VO Allgemeine Psychologie II aus http://www.univie.ac.at/Psychologie/allgemeine/aep_allgII.htm SS 2002 Erste Vorlesung: Zur Psychologie Gedächtnisses I: Die Anfänge der Gedächtnisforschung: Ebbinghaus und Bartlett Inhalte der VO: • Demenz • Alzheimer Krankheit (Alzheimer Demenz) Gedächtnisschwäche oder Gedächtnisverlust. • Alexander Romanowitsch Luri(j)a, großer sowjetrussischer Psychologe, Mitbegründer der sogenannten Kulturhistorischen Schule; Buch: „Der Mann dessen Welt in Scherben ging“ zwei Fallgeschichten: Sassezki(j) und Schereschewsky, • Mnemotechnik, Gedächtnisleistung durch Training verbessern. • kollektives Gedächtnis: Wissen, das sich bestimmte einzelne Menschen im Laufe ihrer Lebensgeschichte angeeignet haben, geht nicht einfach verloren, wenn diese Menschen sterben - und zwar dann nicht, wenn sie es zu Lebzeiten an andere weitergegeben haben • Die Funktion von Mythen haben – eine kontinuitäts- und damit identitätssichernde Bedeutung und zwar sowohl für die Gemeinschaft als auch für die Individuen. Wer sind wir? Woher kommen wir? Wohin gehen wir • Symbolische Speichermedien (Schrift) • analoge Speichermedien (Phonographie Fotografie) • digitale Speichermedien • Hermann Ebbinghaus • Wilhelm Wundt • sinnlose Silben • Gesetz von Ebbinghaus • Gedächtnisspanne • Ersparnismethode • Die Vergessenskurve • Georg Elias Müller • Gedächtnishemmungen Diese Anfänge der wissenschaftlichen Erforschung des Gedächtnisses in der Psychologie sind untrennbar mit dem Namen Hermann Ebbinghaus verbunden. Ebbinghaus galt schon zu seinen Lebzeiten als ein großer Neuerer der Psychologie: als ein unermüdlicher Verfechter einer ganz an der Arbeits- und Denkweise der Naturwissenschaften orientierten, d. h. experimentellen Psychologie. Das ist insofern bemerkenswert, als die gegen Ende des 19. Jahrhunderts gerade Konturen annehmende neue Wissenschaft Psychologie von ihrem Gründungsvater Wilhelm Wundt nur zu einem Teil als Naturwissenschaft konzipiert worden war. Gegen diese Zweiteilung der Psychologie in experimentelle Psychologie und Völkerpsychologie ist Ebbinghaus angetreten. Was er in seinem Buch Über das Gedächtnis (1885) zeigen wollte, ist, das letztlich alles, was für die Psychologie als Untersuchungsgegenstand relevant sein könnte, experimentell erforscht werden kann, ja experimentell erforscht werden muss. Ebbinghaus steht also dafür ein, die experimentelle Psychologie mit der wissenschaftlichen Psychologie überhaupt gleichzusetzen. von [email protected] Seite 1 von 22 VO Allgemeine Psychologie II aus http://www.univie.ac.at/Psychologie/allgemeine/aep_allgII.htm SS 2002 Wie hat Ebbinghaus über das Gedächtnis experimentiert? Da ist zunächst das Material, mit dem er experimentiert hat: die berühmten sinnlosen Silben –(eig. sinnlose Silbenreihen). Die Konstruktion der Silben (eig. Laute) basierte auf Anlaut und als Auslaut benutzten Konsonanten sowie die Vokallaute zusammengestellt. Aus diesem Ausgangsmaterial sind insgesamt 2299 verschiedene Silben zu bilden. Die einzelnen Silben wurden nun zu unterschiedlich langen Reihe n kombiniert. Die Reihen waren sinnfrei – da zufällig zusammengestellt. Diese Vorgangsweise brachte: • eine unerschöpfliche Fülle neuer Kombinationen und • eine sichere und bequeme quantitative Variierung Die Ergebnisse dieser Untersuchungen: „Gesetz von Ebbinghaus“. Es formuliert eine gesetzmäßige Beziehung zwischen dem Umfang des Lernstoffs und dem Lernaufwand: Jede Zunahme des Lernstoffes macht eine überproportionale Steigerung des Lernaufwands erforderlich. Die „Gedächtnisspanne“: Die Kapazität des Kurzzeitgedächtnisses ist begrenzt: Sie umfasst in etwa sieben (plus/minus zwei) unverbundene Elemente. Die „Ersparnismethode“ -. Ebbinghaus ermittelte den Aufwand an Lernwiederholungen, der notwendig ist, um acht 13silbige Reihen nach der bereits geschilderten Art und Weise zu erlernen. Also: je einzelne Reihe solange laut vor sich hersagen, bis man sie fehlerfrei reproduzieren kann. Den so ermittelten Lernaufwand setzte er dann in Beziehung zum Aufwand, der notwendig war, dieselben Silbenreihen nach Verstreichen verschiedener Zeiträume wieder zu lernen. Die „Vergessenskurve“ Das „Vergessen“ verläuft nach Ebbinghaus anfänglich sehr rasch und weiterhin immer langsamer. Trotz aller Einwände, die man gegen Ebbinghaus vorbringen kann, hat sich die von ihm ausgehende Forschungstradition durchaus als praktisch relevant erwiesen. Zur Etablierung dieser Forschungstradition in der Psychologie hat vor allem Georg Elias Müller Entscheidendes beigetragen: 1. 2. 3. 4. die Trennung der Rollen von Versuchsleiter und Versuchsperson die Standardisierung des Verfahrens zur Herstellung der Silbenreihen die apparative Darbietung der Silbenreihen die Einführung der sogenannten Treffermethode Aus der Ebbinghausschen Vergessenskurve lässt sich etwas unmittelbar für die Steigerung der Effizienz von Lernprozessen Brauchbares herleiten: Man könnte das Prinzip als Stoffsicherung durch Wiederholungsstrategien nennen. Gedächtnishemmungen: Die ersten Ansätze zur Untersuchung von Gedächtnishemmungen gehen auf die Publikation von Müller und Pilzecker Experimentelle Beiträge zur Lehre vom Gedächtnis (1900) zurück. von [email protected] Seite 2 von 22 VO Allgemeine Psychologie II aus http://www.univie.ac.at/Psychologie/allgemeine/aep_allgII.htm SS 2002 1. FALL: Wird ein Lernvorgang 1 durch einen zweiten unmittelbar vorangehenden oder nachfolgenden Lernvorgang 2 beeinflusst? Wir verwenden zur Überprüfung dieser Fragen jeweils eine Versuchsgruppe und eine Kontrollgruppe. In der Versuchsgruppe müssen unsere Versuchspersonen zunächst einen bestimmten Lernstoff 1 lernen. Unmittelbar nach Beendigung des Lernvorgangs geben wir ihnen einen zweiten Lernstoff vor. Geprüft wird schließlich Lernstoff 1. In der Kontrollgruppe lernen die Versuchspersonen nur Lernstoff 1. Der Zeitpunkt der Prüfung ist gleich wie bei der Versuchsgruppe. Ergebnis: Die Reproduktionsleistung der KG ist besser als die der VG. Man spricht in diesem Fall von einer „rückwirkenden“, also retroaktiven Gedächtnishemmung. 2. FALL:. Ein Lernvorgang wird durch einen anderen, unmittelbar vorangehenden Lernprozess gestört. Man spricht von einer proaktiven Gedächtnishemmung Der Versuchsaufbau ist analog zum ersten Fall. Jetzt nehmen wir an, dass die Konsolidierungsprozesse des vorangegangenen Lernprozesses sich auf den neuen Lernvorgang störend auswirken. 