Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V., Sektion Thüringen Referate anlässlich der 19. Ernährungsfachtagung zum Thema: „Risiken durch Zusatzstoffe in Lebensmitteln“ am 3. November 2011 in Jena unter der Schirmherrschaft des Thüringer Ministeriums für Soziales, Familie und Gesundheit INHALT Seite Vorwort 3 Sponsoren 6 Grußwort des Thüringer Ministeriums für Soziales, Familie und Gesundheit Staatssekretär Dr. Hartmut Schubert, Erfurt 7 Übersicht zu Zusatzstoffen Prof. Dr. Michael Petz, Wuppertal 10 Risikobewertung von Zusatzstoffen Dr. Rainer Gürtler, Berlin 23 Zusatzstoffe und Gentechnik – Beispiel Enzyme Prof. Dr. Rolf Großklaus, Berlin 32 Nahrungsmittelunverträglichkeiten und Zusatzstoffe ChA Dr. Martin Kaatz, Gera 50 Klebefleisch, Surimi und andere Neu-kreationen Prof. Dr. Leane Lehmann, Würzburg 54 Kennzeichnung von Zusatzstoffen – Verbraucherkritik Petra Müller, Erfurt 61 2 Vorwort Sehr geehrte Damen und Herren, die 19. Ernährungsfachtagung der DGE-Sektion Thüringen beschäftigte sich mit der aktuellen Thematik „Risiken durch Zusatzstoffe in Lebensmitteln“. Die Tagung folgt somit dem Gesundheitsziel der Thüringer Landesregierung, das lautet: Kontinuierliche Verbesserung des Gesundheitszustandes der Bevölkerung des Freistaats. Speziell das Ziel 1: „Gesund alt werden - eine Herausforderung für jedes Lebensalter, gesundheitliche Kompetenzen stärken - Risikofaktoren vorbeugen und rechtzeitig erkennen“ stand im Fokus der Ernährungsfachtagung. Einen breiten Raum in der öffentlichen Diskussion nehmen nach wie vor die Zusatzstoffe ein. Das enorme Interesse wird auch durch die Teilnehmerzahl bestätigt. Besonders in der Ernährungsberatung wird dieses Thema nachgefragt. Zurzeit sind mehr als 300 Zusatzstoffe zugelassen. Besonders für die Herstellung von Lebensmittel- Fertigprodukten werden in der Regel Zusatzstoffe verwendet. Sie verbessen die sensorischen Eigenschaften, indem sie den Geschmack beeinflussen, konservieren, die Farbe betonen und für die erwünschte Konsistenz (Mundgefühl) sorgen. Es werden verschiedene Gruppen unterschieden: Farbstoffe: E 100-180 Konservierungsstoffe: E 200-297 Antioxidationsmittel: E 300-385 Verdickungs- und Feuchthaltemittel: E 400-495 Säuerungsmittel und Ähnliches: E 500-586 Geschmacksverstärker: E 620-650 Süßstoffe und Andere: E 950-1520 Besonders Farbstoffe sind beim Konsumenten unbeliebt. Seit dem 20. Juli 2010 muss bei Einsatz von E 102 oder E 122 ein Warnhinweis auf den Lebensmittel-Verpackungen stehen. Dieser lautet: „Kann Aktivität und Aufmerksamkeit bei Kindern beeinträchtigen“. Dabei handelt sich aber mehr um eine politische Entscheidung. Fundierte wissenschaftliche Nachweise stehen noch aus. Aber diese Maßnahme ist in der Realität angekommen. Inzwischen sind verschiedene Kinder-Produkte, wie z. B. Fruchtgummis weniger farbenprächtig. 3 Für weitere Diskussion sorgt die Tatsache, dass Zusatzstoffe ohne „technologische Wirkung im Endprodukt“ nicht kennzeichnungspflichtig sind. D. h. wenn Vorläuferprodukten bestimmte Zusatzstoffe zugesetzt wurden, um z. B. deren Aussehen zu verbessern, dies aber für das Endprodukt umgedeutet ist, kann die Kennzeichnung entfallen. Auch bei Kleinstverpackungen, z. B. einzeln verkaufte Süßigkeiten, sowie bei Lebensmitteln, deren größte Verpackungsfläche weniger als 10 cm² beträgt, kann die Zutatenliste entfallen, wodurch die Zusatzstoffe unerkannt bleiben. Ähnliches gilt für unverpackte Lebensmittel. Hier genügt ein allgemeiner Hinweis wie z. B. „mit Farbstoff“, „geschwefelt“ oder „mit Geschmacksverstärker“. Dadurch ist es dem Verbraucher nicht möglich ist, den eigentlichen Zusatzstoff zu erkennen. Diese eingeschränkte Kennzeichnungspflicht gilt auch für Gaststätten, Kantinen und Imbisseinrichtungen. Offen bleiben Anfragen – so auch in der Diskussion während der Ernährungsfachtagung – zur Wechselwirkung von Zusatzstoffen mit Umwelt- und Haushaltschemikalien sowie Arzneimitteln. Verständlicherweise können nicht alle Wechselwirkungen geprüft werden. Immer wieder werden individuelle Überempfindlichkeiten beschrieben, und bei einseitiger Ernährung können einzelne Zusatzstoffe verstärkt konsumiert werden. Eine gute Alternative sind Bio-Lebensmittel, bei deren Herstellung deutlich weniger Zusatzstoffe und keine Farbstoffe und Geschmacksverstärker zugesetzt werden. Natürlich gibt es zum Thema Zusatzstoffe auch Verbraucherumfragen, die eine doppelte Moral offenbaren. 