Zur Anwendung ethischer Grundsätze bei Banken

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CORPORATE GOVERNANCE
Christine Hirszowicz
Zur Anwendung ethischer
Grundsätze bei Banken
Nicht alle Ethik und Moral des Bankiers ist kodifizierbar!*
Mehr als je zuvor begegnen wir heutzutage in den Medien den Begriffen von Ethik und Moral, von Corporate Governance, Business Ethics und Code of
Conduct. Dieses Phänomen wird im Sinne eines Anspruchs an viele Adressaten verstanden und richtet
sich insbesondere an die Unternehmungen und somit
auch an die Banken.
17. Jahrhundert, durch Rousseau und
Kant im 18. Jahrhundert. Der kategorische Imperativ Kants klingt heute sehr
modern, denn er verbindet die Freiheit
des Willens mit der Verantwortung des
Handelns:
«Handle so, dass die Maxime deines
Willens jederzeit zugleich als Prinzip
einer allgemeinen Gesetzgebung gelten
kann.»
Immanuel Kant (1724–1804)
1. Was sind ethische
Grundsätze?
Bevor wir den Ursachen dieser Entwicklung nachgehen, ist eine kurze Begriffsklärung angebracht.
Ethik ist derjenige Bereich der Philosophie, der sich mit den Grundsätzen
der Moral befasst; mit anderen Worten
ist Ethik zu verstehen als die Gesamtheit der Handlungsprinzipien und
Werte, die in einer Gesellschaft als
Normen des Wohlverhaltens gelten [1].
Es gibt einerseits die Gesinnungsethik,
die nach der geistigen Einstellung fragt,
anderseits die Erfolgsethik, die nach
der Wirkung der menschlichen Handlungen sucht. Solche Normen können
sich von Gesellschaft zu Gesellschaft
und über die Zeit hinweg auch ändern:
Gesetze bedürfen immer wieder der
Interpretation durch die obersten Gerichte; völkerrechtliche Normen werden angepasst; nach dem 150jährigen
Bestehen des schweizerischen Bundesstaates haben wir unsere Bundesverfassung reformiert. Dies sind Beispiele
dafür, dass einmal gesetzte Normen
einer Gesellschaft dem Wandel der
*In Anlehnung an den Vortrag der Autorin vom
4.7.2002 aus Anlass ihrer Emeritierung an der
Universität Zürich.
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Zeit unterliegen, so auch ethische
Grundsätze. Solche Normen werden
geschaffen, um Halt und Orientierung
zu geben.
Die überlieferte Lehre der Ethik
wurde begründet durch die Philosophen Plato und Aristoteles im 4. Jahrhundert vor Christus und wurde im
Laufe der Jahrhunderte immer wieder
bereichert, so z. B. durch Spinoza im
Im 20. Jahrhundert plädiert Wilhelm
Röpke für einen Ordnungsrahmen, der
Freiheit mit Verantwortung koppelt.
Er sagt dies in folgender These:
«Freiheit ist unmöglich ohne moralische
Bindungen allerhöchster Ordnung. Freiheit ohne Normen und Regeln, ohne
Selbstdisziplin der Einzelnen ist die
furchtbarste Unfreiheit für alle diejenigen, die dabei zertrampelt und versklavt
werden.»
Wilhelm Röpke (1899–1966)
Und nun zu den anderen vorerwähnten
Begriffen, zu Corporate Governance,
Business Ethics und Code of Conduct [2].
Der bereits alltäglich gewordene Begriff der Corporate Governance beinhaltet, ganz kurz formuliert, die Gesamtheit der Normen, die dazu dienen,
eine Unternehmung zu führen. Es geht
dabei um Rechte und Pflichten von
Verwaltungsrat und Geschäftsleitung
gegenüber allen Anspruchsgruppen
der Unternehmung. Darüber wird noch
ausführlich gesprochen werden.
Christine Hirszowicz, Dr. oec. publ.,
emeritierte Professorin für Bankbetriebswirtschaftslehre am Institut für schweizerisches Bankwesen der Universität
Zürich, ehemals Direktorin der Swiss
Banking School, Zürich
[email protected]
Der Wertekodex, besser bekannt als
Business Ethics oder Code of Conduct
einer Unternehmung, formuliert die
betriebsinternen Normen und interpretiert im Detail die Corporate GoDer Schweizer Treuhänder 10/02
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Christine Hirszowicz, Zur Anwendung ethischer Grundsätze bei Banken
vernance. Ein solcher Verhaltenskodex
bildet die Grundlage für die Kultur der
Unternehmung, die durch ihre lebenden Vorbilder demonstriert wird, falls
sie wirkliche Leaders sind. So wird
Glaubwürdigkeit nach innen und nach
aussen erzeugt und gewahrt.
