Leitthema Urologe 2007 DOI 10.1007/s00120-007-1540-1 © Springer Medizin Verlag 2007 C. Doehn1 · A.S. Merseburger2 · D. Jocham1 · M.A. Kuczyk2 1 Klinik und Poliklinik für Urologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UK S-H), Campus Lübeck, Lübeck 2 Klinik für Urologie, Eberhard-Karls-Universität, Tübingen Gibt es eine Indikation zur neoadjuvanten oder adjuvanten Systemtherapie beim Nierenzellkarzinom? Hintergrund Ein Nierenzellkarzinom wurde in Deutschland im Jahr 2002 bei 16.734 Patienten diagnostiziert (http://www.rki.de, aufgerufen am 2. August 2007). Bei etwa der Hälfte der Patienten liegt ein Tumor des Stadiums T1 oder T2 vor. Ein Stadium T3 gelangt ebenso wie eine bereits erfolgte Organmetastasierung (M1) bei jeweils einem Viertel der Patienten zum Nachweis (http://www.seer.cancer.gov, aufgerufen am 2. August 2007). Das 5Jahres-Überleben liegt auf alle Tumorstadien bezogen bei derzeit 68,5% [2]. Diese Daten verdeutlichen, dass die alleinige operative Therapie offenbar in (zu) vielen Fällen keine ausreichende Tumorkontrolle erzielt. In der vorliegenden Übersicht werden die derzeitigen neoadjuvanten und adjuvanten Therapieansätze beim Nierenzellkarzinom dargestellt. Rationale für eine neoadjuvante Therapie Ziel einer neoadjuvanten Therapie (vor Durchführung der operativen Tumorentfernung) ist die Größenreduktion und/ oder Abtötung lymphogener Mikrometastasen bzw. von zirkulierenden Tumorzellen, die beispielsweise im Rahmen der operativen Manipulation vom Tumor in das Gefäßsystem „eingeschwemmt“ werden könnten. Beim Nierenzellkarzinom stellt die Tumorgröße allerdings nur in Ausnahmefällen ein relevantes technisches Problem im Rahmen der operativen Therapie dar. Das Phänomen zirkulierender Tumorzellen ist beim Nierenzellkarzinom bekannt. Allerdings ist die klinische Relevanz unbekannt, weil sich bisher keine Korrelation zwischen zirkulierenden Tumorzellen und Überlebensdaten zeigen lassen konnte. So ist es auch nachvollziehbar, dass keine Phase-III-Studien zur neoadjuvanten Therapie des Nierenzellkarzinoms publiziert sind. Rationale für eine adjuvante Therapie Eine adjuvante Therapie hat die Reduktion des Rezidivrisikos zum Ziel. Dies wäre aus mehreren Gründen wünschenswert. Bei eingetretener Metastasierung liegt das mediane Überleben von Patienten mit einem Nierenzellkarzinom nur zwischen 12 und 15 Monaten [3, 5, 11]. Außerdem sind die Metastasen in der Mehrzahl mit einer klinischen Symptomatik assoziiert. Ferner bedeuten die eingesetzten Verfahren (z. B. Metastasenoperation, ZytokinTherapie) zur Behandlung von Metastasen eine nicht unerhebliche Belastung für die Patienten. Die postoperative Kenntnis des Tumorstadiums und des histologischen Subtyps stellt einen prinzipiellen Vorteil hinsichtlich der Entscheidung zugunsten einer adjuvanten Therapie nach operativer Behandlung eines Nierentumors gegenüber der präoperativen Ausgangslage dar. Die Prognose des Nierenzellkarzinoms ist v. a. vom Tumorstadium, Grading, histologischen Subtyp und Tumordurchmesser abhängig. So zeigen Patienten mit einem T1a-Tumor (Tumordurchmesser ≤4 cm nach TNM 2003) ein progressionsfreies Überleben von 94,8% gegenüber 81,2% für