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Neue Zürcher Zeitung, 10.09.2003, Nr. 209, S. 61
Forschung und Technik
Spe Speicher C.
Auf kurzen Strecken zu höchsten Energien
Beschleunigung von Teilchen mit oszillierenden Plasmen
Teilchenbeschleuniger sind riesige Geräte, die in der Regel Dutzende von Kilometern lang
sind. Das muss nicht so sein. Seit einigen Jahren versuchen Forscher, Teilchen auf
kürzesten Strecken auf Trab zu bringen. Sie lassen die Teilchen hierzu auf Plasmawellen
reiten, in denen ungemein starke elektrische Felder wirken können.
Spe. Teilchenphysiker haben allen Grund, sich um ihre Zukunft Sorgen zu machen. Über
Jahrzehnte ist es ihnen gelungen, die Energie von Beschleunigeranlagen in rasantem
Tempo nach oben zu schrauben und dadurch den Grundstein zu wichtigen Entdeckungen
zu legen. Seit einiger Zeit flacht sich dieser Trend aber merklich ab. Das Potenzialgefälle,
das die geladenen Teilchen durchlaufen, lässt sich mit herkömmlicher Technik kaum mehr
steiler machen. Um zu höheren Energien zu gelangen, muss man die Teilchen deshalb
über Dutzende von Kilometern beschleunigen. Das aber geht ins Geld. Für einen
Beschleuniger der Spitzenklasse müssen heute mehrere Milliarden Franken bezahlt werden.
Dass man damit an eine Schmerzgrenze stösst, musste die Gilde der Teilchenphysiker
Mitte der 1990er Jahre zur Kenntnis nehmen, als die amerikanische Regierung den Bau
des bereits weit fortgeschrittenen "Superconducting Super Collider" völlig überraschend
stoppte. Diesen Schock haben manche Forscher bis heute nicht verdaut.
Surfen auf Plasmawellen
Das mag erklären, warum die Suche nach anderen Wegen der Teilchenbeschleunigung in
den letzten Jahren intensiviert worden ist. Besonders vielversprechend ist in diesem
Zusammenhang die Beschleunigung durch Plasmawellen. Die elektrischen Felder, die in
solchen Wellen auftreten, können um viele Grössenordnungen stärker sein als die Felder in
herkömmlichen Beschleunigungselementen. Elektrisch geladene Teilchen, die auf einer
solchen Welle surfen, können folglich auf einem Bruchteil der sonst üblichen Strecke
beschleunigt werden. Noch ist nicht abzusehen, ob man mit solchen Plasma-basierten
Beschleunigern in Energiebereiche von einigen 100"GeV (Gigaelektronenvolt) und mehr
vorstossen kann, wo physikalisches Neuland vermutet wird. Aber auch die Aussicht,
Teilchen in einem kleinen Labor auf Energien zu beschleunigen, wie sie etwa zur
Bestrahlung von Tumoren benötigt werden, ist verlockend.
An der Plasma-basierten Teilchenbeschleunigung wird seit etwa zehn Jahren gearbeitet. In
dieser Zeit ist viel erreicht worden. Das haben zwei in den letzten Monaten publizierte
Arbeiten exemplarisch vor Augen geführt. So ist es einer französisch- britischen
Arbeitsgruppe gelungen, Elektronen auf einer Strecke von weniger als einem Millimeter auf
Energien bis zu 200"MeV (Megaelektronenvolt) zu beschleunigen.*1 Die Forscher
fokussierten einen ultrakurzen, leistungsstarken Laserpuls auf ein Gas und ionisierten es
dadurch. Durch den enormen Strahlungsdruck, den das intensive Laserlicht entfaltet,
werden die Elektronen des Plasmas zur Seite gedrängt. Die schweren Atomkerne behalten
hingegen ihre Position bei. Sobald der Laserpuls vorüber ist, streben die Elektronen in ihre
ursprüngliche Position zurück, schiessen dabei aber über das Ziel hinaus. Im Kielwasser
des Pulses beginnt das Plasma zu oszillieren. Dabei baut sich zwischen den positiven und
den negativen Ladungen ein starkes elektrisches Feld auf. Die Oszillation breitet sich
wellenförmig aus und jagt dem Laserpuls annähernd mit Lichtgeschwindigkeit hinterher.
