Gutachten zu der Frage der Vereinbarkeit einer auf Ebene einer Landesverfassung eingeführten wahlrechtlichen Sperrklausel für Kommunalwahlen mit dem Grundgesetz Angefertigt von Dr. Sebastian Roßner M.A., Düsseldorf A. Zusammenfassung der Ergebnisse ................................................................................... 3 B. Rechtliche Maßstäbe für die Einführung einer kommunalwahlrechtlichen Sperrklausel auf Ebene einer Landesverfassung......................................................................................... 5 I. Art 21 I GG................................................................................................................... 5 1. Inhalte ....................................................................................................................... 5 2. Maßstäblichkeit für Verfassungsänderung ............................................................... 7 II. Identitätswahrende „Ewigkeitsklausel“........................................................................ 7 III. Art. 28 I GG als objektiv-rechtlicher Maßstab für die Landesverfassungen............... 9 1. Homogenitätsgebot aus Art. 28 I 1 GG .................................................................. 10 2. Spezielles Identitätsgebot aus Art. 28 I 1 GG......................................................... 11 IV. Rechtfertigungsbedürftigkeit verfassungsunmittelbarer Sperrklauseln .................... 11 C. Wirkungen von Sperrklauseln und Rechtfertigungsanforderungen................................ 16 I. Einschränkende Wirkungen von Sperrklauseln........................................................... 16 1. Mechanische Wirkung ............................................................................................ 16 a) Fehlender Einfluss „verlorener Stimmen“ auf Zusammensetzung der Volksvertretung .................................................................................................... 17 b) Verzerrung der Gleichheit des passiven Wahlrechts und der Chancengleichheit der Parteien........................................................................................................... 17 2. Psychologische Wirkung ........................................................................................ 18 3. Wirkung auf die mediale Berichterstattung über politische Parteien...................... 19 4. Faktische Dimension der Auswirkungen ................................................................ 19 II. Rechtfertigungsanforderungen ................................................................................... 21 1. Einschränkung aus zwingendem Grunde................................................................ 22 2. Verhältnismäßige Verfolgung des Grundes............................................................ 22 3. Funktionsstörungen der Volksvertretung einziger Rechtfertigungsgrund für wahlrechtliche Sperrklauseln....................................................................................... 23 a) Nur punktuelle Funktionsstörungen unzureichend ............................................. 24 b) Überprüfung der gesetzgeberischen Prognose ................................................... 24 c) Funktionsstörung anhand rechtlicher Funktionsanforderungen zu beurteilen .... 26 4. Funktionen von Kommunalparlamenten................................................................. 26 a) Repräsentationsfunktion ..................................................................................... 26 b) Weitere Funktionen nach der Gemeindeordnung und der Kreisordnung ........... 27 c) Sicherungen gegen mögliche Funktionsstörungen ............................................. 29 i. Beschlussfähigkeit ...................................................................................... 29 ii. Mehrheit.................................................................................................... 30 iii. Haushalt................................................................................................... 30 iv. Vom Volk gewählter Hauptverwaltungsbeamter .................................... 31 v. Staatliche Aufsicht.................................................................................... 31 vi. Bei Funktionsausfall Möglichkeit gesetzgeberischen Eingreifens.......... 31 5. Maßstab für eine Rechtfertigung ............................................................................ 32 A. Zusammenfassung der Ergebnisse Die Konkurrenz zwischen den politischen Parteien ist, auch und gerade, soweit sie durch wahlrechtliche Regelungen bestimmt wird, normativ als Wettbewerbsrecht strukturiert.1 Dies ergibt sich aus der Sache: Die Entscheidung über das Wahlrecht stellt auch eine Entscheidung über das Kräfteverhältnis zwischen den politischen Parteien dar, denn angesichts der festen, jedenfalls aber begrenzten Zahl zu verteilender Mandate stellt sich der Vorteil der einen als Nachteil der anderen Bewerber dar. Die Einführung einer kommunalwahlrechtlichen Sperrklausel greift in den politischen Wettbewerb ein, denn die Nichtberücksichtigung derjenigen Stimmen, die für eine Partei abgegeben wurden, welche den vorgesehenen Stimmenanteil nicht erringen konnte, führt zu einer Bevorzugung der in Konkurrenz stehenden erfolgreichen und parlamentarische Mandate erringenden Parteien, indem die den unberücksichtigten Stimmen entsprechende Zahl der Sitze an die in der Volksvertretung vertretenen Parteien verteilt wird. Zudem prägen Sperrklauseln auch die Einschätzung der Wähler von den Chancen kleinerer Parteien, in das zu wählende Parlament einzuziehen, und führen zur Sorge, die abgegebene Stimme „zu verlieren“. Sperrklauseln üben so eine wesentliche Vorwirkung auf das Wahlverhalten aus. Dieser Eingriff wird durch Akteure dieses Wettbewerbs vorgenommen und inhaltlich bestimmt. Weil es sich tendenziell um eine „Gesetzgebung zu Lasten Dritter“, nämlich der kleinen, nicht im Parlament vertretenen Parteien, handelt, fehlt es im Gesetzgebungsprozess am korrigierenden Element gegenläufiger politischer Interessen. Wahlrechtliche Sperrklauseln müssen daher verfassungsgerichtlich streng kontrolliert werden, um Missbrauch der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit auszuschließen und so die Chancengleichheit des politischen Wettbewerbs aufrechtzuerhalten.2 Das Grundgesetz enthält zwei Normen, die als Maßstäbe für eine kommunalwahlrechtliche Sperrklausel dienen, die durch ein Land eingeführt wird, sei es auf der Ebene des einfachen Rechts, sei es auf der Ebene der jeweiligen Landesverfassung. Dies sind Art. 21 I GG und Art. 28 I 1 und 2 GG. Denn die Verfahren der Sitzzuteilung, insbesondere die Einführung von Sperrklauseln, M. Morlok, Parteienrecht als Wettbewerbsrecht, in: Festschrift für D. Th. Tsatsos 2003, S. 408 (434 f.). 1 BVerfGE 135, 259 (289); 130, 212 (229), 129, 300 (322 f.); 120, 82 (105); ausdrücklich auch bezogen auf eine gesteigerte Kontrollintensität bei verfassungsändernden Gesetzen HbgVerfG, Urteil vom 08. Dezember 2015 – 2/15, HVerfG 2/15, juris Rn. 88; S. Roßner, Sperrklauseln – Wahlrechtliche Marktzugangsbeschränkungen auf dem Prüfstand, in: KommPWahlen 2012, S. 10 (12); H. Meyer, in: J. Wieland (Hrsg.), Entscheidungen des Parlaments in eigener Sache, 2011, S. 48 f. 2 3 unterliegen den Maßstäben der Wahlrechtsgrundsätze3 sowie der Chancengleichheit der politischen Parteien. Die mit der Einführung von Sperrklauseln verbundene Ungleichbehandlung im Wahlrecht beeinträchtigt sowohl das subjektive Wahlrecht des einzelnen Wählers wie auch die Chancengleichheit der Parteien und auch das passive Wahlrecht der Kandidaten der Parteien. Die Anforderungen für die Rechtfertigung einer auf Ebene der Landesverfassung geregelten Sperrklausel für Kommunalwahlen unterscheiden sich nicht von denjenigen, die für eine einfachgesetzlich geregelte Sperrklausel gelten, soweit sie an Artt. 21 I und 28 I GG als höherrangigem Recht zu messen sind. Eine kommunalwahlrechtliche Sperrklausel kann nur durch eine bereits eingetretene und festgestellte oder jedenfalls mit hinreichender Sicherheit für die Zukunft prognostizierbare, gravierende Funktionsstörung gerechtfertigt werden, die nicht nur punktuell, sondern in einer erheblichen Anzahl von Kommunen auftritt. In rechtlicher Hinsicht muss anhand der für die jeweiligen Kommunalparlamente einschlägigen kommunal- und landesverfassungsrechtlichen Normen sowie anhand des Grundgesetzes ermittelt werden, welches die Funktionsanforderungen sind, denen nicht Genüge getan wird oder von denen dies mit einiger Wahrscheinlichkeit prognostiziert werden kann. An diese rechtliche Analyse muss sich eine eingehende tatsächliche Analyse anschließen, die landesweit die Arbeitsbedingungen der Kommunalparlamente ins Auge fasst. Diese Prognose hat der Gesetzgeber nicht nur einmal, bei Erlass der Sperrklausel, sondern immer wieder vorzunehmen, um zu überprüfen, ob die Voraussetzungen für eine Sperrklausel nach wie vor gegeben sind. Es handelt sich um eine gesetzgeberische Pflicht zur permanenten Überwachung der Sperrklausel. Selbst dann, wenn eine erhebliche und weitflächige Funktionsstörung mit hinreichender Sicherheit festgestellt oder prognostiziert wird, ist weiterhin zu prüfen, ob durch andere Mittel Abhilfe geschaffen werden kann, wie etwa durch Änderungen der Geschäftsordnungen der Kommunalparlamente, bevor zum scharfen Mittel einer wahlrechtlichen Sperrklausel gegriffen wird. Vgl. U. Sacksofsky, § 6 – Wahlrecht und Wahlsystem in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz Parlamentsrecht, 2016, Rn. 59; N. Achterberg/M. Schulte, in; v. Mangoldt/Klein/Starck GGK, Bd. II, 6. Aufl. 2010, Art. 38 Rn. 129. 3 4 B. Rechtliche Maßstäbe für die Einführung einer kommunalwahlrechtlichen Sperrklausel auf Ebene einer Landesverfassung Da die Verfassungsräume von Ländern und Bund grundsätzlich getrennt sind, stellt sich die Frage ob, und falls ja, welche Bestimmungen des Grundgesetzes als rechtlicher Maßstab für Normen in einer Landesverfassung herangezogen werden können, die eine kommunalwahlrechtliche Sperrklausel statuieren. Für die Beantwortung dieser Frage ist von Bedeutung, dass die Auslegung einer Landesverfassung nicht nur die geschriebene Landesverfassung, sondern das gesamte in dem Land geltende Verfassungsrecht berücksichtigen muss. Dazu gehören auch die aus dem Gesamtinhalt der Landesverfassung abzuleitenden Grundsätze und Grundentscheidungen und die Verfassungssätze des Grundgesetzes, die in die Landesverfassung hineinwirken.4 Inhaltlich kommen vor allem Artt. 21 I und 28 I 2 GG als Normen des Grundgesetzes in Betracht, die in den Bereich des Landesverfassungsrechts hineinwirken und maßstäblich für kommunalwahlrechtliche Sperrklauseln sind. I. Art21 I GG Art. 21 I GG gewährleistet - neben anderem - auch das Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit bei Wahlen. Anerkannt ist dabei, dass wahlrechtliche Sperrklauseln die Gleichheit der Parteien betreffen, obwohl bei der Herleitung des wahlrechtlichen Aspekts der Chancengleichheit von Parteien eine gewisse Unklarheit herrscht.5 Das Gewicht dieses Rechts ergibt sich aus der Bedeutung, die der Freiheit der Parteiengründung und dem Mehrparteienprinzip für die freiheitliche Demokratie zukommt, und aus dem vom Grundgesetz gewollten freien und offenen Prozess der Meinungs- und Willensbildung des Volkes.6 1. Inhalte Inhaltlich verlangt der Grundsatz der Chancengleichheit generell für alle Parteien gleiche Bedingungen, unter denen sie politisch tätig werden. Politische Parteien - wie 4 BVerfGE 1, 208 (LS 3, 232). Tlw. als ungeschriebener Rechtssatz angesehen, BVerfGE 60, 162 (167); unmittelbar aus der demokratischen Grundordnung hergeleitet, BVerfGE 1, 208 (242); aus Art. 21 Abs. 1 GG, BVerfGE 3, 19 (26); aus einer Kombination von Art. 21 Abs. 1 und Art. 38 Abs. 1 GG, BVerfGE 82, 322 (337); vgl. U. Volkmann, in: Friauf/Höfling (Hg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, (4. Erg.