Patienten mit einem T1b-Tumor (Tumordurchmesser >4–7 cm) [12]. Dieser prognostisch relevante Schwellenwert von etwa 4–5 cm bestätigt sich auch in anderen Arbeiten [6, 7]. Mittlerweile existieren mehrere Prognosescores, die eine Risikoabschätzung hinsichtlich des progressionsfreien Überlebens oder Gesamtüberlebens beim Nierenzellkarzinom ermöglichen (. Tab. 1). Derartige Prognosescores kombinieren verschiedene klinische Parameter und bilden Risikogruppen. Sorbellini et al. [14] vom „Memorial Sloan Kettering Cancer Center“ entwickelten anhand von 701 Patienten mit einem klarzelligen Nierenzellkarzinom, die zwischen 1989 und 2002 eine Nephrektomie erhielten, ein Nomogramm zur Vorhersage des progressionsfreien 5-Jahres-Überlebens. Hierbei wurden die Parameter Tumorstadium (TNM 2002), Tumordurchmesser in cm, Grading (nach Fuhrman), Nekrose (ja/nein), mikrovaskuläre Invasion (ja/nein) und Symptomatik bei Diagnose (nein/lokal/ systemisch) eingeschlossen [14]. Der Urologe 2007 | Leitthema Tab. 1 Prognosescores Autor/Jahr Zisman et al. 2002 [15] Frank et al. 2003 [8] Sorbellini et al. 2005 [14] Institution „University of California Los Angeles Integrated Staging System“ (UISS) Mayo-Klinik „Memorial Sloan Kettering Cancer Center“ (MSKCC) Eingeschlossene Parameter Tumorstadium (TNM 1997), Grading, Allgemeinzustand Tumorstadium, Grading, Tumordurchmesser, Vorhandensein einer Nekrose, Absetzungsrand Tumorstadium, Grading, Tumordurchmesser, Vorhandensein einer Nekrose, Vorhandensein einer vaskulären Invasion, Vorhandensein von Symptomen 5 Jahre progressionsfreies Überleben Geringes Risiko: 91,4% intermediäres Risiko: 64% hohes Risiko: 37,3% 6 bzw. 7 verschiedene Risikogruppen, für die das Risiko eines Tumorrezidivs im Bereich des Abdomens, Thorax, Knochens oder Gehirns für verscheidene Zeitpunkte in einer Tabelle abzulesen ist Im Nomogramm abzulesen 5-Jahres-Gesamtüberleben Geringes Risiko: 83,8% intermediäres Risiko: 71,9% hohes Risiko: 44% Keine Aussage Keine Aussage Tab. 2 Phase-III-Studien zur adjuvanten Therapie des Nierenzellkarzinoms Autor/Jahr Studienarme Pizzocaro et al. 2001 [13] Arm A: Nephrektomie + INF-α Arm B: alleinige Nephrektomie Messing et al. 2003 [10] Clark et al. 2003 [4] Jocham et al. 2004 [9] Arm A: Nephrektomie + INF-NL Arm B: alleinige Nephrektomie Arm A: Nephrektomie + IL-2 Arm B: alleinige Nephrektomie Arm A: Nephrektomie + (Reniale®) Arm B: alleinige Nephrektomie Arm A: Nephrektomie + IL-2/ INF-α/5-FU Arm B: alleinige Nephrektomie Atzpodien et al. 2005 [1] Patientenzahl (Arm A vs. Arm B) 123 vs. 124 Progressionsfreies Überleben (Arm A vs. Arm B) 5 Jahre: 56,7% vs. 67,1% (p=0,107) 140 vs. 143 5 Jahre: 37% vs. 41% (p=0,33) 3 Jahre: 32% vs. 45% (p=0,431) 70 Monate: 72% vs. 59,3% (p=0,0204) 33 vs. 36 177 vs. 202 135 vs. 68 5 Jahre: 42% vs. 49% (p=0,2398) Toxizität (Arm A) 55,3% Nebenwirkungen (insbesondere „grippeähnlich“) Grad-4-Toxizität: 11,4% Grad-3- oder -4-Toxizität: 88% 12 unerwünschte Ereignisse (WHO Grad 1 oder 2) k.A. Therapieabbrecher/unterbrecher (Arm A) 28% 30% k.A. 0,6% k.A. k.A. keine Angaben. Frank et al. [8] von der Mayo-Klinik stellten einen Prognosescore für Patienten mit einem