Auftragsoper des Theaters St.Gallen Premiere: Mai 2017 Mit freundlicher Unterstützung der Ernst v. Siemens Musikstiftung UBS Kulturstiftung Pro Helvetia Seit mehreren Jahren verfolgt das Theater St.Gallen erfolgreich die Strategie, dem Publikum nicht nur Musiktheater-Klassiker des 20. Jahrhunderts wie zuletzt Erich Wolfgang Korngolds Die tote Stadt zu präsentieren, sondern auch zeitgenössische Ur- und Erstaufführungen wie die erfolgreiche erste Schweizer Aufführung von George Benjamins neuer Oper Written on Skin. Für die Spielzeit 2016/17 freuen wir uns, Ihnen die Uraufführung einer Oper nach Alain Claude Sulzers Novelle Annas Maske ankündigen zu können. Der Schweizer Erfolgsautor hat selbst das Libretto geschrieben. Die Musik komponiert der gebürtige St. Galler David Philip Hefti, der unter anderem Förderpreisträger des Ernst von Siemens Musikpreis 2013 ist und kürzlich erst mit dem HindemithMusikpreis 2015 ausgezeichnet wurde. Die Idee zu diesem Auftrag entspringt auch dem Glauben an die Gültigkeit von spannend und innovativ erzählten Geschichten, deren Figuren neben ihren performativen Qualitäten auch ein hohes Identifikationspotential beinhalten. Die Möglichkeiten der Gattung Literaturoper scheinen da bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Gerade die Umsetzung von Alain Claude Sulzers multiperspektivischem, halbdokumentarischem Thriller nach einem authentischen historischen Fall rund um die ehemalige Schweizer Starsängerin Anna Sutter ist da eine besonders interessante Herausforderung, die Gelegenheit für ganz neue spannende Erzählansätze in Text, Szene und Partitur bietet. Mit herzlichem Gruss Ihr Peter Heilker Die Oper beginnt mit einer Szene, die ihr (und der Novelle) den Titel gegeben hat: Der toten Anna Sutter wird in ihrem Schlafzimmer, dort, wo sie ermordet wurde, die Totenmaske abgenommen; Kopien davon sollen später kommerziell verwertet werden. Nach der Eingangsszene rollt sich das Drama vor unseren Augen in der Chronologie der letzten Ereignisse ab. Sie gipfelt in der Mordszene, die sich im gleichen Zimmer abspielt, in dem die Oper beginnt. Bühne und Leben Das Libretto zu Annas Maske basiert auf der gleichnamigen Novelle von Alain Claude Sulzer. Diese geht von einer wahren Begebenheit aus, die sich 1910 in Stuttgart abspielte und grosse Aufmerksamkeit erregte. Damals wurde Anna Sutter, der Star des Hoftheaters – ebenso berühmt für ihre Soubrettenrollen wie für Rollen wie Carmen oder Salome – in ihrer Wohnung erschossen. Ihr Mörder richtete sich unmittelbar nach der Tat selbst. Anna Sutter, die einmal scherzhaft darauf hingewiesen hatte, sie werde eines Tages das Schicksal Carmens erleiden, wurde zum Opfer eines ehemaligen Liebhabers. Aloys Obrist stammte ebenfalls aus der Schweiz, wuchs allerdings in Weimar auf, studierte Musik und wurde Dirigent. Die Wege der beiden kreuzten sich in Stuttgart nicht zum ersten Mal, aber erst hier wurden sie ein Liebespaar. Auf Heirat drängte Obrist, der selbst vermählt war, erst, nachdem Anna ihm den Laufpass gegeben hatte. Was danach geschah, steht im Mittelpunkt der Oper Annas Maske. Entgegengesetzte Lebensentwürfe Die Handlung um die um 1900 an der Stuttgarter Oper gefeierte Schweizer Sängerin, deren Leben und Tod mit dem Schicksal ihrer Paraderolle Carmen erstaunliche Parallelen aufweist, bietet geradezu exemplarisch die Möglichkeit, stark voneinander abweichende Lebensentwürfe und Wahrnehmungen theatralisch umzusetzen. Auf der einen Seite steht die als leichtlebig geltende, tatsächlich moderne Frau und erfolgreiche Musikerin, die ihre Freiheit höher schätzt als eine sichere Ehe, welche sie im Grunde niemals ins Auge fasst. Auf der anderen Seite steht ein sich als Künstler verstehender Mann, der nicht anders als Don José, seine amour fou womöglich erst dann entwickelt und bis in den Wahnsinn steigert, als