-Lfg. 2002) Art. 21 Rn. 50 m.w.N. 5 Vgl. BVerfGE 85, 264 (297); ferner VerfGH NW, Urteil vom 16. Dezember 2008 – 12/08, juris Rn. 43. 6 5 § 2 I 1 PartG auch zum Ausdruck bringt - unterscheiden sich rechtlich von anderen auf Beeinflussung staatlicher Politik ausgerichteten Organisationen dadurch, dass sie mit eigenen Kandidaten zu staatlichen Wahlen antreten,7 was auch durch die politikwissenschaftliche Theorie bestätigt wird.8 Aus dieser zentralen Rolle der Wahlteilnahme für die Parteien ergibt sich auch der Dreh- und Angelpunkt des Grundsatzes der Chancengleichheit, nämlich, dass jeder Partei und ihren Wahlkandidaten grundsätzlich die gleichen Möglichkeiten im gesamten Wahlverfahren und damit auch die gleichen Chancen bei der Verteilung der Sitze eingeräumt werden.9 Das Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit hängt erkennbar eng mit den Grundsätzen der Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl zusammen. Deshalb ist – ebenso wie bei der durch die Grundsätze der Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl verbürgten gleichen Behandlung der Wähler – Gleichheit in einem strikten und formalen Sinn geboten.10 Die Strenge und Formalität des Gleichheitssatzes schlägt sich auch nieder in den Rechtfertigungsanforderungen für eine Abweichung: Wenn die öffentliche Gewalt in den Parteienwettbewerb in einer Weise eingreift, die die Chancen der politischen Parteien gerade im Hinblick auf einen Wahlerfolg verändern kann, sind dem Gestaltungsspielraum dabei besonders enge Grenzen gezogen. Auch dem Gesetzgeber verbleibt für Differenzierungen nur ein eng bemessener Spielraum. Zur Rechtfertigung bedarf es stets eines besonderen, sachlich legitimierten, „zwingenden“ Grundes.11 Sehr pointiert formuliert BVerfGE 8, 51 (63) daher, Parteien seien „vor allem Wahlvorbereitungsorganisationen“. BVerfGE 77, 96 (100 f.) führt implizit aus, dass es um die Wahlteilnahme mit dem Ziel der Entsendung eigener Kandidaten in die Parlamente gehe, andere mit der Wahlteilnahme verbundene Ziele für sich genommen reichten dagegen für die Parteieigenschaft nicht aus. Etwas überspitzt zur Wahlteilnahme D. Grimm, Nochmals: Die Parteien im Rechtsstaat, DÖV 1983 (538541) S. 540: „[...] das entscheidende Kriterium, neben dem alle weiteren Begriffsmerkmale nur Hilfsfunktion besitzen können.“ 7 Klassisch A. Downs, An Economic Theory of Democracy (1957) S. 28, der die politische Ausrichtung von Parteien durch das Bestreben nach der Gewinnung von möglichst vielen Wählerstimmen gesteuert ansieht. Ein differenzierteres Modell bietet K. Strom, A Behavioral Theory of Competitive Political Parties, AJPS 1990 (565-598). Ziel der Parteitätigkeit bleibt aber auch nach Strom die Gewinnung politischer Macht. 8 Vgl. auch BVerfGE 120, 82 (104 f.) sowie VerfGH NW, Urteil vom 16. Dezember 2008 – 12/08, juris Rn. 43. 9 BVerfGE 104, 14 (20); 85, 264 (279); 20, 56 (116); 14, 121 (133), st. Rspr.; VerfGH NW, Urteil vom 16. Dezember 2008 – 12/08, juris Rn. 48. 10 BVerfGE 135, 259 (285); 129, 300 (319); 120, 82 (105); VerfGH NW, Urteil vom 16. Dezember 2008 – 12/08, juris Rn. 48; VerfGH NW, Urteil vom 06. Juli 1999 – 14/98, 15/98, juris Rn. 58; VerfGH NW, Urteil vom 21. November 1995 – 21/94, juris Rn. 47. 11 6 2. MaßstäblichkeitfürVerfassungsänderung Die geschriebene Landesverfassung und die in sie hineinwirkenden Bestimmungen des (höherrangigen) Grundgesetzes als weitere Bestandteile machen erst die Verfassung des Gliedstaates aus.12 In diesem Sinne gelten die Grundsätze des Art. 21 GG, der die politischen Parteien als verfassungsrechtlich notwendige Instrumente für die politische Willensbildung des Volkes anerkennt und ihnen einen verfassungsrechtlichen Status zuerkennt, nicht nur für den Bereich des Bundes, sondern unmittelbar auch für die Länder.13 Art. 21 I GG kann deshalb von den Verfassungsgerichten der Länder herangezogen und selbständig überprüft werden. Art. 21 GG ist aber zugleich als höherrangiges Bundesverfassungsrecht bindend, und zwar auch für den verfassungsändernden Landesgesetzgeber. Politische Parteien sind damit auch befugt, ihre Rechte aus Art. 21 I GG in einem Organstreitverfahren nicht nur vor dem Bundesverfassungsgericht, sondern auch vor den Verfassungsgerichten der Länder zu verteidigen. II. Identitätswahrende „Ewigkeitsklausel“ Die Aufnahme einer kommunalwahlrechtlichen Sperrklausel in eine Landesverfassung kann auch an identitätswahrenden sogenannten „Ewigkeitsklauseln“ innerhalb der Landesverfassungen gemessen werden, die - ähnlich wie Art. 79 III GG für das Grundgesetz - inhaltliche Maßstäbe für Verfassungsänderungen aufstellen. Diese Bestimmungen enthalten zumeist eine unabänderliche Verpflichtung auf die Demokratie als Herrschaftsform.14 Vgl. BVerfGE 1, 208 (232); Siehe M. Nierhaus, in: Sachs GGK, 7. Aufl. 2014, Art. 28 Rn. 4; bei grundsätzlicher dogmatischer Ablehnung der Theorie der „Bestandteilsnormen“ dennoch für eine Einordnung des Grundsatzes der Chancengleichheit politischer Parteien unter das Demokratieprinzip nach Art. 28 I GG; A. Dittmann, in: HdBStR VI, 3. Aufl. 2008, § 127 Rn. 19, 24 ff; siehe weiter H. Klein, in: Herzog/Herdegen/Klein (Hg.), Maunz/Dürig GG, (78. Lfg. 2016), Art. 21 Rn. 147 ff; H. Sodan/ J. Ziekow, in: Sodan/Ziekow Öffentliches Recht, 7. Aufl. 2016, § 6 Rn. 69. 12 Ständige Rspr. des Bundesverfassungsgerichts und der Landesverfassungsgerichte, vgl. nur BVerfGE 120, 82 (104) m.w.N.; 66, 107 (113 ff.); 60, 53 (62); 6, 367 (375); 1, 208 (227); VerfGH NW, Urteil vom 16. Dezember 2008 – 12/08, juris Rn. 43; VerfGH NW, Beschluss vom 23. Juli 2002 – 2/01, juris Rn. 30; VerfGH NW, Urteil vom 06. Juli 1999 – 14/98, 15/98, juris Rn. 53; VerfGH NW, Urteil vom 21. November 1995 – 21/94, juris Rn. 33; VerfGH NW, Urteil vom 19. Mai 1992 – 5/91, juris Rn. 49; VerfGH Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15. Dezember 2014 – O 22/14, juris Rn. 68; VerfGH Schleswig-Holstein, Urteil vom 13. September 2013 – 7/12, juris Rn. 89; differenzierend VerfGH Berlin, Urteil vom 13. Mai 2013, juris Rn. 27. 13 Art. 101 I, II Verf Saarland; Art. 74 I Verf Sachsen i.V.m. Artt. 1; 3 I Verf Sachsen; Art. 75 I 2 Verf Bayern; Art. 46 Verf Niedersachsen i.V.m. Artt. 1 II; 2 I Verf Niedersachsen; Art. 64 I 2 Verf Baden-Württemberg; Art. 78 III Sachsen-Anhalt i.V.m. Art. 2, I, II Verf Sachsen-Anhalt; Art. 129 II Verf Rheinland-Pfalz i.V.m. Art. 74 I Verf Rheinland-Pfalz; Art. 69 I 2 Verf NW. 14 7 Für die Auslegung dessen, was „Demokratie“ bedeutet, kann auf die sogenannte Homogenitätsklausel aus Art. 28 I 1 GG zurückgegriffen werden.15 Ausgehend von den Gewährleistungsgehalten des Art. 28 I 1 GG ist ein Mindestmaß an Homogenität der Landesverfassung mit den Grundsätzen der in der Norm genannten Staatsstrukturprinzipien, insbesondere mit dem Demokratieprinzip gefordert. Dabei bezieht sich Art. 28 I 1 GG insbesondere auf die Grundentscheidung in Art. 20 I und II GG für Demokratie und Volkssouveränität sowie die daraus abzuleitenden Grundsätze der demokratischen Organisation und Legitimation der Staatsgewalt.16 Insbesondere die demokratische Gleichheit ist wesentlicher Bestandteil des Demokratieprinzips:17 Jeder Staatsbürger hat im gleichen Umfang an der Ausübung von Staatsgewalt teil.18 Art. 20 II GG konkretisiert die demokratischen Grundgehalte der Verfassung dahingehend, dass alle Staatsgewalt vom Volk ausgehen muss. In erster Linie übt das Volk seine Staatsgewalt durch die Wahl von Volksvertretungen aus, insbesondere auch auf der in diesem Gutachten behandelten kommunalen Ebene. Als Konkretisierungen des Prinzips der Volkssouveränität zählen die Wahlrechtsgrundsätze – jedenfalls dem Grunde nach – zum unabänderlichen Kern demokratischer Grundsätze, denn sie verwirklichen nicht lediglich einen, sondern in ihrem Kern den Modus demokratischer Wahl.19 Nach problematischer landesverfassungsgerichtlicher Rechtsprechung soll zwar nur die Zählwertgleichheit der Stimmen von der Verpflichtung auf demokratische Grundsätze aus Art. 28 I 1 GG streng geschützt, nicht aber die von einer wahlrechtlichen Sperrklausel betroffene Erfolgswertgleichheit.20 Diese Differenzierung vermag aber nicht zu überzeugen, da die demokratische Gleichheit sich eben auf die Möglichkeiten der Bürger bezieht, staatliche Entscheidungen zu beeinflussen. Innerhalb Vgl. HbgVerfG, Urteil vom 20. Oktober 2015 – 4/15, HVerfG 4/15, juris Rn. 71. Zu Art. 69 I 2 Verf NW siehe M. Sachs, Die Änderung der Landesverfassung – Kompetenz, Verfahren und Grenzen, in: Verfassungsgerichtsbarkeit in Nordrhein-Westfalen, Festschrift zum 50-jährigen Bestehen des Verfassungsgerichtshofs für das Land Nordrhein-Westfalen, 2002, S. 225 (241). 15 Vgl. BVerfGE 93, 37 (66); 83, 60 (71); 47, 253 (272); 9, 268 (281); VerfGH NW, Urteil vom 18. Februar 2009 – 24/08, juris Rn. 46. 16 So bereits Aristoteles: Politik, hrgg. v. J. Henderson, 2. Aufl. (1944 ND 2005) 1317 b. Die Verbindung von Demokratie und Gleichheit ist Gemeingut, vgl. zum klassischen Bereich der politischen Mitwirkungsrechte H. Meyer, in: HdbStR III, 3. Aufl. 2005, § 46 Rn. 30 zur Wahlgleichheit: „fundamental mit dem Gedanken der Demokratie verbunden.“ 17 So auch U. Kramer, Stellungnahme zum Kommunalvertretungsstärkungsgesetz im der öffentlichen Anhörung des Hauptausschusses und des Ausschusses für Kommunalpolitik des Landtages Nordrhein-Westfalen am 21. Januar 2016, LT-16/3325, B. I.; vgl. auch zum Verfassungskern i.S.d. Art. 79 III GG J. Krüper, Verfassungsunmittelbare Sperrklauseln – Maßstab, Modelle und Folgen einer Beschränkung der Wahlrechtsgleichheit im Grundgesetz, in: ZRP 2014, 130 (131) m.w.N. 18 J. Krüper, Verfassungsunmittelbare Sperrklauseln – Maßstab, Modelle und Folgen einer Beschränkung der Wahlrechtsgleichheit im Grundgesetz, in: ZRP 2014, 130 (131). 