Begutachtung von Traumafolgestörungen im Rahmen des

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Begutachtung von
Traumafolgestörungen im Rahmen
des Opferentschädigungsgesetzes
Vortrag im Rahmen des 6. Irseer Symposiums für
Kinder- und Jugendpsychiatrie
Gliederung
Theorie
Sachverständigengutachten im Rahmen des OEG
Traumafolgestörungen
Praxis
Beauftragung
Quellen
Rahmenbedingungen
Untersuchungsablauf
Beurteilung und Abfassung
Exkurs: psychische Effekte der Begutachtung
Literatur/Internetquellen
28.10.2015
A. Mühlbauer : Begutachtung von Traumafolgestörungen im Rahmen des OEG
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Theorie
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Sachverständigengutachten im Rahmen des OEG 1
•
Das Opferentschädigungsgesetz regelt die Versorgung gesundheitlicher und wirtschaftlicher
Schäden als Folge von vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffen (zu denen u.a. auch sexueller
Missbrauch im Kindes- und Jugendalter zählt).
•
Zuständig für den Vollzug des OEG sind die Landesbehörden für soziale Leistungen im Ressort der
Sozialministerien (in Bayern: Zentrum Bayern Familie und Soziales) = behördlicher
Entscheidungsprozess.
•
Die fachliche Begutachtung im sozialen Entschädigungsrecht ist indiziert, wenn die
verwaltungsseitigen Ermittlungen nicht ausreichen, um die geltend gemachten Gesundheitsstörungen
oder gutachterlichen Fragen erschöpfend zu beantworten. Dies ist nicht selten im Bereich der
psychischen Folgeschäden der Fall, da diese u.a. oft weniger eindeutig sind, nicht immer angemessen
behandelt werden sowie zeitverzögert auftreten können.
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Sachverständigengutachten im Rahmen des OEG 2
Zentrale Aufgaben des psychiatrischen Gutachters im Rahmen des OEG:
•
Feststellung aller bestehenden Gesundheitsstörungen.
•
Klärung, ob durch das Ereignis (Tatgeschehen) hervorgerufene Gesundheitsstörungen vorliegen
(Ursachenzusammenhang).
•
Wenn ja: Klärung welcher Grad der Schädigungsfolgen (GdS) dadurch verursacht wurde, ab wann
und in welchem Zeitraum.
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Traumafolgestörungen 1
Überblick relevanter Beschwerden im Rahmen der OEG-Begutachtung:
•
Die psychischen Schädigungsfolgen von tätlichen Angriffen (zu der im OEG auch sexuelle Delikte
sowie als Sonderfall z.B. die extreme Vernachlässigung im Kleinkindalter oder der Schockschaden
zählen) sind in ihrer Spezifität als gering einzuschätzen (Ausnahme: PTBS und Sexualisierung).
•
Auch der Eintritt der Schädigungsfolge und der zeitliche Verlauf sind nicht eindeutig.
•
Der Schockschaden ist eine durch das persönliche Miterleben einer dem OEG zuzurechnenden
schweren vorsätzlichen Gewalttat entstandene nicht nur vorübergehende psychische Störung von
Krankheitswert. Bei besonderer emotionaler Beziehung/Angehörigen ist dieser auch durch das
Auffinden des Opfers oder die Nachricht von der Tat möglich.
•
Das Spektrum der Folgen geht von spezifischen Traumareaktionen (z.B. der posttraumatischen
Belastungsstörung) über dissoziative Beschwerden (im Extremfall: multiple Persönlichkeitsstörung) bis
hin zu unspezifischen Beeinträchtigungen oder Verschlimmerungen (z.B. Ansteigen der Dissozialität).
Auch Störungen der Sexualität und der sexuellen Entwicklung sind möglich sowie im Kindes- und
Jugendalter ein schädigender Einfluss auf die Persönlichkeits- und Bindungsentwicklung.