73 % der Verbraucher lehnen Zusatzstoffe in Lebensmitteln ab, wie eine aktuelle Studie von TNS Infratest belegt. Nichts desto trotz sollen Lebensmittel schön aussehen, wohlschmeckend und „ewig haltbar“ sein. Vitamintabletten nach Pommes, Sahnetorte oder nach dem Rauchen beruhigen das Gewissen. Aktuelle Ergebnisse der Iowa Womens Health Study an 38.800 älteren Frauen (Mittel 62 Jahre) ergaben, dass übliche Vitaminpräparate und Mineralstoffe mit erhöhter Mortalität assoziiert sind (besonders ausgeprägt für Fe-Supplemente; Ca dagegen vermindert das Risiko). Eine andere Studie zur Supplementation von antioxidativen Verbindungen (Selenium and Vitamin E Cancer Prevention Trial - SELECT) mit 35.500 Männern im Alter von 50 Jahren und älter kam zu dem Ergebnis, dass die regelmäßige Einnahme von Vitamin E (400 IU/d, 268 mg/d = empfohlene Dosierung in USA) das Prostatakrebsrisiko von gesunden Männern signifikant erhöht, während Selen (200 µg/d) ohne signifikanten Einfluss war. 4 In diesem Zusammenhang ist auch zu bedenken, dass Lebensmittel oftmals mit αTocopherol als Antioxidans (E307) angereichert sind. Bei Obst- und Gemüsekonserven, sowie Kartoffelprodukten verhindert L-Ascorbinsäure (E300) die Braunfärbung und unterstützt in Fleisch- und Wurstwaren die Umrötung bei Anwendung von Nitritpökelsalz. Bei Getränken (z. B. Wein, Bier, Fruchtsaft, Cola) trägt dieses Vitamin zur Stabilisierung bei und dient auch der direkten Vitaminisierung von Lebensmitteln aller Art, besonders der Kindernahrung. Das bedeutet, dass auch Personen, die keine Supplemente verwenden, mit üblichen Lebensmitteln teilweise erhebliche Mengen an Vitaminen aufnehmen. Ein herzliches Dankeschön gilt allen Vortragenden, die anlässlich unserer 19. Ernährungsfachtagung referierten. Bei Frau Ministerin Heike Taubert bedanken wir uns für die Übernahme der Schirmherrschaft und bei Herrn Staatsekretär Dr. Schubert für das Grußwort. Weiteren Mitarbeitern des Thüringer Ministeriums für Soziales, Familie und Gesundheit – Abteilungsleiter Herrn Dr. Gisbert Paar, Herrn Wilfried Gaide und Frau Ursula Lehmann - danken wir für die kontinuierliche Unterstützung der Sektion Thüringen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Diese Mitarbeiter des Ministeriums haben sich auch dafür eingesetzt, dass wir diese Ernährungsfachtagung durchführen und dieses Sonderheft erstellen konnten. Prof. Dr. G. Jahreis, Jena, im Dezemer 2011 Leiter der Sektion Thüringen der DGE 5 Die Sektion Thüringen dankt den Sponsoren für die Unterstützung der 19. Ernährungsfachtagung Herzgut Landmolkerei Rudolstadt-Schwarza Deutsches Milchkontor (DMK), Werk Erfurt Käserei Altenburger Land, Lumpzig Ostthüringer Backwaren GmbH, Jena Thüringer Waldquell Mineralbrunnen GmbH, Schmalkalden Yakult Deutschland GmbH, Neuss Gönnataler Putenspezialitäten GmbH, Altengönna Thüringer Sozialakademie GmbH, Chefkoch Herr Melchert, Jena STEP Verbraucherzentrale: Info-Mobil, Ausstellung 6 Grußwort des Staatsekretärs im Thüringer Ministerium für Soziales, Familie und Gesundheit, Dr. Hartmut Schubert, Sehr geehrter Herr Professor Jahreis, meine sehr geehrten Damen und Herren, ich freue mich, heute hier in der Friedrich-Schiller-Universität in Jena an der 19. Ernährungsfachtagung der DGE – Sektion Thüringen teilnehmen zu können. Ich darf Ihnen auch herzliche Grüße von Thüringens Verbraucherschutzministerin Frau Heike Taubert übermitteln. Frau Ministerin bedauert es sehr, dass Sie nicht teilnehmen kann, zumal unser Haus die Schirmherrschaft dieser Veranstaltung übernommen hat. Aber, meine Damen und Herren, sie werden sicherlich Verständnis dafür haben, dass in der heute stattfindenden Sportministerkonferenz die Interessen Thüringens angemessen vertreten werden müssen. An ihrer Stelle überbringe ich Ihnen, sehr geehrter Herr Professor Jahreis, als Vorsitzendem der Sektion Thüringen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung und allen Tagungsteilnehmern ihre herzlichen Grüße, verbunden mit den besten Wünschen für einen erfolgreichen Tagungsverlauf. Die heutige Veranstaltung befasst sich mit dem Thema Zusatzstoffe in Lebensmitteln und den sich daraus ergebenden Risiken. Diese Zusatzstoffe – gern auch „die Ees“ genannt – stehen immer wieder in der öffentlichen Diskussion. Viele Bürgerinnen und Bürger fragen: Sind Zusatzstoffe in Lebensmitteln überhaupt nötig? Welchen Nutzen bringen sie? Und weil Lebensmittelallergien auf dem Vormarsch sind, werden die Zusatzstoffe von Verbrauchern als einer der wichtigsten „Übeltäter“ angenommen. Lebensmittelzusatzstoffe müssen für die beabsichtigte Verwendung zugelassen sein. Eine Zulassung wird nur unter bestimmten Voraussetzungen erteilt. Die gesundheitliche Unbedenklichkeit des Stoffes und die technologische Notwendigkeit des Stoffeinsatzes müssen nachgewiesen werden. Der Einsatz von Art und Menge der Lebensmittelzusatzstoffe ist durch EU-Recht und die nationale Zusatzstoff-Zulassungsverordnung geregelt. 