19 HbgVerfG, Urteil vom 20. Oktober 2015 – 4/15, HVerfG 4/15, juris Rn. 76 f.; vgl. VerfGH Berlin, Urteil vom 13. Mai 2013 – 155/11, juris Rn. 34 f. 20 8 des dafür vorgesehenen zentralen Verfahrens, also der Wahl zu staatlichen Ämtern und Mandaten, bedeutet demokratische Gleichheit daher einen möglichst gleichen Einfluss aller abgegebenen Stimmen auf das Ergebnis der Wahl. Auch wenn man - so wie dies hier vertreten wird - der Ansicht ist, dass das Demokratiegebot den gleichen Einfluss aller gültig abgegebenen Stimmen auf die Zusammensetzung der gewählten Volksvertretung gebietet und nicht nur einen gleichen Zählwert der Stimmen, ist allerdings die Wahlrechtsgleichheit nicht in dem Sinne unantastbar, als dass sie jeglicher konkretisierenden Regelung entzogen wäre. Als ausgestaltungsbedürftige Rechtsprinzipien muss die Gleichheit der Wahl zu konkurrierenden Verfassungsbelangen ins Verhältnis gesetzt werden21, dazu unten C.II. Wesentlich ist dabei, landesverfassungsändernde dass nach Gesetzgeber hier durch vertretener die Ansicht auch Demokratiegebote in der den entsprechenden Ewigkeitsklauseln der Landesverfassungen22 auf den Grundsatz der Gleichheit der Wahl festgelegt ist, woraus folgt, dass eine Einschränkung der Wahlrechtsgleichheit auch dann vor dem entsprechenden Demokratiegebot der Landesverfassung rechtfertigungsbedürftig ist, wenn sie durch ein landesverfassungsänderndes Gesetz erfolgt.23 III. Art. 28 I GG als objektiv-rechtlicherMaßstab fürdie Landesverfassungen Die Verfassungsräume von Bund und Ländern sind grundsätzlich voneinander unabhängig. Dieses prinzipiell selbständige Nebeneinander der Verfassungsräume stellt jedoch keine Bezugslosigkeit dar. Dies wäre aufgrund der bundesstaatlichen Ordnung Deutschlands, innerhalb derer Bund und Länder intensiv zusammenarbeiten müssen, auch nicht praktikabel. Es bedarf daher einer gewissen Koordination und Homogenität der Landesverfassungen und des Grundgesetzes. Zentrale Entscheidungen in diesen Fragen der Kompatibilität von Landesverfasssungen und Bundesverfassung können nur Vgl. für eine verfassungsunmittelbare Sperrklausel im Grundgesetz J. Krüper, Verfassungsunmittelbare Sperrklauseln – Maßstab, Modelle und Folgen einer Beschränkung der Wahlrechtsgleichheit im Grundgesetz, in: ZRP 2014, 130 (131). 21 Oder auch über Normen, mit denen die Gliedstaatlichkeit des jeweiligen Landes anerkannt wird, etwa Art. 64 Verf Hessen. Dies zieht für grundlegende Homogenitätsanforderungen der Bremische StGH, Urteil vom 12. April 2013 – 1/12, juris Rn. 63 in Betracht, wenngleich die kompetenziellen Bestimmungen der Art. 70 ff. GG nicht über Bundesstaatlichkeitsnormen inkorporiert werden könnten, siehe ebd. Rn. 64. 22 U. Kramer, Stellungnahme zum Kommunalvertretungsstärkungsgesetz im Rahmen der öffentlichen Anhörung des Hauptausschusses und des Ausschusses für Kommunalpolitik des Landtages Nordrhein-Westfalen am 21. Januar 2016, LT-16/3325, B. I. 23 9 im Grundgesetz getroffen werden.24 Dies bedeutet, dass ein Einwirken des Grundgesetzes in den landesverfassungsrechtlichen Raum nicht ausgeschlossen ist. Die Aussage von Trennung des Raumes der Landesverfassungen von demjenigen des Bundes ist somit zu qualifizieren, denn lediglich, soweit das Grundgesetz für die Verfassungen der Länder nichts bestimmt, können die Länder ihr Verfassungsrecht selbst ordnen.25 Sie sind allerdings an der Entstehung wie gemäß Art. 79 II GG an der Weiterentwicklung des Grundgesetzes als Mitwirkende beteiligt, wodurch ein prozedural-politischer Schutz vor einer Aushöhlung der Eigenständigkeit ihrer Verfassungsräume gegeben ist. Vor allem die Bestimmung des Art. 28 I GG bewirkt die notwendige Kompatibilisierung der Verfassungsräume der Länder mit demjenigen des Bundes. Einerseits gibt sie der Verfassungsautonomie der Länder sichtbaren Ausdruck, andererseits begrenzt sie zugleich deren konstitutionelle Gestaltungsfreiheit.26 Dabei sind das allgemeine Homogenitätsgebot nach Art. 28 I 1 GG und ein spezielles Identitätsgebot aus Art. 28 I 2 GG zu unterscheiden. 1. Homogenitätsgebotaus Art. 28 I 1 GG Zunächst erkennt Art. 28 I 1 GG die Gestaltungsmacht der Länder bei der Konzeption ihrer Verfassung an, indem nur ein gewisses Maß an Homogenität von Bundes- wie Landesverfassungen gefordert wird.27 Jedoch wird eine strukturelle Homogenität der Landesverfassungen mit dem Grundgesetz vorgeschrieben, die auch die demokratische Gleichheit der Bürger beinhaltet, siehe oben II. Vgl. insb. J. Dietlein, in: Dietlein/Hellermann, Öffentliches Recht in NRW, 6. Aufl. 2016, § 1 Rn. 69. 24 BVerfGE 103, 332 (350); 96, 345 (368 f.). Dabei ist allerdings als Grenze grundgesetzlicher Vorgaben wiederum der Grundsatz der Bundesstaatlichkeit nach Artt. 20 I, 79 III GG zu beachten. 25 M. Dombert, in: Härtel (Hrsg.), Handbuch Föderalismus – Föderalismus als demokratische Rechtsordnung und Rechtskultur in Deutschland, Europa und der Welt – Band II, 2012, § 27 – Landesverfassungen und Landesverfassungsgerichte in ihrer Bedeutung für den Föderalismus, Rn. 5; J. Dietlein, Das Verhältnis von Bundes- und Landesverfassungsrecht, in: Verfassungsgerichtsbarkeit in Nordrhein-Westfalen, Festschrift zum 50-jährigen Bestehen des Verfassungsgerichtshofs für das Land Nordrhein-Westfalen, 2002, S. 203 (208); C. Pestalozza, Die Bedeutung gliedstaatlichen Verfassungsrechts in der Gegenwart, in: NVwZ 1987, S. 744 (747); U. Kramer, Stellungnahme zum Kommunalvertretungsstärkungsgesetz im Rahmen der öffentlichen Anhörung des Hauptausschusses und des Ausschusses für Kommunalpolitik des Landtages Nordrhein-Westfalen am 21. Januar 2016, LT-16/3325, B. II.; vgl. auch BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 31. März 2016 – 2 BvR 1576/13, juris Rn. 54. 26 BVerfGE 103, 332 (350); 90, 60 (84 f.); 83, 37 (58); 41, 88 (119); 36, 342 (361); vgl. auch BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 31. März 2016 – 2 BvR 1576/13, juris Rn. 57. 27 10 2. Spezielles Identitätsgebotaus Art. 28 I 1 GG Soweit aber das Grundgesetz weitere Vorgaben macht, sind die Länder in der Ausgestaltung ihrer Verfassung gebunden. Dies ergibt sich aus dem im Ganzen die Landesautonomie begrenzenden Charakter des Art. 28 GG. In diesem Sinne wird der Landesverfassungsgeber bezüglich des Wahlrechts in den Ländern durch das spezielle Identitätsgebot des Art. 28 I 2 GG begrenzt, welches ein Minimum an Rechtsgewährleistungen bereits bestimmt28, nämlich die Allgemeinheit, Unmittelbarkeit, Freiheit, Gleichheit und Geheimheit des Wahlrechts in den Ländern, Kreisen und Gemeinden. Danach soll jedermann seine staatsbürgerlichen Rechte in formal möglichst gleicher Weise ausüben können.29 Art. 28 I 2 GG gibt den Ländern somit eine konkrete Ausgestaltung bestimmter demokratischer Grundentscheidungen verbindlich vor, zu denen insbesondere auch die grundsätzlich zu gewährleistende, streng formal zu verstehende Wahlrechtsgleichheit gehört. IV. Rechtfertigungsbedürftigkeitverfassungsunmittelbarer Sperrklauseln Einschränkungen – sei es durch den einfachen Gesetzgeber oder den gleichermaßen an die grundgesetzlichen Vorgaben gebundenen verfassungsändernden Landesgesetzgeber – bedürfen gleichermaßen der Rechtfertigung.30 Dabei sind an eine verfassungsunmittelbare Sperrklausel dieselben materiell-rechtlichen Maßstäbe der Rechtfertigung anzulegen wie an eine einfachgesetzliche.31 BVerfGE 83, 37 (58); 36, 342 (361); vgl. auch BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 31. März 2016 – 2 BvR 1576/13, juris Rn. 58; VerfGH Berlin, Urteil vom 13. Mai 2013 – 155/11, juris Rn. 34; J. Dietlein, Kommunale Sperrklausel durch Verfassungsänderung? Das Grundgesetz sitzt immer am längeren Hebel, in: LTO vom 28.08.2014. 28 BVerfGE 51, 222 (234); 28, 220 (225); 16, 130 (138); 13, 243 (246); 13, 1 (12); 12, 73 (77); 12, 10 (25); 11, 351 (360 f.); 11, 351 (360 f.); 6, 84 (91), vgl. auch BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 31. März 2016 – 2 BvR 1576/13, juris Rn. 58; VerfGH NW, Urteil vom 18. Februar 2009 – 24/08, juris Rn. 47; U. Kramer, Stellungnahme zum Kommunalvertretungsstärkungsgesetz im Rahmen der öffentlichen Anhörung des Hauptausschusses und des Ausschusses für Kommunalpolitik des Landtages Nordrhein-Westfalen am 21. Januar 2016, LT-16/3325, B. II. 29 So auch die Stellungnahmen zum Kommunalvertretungsstärkungsgesetz im Rahmen der öffentlichen Anhörung des Hauptausschusses und des Ausschusses für Kommunalpolitik des Landtages Nordrhein-Westfalen am 21. Januar 2016 von U. Kramer (LT-16/3325, B.), J. Oebbecke (LT-16/3334, S. 4); H. Wissmann (LT-16/3313, S. 2, 4). 30 So auch die Stellungnahmen zum Kommunalvertretungsstärkungsgesetz im Rahmen der öffentlichen Anhörung des Hauptausschusses und des Ausschusses für Kommunalpolitik des Landtages Nordrhein-Westfalen am 21. Januar 2016 von U. Kramer (LT-16/3325, B., C.), J. Oebbecke (LT-16/3334, S. 4); H. Wissmann (LT-16/3313, S. 2, 4); obgleich in den benannten Verfahren der Rechtfertigungsmaßstab nicht anwendbar war, in diesem Sinne aber auch VerfGH Berlin, Urteil vom 13. Mai 2013 – 155/11, juris Rn. 24, 32, 34; HbgVerfG, Urteil vom 20. Oktober 2015 – 4/15, HVerfG 4/15, juris Rn. 93. 31 11 Dagegen schlägt allerdings ein „Neuansatz zur Interpretation“ im Schrifttum vor, dass Art. 28 I 2 GG nur den einfachen Gesetzgeber auf Landesebene beschränke, nicht aber den Landesverfassungsgeber32. Diese Interpretation steht im Widerspruch zu Wortlaut, Systematik sowie Sinn und Zweck des Art. 28 GG. Zunächst adressiert Art. 28 I GG die Länder. Seine Vorgaben binden daher sowohl den einfachen Gesetzgeber wie auch den Verfassungsgeber in den Ländern.33 Weiterhin gewährleistet gemäß Art. 28 III GG der Bund, dass die verfassungsmäßige Ordnung der Länder den Grundrechten und den Bestimmungen der Absätze 1 und 2 entspricht. Diese Regelung ist Ausdruck des bundesstaatlichen Prinzips und sichert dieses, indem nur in den Grenzen der föderativen Bindungen den Ländern eigenständige Verfassungsbereiche zustehen, wobei dem Bund die Gewährleistung der Einhaltung dieser Bindungen überantwortet wird. Ausdrücklich ist damit auch die in Art. 28 I 2 GG verbindlich festgelegte Geltung der Wahlrechtsgrundsätze Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung in den Ländern, die selbstverständlich auch und zuvörderst durch den Landesverfassungsgeber gestaltet wird. Was zu dem zu gewährleistenden Minimum an Homogenität der Verfassungen in den Ländern gehört, bestimmen demnach Art. 28 I 1 und 2 GG. Nur im Übrigen sind die Länder, soweit das Grundgesetz nicht noch außerhalb des Art. 28 für bestimmte Tatbestände etwas anderes vorschreibt, frei in der Ausgestaltung ihrer Verfassung.34 Im Rahmen einer Konkretisierung der objektivrechtlichen verbindlichen Vorgaben des Art. 28 I 2 GG ist der verfassungsändernde Landesgesetzgeber damit denselben Restriktionen durch höherrangiges Bundesverfassungsrecht unterworfen wie der einfache Gesetzgeber35, so dass Differenzierungen im Bereich der Wahlrechtsgleichheit eines besonderen, sachlich legitimierenden, zwingenden Grundes bedürfen, der insbesondere auch in der Gewährleistung der Funktionsfähigkeit der zu wählenden Volksvertretung liegen kann. „Die Frage, was der Sicherung der Funktionsfähigkeit dient und dafür erforderlich ist, kann indes nicht für alle zu wählenden Volksvertretungen einheitlich beantwortet werden [...], sondern bemisst sich nach den konkreten Funktionen des zu wählenden Organs […]. Zudem kommt es auf die So (soweit ersichtlich als einziger) L. Michael, Verfassungsunmittelbare Sperrklauseln auf Landesebene, 2015, S. 127 ff. 32 Vgl. BVerfGE 103, 111 (134 f., 138); ausdrücklich auch HbgVerfG, Urteil vom 20. Oktober 2015 – 4/15, HVerfG 4/15, juris Rn. 93; H. Dreier, in: Horst Dreier (Hrsg.), GGK, Bd. II, 3. Aufl. 2015, Art. 28 Rn. 16. 33 34 BVerfGE 60, 175 (208); 36, 342 (361). Siehe die Stellungnahmen zum Kommunalvertretungsstärkungsgesetz im Rahmen der öffentlichen Anhörung des Hauptausschusses und des Ausschusses für Kommunalpolitik des Landtages Nordrhein-Westfalen am 21. Januar 2016 von U. Kramer (LT-16/3325, B., C.), J. Oebbecke (LT16/3334, S. 4); H. Wissmann (LT-16/3313, S. 2, 4). 35 12 konkreten Bedingungen an, unter denen die jeweilige Volksvertretung arbeitet und von denen die Wahrscheinlichkeit des Eintritts von Funktionsstörungen abhängt [...]