2. Verletzung ethischer
Grundsätze
Aus allen Schichten der Gesellschaft
sind in jüngster Zeit immer wieder Beispiele von Verletzung ethischer Grundsätze anzutreffen: Veruntreuung öffentlicher Gelder, finanzieller Missbrauch einer wirtschaftlichen oder
politischen Machtstellung, masslose
Entschädigungen für Verwaltungsräte
und Managers zulasten der Aktionäre,
bei Kantonalbanken zulasten der Steuerzahler, Betrug, Urkundenfälschung,
Bestechung, Steuerbetrug, Korruption
aller Art, Geldwäscherei usw.
Besonders erschreckend ist die Tatsache, dass die lange Liste von Akteuren,
die sich der Verletzung moralischer
Grundsätze schuldig machen, aus Ländern mit alter demokratischer, ja europäischer und atlantischer Tradition
stammen und nicht nur unter afrikanischen oder asiatischen Plutokraten und
Kleptokraten zu suchen sind. Die
schweren Betrugsfälle bei WorldCom
und Enron und die Komplizenschaft
der Revisionsfirma Andersen sind die
bisher krassesten Fälle der Gegenwart.
Aber auch die Schweiz kann mit aussergewöhnlichen Fällen der Verletzung
ethischer Prinzipien aufwarten: ABB,
Swissair, Vontobel, Banque Cantonale
de Genève, Banque Cantonale Vaudoise usw.
Hat denn die Verletzung ethischer
Grundsätze in letzter Zeit so stark zugenommen – oder erfahren wir nur viel
mehr darüber infolge der gewaltigen
Zunahme der Information, der Macht
der Medien und der Manie zur Transparenz? Diese Frage sei vorerst offen
gelassen. Beizufügen ist nur, dass mit
der Liberalisierung in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft auch vermehrt zerstörerische Kräfte liberalisiert wurden,
z.B. die Kriminalität und der Terrorismus.
Der Schweizer Treuhänder 10/02
3. Ruf nach Ethik in einer
Welt ohne Grenzen
Als Reaktion darauf ist heute der Ruf
nach Ethik allgegenwärtig. Ja man
kann von der Ethisierung unserer Gesellschaft sprechen. Es ist der Wunsch
nach neuzeitlichen ethischen Normen
für das menschliche Verhalten in einer
Welt, die in vieler Hinsicht grenzenlos
geworden ist. Grenzenlos in Raum und
Zeit, grenzenlos in kultureller Hinsicht,
grenzenlos in der wissenschaftlichen
Forschung, grenzenlos aber auch im
menschlichen Denken, Handeln und
Verhalten. Es gibt viele Beispiele dafür:
Denken ohne Grenzen üben wir sowohl
in den Naturwissenschaften als auch in
den Geisteswissenschaften:
• In den Naturwissenschaften versuchen wir, mit Hilfe der Gentechnologie den Ursachen von schweren
Krankheiten auf die Spur zu kommen und einen Beitrag zu ihrer Vermeidung und zu ihrer Therapie zu
leisten.
• Denken ohne Grenzen ist auch die
Regel in der Astrophysik bei der Erforschung des Urknalls.
• In den Geisteswissenschaften üben
wir das Denken ohne Grenzen z.B. in
der Philosophie und Theologie, wo
die Suche nach den gemeinsamen
Wurzeln der monotheistischen Religionen zu Verständnis und Aussöhnung unter den Menschen beitragen
soll.
• Denken ohne Grenzen scheint erst
seinen Anfang zu nehmen, seitdem
die Informationstechnologie alle Bereiche unseres Lebens zu erobern
trachtet.
• Denken ohne Grenzen gibt es aber
auch in der sehr realitätsnahen Wirtschaftswissenschaft. Mathematische
Modelle halten vermehrt Einzug in
die Finanzwissenschaft. Aber auch
weiche Werte aus der Psychologie
verbinden die Ökonomie mit dem
nicht rationalen Verhalten des Menschen in der Behavioural Finance.