3. FALL: Das Lernen eines neuen Lernstoffes vor der Reproduktion des ursprünglich gelernten Materials wirkt sich stö rend auf die Wiedergabeleistung aus. Man spricht von einer ekphorischen Gedächtnishemmung. Grundsätzlich gilt für alle Formen der Gedächtnishemmungen: Die Störungen, die sich ergeben, sind umso größer, je ähnlicher sich die beiden Lernstoffe sind. Zweite Vorlesung: Zur Psychologie des Gedächtnisses II: Von Bartlett zum Informationsverarbeitungsansatz in der kognitiven Psychologie Inhalte der VO: • Gedächtnisspur – oder Engramm • Gedächtnistheorie des Aristoteles • statische Auffassung von Gedächtnisprozessen • Sir Frederick Charles Bartlett: Remembering. A study in experimental and social psychology • Qualitatives Experimentieren • ökologischer Validität • Bartlettschen Versuche- Beispiel: The War of the Ghosts • Tendenz zur Rationalisierung • Methode der wiederholten Reproduktion) • persistence of form • Gedächtnis- und Erinnerungsleistungen sind keine bloß reproduktiven Tätigkeiten, sondern produktive oder konstruktive Leistungen. • „Kognitive Wende“ der Psychologie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts • der Mensch als informationsverarbeitendes System • Computermetapher von [email protected] Seite 3 von 22 VO Allgemeine Psychologie II aus http://www.univie.ac.at/Psychologie/allgemeine/aep_allgII.htm SS 2002 • Differenzierung verschiedener Gedächtnissysteme • Mehr-Speicher-Modell • sensorisches Gedächtnis • Kurzzeitgedächtnis- Langzeitgedächtnis • Sperling • George A. Millers • „Chunks“ • „maintenance rehearsal“ Gedächtnisspur – oder Engramm Im weitesten Sinne versteht man darunter die mehr oder weniger dauerhaften strukturellen Veränderungen im Gehirn, in denen sich Lernprozesse niederschreiben – also die materielle Repräsentation von Lernerfahrungen auf neuronaler Ebene. Gedächtnistheorie des Aristoteles Die Erfahrung, die durch die Sinnesorgane aufgenommen wird, hinterlässt, so heißt es bei Aristoteles, in unserem Erinnerungsvermögen ein Bild, ein eikon, „wie jemand, der einen Siegelabdruck in Wachs macht“. SIR FREDERICK CHARLES BARTLETT britischer Psychologe, der von 1931 an an der renommierten Universität zu Cambridge den aller ersten dort eingerichteten Lehrstuhl für Psychologie innehatte. In seinem Buch Remembering. A study in experimental and social psychology übt er Kritik an der auf Ebbinghaus zurückgehenden Tradition der Gedächtnisforschung: Wer – wie Ebbinghaus es getan hat – glaubt, durch eine weitgehende Reduktion der Komplexität des Lernmaterials eine weitgehende Ausschaltung des subjektiven Moments der Gedächtnisvorgänge zu erreichen, um somit diese Gedächtnisvorgänge rein, d. h. isoliert von anderen psychischen Vorgängen und vorangegangenen lebensgeschichtlichen Erfahrungen untersuchen zu können, wer also auf diesem Wege das Gedächtnis an sich erfassen will, der abstrahiert dabei vielleicht gerade von jenen Aspekten, die das eigentliche Wesen der Gedächtnisvorgänge ausmachen. Bartletts Forschungsstil kann man am besten mit dem Terminus „Qualitatives Experimentieren“ beschreiben Seine Daten bildeten Erinnerungsprotokolle und selbstangefertigte Zeichnungen der Versuchsteilnehmer, die unter experimentellen Bedingungen erzeugt wurden, in denen es mehr um die Illustration ihm besonders interessant erscheinender Sachverhalte ging als – um es mit dem Vokabular der heutigen Psychologie auszudrücken – um die Messung der Effekte einer systematischen Variation unabhängiger Variabler auf einige klar definierte abhängige Variable. Ein Beispiel eines Bartlettschen Versuches stellt die Geschichte "The War of the Ghosts" dar – eine Geschichte, die aufgrund der uns als etwas unzusammenhängend erscheinenden Erzählstruktur und der magischen Erzählelemente, die er enthält, für uns alles andere als leicht zu verstehen ist. Nach 15 Minuten sollten die Versuchspersonen den Text schriftlich nacherzählen. In diesen Nacherzählungen war eine Tendenz zur Rationalisierung festzustellen: Wann immer etwas von [email protected] Seite 4 von 22 VO Allgemeine Psychologie II aus http://www.univie.ac.at/Psychologie/allgemeine/aep_allgII.htm SS 2002 verwirrend oder unbegreiflich ist, wird es weggelassen oder „erklärt“, d. h. umgedeutet Methode der wiederholten Reproduktion) Bartlett verlangte seinen Versuchspersonen immer wieder eine Nacherzählung derselben Geschichte– und zwar in ganz unregelmäßigen Zeitabständen – ab. Dabei konnte er zeigen, dass die bei der ersten Reproduktion von jeder Versuchsperson je individuell erzeugte Form oder Struktur der Nacherzählung über alle späteren Reproduktionen hinweg weitgehend unverändert bestehen bleibt: persistence of form Methode der seriellen Reproduktion. Die Reproduktion z. B. einer Nacherzählung einer ersten Versuchsperson wird einer zweiten Versuchsperson vorgelegt, die von ihr produzierte Nacherzählung einer dritten, deren Reproduktion der Nacherzählung der zweiten Person einer vierten und so fort. Bartlett konnte in solchen Versuchreihen auch auf dem Umstand aufmerksam machen, dass die von ihm postulierten Schemata kulturell normiert sind Gedächtnis- und Erinnerungsleistungen sind keine bloß reproduktiven Tätigkeiten, sondern produktive oder konstruktive Leistungen. Gedächtnis ist also ein Aspekt aktiven, kreativen Denkens. „Kognitiven Wende“ der Psychologie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Die kognitive Psychologie ist ihrem eigenen Selbstverständnis nach ein radikaler Gegenentwurf zur behavioristischen Psychologie. Sie betrachtet den Menschen als informationsverarbeitendes System. Die meisten Konzepte und Begriffe der kognitiven Psychologie sind der .Computermetapher verpflichtet. Gedächtnisinhalte sind „Informationseinheiten“, die „enkodiert“, „gespeichert“ und „abgerufen“ werden. Differenzierung verschiedener Gedächtnissysteme Gedächtnis wird jetzt nicht mehr als eine undifferenzierte Einheit aufgefasst, sondern als eine Struktur, die aus mehreren, funktional unterschiedlichen Teilsystemen mit spezifischen Eigenheiten und Aufgaben besteht: Mehr-Speicher-Modell: sensorisches Gedächtnis Kurzzeitgedächtnis Langzeitgedächtnis Prof. Benetka: Es ist mir wichtig, dass Sie erkennen, dass mit dieser Unterscheidung dreier separater Speicher von vornherein eine - letztlich empirisch nicht geprüfte – Annahme impliziert ist: dass es nämlich eine feste Abfolge des Informationsflusses gibt, die der Kontrolle des Subjekts entzogen ist und folglich auch unabhängig ist von den konkreten Inhalten, die verarbeitet werden sollen. von [email protected] Seite 5 von 22 VO Allgemeine Psychologie II aus http://www.univie.ac.at/Psychologie/allgemeine/aep_allgII.htm SS 2002 Sperling Sperlings Verfahren zur Demonstration des ikonischen Gedächtnisses ist einfach. Er verwendete Reizvorlagen, die aus drei Reihen von je drei bzw. je vier Konsonanten bestanden.Diese Muster wurden mit Hilfe eines Apparats („Tachistoskop“) sehr kurz dargeboten (0,05 sec.), die Vpn sollten danach wiedergeben, was sie gesehen hatten: bis zu vier Buchstaben konnten fehlerfrei reproduziert werden (Ganzberichtsverfahren). Problem: Der Inhalt des sensorischen Registers zerfällt schneller, als wir ihn wiedergeben können Lösung: anderes Wiedergabeverfahren à Teilberichtsverfahren Ergebnis: DieKapazität des sensorischen Registers Speichers ist beachtlich groß (12 Buchstaben bei Viererreihe) George A. Millers postuliert folgenden Satz: Der Umfang des Kurzzeitgedächtnis umfasst sieben (plus/minus zwei) unverbundene Einheiten. Beispiel : OSZ – EBM – WAH – SHB. Können Sie sich die Buchstabenfolge nach einmaligen Durchlesen merken? Vermutlich nicht. Es gelingt Ihnen aber sicher, wenn die Buchstaben anders gruppiert, anders kodiert werden: OSZE, BMW, AHS, HB. Jetzt handelt es sich nicht mehr um 14 einzelne Buchstaben, sondern um bekannte Abkürzungen. 