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Traumafolgestörungen 2
Spezifisch/eng gefasst:
Allgemein:
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Akute Belastungsreaktion (ICD-10 F43.0)
Anpassungsstörung (ICD-10 F43.2)
Posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10
F43.1)
Andauernde Persönlichkeitsänderung nach
Extrembelastung (ICD-10 F62.0)
Unspezifisch:
•
•
ADHS-Verschlimmerung
Verschlimmerung einer SSV, Dissozialität
Depression
Angst
Drogenabusus
Psychose-Rezidiv
NSSV
BPS
usw.
Dissoziative Störungen
Sexualstörungen (Sexuelle Aversion/sexuelle
Reifungskrise)
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Traumafolgestörungen 3
•
Nicht alle Betroffenen entwickeln langfristige Störungen. Die Art der Belastung spielt hierbei eine
Rolle sowie die vorhandenen Vulnerabilitäts- und Resilienzfaktoren des Betroffenen. Relativ gering ist
die Wahrscheinlichkeit der Entwicklung von Belastungssymptomen nach körperlichen Angriffen im
Erwachsenenalter (11,5% PTBS), hoch dagegen nach sexueller Gewalt (50-80% PTBS). Etwa 1/3 der
Opfer von sexuellem Missbrauch im Kindesalter entwickeln nach einer Metaanalyse von KendallTackett et al. (1997) „keine auffälligen Symptome“.
Diathese-Stress-Modell (Quelle: Wikipedia)
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Traumafolgestörungen 4
Risiko- und Schutzfaktoren
Personale Ressourcen
Positives Temperament
Erstgeborenes Kind
Quelle: www.resilienz-freiburg.de
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Traumafolgestörungen 5
Besonderheiten im Kindes- und Jugendalter:
•
Abhängig von Alter und/oder Entwicklungsphase
entsprechen die Symptome der Erkrankungen oftmals
nicht
dem
Erwachsenenbild
(z.B.
PTBS/Depressionen).
•
Nicht selten sehen wir bei Kindern eine
zwischenzeitlich gute Adaption an das Tatgeschehen
mit verzögertem Aufbrechen der Symptomatik erst
in
der
Adoleszenz
mit
ihren
neuen
Entwicklungsaufgaben
(z.B.
Übernahme
der
Geschlechtsrolle,
Akzeptieren
der
körperlichen
Erscheinung). Gegebenenfalls sind zwischenzeitlich
larvierte
Phänomene
zu
beobachten
(z.B.
Aggressivität).
•
Mindestens bei Häufung von Vor- und Nachschäden
sowie geringen Resilienzfaktoren ist eine nachhaltige
Beeinträchtigung der Persönlichkeitsentwicklung und
der Beziehungsfähigkeit zu befürchten.
Quelle: Stein & Rosner (2009)
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Praxis
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Praxis – Beauftragung 1
•
Die Beauftragung mit der Begutachtung erfolgt über die zuständige soziale Landesbehörde (in
Bayern: Zentrum Bayern Familie und Soziales) in Folge der behördlichen Ermittlungen, bei der
bereits umfängliche Informationen erhoben wurden: Arzt- und Krankenhausberichte, Auszüge der
Krankenkassen, Schulmaterial, Kurberichte, Auskünfte von Vorbehandlern usw.
•
Oft liegt ein nicht mehr strittiges Tatgeschehen vor, das bereits verhandelt wurde. Dies entspricht den
sogenannten „Anknüpfungstatsachen“.
•
Ein umfangreicher und detaillierter Fragenkatalog zu den verschiedenen Schädigungsarten und –
folgen sowie zur Frage der Nachprüfung und des zukünftigen Behandlungsbedarfes wird vorgelegt.
•
Der Auftragnehmer (Gutachter) muss vor Beginn u.a. prüfen, inwiefern der Auftrag in sein
spezifisches Fachgebiet fällt, ob hinreichende Qualifikation, Fachkunde und spezifische Erfahrung
vorliegt sowie genügend aktuelle Zeit/Kapazitäten.