Das Handeln ohne Grenzen erleben
wir sowohl im positiven als auch im
negativen Sinn:
• Positiv ist die geographische Mobilität der Menschen bei der Notwen-
•
•
•
•
digkeit, den Arbeitgeber und damit
auch den Wohnort flexibel zu wechseln.
Als Beispiel negativen Handelns
ohne Grenzen muss zweifelsohne
die grenzüberschreitende Kriminalität
erwähnt werden.
Positiv dagegen die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden.
Positiv zitiert werden darf auch das
Handeln der europäischen Staaten
in Wirtschaft und Gesellschaft unter
dem blauen Sternenbanner.
Deregulierung und Liberalisierung
der Märkte haben transnationale
und transkontinentale Fusionen von
Unternehmen entstehen lassen. Über
deren ökonomischen und gesellschaftlichen Sinn oder Unsinn darf
noch ruhig weiter ohne Grenzen gedacht werden.
Menschliches Verhalten ohne Grenzen:
• Hier geht es um das passive Reagieren von Menschen. Es kann positiv
oder negativ sein. Positiv ist die
spontane, uneigennützige Hilfe für
andere Menschen in Not, z. B. die
Spenden an die Glückskette bei
Naturkatastrophen. Das solidarische
Verhalten ohne Grenzen der New
Yorker Bürger nach den schrecklichen Terroranschlägen des 11. Septembers 2001.
• Das menschliche Verhalten ohne
Grenzen im Alltag kann aber auch
negativ sein, z.B. der mangelnde Respekt füreinander bei der täglichen
Begegnung, Wandschmierereien, die
Zerstörung öffentlicher Güter. Beispiele ohne Grenzen.
Ist es da erstaunlich, dass wir in allen
Bereichen des Lebens den Ruf vernehmen nach neuzeitlichen ethischen Normen für das menschliche Verhalten?
Zahllose Beispiele belegen den Ruf
nach Ethik in der Politik, in der Wirtschaft, in der biologischen Forschung,
in Produktion und Konsum, im Leistungssport, in der Unternehmungsführung, in der Bank- und Finanzwirtschaft und an der Börse.
Dieser allseitige Ruf nach Ethik manifestiert sich auch in der Vermögensanlage im Markt und produziert entsprechende Angebote, z.B. Anlagefonds,
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die sich der Ökologie und der Nachhaltigkeit verpflichten. In diese Richtung weist auch die Schaffung neuer Indizes für nachhaltiges Investieren, z. B.
der Dow Jones Sustainability Group
Index mit verschiedenen Ausschlusskriterien (Tabak, Alkohol, Glücksspiel,
Waffen, Kernenergie) sowie mit positiven Kriterien wie soziale und ökologische Aspekte.
Die Fülle dieser Rufe nach Ethik zeigt
die grosse Unsicherheit im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umkreis
und das Bedürfnis nach Leitplanken.
man dieses sehr umfassende Gebiet der
bankinternen Überwachung «Compliance». Ethik im Bankgeschäft bedeutet
aber auch noch etwas mehr: das Denken, Handeln und Verhalten der obersten Führungsinstanz der einzelnen
Bank im Einklang mit der Unternehmungsphilosophie, die sie sich selbst
gibt, also die Nutzung des verbleibenden Freiraumes im Sinne dieser Philosophie, d.h. des bankeigenen Leitbildes. Aber auch das ist noch nicht alles,
wie wir sehen werden.
4.1 Die ordnende Hand
des Gesetzgebers
4. Ethische Grundsätze
für Banken
Ich wende mich jetzt etwas ausführlicher dem Verhältnis der Banken zur
Ethik zu.
Es ist eine altbekannte Tatsache, dass
die Banken von jeher ein ganz besonderes Verhältnis zur Ethik haben, weil
das Geschäft mit dem Geld schon zu
biblischen Zeiten zu grossen Missverständnissen und Spannungen Anlass
gegeben hat. Muss man daraus schliessen, dass die Banken es auch heute besonders schwer haben, ihr Verhältnis
zur Ethik zu ordnen? Eben das trifft gerade nicht zu.