klarzelligen Nierenzellkarzinom vor. Hierfür wurden den Parametern Tumorstadium und Lymphknotenstadium sowie Grading, Tumordurchmesser (<10 vs. >10 cm), Tumornekrose (ja vs. nein) und Absetzungsränder (positiv vs. negativ) jeweils ein Punktwert zugeordnet. Aus der Addition ergibt sich ein Gesamtpunktwert mit einer zugehörigen Rezidivwahrscheinlichkeit im Bereich des Abdomens, Thorax, Knochens oder Gehirns [8]. Zisman et al. [15] von der Universität Los Angeles entwickelten anhand der klinischen Verläufe von 468 Patienten nach radikaler Nephrektomie eine Risikoanalyse für nicht-metastasierte Nierenzellkarzinome. In diese Analyse wurden die Parameter T-Stadium (TNM 1997), Grading (Fuhrman) und Allgemeinzu- | Der Urologe 2007 stand (ECOG-Status) eingeschlossen. Bei nicht-metastasierten Tumoren lag das 5Jahres-Überleben je nach Risikogruppe bei 84%, 72% bzw. 44% und das progressionsfreie 5-Jahres-Überleben bei 91%, 64% bzw. 37% [15]. Außerdem wird eine detaillierte Aufstellung der Überlebenswahrscheinlichkeiten in Ein-Jahres-Schritten, welche die gute Korrelation der Parameter progressionsfreies Überleben, krankheitsspezifisches Überleben und Gesamtüberleben zueinander zeigen, dargestellt [15]. Hinsichtlich der ausführlichen Ergebnisse wird auf die genannten Publikationen verwiesen. Publizierte Studien zur adjuvanten Therapie Adjuvante Zytokin-Therapie Zur adjuvanten Zytokin-Therapie wurden bisher 4 randomisierte Phase-III-Studien publiziert. Hierbei kam in 2 Studien Interferon-α (INF-α), in einer Studie Interleukin-2 (IL-2) und in einer Studie eine Kombination aus IL-2, INF-α und 5-Fluorouracil (5-FU) zum Einsatz (. Tab. 2), [1, 4, 10, 13]. In der Kontrollgruppe wurde jeweils eine alleinige radikale Nephrektomie vorgenommen. In keiner der genannten Studien wurde ein positiver Effekt der adjuvanten Therapie auf das progressionsfreie Überleben und/oder Gesamtüberleben gezeigt. In den 3 Studien, die nur jeweils ein Zytokin einsetzten, traten allerdings erhebliche Nebenwirkungen, die in einem Drittel der Patienten zu einem The- Zusammenfassung · Abstract rapieabbruch führten. Die Arbeit von Atzpodien et al. [1] zur Kombination von IL2, INF-α und 5-FU enthält keine Aussagen zu Nebenwirkungen (. Tab. 2). INF-α im adjuvanten Ansatz Pizzocaro et al. [13] untersuchten Patienten mit einem operierten Nierenzellkarzinom im Stadium pT2–3b pN0–3 M0 nach der alten TNM-Klassifikation, also mit einem Durchmesser von >2,5 cm (. Tab. 2). Eine adjuvante Therapie erfolgte mit INF-α2, welches in einer Dosierung von 6 Mio. Einheiten 3-mal wöchentlich intramuskulär(!) über 6 Monate verabreicht wurde. Das progressionsfreie Überleben nach 5 Jahren und das Gesamtüberleben wurden für die Patienten der Interferon-Gruppe mit 56,7% bzw. 66% und für die Kontrollgruppe mit 67,1% bzw. 66,5% angegeben. Dieser Unterschied war statistisch nicht signifikant. Bei 68 Patienten (55,3%) kam es zu therapiebedingten Nebenwirkungen. Bei 28% der Patienten musste die adjuvante Therapie mit INF-α2b entweder unterbrochen oder abgebrochen werden [13]. Messing et al. untersuchten die Wertigkeit einer adjuvanten Verabreichung von INF-α-NL (ein Gemisch verschiedener