er einsieht – oder nicht einsehen will –, dass er die Frau, die er liebt, bereits verloren hat. Die Oper bietet Gelegenheit, zwei auf Dauer unvereinbare Menschen mit völlig entgegengesetzten Ehrvorstellungen und in ihren jeweils durchaus verständlichen Nöten zu zeigen. Der Stoff wird von Alain Claude Sulzer in seinem Libretto aus zahlreichen Perspektiven betrachtet, die für die Komposition eine vielschichtige und simultane Umsetzung anbietet. Zwischen Tragik und Komik Annas Maske gewährt dem Publikum neben den fatalen Entwicklungen auch Einblicke in den Opernbetrieb um 1900. Die tragisch endende Mordszene bildet abgesehen von ihrer Ähnlichkeit mit dem Schluss von Bizets Carmen eine typische Vaudevillesituation nach. Diese musiktheatralisch reizvolle Anlage verdankt sich insbesondere dem Umstand, dass sich Albin, der neue Liebhaber Annas, im Schrank des Schlafzimmers versteckt, als Obrist sich gewaltsam Einlass verschafft. Als der junge Liebhaber – ein Tenor – endlich aus dem Schrank tritt, liegen die beiden Protagonisten hingestreckt in ihrem Blut vor ihm. Drama und Lächerlichkeit sind sich hier deutlich näher beieinander als in Bizets/Mallarmés Carmen. Und nicht nur in dieser Szene. Nach diesen turbulenten, zwischen Drama und Komödie changierenden Ereignissen endet die Oper ähnlich, wie sie begonnen hat: erneut steht Annas Maske im Zentrum. Wir befinden uns in einer Kunstgalerie, in der die Totenmaske, die Anna in der ersten Szene abgenommen wurde, für Käufer ausgestellt ist. Tatsächlich gab es in Stuttgart nach ihrem Tod einen florierenden Devotionalienhandel mit Abgüssen der Totenmaske, Fotografien und Schallplatten. Hier versammeln sich nun um einen Grammophontrichter einige der Protagonisten: Albin, der letzte Liebhaber; Pauline (Annas Zofe), der ermittelnde Inspektor, Gustav (Annas kleiner Sohn), der Bildhauer, der Anna die Maske abgenommen hatte, sowie der Intendant des Theaters. Ein melancholischer Abgesang ertönt, in dem Annas flüchtige Stimme obsiegt – geisterhaft festgehalten auf einer Schallplattenaufnahme. David Philip Hefti, Komposition David Philip Hefti wurde 1975 in St. Gallen geboren und studierte Komposition, Dirigieren, Klarinette und Kammermusik bei Wolfgang Rihm, Cristóbal Halffter, Wolfgang Meyer, Rudolf Kelterborn und Elmar Schmid in Zürich und Karlsruhe. Er ist Gewinner renommierter Kompositionswettbewerbe wie «Gustav Mahler» in Wien, «Pablo Casals» in Prades, «George Enescu» in Bukarest. David Philip Hefti wurde 2015 mit dem Hindemith-Preis und 2013 mit dem Komponisten-Preis der Ernst von Siemens Musikstiftung ausgezeichnet. David Philip Hefti trat weltweit an Festivals wie Ultraschall in Berlin, Musica de Hoy in Madrid, Wien Modern, Steirischer Herbst in Graz, Menuhin-Festival in Gstaad, EuroArt in Prag, Beijing Modern, Suntory in Tokyo und als composer- und artist-in-residence beim Moritzburg Festival, an der Schlossmediale Werdenberg und bei den Heidelberger Philharmonikern auf. Konzerte verbinden ihn mit Solisten wie Fabio Di Càsola, Thomas Grossenbacher, Thomas Indermühle, Cornelia Kallisch, Wolfgang Meyer, Sylvia Nopper, Jan Vogler, Antje Weithaas und Dirigenten wie Douglas Boyd, Peter Eötvös, Howard Griffiths, Cornelius Meister, Kent Nagano, Jonathan Nott, Michael Sanderling, Jac van Steen, Mario Venzago, Ralf Weikert und David Zinman. Heftis Schaffen führt zur Zusammenarbeit mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin, den Bamberger Symphonikern, der Deutschen Radio Philharmonie, dem Tonhalle-Orchester Zürich, dem Radio-Symphonieorchester Wien, dem Orchestre symphonique de Montréal, der Tokyo Sinfonietta, dem Leipziger Streichquartett, den Neuen Vocalsolisten Stuttgart, dem Ensemble Modern und dem Collegium Novum Zürich. Werke (Auswahl seit 2010) Danse interstellaire (2014): Trauermusik für Bassett-Klarinette und Streichquartett