“.36 Demgegenüber wird vereinzelt in der Literatur angenommen, bei der Einführung von Sperrklauseln auf Landesverfassungsebene sei insoweit nicht der Nachweis konkreter Funktionsstörungen verlangt, sondern dem Verfassungsgesetzgeber stünde ein „größerer Gestaltungsspielraum“ zu37, so dass auch schon eine abstrakte Gefahr von Funktionsbeeinträchtigungen die Einführung einer Sperrklausel rechtfertigen könne.38 Zur Stützung dieser These wird angeführt, der für einfache Gesetze geltende Rechtfertigungsmaßstab könne „konzeptionell nicht für die verfassungsändernde Gewalt gelten. Denn Verfassungsnormen haben per se ein hohes Abstraktionsniveau (bzw. sollten es haben) und vom verfassungsändernden Gesetzgeber erwarten wir vor allem abstrakte Erwägungen und weniger Reaktionen auf konkrete Befunde“.39 Dieses Argument vermag nicht zu überzeugen, sofern es sich auf die Einführung einer konkret bezifferten Sperrklausel auf Verfassungsebene geht, denn von einem hohen Abstraktionsniveau kann dann nicht die Rede sein. Umgekehrt spricht bereits der Charakter von Verfassungsnormen dagegen, mit ihrer Hilfe wahlrechtliche Sperrklauseln zu regeln. Verfassungsnormen dienen nämlich dazu, die wesentlichen Grundzüge des Gemeinwesens abstrakt zu formulieren, um die auf eine dauerhafte Geltung angelegte Verfassung inhaltlich offen zu halten und so die Vielfalt sich wandelnder Probleme zu bewältigen.40 Geringere Rechtfertigungsanforderungen des verfassungsändernden Landesgesetzgebers für wahlrechtliche Sperrklauseln werden teilweise auch damit begründet, dass „Verfassungen […] auf Langfristigkeit und der Mechanismus der Verfassungsänderung auf erschwerte Änderbarkeit angelegt [sind]“, weshalb sich insbesondere auch „Anpassungspflichten geradezu denknotwendig nur an den einfachen Gesetzgeber richten“ könnten.41 Dem ist entgegenzuhalten, dass im Gegenteil die erschwerte Abänderbarkeit von Verfassungsnormen die Rechtfertigungslast für den verfassungsändernden Gesetzgeber gerade steigert, nicht mindert. Weil die Anpassung von Normen der Landesverfassung 36 BVerfGE 135, 259 (286) m.w.N., st. Rspr. So W. Roth, Verfassungsmäßigkeit der Einführung einer 3%-Sperrklausel bei Kommunalwahlen durch Verfassungsänderung, insbesondere für das Land Nordrhein-Westfalen, 2015, S. 106 ff., 108. 37 38 So L. Michael, Verfassungsunmittelbare Sperrklauseln auf Landesebene, 2015, S. 149, 165. 39 So L. Michael, Verfassungsunmittelbare Sperrklauseln auf Landesebene, 2015, S. 165. Vgl. K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1999, § 1 Rn. 23. 40 41 So L. Michael, Verfassungsunmittelbare Sperrklauseln auf Landesebene, 2015, S. 165. 13 gegenüber einfachen Gesetzen durch die erhöhten Anforderungen des Verfassungsänderungsverfahrens erschwert ist, steigt das Rechtfertigungsbedürfnis für die Wahl dieser Regelungsebene vielmehr erheblich, denn Sperrklauseln sind vom Gesetzgeber daraufhin zu überwachen, ob sie weiterhin notwendig sind. Andernfalls sind sie zu modifizieren oder aufzuheben, dazu unten C.II.3.b). Verfassungen sind für die Normierung wahlrechtlicher Sperrklauseln daher wenig geeignet. Weiterhin wird argumentiert, ein weniger strenger Rechtfertigungsmaßstab für landesverfassungsrechtlich geregelte Sperrklauseln ergebe sich aus einer „Doppelnatur“ des Art. 28 I 2 GG „als Identitätsmaßstab gegenüber einfachem Landesrecht und als bloßer Homogenitätsmaßstab gegenüber Landesverfassungsrecht“ begründet.42 Diese These der gespaltenen Rechtswirkungen des Art. 28 I 2 GG lässt sich indes weder mit dem Wortlaut noch mit Sinn und Zweck von Art. 28 GG in Einklang bringen. Art. 28 I 1 GG verlangt Homogenität. Eine solche Einschränkung macht Art. 28 I 2 GG gerade nicht. Vielmehr werden ohne jegliche Einschränkung allgemeine, unmittelbare, freie, gleiche und geheime Wahlen der Volksvertretungen in den Ländern vorgegeben, und zwar im Sinne eines Identitätsmaßstabes. Dafür, dass Art. 28 I 2 GG nur für den einfachen Gesetzgeber, nicht aber den verfassungsändernden Gesetzgeber gelten solle, gibt Art. 28 GG nichts her. Adressaten von Art. 28 I 1 und 2 GG sind eben stets „die Länder“, und zwar mit dem Ziel, in den Verfassungsräumen der Länder ein Mindestmaß an Homogenität im bundesstaatlichen Gefüge des Grundgesetzes zu erreichen. Dieses Mindestmaß an Entsprechung wird in Art. 28 I 2 GG für einen Kernbereich der Demokratie durch die wörtliche Wiederholung der in Art. 38 I 1 GG normierten Wahlrechtsgrundsätze verbindlich konkretisiert. Der auf diese Weise begrenzte Gestaltungsspielraum der Länder ist weiteren Abstufungen je nach Regelungsebene – Landesverfassung oder einfaches Gesetz – schon nach dem Wortlaut des Art. 28 I GG nicht zugänglich und widerspräche auch dessen Sinn und Zweck, den Wahlrechtsgrundsätzen auch in den Ländern Geltung zu verschaffen. Dieses Verständnis liegt auch den Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes des Landes Berlin und des Hamburgischen Verfassungsgerichts zugrunde, die verfassungsunmittelbare Sperrklauseln für die dortigen Bezirksversammlungen nur deshalb gebilligt haben, weil diese dem Begriff der Volksvertretung nicht unterfallen und deshalb der Regelungsbereich des Art. 28 I 2 GG nicht eröffnet war. Von einer nach 42 So L. Michael, Verfassungsunmittelbare Sperrklauseln auf Landesebene, 2015, S. 165. 14 Art. 28 I 2 GG grundsätzlich erforderlichen Rechtfertigung eines solchen Eingriffs gehen beide Entscheidungen hingegen zu Recht aus.43 Somit gelten für den verfassungsändernden Gesetzgeber bei Einschränkungen der Wahlrechtsgleichheit dieselben Rechtfertigungsanforderungen wie für den einfachen Gesetzgeber. VerfGH Berlin, Urteil vom 13. Mai 2013 – 155/11, juris Rn. 24, 32, 34; HbgVerfG, Urteil vom 20. Oktober 2015 – 4/15, HVerfG 4/15, juris Rn. 93. 43 15 C. Wirkungen von Sperrklauseln und Rechtfertigungsanforderungen Die Anforderungen für die Rechtfertigung einer wahlrechtlichen Sperrklausel ergeben sich aus ihren die Gleichheit der Wahl und die politische Chancengleichheit einschränkenden Wirkungen. I. Einschränkende Wirkungen von Sperrklauseln Eine wahlrechtliche Sperrklausel senkt den Erfolgswert der Stimmen, die für Listen von Parteien abgegeben wurden, welche unterhalb der Sperrschwelle bleiben, auf null. Sie stellt daher einen der gravierendsten Eingriffe in die demokratische Gleichheit der Wahlbürger wie auch der Kandidaten dar.44 Die einschränkenden Wirkungen wahlrechtlicher Sperrklauseln45 beziehen sich damit ebenso auf die Gleichheit des aktiven und des passiven Wahlrechts wie auf die Chancengleichheit der politischen Parteien. Die Effekte treten dabei auf drei Ebenen auf: Erstens bei der Sitzverteilung. Dies ist die sogenannte „mechanische Wirkung“46, dazu sogleich unter 1. a). Zweitens als „psychologische Wirkung“, welche als eine Vorwirkung die durch die Einschätzung der Wähler über die Erfolgschancen von Parteien auf die Wahlentscheidung ausgeübten Einflüsse erfasst47, dazu siehe unten 1. b). Drittens prägen die Wirkungen der Sperrklausel auch die mediale Berichterstattung über politische Parteien, dazu unten unter 1. c). 1. Mechanische Wirkung Die mechanische Wirkung von wahlrechtlichen Sperrklauseln betrifft die Gleichheit des aktiven und des passiven Wahlrechts sowie die Chancengleichheit der politischen Parteien. H. Klein, in: Herzog/Herdegen/Klein (Hg.), Maunz/Dürig GG, (74. Lfg. 2015), Art. 38 Rn. 126; H.-H. Trute, in: v. Münch/Kunig GGK, Bd. I, 6. Aufl. 2012, Art. 38 Rn. 58; H. Meyer, in: HdbStR III, 3. Aufl. 2005, § 46 Rn. 36. 44 Diese sind abzugrenzen von den impliziten oder faktischen Sperrwirkungen bzw., mit welchem Begriff der Mindeststimmanteil bezeichnet wird, der rechnerisch notwendig ist, damit eine Liste das erste Mandat gewinnt. Zur rechtlichen Problematik faktischer Sperrklauseln in kommunalen Volksvertretungen VerfGH NRW, Urteil vom 16.12.2008 - 12/08 juris = NVwZ 2009, 449 ff. und M. Hahn, Formalisierbare Gleichheit, in: MIP 2008/2009, S. 41 ff. sowie R. Theisen, Chancengleichheit der Parteien und Gleichheit der Wahl, in: DVP 2009, S. 241 ff., 45 Der Begriff geht zurück auf die klassische Untersuchung von M. Duverger, Die politischen Parteien, 1959, dort S. 238, 46 47 Auch dieser Begriff ist von Maurice Duverger geprägt, vgl. ebd. 16 a) Fehlender Einfluss „verlorener Stimmen“ auf Zusammensetzung der Volksvertretung Die Wirkung auf das aktive Wahlrecht besteht darin, dass Stimmen, die auf Wahlvorschläge entfallen, welche unterhalb der wahlrechtlichen Sperrklausel bleiben , so dass die Stimmen aus diesem Grunde keine Vertretung im Parlament finden und keine positive Mandatsverschaffungsmacht ausüben.48 Diese verlorenen Stimmen werden damit vom Wahlrecht anders behandelt als solche Stimmen, die auf Listen entfallen, welche die Sperrklausel überspringen. In der vom Verfassungsgerichtshof und vom Bundesverfassungsgericht benutzten Terminologie handelt es sich um eine Beeinträchtigung der wahlrechtlichen Erfolgswertgleichheit49, die von Art. 28 I 2 GG (i.V.m. der jeweiligen Rezeptionsanordnung in der Landesverfassung) geschützt ist.50 b) Verzerrung der Gleichheit des passiven Wahlrechts und der Chancengleichheit der Parteien Die Verzerrung der Gleichheit des aktiven Wahlrechts wirkt sich spiegelbildlich auch auf die Gleichheit des passiven Wahlrechts aus, die gleichfalls von Art. 28 I 2 GG (bspw. i.V.m. Art. 1 I 69 I 2 LVerf NRW, 64 LVerfHess) umfasst ist.51 Kandidaten, deren Liste einen ausreichenden Wahlerfolg erzielt hat, um die faktische Sperrwirkung zu überwinden, können gleichwohl an der wahlrechtlichen Sperrklausel scheitern. Darin liegt eine Beeinträchtigung der Gleichheit des passiven Wahlrechts.52 Dieser Effekt betrifft auch die politischen Parteien, deren chancengleiche Beteiligung am politischen Wettbewerb, insbesondere durch Teilnahme an Wahlen mit eigenen Kandidaten, verfassungsrechtlichen Rang genießt, siehe oben B.I., und welche von einer Zum Begriff der Mandatsverschaffungsmacht siehe M. Morlok, in: Dreier (Hg.), Grundgesetzkommentar, Bd. 2, 3. Aufl. (2015) Art. 38 Rn. 102. 48 Zur Erfolgswertgleichheit vgl. BVerfGE 135, 259 (284); 129, 300 (318 ff.); 95, 335 (353); 82, 322 (337); 16, 130 (138 f.); VerfGH NW, Urteil vom 6. Juli 1998 - 14/98, 15/98 juris, Rn. 58; VerfGH Thüringen, Urteil vom 11. April 2008 – 22/05, juris Rn. 50. 49 Eine Bindung der Länder an den „strikt formale[n] Charakter der Wahlrechtsgleichheit“ sieht A. Dittman, in: HdBStR VI, 3. Aufl. 2008, § 127 Rn. 20; ebenso („eng bemessen[er] Spielraum“) M. Nierhaus, in: Sachs GGK 2014, Art. 28 Rn. 20; unter Verweis auf die Rspr. d. BVerfG H. Meyer, in: Handbuch für Kommunale Wissenschaft und Praxis, Bd. 1, 3. Aufl. 2007, § 20 Rn. 38; zur bislang strikten Handhabung der Wahlrechtsvorgaben K. Schönenbroicher, in: Heusch/Schönenbroicher (Hrsg.), Die Landesverfassung Nordrhein-Westfalen, 2010, Art. 1 Rn. 21 f. 50 Siehe bereits oben unter I. 2. a), BVerfGE 9, 268 (281); 47, 253 (272); 83, 60 (71); 93, 37 (66); VerfGH NW, Urteil vom 18. Februar 2009 – 24/08, juris Rn. 46. Zur Verbundenheit des passiven Wahlrechts mit dem aktiven Wahlrecht P. Tettinger/ K.-A. Schwarz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck GGK, 6. Aufl. 2010, Art. 28 Rn. 104. 51 Vgl. VerfGH NW, Urteil vom 6. Juli 1998 - 14/98, 15/98, juris Rn. 58 BVerfGE 120, 82 (102, 105 ff.); 129, 300 (316 ff.), 135, 259 (284 ff.), sowie mit Bezug auf die Chancengleichheit politischer Parteien VerfGH NW, Urteil vom 16. Dezember 2008 – 12/08 juris, Rn. 43 ff., 48. 52 17 wahlrechtlichen Sperrklausel auch betroffen ist53, jedenfalls insofern eine Partei mit eigenen Listenvorschlägen an Wahlen teilnimmt. 