Kapitel 1 Zahlen und Geometrie 1.1 Zahlensysteme Unsere Untersuchungen beginnen wir mit dem elementarsten Dingen, welche die Mathematik kennt: den Zahlen. 1.1.1 Welche Zahlensysteme benutzen wir? Zahlen sind die grundlegenden Bausteine der Mathematik und damit der gesamten mathematischen Naturbeschreibung. Zu Beginn wollen wir die fünf Zahlensysteme wiederholen: ◦ Die Menge N der natürliche Zahlen Natürliche Zahlen sind die beim Zählen verwendeten Zahlen: 1, 2, 3, 4, . . . Die Zahl 1 ist die kleinste natürliche Zahl; gelegentlich zählt man die Zahl 0 auch zur Menge N hinzu. ◦ Die Menge Z der ganzen Zahlen Die Menge der natürlichen Zahlen erweitert man durch Negierung und Hinzufügen der Null zu den ganzen Zahlen: . . . , −4, −3, −2, −1, 0, 1, 2, 3, 4, . . . In der Menge Z kann man, im Gegensatz zu N, ohne Einschränkung Subtrahieren. ◦ Die Menge Q der rationalen Zahlen Darunter fasst man alle Verhältnisse p : q ganzer Zahlen p und q mit q 6= 0. Innerhalb von Q lässt sich die Multiplikation umkehren zur Division; Division durch 0 ist allerdings ausgeschlossen. 3 KAPITEL 1. ZAHLEN UND GEOMETRIE 4 ◦ Die Menge R der reellen Zahlen Diese Erweiterung der rationalen Zahlen stellt für die Mathematik den wichtigsten Zahlenbereich dar: . . . , −3, −2, 0, 1, π , 97 , ... 7 Eine solche Erweiterung ist notwendig, da z.B., wie wir gleich ausführen werden, verschiedene geometrische Strecken nicht durch rationale Zahlen ausgedrückt werden können. Im Bereich R lassen sich insbesondere Wurzeln aus nichtnegativen Zahlen ermitteln. ◦ Die Menge C der komplexen Zahlen Diese Erweiterung der reellen Zahlen macht nun das Lösung quadratischer Gleichungen der Form x2 + 1 = 0 möglich. Unter einer komplexen Zahl versteht man Objekte a + ib mit a, b ∈ R und einer imaginären Einheit i, welche durch i2 = −1 definiert ist. 1.1.2 Die reellen Zahlen müssen konstruiert werden Ohne Beweis wollen wir folgende wichtige Charakterisierung rationaler Zahlen geben. Satz 1.1. Die rationalen Zahlen liegen dicht in der Menge der reellen Zahlen, d.h. zu gegebenen r ∈ R und beliebigem ε > 0 findet man stets ein p ∈ Q mit |p − r| < ε . Was heißt das für die Praxis? ◦ Zum Messen von Strecken, Flächen etc. benötigt man eine Referenzgröße, also z.B. einen Maßstab. Jede in der Praxis messbare Größe ist also kommensurabel zu dieser Referenzgröße, was die Sprechweise rational erklärt. ◦ Eine praktische Messung, die beliebig genau verfeinert wird, liefert daher stets rationale Messwerte. Wir werden also nicht erwarten, in der Praxis, aber auch in der Natur auf nicht-rationale Zahlen zu stoßen. Für einen lückenlosen Aufbau der Mathematik jedoch benötigen wir neben den rationalen Zahlen auch die irrationalen Zahlen.1 Insbesondere in der elementaren Geometrie ist die Existenz inkommensurabler Strecken bereits seit mehr als 2500 Jahren bekannt: Beispiele sind der Umfang des Einheitskreises √ 2π oder die Länge der Diagonale eines Quadrats mit den Seitenlängen 1, nämlich 2, worauf wir in Kürze zu sprechen kommen. Es gilt aber die Folgerung 1.1. Jede reelle Zahl kann durch eine Folge rationaler Zahlen beliebig genau approximiert werden. 1 Im Bereich der konstruktiven Mathematik verfolgt man das Ziel, Mathematik nur durch wirklich konstruktive Verfahren aufzubauen. Wichtige Aussagen der klassischen Mathematik gelten dann u.U. nur noch in abgeschwächter Form. 1.1. ZAHLENSYSTEME 5 1.1.3 Die Diagonale eines Quadrats √ Der Beweis, dass die Zahl 2 tatsächlich nicht rational ist, kann in der Geschichte der Mathematik als erstes Beispiel eines indirekten Beweises angesehen werden. √ Satz 1.2. Die Zahl 2 ist irrational. √ Die Zahl 2 misst, aus geometrischer Sicht, die Länge der Diagonale des Einheitsquadrats. Das ist für die gesamte elementare Geometrie von fundamentaler Bedeutung. √ 2 1 1 √ √ Beweis. Zunächst ist 2 > 0. Angenommen, 2 ist rational, d.h. mit teilerfremden √ p natürlichen Zahlen p und q gilt 2 = q . Quadrieren und Umstellen liefert 2q2 = p2 , d.h. p2 ist eine gerade Zahl. Dann muss aber auch p selbst gerade sein, denn quadrieren wir eine ungerade Zahl, so erhalten wir auch wieder eine ungerade Zahl zurück: (2k + 1)(2k + 1) = 4k2 + 4k + 1. Da also p = 2r mit geeignetem r ∈ N, ist p2 durch 4 teilbar. Mithin schließen wir, dass q2 gerade, daher auch q gerade sind. Es besitzen also p und q den gemeinsamen Teiler 2 im Widerspruch zur Annahme der Teilerfremdheit. Die Entdeckung inkommensurabler Strecken geht vermutlich auf Hippasos (um 450 v.u.Z.) zurück. Theodorus (um 400 v.u.Z.) zeigte, dass die Wurzeln der Zahlen 3 bis 17, ausgenommen die √ Quadratzahlen, nicht rational sind. Der oben angeführte Beweis der Irrationalität von 2 findet sich bereits bei Aristoteles und bei Euklid (um 300 v.u.Z.). Eine direkte Verallgemeinerung des angeführten Beweises auf andere Nicht-Quadratzahlen gestaltet sich als umständlich. Wir wollen daher √ eine auf R. Dedekind 1861 zurückgehende Methode vorstellen, die Irrationalität von k zu zeigen, wenn k ∈ N keine Quadratzahl ist (siehe H. Schröder Wege zur Analysis). √ Wäre √ nämlich k > 0 rational, so gbe es eine kleinste natürliche Zahl n ∈ N, so dass ganze Zahl n k > 0 ganzzahlig ist. Bezeichnen wir mit dem Symbol [a]√die größte √ kleiner oder gleich a, so genügt also die positive Zahl (nehme k − [ k] > 0 an) √ √ m := ( k − [ k])n der Ungleichung 0 < m < n, und es ist daher √ √ √ √ √ √ m k = ( k − [ k]) k n = kn − [ k] k n positiv und ganzzahlig im Widerspruch zur Wahl von n. KAPITEL 1. ZAHLEN UND GEOMETRIE 6 1.2 Ebene Dreiecke Wir wollen in den folgenden Abschnitten einige Tatsachen der elementaren Geometrie der Ebene wiederholen und mit interessanten Techniken der mathematischen Analysis in Verbindung bringen. 1.2.1 Der Satz des Pythagoras Die vielleicht bekannteste Aussage der elementaren Geometrie ist der Pythagoreische Lehrsatz. Zu dessen Beweis benötigen wir lediglich die Kenntnis über die Berechnung des Inhalts F eines ebenen Rechtecks mit den Seitenlängen a und b, nämlich F = ab, welche wir als gegeben voraussetzen wollen. Satz 1.3. Für ein rechtwinkliges Dreieck mit den beiden Katheten a und b und der Hypothenuse c gilt a 2 + b 2 = c2 . Beweis. Betrachte dazu die folgende Skizze: b c2 c c a b a Hierin erkennen wir wieder (a + b)2 ab 4· 2 c2 Fläche des großen Quadrats Gesamtfläche der vier weißen Dreiecke Fläche des inneren Quadrats Dann gilt offenbar (a + b)2 = 4 · ab + c2 2 bzw. a2 + 2ab + b2 = 2ab + c2 . Nach Streichen des gemeinsamen Summanden 2ab folgt die Behauptung. Trotz der bestechenden Einfachheit dieses Beweises verschleiert er doch eine fundamentale Charakteristik der zweidimensionalen Ebene, die unserer Geometrie ja zu Grunde liegt. Darauf wollen wir jetzt hinarbeiten. 