Einer grösseren Anzahl von Elektronen gelingt es, auf dieser Welle zu reiten. Dabei werden
sie vom elektrischen Feld der Welle auf immer höhere Energien beschleunigt. Das Resultat
ist ein Elektronenpuls, der fast ebenso kurz ist wie der zum Anregen des Plasmas
verwendete Laserpuls.
Für Aufsehen sorgte dieses Experiment gleich aus mehreren Gründen. So konnten die
Forscher durch eine numerische Simulation zeigen, dass in der Plasmawelle für kurze Zeit
elektrische Feldstärken von mehr als einem Teravolt (1012 Volt) pro Meter erreicht
wurden. Das ist absoluter Weltrekord. Zum Vergleich muss man sich vor Augen halten,
was herkömmliche Beschleunigungselemente leisten. Diese bestehen aus metallischen
Hohlräumen, in denen sich stehende elektromagnetische Wellen ausbilden. Das elektrische
Feld in diesen Resonatoren kann nicht wesentlich stärker als 55"Megavolt (5,5×107 Volt)
pro Meter gemacht werden. Sonst treten Schäden an den Wänden der Hohlräume auf.
Eine weitere Überraschung war die gute Bündelung des resultierenden Elektronenstrahls.
Das ist zum Beispiel von Interesse, wenn man daran denkt, den Elektronenstrahl zwecks
weiterer Beschleunigung in einen grossen Beschleuniger zu injizieren. Weitere
Anwendungsmöglichkeiten ergeben sich durch die Kürze der Elektronenpulse. So kann man
mit dem Elektronenstrahl etwa chemische Reaktionen auslösen und sie anschliessend auf
kurzen Zeitskalen untersuchen. Ausserdem lassen sich mit dem Elektronenstrahl extrem
kurze Gamma- oder Röntgenpulse erzeugen, die anschliessend für medizinische Zwecke
oder für Strukturuntersuchung verwendet werden können.
Der Erfolg des französisch-britischen Experiments ist nicht zuletzt auf die Fortschritte
zurückzuführen, die man in den letzten Jahren bei der Erzeugung von ultrakurzen
Laserpulsen mit einer hohen Leistung erzielt hat. Laut Victor Malka von der École
Polytechnique in Palaiseau, der massgeblich an dem Experiment beteiligt war, ist ein
entsprechender Hochleistungslaser heute für 1,5 Millionen Euro zu haben. Mit einer Grösse
von 25 Quadratmetern sei er zudem relativ kompakt. Das eröffne auch kleineren
Laboratorien die Möglichkeit, auf diesem Gebiet zu forschen.
Beschleunigung von Positronen
Kurze Laserpulse stellen nicht die einzige Möglichkeit dar, um in Plasmen Wellen mit
starken elektrischen Feldern anzuregen. Eine andere Methode wurde kürzlich am Stanford
Linear Accelerator Center (Slac) in Kalifornien demonstriert. Dort schossen amerikanische
Forscher einen kurzen Positronen-Puls mit einer (bereits hohen) Energie von 28,5
Gigaelektronenvolt in ein 1,4 Meter langes Gas, das zuvor mit einem Laser ionisiert
worden war. Durch ihre elektrische Ladung ziehen die Positronen die Elektronen des
Plasmas an und versetzen sie dadurch in Schwingungen. Wieder entsteht eine
Plasmawelle, die dem Positronen-Puls hinterherrast. Bei richtigem Timing werden die
hintersten Positronen von der Welle erfasst und von ihrem elektrischen Feld beschleunigt.
Der Positronen-Puls schafft sich also gewissermassen seinen eigenen "Beschleuniger".
Tatsächlich konnten die Forscher beobachten, wie Energie vom Kopf des Pulses auf den
Schwanz transferiert wird. Der Energiegewinn von 80 MeV entspricht einem Gradienten
von 56"Megavolt pro Meter*2. Dieses Experiment liefert nicht nur den Nachweis, dass sich
mit Plasmen auch Positronen beschleunigen lassen - das ist wichtig, wenn man ElektronenPositronen-Collider bauen will -, es zeigt auch, dass sich in einem Plasma steile Gradienten
über längere Distanzen aufrecht erhalten lassen.
Mit dem Erreichten geben sich die Forscher am Slac allerdings nicht zufrieden. In einem
nächsten Schritt soll der Gradient auf mehrere Gigavolt pro Meter gesteigert werden. Das
erfordert verschiedene Massnahmen, die fein aufeinander abgestimmt werden müssen. So
muss die Dichte des Plasmas erhöht und die Länge des Positronen-Pulses kürzer gemacht
werden, ohne die Zahl der Positronen im Puls merklich zu reduzieren. Erste Experimente in
diese Richtung sind bereits ausgeführt worden.