con moto (2014): Beziehungsweisen für Orchester Monumentum (2014): Musik für Streichsextett Magma (2014): Klangfunken für Violine, Viola und Violoncello Adagio (2013): Beziehungsweisen für Orchester Modules (2013): für Flöte solo An durchsichtigen Fäden (2013): für Mezzosopran und Violoncello nach einem Gedicht von Kurt Aebli Hamlet-Fragment (2013): für Vokalensemble nach Friedrich Nietzsche Éclairs (2013) : Klangmomente für Ensemble Adagietto (2012) : für Streichorchester Lichter Hall (2012): Trio Nr. 2 für Violine, Violoncello und Klavier Moments lucides (2012): Resonanzen für Orchester Canto (2012): für Bassklarinette solo Changements (2011): Stimmungsbilder für Orchester Beethoven-Resonanzen (2011): Klavierstück Nr. 2 con fuoco (2011): Streichquartett Nr. 4 Klangscherben (2011): Mosaik für Violoncello solo Mobile (2011): Streichquartett Nr. 3 Gegenklang (2010): Konzert für Violoncello und Orchester Interaktionen (2010): für Violine, Viola, Violoncello und Klavier Bergwärts (2010): 3 Aggregatzustände für Sopran, Flöte, Violine, Violoncello und Klavier nach einem Gedicht von Felix Philipp Ingold Alain Claude Sulzer, Libretto Alain Claude Sulzer wurde 1953 in Riehen geboren und ist ein Schweizer Schriftsteller und Übersetzer. Sulzer absolvierte eine Ausbildung zum Bibliothekar und war später als Journalist tätig. Seit den Achtzigerjahren veröffentlicht er eigene literarische Texte, vorwiegend Prosa. Daneben hat er mehrere Werke aus dem Französischen übersetzt. 1990 nahm er am Ingeborg-BachmannWettbewerb in Klagenfurt teil und war von 2008 bis 2011 Mitglied der dortigen Jury. Mit seinem Roman Aus den Fugen kam er 2012 auf die Shortlist für den Schweizer Buchpreis. Sulzer lebt heute in Basel, im elsässischen Vieux-Ferrette und in Berlin. Alain Claude Sulzer wurde mehrfach für sein literarisches Schaffen ausgezeichnet. Zuletzt erhielt er den Literaturpreis des Freien Deutschen Autorenverbandes (2014), den Kulturpreis der Stadt Basel (2013), den Hermann-Hesse-Preis (2009) sowie den Prix des auditeurs de la Radio Suisse Romande (2009). Werke (Auswahl) Aus den Fugen. Roman. Galiani, Berlin 2012 Zur falschen Zeit. Roman. Galiani, Berlin 2010 Privatstunden. Roman. Epoca, Zürich 2007 und Suhrkamp, Frankfurt am Main 2009 Ein perfekter Kellner. Roman. Epoca, Zürich 2004 und Suhrkamp, Frankfurt am Main 2006 Annas Maske. Novelle. Epoca, Zürich 2001 und Suhrkamp, Frankfurt am Main 2006 Urmein. Roman. Klett-Cotta, Stuttgart 1998 Die siamesischen Brüder. Roman. Klett-Cotta, Stuttgart 1990 Das Künstlerzimmer. Erzählungen. Klett-Cotta, Stuttgart 1988 Bergelson. Erzählung. List, München 1985 Das Erwachsenengerüst. Roman. List, München 1983 Mirella Weingarten, Inszenierung und Ausstattung Nach einem Schauspielstudium in London studierte Mirella Weingarten Kunst in Edinburgh und Hamburg (u. a. bei Marina Abramovic). Sie schloss ihr Studium mit einem Master in Bühnen- und Kostümbild an der Slade School of Art in London ab. Seit 1996 arbeitet sie als Bühnenbildnerin, Regisseurin und Choreografin. 1999 gründete sie das «tanztheater mirella weingarten» und kehrte nach Deutschland zurück, wo sie 2000 mit ihrem Ensemble im Theater am Halleschen Ufer in Berlin auftrat. Von 2000 an arbeitete sie eng mit der Zeitgenössischen Oper Berlin zusammen, für deren Produktionen sie regelmäßig Bühne und Kostüme entwarf. Ihre Inszenierungen und Ausstattungen führten sie auch international zu den Salzburger Festspielen, dem Luzerner Theater, der Expo Zaragoza, an die Komische Oper Berlin und an die Biennale Venedig. Ihre eigenen Choreografien führten sie unter anderem zum KKL Luzern, in die Tonhallen Zürich und St. Gallen, zum Opernhaus Leipzig, zum mdr Musiksommer, an das Kunstfest Weimar sowie zum Davos Festival. Seit Herbst 2011 ist Mirella Weingarten die Künstlerische Leiterin der Schlossmediale Werdenberg.