7 Für den sachgerechten Einsatz dieser Zusatzstoffe und die korrekte Kennzeichnung der Lebensmittel sind die Lebensmittelunternehmen im Rahmen ihrer Sorgfaltspflicht verantwortlich. Die Lebensmittelüberwachungsbehörden in Thüringen kontrollieren dies stichprobenweise. Im Jahr 2010 hat das Thüringer Landesamt für Lebensmittelsicherheit und Verbraucherschutz insgesamt mehr als 10.000 Lebensmittelproben untersucht. Dabei konnte in nur 49 Fällen die fehlende Kenntlichmachung von Zusatzstoffen nachgewiesen werden. In nur 42 Fällen war eine unzulässige Verwendung von Zusatzstoffen feststellbar, wobei hier meist ein an sich zugelassener Zusatzstoff fehlerhaft – also nicht für den vorgesehenen Zweck – eingesetzt wurde. Immer mehr Verbraucher kaufen „per Mausklick“ im Internet ein. Dabei gibt es im dortigen Angebot auch viele Waren, die aus Drittstaaten stammen und in der EU nicht zugelassene Zusatzstoffe enthalten. Dies stellt ein großes Problem für die amtliche Lebensmittelüberwachung dar. Denn während der Verbraucher bereits das bunte Warenangebot des Internets nutzt, fehlen der amtlichen Lebensmittelüberwachung noch konkrete Verfahrensabläufe zur Kontrolle des Online-Handels. Inzwischen gibt es eine BundLänder-Projektgruppe, die sich diesem Thema widmet. Mein Haus beteiligt sich an dieser Projektgruppe. Es sollen Strategien erarbeitet werden, die zu einer Verbesserung der Kontrolle des Internethandels im Zusammenwirken mit anderen Behörden, wie Zoll oder Polizei, führen. Unabhängig von diesen den Verbraucher schützenden Maßnahmen wird ein hoher Zusatzstoffkonsum aus Lebensmitteln von vielen Fachleuten negativ bewertet. Die Behandlung von ernährungsbedingten Erkrankungen - welche Ursachen auch zugrunde liegen - kostet dem Gesundheitswesen jährlich schätzungsweise 70 Milliarden Euro. Der Ausschluss von Erkrankungen durch den Einsatz von Zusatzstoffen in Lebensmitteln sollte ein Ziel sein. Die Lebensmittelindustrie bemüht sich, bei jährlich steigendem Konsum von Fertig- und Halbfertigprodukten das Image der Zusatzstoffe zu verbessern. Auch wird versucht, ein mögliches Risikopotential zu reduzieren. Es müssen jedoch weitere unabhängige Forschungen folgen, um mögliche Risiken durch Zusatzstoffe auszuschließen. Eine wesentliche Rolle bei dem Umfang der von uns täglich aufgenommenen Zusatzstoffe aus Lebensmitteln spielt die Inanspruchnahme der Gemeinschaftsverpflegung. In den Angeboten der Kindertagesstätten, Kantinen, Kliniken, Restaurants u.a. werden Zusatzstoffe zwangsläufig je nach Cateringfirma, Wissensstand der Küchenmitarbeiter, Gewinnspanne und Zeitfaktor unterschiedlich eingesetzt. 8 Es liegt an uns Verbrauchern, den Anbietern unsere Zustimmung oder Ablehnung zu zeigen! Eine wesentliche Hilfe bei der Auswahl einer möglichst von Zusatzstoffen freien Gemeinschaftsverpflegung bieten die Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Betriebe können sich nach diesen Standards zertifizieren lassen. Ob es gelingt, diese Zertifizierungen in allen Bereichen weitgehend kostenneutral in die Praxis umzusetzen und damit die Akzeptanz seitens der Verbraucher zu erhalten, wird die Praxis zeigen. ich bin mir sicher, dass Ihre Tagung dazu beitragen wird, neue wissenschaftliche Erkenntnisse transparent zu machen, auf Probleme in der Praxis hinzuweisen und mögliche Lösungswege aufzuzeigen. Ich danke Ihnen, Herr Professor Jahreis und der Deutschen Gesellschaft für Ernährung – Sektion Thüringen – hier ganz besonders Herrn Maichrowitz – recht herzlich für die Ausrichtung dieser Tagung und wünsche ihr einen guten Verlauf. 9 Lebensmittelzusatzstoffe - eine Übersicht Prof. Dr. Michael Petz Bergische Universität Wuppertal, Fachbereich C - Lebensmittelchemie Die für alle Mitgliedsstaaten der EU verbindlichen Regelungen zu Lebensmittelzusatzstoffen sind durch die Verordnung (EG) Nr. 1333/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates festgeschrieben. Die Auflistung der einzelnen Zusatzstoffe mit ihren E-Nummern1, den zulässigen Anwendungsgebiet und –mengen finden sich derzeit noch in nationalstaatlichen Verordnungen. In Deutschland ist dies die Zusatzstoffzulassungsverordnung (ZZulV). Dort findet sich beispielsweise die Angabe, dass der Zuckeralkohol Sorbit bei einer großen Vielfalt von Lebensmitteln verwendet werden darf, so z. B. bei verschiedensten Dessertspeisen, Speiseeis, Konfitüren, Obstzubereitungen, Süßwaren, Kaugummi, Saucen, Senf, und zwar jeweils in der „qs“Menge. „qs“ steht für „“quantum satis“ und bezeichnet die Menge, die gemäß einer guten Herstellungspraxis erforderlich ist, um die gewünschte Wirkung