Langfristig laufen die Pläne der amerikanischen Forscher darauf hinaus, einen Plasmabasierten "Nachbrenner" für den Elektronen-Positronen-Collider am Slac zu bauen. Wie
numerische Simulationen gezeigt haben, sollte sich die Kollisionsenergie dieses drei
Kilometer langen Linearbeschleunigers verdoppeln lassen (von 100 auf 200 GeV), wenn
man Elektronen- und Positronen-Pulse zur Nachbeschleunigung jeweils in ein etwa zehn
Meter langes Plasma schiesst*3. Wahrscheinlich würde man mit der Energie noch etwas
höher gehen, weil man dann in jenen Bereich vorstösst, in dem heute das Higgs-Teilchen
vermutet wird. Das Zeitfenster für eine solche Nachrüstung des Slac-Beschleunigers sei
allerdings ziemlich klein, gibt Patric Muggli von der University of Southern California in Los
Angeles zu bedenken. Im Jahr 2007 werde am Cern der Large Hadron Collider in Betrieb
genommen, der für eine Entdeckung des Higgs-Teilchens prädestiniert sei. Bis dahin müsse
nicht nur das Beschleunigungsvermögen des Plasmas gesteigert werden, ebenso müsse
man Wege finden, die Pulse auf einen kleinen Punkt zu fokussieren. Nur dann sei mit einer
ausreichenden Zahl von Kollisionen zu rechnen.
Energiereiche Protonen für die Medizin
Während das Konzept des Nachbrenners eindeutig darauf zielt, höchste Energien für
teilchenphysikalische Experimente zur Verfügung zu stellen, denken Malka und andere
Forscher darüber nach, wie sich die Plasma-basierte Beschleunigung für medizinische
Zwecke nutzen liesse. Das Augenmerk richtet sich dabei auf Protonen. Diese Teilchen
werden seit längerem dazu benutzt, radioaktive Isotope für die
Positronenemissionstomographie zu erzeugen. Eine Anwendung jüngeren Datums ist die
Zerstörung von Tumoren mit einem Protonenstrahl, wie sie etwa am Paul-Scherrer-Institut
in Villigen mit Erfolg praktiziert wird. Je nach Tiefe des Tumors benötigt man dafür
Energien zwischen 60 und 200 MeV. Wenn es gelänge, solche Protonen mit einem
kompakten Beschleuniger zu erzeugen, könnte man Patienten in einer Klinik behandeln,
statt sie wie bisher in ein Beschleunigerzentrum bringen zu müssen.
Auch auf diesem Gebiet gibt es ermutigende Fortschritte. So hat die Gruppe von Malka mit
dem gleichen Laser, der zur Beschleunigung von Elektronen verwendet wurde, Protonen
auf eine Energie von 10 MeV gebracht. Statt den Laser auf ein Gas zu richten, wurde er
auf eine dünne Folie fokussiert, was wiederum zu elektrischen Feldstärken von mehr als
einem Teravolt pro Meter führte. Andere Gruppen haben mit Hochleistungslasern am
Rutherford Appleton Laboratory in Grossbritannien und am Lawrence Livermore National
Laboratory in Amerika sogar Protonenenergien von 49 beziehungsweise 58 MeV erreicht.
Damit nähern sie sich dem medizinisch interessanten Bereich. Allerdings füllen die
entsprechenden Laser ganze Turnhallen.
Der Weg zu Protonenbeschleunigern, die in einer Klinik Platz finden, führt deshalb über
kompaktere Hochleistungslaser. Entscheidend wird aber nicht nur die Energie, sondern
auch die Qualität des Protonenstrahls sein. Die Tumorbestrahlung mit Protonen ist nämlich
nur deshalb zu einer anerkannten Therapieform geworden, weil herkömmliche
Teilchenbeschleuniger sehr zuverlässig sind und einen stabilen Strahl mit den gewünschten
Eigenschaften liefern. Diese Zuverlässigkeit müssen Plasma- basierte Beschleuniger noch
unter Beweis stellen.
*1"Science 298, 1596-1600 (2002); *2"Phys. Review Letters 90, Art.-Nr.: 214801 (2003);
*3"Physical Review Special Topics - Accelerators and Beams 5, Art.-Nr.: 011001 (2002).
696807, NZZ , 10.09.03; Words: 1535
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