1.2. EBENE DREIECKE 7 1.2.2 Ähnliche Dreiecke Wir benötigen einen weiteren, sicherlich wohlbekannten Begriff. Definition 1.1. Zwei Dreiecke heißen zueinander ähnlich, wenn sie ◦ ◦ ◦ ◦ in zwei Winkeln übereinstimmen, oder in allen Verhältnissen entsprechender Seiten übereinstimmen, oder in einem Winkel und im Verhältnis der anliegenden Seiten übereinstimmen, oder im Verhältnis zweier Seiten und im Gegenwinkel der größeren Seite übereinstimmen. −→ Warum genügt nur eine dieser Bedingungen zur Definition der Ähnlichkeit? 1.2.3 Anwendung: Einsteins Beweis des Pythagoreischen Satzes Auf den elfjährigen Albert Einstein geht nun folgender Beweis zurück, der uns nicht nur eine bemerkenswerte Anwendung des Ähnlichkeitsbegriffs liefert. Skaliert man die senkrecht aufeinander stehenden x- und y-Richtungen der zweidimensionalen Ebene gleichmäßig mit einem Faktor λ > 0, so skalieren sich die Flächen rechtwinkliger, zueinander ähnlicher Dreiecke mit λ 2 . −→ Machen Sie sich diese Tatsache anhand einer Skizze klar! Wir gehen nun wie folgt vor: Als Referenzdreieck wählen wir ein rechtwinkliges Dreieck mit der Hypothenusenlänge 1 und dem Inhalt Fre f . Es geht eigentlich um das rechtwinklige Dreieck △(ABC). Dieses teilen wir durch Einzeichnen der Höhe in C in zwei ähnliche Dreiecke △1 = △(ADC) und △2 = △(DBC). C △2 △1 A D B −→ Warum sind diese Dreiecke zueinander ähnlich? Die zugehörigen Flächen bezeichnen wir mit F△ und F1 bzw. F2 . Da alle Dreiecke zueinander ähnlich sind, gelten (nach geeigneten Skalierungen der Ebene!) F△ = c2 Fre f , F1 = a2 Fre f , F2 = b2 Fre f , und wegen F△ = F1 + F2 erhalten wir c2 Fre f = a2 Fre f + b2Fre f . Jetzt müssen wir nur noch mit Fre f kürzen. KAPITEL 1. ZAHLEN UND GEOMETRIE 8 Das Besondere an diesem Beweis ist die Tatsache, dass die zweidimensionale Ebene, auf der sich die Geometrie scheinbar abspielt, als eigenständiges Objekt der Geometrie angesehen wird. Der Pythagoreische Lehrsatz ist dann eine Folge ihrer Eigenschaften Homogenität (kein Punkt der Ebene ist von den anderen Punkten irgendwie ausgezeichnet) und Isotropie (keine Richtung ist irgendwie ausgezeichnet). Deswegen dürfen wir die Ebene auch ungestraft skalieren. −→ Können Sie mit dieser Kenntnis den Satz des Pythagoras auf der Einheitssphäre formulieren? 1.2.4 Die Strahlensätze Darunter versteht man den sogenannten Ähnlichkeitssatz von Thales. Satz 1.4. Gegeben seien zwei Geraden, die sich in einem Punkt C schneiden. Werden diese von zwei parallelen Geraden geschnitten, dann sind die so entstehenden Dreiecke △(ABC) und △(A′ B′C) zueinander ähnlich. Insbesondere sind die eingezeichneten Winkel beider Dreiecke sowie die Verhältnisse entsprechender Seiten gleich. B′ B C β A α A′ −→ Können Sie diesen Satz mit den bisherigen Kenntnissen beweisen? 1.2.5 Anwendung: Die Linsengleichung Wir wollen den Strahlensatz anwenden, um die sogenannte Linsengleichung herzuleiten. Dazu betrachten wir eine sphärische, d.h. von Kugelflächen begrenzte, konvexe und dünne Linse. Dann gelten näherungsweise die folgenden Regeln: 1. Jeder auf das Zentrum Z gerichtete Hauptstrahl PP∗ wird nicht gebrochen. 2. Zur optischen Achse FF ∗ parallele Strahlen vereinigen sich nach der Brechung in dem auf der anderen Seite liegenden Brennpunkt F ∗ . 1.2. EBENE DREIECKE 9 3. Die von einem Gegenstand P ausgehenden Strahlen werden so gebrochen, dass sie nach der Brechung in einem Bildpunkt P∗ zusammenlaufen. g>0 Q2 P Q3 Q1 Z F f F∗ P∗ f b>0 Ferner führen wir folgende Bezeichnungen ein b g f Bildweite Gegenstandsweite Brennweite −→ Welche der eingezeichneten Dreiecke sind zueinander ähnlich? Satz 1.5. Es gilt 1 1 1 = + . f b g Beweis. Auf die Dreiecke △(PQ2 P∗ ), △(ZF ∗ P∗ ) und △(PQ3 P∗ ), △(ZQ1 P∗ ) können wir wie folgt den Strahlensatz anwenden: g PP∗ PQ2 = = f ZP∗ ZF ∗ sowie PP∗ PQ3 g + b = . = b ZP∗ ZQ1 Wir folgern also g g+b = f b was zu zeigen war. bzw. nach Umstellen 1 1 1 = + , f b g KAPITEL 1. ZAHLEN UND GEOMETRIE 10 −→ Bemerkenswert ist, dass sich der Gesamtwiderstand R zweier parallel geschalteter Widerstände R1 und R2 genauso berechnen läßt, d.h. 1 1 1 = + . R R1 R2 Warum ist das so? Moderne Kameraobjektive bestehen aus einer Vielzahl verschiedener Linsen, die wiederum zu mehreren Linsengruppen zusammengefasst werden, um möglichst viele Abbildungsfehler, die die einzelnen Linsengeometrien und -oberflächen verursachen, zu reduzieren. Der Strahlengang durch jede einzelne Linse berechnet sich aber nach obiger Linsengleichung (bzw. analoger Identitäten). Im Bild ist ein Schnitt durch das zoomfähige Kameraobjektiv EF 24-70 mm 1:2,8L USM der Firma Canon gezeigt (aus EF Lens Work III): 1.3 Der Goldene Schnitt Der Goldene Schnitt bedeutet ein in der Kunst, z.B. der Malerei oder Fotografie, besonders ästhetisches, wohlproportioniertes Streckenverhältnis. Auch in den Naturwissenschaften (Biologie, Kristallografie, Kosmologie) begegnet man erstaunlich häufig diesem Verhältnis. 1.3.1 Was ist der Goldene Schnitt? Definition 1.2. Eine Strecke der Länge s > 0 wird im Goldenen Schnitt s = a + b geteilt, wenn sich die ganze Länge s zum größeren Abschnitt a wie dieser zum kleineren Abschnitt b verhält, d.h. wenn gilt s a = . a b 1.3. DER GOLDENE SCHNITT 11 Setzen wir x := a, so können wir auch schreiben x x s = = bzw. x2 + sx − s2 = 0. x b s−x Die Lösungen dieser quadratischen Gleichung lauten s s√ 5. x1,2 = − ± 2 2 −→ Können Sie die Lösungsdarstellungen für quadratische Gleichungen herleiten oder verifizieren? Die negative Lösung hierin wollen wir nicht betrachten, und so verbleibt s √ x ≈ 0.618. x = ( 5 − 1) ≈ 0.618 · s bzw. 2 s Damit haben wir das Teilungsverhältnis wie folgt bestimmt: b a+b s b a = = ≈ 1.618 bzw. ≈ 0.618 bzw. ≈ 1.618. a a a a b Auf dieses Goldene Verhältnis kommen wir später bei unseren Untersuchungen über Fibonaccizahlen noch einmal zuück. 