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Praxis – Beauftragung 2
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Praxis - Quellen
•
Im Rahmen der Begutachtung wird zunächst die Aktenlage erhoben und intensiv studiert. Neben
der oft umfangreichen Versorgungsakte werden u.a. nicht selten auch die Strafakte des
Tatgeschehens sowie u.U. eine bereits vorhandene Schwerbehindertenakte bei Vorschäden vorgelegt.
•
Zentrales Moment ist die eigene Untersuchung des Opfers, bei Kindern und Jugendlichen auch die
Befragung der Eltern bzw. Bezugspersonen.
•
Ergänzend werden bei nicht ausreichenden Vorbefunden nach Einverständniserklärung der
Betroffenen und nach Absprache mit dem Amt Gespräche mit eventuellen Vor- oder
Begleitbehandlern (z.B. Psychotherapeuten) auf der Basis der gemeinsamen Sachkunde
durchgeführt.
•
Bei nicht ausreichender Aktenlage oder Unklarheiten in der Objektivierung werden analog ergänzende
fremdanamnestische Daten erhoben (z.B. von der Lehrkraft).
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Praxis – Rahmenbedingungen 1
Raum und Zeit:
•
Ein ungestörter Raum und ausreichend Zeit sind gerade für zu Begutachtende mit
Traumafolgestörungen wichtig, um ihr allgemeines Stressniveau so gering wie möglich zu halten.
Umgekehrt dürfen, gerade bei Kindern, auch keine Stresssymptome aus der Situation heraus erzeugt
werden (Artefakte), die eine fälschliche Interpretation als traumabedingt möglich sein lassen.
Aufklärung:
•
Die zu begutachtende Person sowie bei Kindern und Jugendlichen deren Sorgeberechtigten werden in
verständlicher Sprache über den gutachterlichen Auftrag und Ablauf informiert. Es wird erläutert,
dass der Sachverständige nicht selbst die anstehende Rechtsentscheidung trifft. Es wird ausdrücklich
darüber aufgeklärt, dass die Mitarbeit freiwillig ist, also ein Schweigerecht besteht.
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Praxis – Rahmenbedingungen 2
Gesprächsführung:
•
Mit Opfern von Gewalttaten sollte möglichst durchschaubar, genau und strukturiert gesprochen
werden. Interesse, Respekt und Empathie sind wichtig, auch dosierte Validierungen von
Spontanangaben ohne die nötige Sachlichkeit und Objektivität zu vernachlässigen.
Anwesenheit dritter Personen:
•
Die eigentliche Untersuchung sollte, auch bei Kindern und Jugendlichen, im vertraulichen
Zweierkontakt stattfinden. Ansonsten besteht die Gefahr einer Verfälschung (z.B. Schutzimpuls
gegenüber den Eltern bzw. Übernahme von Aggravierungstendenzen). In unserem Fachgebiet ist es
dabei oft üblich und hilfreich, zunächst ein Kennenlernen und größere Vertrautheit in Anwesenheit der
Bezugspersonen aufzubauen und sich dann die Erlaubnis zum Einzelgespräch zu holen.
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Praxis – Untersuchungsablauf - Anamnese
•
Grundlage ist zunächst eine sorgfältige und umfassende Anamnese der Betroffenen und ihres
Lebensumfeldes.
•
Dazu gehören je nach Beschwerdebild auch eine genaue Überprüfung der Entwicklung und des
Gesundheitszustandes vor der Tat sowie eine Abklärung hinsichtlich eventueller früherer
Schädigungen.
•
Die nachtatliche Entwicklung sowie eventuelle Folge- und Nachschäden müssen detailliert und
zeitgenau erhoben werden.