14 Informationselemente wurden durch diesen Vorgang auf nur vier unabhängige Einheiten reduziert. Miller bezeichnet eine bedeutungstragende Einheit als „Chunk“. Die Buchstabenfolge O, S, Z, E sind 4 Chunks, die Abkürzung OSZE ist nur ein Chunk. Der Vorgang der Gruppierung heißt daher „Chunking“. Seine Funktion ist klar: Durch Chunking wird eine erhebliche Kapazitätserweiterung des Kurzzeitgedächtnisses erreicht. „maintenance rehearsal“ Der zeitliche Bestand momentan aktivierter Inhalte kann durch Wiederholen gleichsam beliebig verlängert werden. Dritte Vorlesung: ZUR PSYCHOLOGIE DES GEDÄCHTNISSES III: Langzeitgedächtnis: Zur Herausbildung der behavioristischen Psychologie Beitrag der Gestalttheorie zur Psychologie des Gedächtnisses: Zeigarnik-Effekt (Bluma ZEIGARNIK): UNERLEDIGTE HANDLUNGEN WERDEN LEICHTER ERINNERT ALS ERLEDIGTE (in einer experimentellen Untersuchung konnte sie diesen Effekt bestätigen). Die Russin Zeigarnik war eine LEWIN-Schülerin (er entwickelte in den späten 20er Jahren in Berlin die Feldheorie). Die Erklärung des Zeigarnik-Effekts erfolgte dann entsprechend der Lewinschen Psychologie: Durch den erzwungenen Abbruc h einer begonnenen Handlung entsteht von [email protected] Seite 6 von 22 VO Allgemeine Psychologie II aus http://www.univie.ac.at/Psychologie/allgemeine/aep_allgII.htm SS 2002 eine bedürfnisartige Spannung. Diese Spannung, die von unerledigten Handlungen ausgeht ist dann von Bedeutung, wenn man sie erinnern will (Anschauungsmaterial: feldtheoretische Skizze). Die Untersuchung von Zigarnik war nicht primär an Erinnern und Gedächtnis interessiert. Im Zentrum steht der dynamische Aspekt, etwas das mit Wille und Bedürfnis zu tun hat; in der modernen Terminologie mit Motivation bezeichnet. Modelle der kognitiven Psychologie zur Erklärung von Gedächtnisleistungen: Das LANGZEITGEDÄCHTNIS (LZG): Es repräsentiert gleichsam unsere psychische Vergangenheit (im Gegensatz zum KZG, das die psychische Gegenwart repräsentiert). Differenzierung des LZG zwischen einem deklarativen Gedächtnis und einem prozeduralen Gedächtnis Die moderne kognitive Psychologie beschäftigt sich hauptsächlich mit dem deklarativen Gedächtnis. Der kanadische Psychologe Endel TULVING hat in Bezug auf das deklarative Gedächtnis die Notwendigkeit betont, zwischen einem semantischen und einem episodischen Gedächtnis zu unterscheiden. Semantisches Gedächtnis: Eine Art geistiges Wörterbuch (enthält unseren ganzen Wortschatz), verschiedene Sets von Regeln (grammatische, logische, mathematische) sowie erlerntes Wissen über Sachverhalte und verschiedene Wissensgebiete Episodisches Gedächtnis: Repräsentiert Erinnerungen an konkrete persönliche Ereignisse (sozusagen Informationen darüber, was wir wo und wann erlebt haben); alles was wir an konkreten Lebens- und Handlungserfahrungen gemacht haben. Wissensspeicherung und Reproduktionsleistung: Begriffshierarchien: Begriffe sind sozusagen die Grundbausteine, über die unser Wissen über die Welt im semantischen Gedächtnis repräsentiert ist. Weiters ist die Annahme naheliegend, dass einzelne Begriffe nicht voneinander isoliert, sondern netzartig miteinander assoziiert sind. Frühe Netzwerktheorien der Wissensspeicherung: Allan M. COLLINS und M. Ross QUILLIAN (1969). Komplexere Netzwerkmodelle: Sie setzen nicht mehr an Begriffen als Basiseinheit des Netzwerkes an, sondern an so genannten propositionalen Repräsentationen. (Vereinfacht kann man sagen, dass eine Proposition im philosophischen Sinn etwas ist, das als wahr behauptet wird. Wichtig ist, dass eine Proposition etwas anderes ist als ein Satz. Ein Satz ist eine wohlgeformte Folge von Worten, durch die bei einem sinnvollen Satz etwas ausgedrückt wird. Das was mit diesem sinnvollen Satz behauptet wird, ist eben die Proposition). von [email protected] Seite 7 von 22 VO Allgemeine Psychologie II aus http://www.univie.ac.at/Psychologie/allgemeine/aep_allgII.htm SS 2002 Bezeichnung umfassender Einheiten der Wissensrepräsentation: Schema In einem Schema oder in Schemata ist sozusagen unser Wissen über verschiedenste, teils sehr komplexe Sachverhalte zusammengefasst. Bei Schemata handelt es sich nicht einfach um eine Erweiterung propositionaler Repräsentations-Modelle! Schemata sind in mehreren Ebenen geordnet (hierarchisch geordnete Teilschemata). Klassisches Beispiel in der Gedächtnispsychologie ist das Restaurantbesuch-Schema. Schemata hängen eng mit Erwartungen zusammen und können natürlich auch für Schlussfolgerungen genutzt werden. Experiment von W.F. BREWER und J.C. TREYENS (1981) Schemata erleichtern zum einen das Erinnern; sie sind aber zum anderen auch die Ursache von Erinnerungsverzerrungen. Skript-Theorie von Robert P. ABELSON: Im Gegensatz zu klassichen SchemaTheorien betont er nicht nur die hierarchische Organisation der Einzelkomponenten, sondern auch die zeitliche Reihenfolge und meint auch, dass Skripts nicht nur unsere Informationsverarbeitung, sondern auch unser konkretes Handeln anleiten. Duale Kodierung: Allan PAIVIO (1971) Paivio unterscheidet zwei voneinander unabhängige Repräsentationssystems: ein verbales (semantisches) und ein visuelles (Vorstellungsbilder) System. Fünfte Vorlesung Zur Psychologie des Lernens II: Thorndike, Hull und Skinner Das letzte Mal habe ich Ihnen in aller Eile die Grundprinzipien dessen, was man Klassische Konditionierung nennt, dargestellt: Also: das Verfahren selbst, dann die Löschung, spontane Erholung, Reizgeneralisierung, Reizdiskrimination, experimentelle Neurosen, schließlich auch die Konditionierungen höherer Ordnung. Sie werden sehen: alles das werden wir heute wieder brauchen. Bevor ich Sie aber weiter in die Lernpsychologie (und damit auch weiter in die Geschichte des Behaviorismus) einführen werde, möchte ich noch ein paar Bemerkungen zur Klassischen Konditionierung nachtragen. Vielleicht haben einige unter Ihnen sich nach meiner Darstellung der Pawlowschen Experimente gefragt, was denn das eigentlich mit Psychologie zu tun haben soll. Das ist vielleicht zur Erziehung von Haustieren ganz nützlich – aber sonst? Nun, ganz so ist es wieder auch nicht. Z. B. können bestimmte Aspekte des Spracherwerbs durch das Modell der Klassischen Konditionierung gut erklärt werden: z. B. das Lernen konnotativer Bedeutung von Wörtern: Wir können uns den Sachverhalt zunächst einmal allgemeine formulieren: Wenn ein bestimmtes Wort (das Wort fungiert als S 0) mehrmals gleichzeitig oder kurz von [email protected] Seite 8 von 22 VO Allgemeine Psychologie II aus http://www.univie.ac.at/Psychologie/allgemeine/aep_allgII.htm SS 2002 hintereinander mit einem bestimmten Reiz (UCS) auftritt, dann wird die zunächst nur vom Reiz UCS) ausgelöste Reaktion auch vom Wort allein hervorgerufen. Also: Sie streicheln z. B einem