1+ 1.3.2 Harmonische Rechtecke Hierbei handelt es sich um folgende geometrische Figuren. Definition 1.3. Sind die Seiten b < a eines Rechtecks in der Art gewählt, dass gilt a b = , a a+b so heißt das Rechteck harmonisch. Es zeigt sich nach einiger Rechnung für das Verhältnis ab harmonischer Rechtecke √ a 1+ 5 = ≈ 1.618, b 2 womit wir wieder beim Goldenen Schnitt aus dem vorigen Abschnitt sind. Zerteilt man zudem das Rechteck in ein Quadrat und ein kleineres Rechteck, dann ist dieses kleinere Rechteck wieder harmonisch. Das werden wir in den Übungen genauer untersuchen. a b Und auf derartige selbstähnliche“ Strukturen werden wir in Kürze zurückkommen. ” KAPITEL 1. ZAHLEN UND GEOMETRIE 12 1.4 Geometrie und Summenformeln In diesem Abschnitt wollen wir verschiedene Methoden vorstellen, explizite Darstellungen für die Potenzsummen n Sλ (n) = ∑ kλ k=1 für die Werte λ = 1, 2, 3 herzuleiten. Dabei werden wir uns einerseits von geometrischen Anschauungen leiten lassen, desweiteren wollen wir aber auch die Gelegenheit nutzen, das für die Analysis wichtige Verfahren der vollständigen Induktion zu wiederholen. 1.4.1 Die Summe der ersten n Zahlen Wir beginnen mit dem Satz 1.6. Es gilt n S1 (n) = ∑k= k=1 n(n + 1) . 2 Beweis. Die Idee des nachfolgenden Beweises stammt vom neunjährigen C.F. Gauß: Wir schreiben die Summe zweimal untereinander, einmal aufsteigend, einmal absteigend, auf und summieren: 1 + + ... 2 n + (n − 1) + . . . (n + 1) + (n + 1) + . . . + (n − 1) + n 2 1 + + + (n + 1) + (n + 1) Es ist also n-mal die Zahl n + 1 zu summieren und schließlich durch 2 zu teilen. 1.4.2 Die Summe der ersten n Quadratzahlen Die Summe der ersten n Zahlen verhält sich quadratisch in n, die Summe der ersten n Quadratzahlen wird sich kubisch in n verhalten. −→ Bestimme die reellen Koeffizienten a, b, c und d in dem Ansatz n ∑ k2 = an3 + bn2 + cn + d. k=1 Glaeser und Polthier Bilder der Mathematik folgend wollen wir eine geometrischphysikalische Idee präsentieren. Satz 1.7. Es gilt n S2 (n) = 1 ∑ k2 = 6 n(2n + 1)(n + 1). k=1 1.4. GEOMETRIE UND SUMMENFORMELN 13 Beweis. 1. Um geometrisch den Schwerpunkt eines Dreiecks zu ermitteln, verbindet man einfach die Eckpunkte des Dreiecks mit den Mitten der jeweils gegenüber liegenden Seiten. Diese sogenannten Schwerlinien (i) schneiden sich paarweise im Verhältnis 2 : 1 (ii) schneiden sich alle drei in einem Punkt, eben dem Schwerpunkt. 2. Betrachte nun folgendes Schema aus 1 + 2 + . . . + n = (mi = 1): n(n+1) 2 Einheitsmassen n n−1 y .. .. .. 2 1 Aus Gründen der Symmetrie stimmen der Schwerpunkt dieses Schemas und der Schwerpunkt des geometrisch entsprechenden, gleichseitigen Dreiecks überein. Obige Regel 1(i) liefert also für die Koordinaten des Schwerpunkts x = 0, 2n + 1 2 . y = 1 + (n − 1) = 3 3 Andererseits gilt aber (Hebelgesetz von Archimedes) N N ∑ mk (yk − y) = 0 bzw. k=1 N ∑ mk y k = y ∑ mk k=1 k=1 mit N := n(n + 1) . 2 Führen wir die Summation hierin für die linke und die rechte Seite getrennt aus, so erhalten wir 1 · 1 + 2 · 2 + . . .+ n · n = 2n + 1 n(n + 1) 1 · = n(2n + 1)(n + 1). 3 2 6 Das war zu zeigen. 1.4.3 Die Summe der ersten Kubikzahlen Schließlich wollen wir an einem dritten Beispiel das Prinzip der vollständigen Induktion anwenden. KAPITEL 1. ZAHLEN UND GEOMETRIE 14 Satz 1.8. Es gilt n ∑ k3 = k=1 n2 (n + 1)2 . 4 Beweis. Der Beweis ergibt sich aus folgender Tatsache 3 3 3 3 2 1 + 2 + 3 + . . . + n = (1 + 2 + 3 + . . .+ n) = n(n + 1) 2 2 bzw. S3 (n) = S1 (n)2 für alle n ∈ N , die wir vermittels vollständiger Induktion beweisen: Zunächst gilt offenbar S3 (n) = 1, S1 (1)2 = 1, also S3 (1) = S1 (1)2 , d.h. für den Fall n = 1 stimmt die Behauptung. Nun sei S3 (k) = S1 (k)2 für alle k = 1, 2, . . . , n mit einem n ∈ N bereits gezeigt. Dann berechnen wir S1 (n + 1)2 = (n + 1)(n + 2) 2 2 = n(n + 1) + 2(n + 1) 2 2 = n(n + 1) +n+1 2 2 = S1 (n)2 + n(n + 1)2 + 1 · (n + 1)2 = S1 (n)2 + (n + 1)3 = S3 (n) + (n + 1)3 = S3 (n + 1). Damit ist die Behauptung gezeigt. Der hier vorgeführte Beweis vermittels vollständiger Induktion ist zweifellos elegant, leidet aber an einem Problem: Woher wissen wir eigentlich, was zu zeigen ist? Diese Frage müssen wir hier offen lassen, aber vielleicht können wir uns beim Aufstellen“ ” der Behauptung S3 (n) = S1 (n)2 von folgendem Schema leiten lassen: 1 = 1 = 12 = 12 1+8 = 9 = 32 = (1 + 2)2 1 + 8 + 27 = 36 = 62 = (1 + 2 + 3)2 1 + 8 + 27 + 64 = 100 = 102 = (1 + 2 + 3 + 4)2 1 + 8 + 27 + 64 + 125 = 225 = 152 = (1 + 2 + 3 + 4 + 5)2 Allgemeine Potenzsummen werden üblicherweise in den Vorlesungen zur Algebra und Zahlentheorie behandelt. Elementare Methoden, die nur Kenntnisse aus dem Mathematikunterricht an Schulen voraussetzen, findet man z.B. in H. Richter und B. Schiekel Potenzsummen, Bernoulli-Zahlen und Eulersche Summenformel. 1.4. GEOMETRIE UND SUMMENFORMELN 15 −→ Man verifiziere folgende Summenformeln (siehe H. Richter und B. Schiekel) S1 (n) = S2 (n) = S3 (n) = S4 (n) = S5 (n) = S6 (n) = S7 (n) = 1 2 1 n + n 2 2 1 3 1 2 1 n + n + n 3 2 6 1 4 1 3 1 2 n + n + n 4 2 4 1 5 1 4 1 3 1 n + n + n − n 5 4 3 30 1 6 1 5 5 4 1 2 n + n + n − n 6 2 12 12 1 7 1 6 1 5 1 3 1 n + n + n − n + n 7 2 2 6 42 1 8 1 7 7 6 7 4 1 2 n + n + n − n + n 8 2 12 24 12 1.4.4 Die geometrische Reihe Die geometrische Reihe ist die unendliche Summe der Glieder der sogenannten geometrischen Folge, d.h. derjenigen Zahlenfolge {ak }k∈N , für welche das Verhältnis benachbarter Folgenglieder stets konstant ist. a k Bezeichnet also die Zahl q = k+1 ak dieses Verhältnis, so folgt sukzessive ak = a0 q . Für die n-te Partialsumme Sn über die geometrische Zahlenfolge {ak }k∈N ist daher n n k=0 k=0 ∑ ak = a0 ∑ qk . Sn = Satz 1.9. Es sei q 6= 1. Dann gilt n ∑ qk = k=0 1 − qn+1 . 1−q Ist ferner |q| < 1, so haben wir im Grenzfall n → ∞ ∞ 1 ∑ qk = 1 − q . k=0 Beweis. Der Beweis lässt sich in wenigen Zeilen induktiv führen. Um aber einen direkten Weg darzustellen, schreiben wir die n-te Partialsumme zunächst aus n Sn = ∑ qk = 1 + q + q2 + q3 + . . . + qn , k=0 woraus sich nach Multiplikation mit q ergibt qSn = q + q2 + q3 + q4 + . . . + qn+1 . KAPITEL 1. ZAHLEN UND GEOMETRIE 16 Jetzt berechnen wir die Differenz Sn − qSn und erhalten (1 − q)Sn = Sn − qSn = (1 + q + q2 + . . . + qn) − (q + q2 + q3 + . . . + qn+1) = 1 − qn+1 , und Umstellen unter der Voraussetzung q 6= 1 zeigt die erste Behauptung. Die Grenzwertformel folgt sofort aus |q|n+1 → 0 für n → ∞. Die geometrische Reihe findet insbesondere Anwendung in der Zinseszinsrechnung bei Sparananlagen. Folgendes Beispiel haben wir wikipedia entnommen. Zu Beginn eines jeden Jahres zahlt man 2000 Euro bei einer Bank ein bei einem Zinssatz von q = 5% . Wieviel Geld hat man nach 5 Jahren angespart? Wir gehen wie folgt vor: Zunächst berechnet sich der Zinsfaktor zu 1+ q = 1, 05. 