•
Im Rahmen der Anamneseerhebung ist besonders auf die psychosoziale Anpassung der
Betroffenen in den verschiedenen Zeitabschnitten (prä- und posttraumatisch) und allen
Lebensbereichen zu achten. Dazu gehören die Aktivitäten des täglichen Lebens (Schlaf, Tagesablauf,
Mobilität, Hausaufgaben usw.) sowie die Partizipation in den verschiedenen Lebensbereichen
(familiäre Integration, schulische Entwicklung, Freizeitaktivitäten, Beziehung zu Gleichaltrigen,
Sexualität usw.).
•
Der Betroffene und die Bezugspersonen/Eltern sollten befragt, gegebenenfalls auch andere Personen
im Rahmen einer Fremdanamnese (z.B. Schule) = Objektivierung.
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Praxis – Untersuchungsablauf Exploration, Beschwerdeschilderung und Erhebung des
psychopathologischen Befundes:
•
Neben den Angaben der Bezugspersonen muss nach
ausreichendem Aufbau eines Arbeitsbündnisses und
bei grundlegender Gesprächsbereitschaft des Opfers
dieses über seine allgemeinen Beschwerden und
auch behutsam über das Tatgeschehen befragt
werden. Dabei sind psychophysiologische Reaktionen
(Erregungsanstieg, Dissoziation) genau zu beobachten
sowie u.a. eventuelle Vermeidungstendenzen und
sprachliche Entgleisungen.
•
Im psychopathologischen Befund werden die freien
Beschwerdeangaben, abgefragte Symptome, die
Ergebnisse der Verhaltensbeobachtung (Auftreten,
Interaktion, Mimik, Gestik usw.) sowie die fachliche
Beurteilung verschiedener Störungsbereiche gebündelt
erhoben.
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Praxis – Untersuchungsablauf – Testpsychologische Untersuchung 1
Entwicklungs- und Intelligenzdiagnostik
•
Oftmals ist zur Einschätzung eventueller kognitiver Grundstörungen (z.B. Lernbehinderung, geistige
Behinderung), zum Ausschluss von Funktionseinschränkungen im Sinne einer Überforderung sowie
nicht zuletzt zur Befundbeobachtung unter Stressbedingungen eine ausführliche Intelligenz- und
Entwicklungsdiagnostik nötig. Bei einer vorliegenden Vortestung im Zeitraum vor der Schädigung ist
eine Verlaufstestung zur Bestimmungen eventueller Leistungsbeeinträchtigungen sinnvoll.
Symptomübersichtsverfahren
•
Zur systematischen und quantitativ einschätzbaren Erhebung aller vorhandenen psychischen
Gesundheitsstörungen sind normierte Fremd- und Selbstbeurteilungsinstrumente einzusetzen z.B. die
Child Behavior Checklist (CBCL/6-18R), die Teacher`s Report Form (TRF/6-18R), der Youth SelfReport (YSR/11-18R) oder die Symptom-Checkliste (SCL-90-S). Bei zum Tatgeschehen zeitnaher
Untersuchung und verlässlichem Umfeld darüber auch prä- und posttraumatische Urteile möglich
(die jedoch mit objektiven Belegen zu untermauern sind).
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Praxis – Untersuchungsablauf – Testpsychologische
Untersuchung 2
Child Behavior Checklist (CBCL/6-18R)
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Symptom-Checkliste (SCL-90-S)
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Praxis – Untersuchungsablauf – Testpsychologische Untersuchung 3
Traumadiagnostische Instrumente:
Zur
spezifischen
Erhebung
von
Traumafolgestörungen im engeren Sinn
liegt eine Reihe von gut geeigneten
Erhebungsinstrumenten (Fragebogen- und
Interviewverfahren) vor.
Quelle: www.kindertraumainstitut.de
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Praxis – Untersuchungsablauf – Testpsychologische Untersuchung 4
Der UCLA PTSD Reaction Index
Quelle: www.uniklinik-ulm.de
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Praxis – Untersuchungsablauf – Somatische Diagnostik und Vorbefunde
Somatische Diagnostik:
•
Eine orientierende körperliche Untersuchung (internistisch/neurologisch) ist durchzuführen. Bei
spezifischen Verdachtsmomenten (z.B. Syndromverdacht) und unzureichenden Vorbefunden ist eine
eingehendere Abklärung obligat.