2. Psychologische Wirkung Für die Wähler, die mit einer kleinen politischen Partei sympathisieren, gewinnt die Einschätzung der Wähler über die Erfolgschancen der Gruppierung besondere Bedeutung. Wird die Aussicht der eigentlich präferierten Partei, die Sperrklausel zu überspringen, als gering eingeschätzt, kann die Angst überhandnehmen, die eigene Stimme zu vergeuden. Dies führt dazu, die Stimme nicht nach der eigentlichen politischen Präferenz abzugeben, sondern zugunsten einer anderen, als chancenreicher eingeschätzten Partei. Dies ist nichts anderes als eine besondere Form der „Leihstimme“ zugunsten größerer Parteien. Die eigentlichen politischen Präferenzen werden also nicht nur wegen der mechanischen Wirkung der Sperrklausel in der Sitzverteilung des Parlaments nicht mehr ausgedrückt, sondern sie schlagen sich bereits gar nicht mehr unverfälscht in der Stimmabgabe nieder. Die psychologische (Vor)Wirkung der Sperrklausel auf das Stimmabgabeverhalten und ihre mechanische Wirkung auf die Verrechnung abgegebener Stimmen kumulieren also. Dabei ist die psychologische Wirkung auf das Stimmabgabeverhalten auch für sich genommen rechtserheblich.54 Sie ist insbesondere keine bloße Mutmaßung, sondern einer empirisch-sozialwissenschaftlichen Erforschung prinzipiell zugänglich.55 Die psychologische Wirkung der Sperrklauseln betrifft aber nicht nur die Wähler, die Kandidaten und die Listenvorschläge der Parteien, sondern bereits die Entstehung von Wahlvorschlägen, denn kleine Parteien, deren Aussichten auf Vertretung im Parlament als schlecht erscheinen, haben oft bereits aus diesem Grund Schwierigkeiten, eigene Kandidaten zu finden und zur Wahl anzutreten. Hinzu treten die unterschiedlichen Voraussetzungen für Parteien, um mit eigenen Vorschlägen an einer Wahl teilnehmen zu können. Diese unterscheiden nämlich typischerweise zwischen Parteien, die im Parlament vertreten sind und solchen, bei denen dies nicht der Fall ist.56 Vgl. BVerfGE 82, 322 (337); 60, 162 (167); 3, 19 (26); 1, 208 (242); S. Roßner, Sperrklauseln – Wahlrechtliche Marktzugangsbeschränkungen auf dem Prüfstand, in: KommunalPraxis Wahlen 2012 S. 10 (12); U. Volkmann, in: Friauf/Höfling (Hg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, (4. Erg.-Lfg. 2002) Art. 21 Rn. 50 m.w.N. 53 54 Vgl. BVerfGE 129, 300 (344 f.). Siehe H. Schoen: Wahlsysteme, in: Falter/Schoen (Hg.): Handbuch Wahlforschung, 2005, S. 573 (588 ff.) mit zahlreichen weiteren Nachweisen 55 Siehe etwa § 15 II 2 und 3 KommWahlG NW, nach welcher Norm Parteien (und Wählergruppen), die nicht durchgängig während der laufenden Wahlperiode in der zu wählenden Volksvertretung, in der Volksvertretung des zuständigen Kreises oder im Landtag vertreten waren, besonderen Anforderungen zu genügen haben, vor allem Unterstützungsunterschriften einreichen müssen. 56 18 Sperrklauseln haben also die Tendenz, bereits die Entstehung politischer Angebote zu erschweren57, was angesichts der verfassungsrechtlichen Bedeutung gerade auch der kleinen Parteien für die Offenheit und Lernfähigkeit des politischen Systems58 erheblich und rechtfertigungsbedürftig ist. 3. Wirkung aufdie mediale Berichterstattung überpolitische Parteien Demokratische Politik spielt sich in der Öffentlichkeit ab und soll dies tun. Für die Teilnahme am politischen Wettbewerb bedeutet dies, dass sie erfolgreich nur geschehen kann, soweit der jeweilige Akteur ein gewisses Maß an öffentlicher Aufmerksamkeit erhält. Für Parteien ist in dieser Hinsicht die Vertretung in Parlamenten eine Wasserscheide zwischen politischem Erfolg und politischer Irrelevanz. Dies wird greifbar in der Wahlberichterstattung im Rundfunk wie in der Presse: Kleine, oft nur wegen einer wahlrechtlichen Sperrklausel nicht im Parlament vertretene Parteien werden meist schlicht unter der Bezeichnung „Sonstige“ zusammengefasst und tauchen somit nicht einmal mehr namentlich als Organisation auf, geschweige denn, dass über ihre politischen Ziele oder ihr Personal berichtet würde. Der Nichteinzug in das Parlament wegen einer Sperrklausel gewinnt so über die jeweilige, punktuell wirksame Wahlentscheidung hinaus Einfluss auch auf die nächsten Wahlen. 4. Faktische Dimension derAuswirkungen Die faktischen Auswirkungen einer Sperrklausel lassen sich wegen eines besonderen methodischen Problems nur schwer erfassen.59 Sowohl die psychologische Wirkung wie auch die Effekte der Veränderung in der medialen Berichterstattung betreffen bereits die Stimmabgabe. Ein Rückgriff auf eine historische Stimmabgabe, anhand derer die Sitzverteilung unter Geltung einer Sperrklausel errechnet und mit der Sitzverteilung ohne Geltung der Sperrklausel verglichen wird, oder eine schlichte zahlen- oder anteilsmäßige Erfassung der abgegebenen Stimmen, die wegen der Sperrklausel ohne Vertretung im Parlament geblieben sind, erfasst also die Auswirkungen der Sperrklausel nur teilweise, nämlich soweit sie auf die mechanische wirkung zurückgehen. Denn ohne Sperrklausel – und damit ohne ihre psychologische Wirkung und ihre Auswirkung auf die mediale Darstellung von Politik – würden vermutlich mehr Stimmen für kleine Parteien abgegeben werden. S. Roßner, Sperrklauseln – Wahlrechtliche Marktzugangsbeschränkungen auf dem Prüfungstand, in: KommunalPraxis Wahlen 2012 S. 10 (11). 57 58 BVerfGE 111, 382 (404 f.). Dazu näher S. Roßner, Sperrklauseln – Wahlrechtliche Marktzugangsbeschränkungen auf dem Prüfungstand, in: KommunalPraxis Wahlen 2012, S. 10 (11). 59 19 Dennoch sind bereits die Folgen der mechanischen Wirkung beträchtlich, können sogar extrem ausfallen.60 Bei der Bundestagswahl 2013 haben 15,7 % der abgegebenen Stimmen wegen der Sperrklausel keine Vertretung im Bundestag gefunden61, bei der letzten Wahl zum europäischen Parlament unter Geltung einer Sperrklausel im Jahr 2009 waren es 10,8 % der abgegebenen Stimmen62 und bei den Landtagswahlen etwa in Nordrhein-Westfalen blieben im Jahr 2012 6,9 % der Stimmen ohne direkte Auswirkung auf die Zusammensetzung des Landtages.63 Wahlrechtliche Sperrklauseln haben damit tendenziell eine delegitimierende Wirkung auf die unter ihrer Geltung gewählten Volksvertretungen. Denn Parlamente ziehen ihre Legitimation vor allem aus dem Umstand, dass sie das Volk repräsentieren.64 Mit dieser Legitimation versehen, treffen sie grundlegende Entscheidungen und legitimieren ihrerseits andere Staatsorgane. Dass Volksvertretungen das Volk repräsentieren, wird dabei in rechtlich-prozeduraler Hinsicht in erster Linie durch die Prinzipien der Freiheit, Gleichheit, Allgemeinheit und Unmittelbarkeit von Parlamentswahlen bewirkt65, welche ihrerseits durch die Geheimheit der Wahl abgesichert werden.66 Die Gleichheit der Wahl wird aber, wie gezeigt, durch Sperrklauseln massiv beeinträchtigt, selbst wenn man die nicht sicher erfassbaren, der Stimmabgabe vorgelagerten Effekte außer Acht lässt, siehe oben 2. und 3. Dies So haben bei den kirgisischen Parlamentswahlen im Jahr 2010 unter Geltung einer 5 % Sperrklausel 62,5 % der abgegebenen Stimmen keine Vertretung im Parlament gefunden, vgl. http://www.kas.de/zentralasien/de/publications/20793/ (zuletzt aufgerufen am 16.12.2016). 60 https://www.bundeswahlleiter.de/info/presse/mitteilungen/bundestagswahl-2013/2013-10-09endgueltiges-amtliches-ergebnis-der-bundestagswahl-2013.html. (zuletzt aufgerufen am 16.12.2016). 61 62 https://www.bundeswahlleiter.de/europawahlen/2009.html (zuletzt aufgerufen am 16.12.2016). http://www.wahlergebnisse.nrw.de/landtagswahlen/2012/aktuell/a0lw1200.html, (zuletzt aufgerufen am 16.12.2016). 63 Siehe BVerfGE 135, 259 (286); 131, 316 (355); 130, 212 (231): 95, 408 (418 f.); „Prinzi[p] der umfassenden Repräsentation“ des Art. 38 I 2 GG, VerfGH Rheinland-Pfalz NVwZ-RR 2016, 161 (162 f.); s.a. VerfGH NW, Urteil vom 16. Dezember 2008 – 12/08 juris, Rn 48; allgemein zum Repräsentationsbegriff des GG U. Schliesky, § 5 – Parlamentsfunktionen in: Morlok/SchlieskyWiefelspütz Parlamentsrecht, Rn. 27. 64 Vgl. BVerfGE 123, 39 (68 ff.); 95, 335 (368 ff.). Zum Gehalt dieser Grundsätze im föderalen System BVerfGE 99, 1 (11 f.); H. Meyer, HdBStR II, 2. Aufl. 1998, § 37 Rn. 18-21; im Einzelnen ders., ebd., § 38 Rn. 1-45; S. Magiera, Sachs GGK, 7. Aufl. 2014, Art. 38 Rn. 77; sowie J. Ipsen, Staatsorganisationsrecht, 27. Aufl. 2016, Rn. 73 ff. 246 ff.; vgl. zu den hieraus folgenden Handlungs- und Unterlassungspflichten Jarass/B. Pieroth, GGK, 14. Aufl. 2016, Art. 38 Rn. 10-22. 65 Vgl. U. Sacksofsky: § 6 Wahlrecht und Wahlsystem, in: Morlok/Schliesky/ Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, Rn. 54. 66 20 beeinträchtigt die Repräsentationsfunktion der Parlamente, welche für eine repräsentative Demokratie konstitutiv ist.67 Daneben hat Legitimation auch eine faktische Seite, die als eine prinzipielle Akzeptanz politischer Prozesse und Entscheidungen durch die Bürger beschrieben werden kann. Diese Akzeptanz wird in starkem Maße beeinträchtigt durch das Gefühl, man werde mit seinen Anliegen nicht gehört. Konkret für eine Nichtteilnahme an Wahlen ist eine Hauptmotivation der Eindruck, man könne durch die Stimmabgabe am Gang der Dinge nichts ändern.68 Wähler zu frustrieren, indem ihre Stimme durch eine Sperrklausel entwertet wird, bedeutet, auch in Hinblick auf die faktische Legitimation einen delegitimierenden Faktor zu stärken.69 II. Rechtfertigungsanforderungen Sowohl die Gleichheit der Wahl wie auch die Chancengleichheit der politischen Parteien wird als formaler, streng zu handhabender Gleichheitssatz verstanden.70 Daraus ergeben sich besondere Anforderungen an die Rechtfertigung von Einschränkungen dieser beiden Verfassungsgrundsätze, die für die Demokratie zentral sind.71 Zu den geltenden Anforderungen an die Rechtfertigung wird in 1. und 2. Stellung bezogen. Für die Normierung einer wahlrechtlichen Sperrklausel haben die Verfassungsgerichte der Länder und das Bundesverfassungsgericht eine verfeinerte Dogmatik entwickelt. Zu den Besonderheiten der Rechtfertigung einer wahlrechtlichen Sperrklausel folgen in 3. und 4. Ausführungen; ein Maßstab der Rechtfertigung von Sperrklauseln wird in 5. formuliert. Zu dieser Wirkung zuletzt VerfGH Hmbg., Urteil vom 20. Oktober 2015 – 4/15, juris Rn. 60: „[…] grundsätzlich jede Stimme den gleichen Einfluss auf die zu wählende Vertretung haben muss“; zum Repräsentationsbegriff des Grundgesetzes s. U. Schliesky; § 5 – Parlamentsfunktionen, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.): Parlamentsrecht, 2016, Rn. 27; zum legitimatorischen Aspekt der Wahlentscheidung H. Meyer, in: HdBStR III, 3. Aufl. 2008, § 45 Rn. 1, 4; ders. a.a.O., § 46 Rn. 30. 67 68 M. Güllner, Nichtwähler in Deutschland, Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, 2013 S. 32, 77. So auch T. Puhl: Die 5%-Sperrklausel im Kommunalwahlrecht auf dem Rückzug, in: Depenheuer/Hientzen/Jestaedt (Hg.): FS Josef Isensee, 2008, S. 441 (455 f.). 69 BVerfGE 135, 259 (286); 130, 212 (229); 124, 1 (18); 121, 266 (295); 85, 148 (157); VerfGH NW, Urteil vom 21.11.1995 – 21/94 juris, Rn. 47; Urteil vom 6. Juli 1998 - 14/98, 15/98 juris, Rn. 58; Urteil vom 16.12.2008 – 12/08 juris, Rn 47; VerfGH Berlin, LKV 1998, 147; VerfGH Thüringen, Urteil vom 11. April 2008 – 22/05, juris Rn. 50 ff. st. Rspr. 70 BVerfGE 121, 266 (295): „Die Gleichbehandlung aller Staatsbürger bei der Ausübung des Wahlrechts ist eine der wesentlichen Grundlagen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, wie sie das Grundgesetz verfasst.