100 Nun die einzelnen Posten zur Sparanlage: → das im ersten Jahr eingezahlte Geld wird 5 Jahre lang verzinst, so dass nach Ablauf dieser 5 Jahre ein Kapitel von 2000 · 1, 055 Euro angespart wurden; → das im zweiten Jahr eingezahlte Geld wird 4 Jahre lang verzinst und bringt ein weiteres Sparkapitel von 2000 · 1, 054 Euro usw. Das gesamte angesparte Kapitel ergibt sich also aus folgender Rechnung 2000 · 1, 055 + 2000 · 1, 054 + 2000 · 1, 053 + 2000 · 1, 052 + 2000 · 1, 051 = 2000 · 1, 05 · (1, 054 + 1, 053 + 1, 052 + 1, 051 + 1, 050) 4 = 2000 · 1, 05 · ∑ 1, 05k = 2000 · 1, 05 · k=0 1 − 1, 055 1 − 1, 05 = 11.603, 826 (nach entsprechender Rundung). Durch Zinsen hat sich also das eingezahlte Kapitel um 1.603, 83 Euro erhöht. Hätte man allerdings die (im Verlaufe der 5 Jahre eingezahlten) 10.000 Euro sofort eingezahlt und zu 5% auf 5 Jahre verzinst, so wäre der (wieder aufgerundete) Endbetrag 10.000 · 1, 055 = 12.762, 82, also ein Gewinn von nun 2.762, 82 Euro! 1.5. AUS DER FRAKTALEN GEOMETRIE 17 1.5 Aus der fraktalen Geometrie Die bisher gelegten Grundlagen zur elementaren Geometrie erlauben uns einen kleinen Exkurs in die Theorie der selbstähnlichen Mengen. Wir wollen drei wichtige Beispiele vorstellen. 1.5.1 Die Kochsche Schneeflocke Die Kochsche Schneeflocke entsteht durch folgenden Iterationsprozess: 1. Wir beginnen mit einer geraden Strecke der Länge 1. 2. Ersetze das mittlere Drittel dieser Strecke durch ein gleichseitiges Dreieck, wobei die Basis dieses Dreiecks aus dem Schema gelöscht wird. 3. Wende diese Vorschrift auf die vier neuen Strecken der Länge 13 an. Die folgenden Skizzen veranschaulichen diese Iteration, allerdings an einem gleichseitigen Dreieck als Startfigur. Der schwedische Mathematiker N.F.H.v. Koch (1870-1924) wollte mit dieser Konstruktion ein Beispiel einer Kurve geben, die nur aus Ecken besteht und damit nirgends differenzierbar ist. Eine Diskussion über die Existenz solcher Kurven wurde 1872 von K. Weierstraß ins Leben gerufen und war damit tatsächlich Ausgangpunkt einer klei” neren Krise“ innerhalb der Mathematik. Von Koch veröffentlichte einen Artikel, der die beschriebene Iteration enthält, im Jahre 1906, seine Entdeckung selbst datiert bereits aus dem Jahr 1904. −→ K. Weierstraß gab 1872 folgende nirgends differenzierbare Funktion an ∞ f (x) = ∑ ak cos(bk π x) n=0 3 mit a ∈ (0, 1), b ∈ N und ab > 1 + π . 2 In der Skizze wurden a = 23 , b = 9 und n = 6 gewählt. KAPITEL 1. ZAHLEN UND GEOMETRIE 18 Wir wollen den Umfang ℓ(Kn ) und den eingeschlossenen Inhalt A(Kn ) der Kochschen Figuren berechnen; in obiger Skizze sind das K1 , K2 und K3 von links nach rechts. Dabei müssen wir unsere Resultate über geometrische Reihen anwenden. Zunächst ist natürlich in jedem einzelnen Iterationsschritt ℓ(KN ) = (Länge der Segmente) · (Anzahl der Segmente) Nach dem n-ten Iterationsschritt haben wir dabei Segmentlänge = 1 , 3n−1 und die Anzahl der einzelnen Segmente wächst wie 3 · 4n−1. Insgesamt erhalten wir n−1 4n−1 4 . ℓ(Kn ) = 3 · n−1 = 3 3 3 Der Umfang der Kochschen Schneeflocke ist demnach unbegrenzt, denn es ist lim ℓ(Kn ) = ∞ . n→∞ Nun zum eingeschlossenen Inhalt. Wir ermitteln sukzessive √ 3 A(K1 ) = , 4 √ √ 2 3 3 1 , A(K2 ) = +3· 4 4 3 √ 2 √ √ 2 3 3 1 3 1 +3·4· , A(K3 ) = +3· 4 4 3 4 9 √ 2 √ 2 √ 2 √ 3 3 1 3 1 3 1 +3·4· +3·4·4· +3· A(K4 ) = 4 4 3 4 9 4 27 usw. Für den allgemeinen Fall wird dann wohl gelten √ √ n−1 3 3 4k A(Kn ) = +3· · ∑ 2(k+1) ; 4 4 k=0 3 ein detaillierter Beweis verbleibt aber als Übung. Wir formen nun die gefundene Identität wie folgt um: √ √ n−1 k √ n−1 k √ √ √ 4 4 3 3 3 n−1 4k 3 3 3 3 + A(Kn ) = ∑ 32k · 32 = 4 + 12 ∑ 9k = 4 + 12 ∑ 9 . 4 4 k=0 k=0 k=0 Wir können also unsere Resultate über die geometrische Reihe anwenden und erhalten n √ √ √ √ 3 3 1 − 49 3 9 3 A(Kn ) = + + für n → ∞ . −→ 4 12 1 − 94 4 60 Während also die Randkurve der Kochschen Schneeflocke keine endliche Länge besitzt, ist der eingeschlossene Inhalt endlich! 1.5. AUS DER FRAKTALEN GEOMETRIE 19 1.5.2 Das Sierpinski-Dreieck Die iterative Konstruktion des Sierpinski-Dreiecks verläuft wie folgt: 1. Wir starten mit einem gleichseitigen, grau eingefärbten Dreieck. 2. Markiere die Mittelpunkte der 3 Seiten dieses Dreiecks. Das ergibt 4 zueinander ähnliche Dreiecke, von denen wir das mittlere aus dem Schema löschen. 3. Wende diese Prozedur auf die verbleibenden grauen Dreieck an. Die ersten drei Schritte dieser unendlichen Iteration sind in der nachfolgenden Skizze veranschaulicht. Diejenige Punktmenge, welche sich im Grenzfall unendlicher Iteration ergibt, heißt dann Sierpinski-Dreieck nach seinem Entdecker, dem polnischen Mathematiker W. Sierpinski (1882-1969). Es stellt, nicht nur aus historischer Sicht, eines der bedeutensten selbstähnlichen Mengen in der Mathematik dar. Für eine mathematisch lückenlose Darstellung fraktaler Mengen benötigen wir Begriffe wie kompakte metrische Räume, kontrahierende Abbildungen und Fixpunktmengen, die uns momentan noch nicht zur Verfügung stehen. Wir verweisen daher auf das Lehrbuch J.J. Koliha Metrics, norms and integrals. 1.5.3 Die Hilbertsche Kurve Hierbei handelt es sich um eine visuelle Realisierung einer Peanoschen Kurve. Insbesondere werden die Punkte des Einheitsintervalls eindeutig und stetig auf das Einheitsquadrat abgebildet. Die im Folgenden angegebene Konstruktion ist wesentlich Hilberts Originalarbeit Über die stetige Abbildung einer Linie auf ein Flächenstück (Math. Ann. 38, 459-460, 1891) entnommen. 1. Eine Gerade der Länge 1 teilen wir in 4 gleiche Teile, und das Flächenstück in Form einen Quadrates der Seitenlängen 1 teilen wir durch zwei zueinander senkrechte Geraden in 4 gleiche Quadrate 1, 2, 3, 4. Jedem Steckenabschnitt ist jetzt ein Teilquader zugeordnet (Bild unten links). 