Kleinkind über den Kopf und sagen dazu: Super! Das Streicheln löst positive Gefühle, also eine positive Reaktion aus. Wir können es als UCS auffassen, die positive Reaktion entsprechend als UCR. Nach mehrmaliger gleichzeitiger Darbietung mit dem UCS ruft schließlich auch der ursprünglich neutrale Reiz („Super“) allein (also ohne Streicheln!) die positive Reaktion (wenn auch abgeschwächt!) aus. Aus dem S 0 ist also ein CS geworden. Vor allem für die Sozialpsychologie, aber auch für die Medien- und Werbepsychologie bedeutsam sind in diesem Zusammenhang Konditionierungen höherer Ordnung: Konnotationen werden nicht mehr ausschließlich von Reizen (Streicheln) auf Wörter („super“), sondern auch von Wörtern auf Wörter übertragen. Z. B.: Ein zunächst neutrales Wort, das mehrmals unmittelbar vor oder nach positiv konnotierten Wörtern (z. B: „super“) dargeboten wird, erhält dadurch selbst eine positive Konnotation. Damit haben wir einen auch in der Pawlowschen Theorie hoch interessanten Bereich betreten: Stellen Sie sich vor, Sie erhalten eine schreckliche Nachricht. Egal, wie Ihnen diese Nachricht vermittelt wird: ob per Telefon (Sinnesmodalität Hören), oder durch ein Telegramm (Sinnesmodalität Sehen): sie wird eine starke Reaktion auslösen: z. B.: Sie werden kreidebleich und beginnen zu weinen. Es ist wichtig, dass Sie sehen, dass diese Reaktion allein durch den Inhalt, die Bedeutung der Nachricht ausgelöst wird (der physikalische Reiz und die Sinnesmodalität spielen dabei keine Rolle!). Also allgemein: Sprachsymbole können eine starke Reaktion hervorrufen. Sprachsymbole sind für Pawlow nichts anderes als Signale von Signalen; er spricht deshalb von einem zweiten Signalsystem, das die Wirkungen der Signale erster Ordnung – bis zu einem gewissen Grade – hemmen und regulieren kann. In diesem Kontext gut empirisch untersucht ist z. B. das, was man als semantische Generalisation bezeichnet. Das Prinzip ist sehr einfach: Die auf ein bestimmtes Wort erfolgte Konditionierung wird auf andere, - und das ist jetzt entscheidend – inhaltlich ähnliche Wörter generalisiert. Lautliche Ähnlichkeit (das würde einer Ähnlichkeit der Reize entsprechen) spielt dabei keine Rolle. In der Psychologie zu einiger Bekanntheit gelangt ist ein Experiment, das die russische Psychologin W. D. Wolkowa mit einem dreizehnjährigen Jungen durchgeführt hat: Das russische Wort choroscho (gut) wurde dabei mit einem unmittelbaren Auslöser für Speichelfluss (!) gekoppelt. Danach wurde überprüft, inwieweit ganze Sätze, deren Bedeutung von von [email protected] Seite 9 von 22 VO Allgemeine Psychologie II aus http://www.univie.ac.at/Psychologie/allgemeine/aep_allgII.htm SS 2002 Bürgern der UDSSR gemeinhin als gut bezeichnet wurden, ebenfalls eine bedingte Reaktion auslösen konnten. Sätze wie „Die sowjetische Armee war siegreich“ oder: „Der Pionier hilft seinen Kameraden“ hatten stärkeren Speichelfluss zur Folge als der ursprüngliche CS, also das Wort choroscho. Das Experiment zeigt also zweierlei: erstens den Aufbau einer Konditionierung höherer Ordnung, wobei zweitens die Reaktion von dem CS mit UCS Funktion – einem einzigen Wort – auf einen ganzen Satz übertragen wurde. Ich habe Ihnen das letzte Mal gezeigt, dass Watson, als er die Pawlowsche Methode des bedingten Reflexes für sich entdeckte, endlich jenes Werkzeug in den Händen zu halten glaubte, um die Möglichkeit einer Psychologie ohne Bewusstsein nicht nur behaupten, sondern auch experimentell demonstrieren zu können. Diese Rolle der russischen Physiologie in Watsons Programmatik ist bemerkenswert, weil etwa zur gleichen Zeit, als Pawlow seine Untersuchungen über den bedingten Reflex begann, in den USA selbst ein neues Lernparadigma entwickelt worden ist, dessen Brauchbarkeit für die Entwicklung einer behavioristischen Psychologie offenbar aber erst allmählich erkannt wurde. Mag sein, dass der Hauptgrund dafür darin zu sehen ist, dass es Edward Lee Thorndike in seiner nachmals so berühmt gewordenen Dissertation über „Animal Intelligence: An Experimental Study of Associative Processes in Animals“ primär eigentlich um den Nachweis erblich bedingter Differenzen in der Ausbildung neuer Verhaltensweisen gegangen war. Von erblich bedingten Differenzen wollte ein radikaler Milieutheoretiker wie John Broadus Watson natürlich nichts wissen. Thorndike war ein Forscher, der auf den Entwicklungsgang der amerikanischen Psychologie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen überragenden Einfluss ausgeübt hat – und das, obwohl er gerade kein Behaviorist war. Das, was Thorndike vor allem in die amerikanische Psychologie eingebracht hat, war sozusagen die Demonstration, dass der Anspruch auf strenge Wissenschaftlichkeit (d. h. der Anspruch auf Naturwissenschaftlichkeit) psychologischer Forschung und der Anspruch auf unmittelbar praktische Relevanz der Ergebnisse dieser Forschung durchaus glaubhaft zusammen vertreten werden konnten. Eben daran waren aber auch Watson und die Neobehavioristen und radikalen Behavioristen nach ihm interessiert. Thorndikes frühe Tierexperimente von 1898, und da vor allem seine Experimente mit Katzen, sind in die Geschichte der Psychologie eingegangen. Thorndike hat hungrige Katzen in einen Käfig aus Holzlatten gesperrt. Die Katzen konnten diesem Käfig („puzzle-box“) entkommen und einen Futternapf erreichen, wenn sie den Riegel einer von [email protected] Seite 10 von 22 VO Allgemeine Psychologie II aus http://www.univie.ac.at/Psychologie/allgemeine/aep_allgII.htm SS 2002 Tür öffneten. Dazu mussten sie – je nach Konstruktion der puzzle-box, einen bestimmten Mechanismus oder mehrere Mechanismen hintereinander mit ihren Pfoten auslösen. In der folgenden Abbildung sehen Sie eine einfache PuzzeleBox. Die Katze muss mit der Pfote am Seil ziehen, um aus dem Käfig entfliehen zu können. Also. Wir sperren eine Katze hinein. Was wird sie tun? Sie wird alles „ankrallen“, was sie mit ihren Pfoten erwischt – irgendwann wird die dann zufällig auch das Seil mit der Pfote herunterziehen, also allgemein: den Mechanismus betätigen, der die Tür öffnet. Setzt man jetzt dieselbe Katze immer wieder in dieselbe puzzle -box, so wird die Menge unnützer Versuche stetig abnehmen, die Katze wird immer weniger unnütze Bewegungen verschwenden, bis sie den Käfig zu öffnet. Die unnützen Bewegungen werden sozusagen Schritt für Schritt gelöscht, der besondere Impuls, der zur erfolgreichen Ausführung führt, wird durch die erreichte Befriedigung eingeprägt, bis die Katze schließlich nach vielen Durchgängen, wenn sie erneut in den Käfig gesteckt wird, sofort – also ohne Umweg, den richtigen Mechanismus betätigt. Die Katzen „lernten“ also durch „trial and error, and accidental success“. Der Erfolg eines Bewegungsablaufs – genauer die dadurch erreichte Befriedigung, oder, wie Thorndike es später nannte, die dadurch erreichte Zufriedenheit („satisfaction“), bewirkt, dass dieser Bewegungsablauf „eingeprägt“, gelernt wird. Dieses Prinzip nannte Thorndike „the law of