“ 71 21 1. Einschränkung aus zwingendem Grunde Eingriffe in die Wahlrechtsgrundsätze und in die Chancengleichheit der Parteien unterliegen gleichartigen Rechtfertigungsanforderungen.72 Beide Gewährleistungen können nur aus einem „zwingenden Grund“ oder aus einem „besonderen, sachlich legitimierten Grund“ gerechtfertigt werden.73 Diese Gründe müssen durch die Verfassung legitimiert sein und den Wahlrechtsgrundsätzen bzw. der Chancengleichheit der politischen Parteien an Gewicht gleichkommen.74 Das Bundesverfassungsgericht macht zwar verbal nicht den – angesichts des Charakters der Wahlrechtsgrundsätze als vorbehaltlose Gewährungen dogmatisch folgerichtigen – Schritt hin zu einer Einschränkbarkeit nur durch verfassungsimmanente Schranken. In der Sache nähert sich die Rechtsprechung dieser Figur aber an.75 Verfassungsgerichtlich überprüfbar ist demnach, ob ein den Eingriff potentiell legitimierendes Ziel verfolgt wurde, das zumindest das Gewicht der Chancengleichheit der politischen Parteien bzw. der Gleichheit der Wahl besitzt. 2. Verhältnismäßige Verfolgung des Grundes Überprüft wird von der Verfassungsgerichtsbarkeit weiter auch entweder, ob dieses Ziel in geeigneter und angemessener Art76, oder ob es in geeigneter und erforderlicher Weise verfolgt wurde.77 BVerfGE 129, 300 (320); 124, 1 (20); 82, 322 (337); exemplarisch aus der landesverfassungsrechtlichen Rspr. z.B. VerfGH Schleswig-Holstein, Urteil vom 13. September 2013 – 9/12, juris Rn. 84 f. 72 BVerfGE 135, 259 (286); 132, 39 (48); 129, 300 (320); 95, 408 (417f.); 95, 335 (376); 14, 121 (133); 1, 208 (225); Chancengleichheit der politischen Parteien: BVerfGE 44, 125 (146); 34, 160 (163); 24, 300 (341); 14, 121 (133); 8, 51 (64 f.); st. Rspr.; zur landesverfassungsrechtlichen Lage in NRW VerfGH NW, Urteil vom 6. Juli 1998 - 14/98, 15/98 juris, Rn. 58; Urteil vom 16. Dezember 2008 – 12/08 juris, Rn 47; Niedersächs. StGH, Urteil vom 15. Apri 2010 – 2/09, juris Rn. 25; VerfGH Berlin, Urteil vom 13. Mai 2013 – 155/11, juris Rn. 21 f. 73 BVerfGE 130, 212 (227 f.); zur Chancengleichheit der politischen Parteien: BVerfGE 131, 316 (338); ähnlich 95, 408 (418); VerfGH NW, Urteil vom 16. Dezember 2008 – 12/08 juris, Rn 47 f.; Urteil vom 6. Juli 1998 - 14/98, 15/98 juris, Rn. 58; Urteil vom 26. Mai 2009 – 3/09, juris Rn. 38; VerfGH Hmbg. Urteil vom 20. Oktober 2015 – 4/15, juris Rn. 83; VerfGH Thüringen, Urteil vom 11. April 2008 – 22/05, juris Rn. 53, 56. 74 Zu Wahlrechtsgleichheit sowie zur Chancengleichheit der politischen Parteien BVerfGE 135, 259 (286);. VerfGH NW, Urteil vom 26. Mai 2009 – 3/09 juris, Rn. 38; Urteil vom 16. Dezember 2008 – 12/08 juris, Rn 48 f.; S. Roßner, Sperrklauseln – Wahlrechtliche Marktzugangsbeschränkungen auf dem Prüfstand, in: KommunalPraxis Wahlen 2012 S. 10 (12); U. Sacksofsky: § 6 Wahlrecht und Wahlsystem, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hg.): Parlamentsrecht, 2016, Rn. 61 f.; mit Befürwortung eines strengen Prüfungsmaßstabes weiterhin M. Morlok, Demokratie und Wahlen, in: Festschrift 50 Jahre BVerfG, 2001, S. 592 f. sowie – explizit für die Einordnung unter die dogmatische Kategorie „Gründe von Verfassungsrang“ – ders./H. Kühr, Wahlrechtliche Sperrklauseln und die Aufgaben einer Volksvertretung, in: JuS 2012, S. 385 (388). 75 BVerfGE 132, 39 (48 f.); 129, 300 (321); 120, 82 (107); 95, 408 (418); BVerfG NVwZ 1997, 1207 (Kammerbeschluss vom 25. Juli 1997, 2 BvR 1088/97). 76 BVerfGE 135, 259 (287); VerfGH NW, Urteil vom 26. Mai 2009 – 3/09 juris, Rn. 38; VerfGH Hmbg., Urteil vom 15. Januar 2013 – 2/11 juris, Rn. 79 f. 77 22 Damit nähert sich die Rechtsprechung zwar nicht explizit, aber doch der Sache nach einer Prüfung an, ob der zwingende Grund in verhältnismäßiger Art und Weise verfolgt wurde.78 Dies bedeutet auch, dass alternative Möglichkeiten der Verfolgung des zwingenden Grundes in die Betrachtung miteinzubeziehen sind. Diese können vor allem auch in einer Ausschöpfung bestehender Instrumente bestehen, wie z.B. des Geschäftsordnungsrechts der Räte und Kreistage. Die Erforderlichkeit einer Einschränkung der Gleichheit der Wahl und der Chancengleichheit der politischen Parteien ist dann anhand der alternativen Maßnahmen zu beurteilen. 3. Funktionsstörungen derVolksvertretung einzigerRechtfertigungsgrund fürwahlrechtliche Sperrklauseln Ein tauglicher Grund zur Rechtfertigung wahlrechtlicher Sperrklauseln ist die Abwehr von Funktionsstörungen der jeweiligen Volksvertretung: Die Wahl eines Organs ist nur dann sinnvoll, wenn dieses Organ in der Folge auch seine Funktionen erfüllen kann. Dementsprechend darf die Gestaltung des Wahlrechts die Funktionsfähigkeit des jeweiligen Parlaments nicht beeinträchtigen, sondern soll sie fördern. Unter bestimmten Bedingungen kann die Sicherung der Funktionsfähigkeit des Parlaments Einschränkungen der Gleichheit der Wahl und der Chancengleichheit der Parteien rechtfertigen.79 Das Ziel einer Verhinderung des Wahlerfolgs radikaler oder verfassungsfeindlicher Parteien vermag eine Beeinträchtigung der Gleichheit der Wahl sowie der Chancengleichheit der politischen Parteien dagegen nicht zu rechtfertigen80, denn die Vgl. VerfGH NW, Urteil vom 6. Juli 1998 - 14/98, 15/98 juris, Rn. 68, 72 sowie VerfGH NW, Urteil vom 16. Dezember 2008 – 12/08 juris, Rn 57 f, 70 ff.; siehe ferner VerfGH Thüringen, Urteil vom 11. April 2008 – 22/05, juris Rn. 53; aus der Literatur insb. R. Schmidt-De Caluwe, Die Novellierung des Kommunalrechts in Hessen, in: NVwZ 2001 S. 270 ff.; J. Dietlein/D. Riedel, Zugangshürden zu Kommunalwahlen, 2012, S. 37. Eine besondere Ausprägung findet das Verhältnismäßigkeitsgebot auch in der gesetzgeberischen Prüfungspflicht für wahlrechtliche Vorschriften, dazu VerfGH NW, Urteil vom 21. November 1995 – 21/94, juris Rn. 48 ff. 78 Vgl. BVerfGE 95, 408 (421); 71, 81 (97); 51, 222 (246 f.); zur Chancengleichheit der politischen Parteien insbesondere BVerfGE 135, 259 (286); 120, 82 (111 ff.); 51, 222 (236 f.); 6, 84 (90); ferner VerfGH NW, Urteil vom 21. November 1995 – 21/94, juris Rn. 48; Urteil vom 6. Juli 1998 - 14/98, 15/98. juris Rn. 58; sowie VerfGH Hmbg., Urteil vom 15. Januar 2013 – 2/11, juris Rn. 79; VerfGH NW; speziell zur Chancengleichheit politischer Parteien BVerfGE 135, 259 (286); 120, 82 (111 ff.); 51, 222 (236 f.); 6, 84 (90); VerfGH NW, Urteil vom 16. Dezember 2008 – 12/08, juris Rn 58; Niedersächs. StGH, Urteil vom 15. Apri 2010 – 2/09, juris Rn. 25; VerfGH Berlin, Urteil vom 13. Mai 2013 – 155/11, juris Rn. 21 f. 79 Siehe VerfGH NW, Urteil vom 16. Dezember 2008 – 12/08, juris Rn. 73: „Zudem steht es dem Wahlgesetzgeber nicht zu […] unerwünschte Parteien oder Wählergruppen gezielt von der Mitwirkung an der politischen Willensbildung auszuschließen“, in Anlehnung an BVerfGE 120, 82 (109); vgl. ferner BVerfGE 111, 382 (410); VerfGH Thüringen, Urteil vom 8. Juli 2016 – 38/15, juris Rn. 30. 80 23 staatliche Abwehr verfassungswidriger Parteien darf nur durch das Verfahren nach Art. 21 II GG stattfinden.81 a) Nur punktuelle Funktionsstörungen unzureichend Für eine kommunalwahlrechtliche Sperrklausel sind Funktionsstörungen, die nur in einzelnen Gemeinden auftreten, selbst dann nicht ausreichend als Rechtfertigung, wenn die Störungen besonders schwer sind. Derartig begrenzte Funktionsstörungen, die in einer Gesamtbetrachtung des Landes nur Ausnahmen darstellen, müssen mit den dafür im einfachen Recht zur Verfügung stehenden Instrumenten des einfachen Rechts bekämpft werden, zu diesen Instrumenten siehe unten 4.c). Denn eine Einschränkung der Gleichheit des Wahlrechts und der politischen Chancengleichheit für die große Mehrzahl der von den Störungen nicht betroffenen Gemeinden wäre ansonsten unangemessen und unverhältnismäßig. b) Überprüfung der gesetzgeberischen Prognose Die Prognose des Gesetzgebers, ob ohne eine wahlrechtliche Sperrklausel eine Funktionsstörung der jeweiligen Volksvertretung zu befürchten sei, unterliegt verfassungsgerichtlicher Kontrolle. Denn mit der jeweils (Verfassungs-) Gesetzgeber in Fragen des Wahlrechts auftretenden Mehrheit werden über die Abgeordneten und die hinter ihnen stehenden Parteien Personen und Organisationen tätig, die selbst Akteure in dem politischen Wettbewerb sind, dessen zentrale Regel sie mit dem Wahlrecht gestalten.82 Somit ist eine strenge verfassungsgerichtliche Kontrolle notwendig83, die BVerfGE 120, 82 (109); 1, 208 (257); J. Ipsen, in: Sachs GGK, 7. Aufl. 2014, Art. 21 Rn. 148 ff.; zum daraus folgenden weiten Verständnis parteipolitischer Neutralität VerfGH Thüringen, Urteil vom 3. Dezember 2014 – 2/14, juris Rn. 53 ff., 77; OVG NW, Urteil vom 4.11.2016 – 15 A 2293/15, juris Rn. 84 mit zutreffendem Verweis auf den grundgesetzlichen Vorrang der öffentlichen Auseinandersetzung mit radikalen Parteien VerfGH Thüringen, Urteil vom 8. Juni 2016 – 25/15, juris Rn. 107 f. 81 Vgl. BVerfGE 129, 300 (322 f.); T. Puhl, Die 5%-Sperrklausel im Kommunalwahlrecht auf dem Rückzug, in: Depenheuer/Hientzen/Jestaedt (Hrsg.): FS Josef Isensee, 2008, S. 441 (449 f.); H. Meyer: Die Zukunft des Wahlrechts zwischen Unverständnis, Interessenkalkül, obiter dicta und Verfassungsverstoß, in: Wieland (Hrsg.): Entscheidungen des Parlaments in eigener Sache, 2010, S. 41 (48 f). S. Roßner, Sperrklauseln – Wahlrechtliche Marktzugangsbeschränkungen auf dem Prüfstand, in: KommPWahlen 2012, S. 10 (12). Ausdrücklich auch bezogen auf eine gesteigerte Kontrollintensität bei verfassungsändernden Gesetzen HbgVerfG, Urteil vom 08. Dezember 2015 – 2/15, HVerfG 2/15, juris Rn. 88. 82 BVerfGE 129, 300 (323); vgl. weiter auch E 120, 82 (105); für die Landesverfassung NW VerfGH NW, Urteil vom 16. Dezember 2008 - 12/08, juris Rn. 56 mit Verweis auf BVerfGE 120, 82 (113) und die dortige Wendung: „gerade bei der Wahlgesetzgebung besteht die Gefahr, dass die […] Parlamentsmehrheit sich […] vom Ziel des eigenen Machterhalts leiten lässt“; VerfGH SchleswigHolstein, Urteil vom 13. September 2013 – 9/12, juris Rn. 84 f. vgl. ferner T. Puhl, Die 5%-Sperrklausel im Kommunalwahlrecht auf dem Rückzug, in: Depenheuer/Hientzen/Jestaedt (Hrsg.), FS Josef Isensee, 2008, S. 441 (449 f.). 83 24 ohne eine rechtliche und tatsächliche Überprüfung der gesetzgeberischen Prognose jedoch ins Leere liefe.84 Somit reicht die „abstrakte und allgemeine“ Behauptung nicht aus, ohne eine Sperrklausel „werde der Einzug kleinerer Parteien und Wählergemeinschaften in die Vertretungsorgane erleichtert und dadurch die Willensbildung in diesen Organen erschwert“.85 Die Funktionsstörung muss vielmehr mit „einiger Wahrscheinlichkeit“ drohen.86 Dabei sind die konkreten Funktionsbedingungen der jeweiligen Volksvertretung ins Auge zu fassen.87 Wegen der Kontinuität des politischen Wettbewerbs ist auch eine einmalige gesetzgeberische Prognose unzureichend, da die politischen Verhältnisse stets im Fluss sind und sich verändern können. Den Gesetzgeber trifft also eine Pflicht, zu überwachen, ob wahlrechtliche Sperrklauseln weiterhin notwendig sind.88 Sind sie nicht mehr notwendig, ergibt sich aus dem Charakter der Gleichheit der Wahl wie der Chancengleichheit der politischen Parteien als Rechtsprinzipien89, dass die betreffende Sperrklausel abgesenkt oder abgeschafft werden muss. Auch vor diesem Hintergrund stellt sich die Rechtsform einer Verfassungsbestimmung für die Normierung einer wahlrechtlichen Sperrklausel als wenig geeignet dar. Denn bekanntermaßen unterliegt eine Verfassungsänderung deutlich gesteigerten parlamentarischen Mehrheitserfordernissen im Vergleich zur Änderung eines einfachen Gesetzes, so dass der Eintritt einer Konstellation möglich würde, in der der Gesetzgeber zur Modifikation oder Streichung der Sperrklausel rechtlich verpflichtet, politisch aber nicht in der Lage Vgl. BVerfGE 129, 300 (323), 120, 82 (113 f.); VerfGH NW, Urteil vom 6. Juli 1999 – 14/98, 15/98, juris Rn. 64 ff.; Urteil vom 16. Dezember 2008 – 12/08, juris Rn. 57 ff.; VerfGH Thüringen, Urteil vom 11. April 2008 – 22/05, juris Rn. 53. Ausgeschlossen ist jedoch eine reine Zweckmäßigkeitskontrolle, VerfGH NRW, Urteil vom 26. Mai 2009 – 2/09, juris Rn. 84. 