α-Interferone) nach operativer Therapie eines Nierenzellkarzinoms im Stadium pT3–4a und/oder pN1–3 M0 (. Tab. 2) [10]. INF-α-NL wurde alle 3 Wochen für 5 Tage intramuskulär(!) bis zu einer maximalen Zykluszahl von 12 – entsprechend einer Therapiedauer von 36 Wochen – appliziert. Bei einer medianen Nachbeobachtungszeit von 10,4 Jahren lagen die 5Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeiten bei 51% bzw. 62% zugunsten der Patienten der Kontrollgruppe. Das mediane Gesamtüberleben lag bei 7,4 Jahren bei den Patienten der Kontrollgruppe und 5,1 Jahren bei den Patienten der Interferon-Gruppe (jeweils nicht statistisch signifikant unterschiedlich). Eine therapieassoziierte Toxizität Grad 3 oder 4 wurde bei 57,1% bzw. 11,4% der Patienten dokumentiert. Bei 30% der Patienten musste die adjuvante Therapie mit INF-α-NL entweder unterbrochen oder abgebrochen werden [10]. Urologe 2007 DOI 10.1007/s00120-007-1540-1 © Springer Medizin Verlag 2007 C. Doehn · A.S. Merseburger · D. Jocham · M.A. Kuczyk Gibt es eine Indikation zur neoadjuvanten oder adjuvanten Systemtherapie beim Nierenzellkarzinom? Zusammenfassung Das Nierenzellkarzinom besitzt von allen urologischen Tumoren die schlechteste Prognose. In den meisten Fällen besteht die Primärtherapie in einer operativen Entfernung des Tumors. Ab einem Tumordurchmesser von 4– 5 cm kommt es zu einer deutlichen Erhöhung des postoperativen Rezidivrisikos. Bei derartigen Patienten wäre eine neoadjuvante oder adjuvante Systemtherapie angezeigt. PhaseIII-Studien zur neoadjuvanten Therapie des Nierenzellkarzinoms sind nicht publiziert. Demgegenüber wurden 5 Phase-III-Studien zur adjuvanten Therapie veröffentlicht. In 4 Studien wurde eine adjuvante ZytokinTherapie unter Verwendung von Interferon-α und/oder Interleukin-2 untersucht. Keine dieser Studien konnte den klassischen Nutzen einer adjuvanten Behandlung belegen. Außerdem traten erhebliche Nebenwirkungen auf, die bei einem Drittel der Patienten zu einem Abbruch der Studie führten. Demgegenüber zeigte die adjuvante Verabreichung einer autologen Tumorzellvakzine (Reniale®) eine Verbesserung von progressionsfreiem Überleben und Gesamtüberleben. Die Nebenwirkungsrate lag dabei <1%. Ergebnisse aktiver Studien zu einer Kombination aus Interleukin-2, Interferon-α und 5-FU, einer Hitzeschockproteinvakzine bzw. einem Antikörper werden in naher Zukunft erwartet. Neue Studien testen die Tyrosinkinaseinhibitoren Sunitinib und Sorafenib im adjuvanten Ansatz. Schlüsselwörter Nierenzellkarzinom · Neoadjuvant · Adjuvant · Prognose · Überleben Is there an indication for neoadjuvant or adjuvant systemic therapy in renal cell cancer? Abstract Looking at the most frequent urological tumors kidney cancer has the worst prognosis. Primary therapy consists of operative tumor removal in most cases. A tumor cutoff between 4 and 5 cm represents the turn towards a significant risk for postoperative tumor relapse. In those patients neoadjuvant or adjuvant therapy would be indicated. However, no phase III trials on neoadjuvant therapy of kidney cancer have been published in the literature. In contrast, five phase III trials on adjuvant therapy of kidney cancer have