2. Zweitens teilen wir jede der Teilstrecken wiederum in 4 gleiche Teile und erhalten so 16 gleiche Teilgeraden. Gleichzeitig werde jedes der 4 Quadrate in 4 gleiche Quadrate geteilt, und den so entstehenden 16 Quadraten werden dann die Zahlen 1 bis 16 einbeschrieben, wobei jedoch die Reihenfolge der Quadrate so zu wählen ist, dass jedes folgende Quadrat sich mit einer Seite an das vorhergehende anlehnt (Bild unten Mitte). KAPITEL 1. ZAHLEN UND GEOMETRIE 20 3. Denken wir uns dieses Verfahren fortgesetzt, so ist leicht ersichtlich, wie man jeden gegebenen Punkt der Geraden einen einzigen bestimmten Punkt des Quadrats zuordnen kann. Man muss nur diejenigen Teilstrecken der Geraden bestimmen, auf welche der gegebene Punkt fällt (Bild unten rechts). Hier nun die Konstruktion skizziert: 6 7 3 2 5 3 1 2 4 1 1 4 2 3 4 1 16 16 Satz 1.10. Die so gefundene Abbildung ist eindeutig und stetig, aber nirgends differenzierbar. Sie ist aber nicht eineindeutig, insbesondere entsprechen einem jeden Punkt des Quadrats ein, zwei oder vier Punkte der Linie. Die Hilbertsche Kurve ist also nicht injektiv. Um das einzusehen, ist besonders auf diejenigen Punkte zu achten, die auf den Grenzen zwischen mehreren Teilquadraten liegen - die Kurve konvergiert im Grenzfall gegen diese Punkte von mehreren Seiten“, und ” daher auch die in Hilberts Satz erwähnte Unterscheidung. Flächen- bzw. raumfüllende Kurven, wie die vorgestellte Hilbertkurve, finden insbesondere in der digitalen Bildverarbeitung breite Anwendungen (Filter, die ein durch zufälliges Rauschen verschlechtertes Bild wiederherstellen; Umwandlung mehrfarbiger oder von Graustufen-Bildern in Schwarz-Weiß-Bilder, sogenanntes digital halftoning; Bildkompressionen). Auch in der Natur begegnet man ähnlichen Geometrien. Viel zitierte Beispiele sind die menschliche Niere, welche drei tief verwobene Gefäßsysteme umfasst (Arteriensystem, Venensystem, Harnröhrensystem) oder der menschliche Bronchialbaum. Skelettgerüst von Cladococcus viminalis, aus Haeckel’s art forms from the ocean. 1.6. DIE FIBONACCI-ZAHLEN 21 1.6 Die Fibonacci-Zahlen 1.6.1 Was sind Fibonacci-Zahlen Leonardo da Pisa (1170-1240), auch Fibonacci genannt, stellte folgendes Problem: Ein Kaninchenpaar wirft vom zweiten Monat an monatlich ein junges Paar, das seinerseits vom zweiten Monat an monatlich ein Paar zur Welt bringt usw. Wie viele Kaninchen leben nach n Monaten, wenn zu Beginn genau ein junges Paar lebte? Definition 1.4. Unter der Fibonaccifolge verstehen wir folgende, rekursiv gegebene Zahlenfolge F1 = 1, F2 = 1 und Fn = Fn−1 + Fn−2 für n = 3, 4, . . . Die Fibonaccifolge lautet demnach 1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, 34, 55, . . . Die Rekurstionsformel aus der Definition stammt übrigens von L. Euler (1707-1783). 1.6.2 Goldener Schnitt und Fibonacci-Zahlen Wir wollen Eulers rekursive Darstellung der Fibonaccizahlen in eine explizite Darstellung umrechnen. Dazu führen wir die folgenden Bezeichnungen ein √ √ 1− 5 1+ 5 ϕ := ≈ −0.61803398, Φ := ≈ 1.61803398. 2 2 Auf diese Zahlen waren wir bereits bei unseren Untersuchungen über den Goldenen Schnitt gestoßen. Zunächst lösen ϕ und Φ die quadratische Gleichung x2 − x − 1 = 0 mit den Wurzeln x1/2 = 1 1√ 5. ± 2 2 Wir erhalten also (ϕ löst x2 − x − 1 = 0, also gilt 1 + ϕ = ϕ 2 ) 1 + ϕ = ϕ2 , 1 + 2ϕ = ϕ 3 , denn 1 + 2ϕ = 1 + ϕ + ϕ = ϕ + ϕ 2 = (1 + ϕ )ϕ = ϕ 2 · ϕ 2 + 3ϕ = ϕ 4 , denn 2 + 3ϕ = 1 + ϕ + 1 + 2ϕ = ϕ 2 + ϕ 3 = (1 + ϕ )ϕ 2 = ϕ 2 · ϕ 2 3 + 5ϕ = ϕ 5 , denn 3 + 5ϕ = 1 + 2ϕ + 2 + 3ϕ = ϕ 3 + ϕ 4 = (1 + ϕ )ϕ 3 = ϕ 2 · ϕ 3 5 + 8ϕ = ϕ 6 , denn 5 + 8ϕ = 2 + 3ϕ + 3 + 5ϕ = ϕ 4 + ϕ 5 = (1 + ϕ )ϕ 4 = ϕ 2 · ϕ 4 usw., und Analoges gilt für Φ. KAPITEL 1. ZAHLEN UND GEOMETRIE 22 Hierin erkennen wir aber die Fibonaccizahlen wieder! Wir stellen beide Schemata noch einmal nebeneinander: 1 + ϕ = ϕ2 1 + Φ = Φ2 1 + 2ϕ = ϕ 3 1 + 2Φ = Φ3 2 + 3ϕ = ϕ 4 2 + 3Φ = Φ4 3 + 5ϕ = ϕ 5 3 + 5Φ = Φ5 5 + 8ϕ = ϕ 6 5 + 8Φ = Φ6 usw. Wir subtrahieren nun sukzessive die Gleichungen in den einzelnen Zeilen und erhalten Φ2 − ϕ 2 = 1, Φ−ϕ Φ3 − ϕ 3 Φ4 − ϕ 4 Φ5 − ϕ 5 = 2, = 3, = 5, usw. Φ−ϕ Φ−ϕ Φ−ϕ √ Nun beachten wir noch Φ − ϕ = 5, und wir haben folgendes Resultat von A. de Moivre (1667-1754) und J.P.M. Binet (1786-1856) bewiesen. Satz 1.11. Zwischen den Fibonaccizahlen Fn mit F1 = 1, F2 = 1 und den oben eingeführten Goldenen Zahlen ϕ und Φ besteht der Zusammenhang 1 Fn = √ (Φn − ϕ n ), 5 n = 2, 3, . . . Bemerkenswert ist, dass Fn eine naürliche Zahl ist, während ϕ und Φ irrationale Zahlen sind. Wegen |ϕ | < 1 gewinnen wir ferner die Näherungsformel 1 Fn ≈ √ Φn 5 für große n ∈ N. −→ Aus der expliziten Darstellung von de Moivre und Binet gewinnt man außerdem die Grenzwerte √ √ Fn+1 1 Fn 1 lim = Φ = (1 + 5) , lim = −ϕ = − (1 − 5), n→∞ Fn n→∞ Fn+1 2 2 die als Übung zu verifizieren sind. 1.6.3 Das Pascalsche Dreieck Mit der bekannten Setzung n! n := k!(n − k)! k für den Binomialkoeffizienten wiederholen wir den folgenden Satz 1.12. Es gilt die binomische Formel n n−k k a b . (a + b) = ∑ k=0 k n n 1.7. DIE PLATONISCHEN KÖRPER 23 Den Beweis, für den wir auf die Vorlesung der Analysis verweisen, führt man gewöhnlich induktiv, er folgt aber auch aus einer anschaulichen Überlegung. Die Binomialkoeffizienten ordnet man in Form des sogenannten Pascalschen Dreiecks: Jeder Eintrag ergibt sich hierin als Summe der beiden darüber stehenden Einträge. 1 1 1 1 1 1 1 1 .. . 7 .. . 3 4 5 6 1 2 6 10 15 21 .. . 1 3 1 4 10 20 35 .. . 1 5 15 35 .. . 1 6 21 .. . 1 7 .. . 1 .. . 1.6.4 Pascal und Fibonacci Als nächstes zeichnen wir das Pascalsche Dreieck erneut und bilden entlang der eingezeichneten Pfeile die Summen. F1 = 1 1 F2 = 1 1 1 F3 = 2 1 2 1 F4 = 3 3 3 1 1 F5 = 5 1 4 6 4 1 F6 = 8 5 10 10 5 1 1 F7 = 13 1 6 15 20 15 6 1 F8 = 21 7 35 35 7 1 21 21 1 F9 = 35 1 8 28 56 70 56 28 8 1 usw. Damit haben wir einen Zusammenhang zu den vorher diskutierten Fibonazzi-Zahlen. −→ Warum ist das so? 1.7 Die Platonischen Körper 1.7.1 Was sind Platonische Körper Definition 1.5. Die Platonischen Körper sind konvexe Polyeder, deren Seitenflächen aus regulären Polygonen bestehen, und die Seitenflächen des Polyeders sind stets vom gleichen Typ. Wir wollen in diesem Abschnitt alle fünf Platonischen Körper bestimmen. Dazu werden wir uns der Eulerschen Polyederformel bedienen und machen bei dieser Gelegenheit einen kurzen Ausflug in die topologische Flächentheorie.2 Außerdem beschäftigen wir uns mit Auffaltungen Platonischer Körper, mit dem Fünffarbensatz und schließlich mit ihrer Bedeutung beim Thompsonschen Problem der Elektrostatik. 