•
Cave: ein behutsames und möglichst eigenbestimmtes Vorgehen mit vorheriger Kosten/Nutzenabwägung ist insbesondere bei Opfern von körperlichen Grenzüberschreitungen wichtig.
Vorbefunde:
•
Ergeben sich im Laufe der Untersuchung Unklarheiten und neue Fragestellungen, so ist mit
Einverständnis der Betroffenen (erneut) Kontakt mit professionellen Außenstellen herzustellen und die
Datenlage zu komplettieren.
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Praxis – Untersuchungsablauf – Beurteilung und Abfassung
•
Zentraler Schritt nach gründlicher Erhebung
und Untersuchung ist die Darstellung und
Beurteilung der erhobenen Befundtatsachen
mit einer objektiven Beantwortung der
Fragestellungen der Behörde in verständlicher
Abfassung.
Trotz
eingehender
Prüfung
verbliebene Unsicherheiten sollten als solche
auch benannt werden.
•
Zunächst ist die Frage zu beantworten, welche
Gesundheitsstörungen zum Zeitpunkt der
Untersuchung insgesamt vorliegen ohne
Berücksichtigung der Verursachung.
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Praxis – Untersuchungsablauf – Beurteilung und Abfassung 2
•
Der
zeitliche
Verlauf
und
die
Veränderungen der Gesundheitsstörungen
werden dann möglichst genau über die
gesamte
relevante
Lebensspanne
in
definierten Zeitabschnitten, insbesondere präund posttraumatisch beschrieben.
Für die Zeit vor der Schädigung stellen wir fest, dass
xxx bis auf diskrete Aufmerksamkeitsprobleme nach
vorliegenden Informationen keine klinisch relevanten
Auffälligkeiten zeigte. Es sind bis zum Zeitpunkt der Tat
keine Störungen aus dem klinisch-psychiatrischen
Formenkreis
festzustellen.
Das
psychosoziale
Funktionsniveau war insgesamt zufriedenstellend
ausgebildet.
Für den Zeitraum direkt nach der Tat bis April
ist
wie ausgeführt von einer schweren Ausprägungsform
einer Posttraumatischen Belastungsstörung auszugehen.
Ab April xxx kam es zusätzlich zur Entwicklung einer
fortbestehenden mittelgradigen depressiven Episode.
Die psychosoziale Anpassung erlitt erhebliche und
generalisierte Einbußen.
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Praxis – Untersuchungsablauf – Beurteilung und Abfassung 3
•
Der Kausalzusammenhang mit dem Trauma
wird nun beurteilt: ist dieses alleinige Ursache
oder zumindest wesentliche Mitursache (bei
Vor- oder Nachschäden), ist die
Gesundheitsstörung neu entstanden oder hat
sie nur ein bestehendes Leiden
verschlimmert?
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Praxis – Untersuchungsablauf – Beurteilung und Abfassung 4
Typisierte Verlaufsformen
Funktionsbeeinträchtigung
PTBS
Verschlimmerung
Vorschaden
PTBS, verzögerter Beginn
Tat
Keine Schädigung
posttraumatisch
prätraumatisch
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Praxis – Untersuchungsablauf – Beurteilung und Abfassung 5
Nachschaden:
Tatunabhängig.
Keine
versorgungsrechtliche
Relevanz im Rahmen der aktuellen Begutachtung
(z.B. erneuter Übergriff, Unfall, familiärer Todesfall)
Funktionsbeeinträchtigung
Folgeschaden:
Tatabhängig/mittelbar. Wird wie unmittelbare
Schädigung gewertet (z.B. Familienreaktion,
Pressemeldungen, Bemerkungen der Mitschüler,
Gerichtsverhandlung).