Weil die Banken eine ganz zentrale
Rolle in der Wirtschaft spielen, hat
ihnen einerseits die ordnende Hand
des Gesetzgebers zu einer Fülle von
Leitplanken verholfen, innerhalb derer
sie sich zu bewegen haben. Anderseits
haben die Banken den ihnen freistehenden Raum im Sinne der Selbstregulierung mit Branchen-Normen des
Wohlverhaltens gefüllt, nicht zuletzt
um einem Vorgreifen des Gesetzgebers
zuvorzukommen. Die Kompetenz zur
Selbstregulierung musste z.T. auch hart
erkämpft werden.
Ethik im Bankgeschäft bedeutet in
der Schweiz die strikte Einhaltung der
gesetzlichen Normen, die Respektierung der durch den Dachverband, die
Schweiz. Bankiervereinigung, erstellten eigenen Standards sowie die Beachtung der internen Reglemente und
Weisungen. Im Bankenjargon nennt
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Die Banken, Effektenhändler und
Fondsleitungen bedürfen zur Aufnahme ihrer Geschäftstätigkeit einer Bewilligung durch die spezielle Aufsichtsbehörde, die Eidgenössische Bankenkommission EBK. Eine wesentliche
Voraussetzung zur Bewilligung ist die
Gewähr einwandfreier Geschäftstätigkeit der leitenden Organe. Es geht um
hohe Anforderungen an die persönliche Integrität des Bankier und um
seine fachliche Kompetenz. Ethik als
Voraussetzung für die Banktätigkeit.
Auch die bedeutenden Aktionäre der
Bank dürfen keinen schädlichen Einfluss auf die Geschäftstätigkeit der
Bank ausüben. Das nennt man europapolitisch auch, den «Fit and Proper
Test» bestehen. Das bedeutet ferner
die Identifikation von Kunden, die Abklärung der wirtschaftlichen Hintergründe von Geschäften, wenn Anzeichen darauf hindeuten, dass die Transaktion Teil eines unsittlichen oder
rechtswidrigen Geschäfts bilden könnte
oder wenn es sich um ein kompliziertes,
ungewöhnliches oder bedeutsames Geschäft handeln würde. Nicht nur bedeutsame Geschäfte, sondern auch bedeutsame Kunden sind unter die Lupe
zu nehmen. So warnt die EBK die Banken in einem ihrer zahlreichen Rundschreiben vor der Annahme von Geldern, die aus Korruption oder Missbrauch öffentlicher Vermögenswerte
stammen könnten, sog. Potentatengelder oder Vermögenswerte von «Politically Exposed Persons» (PEP).
In Anwendung der OECD-Konvention über die «Bekämpfung der Beste-
chung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr» wurde
im Jahre 2000 unser Korruptionsstrafrecht ausgebaut. Daraus ergeben sich
neue Verpflichtungen für die Banken:
Vermögenswerte, die aus Korruption
stammen oder der Korruption dienen,
dürfen weder in die Bank noch aus der
Bank fliessen [3]. Auch durch solche
Massnahmen erfolgt weitgehend eine
Ethisierung des Bankgeschäfts.
Das Geschäfts- und Organisationsreglement sowie weitere interne Reglemente und Weisungen der Bank, welche die Geschäftsarten, die Kunden und
Regionen sowie die Kompetenzverteilungen festhalten, müssen der EBK zur
Genehmigung unterbreitet werden.
Weitere Risikovorschriften über die
Geschäftstätigkeit beinhalten die Liquidität, das Eigenkapital, die Vermeidung von Klumpenrisiken, besondere
Vorschriften für Markt-, Zins- und operationelle Risiken sowie für die Rechnungslegung. Für international tätige
Banken und Finanzkonglomerate ist
eine konsolidierte Aufsicht über den
ganzen Bankkonzern erforderlich. Die
inländische Aufsichtsbehörde hat auch
das Recht, bei Konzerntöchtern Kontrollen vor Ort im Ausland durchzuführen.