2 Topologie ist die mathematische Theorie der qualitativen Gesetze der örtlichen Verhältnisse“ (siehe ” R. Remmert und M. Schneider Analysis Situs und Flächentheorie). Die Bezeichnung analysis situs geht auf G.W. Leibniz zurück, J.B. Listing führt 1847 den Begriff Topologie ein. KAPITEL 1. ZAHLEN UND GEOMETRIE 24 Berühmt ist Keplers Modell der Planetenbahnen, wonach sich diese auf In- und Umkugeln von ineinander geschachtelten Platonischen Körpern bewegen. Diese Bilder sind den Internetseiten von wikipedia entnommen, das linke Bild erschien ursprünglich in J. Keplers Mysterium Cosmographicum. 1.7.2 Die Eulersche Polyederformel Unter einem einfachen Polyeder wollen wir einen Polyeder verstehen, der sich auf stetige Art und Weise in eine Kugeloberfläche deformieren lässt. Beispiele sind der Würfel oder das Tetraeder. Ein einfaches Polyeder besitzt, grob gesagt, keine Löcher“. ” L. Euler und R. Descartes entdeckten nun unabhängig voneinander den folgenden Satz 1.13. In einem einfachen Polyeder bezeichnen E die Anzahl der Ecken, K die Anzahl der Kanten und F die Anzahl der Flächen. Dann gilt stets E − K + F = 2. −→ Verifizieren Sie diese Identität an den im folgenden Beweis skizzierten Platonischen Körpern. Beweis. Wir folgen Courant und Robbins Was ist Mathematik. 1. Wir schneiden aus dem Polyeder zunächst eine Seite heraus. Die Anzahl der Ecken und Kanten bleibt erhalten, die Anzahl der Flächen reduziert sich um 1, und es verbleibt zu zeigen E − K + F = 1. Dazu denken wir uns das neue Schema flach auf die Ebene deformiert, d.h. wir betrachten nur noch ein ebenes Netz von Ecken, Kanten und Flächen. A C B D E F 1.7. DIE PLATONISCHEN KÖRPER 25 2. Jetzt triangulieren wir das Netz, indem wir in einem der Polygone, das nicht ein Dreieck ist, eine Diagonale ziehen. Dadurch wachsen K und F jeweils um 1, so dass die Summe E − K + F unverändert bleibt. Wir fahren fort, Diagonalen zwischen zwei Punkten zu ziehen, bis das gesamte Schema nur noch aus Dreiecken besteht. 3. Für Randdreiecke gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder haben sie mit der Randlinie des Netzes eine Kante gemeinsam, oder eben zwei Kanten. Von einem Randdreieck entfernen wir alles, was nicht zugleich zu einem weiteren Dreieck gehört, und zwar wie folgt: Vom Dreieck △(ABC) entfernen wir die Kante AC und damit auch die Fläche des Dreiecks, was E − K + F unverändert lässt; treffen wir aber auf ein Dreieck △(DEF), so entfernen wir die Fläche, die beiden Kanten DF und EF sowie die Ecke F, und auch hier bleibt der Wert E − K + F gleich. 4. Führt man diese Prozedur nun immerfort aus, verbleibt letztlich nur noch ein Dreieck mit drei Kanten, drei Ecken und einer Fläche. Für dieses gilt aber offenbar E − K + F = 1, also gilt diese Gleichheit auch für das ursprüngliche ebene Netz. Damit ist die Polyederformel gezeigt. 1.7.3 Wie viele Platonische Körper gibt es? Wir wollen die Eulersche Polyederformel nutzen zum Beweis des folgenden Satz 1.14. Es gibt genau fünf Platonische Körper. Hierbei handelt es sich nämlich um ◦ Würfel, Tetraeder, Oktaeder (von links nach rechts) ◦ und Dodekaeder, Ikosaeder (von links nach rechts) Tabellarisch wollen wir wichtige Eigenschaften dieser fünf Flächen aufzählen. KAPITEL 1. ZAHLEN UND GEOMETRIE 26 Bezeichnung begrenzendes Polygon Würfel (Hexaeder) Tetraeder Oktaeder Dodekaeder Ikosaeder Anzahl der Ecken Viereck Dreieck Dreieck Fünfeck Dreieck Kanten 8 4 6 20 12 Flächen 12 6 12 30 30 6 4 8 12 20 Flächen pro Ecke 3 3 4 3 5 −→ Verifizieren Sie diese Werte zur Probe! Wir kommen nun zum Beweis des obigen Satzes. Beweis. Das Polyeder besitze F Flächen, deren jede ein reguläres n-Eck ist. An jeder Ecke treffen r Kanten zusammen. Wir zählen nun (i) die Kanten nach den Flächen, d.h. nF = 2K, denn jede Fläche ist Ursprung von n Kanten, aber jede Kante gehört zu zwei Flächen, und (ii) wir zählen die Kanten nach den Ecken, also rE = 2K, da jede Kante 2 Ecken besitzt. Beziehen wir die Eulersche Polyederformel ein, erhalten wir E − K + F = 2, also 2K 2K −K + = 2 bzw. r n 1 1 1 1 + = + . r n 2 K Dabei müssen aber n ≥ 3 und r ≥ 3 sein, da ein Polygon mindestens 3 Seiten besitzt und an jedem Eckpunkt mindestens 3 Flächen zusammentreffen. Andererseits können n und r nicht beide größer als 3 sein, denn dann ist die linke Seite der letzten Identität nicht mehr größer bzw. gleich 12 . Wir unterscheiden also folgende Fälle (vergleiche mit obiger Tabelle): (i) Es sei n = 3. Dann haben wir 1 1 1 1 1 1 + − = − = , r 3 2 r 6 K d.h. es können überhaupt nur auftreten r = 3, r = 4, r = 5, also K = 6 also K = 12 also K = 30 (Tetraeder) (Oktaeder) (Ikosaeder) (ii) Ebenso folgern wir für r = 3 1 1 1 − = , n 6 K und hieraus ergeben sich n = 3, n = 4, n = 5, Das war zu zeigen. also K = 6 also K = 12 also K = 30 (Tetraeder) (Würfel) (Dodekaeder) 1.7. DIE PLATONISCHEN KÖRPER 27 1.7.4 Auffalten der Platonischen Körper Das Auffalten polyhedraler Flächen ist ein sehr interessantes, aber auch sehr schwieriges Problem. Ungeklärt ist schon folgende Frage: Kann jedes konvexe Polyeder durch Aufschneiden entlang seiner Kanten in ein ebenes, einfach zusammenhängendes, sich nicht selbst überlappendes Polygon aufgefaltet werden? Siehe hierzu auch K. Polthier Imaging maths - Unfolding polyhedra. Die Platonischen Körper lassen sich jedenfalls zu einem solchen Netz auffalten: Diese Skizzen wurden mit K. Polthiers Software JavaView angefertigt. Als Beispiel einer Fläche, welche sich nicht in ein einfach zusammenhängendes Schema auffalten läßt, soll uns eine von H.A. Schwarz entdeckte Minimalfläche dienen, die nach ihrer kristallographischen Symmetrie benannt ist: Schwarz-P. −→ Was sind Minimalflächen? 