been published. In four trials interferon-α and/or interleukin-2 were applied. None of these trials had a positive outcome. Moreover, adjuvant cytokine therapy was associated with significant side effects in 30% of patients. In the fifth trial an autologous tumor cell vaccine (Reniale®) demonstrated an improvement of progression-free survival and overall survival. Also, there were less than 1% side effects. Results from active trials investigating a combination of interleukin-2, interferonα and 5-FU, or a heat shock protein vaccine or an antibody are awaited soon. New trials are testing tyrosine kidney inhibitors such as sunitinib and sorafenib. Keywords Kidney cancer · Neoadjuvant · Adjuvant · Prognosis · Survival IL-2 im adjuvanten Ansatz Clark et al. [4] untersuchten den Effekt einer Hochdosistherapie mit IL-2 nach Der Urologe 2007 | Leitthema operativer Therapie von Nierenzellkarzinomen im Stadium pT3b-4 oder pN1– 3 bei 44 Patienten oder bei Vorliegen von Metastasen mit stattgehabter R0-Resektion bei 25 Patienten (. Tab. 2). Die Therapie bestand in einer i.v.-Verabreichung von 600.000 IE IL-2/kg Körpergewicht alle 8 h an den Tagen 1–5 und 15–19 bis zu einer Maximalgabe von 28 Applikationen. Die Studie wurde vorzeitig beendet, weil die antizipierte Verbesserung des krankheitsfreien Überlebens von 40% auf 70% nicht erreicht wurde. Das progressionsfreie 2- und 3-Jahres Überleben lag bei Patienten der IL-2-Gruppe bei 48% bzw. 32% und bei Patienten der Kontrollgruppe bei 55% bzw. 45% (statistisch nicht signifikant unterschiedlich). Eine Toxizität 3. oder 4. Grades wurde bei 88% der Patienten beobachtet. Es gibt in der Publikation keine Aussagen über die Anzahl der Therapieabbrüche oder -unterbrechungen [4]. Kombination aus IL-2, INF-α und 5-FU im adjuvanten Ansatz Atzpodien et al. [1] publizierten im Jahr 2005 die Ergebnisse einer Kombination aus IL-2, INF-α und 5-FU vs. keiner adjuvanten Therapie nach erfolgter operativer Therapie von Nierenzellkarzinomen der Stadien pT3b-4 oder pN+ oder bei Vorliegen von Metastasen mit stattgehabter R0Resektion bei 203 Patienten (. Tab. 2). Es wurde ein 8-wöchiger Kurs einer kombinierten Zytokin-Chemotherapie verabreicht. Das progressionsfreie 2-, 5- und 8Jahres-Überleben lag in der Behandlungsgruppe bei 54%, 42% und 39% und in der Kontrollgruppe bei 62%, 49% und 49% (p = nicht signifikant). Das Gesamtüberleben nach 2,5 und 8,0 Jahren betrug 81%, 58% und 58% in der Behandlungsgruppe gegenüber 91%, 76% und 66% in der Kontrollgruppe (p=0,0278). Über Nebenwirkungen oder Therapieabbrüche oder -unterbrechungen gibt es in der Publikation keine Aussagen(!) [1]. Adjuvante Vakzinetherapie Im Jahr 2004 wurde eine Studie zur Wertigkeit einer adjuvanten autologen Tumorzellvakzine Reniale® bei Patienten mit einem Nierenzellkarzinom im Stadium T2–3b N0–3 M0 (TNM 1993) nach radikaler Nephrektomie publiziert [9]. Inner- | Der Urologe 2007 halb von 20 Monaten (1997-1998) wurden an 55 deutschen Prüfzentren 558 Patienten mit einer renalen Raumforderung eingeschlossen (. Tab. 2). Die Patienten wurden präoperativ in eine der beiden Gruppen (radikale Nephrektomie plus Reniale® vs. alleinige radikale