zu erzielen, ohne dass der Verbraucher irregeführt wird. Andere Zusatzstoffe dürfen in Lebensmitteln eine genau festgelegte Höchstmenge nicht überschreiten, so darf der Farbstoff Gelborange in kandierten Früchten nicht oberhalb von 200 mg/kg enthalten sein oder bei Hart- und Schnittkäse darf der zur Oberflächenbehandlung zugelassene Konservierungsstoff Natamycin nur in einer Menge von maximal 1 mg/dm2 aufgebracht werden und 5 mm unter der Oberfläche darf im Käse kein Natamycin mehr nachweisbar sein. Zusatzstoffe dürfen nur dann verwendet werden, wenn sie bestimmten Reinheitskriterien entsprechen. Diese sind in drei Richtlinien der Kommission festgeschrieben, (2008/128/EG für Farbstoffe; 95/31/EG für Süßungsmittel, 2008/84/EG für sonstige Lebensmittelzusatzstoffe). Über die ZusatzstoffverkehrsVerordnung (ZVerkV) wurden die drei Richtlinien in deutsches Recht übernommen. Der Begriff „Lebensmittelzusatzstoff“ ist in der VO 1333/2008 folgendermaßen definiert: „ein Stoff mit oder ohne Nährwert, der in der Regel weder selbst als Lebensmittel verzehrt noch als charakteristische Lebensmittelzutat verwendet wird und einem Lebensmittel aus technologischen Gründen bei der Herstellung, Verarbeitung, Zubereitung, Behandlung, Verpackung, Beförderung oder Lagerung zugesetzt wird, wodurch er selbst oder seine Nebenprodukte mittelbar oder unmittelbar zu einem Bestandteil des Lebensmittels werden oder werden können Eine stets aktualisierte, dem Verbraucher zugängliche Liste der zugelassenen Lebensmittelzusatzstoffe nach E‐Nummern und Stoffnamen (auch als Download) sowie weitere Informationen zu Lebensmittelzusatzstoffen finden sich auf den Internetseiten des deutschen Verbraucherschutzministeriums: www.bmelf.de > Ernährung& Sichere Lebensmittel > Sichere Lebensmittel > Spezielle Lebensmittel & Lebensmittelzutaten > Lebensmittelzusatzstoffe 1 10 Nicht als Lebensmittelzusatzstoff gelten: • Zucker und Oligosaccharide • Lebensmittel, die wegen ihrer aromatisierenden, geschmacklichen oder ernährungsphysiologischen Eigenschaften beigegeben werden und eine färbende Nebenwirkung haben • Stoffe zum Umhüllen oder Überziehen, die nicht mit diesen Lebensmitteln verzehrt werden sollen • Erzeugnisse, die Pektin enthalten, das aus Äpfeln oder Citrusschalen stammt • Kaubasen zur Herstellung von Kaugummi • Verschiedene Stärkeprodukte (z. B. geröstete, gebleichte oder physikalisch modifizierte Stärke) • Ammoniumchlorid • Speisegelatine, Proteinhydrolysate, Milcheiweiß, Gluten, Blutplasma • Aminosäuren, sofern sie nicht wie Glutaminsäure, Glycin, Cystein und Cystin die Funktion eines Zusatzstoffes hat • Kasein und Kaseinate • Insulin Generell gilt für Lebensmittelzusatzstoffe: • sie müssen in ihrer Verwendung sicher sein • es muss eine technologische Notwendigkeit für ihre Verwendung geben • die Verwendung darf den Verbraucher nicht irreführen • sie müssen dem Verbraucher einen Nutzen bringen Derzeit sind rund 320 Zusatzstoffe in den Mitgliedsstaaten der EU zugelassen. Sie werden in 26 Funktionsklassen unterteilt. Nachfolgend finden sich die Begriffsbestimmungen für die einzelnen Funktionsklassen gemäß EU-Verordnung 1333/2008, ergänzt durch erläuternde Hinweise und Beispiele für ihre Verwendung in Lebensmitteln. 1. Süßungsmittel „Süßungsmittel sind Stoffe, die zum Süßen von Lebensmitteln und in Tafelsüßen verwendet werden“. Der Begriff umfasst sowohl die süß schmeckenden Zucker und Oligosaccharide, als auch Zuckeralkohole und Süßstoffe. Als Zusatzstoffe sind allerdings nur die beiden letzteren deklarationspflichtig. Die Zulassung für einen Zuckeralkohol oder einen Süßstoff erfolgt nur, wenn bei der Herstellung von brennwertverminderten Lebensmitteln, von nicht kariogenen Lebensmitteln oder für die Verbesserung der Haltbar11 keit Zucker ersetzt werden soll. Sie können auch für Lebensmittel verwendet werden, die für eine besondere Ernährung bestimmt sind. Zuckeralkohole, die auch als Zuckeraustauschstoffe bezeichnet werden, gewinnt man durch Hydrierung von Zuckern. So entsteht z.B. durch Umsetzung von Traubenzucker mit Wasserstoff Sorbit und aus Milchzucker Lactit. Die derzeit zugelassenen Süßstoffe sind bis auf die Ausnahme von NeohesperidinDihydrochalkon und Thaumatin rein synthetischen Ursprungs. Saccharin ist der älteste Süßstoff. Dem Vorteil der preiswerten Herstellung steht sein bitterer, metallischer Beigeschmack als Nachteil gegenüber. Aspartam ist ein chemisch synthetisiertes Dipeptid aus den beiden Aminosäuren Asparaginsäure und Phenylalanin. Bei dessen Verwendung ist ein Warnhinweis erforderlich, damit Personen mit der Stoffwechselerkrankung Phenylketonurie vor der Aufnahme von Phenylalanin