1.7.5 Bemerkungen zur Topologie von Flächen Die Gültigkeit der Eulerschen Polyederformel umfasst tatsächlich mehr Geometrien als nur die Polyeder. Unser Beweis läßt sich nämlich mühelos auf polyederartige Flächen mit gekrümmten Kanten und gekrümmten Innenflächen übertragen, da er sich ja nur auf die Anzahlen der Ecken, Kanten und Flächen bezieht. KAPITEL 1. ZAHLEN UND GEOMETRIE 28 So können wir also auch Kurvennetze auf der Oberfläche der Kugel, d.h. der Sphäre, vorstellen oder auf allen Flächen, die hieraus durch topologische Abbildungen hervorgehen. Unter einer solchen Abbildung zwischen zwei Gebilden F und Fe verstehen wir eine Zuordnung von Punkten p ∈ F auf Punkte pe ∈ Fe mit folgenden Eigenschaften: 1. Die Zuordnung ist eineindeutig, d.h. jedem Punkt p ∈ F wird genau ein Punkt pe ∈ Fe zugeordnet und umgekehrt. 2. Die Zuordnung ist stetig in beide Richtungen. Zur Veranschaulichung kann man sich die Fläche aus einer dünnen Gummihaut bestehend denken, die nun auf beliebige Art und Weise deformiert wird, ohne dabei einzureissen. Eigenschaften, die bei diesen Transformationen unverändert bleiben, heißen topologisch. Flächen, die durch diese Transformationen ineinander abgebildet werden, können also aus topologischer Sicht nicht mehr unterschieden werden. So spricht man von einer topologischen Sphäre“ (ein Ellipsoid ist vom topologischen Typ der ” Sphäre), einem topologischen Torus“ etc. Dass sich z.B. Sphäre und Torus auch wirklich auf ” diese Weise trennen lassen, ist Gegenstand einer Übungsaufgabe. Diese Abbildung zeigt links einen Torus, rechts ein zugehöriges mögliches ebenes Schema. Geeignete Ecken und Kanten sind miteinander zu identifizieren (Übung!) Satz 1.15. Man kann jede geschlossene, zweidimensionale und orientierbare Fläche auf eine Kugel mit h augesetzten Henkeln“ topologisch abbilden. Insbesondere ist die Eulersche Cha” rakteristik χ := E − K + F ist eine topolgische Invariante. −→ Wie lautet χ für eine solche Fläche mit h > 0 Henkeln? 1.7.6 Kartenprojektionen Das Erstellen von Landkarten der Erdoberfläche ist ein altes und vielstudiertes Problem der Geometrie. Natürlich ist man versucht, solche Projektionen der zweidimensionalen Sphäre (der Kugeloberfläche) auf die Ebene, d.h. Landkarten, möglichst verzerrungsfrei zu gestalten. Im wesentlichen unterscheidet man nach folgenden drei Kriterien: ◦ Längentreue Abbildungen Welche Eigenschaft muss die Abbildung besitzen, damit die Längen einander entsprechender Kurvenstücke gleich sind? 1.7. DIE PLATONISCHEN KÖRPER 29 ◦ Winkeltreue Abbildungen Welche Eigenschaft muss die Abbildung besitzen, damit sie einander entsprechende Winkel unverändert lässt? ◦ Flächentreue Abbildungen Welche Eigenschaft muss die Abbildung besitzen, damit einander entsprechende Flächenstücke auch inhaltsgleich bleiben. Die mathematischen Techniken, die diesen Untersuchungen zu Grunde liegen, sind Thema späterer Vorlesungen, wie der Vektoranalysis und der Differentialgeometrie. Wir wollen dennoch einen kleinen Einblick in die Methoden der Wissenschaft der Kartographie geben – und damit eine interessante Eigenschaft der Platonischen Körper. Zunächst bemerken wir, dass längentreue Abbildungen gleichzeitig winkel- und flächentreu sind, was natürlich eines Beweises bedarf. Sie wären also ideale Kandidaten für kartographische Abbildungen. Aber bereits im Jahre 1777 zeigte L. Euler, dass sich die zweidimensionale Sphäre (als Modell der Erde) nicht längentreu auf die Ebene abbilden läßt. Daher muss man sich auf die Erstellung von Karten konzentrieren, welche vielleicht nur winkeloder nur flächentreu sind, dafür aber gerade für speziell ausgewählte Anwendungen ihren besonderen Nutzen beweisen. Klassische Beispiele für winkeltreue Abbildungen sind der Mercator-Entwurf oder die stereographische Abbildung und deren Verallgemeinerungen durch J.H. Lambert. Flächentreue Abbildungen stammen u.a. von M. Eckert, J.H. Lambert, K.B. Mollweide, N. Sanson. −→ Suchen Sie aus der Literatur Beispiele für winkeltreue bzw. flächentreue Kartenentwürfe und ihre geometrischen Beschreibungen heraus. Die Nützlichkeit von Kartenentwürfen leidet also stets an Verzerrungen, die bei der Abbildung der gekrümmten Sphäre auf die Ebene nach dem erwähnten Satz von Euler auftreten müssen. Es gilt, solche Verzerrungen möglichst gering zu halten. Und so widmete sich seit etwa 1927 der amerikanische Architekt R.B. Fuller einer damals völlig neuartigen, für uns aber naheliegenden Methode des Kartenentwurfs, nämlich der Projektion der Sphäre auf sie umschreibende Polyeder. Dabei soll natürlich sichergestellt werden, (i) dass ein solches Polyeder in ein einfach zusammenhängendes Schema aufklappbar ist, um auch eine zusammenhängende Weltkarte zu erhalten; (ii) und dass möglichst wenig Landmasse beim Aufklappen zerissen wird, um die Karte einfach praktisch zu gestalten. Die folgenden Skizzen, entnommen van Wijks Artikel Unfolding the earth, zeigen Projektionen der Erdoberfläche auf die fünf platonischen Körper und die entsprechenden ebenen Schemata. 30 KAPITEL 1. ZAHLEN UND GEOMETRIE 1.7.7 Der Fünffarbensatz Wir wollen in diesem Abschnitt eine interessante Anwendung der Eulerschen Polyederformen auf der Sphäre S2 ⊂ R3 vorstellen, den sogeannten Fünffarbensatz. Satz 1.16. Eine reguläre Landkarte auf der Sphäre lässt sich mit höchstens 5 Farben derart einfärben, dass keine zwei benachbarte Gebiete die gleiche Farbe aufweisen. Zum richtigen Verständnis dieses Satzes benötigen wir noch die Definition 1.6. Eine Karte auf der Sphäre heißt regulär, falls deren Gebiete durch einfach geschlossene Polygone aus Kreisbögen (Kanten) begrenzt werden, und an jeder Ecke dieser Polygone treffen genau drei Kanten zusammen. Und ferner machen wir von einem offensichtlich erscheinenden Resultat Gebrauch, dessen Beweis allerdings ganz und gar nicht trivial ist, dem Jordanschen Kurvensatz. Hilfssatz 1.1. Eine einfach geschlossene Kurve in der Ebene teilt diese in genau zwei Gebiete, ein Inneres und ein Äußeres. Wir lassen diesen Satz unbewiesen, verweisen aber auf Courant und Robbins Was ist Mathematik? Hierin findet sich ein Beweis des Jordanschen Kurvensatzes für den Spezialfall einer polygonalen Kurve. Überhaupt beruhen unsere Ausführungen in diesem Abschnitt ganz wesentlich auf diese Literatur, und beide Skizzen sind hieraus entnommen. 1.7. DIE PLATONISCHEN KÖRPER 31 Nun zum Beweis des Fünffarbensatzes aus Was ist Mathematik? Beweis. 