Nephrektomie) randomisiert. Aufgrund der präoperativ erfolgten Randomisierung mussten beispielsweise Patienten ohne Nierentumor von der Auswertung ausgeschlossen werden. Es gelangten insgesamt 379 Patienten in die Auswertung. Die Patienten der Vakzinegruppe erhielten 6 Vakzinationen in 4wöchigen Abständen, einen Monat postoperativ beginnend. Das primäre Studienziel, nämlich eine Reduktion des Progressionsrisikos, wurde für die gesamte Studiengruppe erreicht [Hazard-Ratio nach 70 Monaten 1,59 (95%-Konfidenzintervall =1,07–2,36) zugunsten der Vakzinegruppe, p=0,0204]. Das progressionsfreie Überleben lag nach 70 Monaten bei 72% in der Vakzinegruppe und 59,3% in der Kontrollgruppe (p=0,0204). Für Nierenzellkarzinome im Stadium T3 lag das progressionsfreie Überleben bei 67,5% in der Vakzinegruppe und 49,7% in der Kontrollgruppe (p=0,039). Die Nebenwirkungsrate lag bei 0,6%. Die Autoren kamen zu der Schlussfolgerung, dass eine adjuvante Behandlung mit autologer Tumorzellvakzine bei Patienten mit einem nicht-metastasierten Nierenzellkarzinom >2,5 cm nach erfolgter radikaler Nephrektomie in Betracht gezogen werden kann [9]. Zu dieser Phase-III-Studie liegt jetzt eine 2. Analyse unter Einbeziehung einer höheren Patientenzahl vor. Hierbei bestätigen sich die statistisch signifikanten Ergebnisse zum progressionsfreien Überleben zugunsten der Vakzinegruppe. Ferner konnte erstmals ein statistisch signifikanter Vorteil hinsichtlich des Gesamtüberlebens zugunsten derjenigen Patienten, die Reniale® erhalten hatten, gezeigt werden. Die geringe Nebenwirkungsrate von Reniale® bestätigte sich ebenfalls in der 2. Analyse. Es handelte sich hierbei um lokale Nebenwirkungen an der Injektionsstelle, die allesamt von milder bis moderater Qualität waren. Die europäische Zulassungsbehörde (EMEA) hat allerdings die Durchführung einer 2. Studie zur Bedin- gung für eine Zulassung von Reniale® gemacht. Derzeit aktive Studien zur adjuvanten Therapie Kombination aus IL-2, INF-α und 5-FU Seit 1998 wird seitens der EORTC (später MRC) im Rahmen einer Phase-IIIStudie (EORTC 30955) eine Kombination bestehend aus IL-2, INF-α und 5-FU vs. keiner adjuvanten Therapie nach radikaler Nephrektomie geprüft (http:// www.clinicaltrials.gov, aufgerufen am 2. August 2007). In diese Studie mit dem Namen HYDRA wurden Patienten mit einem Nierenzellkarzinom im Tumorstadium T3b, T3c oder T4 oder jedes T bei pN1 oder 2 oder jedes T bei Vorliegen mikroskopisch positiver Absetzungsränder oder Vorhandensein einer mikroskopischen Gefäßinvasion eingeschlossen. Die Patienten dürfen keine Fernmetastasen und keinen WHO-Status >1 aufweisen. Primäre Endpunkte waren progressionsfreies Überleben und Lebensqualität. Die Studie hat ihre Rekrutierungsphase Ende 2006 abgeschlossen. Bisher sind keine Ergebnisse publiziert. Insgesamt sind 4 randomisierte Studien zur alleinigen oder kombinierten Zytokin-Therapie des Nierenzellkarzinoms im adjuvanten Ansatz publiziert worden (s. oben). In keiner der Studien konnte ein Vorteil der adjuvanten Zytokin-Therapie gezeigt werden. Insofern ist ein positiver Ausgang der HYDRA-Studie eher unwahrscheinlich. Hitzeschockproteinvakzine Die amerikanische