gewarnt werden. Aspartam wird häufig zusammen mit Acesulfam verwendet, da deren Süßkraft nicht additiv, sondern synergistisch wirkt. Ein Gemisch beider Süßstoffe erreicht etwa die doppelte Süßkraft, als wenn jeder Süßstoff in derselben Menge für sich alleine eingesetzt wird. Wenn man den gewöhnlichen Haushaltszucker (Saccharose) dreifach chloriert, erhält man Sucralose, die wie Saccharose schmeckt und bei 600facher Süßkraft keinen Neben- und Nachgeschmack aufweist, hitzestabil und unverdaulich ist. Die beiden zugelassenen Süßstoffe natürlicher Herkunft lassen sich nicht in breitem Umfang einsetzen. Bei dem aus einer afrikanischen Pflanze gewonnenen Protein Thaumatin beeindruckt zwar die sehr hohe Süßkraft des 2000- bis 3000-fachen von Saccharose, nachteilig ist aber sein lakritzartiger Nachgeschmack. Das aus Bitterorangen isolierte Neohesperidin-Dihydrochalcon entwickelt seinen Süßgeschmack verzögert und besitzt einen kühlenden, mentholartigen Nachgeschmack. Neben Thaumatin gibt es weitere interessante geschmacksbeeinflussende Proteine (z. B. Monellin, Pentadin, Mabinlin, Brazzein), die einen äußerst intensiven Süßeindruck vermitteln, der über Minuten bis hin zu Stunden anhalten kann. Die Proteine Miraculin und Curculin rechnet man zur Gruppe der Geschmacksumwandler. Beide verändern einen sauren Geschmack nach süß. Unterdrückt wird ein Süßgeschmack durch Gymnemasäure, Gurmarin und Hodulcin. Die meisten der genannten Stoffe stammen aus afrikanischen Pflanzen und werden dort traditionell von der einheimischen Bevölkerung genutzt. Die geringe Verfügbarkeit bedingt einen hohen Preis für diese Produkte, was einer breiten Nutzung im Wege steht. Intensiv wird deshalb beforscht, diese Proteine durch gentechnisch modifizierte Mikroorganismen zu gewinnen. Dies ist bei Monellin bereits gelungen. 12 Die Pflanze Stevia rebaudiana Bertoni wird traditionell von den Ureinwohnern Paraguays als Süßungsmittel verwendet, denn diese enthält die gegenüber Saccharose 200-300fach süßer schmeckenden Glycoside Steviosid und Rebaudiosid A. Natürliche Herkunft ist bei vielen Verbrauchern ein schlagendes Kaufargument. Natürliche Herkunft schließt aber eine gesundheitsschädliche Wirkung nicht aus. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat noch 2011 bei „Stevia“ die Grundlage für eine Zulassung nicht gegeben gesehen, da bei größeren Verzehrsmengen die in toxikologischen Studien ermittelte duldbare tägliche Aufnahme (ADI-Wert) von 4 mg/kg Körpergewicht überschritten wird. Im November 2011 hat die Europäische Kommission die Verwendung von Stevia jedoch in 31 Lebensmittelkategorien genehmigt. Allerdings mussten die beantragten Verwendungen und Verwendungsmengen geändert werden, damit es nicht zu gesundheitlichen Belastungen der Verbraucher kommt. 2. Farbstoffe „Farbstoffe sind Stoffe, die einem Lebensmittel Farbe geben oder die Farbe in einem Lebensmittel wiederherstellen; hierzu gehören natürliche Bestandteile von Lebensmitteln sowie natürliche Ausgangsstoffe, die normalerweise weder als Lebensmittel verzehrt noch als charakteristische Lebensmittelzutaten verwendet werden. Zubereitungen aus Lebensmitteln und anderen essbaren natürlichen Ausgangsstoffen, die durch physikalische und/oder chemische Extraktion gewonnen werden, durch die die Pigmente im Vergleich zu auf ihren ernährungsphysiologischen oder aromatisierenden Bestandteilen selektiv extrahiert werden, gelten als Farbstoffe“. Farbstoffe dürfen nur dann zugelassen werden, wenn • das ursprüngliche Erscheinungsbild von Lebensmitteln wiederhergestellt wird, deren Farbe durch Verarbeitung, Lagerung, Verpackung und Vertrieb mit nachteiligen Folgen für die optische Akzeptanz beeinträchtigt worden ist. • dadurch Lebensmittel äußerlich ansprechender gemacht werden • dadurch normalerweise farblose Lebensmittel gefärbt werden Dabei ist es verboten, dass durch die Färbung eine Täuschung des Verbrauchers erfolgt, indem verdorbene oder minderwertige Ware kaschiert wird. Technologisch gibt es für eine Färbung keine Notwendigkeit. Es sollen sensorisch ansprechende Produkte angeboten werden können, denn „das Auge isst mit“. Früher wurden vor allem natürliche Farbstoffe bzw. färbende Lebensmittel (z. B. Safran, Kurkuma, Paprika) verwendet. Sie haben gegenüber den künstlichen Farbstoffen meist eine geringere Farbintensität und vor allem eine geringere Stabilität bei der Lagerung. Das schlechte Image von künstlichen Farbstoffen beim Verbraucher hat allerdings dazu geführt, dass viele traditionell mit künstlichen Farbstoffen gefärbte 13 Lebensmittel, wie z. B. Gummibärchen oder Schokolinsen, heute überwiegend mit Extrakten aus färbenden