«Unsere Gebäude sollen Ruhe ausstrahlen»

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Datum: 01.07.2013
Tages-Anzeiger
8021 Zürich
044/ 248 44 11
www.tagesanzeiger.ch
Medienart: Print
Medientyp: Tages- und Wochenpresse
Auflage: 188'602
Erscheinungsweise: 6x wöchentlich
Themen-Nr.: 812.6
Abo-Nr.: 1067228
Seite: 19
Fläche: 110'040 mm²
Formale Strenge, hohe Präsen. Max Dudlers Pädagogische Hochschule an der Europaallee in Zürich (links) und das Jacob-und-Wilheln,C,rimm-Zentrum an der lIumholdt-Universität in Berlin.Foros: Stefan Müller
«Unsere Gebäude sollen Ruhe ausstrahlen»
Architekt Max Dudler sieht die Europaallee als gelungenes Beispiel
für Verdichtung. Dekorative «Broschenarchitektur» lehnt er ab.
sich auch gegen die Bürokomplexe an weiten oder die beliebte Broschenarchider Europaallee behaupten. Wir haben tektur lehne ich ab.
die PH wie eine kleine Stadt mitten in
Die Pädagogische Hochschule (PH) das Gewebe der Stadt Zürich eingefügt. Sie finden nicht, dass Zürich archiist die wohl grösste neu gebaute
tektonisch zu wenig wagemutig ist?
Ausbildungsstätte der Schweiz.
Was
heisst
für
Sie
städtisch?
Doch man sieht ihr nicht an, dass es Das Wort entzieht sich leicht einer Defi- Überhaupt nicht. Ich finde zum Beispiel
gut, was David Chipperfield mit der
eine Schule ist. Man könnte kritisch nition: weil auch die Städte sich immer sehr
Erweiterung
des Kunsthauses macht.
anmerken: Zürich hat einen Büro- wieder verändern. Es existiert aber zu- Ebenso die Arbeiten
von Roger Diener
komplex mehr - ein Riesenvolumen, gleich eine grosse Kontinuität in der oder Vittorio Lampugnani.
Ich bewundas streng und neutral dasteht.
europäischen
Stadt.
Wenn
wir
diesen
dere
Gebäude,
die
es
verstehen,
eine
Wie sieht denn eine Schule aus? Die VorAspekt betrachten, finden wir bestimmte vorhandene architektonische Kultur aufstellungen vom Hochschulbau werden Strukturen, etwa den öffentlichen Raum
immer noch von den funktionalistischen oder die Trennung zwischen öffentlich zugreifen und diese fortzuschreiben.
Hochschul-Clustern vor unseren Städten und privat, die so etwas wie die Gram- Noch grösser wird meine Bewunderung,
es dabei gelingt, Anschluss an eine
geprägt. Ich denke schon, dass das Ge- matik der Stadt bilden. Dazu kommen wenn
internationale
Entwicklung zu finden
bäude mit den liegenden Fenstern als Formen wie etwa die genannten Gassen und vielleicht sogar
auf diese Entwickzeitgemässe Hochschule erkennbar ist. und Treppen in Zürich, die die Identität,
lung
auszustrahlen.
Umso mehr, wenn Sie über die Gassen den Charakter einer Stadt bestimmen.
und Treppen auf den als Platz gestalte- Darauf beziehe ich mich, wenn ich von
ten Campus kommen. Diese Architektur der europäischen Stadt spreche. Gegen- Ihre Architektur orientiert sich an
historischen Vorbildern. Aber kann
muss viele Einflüsse verarbeiten und
Mit Max Dudler sprachen Ulrike Hark
und Caspar Schärer
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Argus Ref.: 50418792
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die Antike oder die Renaissance
zeit eine zentrale Rolle. Doch die
Antworten auf aktuelle Fragen des
Schweizer, gerade auch die Zürcher,
Städtebaus geben? Die heutige Stadt haben Mühe mit Massstabssprünist ja nicht mehr dieselbe wie zu
gen. Sie lieben das Kleinteilige.
Es sind nicht nur die Schweizer, in
Schinkels Zeiten.