Firma Antigenics hat im Jahr 2001 eine Phase-III-Studie zur adjuvanten Therapie des Nierenzellkarzinoms mittels einer autologen Hitzeschockproteinvakzine (HSPPC-96, Oncophage®) nach radikaler Nephrektomie vs. alleiniger operativer Therapie initiiert (s. oben). Eingeschlossen wurden Patienten mit einem Tumordurchmesser >7 cm oder makroskopisch verdächtigen Lymphknoten oder einem Thrombus der V. cava. Die Patienten durften keine Fernmetastasen und keinen ECOG-Status >1 aufweisen. Die Ergebnisse der Studie sind bisher noch nicht als Vollpublikation veröffentlicht. Die Firma Antigenics hat jedoch auf ihrer Homepage veröffentlicht, dass die Studie beide Endpunkte (progressionsfreies Überleben und Gesamtüberleben) verpasst habe. Allerdings zeigte sich in einer Subgruppe an Patienten mit intermediärer Prognose ein Vorteil hinsichtlich des progressionsfreien Überlebens. Ferner wurde auf der Homepage mitgeteilt, dass eine Zulassung für die adjuvante Therapie des Nierenzellkarzinoms mit intermediärer Prognose in Russland beantragt wurde (http://www.antigenics.com, aufgerufen am 2. August 2007). Antikörpertherapie Seit Juni 2004 wird in einer Phase-IIIStudie (ARISER) der monoklonale i.v. zu verabreichende Antikörper G250 (Rencarex®) gegen Placebo überprüft. Primäre Endpunkte der Studie sind das progressionsfreie Überleben und das Gesamtüberleben. Es werden >800 Patienten mit einem klarzelligen Nierenzellkarzinom eingeschlossen. Die Behandlung erfolgt über maximal 24 Wochen mit einer einmal wöchentlichen i.v.-Verabreichung des Antikörpers bzw. Placebo. Die untersuchten Tumorstadien lauten: T3a-T4 mit N0/Nx M0, jedes T N+ M0, T1b N0/Nx M0 oder T2 N0/Nx M0 mit G3/4 (http:// www.clinicaltrials.gov, aufgerufen am 2. August 2007). Die Studie hat derzeit etwa die Hälfte der benötigten Patienten rekrutiert. Sorafenib vs. Sunitinib vs. Placebo Eine 3-armige Phase-III-Studie (ASSURE, ECOG 2805) der ECOG testet seit April 2006 die Ansätze Sunitinib p.o. vs. Sorafenib p.o. vs. Placebo p.o. bei Patienten mit einem intermediären oder hohem Progressionsrisiko nach partieller oder radikaler Nephrektomie wegen eines Nierenzellkarzinoms. Primärer Studienendpunkt ist das progressionsfreie Überleben. Die geplante Patientenzahl liegt bei 1332. Die Behandlung erfolgt über maximal 9 Kurse mit einer jeweiligen Dauer von 6 Wochen. Innerhalb dieser 6 Wochen wird Sunitinib 4 Wochen verabreicht und Sorafenib 6 Wochen. Es werden alle histo- logischen Subtypen außer einem Sammelrohrkarzinom und einem medullären Karzinom eingeschlossen. Die Risikoprofile sind wie folgt definiert: intermediär T1bG3–4, pT2G1–2, pT2G3–4, pT3aG1– 2 (wenn pT3a nicht durch Nebenniereninfiltration bedingt ist), hoch pT3aG3–4, pT3a jedes G (wenn pT3a durch Nebenniereninfiltration bedingt ist), pT3b oder p3Tc jedes G, pT4 jedes G und jedes T jedes G N+ untersucht (http://www.clinicaltrials.gov). Geplante Studien Eine weitere 3-armige Phase-III-Studie (SORCE) wird die adjuvante Gabe von Sorafenib über 3 Jahre vs. Sorafenib für 1 Jahr gefolgt von Placebo für 2 Jahre vs. Placebo über 3 Jahre untersuchen. Es werden hierzu Patienten mit einem intermediären oder hohem Risiko nach Leibovich (Score 3–8) eingeschlossen. Primärer Endpunkt ist das metastasenfreie Überleben. Die geplante Patientenzahl liegt bei 1656. Eine 2-armige Studie untersucht Sunitinib vs. Placebo bei Patienten einem Nierenzellkarzinom, die ein hohes Risiko nach UISS aufweisen (http://www.clinicaltrials.gov). Fazit für die Praxis Bei der systemischen Therapie des Nierenzellkarzinoms kommen heute v. a. Zytokine, Vakzineansätze und Inhibitoren der Angiogenese zum Einsatz. Zu den letztgenannten Vertretern gehören u. a. VEGF-Antikörper (z. B. Bevacizumab), Tyrosinkinaseinhibitoren (z. B. Sunitinib, Sorafenib) und andere Enzyminhibitoren (z. B. Temsirolimus). Eine neoadjuvante Systemtherapie des Nierenzellkarzinom wurde bisher nicht in Studien der Phase III untersucht. Die adjuvante Therapie des Nierenzellkarzinoms ist vor dem Hintergrund der stadienabhängigen Progressionsdaten sowie der schlechten Prognose bei eingetretener Metastasierung dringend erforderlich. Die klassische Zytokin-Therapie unter Verwendung von INF-α und IL-2 erbrachte weder als Monotherapie noch in Kombination eine Verbesserung des progressionsfreien Überlebens. Außer- dem traten erhebliche Nebenwirkungen auf, die bei einem Drittel der Patienten zu einem Abbruch der Studie führten. Bisher ist nur eine Phase-III-Studie publiziert, die eine Verbesserung des progressionsfreien Überlebens nach operativer Therapie eines Nierenzellkarzinoms nachweisen konnte. Es handelt sich um eine autologe Tumorzellvakzine (Reniale®), die außerdem bei <1% der Patienten zu Nebenwirkungen führt. Das Präparat ist allerdings derzeit nicht zur adjuvanten Therapie zugelassen. Ergebnisse aktiver Studien zu einer Kombination aus IL-2, INF-α und 5-FU, einer Hitzeschockproteinvakzine bzw. einem Antikörper werden in naher Zukunft erwartet. Neue Studien testen die Tyrosinkinaseinhibitoren Sunitinib und Sorafenib im adjuvanten Ansatz. Die Kombination mit einem Zytokin erscheint ebenfalls möglich. Der Patientenselektion kommt bei der adjuvanten Therapie des Nierenzellkarzinoms eine besondere Bedeutung zu. Eine Risikoeinschätzung erfolgte in der Vergangenheit meistens anhand des TNM-Systems. Mittlerweile sind einige Prognosescores verfügbar, die mehrere klinische Parameter kombinieren und dadurch eine genauere Prognoseabschätzung erlauben als beispielsweise das alleinige Tumorstadium. Zukünftig lassen verschiedene molekulare Marker einen weiteren Zugewinn hinsichtlich der Prognoseabschätzung aber auch der Eignung des Patienten für eine bestimmte adjuvante Therapie erwarten. Korrespondenzadresse PD Dr. C. Doehn Klinik und Poliklinik für Urologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UK S-H), Campus Lübeck Ratzeburger Allee 160, 23538 Lübeck [email protected] Interessenkonflikt. Der korrespondierende Autor weist auf folgende Beziehungen hin: C.D. hat in der Vergangenheit Vortragshonorare und Beraterhonorare der Firmen LipoNova, Bayer healthcare und Pfizer, D.J. der Firmen LipoNova, Bayer healthcare und M.A.K. der Firmen Bayer healthcare und Pfizer erhalten. Der Urologe 2007 | Leitthema Literatur 1. Atzpodien J, Schmitt E, Gertenbach U et al. 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