effect“ (Gesetz des Effekts). Versuchen wir uns, dieses Gesetz möglichst allgemein zu formulieren: Die Versuchstiere lernen, bestimmte Situationen mit Aktionen zu verknüpfen. Solche mit Situationen verknüpfte Aktionen nannte Thorndike „habits“, „Gewohnheiten“. Habits entstehen, indem unter verschiedenen Aktionen, die auf dieselbe Situation hin ausgeführt werden, diejenigen stärker mit der Situation verknüpft werden, die von einem für das Tier befriedigenden Zustand begleitet oder innerhalb kurzer Zeit gefolgt werden. Zudem hängt die die Bildung von Habits natürlich aber auch von der Häufigkeit ab, mit der diese bestimmte Aktion in einer bestimmten Situation ausgeführt werden kann, also von der Anzahl der Lerndurchgänge: Dieses zweite Gesetz nannte Thorndike law of exercise, das Gesetz der Übung. Es ist wichtig, den Unterschied zur Pawlowschen Theorie zu sehen. Pawlows Konzept des bedingten Reflexes fokussiert auf die Verknüpfung zweier Reize (CS und UCS); in Thorndikes Konzept, für das sich der amerikanischen Psychologie von [email protected] Seite 11 von 22 VO Allgemeine Psychologie II aus http://www.univie.ac.at/Psychologie/allgemeine/aep_allgII.htm SS 2002 später der Begriff der „instrumentellen Konditionierung“ durchgesetzt hat, bezieht sich Lernen auf die Verknüpfung von situativen Bedingungen (also Reizen) und Reaktionen darauf. Was ist die richtige Lerntheorie? Sind beide Paradigmen in einer einheitlichen Lerntheorie zu vereinigen? Oder schließen die beiden Ansätze einander aus. In diesem Zusammenhang sind zum Teil sehr komplexe theoretische Systeme entstanden; am wichtigsten, weil in wissenschaftstheoretischer Hinsicht voll auf der Höhe der Zeit der theoretischen Diskussionen in den fortgeschrittenen naturwissenschaftlichen Disziplinen, ist das von Cla rk L. Hull entwickelte System einer allgemeinen Theorie des Verhaltens. In seinem Versuch der Vereinheitlichung der beiden Lern-Paradigmen spielen dann im weitesten Sinne motivationale Momente eine entscheidende Rolle. Dabei lieferte das von Hull entwickelte Modell zunächst nichts anderes als eine begriffliche Präzisierung der Thorndikeschen Gesetz des Effekts. Das zentrale Konzept war das des Triebes (drive): Ganz gleich, ob ein Verknüpfung von zwei Reizen oder eine Verknüpfung von Reiz und Reaktion „gelernt“ wird: der Lernprozess hat immer einen inneren Antriebszustand zur Voraussetzung. Im Grunde ist das, was Hull unter einem Drive versteht, ein physischer Mangelzustand: Im Organismus hat sich ein für sein Überleben optimales Gleichgewicht der physiologischen Vorgänge verschoben. Dieser Triebzustand kann als eine Art unspezifische Erregung oder Aktivierung vorgestellt werden, mit der bestimmte innere Reizereignisse verbunden sind, die den Organismus gleichsam über seinen Zustand informieren. Für den in quantitativer Hinsicht variablen Triebzustand steht im Hullschen System der Buchstabe D; für den Triebreiz SD. Unter gegebenen Reizbedingungen (z. B. Käfig) zeigt der Organismus eine Fülle von motorischer Aktivität; jene Verhaltensfolgen, die zu einer Reduktion des Triebzustandes führen, werden dadurch, dass sie eben triebreduzierend wirken, also den Mangelzustand aufheben, bekräftigt: „Bekräftigung“ erfolgt also durch Triebreduktion. In seinem späteren Modell hat Hull zudem auch noch ein zweite, vom Triebzustand unabhängige motivationale Komponente eingeführt: den Anreiz K, der von einer bestimmten Bekräftigungssituation ausgeht. Machen wir uns klar, worum es Hull eigentlich zu tun ist: Hull will mit seinem System präzise voraussagen, wann ein bestimmtes Verhalten auftritt und wann nicht. Das Auftreten eines Verhaltens hängt also grundsätzlich von Lernprozessen ab, die sich in der beschriebenen Art vollziehen sollen. Durch Bekräftigung durch Triebbefriedigung wird die Verknüpfung von Reizen mit Reaktionen, also die von [email protected] Seite 12 von 22 VO Allgemeine Psychologie II aus http://www.univie.ac.at/Psychologie/allgemeine/aep_allgII.htm SS 2002 Ausbildung von Habits gelernt. Die Habitstärke kann – und zwar in Abhängigkeit von der Anzahl der Lerndurchgänge – variieren. Sie soll sich im Übrigen mathematisch exakt berechnen lassen. Und zwar aufgrund des folgenden gesetzmäßigen Zusammenhangs: Wenn Bekräftigungen in gleichmäßigen Abständen einander folgen, wächst – unter sonst gleichen Bedingungen – die Gewohnheit H als beschleunigte Funktion der Zahl von Wiederholungen, und zwar nach der Gleichung H = 1 – 10 –0,0305N Ob ein Organismus in einer bestimmten Situation ein bestimmtes Verhalten zeigt oder nicht zeigt, hängt also ab von der Habitstärke; jetzt kommen als Variable noch die motivationalen Komponenten hinzu: also die jeweils bestehende Intensität der Triebstärke D und die Stärke des Anreizes K; schließlich muss in dem Modell auch noch berücksichtigt werden, dass auch die Intensität des Auslöserreizes (I) variabel ist. Wie sollen diese Bestimmungsgrößen zusammen wirken? Hull glaubte experimentell zeigen zu können, dass sich die Inte nsitäten der einzelnen Variablen gegenseitig verstärken. Dem wird schließlich mit einer multiplikativen Funktion Rechnung getragen: E STEHT IN DER GLEICHUNG FÜR REAKTIONSPOTENTIAL E=HxDxIxK Das mag zur sehr oberflächlichen Orientierung über das Hullsche System genügen. Ich kann Sie beruhigen. Alles das, was jetzt noch folgt, dem ist vergleichsweise leicht zu folgen. Dass hat vor allem damit zu tun, dass jener Forscher, der schließlich die für die Psychologie des Lernens einflussreichste Weiterentwicklung des Behaviorismus geliefert hat, ein erklärter Gegner jeder Art von theoretischer Konstruktion war. Skinners Theorie besticht sozusagen durch ihre Einfachheit und Plausibilität – und durch die Radikalität, mit der jede Bezugnahme auf innere Vorgänge im Organismus vermieden wird. In Skinners Forschungsprogramm lässt sich am leichtesten einführen, wenn man sich auf die Versuchsanordnung bezieht, die er zur experimentellen Demonstration seines Ansatzes erfunden hat: In der folgenden Abbildung sehen Sie die berühmt-berüchtigte Skinner-Box. Was fehlt, ist nur die weiße Ratte, die da drin von [email protected] Seite 13 von 22 VO Allgemeine Psychologie II aus http://www.univie.ac.at/Psychologie/allgemeine/aep_allgII.htm SS 2002 herumturnt. Sie sehen, das ist eine sehr einfache Einrichtung. Das entscheidende Ding in diesem Käfig ist der Hebel. Um den wird sich alles drehen. Also: Wir setzen eine Ratte in die Box, und sie wird da drinnen alles Mögliche machen: Herumschauen, an den Wänden kratzen, herumschnuppern, vielleicht auch einmal ihr Geschäft verrichten; gelegentlich wird sich auch einmal auf den Hebel drücken. Wir schauen ihr einfach zu dabei, und zählen, wie oft sie das Verhalten Hebel drücken in einer gegebenen Zeiteinheit zeigt. (Ein Vorteil der ganzen Versuchsanordnung ist, dass wir der Ratte bei der ganzen Prozedur eigentlich gar nicht zuschauen müssen: alles, was uns interessiert, ist, wann und wie oft sie den Hebel drückt – und das können wir durch eine