frage. Der Begriff kennzeichnet die Absicht einen
Wohnungsbestand so aufzurüsten, dass er möglichst
in allen Belangen höchsten Anforderungen gerecht
wird. (s. Institut für Wohnen und Umwelt 2002, 1)
Bei der „Erneuerung in einem Zug“ folgen die vorgesehenen Bauarbeiten einer Erneuerungsmaßnahme
in der technisch und sachlich gebotenen Abfolge unverzüglich aufeinander und werden abschließend fertig gestellt. Aus Gründen der Vermietung oder wegen
fehlender Finanzierungsmittel kann dieses Ziel unter
Umständen auf einen sehr langen Zeitraum aufgeschoben werden. Auch Teilmodernisierungen gelten
als Erneuerung in einem Zug, wenn darauf folgende
Maßnahmen nicht geplant sind.
Dagegen wird bei einer „Erneuerung in Stufen“ die Erneuerungsmaßnahme, Voll- oder Teilmodernisierung,
in ihrem geplanten Umfang aus bestimmten Gründen
in einzelne zeitlich und sachlich begrenzte Maßnahmenbündel (Baustufen) aufgeteilt. Dabei kann es sich
bei einer Stufe um kleinere Teilmaßnahmen („Einzelstufen“) oder auch um größere Maßnahmenbündel
(„Hauptstufen“) handeln. Nach jeder Stufe ist das Ge-
65
System Bestandsgebäude
bäude wieder uneingeschränkt funktionsfähig, wenn
es auch insgesamt keine Neubauqualität hat.
Für die Wohnungsunternehmen gibt es unterschiedliche Gründe ihre Bestände entweder in Stufen oder
in einem Zug zu erneuern. Für die Erneuerung in einem Zug sprechen im Wesentlichen drei Punkte. Der
wichtigste Punkt sind die Mieterinteressen bzw. die
Vermietungsbedingungen vor dem Hintergrund, dass
die Mieter bei einer Modernisierung in einem Zug nur
einmal belästigt werden, denn bei durchgreifenden
Modernisierungsmaßnahmen im bewohnten Zustand
können die Belastungen für die Mieter erheblich sein.
Was für erträglich gehalten wird, hängt stark davon
ab, wie sehr die Mieter an den Maßnahmen interessiert sind. Das zweite entscheidende Kriterium sind
die Kostenvorteile bei der Baudurchführung. Der dritte für die Wohnungsunternehmen bedeutende Grund
ist die wirtschaftliche Vermietbarkeit. Weitere Motive,
wie z.B. die Nachhaltigkeit der Maßnahmen und Mieterwechsel spielen nur eine untergeordnete Rolle. (s.
ebd. 3-5)
Demgegenüber steht eine Reihe von Gründen, die
den Ausschlag für eine Erneuerung in Stufen geben
können. Die Mieterbelange spielen hier ebenfalls die
wichtigste Rolle, denn in einzelnen Wohnungen kann
nicht modernisiert werden, wenn die Mieter den Modernisierungen nicht zustimmen, da Wohnungsunternehmen häufig dem Konflikt mit den Mietern aus dem
Weg gehen.
An zweiter Stelle steht der Kapitalmangel, das heißt,
eine durchgreifende „Voll-“ Modernisierung ist nicht
finanzierbar. Ebenso kann die Dringlichkeit der Maßnahmen ein entscheidendes Kriterium sein. Es kann
vorkommen, dass Erneuerungsmaßnahmen wegen
ihrer Dringlichkeit keinen Aufschub dulden, die erforderlichen finanziellen Mittel aber fehlen um eigentlich
dazu gehörende Maßnahmen gleich mit erledigen zu
können. Sonstige Gründe für eine Erneuerung in Stufen beziehen sich hauptsächlich auf den Umfang und
die Größe der Gesamtmaßnahmen, die eine Stufenerneuerung notwendig machen wie z.B. sehr komplexe Maßnahmen, die den Haushaltsrahmen eines
Jahres des Wohnungsunternehmens sprengen würden. (s. ebd.4-6)
Bei anstehenden größeren Erneuerungsvorhaben
stellt sich die Frage, wie diese in finanziell und personell bewältigbare Abschnitte aufgeteilt werden können, sofern sich nicht aus den obigen Gründen für
eine Vollmodernisierung entschieden wird. Möglich
ist einerseits eine Abfolge von Stufen über den gesamten Bestand oder andererseits eine Abfolge von
66
Vollsanierungen einzelner Wohngebäude. Dabei können die erforderlichen jährlichen finanziellen Aufwendungen im Prinzip gleich hoch veranschlagt werden,
sich der gleiche Arbeitsaufwand für die Mitarbeiter
des Unternehmens ergeben und die Gesamtmaßnahme zum gleichen Zeitpunkt abgeschlossen sein.
Allerdings spricht für eine Vollmodernisierung in Stufen die Auswirkung auf die Mieter in den umliegenden
Wohngebäuden. Durch diese Art der Modernisierung
wird zum einen die Belästigung der Mieter in einem
begrenzten Rahmen gehalten, man lebt neben der
Baustelle und nicht darin, und zum anderen ist zu
bedenken, dass zu Beginn der Erneuerungsmaßnahmen keinesfalls immer alle Mieter mit der Modernisierung einverstanden sind. Durch den punktuellen
Beginn der Erneuerungen kann das Interesse dieser
Mieter geweckt werden. Die Überzeugungsarbeit, die
in der ersten Erneuerungsstufe geleistet wird, zahlt
sich beim Fortschreiten der Maßnahmen aus, da die
Mieter dann das Ergebnis der Erneuerung des ersten
Abschnittes vor Augen haben.
Eine Abfolge von Stufen über den gesamten Bestand
hingegen kann zur Unzufriedenheit unter den Mietern
führen, da die Mieter mehrmals direkt in ihrer Wohnung bzw. an ihrem Gebäude durch Bauarbeiten belästigt werden. Es kann auf Seiten der Mieter schnell
die Beschwerde entstehen: „Warum habt ihr das nicht
gleich mitgemacht?“
Eine sinnvolle Stufe nach technischer und wirtschaftlicher Zweckmäßigkeit kann zum Beispiel die energetische Erneuerung des Hauses sein. Die energetische Modernisierung der Gebäude wird häufig nicht
mit allen Komponenten in einem Zug durchgeführt.
Eine sinnvolle Aufteilung in technisch voneinander
unabhängige Teilstufen kann z.B. folgendermaßen
aussehen:
1. Dämmung der obersten Geschossdecken bzw. des
Daches und der Kellerdecken
2. Dämmung der Außenwände mit einem Wärmedämmverbundsystem und Einbau neuer Fenster mit
Wärmeschutzverglasung
3. Erneuerung der Heizungsanlagentechnik.
Theoretisch sind die Maßnahmen aufgrund ihrer technischen Unabhängigkeit voneinander auch in anderer
Reihenfolge auszuführen. Allerdings ist bei vorgezogenem Einbau einer neuen Heizungsanlage zu berücksichtigen, dass diese auch ohne folgende Wärmedämmmaßnahmen ausreichend leistungsfähig ist.
Es ist also sinnvoll, zuerst die wärmedämmtechnischen Maßnahmen abzuschließen um anschließend
die Heizungstechnik auf diese abzustimmen.
System Bestandsgebäude
Bei Erneuerung ihrer Wohnungsbestände richtet sich
der Blick der Unternehmen auf die Nachhaltigkeit
der Investitionen: Die Wohnungen sollen langfristig mit anderen Angeboten konkurrenzfähig bleiben.
Eine der Optionen bei dieser Perspektive ist die an
Bausubstanz und Marktgegebenheiten angepasste
Erneuerung in Stufen. Die Ausrichtung der Unternehmen auf ein wirtschaftlich optimales Ergebnis ist nicht
ausschließlich als Ausrichtung auf die zahlungsfähige
Nachfrage am Markt zu verstehen: nach ihrem wirtschaftlichen Umfeld als kommunale, genossenschaftliche oder industrieverbundene Unternehmen orientieren sie sich durchaus auch an Zielen, die nicht allein
von der allgemeinen Nachfrage bestimmt und nicht
allein an der Renditemaximierung orientiert sind. So
sehen es kommunale Unternehmen durchaus auch
als ihre Aufgabe an, Wohnungssuchende unterer
Einkommensschichten oder – in Absprache mit der
Kommune – auch Haushalte mit sozialen Problemen
unterzubringen. Die Erneuerung in Stufen kann daher
auch ein Mittel sein um Erneuerungsmaßnahmen auf
ein bestimmtes Nachfragesegment von Haushalten
zuzuschneiden, die auf preiswerte Wohnungen angewiesen sind. (s. ebd. 6-8)
Modelle der Baudurchführung
Neben den vorgestellten Überlegungen der Maßnahmenstufen, Standards und Baustufen bei der Altbaumodernisierung spielen die unterschiedlichen Modelle der Baudurchführung eine entscheidende Rolle für
die Planung der Baumaßnahmen. Es ist für die Festlegung der Art und des Umfanges von Modernisierungsmaßnahmen ein großer Unterschied, ob in leeren oder bewohnten Wohnungen gearbeitet werden
kann. Deswegen haben sich in der Praxis mehrere
unterschiedliche Modelle der Baudurchführung etabliert. Alle Modelle haben gemeinsam, dass die vorhandenen Mieter, sofern sie für die Modernisierung ausziehen müssen, nach der Modernisierung die Chance
erhalten, in ihre Wohnung oder zumindest in ihr Gebäude zurückzukehren. Dies ist eine Grundforderung
sozialverträglichen Modernisierens. Im Wesentlichen
gibt es drei gängige Modelle der Baudurchführung
von Modernisierungsmaßnahmen.
1. Durchführung der Modernisierung in bewohnten Wohnungen. Im Rahmen dieses Modells
entstehen starke Einschränkungen im möglichen und zumutbaren Maßnahmenvolumen
aufgrund der Anwesenheit der Mieter. Diese
Form der Baudurchführung stellt bei umfang-
reicheren Modernisierungsmaßnahmen die
ungünstigste Variante gegenüber dem ungehinderten Arbeiten in leeren Wohnungen und
Gebäuden dar.
2. Getaktete Modernisierung: Bei der getakteten Modernisierung werden alle übereinander liegenden Wohnungen innerhalb eines
Gebäudes „freigezogen“, so dass innerhalb
dieser Wohnungen eine „ungestörte“ Modernisierung stattfinden kann. Bei dieser Methodik können auch die Installationsstränge des
Gebäudes erneuert werden. Entscheidend für
das Vorgehen bei dieser Modernisierungsvariante ist das Vorhandensein von genügend
Ersatz- bzw. Ausweichwohnraums. Nach der
Modernisierung ziehen Mieter in die fertig modernisierten Wohnungen und machen so wieder den nächsten Modernisierungstrakt frei.
3. Freiziehen: Bei sehr umfangreichen Modernisierungsmaßnahmen bleibt häufig nur die
Möglichkeit des „Freiziehens“ des gesamten
Gebäudes um die Maßnahmen durchführen
zu können. Benötigt wird bei dieser Methodik
ein relativ großes Potential an Ersatzwohnraum in anderen Gebäuden. Die Mieter verlassen entweder nur vorübergehend, also für
die Dauer der Modernisierung, oder endgültig
ihre ursprüngliche Wohnung.
In der Praxis wird häufig auch eine frei werdende
Wohnung im Gebäude individuell modernisiert. Dies
kann zu erheblichen Problemen zukünftiger Modernisierungsplanungen führen, denn wohnungsübergreifende Maßnahmen, wie zum Beispiel Ver- und
Entsorgungsleitungen der Haustechnikinstallation
oder Optimierungen von Wohnungsgrößen und -zuschnitten, können nicht realisiert werden. Innerhalb
des Gebäudes entstehen unterschiedlichste Zustände und es werden verschiedene Produkte zeitversetzt
eingebaut. Bei einer zukunftsfähigen Entwicklung der
Wohnungsbestände lassen sich die verschiedenen
Bauzustände zumeist nicht in einer sinnvollen Gesamtkonzeption zusammenführen, so dass in der Regel ein Verlust der vorher getätigten Bauinvestitionen
entsteht.
Die Überlegungen der Durchführungsmodelle müssen bereits beim ersten Herangehen an die Gebäude
in der Bestandsaufnahme-Phase eine Rolle spielen.
Sie geben einen Teil der technischen Kriterien bereits
bei der Prüfung der vorhandenen Bausubstanz vor,
da diese Prüfung unter Einbeziehung des Modells
der Baudurchführung und von deren Einzelschritten
67
System Bestandsgebäude
erfolgen muss. In diesem Zusammenhang ist eine
rechtzeitige und ausführliche Information der Mieter
wichtig, bei der das Wohnungsunternehmen, die Architekten und Ingenieure ihre Konzepte vorstellen um
so mögliche Mieterwünsche berücksichtigen zu können. (s. Meisel 2005, 104-105)
3.4.4 Heutige Anforderungen an die
Entwicklung von Bestandsgebäuden
Im Altbaubereich genügt ein Großteil der bestehenden Gebäude nicht mehr oder nur unzureichend den
zeitgemäßen Wohnvorstellungen (vgl. Kapitel 2.4).
Der Wohnungsbestand muss heute an die spezifischen Lebensumstände seiner sich differenzierenden
Nutzer sowie an geltende technische Standards angepasst werden. Um diesen differenzierten Anforderungen sozialverträglich, bautechnisch, wirtschaftlich
und gestalterisch qualitativ gerecht zu werden, müssen diese Komponenten zu einer strategischen Bestandsentwicklung zusammengefasst werden. Durch
die strategische Modernisierung der Wohnungsbestände soll in erster Linie die Wohn- und Lebensqualität der Bewohner gesteigert werden. Die Anforderungen an den Wohnstandort sind dabei im Wesentlichen
von individuellen Wohnbedürfnissen und finanziellen
Möglichkeiten der Bewohner bzw. der Zielgruppe der
Investoren bestimmt.
Als nicht mehr zeitgemäß gelten verschachtelte
Grundrisse, kleine Fensteröffnungen bzw. schlecht
belichtete Räume, überalterte Küchen und Sanitärausstattungen, überholte haustechnische Anlagen
sowie veraltete Elektroinstallationen. Diese sind insbesondere geprägt durch zu wenige Steckdosen für
die Vielzahl, der heute üblichen technischen Geräte.
Die zeitgemäßen Wohnvorstellungen (vgl. Kapitel 2.4)
orientieren sich in der Regel an aktuellen Neubauten.
Diese qualitativen Ansprüche sind jedoch im Rahmen
einer Altbaumodernisierung und aufgrund der damit
verbundenen hohen Investitionskosten, nicht immer
bzw. nicht in der Breite des Bestandes umzusetzen.
Es bestehen bereits eine Vielzahl von gegebenen Bedingungen, welche bei der Modernisierungsplanung
berücksichtigt werden müssen.