Lebensmitteln angefärbt sind. Der Trend zur Vermeidung künstlicher Farbstoffe wurde noch dadurch verstärkt, dass als Ergebnis der sog. McCann-Studie bei Verwendung von Gelborange S (E 110), Chinolingelb (E 104), Azorubin (E 122), Allurarot AC (E 129), Tartrazin (E 102) und Chochenillerot A (E 124) die zusätzliche Angabe „kann Aktivität und Aufmerksamkeit bei Kindern beeinträchtigen“ erfolgen muss. 3. Konservierungsstoffe „Konservierungsstoffe sind Stoffe, die die Haltbarkeit von Lebensmitteln verlängern, indem sie sie vor den schädlichen Auswirkungen von Mikroorganismen schützen, und/oder vor dem Wachstum pathogener Mikroorganismen schützen“. Mit den Prozessen des Pökelns und Räucherns besitzt die chemische Konservierung eine weit zurückreichende Tradition. Beim Pökeln kommen verschiedene Pökelstoffe, vornehmlich aber Nitritpökelsalz zum Einsatz und beim Räuchern entstehen beim Verschwelen von Holz (i.a. Buchenholz) antioxidativ wirksame Phenole, die auch das Wachstum schädlicher Mikroorganismen verhindern können. Pökeln hilft sehr zuverlässig das Wachstum des Bakteriums Clostridium botulinum zu unterdrücken, welches das giftigste dem Menschen bekannte Toxin bildet und zu der lebensbedrohlichen Erkrankung des Botulismus führt. Gepökelte Erzeugnisse wie Kochschinken, Katenbauchfleisch oder Wiener Würstchen müssen entweder mit einer der den Pökelstoffen entsprechenden E-Nummern 249-252 oder dem Namen, z. B. Nitritpökelsalz, deklariert werden. Generell besitzen Konservierungsstoffe beim Verbraucher ein schlechtes Image, obwohl sie zu den bestuntersuchten Zusatzstoffen zählen und direkt auf Bakterien, Schimmelpilze oder Hefen einwirken, ohne die Qualität des Lebensmittels negativ zu beeinträchtigen. Zu den Konservierungsstoffen zählen auch Schwefeldioxid und Sulfite (E 220 – 228). Diese besitzen eine herausragende Bedeutung bei der Weinherstellung. Sie verhindern bakteriell bedingte Weinkrankheiten, stellen eine reintönige Gärung sicher, wirken farbstabilisierend, indem sie oxidative Enzyme hemmen und unerwünschte Gärungsnebenprodukte binden, die den Geschmack und Geruch des Weines negativ beeinflussen können. Bei Personen mit zu geringer Aktivität der körpereigenen Sulfitoxidase rufen Sulfite pseudoallergische Erscheinungen und Kopfschmerzen hervor. Lebensmittel, die mit Sorbinsäure und Benzoesäure bzw. ihren Salzen konserviert sind, finden sich heute immer weniger in den Verkaufsregalen. Eine Ausnahme da14 von bilden einige kalorienreduzierte Lebensmittel, wie z.B. Fruchtaufstriche ohne zugesetzten Zucker oder fettreduzierte Margarine. Feinkostsalate sind mikrobiell sehr anfällig, weshalb dort der Einsatz von Konservierungsstoffen sehr sinnvoll ist. Viele Hersteller werben aber gerade in diesem Segment oft damit, dass ihr Produkt konservierungsstofffrei ist, um damit beim Verbraucher zu punkten. Dieser übersieht dabei möglicherweise, dass er nach dem Öffnen z.B. eines mayonnaisehaltigen Feinkostproduktes keinen wirksamen Schutz mehr gegen mikrobiellen Verderb hat. 4. Antioxidationsmittel „Antioxidationsmittel sind Stoffe, die die Haltbarkeit von Lebensmitteln verlängern, indem sie sie vor den schädlichen Auswirkungen der Oxidation wie Ranzigwerden von Fett und Farbveränderungen schützen“. Wenn man gekochte Speisen für 2-3 Tage aufbewahrt und dann vor dem Verzehr wieder aufwärmt, kann man häufig einen „Aufwärm“- oder „Kochgeschmack“ feststellen. Dieser hat seine Ursache darin, dass Lebensmittel oxidationsanfällige Inhaltsstoffe, wie ungesättigte Fettsäuren oder Aromastoffe enthalten, die durch Reaktion mit Sauerstoff einen Fehlgeruch und Fehlgeschmack entwickeln können, u.a. wegen des deutlichen Anstieges bei der Produktgruppe der Fertiggerichte nimmt der Einsatz von Antioxidantien stark zu. Da auch hier die Lebensmittelproduzenten möglichst deklarationsfreie Lebensmittel anbieten wollen, gibt es einen Trend zu einer intensiveren Nutzung solcher Gewürze, die einen hohen Gehalt an phenolischen Verbindungen besitzen und deshalb natürlicherweise über ein hohes antioxidatives Potential verfügen, z. B. Rosmarin oder Salbei. Schutz vor oxidativem Verderb bieten auch sauerstoffundurchlässige Verpackungen und die Verwendung von Schutzgasen, z.B. bei gemahlenem Röstkaffee oder Kartoffelpüreepulver. Bei Kaugummi wirken Antioxidantien gegen die Aushärtung der Kaumasse und gegen Aromaveränderungen. 5. Trägerstoffe „Trägerstoffe sind Stoffe, die verwendet werden, um Lebensmittelzusatzstoffe, aromen oder -enzyme, Nährstoffe und/oder sonstige Stoffe, die einem Lebensmittel zu Ernährungszwecken oder physiologischen Zwecken zugefügt werden, zu lösen, zu verdünnen, zu dispergieren oder auf andere Weise physikalisch zu modifizieren, ohne ihre Funktion zu verändern (und ohne selbst eine technologische Wirkung auszuüben), um deren Handhabung, Einsatz oder Verwendung zu erleichtern“. 