Funktionsbeeinträchtigung
Schädigungsanteil
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Schädigungsfolge
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Praxis – Untersuchungsablauf – Beurteilung und Abfassung 6
•
Ursächlich durch die Tat (=rechtlich wesentlicher Ursachenzusammenhang): bei Zweifeln ist es
ausreichend (also hinreichend wahrscheinlich), dass nach allgemeinem ärztlichen Erfahrungswissen
die Gefahr des Ausbruchs der Krankheit durch schädigende Ereignisse dieser Art deutlich erhöht
worden ist.
•
Zu beurteilen ist nicht zentral, was der Betroffene erlebt hat, sondern wie sich die Belastungen bei ihm
nach seiner individuellen Belastbarkeit und Kompensationsfähigkeit ausgewirkt haben.
•
Bei länger zurückliegenden Taten/Schädigungsereignissen (Erwachsenenbegutachtung) mit in der
Regel später folgenden unabhängigen Nachschäden besteht die Aufgabe des Gutachters in der
Ermittlung und Beurteilung, inwieweit die ursprüngliche Schädigung Ursache oder zumindest
wesentliche Teilursache der Gesundheitsschäden oder ihrer Verschlimmerung ist.
•
Bei verzögertem Krankheitseintritt werden oft sogenannte „Brückensymptome“ gefordert. Das sind
Symptome oder Symptomfragmente (wie z.B. Albträume, Konzentrationsprobleme oder erhöhte
Anspannung) die zwischen dem Tatgeschehen und der Schädigungsfolge (z.B. Vollbild PTBS)
auftreten. Die Notwendigkeit dieser ist allerdings umstritten.
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Praxis – Untersuchungsablauf – Beurteilung und Abfassung 7
•
Der Grad der Schädigungsfolge wird
dann über die Funktionseinschränkung in
allen Lebensreichen („Einschränkung der
Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit“) nach
Maßgabe der versorgungsmedizinischen
Grundsätze über die verschiedenen
Zeitabschnitte
beurteilt.
Die
Schädigungsfolge ist dabei immer bezogen
auf die erwartbare (alters-, schicht- und
intelligenzbezogene) Entwicklung. Der
Grad der Schädigungsfolge entspricht nicht
der Diagnose.
•
Spezifischen Traumafolgestörungen sind
den „Neurosen, Persönlichkeitsstörungen,
Folgen psychischer Traumen“ zuzuordnen.
Bei
Verschlimmerung
bestehender
Grundstörungen (z.B. ADHS, SSV) gelten
die jeweils anderen Bereiche.
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Praxis – Untersuchungsablauf – Beurteilung und Abfassung 8
•
Bei mehreren parallelen Schädigungen (z.B. PTBS
und Depression) ist ein sogenanntes „top-downVorgehen“ bezüglich der Einschätzung der
Funktionsbeeinträchtigung und damit des gesamten
Grades der Schädigung angezeigt. Die einzelnen
Bereiche werden nicht additiv verwertet sondern es
ist von der Funktionsbeeinträchtigung ausgehen, die
den höchsten Einzel-GdS bedingt und die anderen
darauf prüfen, ob und um wieviel sie dieses
Ausmaß (d.h. die Funktionsbeeinträchtigung)
zusätzlich vergrößern.
•
In Ausnahmefällen kann bei Vorschäden der neu
hinzugekommene Schaden u.U. eine stärkere
Funktionsbeeinträchtigung bedingen als wenn er
isoliert aufgetreten wäre (vgl. vollständige
Erblindung bei Einäugigem) z.B. psychologisch:
Schulverweigerung statt „nur“ Prüfungsängste.
28.10.2015
Zu 8. Im Zeitraum von Juli 2012 bis März
2013 entspricht die Schädigungsfolge im
Sinne
einer
stark
ausgeprägten
Posttraumatischen
Belastungsstörung
einem GdS von 40. Ab April 2013
entwickelte
sich
zusätzlich
eine
mittelgradige depressive Episode, die mit
einem GdS von 30 zu bewerten ist.