Die Energieeffizienz und die Energie- und Ressourceneinsparung bilden ein wichtiges Leitthema für
die energetische Modernisierung, vor allem vor dem
Hintergrund, dass der Großteil der Gebäude in einer
Zeit errichtet wurde, in der baulicher Wärmeschutz
sowie energiesparender Anlagentechnik wenig Auf68
merksamkeit entgegengebracht wurde (vgl. Kapitel
3.6). Der Bestand besitzt somit auf diesem Sektor ein
enormes Potential, die Effekte der Energieeinsparung
sind hier in der Summe deutlich höher als im Neubausektor. Die energetische Modernisierung des Gebäudebestandes kann einen erheblichen Beitrag für
die Umwelt - im Sinne der Nachhaltigkeit - leisten. (s.
Kompetzenzzentrum 2006g, 6). Zusätzlich trägt eine
energetische Modernisierung neben ökologischen
und wirtschaftlichen Gesichtspunkten auch unmittelbar zur Verbesserung des Raum- und Wohnklimas
bei und erhöht damit die Wohnqualität (s. Kompetzenzzentrum 2007b, 2). Neben der Weiterentwicklung
des Bestandes in energetischer und wohnqualitativer
Sicht gilt es zunächst den vorhandenen Gebäudebestand im Sinne der Nachhaltigkeit zu erhalten. Dabei
werden Ressourcen geschont sowie die Flächeninanspruchnahme für die Ausweisung neuer Baugebiete
deutlich reduziert. Dies trägt wiederum zur Erhaltung
des Landschafts- und Stadtbildes, zum sparsamen
Umgang mit Grund und Boden, zur Verminderung
des Ressourcenverbrauchs und Umweltbeeinträchtigungen sowie zu einem rationellen Einsatz von Energie bei. (s. Kompetzenzzentrum 2006d, 5)
3.4.5 Erneuerung von Bauteilen und Bauteilschichten (Lebenszyklusbetrachtung)
Die Lebenszyklusbetrachtung von Bauteilen und Bauteilschichten das Kopplungsprinzip spielen für den
richtigen Zeitpunkt einer Modernisierung bzw. einer
energetischen Modernisierung eine entscheidende
Rolle und sollen deshalb im Folgenden näher vorgestellt werden.
Das Kopplungsprinzip
Die Kopplung wärmetechnischer Sanierungsmaßnahmen an ohnehin anstehende Instandsetzungs-,
Erneuerungs- oder Modernisierungsmaßnahmen ist
von zentraler Bedeutung für den zu betreibenden
Aufwand energetischer Maßnahmen und die damit
verbundenen Kosten. Insbesondere im Hinblick auf
den hohen Instandsetzungsbedarf der größten Baualtersklassengruppe des deutschen Gebäudebestandes ist es ratsam das Kopplungsprinzip bei Instandsetzungsmaßnahmen anzuwenden. Es kommt darauf
an, die günstigen Zeitpunkte, an denen ohnehin baulicher Aufwand entsteht, für die zusätzliche Anbringung eines optimalen Wärmeschutzes zu nutzen.
Bisher wurden diese Modernisierungszeitpunkte nur
System Bestandsgebäude
selten, trotz bestehender Förderprogramme, genutzt.
Dabei ermöglicht die Maßnahmenkopplung eine
Kostenreduktion für die eigentliche Maßnahme, z.B.
eine zusätzliche Dämmung, denn einige Positionen
fallen bei der Gebäudeinstandsetzung ohnehin an
und andere können sogar entfallen. Auf eine anstehende Erneuerung des Außenputzes mit Abschlagen
des alten Putzes kann z.B. verzichtet werden, wenn
stattdessen ein Wärmedämmverbundsystem auf den
bestehenden Putz aufgebracht wird. Von den Gesamtinvestitionen ist so ein Großteil der Kosten der Instandsetzung und nicht der Dämmung zuzuordnen.
(s. Ebel 2000, 39) Abbildung 48 verdeutlicht dieses
Prinzip am Beispiel der Kosten der einzelnen Arbeitsschritte für ein Wärmedämmverbundsystem in Bezug
zu den Instandhaltungskosten. Weiterhin verdeutlicht
diese Abbildung, dass eine größere Dämmstärke gegenüber einer geringeren nur einen recht geringen
Kostenmehraufwand bedeutet. In Abbildung 49 sind
einige Maßnahmen zusammengestellt, die sich für
die Kombination von Wärmeschutz und Instandsetzungs- oder Modernisierungsmaßnahmen im Gebäudebestand anbieten. Abschließend bleibt festzuhalten, dass „der richtige Zeitpunkt für energiesparende
Maßnahmen spätestens dann gekommen ist, wenn
im Laufe der Nutzung eines Gebäudes ohnehin Baumaßnahmen erforderlich werden.“ (Kompetenzzentrum 2007b, 2) Aufgrund dieser Tatsache, soll in einem nächsten Schritt die Lebensdauer von Bauteilen
näher betrachtet werden.
Lebensdauer von Bauteilen und Bauteilschichten
Die Lebensdauer eines Hauses ist abhängig vom Umgang (Instandhaltung, Modernisierung) der Nutzer und
Eigentümer mit dem Gebäude sowie von den spezifischen Bauteileigenschaften, der Ausführungsqualität
und der konkreten Beanspruchung. Die Lebensdauer
kann nicht pauschal beurteilt werden, sondern bezieht sich in erster Linie auf die Lebenserwartung einzelner Konstruktionen und Bauteile eines Gebäudes,
die innerhalb von bestimmten Zeitabständen erneuert
werden müssen. Die zu erwartende Restlebensdauer von Bauteilen bzw. Bauteilschichten im Bestand
sind im Allgemeinen nur als grobe Schätzwerte anzusetzen, denn sofern regelmäßige Inspektionen und
Instandsetzungen durchgeführt wurden, kann eine
Abb. 48: Kosten der einzelnen Arbeitsschritte für ein WDVS an einem Mehrfamilienhaus
69
System Bestandsgebäude
Abb. 49: Kopplungszeitpunkte für Wärmeschutzmaßnahmen
höhere Lebensdauer angenommen werden, als bei
unkontrollierten Bauteilen. Die Lebenserwartung wird
deshalb mit „Von-bis-Werten“ angegeben. Für die Bewertung kann die mittlere Lebenserwartung als Orientierung angesetzt werden.
Derzeit ist eine Abschätzung der Lebensdauer, der
im Bestand vorhandenen Bauprodukte nur möglich,
indem von der möglichen Lebensdauer eines neu
hergestellten Bauteils ausgegangen wird und die jeweiligen lebensdauermindernden Beeinflussungen,
wie z.B. mechanische Beanspruchungen, bauphysikalische und chemische Prozesse sowie Beanspruchungen aus Umwelteinflüssen, abgezogen werden.
Eine subjektive Bewertung, ob durch einen Laien
oder einen Fachmann, kann dabei nicht vollständig
vermieden werden. (s. Kompetenzzentrum 2006a,
7) „Im Normalfall verschleißen die Außenbauteile
und die Bauteile des Innenausbaus zuerst, und übrig
bleibt der Rohbau, wenn keine ständige Instandhaltung erfolgt.“ (Meisel 2005, 24). Folgende Erneuerungsintervalle können für bestimmte Bauteile ausgemacht werden. Eine detaillierte Auflistung findet sich
im Info-Blatt Nr. 4.2 „Lebensdauer von Bauteilen und
Bauteilschichten“ des Kompetenzzentrums, welches
zum Download zur Verfügung steht.
„Nach 5 – 15 Jahren sollten
- Tapeten und Anstriche innen
- textile Fußbodenbeläge
- Elektro-Warmwasserbereiter
- Außenanstriche an Fassaden und Fenstern
- Abdichtungen von Flachdächern
erneuert werden.
70
Innerhalb der Zeitspanne von 15 – 30 Jahren sollten
- Dachrinnen
- Dachanschlüsse aus Zinkblech
- Plattenverkleidungen außen
- Verglasungen außen
- Kunststoff-Bodenbeläge innen
- Fugenabdichtung von Außenbauteilen
- Heizkessel und -thermen sowie Heizkörper
- elektronische Regeleinrichtungen
- und Bauteile der 1. Erneuerungsgruppe
zum zweiten Mal ausgetauscht werden.
Nach 30 – 50 Jahren sollten dann
- Dacheindeckungen und Dachanschlüsse
- Kaminköpfe über Dach
- Fenster und Außentüren
- Außenwandputz und -bekleidungen
- Teile des Wand- und Deckenputzes innen
- Sanitärleitungsnetz für Bäder und Küchen
- Ausstattung von Bädern und Küchen
- Elektroinstallationsnetz mit Dosen und
Schaltern
- Rohrnetz der Heizungsanlage
- Bauteile der 1. Erneuerungsgruppe zum
dritten Mal und
- Bauteile der 2. Erneuerungsgruppe zum
zweiten Mal
erneuert werden.“ (Meisel 2005, 25)
Summiert man nun die Bauteile, die nach etwa fünfzig Jahren erneuert sind, fallen damit etwa 60-70 %
des finanziellen Aufwands an, der für den ehemaligen Neubau bereits aufgebracht werden musste. Ist
keine regelmäßige Bauunterhaltung erfolgt und tre-
System Bestandsgebäude
Abb. 50: Lebenszyklus eines Gebäudes
ten umfangreiche Bauschäden auf, können auch die
Kosten eines vergleichbaren Neubaus anfallen. Als
besonders problematisch haben sich beispielsweise
auftretende Feuchteschäden, welche die konstruktiven Bauteile beeinträchtigen und deren Behebung
die Kosten der Baumaßnahme deutlich in die Höhe
treiben, herausgestellt.
Weiterhin ist bei der Konzeptfindung für die Weiterentwicklung von Wohngebäuden verschiedener Altersstufen die Tatsache zu berücksichtigen, dass in
vielen Bereichen die ursprünglichen Bauteile und
Ausstattungselemente nicht mehr vorhanden, sondern in Teilen bereits ersetzt sind. Durch umfassende
Modernisierungsmaßnahmen wurden die originalen
Bauelemente häufig verfremdet und ohne Gesamtkonzept eingebaut und entsprechen daher den heutigen Anforderungen nicht mehr. (s. Meisel 2005, 25
- 27)
Phasen (während) der Lebensdauer eines Gebäudes
Abb. 51: Lebenszykluskosten eines EFH errichtet nach EnEV
Abb. 52: Gesamtenergieaufwand für Wohngebäude
Die Lebensdauer der Bauteile ist von entscheidender
Bedeutung für eine ökonomische und ökologische
Bewertung von Konstruktionsvarianten für Gebäude
über ihren Lebenszyklus. Ein aussagefähiger Kostenvergleich von Lösungsvarianten ist nur möglich, wenn
Baukosten und Lebensdauer zueinander in Bezug gesetzt werden. (s. Kompetzenzzentrum 2006c, 2) Der
Lebenszyklus eines Gebäudes lässt sich in folgende
einzelne Lebenszyklusphasen einteilen: Planungsphase, Errichtungsphase, Nutzungs- und Betriebsphase, Instandhaltungs- und Modernisierungsphase,
Umnutzungs-/Weiternutzungsphase, Rückbau und
Wiederverwendung sowie Recyclingphase. (vgl. Abb.
50) „Die Lebenszyklusbetrachtung bietet die Chance,
die Aufwendungen über die gesamte Lebensdauer
eines Gebäudes - seien sie ökonomischer oder ökologischer Natur - auf der Grundlage einer fundierten
Planung zu minimieren und gleichzeitig die Nutzungsqualität zu sichern.“ (Kompetzenzzentrum 2006b, 2)
Erforderliche höhere Planungs- und Errichtungskosten lassen sich in der Regel – insbesondere durch
Einsparungen bei den Nutzungskosten – refinanzieren, so dass insgesamt eine Senkung der Lebenszykluskosten möglich wird.
Die Betriebskosten bilden in der Regel den variabelsten Anteil und machen mit Abstand den größten
Kostenanteil aus, wie auch die Abbildung der „Kostenverteilung eines Einfamilienhauses errichtet nach
Energieeinsparverordnung“ belegt (vgl. Abb. 51). Da
71
System Bestandsgebäude
die einzelnen Lebenszykluskosten stark von den zukünftigen Preisentwicklungen am Arbeits- und Rohstoffmarkt sowie der Energiepreisentwicklung (vgl.
Kapitel 3.1) beeinflusst werden, sind diese sowohl
bei der Lebenszyklusbetrachtung im Rahmen des
Entwurfes als auch bei Modernisierungsmaßnahmen
sinnvoll zu berücksichtigen. (s. ebd. 2 - 4)
Innerhalb der ganzheitlichen Lebenszyklusbetrachtung werden die drei Aspekte der Nachhaltigkeit, also
ökonomische, ökologische und soziokulturelle Aspekte berücksichtigt.
Die ökonomische Dimension umfasst im Groben die
Minimierung der Lebenszykluskosten von Gebäuden
(vgl. Abb 51), die Reduzierung von Umbau- und Erhaltungsinvestitionen im Vergleich zum Neubau sowie die Optimierung der Aufwendungen für technische und soziale Infrastruktur.
Die ökologische Dimension beschäftigt sich mit der
Suche nach der Antwort für die globalen Probleme
der begrenzten energetischen Ressourcen, insbesondere von fossilen Energieträgern, und die daraus
resultierende Steigerung der Energiekosten sowie mit
dem Klimawandel, der durch Umweltbelastungen verursacht wird.
Die soziokulturellen Aspekte des Lebenszyklus von
Gebäuden sind selten quantifizierbar, beeinflussen
aber die funktionelle Dauerhaftigkeit eines Gebäudes. Die Gesamtlebensdauer eines Gebäudes wird
stark von seiner flexiblen Nutzbarkeit bestimmt. (s.
ebd. 3 - 4)
Mit der Verknappung der fossilen Ressourcen (vgl.
Kapitel 3.1) ist ein langfristiger Preisanstieg für die
derzeit wichtigsten Energieträger Gas, Öl sowie indirekt auch Strom verbunden. „Die Minimierung des Energieverbrauchs wird somit zu einem zentralen Anliegen der Gebäudeplanung, nicht nur aus ökologischen,
sondern auch aus ökonomischen Gründen.“ (s. ebd.
8) Bislang war es nicht nötig den Energieaufwand der
verbauten Energie aufgrund seines geringen Anteils
zu berücksichtigen. „Je weiter jedoch der Heizenergiebedarf durch zusätzliche Maßnahmen – wie z.B.
einen verbesserten baulichen Wärmeschutz und eine
effiziente Energieversorgung – gesenkt werden kann,
umso sinnvoller wird zukünftig eine energetische Bewertung unter Einbeziehung der Erstellungsphase.“
(vgl. Abb. 52) (s. ebd.9)
72
3.5 Potentiale der Energieeinsparung im Wohngebäudebestand
Hohe Energieeinsparpotentiale innerhalb der wohnungswirtschaftlichen Bestände
Nachdem im vorherigen Abschnitt Umgangsmöglichkeiten mit Bestandsgebäuden erörtert wurden, sollen
innerhalb dieses Kapitels die Potentiale der Energieeinsparung im Wohngebäudebestand kurz erläutert
werden. Hierzu wird zunächst der Endenergieverbrauch nach Verbrauchssektoren betrachtet um danach näher auf das energetische Niveau von Gebäuden sowie die wohnungswirtschaftlichen Bestände
und deren Entwicklungschancen einzugehen.