84 VerfGH NW, Urteil vom 6. Juli 1999 – 14/98, 15/98, juris Rn. 68; Urteil vom 16. Dezember 2008 – 12/08, juris Rn. 57; BVerfGE 129, 300 (323); 120, 82 (114), VerfGH Thüringen, Urteil vom 11. April 2008 – 22/05, juris Rn. 57, 77; vgl. ferner J. Dietlein/D. Riedel, Zugangshürden im Kommunalwahlrecht, 2012, S. 83 ff. 85 Vgl. jüngst BVerfGE 135, 259 (288); sowie ausdrücklich BVerfGE 120, 82 (114); VerfGH NW, Urteil vom 6. Juli 1999 – 14/98, 15/98, juris Rn. 68. 86 Exemplarisch BVerfGE 129, 300 (326 ff.); siehe auch VerfGH Thüringen, Urteil vom 11. April 2008 – 22/05, juris Rn. 55; VerfGH Saarland, Urteil vom 29. September 2011 – Lv 4/11, juris Rn. 222 ff.; vgl. J. Dietlein/D. Riedel, Zugangshürden im Kommunalwahlrecht, 2012, S. 38. 87 Zur Überwachungspflicht BVerfGE 135, 259 (288 f.); 129, 300 (321); 120, 82 (102); VerfGH NW, Urteil vom 6. Juli 1999 – 14/98, 15/98, juris Rn. 72; Urteil vom 16. Dezember 2008 – 12/08, juris Rn. 57 ff., 70 ff.; VerfGH Thüringen, Urteil vom 11. April 2008 – 22/05, juris Rn. 77; VerfGH Saarland, Urteil vom 29. September 2011 – Lv 4/11, juris Rn. 220; vgl. zur prozessualen Darlegungspflicht Hess. StGH, Beschluss vom 14. Juni 2006, juris Rn. 28 88 M. Morlok, in: Dreier (Hg.), Grundgesetzkommentar, Bd. 2, 3. Aufl. (2015), Art. 38 Rn. 59 f.; ähnlich auch BVefGE 121, 266 (295); zur Verbundenheit der politischen Gleichheitsrechte mit dem Demokratieprinzip und dem „egalitär-politischem Zug“ des Grundgesetzes P. Häberle, in: HdBStR II, 3. Aufl. 2004, § 22 Rn. 65 f. Grundlegend zur Prinzipientheorie R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 75 ff., 133 f. 89 25 wäre. Auch aus diesem Grunde ist es zu begrüßen, dass, mit Ausnahme der nordrheinwestfälischen, alle Landesverfassungen wie auch das Grundgesetz auf derartige Vorschriften verzichten. c) Funktionsstörung anhand rechtlicher Funktionsanforderungen zu beurteilen Der Bezugspunkt aller gesetzgeberischen Prognosen über Funktionsstörungen von Parlamenten und eine mögliche Abwehr mittels einer wahlrechtlichen Sperrklausel sind die rechtlichen Funktionsanforderungen an die zu wählende Volksvertretung, die sich eben aus dem jeweiligen Fachrecht ergeben. Diese Funktionsanforderungen sind also zunächst zu ermitteln.90 4. Funktionen von Kommunalparlamenten Für die kommunalen Vertretungskörperschaften, das meint vor allem für die Gemeinderäte und Kreistage91 ergeben sich die Funktionsanforderungen primär aus einfachrechtlichen Kommunalverfassungen und Gemeindeordnungen, weiterhin aus der Verfassung des jeweiligen Landes und in einigen grundlegenden Zügen aus dem Grundgesetz. a) Repräsentationsfunktion Eine wesentliche Funktion von Volksvertretungen besteht in der legitimierend wirkenden Repräsentation des Volkes.92 Dieses Grundverständnis liegt auch kommunalen Vertretungskörperschaften zugrunde. Auf Ebene des Grundgesetzes wird dies in Art. 28 I 1 und 2 GG ausgedrückt, welche Normen als zwingende Strukturvorgabe die Ausübung von staatlicher und Herrschaftsgewalt in den Ländern und insbesondere die kommunale Selbstverwaltung nach Art. 28 II 1 GG prägen. In den jeweiligen Landes- und Kommunalverfassungen wird der demokratische Aspekt kommunaler Vertretungen wie auch der grundgesetzlich geforderte Aufbau der BVerfGE 95, 408 (421); J. Dietlein/D. Riedel, Zugangshürden im Kommunalwahlrecht, 2012, S. 38; S. Roßner, Sperrklauseln – Wahlrechtliche Markzugangsbeschränkungen auf dem Prüfstand, in: KommunalPraxis Wahlen 2012 S. 10 (13); ähnlich auch T. Puhl: Die 5%-Sperrklausel im Kommunalwahlrecht auf dem Rückzug, in: Depenheuer/Hientzen/Jestaedt (Hrsg.), FS Josef Isensee, 2008, S. 441 (449). Der Aufgabe einer Ermittlung parlamentarischer Funktionsanforderungen unterzieht sich für das Europäische Parlament eingehend BVerfGE 129, 300 (335 ff.). 90 In anderen Ländern werden teils auch andere Bezeichnungen für die Vertetungsorgane bestimmt (z.B. Gemeindevertretung, Kommunalvertretung, Stadtrat etc.). Aus Gründen der Einheitlichkeit werden im Übrigen die Begriffe „Gemeinderat“ und „Kreistag“ verwendet. Im Übrigen finden die nachstehenden Grundsätze aber auch auf die jeweils anderen Vertretungsorgane Anwendung. Auf Besonderheiten wird in den nachfolgenden Nachweisen hingewiesen. 91 BVerfGE 123, 39 (68 ff.); 95, 335 (368 ff BVerfGE 99 1 (11 f.); H. Meyer, HdBStR II, 2. Aufl. 1998, § 37 Rn. 18-21; im Einzelnen ders., ebd., § 38 Rn. 1-45; J. Ipsen, Staatsorganisationsrecht, 27. Aufl. 2016, Rn. 73, 246 ff. 92 26 Demokratie von „oben nach unten“ bewusst betont.93 In Nordrhein-Westfalen etwa bringen dies Artt. 1 I 1; 2; 69 I 2, 78 I 1 und 2 Verf NW; §§ 1 I; 40 I und II 1 GO NW; §§ 1 I; 25 I KrO NW94 zum Ausdruck.95 b) Weitere Funktionen nach der Gemeindeordnung und der Kreisordnung Die durch Gesetz ausdrücklich übertragenen Funktionen der Räte und Kreistage sind vielfältig. Bedingt durch ihre besondere demokratische Legitimation sind die Vertretungskörperschaften grundsätzlich allzuständig, nämlich für alle Angelegenheiten der Verwaltung der Gemeinde, soweit nicht ausnahmsweise gesetzlich andere Zuständigkeiten gegeben sind.96 Einheitlich besteht ein Katalog unübertragbarer Aufgaben und Zuständigkeiten (z.B. Rechtssetzung, Haushaltsplanung).97 Nur außerhalb dieses Katalogs kann der Rat Aufgaben an die Verwaltungsspitze (bzw. an Ausschüsse) delegieren und nimmt eine solche Delegation kraft gesetzlicher Verweisung oder einer fiktiven Übertragung üblicherweise für die exekutivischen „Programmaufgaben“ der laufenden Verwaltung vor.98 Die Befugnisse der Volksvertretungen in den Kreisen sind ähnlich geregelt.99 Vgl. G. Püttner, in: Handbuch für kommunale Wissenschaft und Praxis, Bd. 1, 3. Auflage 2007, § 19 Rn. 6 f.; M.-E. Geis, in: Kommunalrecht, 4. Aufl. 2016, § 5 Rn. 3. 93 Vgl. zu den nordrheinwestfälischen Bestimmungen insb. S. Smith, in: Kleerbaum/Palmen, Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen, § 40 S. 495 f.; R. Wansleben, in: Held/Winkel, Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen, § 40 S. 250; vgl. BVerfGE 11, 266 (275 f.). 94 Auch in anderen Ländern wird diese wichtige Aussage an prominenter Stelle im ersten Paragraph, bzw. Artikel der Kommunalverfassung gemacht: bspw. in § 1 ThürKO, § 1 I HGO, Art. 1 BayGO, § 1 I SächsGO. Durch die jeweiligen Landesverfassungen werden diese Aussagen (meist in der Form der Garantie von kommunalen Vertretungsorganen und Wahlen) flankiert, vgl. exemplarisch Art. 95 ThürVerf; Art. 138 HessVerf, Art. 86 VerfSachs. Ausdrücklich als Garantie einer demokratischen Staatsstruktur von „unten nach oben“ vgl. bspw. Art. 11 IV VerfBayern. 95 D. Ehlers, in: Handbuch für kommunale Wissenschaft und Praxis, Bd. 1, 3. Auflage 2007, § 21 Rn. 3; Siehe für die einzelnen Kommunalverfassungen, bzw. Gemeindeordnungen bspw. § 41 I 1 GO NW, § 24 I 1 GO BW, Art. 29, 30 II BayGO, § 22 III 1 ThürKO, § 50 I 1 HGO, § 28 I 1 SächsGO, § 45 I 1 KVG S.-A. Sofern im Einzelnen keine formelle Allzuständigkeit besteht, so ergeben sich in inhaltlicher Hinsicht wegen der Vielzahl der übertragenen Kompetenzen keine relevanten Unterschiede. 96 Siehe bspw. § 41 I 2 GO NW, § 39 II GO BW, Art. 32 II 2, 37 II 1 BayGO, § 58 I, II NdsKomVG, § 51 HGO, § 28 GO SH; § 41 II SächsGO. 97 Vgl. etwa § 41 III GO NW, § 44 II 1 GO BW, Art. 37 I 1 Nr.1 BayGO, § 85 I 1 Nr. 7 NdsKomVG; § 53 II 1 SächsGO, §§ 66 I KVG S.-A. Mit ausdrücklichem Bezug auf die geringe Bedeutung der übertragenen Aufgaben bspw. § 29 II ThürKO. In NRW „gelten“ die Aufgaben der laufenden Verwaltung als auf den Rat übertragen. Es existiert – rechtspolitisch fragwürdig und ohne größere praktische Relevanz, vgl. J. Dietlein/D. Riedel, Zugangshürden im Kommunalwahlrecht, 2012, S. 72 – daneben eine Rückholbefugnis, vgl. § 41 III GO NW. 98 Siehe §§ 26 I; 42 lit a) KrO NW; §§ 19, 37 f. KrO BW, §§ 29, 44 HLKO; mit Bezug auf ein grundlegend antagonistisches Verhältnis zum Landrat und Konzentration „wichtiger“ Aufgaben beim Kreistag z.B. Art. 23 I 2, 3, 34 Bay LKO, §§ 22, 51 KrO SH. Falls keine explizite Allzuständigkeit des Kreises besteht (bspw. § 58 I NdsKomVG), dann handelt es sich – wie auch bei den Gemeindevertretungen – angesichts der Fülle der übertragenen Kompetenzen nur um eine begriffliche Unterscheidung, vgl. A. Engels/D. Krausnick, Kommunalrecht, 2015, § 4 Rn. 86. 99 27 Besonders hervorzuheben ist allerdings eine Funktion, die Räte und Kreistage nicht mehr ausüben, nämlich die Wahl des Hauptverwaltungsbeamten. Das Fehlen dieser Funktion unterscheidet die modernen Kommunalverfassungen nach dem System der Süddeutschen Ratsverfassung100 grundlegend von den parlamentarischen Regierungssystemen der Länder und des Bundes, die parlamentarische Mehrheiten bereits benötigen, um überhaupt eine handlungsfähige Regierung und Exekutivspitze zu wählen. Diese Abhängigkeit ist ein entscheidendes Argument in Rechtsprechung und Literatur für die Rechtfertigung der Sperrklauseln in den Ländern und im Bund.101 Nach zahlreichen Kommunalverfassungsreformen in den Ländern über die Einführung der Direktwahl von Bürgermeistern und Landräten102 wurde die Formierung der Verwaltungsspitze von den Kommunalparlamenten unabhängig gemacht. Zwar wählen die Gemeinderäte und Kreisvertretungen die „Beigeordneten“ respektive auf Kreisebene die allgemeinen Vertreter (bzw. die funktionalen Äquivalente in anderen Kommunalverfassungen103), jedoch unterliegen diese Gemeindebediensteten als Wahlbeamte auf Zeit regelmäßig dem Weisungsrecht der vom Volk gewählten Hauptverwaltungsbeamten (z.B. des Landrats).104 Damit hat die Befugnis, die In allen Bundesländern herrscht mittlerweile das System der Süddeutschen Ratsverfassung vor, vgl. T. Schmidt, Kommunalrecht, 2. Aufl. 2014, Rn. 375. Lediglich in Hessen besteht ein System der sog. „unechten Magistratsverfassung“, bei dem für die Städte die Aufgaben der laufenden Verwaltung durch den vom Gemeindevolk gewählten Magistrat durchgeführt werden, vgl. § 9 II HGO. Zwar wird dieses, anders als der Bürgermeister (vgl. § 39 Ia HGO) nicht von den Gemeindebürgern, sondern von der Gemeindevertretung gewählt (§ 39 II HGO). Daraus lässt sich allerdings nicht schließen, dass die Rechtsprechung zur Süddeutschen Ratsverfassung nicht auf die unechte Magistratsverfassung zu übertragen sei. Denn hauptsächlich hat der Gemeindevorstand (=Magistrat) eine dirigierende, überwachende Funktion für die Aufgaben der laufenden Verwaltung (vgl. §§ 66 I, 70 II HGO). Hier ist durch das starke Element der Gewaltenteilung vielmehr politische Konsensfindung nötig, vgl. M.E. Geis, Kommunalrecht, 4. Aufl. 2014, § 2 Rn. 36. Akute Gefährdungen der Gemeindefunktionen sind auch hier durch das Notverwaltungsrecht des Hauptverwaltungsbeamten ausgeschlossen, vgl. T. Schmidt, Kommunalrecht, 2. Aufl. 2014, § 11 Rn. 459. 