Insgesamt
beträgt
damit
die
Schädigungsfolge von Juli 2012 bis März
2013 einem GdS von 40, ab April 2013
bis zum Zeitpunkt der Begutachtung bei
einer stark behindernden kombinierten
Störung mit massiver Einschränkung der
Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit sowie
deutlichen und übergreifenden sozialen
Anpassungsschwierigkeiten einem GdS von
50.
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Praxis – Untersuchungsablauf – Beurteilung und Abfassung 9
Im Rahmen von Begutachtungen mit Sekundärgewinn für die Betroffenen bei positivem Bescheid ist von
gutachterlicher Seite aus möglichst gewissenhaft zu prüfen, ob Tendenzen zur Simulation (Vortäuschung)
und/oder Aggravierung (Verschlimmerung) erkennbar sind (Thema Plausibilitätsprüfung und
Beschwerdevalidierung). Hinweise dafür können u.a. sein:
•
Die Beschwerden werden demonstrativ und theatralisch vorgetragen.
•
Die Angaben weichen erheblich von fremdanamnestischen Informationen ab.
•
Es besteht eine auffällige Diskrepanz zwischen der Intensität der vorgetragenen Beschwerden und
dem Verhalten/Befund in der Untersuchungssituation.
•
Das psychosoziale Funktionsniveau ist weitgehend intakt.
•
Die Symptome sind über die Zeit völlig stabil und unverändert.
•
Die Themen werden häufig gewechselt.
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A. Mühlbauer : Begutachtung von Traumafolgestörungen im Rahmen des OEG
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Praxis – Untersuchungsablauf – Beurteilung und Abfassung 10
•
Cave: gerade bei Kindern kann die Tendenz bestehen, z.B. zum Schutz ihrer Eltern oder nach
mehrmaliger Befragung, die Beschwerden zu minimieren. Auch ist es ein Kennzeichen der PTBS,
die Beschäftigung mit den belastenden Themen zu vermeiden. Nicht zu unterschätzen ist auch die
vorübergehende Adaptionsfähigkeit von Kindern an hoch pathologische Umstände, die tiefgreifende
Schädigungen nur sehr larviert beobachten lässt. Zudem mindert das häufige tiefe Schamerleben die
Offenheit.
•
Das bedeutet, dass insbesondere im Kindes- und Jugendalter gegenläufige und
symptomminimierende Kräfte wirken, die den Schweregrad möglicherweise unterschätzen lassen.
•
Nach persönlicher Erfahrung ist das betroffene Kind oder der betroffene Jugendliche im Rahmen der
Begutachtung eher geneigt, die eigenen Beschwerden als zu gering darzustellen. Hier erfordert es
Geduld, guter Gesprächsführung und Beobachtung, um die tieferen Schichten zu erfahren. In
Einzelfällen wurde erlebt, dass offensichtliche Aggravierungen durch die Bezugspersonen vorlagen,
die die gutachterliche Bewertung jedoch kaum behinderten. Die Erhebung objektiver Daten, das
Einzelgespräch mit dem Betroffenen und eine gute Verhaltensbeobachtung sind elementar.
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Praxis – Untersuchungsablauf – Beurteilung und Abfassung 11
Einschätzung der Nachprüfung: vor
allem im Kindes- und Jugendalter ist
aufgrund der Entwicklungsdynamik in
der Regel eine Nachbegutachtung nach
zwei Jahren sinnvoll. Einerseits kann
eine Verbesserung möglich sein (so
bietet z.B. die Adoleszenzentwicklung
Chancen auf Neuorientierung und
Anpassung),
andererseits
können
larvierte Phänomene aufbrechen und
eine Erhöhung des Grades der
Schädigung bedingen.