Abb. 53: Aufteilung des Endenergieverbrauchs auf Verbrauchssektoren
in Deutschland 1990 - 2004
3.5.1 Endenergieverbrauch der Verbrauchssektoren
Die Umweltproblematik der gegenwärtigen Zeit, welche im Zusammenhang mit der Umwandlung und dem
Verbrauch von Energie steht, führt zunehmend zu einer internationalen Diskussion um Maßnahmen zur
Bewältigung der damit verbundenen Anforderungen.
Diese Bestrebungen führten in der Vergangenheit zu
internationalen Vereinbarungen wie z.B. dem „White
Paper“ der Europäischen Kommission oder den Beschlüssen von Kyoto der Vereinten Nationen, welche
nicht zuletzt auch für Deutschland einen zukünftigen
Handlungsbedarf definieren und sich in nationalen
Gesetzen wie z.B. der Energieeinsparverordnung
niederschlagen (vgl. Kapitel 3.6).
Zentrale Ansatzpunkte zur Bewältigung obiger Problematiken sind die Steigerung der Energieeffizienz,
und allgemeiner, die Entwicklung von nachhaltigen
Energie- und Gesellschaftssystemen. Einen wesentlichen Bereich für den Einsatz von innovativen, energieeffizienten Technologien, stellt in diesem Sinne der
Gebäudesektor dar (vgl. Abb.53). In der Abbildung 54
wird deutlich, dass der Gebäudesektor mit 43,8 % den
73
Potentiale der Energieeinsparung im Wohngebäudebestand
größten Endenergieverbrauch aller Verbrauchssektoren aufweist. Der wesentliche Anteil der Endenergie
wird im Gebäudesektor für Raumheizwärme (75, 4
%) sowie Warmwassererzeugung (15,9 %) benötigt.
Diese Beobachtungen unterstreichen die wesentliche
Bedeutung des Gebäudesektors und des Gebäudebestandes, wenn es um das Thema „Energieeinsparung“ geht. (s. Biermayr 2001, 5)
3.5.2 Energetisches Niveau von Gebäuden
Etwa drei Viertel der Wohngebäude in Deutschland
wurden vor 1978 errichtet (vgl. Abb. 38) und entsprechen damit – sofern sie nicht zwischenzeitlich modernisiert wurden – bei weitem nicht mehr den Anforderungen an einen zeitgemäßen Wohnkomfort. Unter
energetischen Gesichtspunkten sind aber auch die
Gebäude, die vor Einführung des gesetzlichen Energiestandards (EnEV) oder nicht nach einem freiwilligen Energiestandard (vgl. Kapitel 3.6) errichtet
wurden, als „Altbauten“ zu betrachten. Diese „Altbauten“ weisen ein beträchtliches Potential zur Energieeinsparung im Gebäudebestand auf (vgl. Abb. 54).
In Abbildung 54 wird die energetische Situation von
Wohngebäuden mit der Darstellung des spezifischen
Heizwärmebedarfs verdeutlicht. Hierbei fällt auf,
dass der spezifische Heizwärmebedarf der Gebäude
bis etwa 1968 Werte über 200 kWh/(m²a) erreichen
kann. Diese Werte variieren je nach Gebäudetyp zwischen 150 kWh/(m²a) für große Mehrfamilienhäuser
und 350 kWh/(m²a) für kleine Einfamilienhäuser. Der
mittlere spezifische Heizwärmebedarf liegt bei 230
– 270 (kWh/(m²a). (s. Kompetzenzzentrum 2007b, 23) Wesentliche Grundlagen für die Entwicklung des
spezifischen Heizwärmebedarfs sind dem Abschnitt
3.6.1 „Genese der Energiestandards“ zu entnehmen. Die ab 1968 für den Neubau eingeführte Wärmeschutzverordnung und deren Weiterentwicklung
haben zu einem deutlich verminderten spezifischen
Heizwärmebedarf geführt, von ca. 170 (kWh/(m²a)
nach Einführung der ersten Wärmeschutzverordnung
im Jahre 1977 bis auf ca. 70 (kWh/(m²a) nach Einführung der EnEV 2002. Der sich im Neubau bereits
etablierte freiwillige Standard des Passivhauses führt
zu einer Heizwärmebedarfsverminderung auf unter
15 (kWh/(m²a). Das technische Einsparpotential für
Heizwärme im Gebäudebestand beträgt somit 80 - 90
%, da es auch im Bestand möglich ist Niedrigenergiesowie Passivhausstandard zu erreichen (vgl. Kapitel
3.6 und 3.7).
74
Abb. 54: Heizwärmebedarf des Wohngebäudesbestandes einer Großstadt
3.5.3 Energieeinsparpotentiale innerhalb
der wohnungswirtschaftlichen Bestände
Wie im Abschnitt „Aufgabenfeld Planen und Bauen im
Bestand“ (3.4.2) vorgestellt, haben die Wohnungsunternehmen innerhalb der letzten Jahre ihr Augenmerk
auf die Bestandsentwicklung ausgerichtet. Auch in
energetischer Hinsicht haben sich die Bestände verbessert. „Seit 1990 wurden bei den im GdW und seinen Mitgliedsverbänden organisierten Wohnungsunternehmen ca. 27 % der bewirtschafteten Wohnungen
umfassend energetisch modernisiert, bei weiteren ca.
24 % der Wohnungen fanden partielle Maßnahmen
statt. Jede zweite Wohnung der GdW-Mitgliedsunternehmen wurde somit seit 1990 in ihrer Energieeffizienz deutlich verbessert.“ (GdW 2006, 12) Der Endenergieverbrauch wurde um 14 % reduziert und somit
auch der CO2-Ausstoß, so dass die vom GdW vertretenen Wohnungsunternehmen das Kyoto-Ziel (vgl.
Kapitel 3.2) bereits jetzt erfüllen.
Nach einer groben Schätzung, der noch zu erschließenden Energiesparpotentiale ergab sich, dass allein
durch nachträgliche Wärmedämmung und verbesserte Fenster der Energieverbrauch in den nächsten 20
bis 30 Jahren um etwa 40 % reduziert werden könne. Werden bei dieser Schätzung noch die Potentiale durch Heizanlagensanierungen und Solarenergie
miteinbezogen, so ist eine Reduktion von 50 % und
mehr möglich. (s. Umweltbundesamt; GdW Bundesverband deutscher Wohnungsunternehmen e.V.
2003, 9) In einer Studie des IWU wird sogar von einer Heizwärmebedarfseinsparung von 65 - 80 % im
Bestand der Wohnungsunternehmen ausgegangen
(s. IWU 2001b, 41).
Abschließend kann man also festhalten, dass bereits
ein Teil der Bestände energetisch modernisiert wurde
und aufgrund der Langlebigkeit bautechnischer Maß-
Potentiale der Energieeinsparung im Wohngebäudebestand
nahmen innerhalb der nächsten 20-30 Jahre wahrscheinlich nicht mehr energetisch modernisiert wird.
Der Bestand der Wohnungsunternehmen bietet aber
immer noch ein enormes Energieeinsparpotenzial.
Um den Energiebedarf nachhaltig zu senken, reicht
es nicht aus, energetische Modernisierungen an den
derzeitig gesetzlichen Anforderungen auszurichten.
Der Energiestandard ist vielmehr unter wirtschaftlichen, ökologischen, sozialen und nachhaltigen Gesichtspunkten abzuwägen.
3.5.4 Primärenergie- und Emissionsbilanz von Wärmeschutzmaßnahmen
Im Wesentlichen kann der gesamte Primärenergieeinsatz, während der Lebensdauer eines Gebäudes,
den drei Phasen „Errichtung“, „Nutzung“ und „Abriss“
zugeordnet werden (vgl. Abschnitt 3.4.5). Bislang
werden für Raumheizung, Warmwasser sowie Licht
und Kraft während der Nutzungsphase über 90 %
des gesamten Energieeinsatzes aufgewendet. Dieser
Energieeinsatz kann durch Maßnahmen des Wärmeschutzes (vgl. Kapitel 3.6 und 3.7) deutlich reduziert
werden, so dass die Herstellungs- und die Abrissphase an Bedeutung gewinnen.
Bisher umfasst der Energieeinsatz bei der Herstellung lediglich einen Anteil von maximal 5 % und setzt
sich im Wesentlichen aus dem Energieverbrauch für
die Fertigung der Baustoffe, deren Transport zur Baustelle und ihre Verarbeitung vor Ort zusammen.
Der Anteil des Primärenergieeinsatzes für den Abriss eines Gebäudes beträgt etwa 4 bis 6 % des Gesamtaufwandes. Einsparpotentiale bestehen in diesem Bereich vor allem durch die Wiederverwendung
des Bauschutts. Im Straßenbau können bis zu 70 %
des anfallenden Abbruchmaterials wiederverwertet
werden, dagegen liegt die Recyclingrate im Hochbau
mit etwa 40 % wesentlich niedriger. Anzustreben ist
hier ein weitgehend geschlossener Stoffkreislauf, bei
dem aufgearbeitete Altbaustoffe die Primärbaustoffe
ersetzen. Dies wird derzeit vor allem durch die Heterogenität des Bauschutts erschwert. Eine Trennung
der Baustoffe nach Materialgruppen muss deshalb
schon bei der Herstellung der Stoffe berücksichtigt
werden. (s. Ebel 2000, 59)
Primärenergie- und Emissionsbilanz
Wandkonstruktionen
von
An dieser Stelle soll nun die Primärenergie- und
Emissionsbilanz von Wandkonstruktionen verglichen
werden, um zu prüfen, ob die Dämmung der Wände
zu einer Verbesserung oder Verschlechterung der Bilanzen führt.
Der Primärenergiebedarf zur Herstellung von Baustoffen wird über eine Prozesskette bestimmt, die im
Wesentlichen drei Schritte umfasst:
− den direkten Energiebedarf beim Herstellungsprozess
− den Energiebedarf zur Aufbereitung der benötigten Rohstoffe
− den indirekten Energiebedarf, z.B. für Gebäudeheizung oder die Herstellung der Maschinen
Der so bestimmte „Primärenergiegehalt“ der Materialien darf nicht für sich allein beurteilt werden, sondern
muss im Zusammenhang mit der benötigten Menge,
der Lebensdauer des daraus hergestellten Bauteils,
damit verbundener Heizenergieeinsparungen und
weiterer Faktoren gesehen werden. In Abbildung 55
ist aus diesem Grund der kumulierte Primärenergieaufwand für verschiedene Wandkonstruktionen gegenübergestellt. Im linken Teil der Abbildung wird der
gesamte Primärenergieaufwand für die Herstellung
der Wand mit dem Heizenergiebedarf verglichen. Es
ist zu erkennen, dass der Anteil des Primärenergieaufwands der Wandherstellung von 4 % bei der schlechtesten Dämmung (Typ G) bis auf knapp 17 % bei der
besten Dämmung (Typ A) ansteigt. Selbst bei den gut
gedämmten Typen A bis C ist der Heizenergieaufwand also um mehr als das Fünffache höher als der
Primärenergieaufwand für die Herstellung der Wand.
Im rechten Teil der Abbildung werden die einzelnen
Bestandteile der Wand miteinander verglichen. Daraus wird ersichtlich, dass der Anteil der Dämmung am
Energieaufwand der Herstellung der ganzen Wand
maximal 21 % beträgt. Die Abbildung 56 gibt einen
Überblick über die untersuchten Konstruktionen bzw.
Wandaufbauten.
Trotz der Unsicherheiten solcher Untersuchungen
kann eindeutig festgehalten werden, dass gedämmte Wände eine entscheidende Verbesserung der
Primärenergiebilanz bewirken und dass der Primärenergieaufwand für die Dämmstoffe vergleichsweise
unbedeutend ist.
Auf Grundlage dieser Untersuchungen wurde anhand
eines Sanierungsbeispiels die optimale Dämmstoffstärke hinsichtlich des Primärenergieeinsatzes untersucht. Diese Untersuchungen ergaben, dass erst
bei einer Mineralfaserdämmung von etwa 80 cm der
Primärenergieaufwand für die Wand den Heizenergiebedarf übersteigt. Bei Polystyrol liegt dieser Wert
bei ca. 45 cm. Analoge Überlegungen wurden für die
75
Potentiale der Energieeinsparung im Wohngebäudebestand
Emissionen von Schwefeldioxid (S02) und Stickoxide (NOx) angestellt und führten zu dem Ergebnis,
dass erst Dämmschichtdicken von mehr als 70 cm zu
Schadstoffemissionen führen, die mit denen aus dem
Betrieb der Heizungsanlage vergleichbar sind. Das
ökologisch sinnvolle Optimum von Dämmstoffstärken
liegt also deutlich über den heutigen Dämmstandards.
(s. Ebel 2000, 59 - 61)
Die energetischen Amortisationsrechnungen in Fachinformationszentrum Karlsruhe 2004 sind ein weiterer
Beleg für diese Annahmen. Die Berechnungen zeigen, dass es maximal 23 Monate dauert bis die Herstellungsenergie für die Dämmstoffe wieder zurückgewonnen ist (s. Fachinformationszentrum Karlsruhe
2004, 15 - 19). Es liegen bei den unterschiedlichen
Dämmstoffen hinsichtlich ihres Primärenergieeinsatzes zur Herstellung sowie ihrer Lebensdauer sehr
deutliche Unterschiede vor, wodurch der Dämmstoffwahl aus ökologischer Sicht eine große Bedeutung
zukommt.
Abschließend lässt sich also festhalten, dass sich
Dämmen aus ökologischen Gesichtspunkten immer
lohnt. Um eine optimale Ökologie zu erreichen, sollte
allerdings gezielt auf die unterschiedlichen Dämmstoffeigenschaften geachtet werden.
3.5.5 Denkmalschutz und optische Aspekte bei energetischen Modernisierungen
Abb. 55: Gegenüberstellung des Primärenergieaufwandes verschiedener Wandkonstruktionen und dem jeweiligen Heizenergiebedarf (Wandtypen s. Abb. 56)
Abb. 56: Kumulierter Primärenergieaufwand für Häuser mit verschiedenen Außenwänden
76
Sachlich-bautechnische Restriktionen betreffen in
der Regel nicht die Gesamtheit der möglichen Wärmeschutzmaßnahmen an einem Gebäude und auch
nicht alle Baualtersklassen. In erster Linie bestehen
sie für Gebäude der älteren Baualtersklassen vor
1945, die eine erhaltenswerte Fassade aufweisen
und beziehen sich deshalb überwiegend auf die Außenwand. Sonstige für die Wärmebilanz des Gebäudes entscheidende Bauteile wie Dächer, Fenster, Kellerdecken oder Fußböden sind auch in den älteren
Baualtersklassen nur marginal betroffen. Sie können
in der Regel durch die Wahl von Dämmstoffen mit
geringerer Wärmeleitfähigkeit qualitativ gleichwertig,
wie bei sonstigen Gebäudetypen, verbessert werden.
Darüber hinaus betreffen Restriktionen aus dem Bereich der Landes-Denkmalschutzgesetze nur rund 15
% der gesamten deutschen Gebäudesubstanz (einschließlich Nichtwohngebäude).