15 Damit man die oft nur in sehr kleinen Mengen einzusetzenden Zusatzstoffe, wie z.B. Farbstoffe, gleichmäßig in ein Lebensmittel einarbeiten kann, bedarf es der Trägerstoffe als Dosier- und Verteilungshilfsmittel. Aus der sehr großen Gruppe der Trägerstoffe seien einige wichtige genannt: Dextrine, Kochsalz (für Nitrit im Pökelsalz), Natriumsulfat (für Farbstoffe), Calciumsilikate, Alginate und Sorbit. 6. Säuerungsmittel „Säuerungsmittel sind Stoffe, die den Säuregrad eines Lebensmittels erhöhen und/oder diesem einen sauren Geschmack verleihen“. Säuerungsmittel werden in großem Umfang eingesetzt, um einen produkttypischen Geschmack zu erzeugen, zu betonen oder abzurunden, z. B. bei Mayonnaise, Feinkostsalaten, Obstprodukten, Erfrischungsgetränken, Süßwaren und Dessertspeisen. Essigsäure hat dabei wie Weinsäure auch, einen geringen zusätzlichen Eigengeschmack. Citronensäure und die speziell in koffeinhaltigen Erfrischungsgetränken verwendete Phosphorsäure schmecken dagegen rein sauer. 7. Säureregulatoren „Säureregulatoren sind Stoffe, die den Säuregrad oder die Alkalität eines Lebensmittels verändern oder steuern“. Anders als die Säuerungsmittel verändern Säureregulatoren z. B. Citrate, Di-, Triund Polyphosphate, Carbonate oder Hydroxide nicht notwendigerweise den Geschmack eines Lebensmittels, sondern regeln den Säure- bzw. auch Alkalitätsgrad eines Lebensmittels. Säureregulatoren bewirken erwünschte Eigenschaften bei der Herstellung und Verarbeitung von Lebensmitteln, indem sie z.B. die Emulgier-, die Gelier- oder die Wasserbindungsfähigkeit erhöhen, so bei der Herstellung von Brühwürsten (Fleischwurst, Wiener), die ihre Saftigkeit bzw. Knackigkeit durch die Einarbeitung von Wasser erhalten. Die zu den Säureregulatoren zählende Natronlauge wird benötigt, um Laugengebäck herstellen zu können. 8. Trennmittel „Trennmittel sind Stoffe, die die Tendenz der einzelnen Partikel eines Lebensmittels, aneinander haften zu bleiben, herabsetzen“. Trennmittel werden als Rieselhilfsmittel, z.B. bei Speisesalz verwendet, damit dieses nicht verklumpt und streufähig bleibt. Bienenwachs wird in der Regel als Trennmittel für Fruchtgummierzeugnisse genutzt, damit diese nicht miteinander verkleben. Als 16 Formentrennmittel werden diejenigen Stoffe bezeichnet, die man verwendet, um das Ankleben an Blechen und Formen zu verhindern. 9. Schaumverhüter „Schaumverhüter sind Stoffe, die die Schaumbildung verhindern oder verringern“. Bei der Herstellung von z.B. Suppen, Konfitüren, Süßwaren oder der Anwendung von Frittierfetten kann es zu erheblicher Schaumbildung kommen, die sich mit Schaumverhütungsmitteln unterdrücken lässt, beispielsweise mit Salzen sowie Mono- und Diglyceriden ungesättigter Fettsäuren oder Dimethylpolysiloxan. 10. Füllstoffe „Füllstoffe sind Stoffe, die einen Teil des Volumens eines Lebensmittels bilden, ohne nennenswert zu dessen Gehalt an verwertbarer Energie beizutragen“. Mit dem Trend hin zu kalorienreduzierten Lebensmitteln wächst auch der Einsatz von Füllstoffen, die dort Fett und/oder Zucker ersetzen können. Ein wichtiger Füllstoff ist die aus Traubenzucker, dem Zuckeralkohol Sorbit und Citronensäure hergestellte Polydextrose, deren Energiegehalt nur 1 kcal/g beträgt und die deshalb als Ersatz für Fett (9 kcal/g) und Kohlenhydrate(4 kcal/g) die Möglichkeit einer deutliche Kalorienreduktion bietet. Auch die unverdauliche Cellulose und Cellulosederivate werden als Füllstoff eingesetzt. 11. Emulgatoren „Emulgatoren sind Stoffe, die es ermöglichen, die einheitliche Dispersion zweier oder mehrerer nicht mischbarer Phasen wie z. B. Öl und Wasser in einem Lebensmittel herzustellen oder aufrechtzuerhalten“. Typische Lebensmittel, in denen jeweils eine größere Menge an wässriger und öliger bzw. Fettphase zu einer Emulsion verbunden werden müssen, sind z. B. Margarine, Mayonnaise, Dressings, Salatsoßen und Backwaren. Im Haushalt wird zu Emulgierzwecken i.a. Eidotter verwendet, in dem der natürliche Emulgator Lecithin enthalten ist. Lecithin fällt in etwas anderer Zusammensetzung bei der Gewinnung von Sojaöl an und findet deshalb, da weit billiger, in großem Umfang bei der Lebensmittelproduktion Verwendung. Neben Sojalecithin und zunehmend auch Lecithin aus Sonnenblumenkernen kommt eine Vielzahl synthetischer Emulgatoren zum Einsatz, die oft maßgeschneiderte Eigenschaften für spezifische Produkte besitzen. Insgesamt wird der Markt durch drei Emulgatoren bzw. Emulgatorenklassen beherrscht: 17 Lecithine, Mono- und Diglyceride der Speisefettsäuren sowie Diacetylweinsäureessigester. 