entsprechende Apparatur einfach automatisch aufzeichnen lassen). Wir bestimmen damit, um gleich einmal einen Fachterminus einzuführen, die Grundhäufigkeit dieses Verhaltens – die Basisrate. Dann können wir mit dem eigentlichen Experiment beginnen: Nach jedem Hebeldrücken fällt jetzt eine kleine Futterpille in den Futternapf. Dadurch beginnt sich die Häufigkeit dieses Verhaltens zu ändern. Die Auftrittshäufigkeit steigt zunächst rasch an, dann immer langsamer, bis sozusagen wieder eine konstante Häufigkeit erreicht ist, die jetzt aber deutlich höher liegt als die Basisrate. Es handelt sich dabei also wiedereinmal um einen uns jetzt schon sattsam bekannten negativ bescheunigten Kurvenverlauf. Wenn wir dann von einem bestimmten Zeitpunkt an die Verabreichung von Futterpillen einstellen, dann wird die Häufigkeit des Hebeldrückens wieder absinken, bis schließlich wieder die ursprüngliche Basisrate erreicht ist. Es wird Sie nicht weiter überraschen, dass dieser Vorgang als Extinktion bezeichnet wird. Der gesamte Vorgang lässt sich grafisch in etwa wie folgt darstellen. Damit ist auch schon das Prinzip der sogenannten operanten Konditionierung dargestellt. Um diesen Begriff zu erklären, müssen wir nochmals zurück zu jenem Punkt der heutigen Vorlesung, von dem aus ich Ihnen die Theorie des Verhaltens von Hull entwickelt habe. Hull war es, so habe ich argumentiert, um eine Vereinheitlichung der beiden experimentellen Paradigmen von Pawlow und Thorndike zu tun gewesen. Eben diesen Weg wollte Skinner nicht gehen. Er beharrte darauf, dass es sich dabei um zwei verschiedene Sachverhalte handelte. Pawlow hat in seinen Experimenten Verhalten untersucht, das an bestimmte Auslöserreize gebunden ist – also Reflexe; Thorndike hingegen Verhalten, das irgendwie zum spontanen Verhaltensrepertoire des Versuchstieres zählt. Letzteres bezeichnete Skinner als Operanten. Operanten sind also einfach und präzise zu definieren: Es handelt sich um Verhaltensweisen, die an keine Auslöserreize gebunden sind, in diesem Sinne also spontan auftreten. Der Unterscheidung von Reflexen und Operanten entsprechen dann nach Skinner zwei verschiedene Arten von von [email protected] Seite 14 von 22 VO Allgemeine Psychologie II aus http://www.univie.ac.at/Psychologie/allgemeine/aep_allgII.htm SS 2002 Konditionierung: Konditionierung vom Typ S (respondente Konditionierung = klassische Konditionieriung nach Pawlow) und Konditionierung vom Typ R (= operante Konditionierung) Skinner wollte ursprünglich eigentlich Schriftsteller werden. Für kurze Zeit hat er dann auch als Journalist gearbeitet, bevor er in Havard Psychologie zu studieren begann. Seine schriftstellerische Begabung (ein Begriff den Skinner selbst wohl abgelehnt hätte) und auch sein trockener Humor trugen viel zur überragenden Wirkung seiner Schriften in Psychologie bei. Wie Watson, so hat auch Skinner seine radikale Version des Behaviorismus als eine Art Universalmittel zur Lösung aller sozialen Probleme angeboten. 1948 ließ er einen viel gelesen utopischen Roman erscheinen, den er in Anspielung Henry David Thoreaus Klassiker Walden oder Leben im Wald (1854) – Walden Two betitelte. Darin wird eine Gemeinschaft beschrieben, die ihr Zusammenleben ganz nach den von Skinner beschriebenen Gesetzten der behavioristischen Lerntheorie regelte. (Im übrigen gibt es seit 1973 in Mexiko eine Art Kommune, eine Communidad Los Horncones, die Skinners Visionen eines behavioristisch kontrollierten Zusammenlebens zu verwirklichen sucht. Einen weit über die engen Fachgrenzen hinaus gehenden Leserkreis fand schließlich auch sein Buch: Beyond Freedom and Dignity aus dem Jahr 1971, das 1973 auf Deutsch unter dem Titel: Jenseits von Freiheit und Würde erschien. Skinner erhielt 1948 einen Ruf an die renommierte Havard University, wo er bis zu seinem Lebensende lehrte. Doch jetzt zurück zur Skinner-Box und zu Skinners operanter Konditionierung! Skinner hat nicht nur mit Ratten, sondern vor allem auch mit Tauben experimentiert. Hier sehen sie ein typische Skinner-Box für Tauben. Die Taube drückt keinen Hebel, sondern pickt mit dem Schnabel auf eine Scheibe. Das Prinzip bleibt sich also gleich. Wir haben gesehen, dass, wenn unmittelbar auf das erwünschte Verhalten (Hebeldrücken, Scheibenpicken) eine Futterpille verabreicht wird, die die Häufigkeit des Verhaltens zunimmt. Die Futterpille stellt also einen positiven Reiz dar; man sagt auch Verstärker. Den Vorgang selbst nennt man positive Verstärkung. Allgemein formuliert: Ein positiver Reiz, der auf ein Verhalten folgt, erhöht die Auftrittswahrscheinlichkeit dieses Verhaltens. Die Auftrittswahrscheinlichkeit eines Verhaltens kann auch dadurch erhöht werden, dass auf dieses Verhalten ein negativer Reiz, ein aversiver Reiz, endet oder entfernt wird. Man spricht dann von negativer Verstärkung: Allgemein: Die Auftrittswahrscheinlichkeit eines gewünschten Verhaltens steigt, wenn auf dieses Verhalten die Ausblendung eines aversiven Reizes (z. B. Stromschlag) folgt. von [email protected] Seite 15 von 22 VO Allgemeine Psychologie II aus http://www.univie.ac.at/Psychologie/allgemeine/aep_allgII.htm SS 2002 Aversive Reize, die auf ein bestimmtes Verhalten hin folgen, bewirken eine Abnahme der Verhaltenshäufigkeit. Man spricht von Bestrafung. Genauer: von Bestrafung vom Typ 1 („positive Bestrafung“). Unter Bestrafung vom Typ 2 („negative Bestrafung“) versteht man, dass ein positiver Reiz infolge des Auftretens einer bestimmten Verhaltensweise entfernt wird. Damit sind die wenigen Grundbegriffe, mit denen Die Skinnersche Theorie auskommt, auch schon eingeführt. Die bisher getroffenen Unterscheidungen sind in der folgenden Abbildung dargestellt. Ein grüner Pfeil, der nach oben zeigt, bedeutet Erhöhung der Auftrittswahrscheinlichkeit, ein roter Pfeil, der nach unten zeigt, Senkung der Auftrittswa hrscheinlichkeit eines Verhaltens. Viele Alltagssituationen lassen sich in diesen Termini (in den Termini von positiver und negativer Verstärkung bzw. von Bestrafung) erklären. Spektakulär sind vor allem Experimente, in denen gezeigt wird, dass auch so komplexe Sachverhalte, wie etwa die Häufigkeit, mit der eine Person in einem Gespräch spontan bestimmte Themen anspricht, sich nach der am Paradigma der Skinner-Box entwickelten Prinzipien konditionieren sind. Man spricht in diesem Zusammenhang von verbalem Konditionieren. Das ist übrigens wieder ein Vorgang, den Sie leicht in Alltagssituationen überprüfen können. Ein typisches Experiment zum verbalen Konditionieren ist in etwa wie folgt aufgebaut: Der Vl führt ein einfaches Gespräch mit der Vpn (ca 10 min), greift selbst nicht ein – Basisrate bestimmter Sätze wird festgestellt. Dann beginnt die Prozedur. Bestimmte erwünschte Sätze (z. B. Sätze, in denen die Vp über sich erzählt) werden positiv verstärkt (und zwar durch Zuwendung: Nicken mit dem Kopf, beifälliges „Ja“ etc.), alle anderen Sätze nicht. Die Häufigkeit entsprechender Sätze nimmt zu. Nach etwa wieder 10 min. Beginn mit der Extinktion – positive Verstärkung wird eingestellt, Häufigkeit der gewünschten Sätze sinkt wieder auf die Basisrate ab. Wie beim Klassischen Konditionieren sind jetzt auch beim operanten Konditionieren die Prozesse von Generalisation und Diskrimination zu demonstrieren. Z. B. kann man, wenn man mit Tauben arbeitet, etwa wie folgt vorgehen: Während der Lernphase werden Tauben positiv verstärkt, wenn sie auf eine leuchtende Scheibe picken. Die Scheibe leuchtet immer in derselben Farbe, z. B. gelbgrün. In der anschließenden Extinktionsphase wechselt die Lichtfarbe der Scheibe ständig und in zufälliger Reihenfolge. Das erwünschte Verhalten tritt beim ursprünglichen Reiz am häufigsten auf, bei ähnlichen Reizen (z. B. gelb oder grün) schon etwas weniger. Je von [email protected] Seite 16 von 22 VO Allgemeine Psychologie II aus http://www.univie.ac.at/Psychologie/allgemeine/aep_allgII.htm SS 2002 unähnlicher die Lichtfarbe dem ursprünglichen Reiz ist, desto seltener pickt die Taube auf die Farbscheibe. Das komplementäre Phänomen zur Genralisation ist die Diskrimination. Wir unterziehen die Tauben jetzt einem Diskriminationstraining, das dazu führen soll, dass das gewünschte Verhalten nur in Gegenwart eines bestimmten Reizes, also reiz- oder situationsspezifisch auftreten soll. Man geht dabei folgendermaßen vor. Schon während der Lernphase ändert sich die Lichtfarbe der Pickscheibe häufig und in zufälliger Reihenfolge. Das Picken auf die Scheibe wird jetzt aber nur dann verstärkt, wenn die Scheibe gelbgrün leuchtet. Die gelbgrüne Lichtfarbe wird somit zu einem diskriminativen Reiz SD. Nach dem Diskriminationslernen tritt das Verhalten mit großer Häufigkeit nur in Anwesenheit des SD bzw. – wenn auch entsprechend weniger häufig – in Anwesenheit von Reizen, die dem SD ähnlich sind, auf. Bei allen anderen Lichtreizen praktisch nicht mehr. Die Tauben haben also gelernt, das ihr Verhalten nur beim Vorliegen bestimmter Reizgegebenheiten, nicht jedoch bei anderen eine Wirkung hat. (Vorsicht: diese Terminologie hätte Skinner, weil sie mentalistisch ist, scharf von sich gewiesen. Eine wichtige Unterscheidung in der Skinnerschen Theorie ist die zwischen primären und sekundären Verstärkern. Primäre Verstärker sind solche Reize, deren verstärkende Wirkung schon vor jeder Lernerfahrung vorha nden ist: z. B. Nahrung, Wasser etc. Mit Hull könnten wir sagen, dass sie physiologische Bedürfnisse befriedigen: eben Hunger, Durst etc. Den Ausdruck „Bedürfnis“ hat Skinner natürlich vermieden. Alle Beispiele aus Tierversuchen, die wir bis jetzt besprochen haben, hatten mit solchen primären Verstärkern (Futter) zu tun gehabt. Im Experiment zum verbalen Konditionieren allerdings haben wir schon eine andere Art von Verstärker kennen gelernt. „Zuwendung“ befriedigt keine physiologischen Bedürfnisse – sie ist kein primärer, sondern ein sekundärer Verstärker. Sekundäre Verstärker sind ursprünglich neutrale Reize – also Reize, die, wenn sie auf ein bestimmtes Verhalten folgen, auf die weitere Auftrittswahrscheinlichkeit dieses Verhaltens nicht beeinflussen. Wie aber erhalten diese ursprüngliche neutralen Reize sozusagen Verstärkerfunktion? Durch Typ S-Konditionierung, also durch klassische Konditionierung. Allgemein formuliert: Ein an sich neutraler Reiz wird durch häufige gemeinsame Darbietung mit einem primären Verstärker zu einem sekundären Verstärker, der nun selbst die Auftrittswahrscheinlichkeit eines Verhaltens zu verstärken vermag. Z. B. Ratte in der Skinner-Box. Die Verabreichung jeder Futterpille wird mit einem Geräusch verbunden. Nach mehreren Wiederholungen wirkt das Geräusch allein als Verstärker. von [email protected] Seite 17 von 22 VO Allgemeine Psychologie II aus http://www.univie.ac.at/Psychologie/allgemeine/aep_allgII.htm SS 2002 Auf der Theorie der sekundären Verstärker baut letztlich auch das Prinzip der so genannten „token economies“ auf, das in klinischen Zusammenhängen, vor allem in der Psychiatrie eingesetzt wird: Erwünschte Verhaltensweisen der Patienten (z. B. in Bezug auf Körperhygiene oder Medikamenteneinnahme) werden durch das Pflegepersonal mit Gutscheinen oder Münzen verstärkt, die die PatientInnen dann gegen eine Reihe von Vergünstigungen und Belohnungen eintauschen können. Nicht nur materielle Belohnungen oder (wie beim verbalen Konditionieren) persönliche Zuwendungen wirken verstärkend, sondern auch Aktivitäten: Eine Aktivität, die gerne ausgeführt wird, (=Aktivität mit hoher Auftrittswahrscheinlichkeit) kann als Verstärker für die Durchführung einer weniger beliebten Aktivität (=Aktivität mit niederer Auftrittswahrscheinlichkeit) eingesetzt werden. Das ist natürlich ein sehr banales Prinzip, dass Sie aus dem Alltag gut kennen: Die Aussicht auf Freizeit und Spielen wirkt positiv verstärkend auf das Hausaufgaben machen. Man spricht in diesem Zusammenhang vom Premack-Prinzip, das nach seinem Entdecker, dem Psychologen David Premack benannt ist. In meiner bisherigen Darstellung bin ich implizit immer davon ausgegangen, dass beim operanten Konditionieren jedes Auftreten des gewünschten Verhaltens verstärkt wird. Das kann, muss aber nicht der Fall sein. Wenn ein Verhalten nur manchmal verstärkt wird, führt das trotzdem zu einer Ansteigen der Sauftrittswahrscheinlichkeit. Die Art und Weise, wie verstärkt wird, bezeichnet man mit dem Terminus Verstärkerplan. Wird jedes Auftreten des gewünschten Verhaltens verstärkt, spricht man von einem kontinuierlichem Verstärkerplan. Wird nicht jedes Auftreten verstärkt, so „intermittierenden Verstärkerplan“ nennt man das entsprechend einen Folie: Prinzip der kontinuierlichen Verstärkung Es gibt mehrere Möglichkeiten, intermittierend zu verstärken: Man kann die Verstärkung erst nach einer bestimmten Anzahl von Reaktionen geben (z. B. nur jeder vierte Operant wird verstärkt) – „Quotenplan“, oder man gibt die Verstärkung jeweils für die erste Reaktion nach dem Ablauf eine bestimmten Zeitinterinvalls – „Intervallplan“. Quotenpläne und Intervallpläne können fix (fest) oder variabel gestaltet werden. Bei festen Plänen erfolgt die Vertärkung völlig regelmäßig: also jeder vierte Operant wird verstärkt (fest Quotenplan); genau nach Ablauf von z. B. 5 Minuten wird jeweils die erste Reaktion verstärkt (fester Intervallplan). Bei variablen Plänen wird von [email protected] Seite 18 von 22 VO Allgemeine Psychologie II aus http://www.univie.ac.at/Psychologie/allgemeine/aep_allgII.htm SS 2002 unregelmäßig verstärkt – d.h. nur im Durchschnitt wird jeder fünfte Operant verstärkt: 4 – 9 – 13 – 20 – 25 – 32 – 36 – 41 – usw. (variabler Quotenplan). Ähnlich ist es dann beim variablen Intervallplan: Das Zeitintervall, nach dem der erste Operant verstärkt wird, beträgt nicht immer genau z. B. 300 sec. (also 5 Minuten), sondern nur im Durchschnitt: also 280 – 330 – 260 – 310 usw. Die Untersuchung der Wirkungen verschiedener Verstärkerpläne gibt ein recht hübsches und im übrigen sehr umfangreiches Forschungsprogramm ab. Allgemein lässt sich festhalten: Intermittierende