Mit dem neuen Geldwäscherei-Gesetz
vom 10. Oktober 1997, in Kraft seit
1. April 1998, sind erstmals sämtliche
Anbieter von Finanzdienstleistungen
einem einheitlichen branchenübergreifenden Gesetz unterstellt, das ihnen
einheitliche Sorgfalts- und Dokumentationspflichten auferlegt. Neben den
Banken sind es also die Vermögensverwalter, Fonds-Leitungen, Anlageberater, Effektenhändler, Treuhänder,
Rechtsanwälte u. andere Finanzintermediäre, sofern sie Vermögen berufsmässig verwalten. Dieses Gesetz dient
der Bekämpfung des Missbrauchs des
Banken- und Finanzdienstleistungssystems durch kriminelle Machenschaften und Organisationen. Erstmals
wurde mit diesem Gesetz die Meldepflicht an eine spezielle Instanz des
Bundesamtes für Polizeiwesen eingeführt. Es soll den guten Ruf des Finanzplatzes Schweiz bewahren und
eine Handhabe für die internationale
Rechtshilfe bieten.
Der Schweizer Treuhänder 10/02
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Christine Hirszowicz, Zur Anwendung ethischer Grundsätze bei Banken
Zu erwähnen sind ferner die privatrechtlichen Sorgfaltspflichten der
Bank, z.B. gemäss Vertragsrecht. Diese
werden laufend konkretisiert durch die
bundesgerichtliche Rechtssprechung.
Die Schweizerische Nationalbank als
Aufsichtsbehörde für die Geldpolitik
hält die Banken zu regelmässigen Statistik-Berichten an, diktiert die Konditionen der Liquidität des Geldmarktes
und verlangt von den Banken, dass sie
bei ihr Giro-Konti unterhalten, wodurch sie nach Bedarf auch die Bankenliquidität einschränken oder erweitern kann.
4.2 Die ordnende Hand
der Selbstregulierung
Zur wichtigsten Norm der Selbstregulierung der Banken in der Schweiz
gehört die Vereinbarung der Schweizerischen Bankiervereinigung über
die Standesregeln zur Sorgfaltspflicht
(VSB). Diese Vereinbarung legt die
Pflichten der Banken im Bereich der
Kundenidentifikation sowie der Feststellung des wirtschaftlich Berechtigten fest. Sie verbietet die aktive Beihilfe zur Kapitalflucht und zur Steuerhinterziehung. Die bankengesetzlichen
Revisionsstellen sind von den Banken
und der EBK beauftragt, regelmässig
die Einhaltung der Vereinbarung zu
Der Schweizer Treuhänder 10/02
überprüfen. Verstösse werden durch
eine unabhängige Aufsichtskommission
analysiert und gebüsst. Die EBK kann
zusätzlich mit aufsichtsrechtlichen
Massnahmen eingreifen. Diese Vereinbarung hat im Zusammenhang mit
dem neuen Geldwäschereigesetz Modellcharakter erhalten und geniesst im
Ausland hohes Ansehen. Eine der VSB
nachgebildete Selbstregulierung wurde
auf internationaler Ebene im Oktober
2000 vereinbart: Unter der Führung
der Schweizer Grossbanken sind die
Wolfsberg Richtlinien entstanden, ein
Wohlverhaltenskodex von elf international führenden Finanzinstituten.
Diese verpflichten sich, die Annahme
krimineller Gelder, auch Vermögenswerte aus korrupten Tatbeständen, zu
verhindern. Das jüngste Beispiel einer
weiteren Selbstregulierung sind die
Richtlinien der SBVg für den Umgang
mit nachrichtenlosen Vermögenswerten, die auf den 1. Juli 2000 in Kraft
getreten sind und Massnahmen der
Banken beinhalten, um die Nachrichtenlosigkeit von Vermögenswerten in
Zukunft nicht mehr entstehen zu lassen.
4.3 Der Freiraum der Bank
Nach den verbindlichen Vorgaben
durch Staat und Branchenverband ver-
bleibt der Bank ein Freiraum, den sie
autonom zu gestalten hat. Dieser Spielraum ist der betrieblichen Bankpolitik
vorbehalten: der eigentlichen Führung
und Leitung der Bank [4]. Es geht im
speziellen um die Pflichten von Verwaltungsrat und Geschäftsleitung gegenüber Investoren und anderen Anspruchsgruppen.