In dem Fall, dass an der Außenwand von Gebäuden keine Dämmmaßnahmen durchgeführt werden
können, sei es aus Gründen des Denkmalschutzes
oder aus optischen Gründen, sollte geprüft werden,
ob eine Innenwanddämmung erfolgen kann. (s. Ebel
2000, 40-41)
Die Wohnungswirtschaft sollte durch Restriktionen im
Bereich der Denkmalpflege bei der Gebäudemodernisierung nur in wenigen Fällen eingeschränkt werden,
da lediglich 16 % des Gebäudebestandes der Unternehmen vor 1948 errichtet wurden.
3.6 Gesetzliche und freiwillige Vorgaben zur Energieeinsparung
Eine rasante Entwicklung innerhalb der letzten 30 Jahre
In diesem Kapitel wird der gesetzliche Rahmen zum
Thema Energie mit den Anforderungen der Energieeinsparverordnung (EnEV) detaillierter betrachtet.
Die EnEV stellt eine wichtige rechtliche Basis jeder
aktuell geplanten Baumaßnahme dar. Neben der Erläuterung der Genese der Energiestandards werden
vor allem die Anforderungen der EnEV an Bestandsgebäude und den Energiepass herausgestellt. Die
historische Entwicklung der Energiestandards zeigt,
wie oft die Standards angepasst werden, wo die
Rechtsetzungskompetenzen liegen und wie weit die
Standards auf europäischer Ebene bereits vereinheitlicht sind. Die Entstehungsgeschichte ist wichtig zum
Verständnis der heutigen Situation. Insbesondere die
Direktive der EU ist für die zukünftige Entwicklung
von zentraler Bedeutung. Zusätzlich zu den heute
geltenden gesetzlichen Standards werden die immer
häufiger auftretenden aktuellen „freiwilligen“ Standards betrachtet, die die gesetzlichen Standards in
ihren Anforderungen übertreffen und den zukünftigen
Entwicklungen vorauseilen.
3.6.1 Genese der Energiestandards
Das folgende Kapitel beleuchtet die Genese der Energiestandards. Die Energiestandards sind als Vorschriften definiert, welche der Gesetzgeber als verbindlich erklärt hat. Diese lassen sich mittels dreier
Dimensionen beschreiben: Es sind die Entwicklungsgeschichte (Genese), die technische Ausgestaltung
sowie der Vollzug und die Kontrolle. Die heutige Ausgestaltung der Standards ist das Resultat einer langjährigen Entwicklungsgeschichte, an der verschiedene Akteure beteiligt sind. Die Entwicklungsgeschichte
und die Inhalte der Standards sind prägend für den
Vollzug der Vorschriften (vgl. Abb. 57).
Die Bedeutung des Wärmeschutzes nimmt immer
mehr zu, doch das heute aktuelle Thema „Energieeinsparung“ und „Energiestandards“ war lange Zeit
kein Thema in der Gesetzgebung. Erst mit der Energiekrise der 70er Jahre gewann es an Bedeutung.
Vorher konzentrierte man sich bei der Errichtung von
Gebäuden in erster Linie auf Kriterien der Standsicherheit sowie den Schutz von Feuchtigkeitseinwirkungen. Die Erdölkrise 1973 bildete in vielen Ländern
den Ausgangspunkt für die Etablierung von Energie-
77
Gesetzliche und freiwillige Vorgaben zur Energieeinsparung
Abb. 57: Drei Dimensionen zur Beschreibung von Wärmeschutzstandards
Abb. 58: Auswirkungen der Gesetzgebung auf den Heizenergiebedarf
von Wohngebäuden (Stand 2001)
standards.
Die heutigen Vorschriften der Energiestandards basieren alle auf dem 1976 geschaffenen Energieeinspargesetz. Dieses wurde als Reaktion auf die erste Energiekrise in den 70er Jahren geschaffen und
bildet die Grundlage für die Wärmeschutzverordnung
(WSVO), welche die Vorschriften im Gebäudebereich
regelt. Diese Schutzverordnung ist in der ganzen
Bundesrepublik Deutschland für den Neubau sowie
die Renovierung und den Umbau gültig und zwar für
alle Gebäudetypen. Die Länder verfügen über keine
Kompetenz eigene Energiestandards zu gestalten.
Hingegen übernehmen sie die Aufgaben der Exekutive: sie müssen die WSVO in ihren Bauordnungen
verankern und die Verfahren zu deren Umsetzung
regeln. Insbesondere regeln sie die Zuständigkeiten
im Vollzug. 2002 wurde die WSVO von der EnEV, die
später genauer vorgestellt wird, abgelöst.
Der Wärmeschutz bei Gebäuden war früher nicht von
Bedeutung. Etwa bis zum Zweiten Weltkrieg unterschieden sich die Bauarten im Wohnungsbau kaum
von denen im 19. Jahrhundert. Konventionelle Bauten aus Mauerwerk oder Fachwerk stellten bewährte
Bauweisen dar. Standsicherheit und Festigkeit waren
die wesentlichen Kriterien. Im Fachwerksbau richtete sich die Dicke der Ausfachung nach der Dicke
der tragenden Holzquerschnitte, die etwa 16 bis 20
cm betrugen. Die wärmedämmenden Eigenschaften waren im Vergleich zur Dicke und Festigkeit von
untergeordneter Bedeutung. Die geringe Bedeutung
78
des Wärmeschutzes spiegelt sich auch in DIN 4110
„Technische Bestimmungen für die Zulassung neuer
Bauweisen“ (Ausgabe 1934) wider. Der Wärmeschutz
wird eingehalten, wenn er dem einer 1 ½ Stein dicken
Vollziegelwand mit Außen- und Innenputz entspricht.
1938 kam die Norm in der 2. Ausgabe mit quantitativen Anforderungen an den Wärme- und Schallschutz
heraus. Danach mussten Außenwände einen Wärmedurchgangswiderstand 1/Λ von mindestens 0,47
m²K/W aufweisen. Diese ersten zahlenmäßigen Anforderungen an den Wärmeschutz waren nicht wissenschaftlich ermittelt, sondern aus den mit dem konventionellen Mauerwerksbau erlangten Erfahrungen
abgeleitet.
Die erste Ausgabe, der heute in mehreren Teilen vorliegenden Wärmeschutznorm DIN 4108 „Richtlinien
für den Wärmeschutz im Hochbau“, erschien 1952. In
ihr wurden drei Wärmedämmgebiete (I, II und III) eingeführt. Im mittleren Dämmgebiet galt der bisherige
Mindestwert von 0,47 m²K/W für den Wärmedurchgangswiderstand. In den beiden anderen Gebieten
wurde der Wert um etwa 0,1 erniedrigt (0,39) bzw. erhöht (0,55). In den Jahren 1960 und 1969 folgten mit
geringen Änderungen überarbeitete Fassungen der
DIN 4108, welcher zufolge der Wärmeschutz folgende Aufgabe hat: Der Wärmeschutz hat bei Bauten,
die zum dauernden Aufenthalt von Menschen dienen,
Bedeutung für die Gesundheit der Bewohner, Bewirtschaftungskosten der Bauten (Kohlenersparnis)
und Herstellungskosten der Bauten. „Ausreichender
Wärmeschutz ist Vorraussetzung für die Schaffung
gesunder und behaglicher Räume.“ (Frauenhofer-Informationszentrum Raum und Bau IRB 2003, 9-10)
Vergleicht man die ersten Anforderungen an den Wärmeschutz nach DIN 4110 von 1934 bis hin zur DIN
4108 von 1969, zeigt sich, dass die Anforderungen in
etwa gleich geblieben sind. Es galten nach wie vor die
aus den früheren Baugepflogenheiten abgeleiteten
üblichen Wanddicken als maßgeblich für den Wärmeschutz. Zielsetzung war vorrangig die Vermeidung
von Bauschäden sowie die Schaffung hygienischer
Wohnbedingungen. Der Energieverbrauch spielte
keine große Rolle, da Energie in ausreichender Menge günstig zur Verfügung stand.
Die Energiekrise 1973 verdeutlichte, dass Erdöl nicht
unbegrenzt zur Verfügung steht (vgl. Kapitel 3.1).
Aufgrund der kurzfristig verfünffachten Erdölpreise
begann ein Lernprozess, der z.B. durch autofreie
Sonntage jedem Bürger bewusst wurde. Als erste gesetzliche bauliche Reaktion wurden 1974 ergänzende Bestimmungen zur DIN 4108 von 1969 herausge-
Gesetzliche und freiwillige Vorgaben zur Energieeinsparung
geben. Das Wärmedämmgebiet mit den geringsten
Anforderungen wurde gestrichen. Weiterhin wurde
festgelegt, dass alle Fenster mindestens mit doppelter Verglasung mit einem k-Wert von höchstens 3,5
W/m²K auszuführen sind. Einfachverglasungen verschwanden vom Markt. 1976 trat somit als Folge der
Energiekrise das Energieeinsparungsgesetz (EnEG)
in Kraft. Es bildete die Rechtsgrundlage für staatliche Vorgaben hinsichtlich rationeller Energieverwendung.
1977 wurde auf Basis des Energieeinsparungsgesetzes die erste Wärmeschutzverordnung geschaffen, die 1978 in Kraft trat. Sie begrenzte den Wärmedurchgang für einzelne Bauteile und legte fest,
dass Fenster mindestens mit Isolier- oder Doppelverglasung auszuführen sind. Weiterhin wurde der
Fugendurchlasskoeffizient von Fenstern und Fenstertüren begrenzt, außerdem mussten alle sonstigen
Fugen luftdicht sein. In der Verordnung heißt es: „Die
sonstigen Fugen in der wärmeübertragenden Umfassungsfläche müssen dauerhaft und entsprechend
dem Stand der Technik luftundurchlässig abgedichtet
werden.“ (ebd. 11)
1982 wurde eine erste Novellierung vorgenommen,
die ab 1984 Gültigkeit bekam. Sie bildete im Sinne
des Gesetzgebers eine notwendige Anpassung an
die Energiesituation (zweite große Ölkrise) und führte
zu einer weiteren Herabsetzung des maximal zulässigen Heizwämebedarfs. Sie sah gegenüber der ersten
Regelung eine massive Verschärfung der Standards
vor (vgl. Abb. 58). Beispielsweise wurde der k-Wert
von Fenstern auf 3,1 W/m²K gesenkt. Neu war auch
die Begrenzung des Wärmedurchgangs bei baulichen
Änderungen an bestehenden Gebäuden. Hierdurch
wurde zum ersten Mal die Möglichkeit geschaffen
auf das enorme Energieeinsparpotential der Gebäude im Bestand Einfluss zu nehmen. Somit mussten
seit 1984 Gebäude im Bestand bei einem erstmaligen
Einbau oder Ersatz bzw. Erneuerung von Außenbauteilen wärmetechnisch verbessert werden. Es wurde
z.B. für Außenwände ein Wärmedurchgangswiderstand von 1,50 m²K/W vorgeschrieben, was einem
maximalen k-Wert von 0,60 W/m²K entspricht. Die erforderliche Dämmstoffdicke betrug bei Außenwänden
50 mm, bei Dächern 80 mm und bei Kellerdecken 40
mm. Diese Anforderungen wurden bei Erneuerungsmaßnahmen, die mehr als 20% der Gesamtfläche der
jeweiligen Bauteile ausmachten, verpflichtend. Diese
20% -Regelung gilt bis heute und hat den Hintergrund,
dass sich eine ohnehin durchzuführende Sanierung
ab einer gewählten Grenze von 20% der Bauteilflä-
che mit energetisch wirksamen Maßnahmen verbinden lässt.
Seit Ende der 80er Jahre traten neue Argumente für
einen verstärkten Wärmeschutz bei Gebäuden auf.
Wärmeschutz wurde nun im Sinne von Umweltschutz
und somit als Klimavorsorge betrachtet. Umwelt- und
Klimaschutzaspekte rückten in den Vordergrund (vgl.
Kapitel 3.2). 1992 wurde auf der Klimakonferenz von
Rio de Janeiro zum ersten Mal die Förderung des
umweltverträglichen Bauens thematisiert. Ein übermäßiger Ressourcenverbrauch und die Schädigung
empfindlicher Ökosysteme sollten in Zukunft vermieden werden.
Die zweite Novellierung der WSVO fand 1995 statt.
Ziel der 3. WSVO ist es, im Neubau den Niedrigenergiehaus-Standard mit einem rechnerischen Ölverbrauch von weniger als 10 l pro m² Wohnfläche und
Jahr zu erreichen. Hierzu wurde eine erste Bilanzierungsmethode zur Durchdringung des Jahresheizwärmebedarfs eingeführt. Der rechnerische Heizwärmebedarf wird in Abhängigkeit des A/V-Verhältnisses
(Außenfläche zu Volumen-Verhältnis) des Gebäudes
bestimmt. Die Wärmegewinne und -verluste konnten
durch dieses Verfahren gemeinsam bilanziert werden. Der Bundesrat knüpfte seine Zustimmung zur 3.
Wärmeschutzverordnung an eine weitere Senkung
des CO2 -Ausstoßes.
Gegenüber der 2. WSVO werden die Anforderungen
zur Begrenzung des Heizwärmebedarfs bei baulichen
Änderungen bestehender Gebäude weiter verschärft.
Bei erstmaligem Einbau, Ersatz oder Erneuerung
von Bauteilen darf z.B. der k-Wert von Außenwänden
nicht größer sein als 0,40 W/m²K. Das entspricht einer Mindestdämmstoffdicke von etwa 80 mm. Bei neu
einzubauenden Fenstern darf der k-Wert 1,8 W/m²K
nicht überschreiten.
Seit März 2001 regelt die neue Wärmeschutznorm,
also die neue DIN 4108 „Wärmeschutz und EnergieEinsparung in Gebäuden“, die Mindestanforderungen
an den Wärmeschutz. Die Mindestanforderungen an
den Wärmeschutz wurden erhöht, Wärmedämmsysteme als Umkehrdach und außenliegende Wärmedämmung erdberührter Gebäudeflächen berücksichtigt. Weiterhin werden konkrete Anforderungen an
Wärmebrücken und den sommerlichen Wärmeschutz
gestellt. Der Mindestwert für den Wärmedurchlasswiderstand von Außenwänden wurde von 0,55 auf 1,2
m²K/W angehoben. Das entspricht einer Verschärfung des k- bzw. U-Wertes von bisher 1,39 auf 0,73
W/m²K.
Bereits 1993, bei der Verabschiedung der 3. WSVO,
79
Gesetzliche und freiwillige Vorgaben zur Energieeinsparung
wurde im Bundesrat eine weitere Verschärfung der
Anforderungen nach 1995 verlangt um deutliche Verringerungen der CO2-Emissionen zu erreichen. Diesen Forderungen wurde im Rahmen der EnEV 1999
Rechnung getragen.
Im Jahr 2002 wurde die Wärmeschutzverordnung
schließlich abgelöst durch die Energieeinsparverordnung (EnEV). In jedem Schritt der gesetzlichen Anpassung der Energiestandards wurden die Anforderungen verschärft (vgl. Abb. 58).