Verstärkerpläne unterscheiden sich in ihrer Wirkung von kontinuierlichen Verstärkerplänen in zweierlei Hinsicht: in bezug auf die Lerngeschwindigkeit und in Bezug auf die Extinktionsresistenz Bei kontinuierlicher Verstärkung wird rascher gelernt als bei intermittierender Verstärkung: In der Lernphase nimmt also die Auftrittswahrscheinlichkeit eines gewünschten Verhaltens bei kontinuierlicher rascher zu (steigt steiler an), als bei intermittierender Verstärkung. Ähnliches gilt gleichsam auch für die Extinktionsphase: Bei intermittierenden Plänen geht die Extinktion langsamer vor sich. Allgemein formuliert: Intermittierende Verstärkung führt – im Vergleich zu kontinuierlicher Verstärkung – zu löschungsresistenterem Verhalten. Diese Zusammenhänge zwischen Verstärkerplan und Lerngeschwindigkeit bzw. Löschungsresistenz sind in der folgenden Grafik anschaulich gemacht. Wir können jetzt auch noch nach den Unterschieden in der Wirkung der verschiedenen Arten von intermittierender Verstärkung fragen. Grundsätzlich lässt sich darüber in etwa folgendes festhalten: 1. Quotenpläne führen im allgemeinen zu einer höheren Verhaltenshäufigkeit als Intervallpläne 2. Variable Pläne haben gegenüber festen Plänen ein über die Zeit gesehen relativ stabile Verteilung der Verhaltenshäufigkeiten zur Folge. Bei festen Plänen kommt es hingen immer wieder zu zyklischen Phänomenen: die Häufigkeit des Verhaltens steigt z. B. bei fester Intervallverstärkung kurz vor Ablauf des Zeitintervalls an; nach der Verstärkung legen die Versuchstiere eine Art Pause ein. 3. Variable Pläne ziehen eine langsamere Lerngeschwindigkeit und einer höhere Löschungsresistenz nach sich als feste Pläne. von [email protected] Seite 19 von 22 VO Allgemeine Psychologie II aus http://www.univie.ac.at/Psychologie/allgemeine/aep_allgII.htm SS 2002 In Bezug auf alltägliche Fragestellungen interessiert natürlich die Löschungsresistenz besonders. Löschungsresistenz bedeutet – wenn ich das ganz salopp formulieren darf – dass ein gelerntes Verhalten auch ohne weitere Verstärkung über lange Zeit noch beibehalten wird. Den Nachteil der langsamen Lerngeschwindigkeit werden Eltern z. B. dagegen gerne in Kauf nehmen – oder über eine zumeist unbewusst ohnehin eingesetzte optimale Lernstrategie ausgleichen. Wenn ein kleines Kind gerade dabei ist, irgendetwas Besonderes zu lernen – z. B. sich selbst einen Pullover richtig anzuziehen – dann werden die Eltern es anfangs jedes Mal, wenn es das richtig hinkriegt, loben. Später wird die Häufigkeit des Lobes für’s richtige Pulloveranziehen immer geringer werden (heute lobt uns dafür überhaupt niemand mehr). Das entspricht sozusagen einem optimalen Verstärkungsplan. Zum Aufbau des gewünschten Verhaltens kontinuierliche Verstärkung, dann Übergang zu einer über einen langen Zeitraum hinweg ständig abnehmenden intermittierenden, variablen Verstärkung zur Verhaltensstabilisierung. von [email protected] Seite 20 von 22 VO Allgemeine Psychologie II aus http://www.univie.ac.at/Psychologie/allgemeine/aep_allgII.htm SS 2002 Anmerkung zur 9. Vorlesung Eugenik [griechisch] 1883 von dem britischen Naturforscher F. Galton geprägter Begriff für ein bevölkerungspolitisches Konzept, das die Erhaltung und Verbesserung der erblich guten Eigenschaften in einer Gesellschaft zum Inhalt hat. Ziel der Eugenik ist es, unerwünschte Eigenschaften, so genannte Degenerationserscheinungen, in einer Gesellschaft auszumerzen (negative Eugenik) und erwünschte Eigenschaften zu fördern und so zu einer Höherentwicklung der Gesellschaft zu kommen (positive Eugenik), und zwar durch Erforschung der erbbiologischen Gesetze sowie Kontrolle und Beeinflussung der Fortpflanzungsprozesse. Die Eugenik gründet sich auf die Erkenntnisse der menschlichen Erblehre und die Fortpflanzungsbiologie und fußt auf der Überzeugung, dass der Mensch ausschließl. ein Produkt seiner Erbanlagen ist und somit auch die Entwicklung der Gesellschaft von der Gesamtheit der in ihr vertretenen Erbanlagen bestimmt wird. In Deutschland wurde eugenisches Gedankengut von W. Schallmeyer und A. Ploetz 1895 eingeführt und unter dem Begriff Rassenhygiene verständlicher gefasst. Auch in vielen anderen Ländern, wie England, Frankreich, USA und Sowjetunion, gewann der Eugenik-Gedanke Einfluss. In Deutschland ergaben sich weitreichende Übereinstimmungen zwischen dem Eugenik- Gedanken und der Ideologie des Nationalsozialismus. Im Sinn einer "Höherzüchtung" wurde im Dritten Reich planmäßig die Förderung "anlagemäßig wertvoller" Familien und Erbstämme betrieben. Gleichzeitig wurde ein Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses erlassen, das Zwangsste rilisationen bei allen als minderwertig eingestuften Bevölkerungsgruppen wie psychisch Kranken, Behinderten, Nichtsesshaften und Asozialen sowie ethnisch unerwünschten Gruppen wie Juden, Polen, Russen, Sinti und Roma ermöglichte. Die Pervertierung eugenischen Gedankenguts lieferte schließlich auch die Begründung für die Tötung "unwerten Lebens" und die Ausrottung "rassisch Minderwertiger" (Euthanasie). Heute wird in Deutschland eugenisches Gedankengut zum einen aufgrund seiner historischen Pervertierung von Humangenetikern strikt abgelehnt, zum anderen ist es auch wissenschaftlich nicht haltbar, da die Eigenschaften des Menschen nicht ausschließlich genetisch bestimmt sind, sondern auch von seinem soziale n Umfeld geprägt werden. von [email protected] Seite 21 von 22 VO Allgemeine Psychologie II aus http://www.univie.ac.at/Psychologie/allgemeine/aep_allgII.htm SS 2002 Rassenhygiene Bereits 1879 war der Mediziner Alfred Plötz an der Gründung des „Bundes zur Ertüchtigung der Rasse” beteiligt, der – nach englischem Vorbild – für Deutschland ein „eugenisches” Programm entwickelte, mit dem endgültig die zoologische Rassentheorie und Aspekte der Tierzucht auf die Humanmedizin übertragen wurden. Was damit gemeint war, machte Plötz 1895 in seiner Schrift „Die Tüchtigkeit unserer Rasse und der Schutz der Schwachen” unmissverständlich klar: „Der Kampf ums Dasein muss in seiner vollen Schärfe erhalten bleiben, wenn wir uns rasch vervollkommnen wollen.” Die mörderischen Methoden dieses „Kampfes” fasste er unter dem scheinbar harmlosen Begriff Rassenhygiene zusammen. „Schwächlichen oder missgestalteten” Neugeborenen sollte „ein sanfter Tod bereitet [werden], sagen wir durch ein kleine Dose Morphium” (S. 144). Kriege könnten für die weitere „Vervollkommnung der Rasse” genutzt werden. Die „natürliche Zuchtwahl” sei durch eine künstliche zu „verstärken” (S. 145). Die pseudowissenschaftlichen Grundlagen für die NS- Mordaktionen gegen Behinderte waren also schon am Ende des 19. Jahrhunderts gelegt. Massenhafte Zwangssterilisationen aus letztlich „rassehygienischen” Gründen wurden in zahlreichen Ländern wie Schweden, Norwegen, Dänemark, Österreich und der Schweiz, aber auch in Deutschland bis weit in die Gegenwart praktiziert (in der BRD bis in die achtziger Jahre rund 1.000 jährlich!). von [email protected] Seite 22 von 22