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Nein, die Europaallee lässt sich sicher
nicht einfach übertragen - bestimmte
Prinzipien allerdings schon. Ich denke
an das Verhältnis zwischen Urbanität
und Landschaft als komplementären
Es geht mir nicht um die Geschichte um Deutschland existieren dieselben Vorbe- Gegensatz, der sich gegenseitig bedingt.
ihrer selbst willen, sondern um die Er- halte. Auf der anderen Seite sind es die Versuche, die Stadt in eine Landschaft
fahrungen, die in der Geschichte be- Schweizer, die erkannt haben, welche aufzulösen, empfinde ich als problemawahrt sind. Es sind Erfahrungen, die alle Probleme aus der Zersiedelung unserer tisch. Darum bauen wir auch in der
Menschen teilen, wenn sie in Europa Landschaft für uns entstehen. Und es
aufgewachsen sind. Diese Erfahrungen wurde reagiert. Mit Murren zwar, aber
versuche ich für die Gegenwart zu trans- doch viel entschiedener als anderswo.
formieren. Gerade wenn es um den Eine dichte, städtische Kultur fordert
Städtebau geht, wo Entscheidungen natürlich ein Stück weit die ländliche
mehrere Hundert Jahre Bestand haben, Tradition heraus. Ich finde das positiv.
erscheint mir alles andere fahrlässig.
Ein Beispiel?
Auch in unserem Hochhausquartett in
Oerlikon an der Hagenholzstrasse finden Sie enge Gassen und einen Platz in
der Mitte, wie man sie etwa in einer alten Stadt findet - aber all das weist nicht
in die Vergangenheit. Enge und Weite er-
Landschaft urban, aber nicht genauso
wie in der Stadt.
Was auffällt, ist Ihre Liebe zum
Stein, Sie bauen ja keine Wände,
sondern eigentlich Mauern. Liegt
das an Ihrer Herkunft? Sie stammen
aus einer Steinhauerfamilie.
Wie schafft man es denn, dass
Dichte nicht als lästig empfunden
Weiss ich nicht, aber es stimmt, dass mir
wird? Dass Dichte zu Qualität wird? Stein immer nahe war. Was ich daran so
Eine als Bereicherung empfundene schätze, ist, dass man damit ungeheuer
Dichte hat vor allem etwas mit gelunge- präzis arbeiten kann. Architektur hat
nen öffentlichen Aussenräumen und mit Licht und Schatten zu tun. Und Stein
dem richtigen Verhältnis der Gebäude ergibt diese wunderbare Tiefe.
zueinander zu tun. Wenn diese Räume
stimmen, verträgt es auch eine gewisse Ihre Bauten wirken streng und
Dichte. Man muss aber ebenfalls in die geschlossen. Wie stark nehmen Sie
umgekehrte Richtung denken: Zu einer Bezug auf das bestehende Umfeld?
zeugen hier ein Spannungsverhältnis,
ein einfaches, zeitloses Prinzip. Es entwickelt eine ungeheure Qualität. In Zürich-Nord finden Sie genau das Gegen- städtischen Kultur gehört auch das Wisteil: eine zusammenhanglose Addition sen der Bürger darüber, wie man öffentvon Baukörpern in einer grossen Leere. liche Räume besetzt, das ist vielleicht
auch ein Lernprozess. Unsere Gebäude
Die Stadt spüren Sie hier nicht.
bilden nur den Hintergrund des städtischen Lebens. Sie sollen Ruhe ausstrahWo liegen die Ursachen dafür?
Wir versuchen, Elemente des Ortes aufzugreifen. Das kann auch ein Detail sein,
das Bedeutsamkeit erlangt. Bei den
Wohnbauten in Arbon am Bodensee haben wir mit massivem Bruchstein experimentiert. Wir haben Abdrücke von ro-
Es gibt vielfältige Gründe. Was die Archi- len und nachvollziehbare Räume anbie- hem Stein aus einem nahe gelegenen
tekten betrifft, handelt es sich um das ten. Es hat in der Geschichte der Städte
bauliche Erbe der fehlgeleiteten städte- stets Massstabssprünge gegeben. Etwa
baulichen Ideologie der Moderne. Ob- das ETH-Hauptgebäude, das war ein Riewohl in der Schweiz keine einzige Bombe sensprung. Die Europaallee realisiert
gefallen ist, haben wir die gleichen Plat- wieder so einen Sprung. Man kann an
tenbauten, wie sie in Deutschland nach den Volumen ablesen, dass sie im 21.
dem Krieg entstanden sind. Der grosse Jahrhundert entstanden sind.