Das BankG verlangt eine Gewaltentrennung, wobei dem Verwaltungsrat
die Oberleitung, Aufsicht und Kontrolle obliegt, während der von ihm ernannten Direktion die Bewältigung der
Geschäfte übertragen wird. Sowohl VR
als auch GL sind im strategischen Bank
Management involviert. Darunter wird
das grundsätzliche und langfristige
Denken, Handeln und Verhalten der
obersten Führungs- und Leitungsorgane einer Bank verstanden. Der VR,
der die oberste Führungs- und Kontrollfunktion innehat, bestimmt aus seinem Kreis verschiedene Ausschüsse:
So den Kreditausschuss, der die wichtigen Kreditentscheide fällt; das Anlagekomitee, welches über bedeutsame
Anlagen urteilt; ferner wird er einen
Revisions-Ausschuss (Audit Committee) einsetzen. In Zusammenarbeit mit
der Internen Revision überprüft das
Audit Committee das Risiko Management, die Steuerungs- und Kontrollsysteme sowie die Führungsprozesse. Der
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Christine Hirszowicz, Zur Anwendung ethischer Grundsätze bei Banken
VR kann auch einen Gehaltsausschuss
haben, der für die Festlegung der Gehälter und Boni von VR, GL und oberem
Management verantwortlich zeichnet;
und schliesslich gibt es auch ein Nominations-Komitee, das für Vorschläge
zur Erneuerung des VR und der GL zuständig ist.
Im folgenden gehe ich auf diejenigen
Führungsaspekte ein, die einen speziellen Bezug zu den ethischen Grundsätzen der Bank haben. Sie sind in den betriebsinternen Normen festgehalten, so
im Leitbild, im Code of Conduct, in den
Geschäftsreglementen, in einem Compliance Manual, in Weisungen und
Richtlinien.
mensführung durch ihre Angestellten, nämlich die Verwaltungsräte und
Geschäftsleiter. Insbesondere haben
sie Anrecht darauf, dass die KontrollMechanismen optimal funktionieren
und dass die Berichterstattung wahrheitsgetreu und transparent erfolgt.
Für die Besoldung der Unternehmensspitze sind klare Kriterien zu
formulieren und offenzulegen. Aufgrund dieser Bewertungen sind die
Vergütungen unter Berücksichtigung
der wirtschaftlichen Lage der Bank
zu berechnen. Diese enthalten ein
Fixum sowie variable Bestandteile,
mit Komponenten, die an den langfristigen Unternehmenserfolg gebunden sind. Sämtliche Geldentschädi-
«Nach den verbindlichen Vorgaben durch Staat
und Branchenverband verbleibt der Bank ein
Freiraum, den sie autonom zu gestalten hat.»
Es geht nicht nur darum, Gesetze nicht
zu verletzen, sondern auch darum, moralische Verpflichtungen gegenüber allen Anspruchsgruppen zu erkennen,
sie in einem Code of Conduct festzuhalten und danach zu handeln. Sinn all
dieser Normen ist es, die geschäftspolitischen Ziele der Bank zu erreichen
unter Optimierung der Risiken. Die
Normen und die Kontrolle ihrer Einhaltung sind Teil des Risk Management
der Bank. Mit Blick auf die ethischen
Grundsätze geht es im speziellen um
die Ausschaltung oder die Minimierung des Reputationsrisikos.
Die Bank wird danach streben, ethische Grundsätze gegenüber sämtlichen
Anspruchsgruppen einzuhalten. Dabei
geht es um folgende Stakeholders und
ihre Erwartungen:
1. Die Kunden: Das Angebot an Dienstleistungen muss Bedürfnis gerecht
und von hervorragender Qualität
sein. Die Konditionen müssen transparent sein. Beanstandungen von
Kunden müssen fair und kulant gelöst werden.
2. Die Aktionäre: Als Eigentümer der
Bank haben die Aktionäre Anrecht
auf eine einwandfreie Unterneh916
gungen an die Mitglieder des VR und
der GL sind individuell im Anhang
zum Geschäftsbericht offenzulegen
[5].
Die Aktionäre haben Anrecht auf
eine optimale Performance, wobei
Nachhaltigkeit vor Rendite kommt.
Zu den Bonuszahlungen: Nach den
exorbitanten Übertreibungen müssen die Bonuszahlungen anderen
Methoden Platz machen. Die Bestrebungen gehen in Richtung eines starken Basislohnes und angemessener
Boni, die maximal 25 % des Basislohnes erreichen können. Einen starken Basislohn befürworten nicht zuletzt die Pensionskassen zur Alimentierung der zweiten Säule.