3.6.2 Heutiger Stand der Energiestandards
Die EnEV basiert in der heutigen Ausgestaltung auf
verschiedenen Normen insbesondere der DIN EN
832. Sie ist sowohl für den Neubau als auch für bestehende Bauten anwendbar. Die EnEV regelt die
Ausstellung der Energieausweise, gibt energetische
Mindestanforderungen für Neubauten sowie für Modernisierungen, Umbauten, Ausbauten und Erweiterungen bestehender Gebäude vor. Außerdem stellt
sie Mindestanforderungen für Heizungs-, Kühl- und
Raumlufttechnik sowie Warmwasserversorgung auf
und regelt die energetische Inspektion von Klimaanlagen. Sie definiert im Detail die Grenzwerte, verweist
jedoch bei den Berechnungsverfahren auf entsprechende Normen (DIN 4701, EN 832).
Die Grundlage jeder energetischen Modernisierung
bildet der gesetzliche Rahmen. Der Gesetzgeber erteilt verbindliche Auflagen und allgemeingültige Standards, die von jedem Bürger erfüllt werden müssen.
Den aktuellen Standard gibt in Deutschland die Energieeinsparverordnung vor, deren Grundlage das Energieeinspargesetz ist (vgl. Kapitel 3.7).
„Was regelt die EnEV?“
Die seit dem 1. Februar 2002 in Kraft getretene Energieeinsparverordnung – Verordnung über energiesparenden Wärmeschutz und energiesparende Anlagentechnik bei Gebäuden – stellt eine deutliche Zäsur
bezüglich der Energiestandards in Deutschland dar.
Sie löst sowohl die bisher geltende Wärmeschutzverordnung als auch die Heizanlagenverordnung ab.
Hierdurch soll eine Vereinfachung im Regelwerk erzielt werden, indem sowohl Heizung als auch Gebäudehülle in einem einheitlichen Gesetz geregelt werden, was bisher nicht der Fall war (vgl. Abb. 59 und
60).
Wichtigste Neuerung der EnEV stellt die Schaffung
einer Energiekennzahl auf Basis des Primärenergieverbrauchs dar, das heißt, es findet erstmals eine
ganzheitliche Betrachtung des Gebäudes als energetisches System statt (vgl. Abb. 60). Die Regelung
schließt auf dieser Basis somit Heizung, Lüftung und
Warmwasserbereitung ein. Es wird somit die gesamte
Energiekette samt Energieverlusten bei Gewinnung,
Umwandlung und Transport des Energieträgers sowie benötigter Hilfsenergie miteinbezogen (vgl. Abb.
60). Der Bezug zum Primärenergiebedarf liefert die
Basis für die Beurteilung des Energieverbrauchs und
den damit verbundenen Schadstoffemissionen (s.
Finkenbusch 2006, 69).
Abb. 59: Bilanzgrenzen der Wärmeschutzverordnung und der Heizanlagenverordnung
Abb. 60: Bilanzierungsgrenzen der EnEV
80
Gesetzliche und freiwillige Vorgaben zur Energieeinsparung
Inhaltlich gliedert sich die EnEV in die folgenden
sechs Abschnitte:
- allgemeine Vorschriften
- zu errichtende Gebäude
- bestehende Gebäude und Anlagen
- heizungstechnische Anlagen
- gemeinsame Vorschriften, Ordnungswidrigkeiten
- Schlussbestimmungen
Die Anhänge der EnEV ergänzen die inhaltlichen Abschnitte. Sie enthalten Tabellen mit einzuhaltenden
Richtwerten, Vorschriften zur Berechnung der Energiekennwerte sowie Hinweise zu benötigten Rechenkomponenten und -verfahren.
Die aktuelle Fassung der EnEV ist die Verordnung
vom 8. Dezember 2004. Sie berücksichtigt die Änderung der Normen bezüglich der zu berechnenden
Nachweise und verweist auf aktuelle Normen. Zukünftig gelten wird die EnEV 2007. Bereits am 16.11.2006
wurde der Referentenentwurf veröffentlicht. Der nun
vorgelegte Kabinettsentwurf ist der zweite „formelle“
Schritt im Verordnungsverfahren. Die Bundesregierung hat am 25.04.2007 die EnEV 2007 beschlossen.
Mit ihr wird die Einführung von Energieausweisen für
den Gebäudebestand geregelt sowie eine weitere Anpassung an die Systematik der EPBD vorgenommen.
Weiterhin führt sie neue und einheitliche Energieausweise ein. Die Energieeinsparverordnung 2007 tritt
nach einem weiteren Beschluss im Bundesrat und
der Veröffentlichung im Bundesanzeiger am Ersten
des 3. Monats nach der Verkündigung in Kraft – voraussichtlich im Herbst 2007.
Anforderungen der EnEV an den Gebäudebestand
Die Anforderungen der EnEV an den Bestand gliedern sich in zwei Bereiche: die Nachrüstpflichten und
die bedingten Anforderungen (vgl. Abb. 61).
Die Nachrüstpflichten (EnEV §9) beziehen sich auf
drei Aspekte. Diese Aspekte sind unabhängig davon,
ob ohnehin Sanierungen geplant sind, für Hauseigentümer verpflichtend. Im Einzelnen sind dies der Austausch des Heizkessels, die nachträgliche Dämmung
von Heizungs- und Warmwasserleitungen sowie die
nachträgliche Dämmung der obersten Geschossdecke. Konkret heißt das:
1. Heizkessel, mit Gas oder Öl betrieben, die vor
dem 01.10.1978 eingebaut wurden, sind bis zum
31.12.2006, also bis zum Ende letzten Jahres, außer
Betrieb zu nehmen und durch einen modernen Kessel
zu ersetzen. Bei Einhaltung bestimmter Abgasgrenzwerte oder bei Brennern, die nach 1996 erneuert wurden, kann diese Frist bis zum 31.12.2008 verlängert
werden. Darüber hinaus gilt diese Anforderung nicht
für Nierdertemperatur- oder Brennwertkessel, deren
Nennwärmeleistung unter 4 kW bzw. über 400 kW
liegt. Bei Zentralheizungen müssen selbsttätig wirkende Regeleinrichtungen nachgerüstet werden.
2. Heizungs- und Warmwasserrohre in nicht beheizten Räumen, die zugänglich sind, aber bisher nicht
gedämmt waren, mussten bis zum 31.12.2006 nach
den Bestimmungen der EnEV, die im Anhang 5 formuliert sind, gedämmt werden.
3. Ebenfalls bis zum 31.12.2006 mussten nicht be-
Abb. 61: Übersicht über die Anforderungen der EnEV an Bestandsgebäude
81
Gesetzliche und freiwillige Vorgaben zur Energieeinsparung
Abb. 62: Einzuhaltende U-Werte bei Bauteiländerungen oder -austausch
Abb. 63: Anforderungen der EnEV an Sanierungsfälle (auszugsweise
Zusammenstellung)
82
gehbare, aber zugängliche oberste Geschossdecken
beheizter Räume gedämmt werden. Dabei müssen
sie den Wärmedurchgangskoeffizienten von 0,3 W/
m²K einhalten, was mit ca. 8-12 cm Dämmstärke
(Wärmeleitgruppe 040) erreicht wird.
Diese Nachrüstpflichten gelten vor allem für Eigentümer von Mehrfamilienhäusern. Freigestellt von diesen Nachrüstpflichten sind die Eigentümer von Einund Zweifamilienhäusern, die selbst darin wohnen.
Von diesen fordert die EnEV eine Nachrüstung nur im
Zusammenhang mit einem Eigentümerwechsel. Die
Frist der oben genannten Anforderungen verlängert
sich bei einem Eigentümerwechsel um 2 Jahre.
Die bedingten Anforderungen (EnEV § 8) betreffen
die Verbesserung des Wärmeschutzes von Bauteilen im Rahmen einer Sanierung, Modernisierung und
Erweiterung. Es gilt grundsätzlich, wie auch bisher,
dass an bestehende Bauteile keine Anforderungen
gestellt werden, es sei denn, man nimmt Veränderungen daran vor. Erst bei solchen geplanten Sanierungen müssen die in Anhang 3 der EnEV beschriebenen
Dämmvorschriften beachtet werden (vgl. Abb. 62).Die
betroffenen Bauteile sind nach EnEV die folgenden
Außenbauteile:
- Außenwände
- Außentüren
- Decken, Dächer, Dachschrägen (Steildächer, Flachdächer)
- Wände und Decken gegen unbeheizte Räume und
gegen Erdreich
- Vorhangfassaden
Die Begrenzung des Wärmedurchgangskoeffizienten
für die beschriebenen Bauteile gilt nicht, wenn weniger als 20 % der jeweiligen Bauteilfläche von Erneuerungsmaßnahmen betroffen sind. Bei Fassaden und
Fenstern beziehen sich die 20 % nur auf die jeweilige
Gebäudeseite.
Die Vorschriften der EnEV sind allerdings auch dann
erfüllt, wenn das Bestandsgebäude insgesamt den
jeweiligen Höchstwert für normal beheizte Gebäude
(EnEV 2004, Anhang 1, Tabelle 1) oder gering beheizte Gebäude (EnEV 2004, Anhang 2, Tabelle 1) um
nicht mehr als 40 % überschreitet (Altbauaufschlag).
Dies ist durch eine Energiebedarfsberechung nachzuweisen.
Bei Erweiterungen des Gebäudes (Anbauten), die
größer als 30 m³ sind, gelten für den neuen Gebäudeteil die gleichen Anforderungen wie für Neubauten.
Diese 30 m³ sind bereits mit einem Anbau von 12 m²
Grundfläche und 2,50 m Höhe erreicht. Grundsätzlich
gilt für Veränderungen an Bestandsgebäuden das Ver-
Gesetzliche und freiwillige Vorgaben zur Energieeinsparung
schlechterungsgebot (EnEV § 10), das besagt, dass
neue Bauteile und Anlagen die energetische Qualität
des Gebäudes auf keinen Fall verringern dürfen. In
Abb. 63, sieht man auszugsweise eine Zusammenstellung der EnEV -Anforderungen an Sanierungsfälle.
Bei der Inbetriebnahme von neuen Heizungs- oder
Warmwasseranlagen gelten ebenfalls eine Reihe von
Anforderungen, vor allem für die Auswahl der Geräte
sowie die Regelung der zugehörigen Anlagenkomponenten (EnEV 2004, Abschnitt 4, § 11, 12).
Bei dem Einbau eines neuen Kessels ist vor allem
darauf zu achten, dass es sich um einen Niedertemperatur- oder Brennwertkessel handelt, der mit einer
CE-Kennzeichnung (Qualitätssiegel) versehen ist.
Nur wenige spezielle Kessel müssen keine CE-Kennzeichnung aufweisen, aber auch diese dürfen nur
dann in Betrieb genommen werden, wenn sie nach
den anerkannten Regeln der Technik gegen Wärmeverluste gedämmt sind.
„Werden neue Heiz- Warmwasserspeicher sowie
neue Wärmeverteilungs- und Warmwasserleitungen
installiert, muss deren Wärmeabgabe, wie bereits erwähnt, nach Anhang 5 der EnEV begrenzt werden.
Die gesamte Anlagentechnik in Neubauten und Bestandsgebäuden soll durch Fachleute regelmäßig gewartet werden.“ (Finkenbusch 2006, 72)
Im Folgenden gehe ich näher auf den Energiepass
ein.
Energiepass soll dem Käufer eines Gebäudes (egal
ob Alt- oder Neubau) Auskunft über dessen energetische Qualität geben. Das Ziel ist eine Steigerung
der Markttransparenz. Wesentliches Element ist eine
Einstufung des Gebäudes mit Hilfe von sieben Kategorien (vgl. Abb. 64). Die Grundidee hinter dem Energiepass ist, dass die Marktkräfte gestärkt und dank
höherer Transparenz energieeffiziente Gebäude vermehrt nachgefragt werden. (s. Bundesministerium für
Energie 2005, 41) Wolfgang Tiefensee formuliert dies
so: „ Der Energieausweis soll mehr Transparenz in
den Immobilienmarkt bringen. Mieter und Käufer können künftig auf einen Blick einen Eindruck bekommen, welche Nebenkosten auf sie zukommen. Die
Energieeffizienz wird damit zu einem zentralen Entscheidungskriterium. Energieeffiziente Gebäude sind
damit klar im Vorteil. Wer bislang sein Haus nicht gedämmt hat, verschenkt nicht nur bares Geld, sondern
schadet auch dem Klima. Mit dem Energieausweis für
Gebäude kommt nun der energetische Fingerabdruck
für Häuser.“
3.6.3 Der Energiepass für Gebäude
Eine wesentliche Entwicklung hat die seit dem
04.01.2003 in Kraft getretene EU-Gebäuderichtlinie ausgelöst (Richtlinie 2002/91/EG). Die Richtlinie
schreibt vor, dass Eigentümer ab 2006 beim Verkauf oder bei der Vermietung einen Ausweis über
die Gesamtenergieeffizienz des Gebäudes vorlegen
müssen. Dieser Energieausweis ist maximal 10 Jahre gültig. Da der Ausweis auch Vergleichskennwerte
enthalten muss, sind energieeffiziente Gebäude zu
erkennen.
Für Neubauten und wesentliche Umbauten ist ein
Energiebedarfsausweis heute schon Pflicht. Für Bestandsgebäude lässt der Energiepass rein rechtlich
noch auf sich warten. Energieausweise werden mit
der EnEV 2007 auch im Bestand eingeführt.
Im Jahr 2003 und 2004 wurde der Energiepass in
einem „Großversuch“, geleitet durch die „Deutsche
Energie-Agentur“ (dena), getestet und evaluiert. Der
Abb. 64: Musterauszug des Energiebedarfsausweises
83
Gesetzliche und freiwillige Vorgaben zur Energieeinsparung
Ein wirkliches Ausstellungserfordernis für Bestandsgebäude besteht momentan erst dann, wenn das Gebäude wesentlich verändert wird. Genauer gesagt,
wenn innerhalb eines Jahres mindestens drei Änderungen an Außenbauteilen nach Anhang 3 durchgeführt sowie der Austausch des Heizkessels oder die
Umstellung der Heizungsanlage auf einen anderen
Energieträger vorgenommen werden. Auch wenn das
beheizte Volumen um mehr als 50% erweitert wird,
ist ein Energieausweis auszustellen. Befreiungen von
der EnEV können bei der nach Landesrecht zuständigen Behörde in Ausnahmefällen, z.B. bei Baudenkmälern oder besonders erhaltenswerter Substanz,
erwirkt werden. (s. Finkenbusch 2006, 72)
In der EnEV 2007 wird nun geregelt, dass bei Verkauf
oder Vermietung von Wohngebäuden, die bis 1965 fertig gestellt wurden, Interessenten ab dem 01.01.2008
ein Energieausweis zugänglich zu machen ist. Die
Interessenten müssen allerdings selbst aktiv werden,
denn der Energieausweis ist vom Eigentümer nur
auf das Verlangen des Miet- oder Kaufinteressenten
vorzuzeigen. Ein halbes Jahr später – ab dem 1. Juli
2008 – gilt dies für alle Wohngebäude. Findet in einem Gebäude kein Nutzerwechsel statt und ergeben
sich auch keine anderen Gründe, die zur Ausstellung
verpflichten, besteht kein gesetzlicher Zwang einen
Energieausweis zu erstellen.