1. Wir zeigen, dass jede reguläre Karte mindestens ein Polygon mit weniger als 6 Seiten besitzt. Sei dazu mit Fn die Anzahl aller derjenigen Gebiete der Karte bezeichnet mit genau n Seiten. Die Gesamtzahl F aller Gebiete ist demnach gegeben durch F = F2 + F3 + F4 + . . . Jede Kante hat 2 Enden, und an jeder solcher Ecke treffen sich 3 Kanten. Bezeichnen also K die Zahl der Kanten und E die Zahl der Ecken, so ist 2K = 3E (vgl. unseren Beweis der Eulerschen Polyederformel). Ferner hat ein Gebiet, welches von n Kanten begrenzt wird, auch n Ecken, und jede Ecke gehört zu 3 Gebieten, so dass 2K = 3E = 2F2 + 3F3 + 4F4 + . . . Nun verwenden wir die Eulersche Polyederformel E − K + F = 2, und zusammen mit 2K = 3E sehen wir 6E − 6K + 6F = 12 und 4K = 6E, also 6F − 2K = 12. ein. Dann ist aber auch 6(F2 + F3 + F4 + . . .) − (2F2 + 3F3 + 4F4 + . . .) = 12 bzw. nach Zusammenfassen (6 − 2)F2 + (6 − 3)F3 + (6 − 4)F4 + (6 − 5)F5 + (6 − 6)F6 + (6 − 7)F7 + . . . = 12. Da nun rechts eine positive Zahl steht, muss links mindestens ein Summand ebenfalls positiv sein. Also muss auch eine der Zahlen F2 , F3 , F4 oder F5 von Null verschieden sein, und das wollten wir zeigen. 2. Wir kommen nun zum eigentlichen Beweis des Fünffarbensatzes. Dazu unterscheiden wir zwei Fälle. (i) Die Landkarte M enthalte ein Gebiet A mit 2, 3 oder 4 Seiten. Dann entfernen wir die Grenzlinie zwischen A und einem seiner Nachbargebiete. Wenn speziell A vier Grenzen hat, so kann ein einziges Gebiet zwei nicht benachbarte Seiten von A von außen berühren. In diesem Fall müssen aber die Gebiete, welche an die beiden anderen, entgegengesetzten Seiten von A grenzen, nach dem Jordanschen Kurvensatz voneinander getrennt sein, und wir entfernen dann die Grenzlinie zwischen A und einem dieser Gebiete. Die so entstandene, neue Karte M ′ ist dann jedenfalls regulär, besitzt aber nur n − 1 Gebiete. Wenn jedoch M ′ mit 5 Farben gefärbt werden kann, so auch M. Denn da höchstens 4 Gebiete an A grenzen, lässt sich stets eine fünfte Farbe für A finden. 32 KAPITEL 1. ZAHLEN UND GEOMETRIE (ii) Die Landkarte M enthalte ein Gebiet A mit 5 Seiten. Bezeichne die 5 Nachbargebiete von A mit B, C, D, E und F. Wir können darunter dann immer ein Paar finden, das sich einander nicht berührt. Denn berühren sich, wie in der Skizze, B und D, so berühren sich nicht C und E oder C und F.3 Wir nehmen also an, dass sich C und F nicht berühren. Wir entfernen die Seiten von A, die nur an C und F grenzen und erhalten so eine neue, reguläre Karte M ′ mit n − 2 Gebieten. Lässt sich nun M ′ mit 5 Farben färben, so auch M. Denn fügt man die Grenzlinien wieder hinzu, so ist A mit höchstens vier verschiedenen Farben in Berührung, da C und F dieselbe Farbe haben, und wir können für A die fünfte Farbe wählen. Zusammenfassend lässt sich in beiden Fällen, wenn M eine reguläre Karte mit n Gebieten ist, eine neue, reguläre Karte M ′ finden mit n − 1 bzw. n − 2 Gebieten. Ist jedenfalls M ′ mit 5 Farben färbbar, so auch M. 3. Wir wenden dieses Verfahren nun auf die Karte M ′ an und erhalten eine neue, reguläre Karte M ′′ mit den diskutieren Eigenschaften. Sukzessive erhalten wir so eine Folge von regulären Gebieten M, M ′ , M ′′ , M ′′′ usw. Auf diese Weise gelangen wir schließlich auf eine reguläre Karte mit 5 oder weniger Gebieten, die sich aber offensichtlich mit höchstens 5 Farben färben lässt. Das zeigt die Behauptung. Der Vierfarbensatz besagt, dass eine reguläre Landkarte nur mit 4 Farben eingefärbt werden kann, so dass keine benachbarten Gebiete gleiche Farben aufweisen. Der Beweis dieses Satzes gelang in den 1970er Jahren unter Benutzung eines Computers, der gewisse verbliebene Möglichkeiten“ ausschloss. Im Jahre 2004 wurde ein formaler Beweis vor” gestellt, der sich eines computergestützten Beweisassistenten bedient. Detaillierte Ausführungen finden sich auf den wikipedia-Seiten. 1.7.8 Das Problem von Thomson Im Jahre 1904 stellte J.J. Thomson in On the structure of the atom die Frage nach einer geometrischen Gleichgewichtslage von n Einheitsladungen auf der im Koordinatenursprung zentrierten Einheitssphäre S2 ⊂ R3 . Nach dem Prinzip der kleinsten Wirkung ist also ein Minimum der folgenden Gesamtenergie 1 E(n, 1) := ∑ 1≤i< j≤n |vi − v j | gesucht, wobei die vi , i = 1, . . . , n, die Ortsvektoren der Ladungsträger bedeuten. Der Fall n = 2 wird durch 2 antipodisch gegelegene Ladungsträger realisiert, für n = 3 ist das Minimum durch 3 äquidistante Punkte auf einem Großkreis gegeben. Allgemein nennt man solche Punkte vi , für welche die Energie E(n, 1) ein Minimum annimmt, Fekete-Punkte. Die folgenden Grafiken visualisieren die Fälle n = 4, . . . , 12. Entnommen sind sie der Internetseite von A. Katanforoush. 3 Auf einem Torus, auf welchem der Jordanschen Kurvensatz so nicht richtig ist, ist auch diese Alternative nicht gültig! 1.7. DIE PLATONISCHEN KÖRPER 33 In den Fällen n = 4, n = 6 und n = 12 werden die Energieminima durch Platonische Körper repräsentiert: durch den Tetraeder, den Oktaeder und den Ikosaeder. 1.7.9 Radiolaren und Platonische Körper Radiolarien oder Strahlentierchen sind eine Gruppe einzelliger Lebewesen mit einem Endoskelett, d.h. einer mechanischen Stützstruktur im Körperinneren, bestehend aus Siliziumdioxid (siehe wikipedia). An dieser Stellen müssen wir die kunstvollen Illustrationen dieser Lebewesen in E. Haeckels Report on the Radiolaria erwähnen. Es erstaunen besonders die Einfachheit ihrer Formen, aber auch die offensichtlichen Symmetrien und Regelmäßigkeiten. Haeckels ausführlicher Bericht und Radiolarenkatalog, trotz ihrer Bedeutung heute nicht mehr leicht zugänglich, findet man unter der Internetadresse → http://caliban.mpiz-koeln.mpg.de/haeckel/challenger/ Empfohlen seien außerdem die Tafelwerke → Kunstformen der Natur. Marixverlag, 2004 → Art from the Oceans. Dover, 2011 Folgende Skizzen sind Thompsons Über Wachstum und Form entnommen: KAPITEL 1. ZAHLEN UND GEOMETRIE 34 Hierin erkennen wir die Symmetrien verschiedener Platonischen Körper wieder. Die strahlenförmig austretenden Skelettelemente entsprechen den Ecken dieser Polyeder. Die einzelnen Bezeichnungen schließlich: ◦ ◦ ◦ ◦ ◦ Circoporus sexfurcus (links oben) Circoporus octahedrus (links unten) Circogonia icosahedra (Mitte) Circospathis novena (rechts oben) Circorrhegma dodecahedra (rechts unten) Skelettgerüst von Haliomma echinaster, entnommen Haeckel’s art form from the ocean.