3. Die Mitarbeiter: Ihnen ist Chancengleichheit, Förderung und angemessene Kompensation ihrer Leistung,
und zwar im Verhältnis der Kompensation der Geschäftsleitung, zu bieten.
4. Die Konkurrenz: Anderen Finanzdienstleistungs-Unternehmen ist mit
Achtung und Fairness zu begegnen.
5. Fairness zeichnet auch die Beziehung zu Lieferanten von Dienstleistungen für die Bank aus.
6. Die Behörden: Gesetze sind strikte
einzuhalten. Bereitschaft zur Koope-
ration mit den Aufsichtsbehörden ist
eine Selbstverständlichkeit. Die Bank
ist sich bewusst, dass sie für die Stabilität des Finanzsystems mitverantwortlich ist.
7. Die Gesellschaft: Die Bank informiert die Öffentlichkeit objektiv, sie
engagiert sich oftmals bei lokalpolitischen Anliegen, handelt pflichtbewusst und ist offen für Kritik.
Die Kontrolle der Einhaltung all dieser
Normen obliegt einerseits der Compliance-Abteilung, einer ursprünglich aus
der Rechtsabteilung hervorgegangenen Einheit der Bank; anderseits sorgt
das Inspektorat, welches direkt dem
Präsidenten des VR untersteht, für die
Überwachung und Kontrolle. Diese
Grundsätze werden periodisch überprüft und den Umständen entsprechend angepasst.
4.4 Wettbewerb um die Ethik
Bei den vorerwähnten Normen handelt es sich teilweise um einen Wunschkatalog. Das Denken ohne Grenzen
darf auch hier wieder zum Zuge kommen, will sich die Bank im Wettbewerb
um die Ethik messen.
Die Implementierung der betrieblichen
Bankpolitik entlang solcher Richtlinien ist im Sinne des Total Quality Management und eines ethischen Verhaltens der Bank. Sie kann sehr wohl zu
einer Kernkompetenz und damit auch
zu einem Wettbewerbsvorteil im Markt
führen. Wie die Entwicklungen zeigen,
nehmen die Banken die Chance des
Wettbewerbs um die Ethik bereits
wahr. Denn nicht zuletzt lässt sich auch
durch Reputation und Imagegewinn
der Unternehmungswert (Shareholder
Value) langfristig steigern, und dies
gleichzeitig zum Vorteil aller übrigen
Stakeholders. So kann der Chief Executive Officer in einer Person auch zum
Chief Ethics Officer werden, ohne
seine Initialen zu ändern!
5. Schlussfolgerung und
Ausblick
Trotz der sehr einschränkenden Leitplanken des Gesetzgebers, trotz einer
ausgedehnten Bankenaufsicht und trotz
Der Schweizer Treuhänder 10/02
CORPORATE GOVERNANCE
Christine Hirszowicz, Zur Anwendung ethischer Grundsätze bei Banken
insgesamt hoher bankeigener ethischer
Standards der Schweizer Banken,
kommt es vor, dass der VR Verantwortliche aus der Direktion von Banken entfernen muss, dass Geldwäschereifälle aufgedeckt und andere Vorfälle
unehrenhaften Verhaltens bestraft werden müssen, ja schlimmstenfalls, dass
Bewilligungen für den Geschäftsbetrieb durch die Aufsichtsbehörde entzogen werden müssen. Das ist gut so.
Hartes Durchgreifen ist notwendig.
Die Sanktionen sind ein Beweis einer
gut funktionierenden Corporate Governance und Bankenaufsicht. Sie sind
auch ein Warnlicht für die Mitbewerber. Und schliesslich sei noch am
Rande beigefügt, dass sogar Schweizer
Banken auch nur durch Menschen geführt werden... und das macht die Kontrolle unabdingbar!
Nun ist es aber mit der Schaffung von
Gesetzen und bankeigenen ethischen
Normen, mit der Kontrolle ihrer Einhaltung und der Bestrafung ihrer Verletzung bei weitem noch nicht getan.
Ethische Grundsätze finden wohl ihre
Anwendung im objektiven Recht. Das
geschriebene Recht und der Code of
Conduct einer Bank basieren auf Ethik
und Moral. Aber nicht alle Ethik und
Moral, die der Bankier braucht, kann
geschriebenes Recht oder Teil seines
Code of Conduct sein. Das soll es auch
nicht.