Ab Januar 2009 müssen auch für Nichtwohngebäude
im Verkaufs- oder Vermietungsfall Energieausweise
ausgestellt werden. Ab dann müssen in öffentlichen
Gebäuden mit regelmäßigem Publikumsverkehr Energieausweise gut sichtbar ausgehängt werden. (s.
Deutsche Energieagentur 2007, 2-6)
In der EnEV (§13) wird der Energiepass unter der
Bezeichnung Energiebedarfsausweis geführt. Dieser
Ausweis soll die wesentlichen Ergebnisse der nach
der EnEV durchgeführten Berechnungen enthalten.
Der Aufbau und Inhalt der Energieausweise soll einheitlich sein. Der Energieausweis enthält auf vier Seiten die wesentlichen Gebäudedaten, das „Energielabel“ sowie leicht verständliche Vergleichswerte und
Modernisierungsvorschläge. Er stellt die folgenden
wesentlichen energiebezogenen Merkmale eines Gebäudes zusammen: den Jahresprimärenergiebedarf,
den Endenergiebedarf nach einzelnen Energieträgern, die spezifischen Werte des Transmissionswärmeverlustes sowie die Anlagenaufwandszahl der Anlagen für Heizung, Warmwasser und Lüftung.
Immer dann, wenn im Gebäude kostengünstige Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz möglich sind, muss der Energieausweis für das Gebäude
84
individuelle Modernisierungsempfehlungen enthalten.
Diese geben dem Gebäudeeigentümer erste wichtige
Hinweise über Verbesserungsmöglichkeiten, ersetzen in der Regel aber keine ausführliche Energieberatung.
In der zukünftig geltenden EnEV 2007 werden die
Energiebedarfsausweise als Schwerpunkt behandelt.
Für Bestandsgebäude können Energieausweise sowohl auf der Grundlage des ingenieurmäßig berechneten Energiebedarfs als auch auf der Grundlage des
gemessenen Energieverbrauchs erstellt werden. Beide Verfahren werden durch Berechnungsvorschriften
in der EnEV 2007 geregelt. Eine Ausnahme gilt lediglich für Wohngebäude mit weniger als fünf Wohnungen, für die ein Bauantrag vor dem 01.11.1977 gestellt
wurde. Für diese Gebäude sollen nur Bedarfsausweise zulässig sein, es sei denn beim Bau selbst oder
durch spätere Modernisierungen wird mindestens
das Wärmeschutzniveau der 1. Wärmeschutzverordnung von 1977 erreicht. Für die Zeit zwischen dem
Kabinettsbeschluss und dem 31.12.2007 besteht für
alle Gebäude Wahlfreiheit zwischen verbrauchs- und
bedarfsbasierten Energieausweisen. (s. Deutsche
Energieagentur 2007a, 5)
„Der Energiebedarfsausweis beruht dabei immer auf
normativen Annahmen für das Klima und die Nutzung. Bei dieser Methode wird der Bestand sehr neutral bewertet. Unterschiedliche Nutzer beeinflussen
die Ergebnisse nicht, womit eine Vergleichbarkeit zu
anderen Gebäuden besteht. Gleichzeitig stellt die Berechnung des Gebäudes auch eine Gebäudediagnose dar, bei der vorhandene Schwachstellen erkannt
werden können. Für die Datenaufnahme im Gebäudebestand können neben eigenen Beobachtungen
auch vereinfachte und pauschalisierte Kennwerte
hinzugezogen werden.“ (Finkenbusch 2006, 73)
„Der Energieverbrauchsausweis dagegen bildet neben der tatsächlichen energetischen Qualität des Gebäudes auch das Nutzerverhalten und die Klimaeinflüsse ab. Analysiert werden die witterungsbereinigten
Energieverbrauchsdaten für das gesamte Gebäude
und ein konkreter Abrechnungszeitraum. Gebäudediagnosen und Modernisierungsvorschläge sind mit
Verbrauchskennwerten nicht möglich.“ (Hegner 2006,
20-22 zitiert nach Finkenbusch 2006, 73)
Die Kosten für den Energiebedarfsausweis werden
innerhalb des Kabinettsentwurfes für die EnEV 2007
nicht geklärt. Der Entwurf enthält keinerlei staatliche
Vorgaben bezüglich der Kosten von Energieausweisen. Der Preis ist also entsprechend zwischen Aussteller und Auftraggeber zu vereinbaren.
Gesetzliche und freiwillige Vorgaben zur Energieeinsparung
3.6.4 Rechtsetzungskompetenz der Energiestandards
Die Rechtsetzungskompetenz hat für die Art und Weise der Weiterentwicklung der Energiestandards eine
zentrale Bedeutung. In Deutschland wurde aufgrund
der zentralen Rechtsetzungskompetenz ein landesweit einheitlich gültiger Energiestandard für Gebäude
etabliert, die einzelnen Länder spielen keine Rolle bei
der Gestaltung der Energiestandards. Auffällig ist vor
allem, dass der föderale Aufbau und der Einsatz von
Subventionen für die Gestaltung der Energiestandards von großer Bedeutung und somit maßgeblich
für den Entwicklungspfad verantwortlich ist. Bei der
Entwicklung des deutschen Energiestandards handelt es sich um einen hierarchisch geprägten Entwicklungspfad, das heißt, der Zentralstaat bestimmt
die Energiestandards. Die Entwicklung verläuft hierarchisch von oben nach unten (Top-down Ansatz).
Die nationalen Behörden entwickeln die Vorschriften,
welche für das ganze Land Gültigkeit haben. Regional unterschiedliche Standards können so nicht entstehen. (s. Bundesministerium für Energie 2005,113
-115) So bildet sich ein sehr homogener Energiestandard für das ganze Land.
3.6.5 Anpassungsrhythmus der Energiestandards
Seit den 70er Jahren wurden die Energiestandards
in Deutschland dreimal wesentlich überarbeitet. Somit nimmt der Geneseprozess für einen neuen Standard in Deutschland zwischen 6 und 11 Jahren in
Anspruch, in anderen europäischen Ländern ist dies
ähnlich. Im Durchschnitt liegt der Anpassungsrythmus
hier in etwa bei 5 - 7 Jahren (s. ebd. 115-116). Diese
Dauer scheint ein recht fixer Wert zu sein und sich
nur schwer komprimieren zu lassen. Die Auslöser für
die Anpassungen der Energiestandards in den 70er
und 80er Jahren waren die Energiepreiskrisen (vgl.
Abschnitt 3.1) und das Aufkommen der CO2-Politik in
den 90er Jahren (vgl. Abschnitt 3.2). Diese externen
Ereignisse wirkten gleichsam als Taktgeber für die
Anpassungen der Standards. Nach 2000 führte die
zentrale Einführung der Gebäuderichtlinie der EU in
den EU-Staaten zu einem gemeinsamen Impuls zur
Anpassung der Energiestandards. In Deutschland
entstand die EnEV.
3.6.6 Europäische Richtlinie über die
Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden
Weltweit hat der Klimaschutz seit Ende der 80er Jahre vor dem Hintergrund des drohenden Treibhauseffektes einen hohen Stellenwert erhalten (vgl. Kapitel
3.2).
In Anbetracht der formulierten Kyoto-Ziele haben das
Europäische Parlament und der Rat der Europäischen
Union am 16. Dezember 2002 die Richtlinie 2002/91/
EG über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden,
Englisch „Energy Performance of Buildings Directive“
(EPBD), erlassen. Am 04. Januar 2006 trat sie in Kraft.
Ziel dieser Richtlinie ist die Verbesserung der Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden in der europäischen
Gemeinschaft unter Berücksichtigung der jeweiligen
äußeren klimatischen und lokalen Bedingungen sowie der Anforderungen an das Innenraumklima und
der Kostenwirksamkeit. Sie soll das energetische
Vorgehen innerhalb der Mitgliedsstaaten vereinheitlichen. Wie alle vergleichbaren Richtlinien hat sie Gesetzescharakter und ist für die Mitgliedsländer der EU
verbindlich. Somit wird die EPBD die Energiepolitik
der EU-Mitgliedsländer im Gebäudebereich entscheidend beeinflussen. Diese Richtlinie zeigt, dass die EU
im Gebäudebereich die höchsten Potentiale für eine
Erhöhung der Energieeffizienz sieht und eine Minderung der CO2 -Emissionen für möglich hält.
In Deutschland ist die Einbeziehung der Systematik
der EPBD in die Berechnungsverfahren bereits in
weiten Teilen über die EnEV 2004, beziehungsweise
die ihr zugeordneten Normen geregelt (vgl. Abb. 65).
Anhand der Tabelle ist zu erkennen, dass bisher (EnEV
2004) die Einbeziehung der Beleuchtung und der Klimaanlagen offen ist. Für Wohngebäude gilt aber, dass die EnEV
bauliche Ausführungen verlangt, die Klimaanlagen entbehrlich machen (EnEV Artikel 3, Absatz 4, sowie Anhang 1, Abschnitt 2.9). Weiterhin gibt es für Wohngebäude keine Anforderungen an die Beleuchtung. Diese soll auch zukünftig
nicht zum Gegenstand öffentlich-rechtlicher Anforderungen
gemacht werden. (s. Bundesministerium für Energie 2005,
98-99)
In der EnEV 2007 wird die nationale Gesetzgebung
weiter an die EPBD angepasst. In ihr werden für Nichtwohngebäude Berechnungsvorhaben eingeführt, die
neben dem Energiebedarf für Heizung, Warmwasseraufbereitung und Lüftung auch die Bereiche Kühlung
und eingebaute Beleuchtung berücksichtigen.
Für Wohngebäude mit fest installierten Klimaanlagen
ist zukünftig auch die benötigte Kühlenergie analog
85
Gesetzliche und freiwillige Vorgaben zur Energieeinsparung
dem Verfahren bei Nichtwohngebäuden zu berücksichtigen. Der zulässige Höchstwert für den JahresPrimärenergiebedarf wird in diesem Fall gegenüber
ungekühlten Gebäuden erhöht. Im Energieausweis ist
der Energiebedarf für Kühlung pauschal anzugeben.
Der Systematik der EPBD wird also mit Inkrafttreten
der EnEV 2007 komplett entsprochen.
Insgesamt findet in allen europäischen Mitgliedsstaaten eine starke Bewegung zur Umsetzung und Anpassung der Gesetzgebung an die EPBD statt. Allerdings
bestehen bei der Umsetzung der Berechnungsverfahren der EPBD in den EU-Staaten noch erhebliche
Unterschiede. (vgl. Abb. 66)
3.6.7 Vollzug der Energiestandards in Deutschland
Abb. 65: Umsetzung der Systematik der EPBD in Deutschland
Abb. 66: Gesamtübersicht der Umsetzung der Systematik der EPBD
Abb. 67: Übersicht über die geltenden Regelungen zum Vollzug der
EnEV in den Bundesländern bei Neubauten
86
Geltungsbereich der Energiestandards
Grundsätzlich sind Energiestandards national gültig.
Die entsprechenden Grundlagen sind zustimmungspflichtig durch den Bundesrat, weil sie Länderangelegenheiten tangieren. Die Länder sind verpflichtet,
die Standards so umzusetzen, wie es die nationale
Gesetzgebung vorsieht.
„Die Länder haben die Umsetzung in Durchführungsverordnungen oder entsprechenden Erlassen konkretisiert. In einigen Fällen sind eigene Verordnungen
zur EnEV erlassen worden (z.B. Bremen). In anderen
Fällen wurde die Bauordnung der Länder angepasst
(z.B. Mecklenburg-Vorpommern). Es wurde geregelt,
wer für die Umsetzung der Standards zuständig ist. Im
Falle der EnEV wird in den Ausführungserlassen vor
allem festgehalten, wer die Energiebedarfsausweise ausstellen darf, wie detailliert die Einhaltung des
Energiebedarfsausweises kontrolliert wird und wer
die Energiebedarfsausweise kontrolliert. Zudem sind
Bestimmungen enthalten, welche die Verwendung
von bestimmten Bauprodukten und Anlagen regeln.
Anfang 2004 (also zwei Jahre nach Inkrafttreten der
EnEV am 1. Februar 2002) haben 12 von 16 Bundesländern eine Ausführungsgesetzgebung geschaffen.
In drei Ländern sind die Gesetze in Vorbereitung, ein
Land will auf die Schaffung einer Umsetzungsgesetzgebung verzichten.
Die Bedeutung der Regelung der EnEV auf Landesebene ist allerdings beschränkt. Laut Angaben der
dena (Deutsche Energieagentur) ist es so, dass die
EnEV direkt anwendbares Recht darstellt. Das heißt,
auch wenn ein Land keine Umsetzungsregelung geschaffen hat, ist die EnEV dennoch gültig. Allerdings
muss sich der Bauherr in einem solchen Fall an die
Gesetzliche und freiwillige Vorgaben zur Energieeinsparung
zuständige Baubehörde wenden und die Einhaltung
der EnEV verlangen.“ (Bundesministerium für Energie 2005, 58)
Organisation des Vollzuges
Auf Bundesebene ist das Ministerium für Verkehr-,
Bau- und Wohnungswesen für die Wärmeschutzverordnung zuständig. Unterstützt wird das Ministerium
von der dena (Deutsche Energieagentur). Diese ist
für Informationen und Beratungen rund um die Energiestandards zuständig und betreute den Test des
Energiepasses. Eine Vollzugskompetenz ist auf Bundesebene aber nicht vorhanden. Die dena versorgt
die Bundesländer lediglich mit Vollzugshilfen, mit Informationen rund um die EnEV sowie mit allgemeinen
Informationen zum Energiesparen im Gebäudebereich. Für alle Belange des Vollzugs sind die Länder
in eigener Verantwortung zuständig. (s. Bundesministerium für Energie 2005, 58)
Der Vollzug wird in den Ländern jeweils verschiedenen Stellen zugeordnet. Je nach Aufteilung der Ministerien ist eine andere Behörde verantwortlich. Die
entsprechenden Regelungen zum Vollzug werden in
den Bauordnungen oder einer speziellen Verordnung
der Länder zur EnEV festgehalten. Die dena hat den
Stand der Regelungen bezüglich der EnEV auf Stufe
der Bundesländer zusammengestellt. Dieser Stand
wird im Folgenden präsentiert.
Die Regelungen zur Umsetzungsverordnung der
EnEV sind in den einzelnen Bundesländern recht einheitlich. Die Bundesländer unterstützen den Vollzug
der Energiestandards teilweise mit Information, Beratung und Ausbildung. In diesem Bereich sind Hessen und Nordrhein-Westfalen als Vorreiter zu sehen,
andere Länder tun vergleichsweise wenig. Eine Gesamtübersicht über die Aktivitäten der Länder ist nicht
verfügbar.
Die Ausführungskontrolle wird in der Regel dem Bauherren überlassen. Dieser muss dafür sorgen, dass
ein Sachverständiger während des Baus die Einhaltung der Vorgaben des Energiebedarfsausweises
überprüft. Nach Abschluss des Baus muss dieser
Sachverständige dem Bauherren die sachgerechte
Ausführung bestätigen. Der Bauherr legt die Bestätigung den Baubehörden vor. In den Bundesländern
sind dies praktisch immer die Gemeinden. Einen zentralen Vollzug durch die Bundesländer, wie er in der
Schweiz bei einigen Kantonen oder in der WBF in Österreich anzutreffen ist, gibt es in Deutschland nicht.