Fehler der 70er-Jahre war, dass man die
Stadt aufgelöst hat, die Funktionen ört- Das Hochhaus in der Stadt scheint
lich getrennt hat in Arbeiten, Wohnen, rehabilitiert zu werden. Was halten
Freizeit und Einkaufen. Die Stadt lebt Sie vom Zürcher Prime Tower?
aber von der Vielschichtigkeit und Kom- Ich möchte dazu nichts sagen. Nur so
plexität der auf engem Raum versam- viel: Hochhäuser müssen ein Gegenüber
melten Funktionen. Die Europaallee haben wie Menschen. Auch für die Bezeigt hier einen Weg auf: Dort wird ge- wohner ist es wichtig, dass sie, wenn sie
wohnt, studiert, gearbeitet, eingekauft, aus dem 30. Stock schauen, einen Kongegessen und getrunken. In die alte Sihl- terpart haben. Sonst kanns dort oben
post ziehen sogar zwei Spitzenrestau- recht einsam werden.
rants ein. Das empfinde ich als eine geSie bauen vor allem in Städten. Lässt
lungene Verdichtung nach innen.
sich eine Struktur wie die der EuroDas Thema Verdichtung spielt zur- paallee aufs Land übertragen?
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Steinbruch abgenommen und diese Ab-
drücke als Reliefs in der Fassade verwendet. Die Häuser sind gewissermassen ein Abdruck ihrer Umgebung.
Ende der 90er-Jahre sind Sie von
Deutschland in die Schweiz zurückgekehrt. Weshalb?
Weil unter den Protagonisten der Berli-
ner Architektur ein wahrer Krieg um
den Historismus ausgebrochen war. Daran wollte ich mich nicht beteiligen und
habe dann vorübergehend andere Betätigungsfelder gesucht.
Und welche Denkrichtung hat den
Kampf letztlich gewonnen?
Aus meiner Sicht hat nur eine reflexive
Moderne Bestand. Eine Moderne, die
sich der Geschichte öffnet, ohne sie zu
kopieren. Ein Beispiel: der Bilbao-Effekt
(die gezielte Aufwertung durch spekta-
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kuläre Bauten, d. Red.). Er ist verpufft.
Da möchte kaum jemand mehr ausstellen. Ich mag Frank Gehrys Gebäude im
Grunde, aber es gibt leider viele andere
Architekten, die mal etwas «Dekonstruktivistisches» versuchen wollten. Für die
Städte war das katastrophal.
Bauen Sie heute lieber in der
Schweiz oder in Deutschland?
In der Schweiz. Die Qualität ist hier besser, denn die Ausbildung der Handwer-
ker ist auf hohem Niveau. Zudem sind
die Renditeerwartungen in der Schweiz
weniger hoch als in Deutschland. Man
baut in der Schweiz langfristiger.
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Die Europaallee wächst
Bauten von Max Dudler
Heute wird der zweite
Abschnitt des neuen
Stadtteils am Hauptbahnhof Zürich
eingeweiht. Dazu
gehört der UBS-Block
mit vier Häusern, von
denen zwei Max
IDudler gebaut hat.
Der Schweizer
Architekt (geb. 1949 in Altenrhein SG) ist
einer der markantesten Baumeister der
Gegenwart. Seine Bauten zeichnen sich
durch formale Strenge und hohe Präsenz
aus. Dudlers bevorzugtes Material ist Stein,
Typologien und Gestaltungsregeln der historischen Baukunst spielen eine grosse Rolle.
Neben der Pädagogischen Hochschule und
der UBS hat er in Zürich das IBM-Headquarter in Altstetten sowie das Hochhausensemble Hagenholzstrasse gebaut. Dudler führt
Büros in Berlin, Frankfurt und Zürich. (uh)
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