100 BVerfGE 120, 82 (116); VerfGH NW, NVwZ 1995, 579 (581); LVerfG M-V, LKV 2001, 270 (270 f.); T. Puhl, Die 5%-Sperrklausel im Kommunalwahlrecht auf dem Rückzug, in: Depenheuer/Hientzen/Jestaedt (Hg.): FS Josef Isensee, 2008, S. 441 (453). 101 In Hessen besorgt dabei analog zu den Regelungen in der HGO der „Kreisausschuss“ die Angelegenheiten der laufenden Verwaltung. Auch hier tritt der Kreisausschuss nicht an die Stelle des Landrats, sondern beschränkt seinen Wirkungskreis, vgl. §§ 8 S. 2, 36 I 1 HLKO. Der Landrat führt dabei nach § 36 I HLKO den Vorsitz, vgl. A. Engels/D. Krausnick, Kommunalrecht, 2015, § 4 Rn. 108 f. 102 § 71 GO NW; § 47 KrO NW; § 50 GO BW, auf Kreisebene gibt es hier z.B. „allgemeine Vertreter“ und einen vom Kreistag zu wählenden Beirat, vgl. § 42 V, 45 KrO BW; begriffliche Unterscheidung „weitere Bürgermeister“ in Bayern, vgl. Art. 35 I 1 BayGO sowie die Darstellung bei G. Lissack, Bayrisches Kommunalrecht, 1997, § 4 Rn. 12 ff., auf Kreisebene „allgemeine Stellvertreter“ (Art. 32, 36 BayGO); siehe ferner für Hessen §§ 39a I, 51 I Nr. 1 HGO, §§ 38, 44 IV HLKO (Kreisbeigeordnete), vgl. weiter oben u. Fn. zum Kreisausschuss; in Schleswig-Holstein auf Gemeindebene „Stadtrat“ § 66 I GO S.H, auf Kreisebene „allgemeine Vertreter“, vgl. §§ 28 II, 48 LKO S.H. 103 Vgl. dazu im Einzelnen die Darstellungen bei A. Engels/D. Krausnick, Kommunalrecht, 2015, § 4 Rn. 80. Anders allerdings in Hessen, wo kein Weisungsrecht des Bürgermeisters gegenüber dem Magistrat besteht, sondern nur gegenüber der übrigen Verwaltung. 104 28 Beigeordneten und Kreisdirektoren zu wählen, bei weitem nicht die Bedeutung wie die zuvor bestehende Befugnis zur Wahl des Hauptverwaltungsbeamten. Zwar haben die kommunalen Volksvertretungen nach wie vor eine Reihe anderer bedeutsamer Kompetenzen: Sie üben gegenüber Bürgermeistern, Landräten und den Gemeindebediensteten gewisse Kontrollrechte aus105, sind wesentlich an der kommunalen Normgebung beteiligt106, und an der Aufstellung der kommunalen Haushalte sowie der Bestimmung der öffentlichen Einnahmen und Ausgaben.107 Allerdings sind diese Funktionen den Kommunalparlamenten nicht ohne rechtliche Sicherungen übertragen. c) Sicherungen gegen mögliche Funktionsstörungen Für die Beurteilung eines Eingriffs in die Gleichheit der Wahl und in die Chancengleichheit der politischen Parteien sind im Zusammenhang mit den rechtlichen Funktionsanforderungen auch die rechtlichen Funktionsbedingungen relevant, insbesondere die rechtlichen Vorkehrungen, die getroffen wurden, um die Erfüllung der Funktionsanforderungen abzusichern. i. Beschlussfähigkeit Für alle Entscheidungen von Gemeinderäten und Kreisvertretungen ist die Beschlussfähigkeit Voraussetzung. Die einschlägigen Regelungen treffen jedoch, abgesehen von einer generellen Verpflichtung der Mitglieder von Kommunalparlamenten zur Aufgabenerfüllung und damit auch zu hinreichender Teilnahme108, Vorkehrungen, um die Beschlussfähigkeit zu sichern. So genügt für die Beschlussfähigkeit die Anwesenheit von mehr als der Hälfte der Mitglieder109, wobei §§ 55; 41 I lit. j) GO NW, § 26 I lit. i), II, III, IV KrO NW; Art. 30 Abs. 3 BayGO, Art. 23 II BayLKO; § 58 IV 1 NdsKomVG (einheitlich für sämtliche Gemeindevertretungen); teils tritt diese Funktion nicht ausdrücklich hervor, ergibt sich aber aus der konkreten Aufgabenübertragung, vgl. insb. § 24 I GO BW, auf Kreisebene hingegen ausdrücklich in § 19 I 2 LKO BW; vgl. § 28 III SächsGO, § 24 II SächsLKO 105 § 41 I litt. f), g) GO NW; § 26 I lit. f) KrO NW. Als Kernstück demokratischer Herrschaft ist der Normerlass auch in anderen Bundesländern weder auf Ausschüsse noch auf die Verwaltungsspitze übertragbar, vgl. z.B. § 39 II Nr. 3 GO BW, § 34 II Nr 3 LKO BW; Art. 32 II 2 Nr. 2 BayGO (übertragbar an den Bauausschuss sind hier lediglich Satzungen nach dem BauGB), Art. 30 I Nr. 9 BayLKO; § 51 Nr. 6 HGO, § 30 Nr. 5 HKO; § 41 II Nr. 3 SächsGO, §§ 24 II Nr. 4, 37 II SächsLKO. 106 § 41 I litt. h), i) GO NW; § 26 I litt. g), h) KrO NW; § 39 II Nr. 10 ff. GO BW, § 34 II Nr 8 ff. LKO BW; Art. 32 II 2 Nr. 4-6 BayGO, Art. 30 I Nr. 17 BayLKO; § 51 Nr. 7 ff. HGO, § 30 Nr. 6 ff. HKO, § 41 II Nr. 9 ff. SächsGO, §§ 24 II Nr. 10 ff., 37 II SächsLKO. 107 Ausdrückliche Mandatsausübungspflichten bspw. in §§ 34 III, 39 V, 41 III GO BW; Art. 48 I, 55 II BayGO, §§ 37 I, 43 I ThürKO; § 35 IV SächsGO. 108 Z.B. Art. 47 II BayGO, § 53 I 1 HGO, 49 I 1 GO NRW, § 38 I 1 GO S.H; § 39 II 1 SächsGO. Auf Kreisebene finden sich äquivalente Regelungen, z.B. Art. 41 II BayLKO, § 34 I KrO NRW, § 33 I KrO S.H.; § 17 SächsLKO 109 29 die Beschlussunfähigkeit auf Antrag festgestellt werden muss.110 Die Gefahr einer Beschlussunfähigkeit infolge des Fernbleibens der Vertreter kleiner Gruppierungen besteht somit kaum. Ihr könnte zudem durch verstärkte Präsenz der Mitglieder anderer Fraktionen begegnet werden. Ist aber eine Angelegenheit dennoch wegen Beschlussunfähigkeit zurückgestellt worden, so kann in einer folgenden Sitzung der Kommunalvertretung über dieselbe Angelegenheit ohne Rücksicht auf die Beschlussfähigkeit entschieden werden.111 ii. Mehrheit Sachentscheidungen der Kommunalvertretungen werden mit einfacher Mehrheit getroffen.112 Für Wahlen gilt im ersten Wahlgang zwar das Erfordernis einer Mehrheit der gültig abgegebenen Stimmen, in einem zweiten Wahlgang kommt es dann aber zur Stichwahl zwischen den beiden erfolgreichsten Bewerbern des ersten Durchgangs.113 Da Enthaltungen und ungültige Stimmen nicht für die Berechnung der Mehrheit herangezogen werden114, können Sachentscheidungen und Wahlen gegen bloße Obstruktion als gesichert gelten. Ähnliches gilt auch für die Ausschusswahlen, die nach dem Verfahren der Verhältniswahl zwischen den Wahlvorschlägen der Fraktionen und Gruppen des Rates respektive des Kreistages durchgeführt werden.115 iii. Haushalt Sollte es sich trotz der genannten Vorkehrungen als unmöglich erweisen, eine Haushaltssatzung zu erlassen, kann auf die Vorschriften über die vorläufige Vgl. § 49 I 2 GO NRW; teils muss die Beschlussfähigkeit im Allgemeinen festgestellt werden und gilt dann solange als vorhanden, bis das Gegenteil bewiesen wurde, vgl. z.B. § 53 I 2 HGO, § 65 I NdsKomVG. Vgl. als Beispiel zu den jeweiligen LKrOen § 34 I 2 KrO NW, § 32 HLKO (als Verweis auf § 53 I 2 HGO). In Baden-Württemberg hat man hingegen eine Absicherung durch Mindestquoten bzgl. der Mitgliederzahl vorgesehen, vgl. § 37 GO BW, § 32 II 1, 2 LKO BW. 110 Vgl. § 49 II GO NW; § 34 II KrO NW; § 53 I, II HGO (i.V.m. § 32 HLKO); Art. 47 III BayGO; Art. 41 III BayLKO; teils warden auch geringe Mindestteilnahmezahlen angegeben, so sind z.B. drei Ratsmitglieder in Sachsen nötig, vgl. § 39 III SächsGO, § 35 III SächsLKO 111 § 50 I 1 GO NW, § 35 I 1 KrO NW; Art. 51 I BayGO, Art. 45 I BayLKO; § 39 VI SächsGO, § 35 VI SächsLKO; § 54 I HGO (i.V.m. § 32 HLKO); § 37 VI 2 GO BW, § 32 VI 2 LKO BW; § 66 NdsKomVG. 112 § 50 II GO NW; § 35 II KrO NW; Art. 51 III BayGO, Art. 45 III BayLKO; § 39 VII SächsGO, § 35 VII SächsLKO; § 55 V HGO (i.V.m. § 32 HLKO); § 37 VII GO BW, § 32 VII LKO BW; § 67 NdsKomVG. 113 Vgl. etwa § 50 V GO NW; § 35 V KrO NW; Art. 51 I, III BayGO, Art. 45 I, III BayLKO; § 39 VI 3 SächsGO, § 35 VI 3 SächsLKO sowie § 66 NdsKomVG; ausdrücklich § 54 I 3 HGO (i.V.m. § 32 HLKO); ohne ausdrückliche Nennung „Stimmenmehrheit” etwa § 37 VII GO BW, § 32 VII LKO BW. 114 § 50 III GO NW; § 35 III GO NW; Art. 51 III BayGO (i.V.m. Art. 55 BayGO), Art. 45 III, IV BayLKO (i.V.m. Art. 49 BayLKO); §§ 54 I, 62 V HGO (i.V.m. § 33 II HLKO); §§ 67, 71 NdsKomVG 115 30 Haushaltsführung und über die über- und außerplanmäßigen Ausgaben zurückgegriffen werden.116 iv. Vom Volk gewählter Hauptverwaltungsbeamter Die Bürgermeister und Landräte sind im System der süddeutschen Ratsverfassung (mit Einschränkungen auch bei der unechten Magistratsverfassung) institutionell unabhängig von den jeweiligen Volksvertretungen, da sie direkt vom Volk gewählt sind.117 Damit ist die Vertretung der Gemeinde oder des Kreises nach außen, die Führung der laufenden Geschäfte der Verwaltung, die Ausübung der Zuständigkeit für Personalentscheidungen, Kreistagsbeschlüssen die wegen Möglichkeit der Rechtswidrigkeit Beanstandung wie auch von die Rats- oder Handhabe zu Dringlichkeitsentscheidungen gewährleistet.118 v. Staatliche Aufsicht Zudem gibt es mit der staatlichen Aufsicht, die teils als Rechts-, teils als Fachaufsicht ausgestaltet ist, Möglichkeiten, eventuelles Funktionsversagen der kommunalen Volksvertretungen aufzufangen.119 vi. Bei Funktionsausfall Möglichkeit gesetzgeberischen Eingreifens Sollte es trotz all der genannten Sicherungsinstrumente doch zu einem Funktionsversagen kommen, so besteht immer noch die Möglichkeit, dass das zuständige staatliche Parlament eingreift und die gesetzlichen Rahmenbedingungen so ändert, dass die Entscheidungsfähigkeit wiedererlangt wird, etwa durch Einführung einer wahlrechtlichen Sperrklausel. Kommunale Volksvertretungen haben so eine Art Rückversicherung. Anders die staatlichen Parlamente: Ein Landtag oder der Bundestag darf es nicht darauf ankommen lassen, ob seine Mehrheits- und Entscheidungsfähigkeit Vgl. dazu in NRW die §§ 82, 83 GO NW (für die Kreise je in Verbindung mit § 53 I KrO NW); in Hessen bspw. die §§ 99, 100 HGO, 30 I Nr. 7 HLKO; vgl. hierzu BVerfGE 120, 82 (116) zu den inhaltsgleichen Vorschriften der GO Schleswig-Holstein; Thomas Puhl, Die 5%-Sperrklausel im Kommunalwahlrecht auf dem Rückzug, in: Depenheuer/Hientzen/Jestaedt (Hg.): FS Josef Isensee, 2008, S. 441 (455). 116 Vgl. bspw. § 65 I 1 GO NW; § 44 I 1 KrO NW; § 45 I GO BW, Art. 17 BayGO, Art.12 BayLKO; § 39 Ia S. 2 HGO, § 37 Ia HLKO; 4 II 2 NdsKomVG (Gemeinde und Kreis); § 48 I SächsGO, § 44 I SächsLKO. 117 Siehe z.B. §§ 63 I 1; 41 III; 73 II, III; 54 II; 60 I 2 GO NW bzw. §§ 42 lit. a), e); 49 I; 39 II; 50 III 2 KrO NW; Art. 37 I 1 BayGO, Art. 34 I, II, 37 BayLKO; § 66 I HGO, §§ 37 Ia,, 44, 55 HLKO; § 29 ThürKO; §§ 101 II, 107 ThürKO. 118 §§ 119 ff. GO NW (für die Kreise in Verbindung mit § 57 I KrO NW); Art. 108 ff. BayGO (spezifisch öffentlich-rechtliche Aufsicht); §§ 120 ff. GO S.H.; §§ 135 ff. HGO (i.V.m § 54 ff. HLKO); §§ 170 ff. NdsKomVG; §§ 143 ff. KVG S.A.; ebenso nur spezifisch öffentlich-rechtliche Aufsicht in Thüringen, vgl. §§ 117 ff. ThürKO; allgemeine Aufsicht in Brandenburg, vgl. §§ 109 ff. Bbg.KVG 119 31 wegen zu großer Zersplitterung und unüberwindlicher politischer Antagonismen verloren geht oder nicht, weil bei Verwirklichung der Gefahr auch keine realistische Möglichkeit mehr bestünde, eine dann notwendig gewordene wahlrechtliche Sperrklausel zur Wiederherstellung der Entscheidungsfähigkeit einzuführen. Im Vergleich zu Situation in den Parlamenten von Bund und Ländern, kann bei den Kommunalparlamenten im Sinne einer sicheren Gefahrenprognose länger zugewartet, bis zu der einschneidenden Maßnahme einer wahlrechtlichen Sperrklausel gegriffen wird. 5. Maßstab füreine Rechtfertigung Als Ergebnis lässt sich festhalten, dass eine kommunalrechtliche Sperrklausel, auch wenn sie auf Ebene einer Landesverfassung eingeführt wird, nur durch eine bereits eingetretene und festgestellte oder jedenfalls mit hinreichender Sicherheit für die Zukunft prognostizierbare, gravierende Funktionsstörung gerechtfertigt werden, die nicht nur punktuell, sondern in einer erheblichen Anzahl von Kommunen auftritt und der nicht mit anderen, die demokratischen Gleichheitsrecht weniger beeinträchtigenden Mitteln begegnet werden kann. 32