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Exkurs
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Exkurs: Psychische Effekte der Begutachtung 1
•
Neben den administrativen Effekten der Begutachtung durch Unterstützung der behördlichen
Entscheidung sind in der Begutachtungssituation und durch die gutachterliche Beurteilung nicht
unerhebliche psychologische Wirkungen zu reflektieren.
•
Der fachliche Gutachter befindet sich als Angehöriger einer helfenden/heilenden Berufsgruppe im
Spannungsfeld zwischen der nötigen Neutralität und Objektivität des Sachverständigen sowie der
ethischen Grundverpflichtung einer Nichtschädigung und Fürsorge. Dies gilt insbesondere auch bei
betroffenen Kindern und Jugendlichen.
•
Cave: Die gutachterliche Untersuchung stellt besonders bei schwer betroffenen Probanden eine nicht
unerhebliche Belastungssituation dar. Es kann zu emotionalen Überflutungen kommen und
Flashbacks kommen. Die Gutachtensituation kann als beschämend und fremdbestimmt erlebt werden,
ähnelt im Ansatz also u.U. der Traumatisierung.
•
Bei Nichtanerkennung einer Schädigungsfolge kann bei dem Betroffenen oder seiner
Bezugspersonen der Eindruck entstehen, dass die Schwere der Tat nicht wahrgenommen oder
gewürdigt wird. Die gedachte Genugtuung entfällt.
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Exkurs: Psychische Effekte der Begutachtung 2
Wichtig ist deshalb:
•
Das Opfer erhält im Rahmen der Begutachtung möglichst viel Kontrolle über die äußeren
Bedingungen (Termin, Sitzplatz, Lichtverhältnisse usw.) um den Kontrollverlust der Traumatisierung
nicht zu wiederholen und die eigene Kontrollüberzeugung zu stärken. Am Ende einer Sitzung wird
analog um Rückmeldung und Veränderungswünsche gebeten.
•
Das Schweigerecht wird erläutert.
•
Bei Redebereitschaft wird das fachgerechte Besprechen des Tatgeschehens als eine Möglichkeit
erläutert und anerkannt, die begleitenden Beschwerden langfristig zu mindern. Der Gutachter vermittelt
Sicherheit durch das Aushalten der Darstellung der belastenden Erlebnisse.
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Exkurs: Psychische Effekte der Begutachtung 3
•
Die gesamte Untersuchung ist geprägt von Transparenz, Vorhersagbarkeit, Respekt und
Wertschätzung. Der Betroffene bekommt ausreichend Zeit, um sein Erleben darzustellen. Dies wird
fortlaufend validiert.
•
Je nach Bedarf findet eine ressourcenorientierte Aufklärung über mögliche Modi einer
Tatverarbeitung statt. Bei geringgradiger oder nur vorübergehender Schädigung wird dies funktional
attribuiert.
•
Soweit möglich und nötig, werden die Bezugspersonen beraten, im Begutachtungszeitraum für den
Betroffenen emotionalen Rückhalt und Verfügbarkeit zu bieten.
Im besten Fall ist der Verwaltungs- und Begutachtungsprozess im Rahmen des OEG für den
Betroffenen eine wichtige Erfahrung, dass das Trauma als solches wahr- und ernstgenommen
wird, sein Erleben validiert wird und die Gemeinschaft sich kümmert.
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Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit
28.10.2015
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Literatur/Internetquellen
Foerster, K. und Dreßing, H. (Hrsg.) (2009): Psychiatrische Begutachtung. Ein praktisches Handbuch für Ärzte und Juristen, 5. Auflage. Elsevier,
München.
Karle, M. (2010): Opferschädigung durch Opferentschädigung? Probleme bei der Anwendung des OEG nach sexuellem Missbrauch. In: Clauß, M. et
al. (Hrsg.): Sexuelle Entwicklung – sexuelle Gewalt. Grundlagen forensischer begutachtung von Kindern und Jugendlichen. Pabst Science Publishers,
Lengerich.
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28.10.2015
A. Mühlbauer : Begutachtung von Traumafolgestörungen im Rahmen des OEG
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