Die Baubehörde (also die zuständige Instanz einer
Gemeinde) überprüft lediglich, ob bei der Baueingabe
die notwendigen Energienachweise vorliegen. Experten gehen davon aus, dass eine rechnerische Überprüfung der Energieausweise seitens der Behörde
nicht vorgenommen wird. In zwei Bundesländern wird
dies explizit sogar in den Ausführungsverordnungen
zur EnEV festgehalten. In einem Bundesland ist die
Bestätigung, dass die Anforderungen des Energiebedarfsausweises eingehalten worden sind, nur auf
Verlangen der Baubehörde (also nicht automatisch)
vorzulegen. Vier Bundesländer sehen in ihren Ausführungsbestimmungen keine Regelung bezüglich
der Kontrolle vor (vgl. Abb. 67).
Insgesamt ist also davon auszugehen, dass es primär
Aufgabe des Bauherren respektive des von ihm beauftragten Sachverständigen ist (z.B. des beauftragten Planers), die Einhaltung der EnEV zu prüfen. Eine
Regelung über eine aktive Kontrolle der Bauausführung ist selten bis nie anzutreffen. Einzig im Bereich
der Förderprogramme über die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW Förderung) werden stichprobenartige Kontrollen vorgenommen, um zu überprüfen, ob
die Praxis mit den in den Förderanträgen gemachten
Angaben auch übereinstimmt. Über die Summe der
Kontrollen und deren Ergebnisse liegen keine Zahlen
vor.
Man kann also festhalten, dass in den meisten Bundesländern die Deregulierung oberstes Ziel bei der
Umsetzung der EnEV ist. Für den Vollzug der EnEV
bedeutet Deregulierung vor allem, dass sich die Bauaufsichtsbehörden von der Funktion der staatlichen
Kontrolle von Bauverfahren soweit wie möglich zurückziehen. Die Verantwortung zur Umsetzung der
EnEV wird damit von der staatlichen Seite auf den
privaten Bereich übertragen. Der Bauherr beauftragt
zum Beispiel den Architekten mit der Überwachung
von Planung und Ausführung und kann diesen privatrechtlich belangen, wenn Planung und Ausführung
unbefriedigend sind. Diese geringe Kontrolle bei der
Aufsicht der Planung führt zu einem Vollzugsdefizit
bei Wärmeschutzmaßnahmen. Die Verantwortlichen
von NRW halten z.B. fest, dass die staatlichen Regelungen nur verzögert und teilweise mangelhaft umgesetzt werden (s. Nordrhein – Westfalen 2001, S.47).
Diese Philosophie des Vollzugs (Deregulierung) wird
durch den Energiepass unterstützt werden. Der Bauherr (oder der Käufer eines bestehenden Gebäudes)
bekommt mit dem Energiepass eine Bestätigung über
die Qualität des Gebäudes und soll diese privat-rechtlich einklagen, wenn sie nicht erfüllt ist. Die Behörden
87
Gesetzliche und freiwillige Vorgaben zur Energieeinsparung
werden dabei nicht aktiv, sondern verlangen nur die
Existenz des Nachweises.
Es gibt wenig quantitative Grundlagen zur Beurteilung
des Vollzuges. Die Ausführung auf dem Bau wurde
wenig untersucht. Allerdings äußern sich einige Experten kritisch bezüglich der Qualität des Vollzuges.
Sie gehen davon aus, dass die Bauqualität heute in
etwa jener der WSVO 1994 entspricht. Die wesentlichen Fehler bei der Ausführung seien auf falsche Berechnungen, Differenzen in der bautechnischen Umsetzung sowie falsche Ausführung zurückzuführen.
Punktuelle Untersuchungen bei 30 Niedrigenergiehäusern in Münster, welche zu den speziell geförderten Bauten zählen, ergaben einen um 20 % höheren
spezifischen Jahresheizwärmebedarf als ursprünglich im Wärmeschutzausweis nachgewiesen. Diese
Analysen zeigten, dass der Heizwärmebedarf sich
vor allem aufgrund von Fehlkalkulationen und Ausführungsmängeln verschlechterte.
Experten begründen dies mit fehlenden Kontrollen
durch die Behörden sowie die mangelhafte Ausbildung und Sensibilität der Handwerker. Auf Grund von
Einzelbeispielen, wie das oben beschriebene, gehen
Experten davon aus, dass die heutige Bauweise im
Durchschnitt etwa 20 % unter den Energiestandards
liegt. (s. Bundesministerium für Energie 2005, 58 –
61)
3.6.8 Freiwillige Energiestandards
In den vorhergehenden Abschnitten wurde der gesetzlich vorgeschriebene Mindeststandard der EnEV
sowie ihre Entwicklung erläutert. In der Bauwirtschaft
gibt es allerdings neben dem gesetzlichen eine Vielzahl von freiwilligen Energiestandards, die die gesetzlichen Standards in ihren Anforderungen übertreffen
und den zukünftigen Entwicklungen vorauseilen. In
diesen Zusammenhang sind Begriffe wie Niedrigenergiehaus, Passivhaus, Nullheizenergiehaus, Nullenergiehaus, Plusenergiehaus, KfW 40-Haus, KfW
60-Haus, X-Liter Haus zu nennen. Diese sind bisher
nicht durch Normen festgelegt. Es gibt aber übliche
und allgemein anerkannte Standards, die sich durch
Vorhandensein von Zertifizierungs- und Qualitätssicherungsangeboten auszeichnen.
Die Bedeutung privater Normenorganisationen bei der
Genese der Energiestandards ist relativ gering, doch
zeigen die innovativen Konzepte häufig den Weg der
Zukunft für die gesetzlichen Energiestandards auf. In
88
den folgenden Abschnitten sollen nun die freiwilligen
Energiestandards betrachtet werden. Energiestandards sind immer im Vergleich zu anderen Techniken
des energiesparenden Bauens zu sehen. Zeitgemäße und übliche Gebäudestandards im Neubaubereich
sind vor allem das Niedrigenergiehaus und das Passivhaus. In den letzten Jahren hat sich vor allem die
Passivhausbranche als „Innovationsmotor“ des energiesparenden Bauens gezeigt.
Niedrigenergiehaus
Der Begriff Niedrigenergiehaus wird seit den 70er
Jahren benutzt. Die Idee dazu kam aus den USA
und Kanada, wo sie als „low energy houses“ bekannt
wurden. In Europa gelten die Schweden als Vorreiter des Niedrigenergiehauses mit der „Schwedischen
Baunorm“ (SBN), die 1975 – 1980 in den skandinavischen Ländern eingeführt wurde. Der Begriff „schwedische Baunorm“ wurde auch in Deutschland bekannt
und kam bei Experimentalbauten zur Anwendung. (s.
Simon 2004,14)
In der der Vergangenheit hat der Begriff des Niedrigenergiehauses (NEH) eine Fortschreibung erfahren:
Vor 2002 repräsentierten die für die EnEV in Aussicht
gestellten Anforderungen das NEH-Niveau. Heute
werden als Niedrigenergiehäuser Gebäude erfasst,
die die Anforderungen der EnEV deutlich überschreiten, sowohl im Bestand als auch im Neubau. Der bauliche Wärmeschutz ist darauf abgestimmt gegenüber
der heutigen EnEV um 30% geringere TransmissionsWärmeverluste zu erreichen. Durch zusätzliche Anforderungen an die Haustechnik wird darüber hinaus
der Heizwärmebedarf noch weiter verringert. Dies beinhaltet nicht nur Anforderungen an die Wärmedämmung der Regelflächen und Sonderbauteile, sondern auch an die Vermeidung oder Minimierung von
Wärmebrücken, an eine mehr als nur normgerechte
Luftdichtheit sowie an eine angepasste Heizung und
Lüftung. Die technischen Einzelanforderungen sind in
den „Güte- und Prüfbestimmungen“ auf der Internetseite der „Gütegemeinschaft Niedrigenergie-Häuser
e.V.“ (http://www.guetezeichen-neh.de/) beschrieben
und können unter Rubrik Downloads herunter geladen werden.
Niedrigenergiehäuser wurden in Deutschland 1985
eingeführt und haben sich mittlerweile zehntausendfach bewährt. In NRW ist die NEH-Bauweise inzwischen im geförderten Mietwohnungsbau Regelbauweise. Der Einspareffekt durch Niedrigenergiebauweise ist zwar beachtlich, dennoch kann nicht auf eine
Gesetzliche und freiwillige Vorgaben zur Energieeinsparung
normale Heizanlage verzichtet werden. Der Mehraufwand für Wärmeschutz und eventuelle Lüftungsanlage muss sich daher allein aus den eingesparten Heizkosten amortisieren. Der NEH-Standard wird erreicht,
wenn die technischen Einzelanforderungen eingehalten werden. Insgesamt weist ein Gebäude mit NEHStandard einen Heizwärmebedarf von 30 bis 70 kWh
/m²a auf.
Passivhaus
Ein Passvihaus im Sinne der Gütegemeinschaft
Niedrigenergie-Häuser e.V. ist ein Gebäude, dessen
Heizwärmebedarf nicht höher als 15 Kilowattstunden
pro Quadratmeter Energiebezugsfläche und pro Jahr
ist. Der Nachweis ist mit dem Berechnungsprogramm
„Passivhaus Projektierungspaket“ (PHPP) des Darmstädter Passivhaus-Instituts zu führen. Ein Passivhaus
stellt aus Sicht der Gütegemeinschaft Niedrigenergiehäuser e.V den heutigen Stand der Technik beim energiesparenden Bauen dar und führt zu einem um 7585 % verringerten Heizenergiebedarf gegenüber einem Neubau, der nur nach EnEV-Mindestanforderungen gebaut ist (vgl. Abb. 65). Niedrige Wärmeverluste
werden durch eine „supergedämmte“ Gebäudehülle,
eine kompakte, wärmebrückenfreie und luftdichte
Bauweise sowie durch dreifachverglaste Fenster mit
speziell gedämmtem Rahmen erreicht. Ein Großteil
des Wärmebedarfs wird durch die solaren Gewinne
der Fenster (große Südfenster, minimale Fensterflächen nach Norden) und durch interne Wärmegewinne
gedeckt. Im Ergebnis kann die Beheizung allein durch
ein Lüftungssystem mit Wärmerückgewinnung aus
der Abluft (ggf. mit eingeschränkter Nachheizung) erfolgen. Die technischen Einzelanforderungen sind in
den „Güte- und Prüfbestimmungen“ auf der Internetseite der Gütegemeinschaft Niedrigenergie-Häuser
e.V. (http://www.guetezeichen-neh.de/) ebenso wie
für den NEH-Standard beschrieben und können unter
der Rubrik Downloads herunter geladen werden.
Allgemein ist zu sagen, dass Passivhäuser mit großer Sorgfalt zu errichten sind. Passivhäuser haben
einen ähnlich geringen Heizwärmebedarf wie Nullenergiehäuser. Sie verzichten aber auf Autarkie-Bestrebungen und akzeptieren eine Restwärmeversorgung von außerhalb. Das Wärmeschutz-Niveau und
die Haustechnik von Passivhäusern sind ökonomisch
definiert. Der Mehraufwand für bessere Dämmung
und Lüftungstechnik gegenüber einem Niedrigenergiehaus kann durch das nicht benötigte Heizwärme-
verteilsystem finanziert werden. Passivhäuser bieten
somit ein vergleichbar niedriges Verbrauchsniveau
wie Nullenergiehäuser (vgl. Abb. 68) zu deutlich niedrigeren Kosten.
KfW 40-Häuser
Ein KfW 40-Haus ist ein Gebäude mit einem höheren Energiestandard als der gesetzliche Mindeststandard. Der Primärenergieverbrauch beträgt max. 40
kWh/m² beheizter Gebäudenutzfläche. Gleichzeitig
muss der Transmissionswärmeverlust den gesetzlich
vorgeschriebenen Standard um 45 % unterschreiten.
Die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) fördert diese Form der zusätzlichen Energieeinsparung, wenn
entsprechende Nachweise erbracht werden.
Für die Umsetzung des KfW 40-Standards stehen
eine Reihe von Methoden zur Verfügung. Der niedrige Energieverbrauch kann z.B. durch verschiedene
Kombinationen folgender Energie-Konzepte erreicht
werden:
- Hohe Wärmedämmung bei Wänden, Dach, Fenstern und Fundament
- Vermeidung von Wärmebrücken und Luftdichtheit
des Gebäudes
- Kontrollierte Lüftung mit Wärmerückgewinnung
- Energieeffiziente Heizsysteme
- Solaranlagen zur Warmwasserversorgung
- Effiziente Regenwassernutzung
KfW 60-Häuser
KfW 60-Häuser sind ebenfalls wie die KfW 40-Häuser
Gebäude mit höherem Energiestandard im Vergleich
zum gesetzlichen Mindeststandard. Der Primärenergieverbrauch beträgt maximal 60 kWh/m² beheizter
Gebäudenutzfläche. Gleichzeitig muss der Transmissionswärmeverlust den gesetzlich vorgeschriebenen
Standard um 30 % unterschreiten. Die Kreditanstalt
für Wiederaufbau fördert diese Häuser ebenso wie
die KfW 40-Häuser. Im Gegensatz zu KfW 40-Häusern kommen KfW 60-Häuser in der Regel ohne eine
Lüftungsanlage aus. Der Haustyp wird also meist mit
einer herkömmlichen Heizungsanlage ausgestattet.
Nullheizenergiehaus, Nullenergiehaus, Plusenergiehaus
Zukunftsorientierte Planungen zielen darauf ab, künftig jeglichen fossilen Energieverbrauch für Gebäude
zu unterbinden. Dafür existieren derzeit drei Kategorien von Häusern:
1. Das Nullheizenergiehaus ist ein Gebäude, bei dem
89
Gesetzliche und freiwillige Vorgaben zur Energieeinsparung
keine Heizenergie benötigt wird, also ein Gebäude,
das mit „null“ kWh/m² an fossilem Heizenergiebedarf
für Raumwärme auskommt, wohl aber Energie für
Warmwasseraufbereitung, Beleuchtung und andere
elektrische Anlagen benötigt;
2. Das Nullenergiehaus ist ein Gebäude, bei dem sowohl keine Heizenergie als auch keine Energie für
Warmwasseraufbereitung, Beleuchtung u.a. benötigt
werden, also ein Gebäude, welches im Jahresmittel
keinen Netto-Energiebezug von außen benötigt;
3. Das energieautarke Haus (Plusenergiehaus) ist ein
Gebäude, in dem aufgrund gebäudetechnischer Anlagen (meist Solarenergie) ein Überschuss an Energie
erzeugt wird, der in das Stromnetz eingespeist wird.
Als Plusenergiehaus bezeichnet man also ein Haus,
welches im Jahresmittel eine Netto-Energielieferung
nach außen erbringt.