Festen Halt und unbeirrbare Orientierung bei den vielfältigen Entscheiden
im täglichen Geschäft des Bankier gibt
letztendlich nur eines: sein Gewissen.
Auf diesem festen Sockel muss sein
Verhalten ruhen. Mit seinem eigenen
Gewissen müssen seine Handlungen
vereinbar sein. Und er wird auch ständig bemüht sein, seine eigene moralische Urteilsfähigkeit im Lichte des
Wandels der Werte selbst zu fördern.
Das ist ein ganz normaler Anspruch an
den Bankier und an seine Geschäftspartner. Wer daran zweifelt, muss zum
Schluss kommen, dass der Beruf des
Bankier zur «Mission impossible» wird.
«Honni soit qui mal y pense ...».
Die Frage muss hier am Schluss gestellt werden, ob wir an der Universität
Zürich in den Bank-Vorlesungen neben allen finanzmathematischen und
betriebswirtschaftlichen Kenntnissen,
die wir vermitteln, genügend Gegengewicht geben, um auch den Sinn für die
Anwendung ethischer Grundsätze bei
Banken zu schärfen und diese Botschaft an die jungen Menschen zu vermitteln. Meine Erfahrung zeigt, dass
dies durch das viel zu reichliche Angebot an verschiedensten Vorlesungen im
Banking und Finance nicht genügend
berücksichtigt wird und dass wir hier
einen Handlungsbedarf haben.
Anmerkungen
1 Le Petit Larousse Illustré, 1991.
2 Vgl. NZZ Fokus: Corporate Governance,
Oktober 2001.
3 Mazumder, Sita: Die Sorgfalt der Schweizer
Banken im Lichte der Korruptions-Prävention und -Bekämpfung, Dissertation 2001.
4 Kilgus, Ernst: Strategisches Bank Management aus der Sicht des VR, Vorlesung an der
Universität Zürich 7.10.2001.
5 In Anlehnung an den Deutschen Corporate
Governance Kodex 2002 sowie an die Meinung des NZZ-Panels aus Anlass des Zusammenbruchs der SAirGroup. Vgl. NZZ vom
16./17.3.02, S. 29.
RESUME
De l’application de principes éthiques aux banques
Malgré les garde-fous fort restrictifs
du législateur, une surveillance bancaire très poussée et des normes
éthiques propres qui, dans l’ensemble,
ont un haut niveau dans les banques
suisses, il arrive que le conseil d’administration doive éliminer des responsables de la direction d’une banque,
que des cas de blanchiment d’argent
soient dénoncés, que d’autres cas de
comportement délictueux doivent être
punis et même que, in extremis, l’autorisation d’exercer le métier de banquier doive être retirée par l’autorité
de surveillance. Ceci est une bonne
chose. Des sanctions sévères sont en
effet inévitables et nécessaires. Elles
sont la preuve du bon fonctionnement
du «Corporate Governance» et d’une
surveillance bancaire efficace et metL’Expert-comptable suisse 10/02
tent en garde les concurrents. Rappelons enfin que même les banques
suisses ne sont gérées que par des êtres
humains, ce qui rend le contrôle indispensable!
Cependant, la création de lois et de
normes éthiques internes des banques, le contrôle de leur respect et les
sanctions en cas d’abus sont loin de
suffire.
Les principes éthiques se retrouvent
dans le droit objectif. Tant le droit écrit
que le code de conduite d’une banque
sont basés sur l’éthique et la morale.
Mais toute éthique et morale dont le
banquier a besoin ne ressortent pas
nécessairement du droit écrit ou de
son code de conduite. Et ceci est bien
ainsi. Dans ses décisions les plus diverses de la vie d’un banquier, celui-ci a
besoin d’une fondation inébranlable et
d’une orientation imperturbable. Une
seule chose est là pour lui donner cette
assurance: c’est sa conscience. De ce
socle solide émane son comportement.
Ses actes doivent être compatibles avec
sa conscience. Il s’efforcera en permanence d’affiner sa capacité de jugement
à la lumière de l’évolution des valeurs.
Il s’agit là d’une revendication on ne
peut plus normale à l’égard du banquier et de ses partenaires d’affaires.
Celui qui en douterait devrait considérer la profession de banquier comme
étant une «mission impossible».
Honni soit qui mal y pense...
CH/AFB
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