Die vorgestellten Haustypen werden kontrovers diskutiert. Einerseits werden sie als durchaus realisierbare und rentable Zukuntfsvision gesehen, andererseits werden Nullenergiehäuser bzw. energieautarke
Häuser im hiesigen Klima als weder ökonomisch noch
ökologisch sinnvoll betrachtet.
Zwar funktionieren mehrere Nullenergiehäuser sowie
Plusenergiehäuser seit einigen Jahren zufriedenstellend, es zeigt sich jedoch, dass der dreifache Investitionsaufwand für den sehr hohen Wärmeschutz, für die
solare Wärmegewinnung und für die Saisonspeicherung unverhältnismäßig hoch ist und sich keinesfalls
aus den vermiedenen Heizkosten finanzieren lässt.
Anders gesagt, der Aufwand für die Effizienzsteigerung vom Passivhaus zum Nullheizenergiehaus ist
hoch, eine Wirtschaftlichkeit kann derzeit noch nicht
nachgewiesen werden. Umso mehr ist die Entwicklung zum Nullenergiehaus gekennzeichnet durch
technische Lösungen im Bereich der Wärmedämmung und der Anlagentechnik. So könnte die Restenergie mittels Solarkollektoren und/oder Photovoltaikmodulen erzeugt werden. Ob Nullenergiehäuser bzw.
Plusenergiehäuser zukünftig wirtschaftlich rentabel
werden, bleibt abzuwarten.
net in in der Regel den Heizöl-Bedarf. Dies stellt eine
sehr konkrete und plakative, allerdings auch unpräzise Bezeichnung dar. Die Gefahr besteht darin, dass
Angaben häufig nicht stimmen: Wärmebedarf, Energiebedarf, Primär- und Sekundärenergieverbräuche
werden verwechselt (s. Frauenhofer-Informationszentrum Raum und Bau IRB 2003, 63-65).
Häufig ist der Begriff des 3-Liter-Hauses verbreitet,
3 Liter Heizöl á 10 kWh/(m²a) entsprechen 30 kWh/
(m²a) Heizwärmebedarf. Dieser Kennwert stellt auch
heute noch einen hohen Anspruch dar, er ist zwischen
einem Niedrigenergiehaus und einem Passivhaus
anzusiedeln. Oft wird für Niedrigenergiehäuser als 3Liter-Häuser geworben, dieser Wert ist aber nur mit
sorgfältiger Planung und umfangreichen Maßnahmen
zu erreichen. Ein Passivhaus (nach o.g. Standard)
kommt im Jahr mit weniger als 1,5 l Heizöl pro m² und
Jahr für die Heizung aus.
Die Abbildung 65 gibt zusammenfassend einen größenordnungsmäßigen Vergleich einiger der vorgenannten energetischen Standards an. Es ist der
Heizwärmebedarf bezogen auf die Nutzfläche der
Gebäude abgebildet. In der ausgewiesenen Streubreite spiegelt sich die Kompaktheit der Gebäude wider (kleines A/V-Verhältnis: geringer Bedarf; großes
A/V-Verhältnis: hoher Bedarf) (s. Kompetenzzentrum
2007a, 13).
X – Literhaus
Zur Charakterisierung der energetischen Effizienz
eines Gebäudes ist der Begriff des x-Liter-Hauses
(„x“ kann durch jede beliebige Zahl ersetzt werden, je
niedriger diese Zahl ist, desto besser ist die Energieeffizienz des Gebäudes) entstanden. Das „x“ bezeich-
90
Abb. 68: Spezifischer Heizwärmebedarf von Wohngebäuden
Gesetzliche und freiwillige Vorgaben zur Energieeinsparung
3.6.9 Die zukünftige Entwicklung der
Energiestandards
Betrachtet man die Entwicklung der energetischen
Standards in Deutschland sowie die Entwicklung
innerhalb Europas (vgl. Kapitel 3.6.1), so lässt sich
vermuten, dass mit der EnEV 2007 bzw. der EPBD
noch lange nicht das Ende dieser bislang knapp 40
jährigen Geschichte gesetzlicher Energiestandards
erreicht ist. Die EnEV entspricht in der aktuellen Fassung (EnEV 2004) für Wohnbauten bereits vollständig den Anforderungen der neuen EU-Richtlinie und
mit der EnEV 2007 wird sie auch in den Bereichen
der Belichtung und Klimatisierung der EPBD vor allem im Nicht-Wohnbereich angepasst. Bei den Novellierungen der EnEV wurden bislang die Energiekennzahlen nicht verschärft. Vielmehr erfolgten Anpassungen an verschiedene überarbeitete DIN-Normen
beziehungsweise die EPBD. Anpassungen wurden
unter anderem in den Bereichen Wärmebrücken,
Luftdichtheit, Lüftung, erneuerbare Energien, Aufstellungsort des Wärmeerzeugers, Rohrleitungsverluste,
Beleuchtung und Klimatisierung sowie dem Energiepass vorgenommen. Der Angleichungsprozess an die
europäische Richtlinie scheint vollzogen und auch
die Anpassung an verschiedene DIN-Normen scheint
weitestgehend abgeschlossen zu sein.
Um langfristige Klimaschutzziele der Bundesregierung, z.B. die Reduzierung der CO2-Emissionen um
mindestens 80 % bis 2050, erreichen zu können, ist
eine offensivere Klimaschutz-Strategie im Bereich
der Weiterentwicklung der Energieeinsparverordnung
nötig. Es müssen bereits heute Ziele für die weitere
Zukunft formuliert werden, auch wenn eine wichtige
Stellgröße (die Entwicklung der zukünftigen Energiepreise) nicht genau kalkulierbar ist. Es ist also zu erwarten, dass auch die bislang nicht verschärften Energiekennzahlen in zukünftigen Novellierungen der
EnEV erhöht werden.
Über kurz oder lang wird sowohl für den Neubaubereich als auch den Altbaubereich der Niedrigenergiehausstandard (NEH-Standard) festgesetzt werden,
aber auch dieser wird nicht das Ende der Entwicklung
darstellen. Zumindest für den Neubaubereich ist mittelfristig mit der Einführung des Passivhausstandards
zu rechnen. Ebenfalls werden in zukünftigen Novellierungen der EnEV vor allem die Anforderungen an den
Altbaubestand verschärft werden. Darüber hinaus ist
zu erwarten, dass die heutige Ausnahme der Nachrüstpflicht bei Ein- und Zweifamilienhäusern (Eigen-
tümerwechsel) gestrichen wird. Ebenso werden sich
die Anforderungen an die Nachrüstpflichten bezüglich
des Umfangs und der Qualität sukzessiv erhöhen.
Vorstellbar ist auch, dass eine Nachrüstpflicht für die
Außendämmung im Bestand verpflichtend wird. Dies
sind nur einige mögliche Verschärfungen der Standards. Dass es Verschärfungen geben wird, steht bei
dem politischen Ziel der Einsparung von 80% CO2 Emissionen außer Frage (vgl. Kapitel 3.2).
Bei Betrachtung der Förderprogramme (vgl. Kapitel
3.3) erhärtet sich die Vermutung der weiteren Entwicklung der energetischen Standards. Daher ist anzunehmen, dass die derzeitige Förderung von Bauten
in einigen Jahren zum gesetzlichen Energiestandard
wird. Dieser Standard entspräche dann in etwa dem
bereits oben angesprochenen NEH-Standard. Die
Förderprogramme bilden demzufolge die Rolle eines
„Motors“ der Energiestandards und gewähren uns
Einblicke in zukünftige Standards. Unter Betrachtung
des Anpassungsrhythmus der Energiestandards wird
dies voraussichtlich innerhalb der nächsten 5 – 7 Jahre geschehen.
Abschließend lässt sich festhalten, dass sich die gesetzlichen Energiestandards immer weiter verschärfen werden. Es ist abzuwarten, welche innovativen
Techniken in den kommenden Jahren für noch bessere energetische Gebäude entwickelt werden.
91
3.7 Stand der Technik bei der energetischen Modernisierung
Triggertechnologie: Wärmedämmung für energieeffiziente Gebäude
Bei der Umsetzung von energetischen Standards im
Bestand versucht man die geltenden Standards für
Neubauten in Form der energetischen Modernisierung
auch auf den Altbau zu übertragen. Die zeitgemäßen
und üblichen Gebäudestandards im Neubaubereich
sind vor allem das Niedrigenergie- und das Passivhaus (vgl. Kapitel 3.6). Ebenso wie beim Neubau
wird energiesparendes Bauen im Wesentlichen durch
Abb. 69: Trends für die energetische Wirksamkeit verschiedener Entwurfsaspekte
92
Verbesserung der Anlagentechnik und Optimierung
der Wärmedämmeigenschaften der Gebäudehülle
umgesetzt. In Abbildung 69 ist die energetische Wirksamkeit verschiedener Entwurfsaspekte vergleichend
dargestellt. Die Grundlage dieser Darstellung liegt in
einer hohen Zahl von bearbeiteten Bauvorhaben, bei
denen mit diesen Parametern Optimierungsprozesse
simuliert wurden.
Die Modernisierung eines Bestandsgebäudes auf einen besonders energieeffizienten Gebäudestandard
ist schwierig realisierbar. Die wesentlichen Prinzipien energieeffizienter Neubauten lassen sich jedoch
grundsätzlich als Prinzipien und Zielstellungen für
Bestandsgebäude übernehmen. Bei den Prinzipien
lassen sich sowohl formale Kriterien an ein komfortables und energetisch effizientes Wohngebäude
(z.B. Standort, Gebäudeausrichtung, Gebäudeform,
Gebäudezonierung, Raumanordnungen) als auch
funktionale Gestaltungskriterien identifizieren. Diese
werden im Wesentlichen durch die Effizienz der Anlagentechnik und die Qualität der Gebäudehülle bestimmt. Da im Altbaubereich bereits die Bausubstanz
vorhanden ist, sind energetische Verbesserungsmaßnahmen hier stets mit Einschränkungen verbunden
und nicht so stringent plan- und durchführbar wie im
Stand der Technik bei der energetischen Modernisierung
Neubaubereich. (s. Finkenbusch 2006, 59) Die Erreichung eines Niedrigenergiehaus- oder Passivhausstandards ist durch die Einbeziehung der bereits
gegebenen Faktoren im Altbaubereich schwieriger
und komplexer als im Neubaubereich, wurde aber in
mehreren Bauvorhaben schon erfolgreich umgesetzt
(Demonstrationsprojekte).
Neben den formalen und funktionalen Kriterien spielt
die Planung eine entscheidende Rolle für die Realisierung energetisch optimierter Gebäude, das Stichwort in diesem Zusammenhang lautet „Integraler Planungsansatz“.
3.7.1 Formale Kriterien an ein komfortables und
energetisch effizientes Wohngebäude im Bestand
Wie bereits erwähnt, kann auf die Aspekte, die bei einem energieeffizienten Neubau beachtet werden sollten (Standort, Gebäudeausrichtung, Gebäudeform,
Gebäudezonierung und Raumanordnungen) bei einer energetischen Modernisierung nur beschränkt
Einfluss genommen werden. Allerdings ist auch für
Bestandsgebäude immer zu prüfen, ob die eventuell unbewusst vorhandenen Potentiale ausgeschöpft
bzw. genutzt werden.
So ist in jedem Sanierungsfall zu klären, wie eine
möglichst optimale Gebäudegeometrie mit einem
Höchstmaß an passiven Solargewinnen geschaffen
werden kann. Dies gilt bei der Sanierung ebenso wie
beim Neubau, ist allerdings den Gegebenheiten des
vorhandenen Gebäudes unterworfen.
Standort
Auf die Standortwahl des Objektes kann innerhalb
des Bestandes selbstverständlich kein Einfluss mehr
ausgeübt werden. Allerdings spielt der Standort auch
noch für den Bestand eine entscheidende Rolle.
Zum einen ist zu prüfen, ob die Randbedingungen
des Standortes – wie z.B. die natürlichen Ressourcen (Erdwärme etc.) – im Gesamtkonzept des Gebäudeentwurfes berücksichtigt wurden oder ob sie
im Rahmen einer Modernisierung noch berücksichtigt werden können. Der geschickte Umgang mit den
speziellen Randbedingungen des Ortes ermöglicht
eine Reduzierung des Investitions- und Nutzungsaufwands auch bei einer Modernisierung.
Weiterhin ist der Standort aufgrund der Veränderungen auf dem Wohnungsmarkt von entscheidender
Bedeutung (vgl. Kapitel 2.3 u. 2.4). Die Standortqualität bildet neben der Gebäudequalität und weiteren
Qualitätsmerkmalen einen wichtigen Anhaltspunkt
zum Wert der Immobilie. Somit bestimmt die Standortqualität auch über das sinnvolle Maß der Modernisierungsinvestitionen.
Ein anderer Aspekt des Standortes, der für eine energetische Modernisierung von Bedeutung ist, ist der
Sonnenstand bzw. die Verschattung durch die Umgebung. „Die Anordnung des Gebäudes im Gelände sowie seine Orientierung haben entscheidenden
Einfluss auf die Besonnung und Verschattung des
Gebäudes insgesamt, aber auch der einzelnen Räume. Da im Sommer die Sonne mittags sehr hoch steht
und somit kleine Dachüberstände oder Balkone eine
Verschattung der Hauptfassade und damit ihrer Fensterflächen bewirken, ist eine Nord-Süd-Orientierung
günstig. Diese wirkt sich auch im Winter bei dann tief
stehender Sonne positiv auf den Wärmegewinn eines
Gebäudes aus. Bei einem Ost-West ausgerichteten
Gebäude ist eher mit Überhitzung und Blendwirkung
zu rechnen, da die Sonne hier vormittags und nachmittags direkt auf die Fassade scheint. Konventionelle außenliegende Verschattungssysteme reichen in
der Regel aus um eine Überhitzung zu vermeiden.
Moderne Systeme können dabei über eine verbesserte Lichtlenkung einen hohen Tageslichtanteil in
die Räume bringen.“ (Kompetenzzentrum 2007a, 7)
Neben der Verschattung durch die Umgebung entstehen Verschattungen durch Vorsprünge, auskragende
Bauteile, Geländer und Fensterlaibungen sowie durch
die Verschmutzung der Fensterflächen. Die Fensterebene sollte also möglichst weit an die Außenseite der
Konstruktion gezogen werden um verschattende Laibungen und Stürze gering zu halten.
Neben der Anordnung und Orientierung des Gebäudes hat auch noch das Mikroklima (topografische
Lage, Intensität der Sonneneinstrahlung, Windverhältnisse) des Standortes Einfluss auf den Energieverbrauch. Bei windexponierten Gebäuden ist verstärkt
auf die Fugendichtigkeit zu achten, da sonst mit erhöhten Wärmeverlusten und Behaglichkeitseinbußen
durch Zugerscheinungen zu rechnen ist. Lagebedingte Wärmeverluste können durch eine Ausrichtung des
Gebäudes mit weitgehend geschlossenen und luftdichten sowie gut wärmegedämmten Außenwänden
zur Hauptwindrichtung vermindert werden. Weiterhin
können die Verluste durch windhemmende Hecken
und Bäume in Hauptwindrichtung reduziert werden
und die Aufenthaltsqualitäten auf z.B. Balkonen oder
Terrassen verbessert werden. (s. ebd. 7)
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