12. Schmelzsalze „Schmelzsalze sind Stoffe, die in Käse enthaltene Proteine in eine dispergierte Form überführen und hierdurch eine homogene Verteilung von Fett und anderen Bestandteilen herbeiführen“. Schmelzsalze dienen vor allem der Herstellung von Schmelzkäse aus dem nur begrenzt haltbaren Rohkäse. Die dazu verwendeten Natriumcitrate und Natriumsalze der Mono-, Di-, Tri- und Polyphosphorsäuren lösen das Calcium aus dem paraCasein-Gel und überführen es in ein Sol aus para-Casein, in dem Calcium durch Natrium ersetzt ist und das dem erhaltenen Schmelzkäse seine typische Konsistenz und Wiederschmelzbarkeit verleiht. 13. Festigungsmittel „Festigungsmittel sind Stoffe, die dem Zellgewebe von Obst und Gemüse Festigkeit und Frische verleihen bzw. diese erhalten oder die zusammen mit einem Geliermittel ein Gel erzeugen oder festigen“. Die Festigkeit von Obst und Gemüse beruht auf dem Polysaccharid Pektin als einem Hauptbestandteil der pflanzlichen Zellstruktur. Festigungsmittel bewirken bei Lebensmitteln, wie z. B. bei Gewürzgurken, das die Festigkeit (Knackigkeit) während und nach der Verarbeitung erhalten bleibt. Dafür werden in der Regel Calcium- bzw. Aluminiumsalze eingesetzt, die als zwei- oder dreiwertige Anionen das Pektin in schwerlösliche Pektate überführen. 14. Geschmacksverstärker „Geschmacksverstärker sind Stoffe, die den Geschmack und/oder Geruch eines Lebensmittels verstärken“. Geschmacksverstärker besitzen meist nur einen geringen Eigengeschmack, können aber den Geschmack anderer Stoffe erhöhen. Die gängigen Geschmacksverstärker, Glutaminsäure und ihre Salze sowie Inosinate und Guanylate (Ribonucleotide) kommen als natürliche Fleischbestandteile vor. Sie entstehen aber auch aus pflanzlichen Rohstoffen durch Fermentation und liefern Speisewürzen, Soja- oder Worcestersoße. Die Glutaminsäure und die Ribonucleotide werden als deklarationspflichtige Zusatzstoffe großtechnisch gewonnen und umfangreich eingesetzt, z.B. bei Tütensuppen, 18 Fertigmahlzeiten und Soßen. Als Verstärker für den Süßgeschmack von Fruchtsaftgetränken, Marmeladen oder Gelees wirken Maltol bzw. Isomaltol. 15. Schaummittel „Schaummittel sind Stoffe, die die Bildung einer einheitlichen Dispersion einer gasförmigen Phase in einem flüssigen oder festen Lebensmittel ermöglichen“. Die Wirkungsweise von Schaum- oder Aufschlagmitteln ist rein physikalisch. Mit ihnen gelingt es ein größeres Luftvolumen in eine Masse als „Aufschlag“ einzubringen, z.B. bei Speiseeis oder Schaumzuckerwaren (Schokoküsse). Die klassischen Schaumbildner sind grenzflächenaktive Proteine. Geliermittel, modifizierte Stärken, (Funktionsklassen 16, 19, 24 und 25) Stabilisatoren und Verdickungsmittel „Geliermittel sind Stoffe, die Lebensmitteln durch Gelbildung eine festere Konsistenz verleihen“. „Modifizierte Stärken sind durch ein- oder mehrmalige chemische Behandlung aus essbaren Stärken gewonnene Stoffe. Diese essbaren Stärken können einer physikalischen oder enzymatischen Behandlung unterzogen und durch Säure- oder Alkalibehandlung dünnkochend gemacht oder gebleicht worden sein“. „Stabilisatoren sind Stoffe, die es ermöglichen, den physikalisch-chemischen Zustand eines Lebensmittels aufrechtzuerhalten. Zu den Stabilisatoren zählen Stoffe, die es ermöglichen, die einheitliche Dispersion zweier oder mehrerer nicht mischbarer Phasen in einem Lebensmittel aufrechtzuerhalten, Stoffe, durch welche die vorhandene Farbe eines Lebensmittels stabilisiert, bewahrt oder intensiviert wird, und Stoffe, die die Bindefähigkeit eines Lebensmittels verbessern, einschließlich der Bildung von Proteinvernetzungen, die die Bindung von Lebensmittelstücken in rekonstituierten Lebensmitteln ermöglichen“. „Verdickungsmittel sind Stoffe, die die Viskosität eines Lebensmittels erhöhen“. Die funktionellen Eigenschaften dieser Stoffe erlauben keine strenge Trennung zwischen diesen vier Klassen. Bei den meisten Stoffen handelt es sich um Hydrokolloide, deren Wirkungen fließend ineinander übergehen. Diese in sehr breitem Umfang genutzten Zusatzstoffe dienen hauptsächlich zur Konsistenzgebung und 19 erhaltung z.B. von Puddings, Soßen, Cremes, Gelees und Süßwaren. Die Erhöhung der Viskosität von Produkten oder die Bildung schnittfester Gelees steht dabei im Vordergrund. Ein spezieller, nur bei Oliven zugelassener Stabilisator ist das Eisen-IIgluconat, mit dem unreife grüne Oliven durch Reaktion mit deren Gerbstoffen geschwärzt werden und durch das die schwarze Farbe stabil bleibt. 17. Überzugmittel (einschließlich Gleitmittel) „Überzugmittel (einschließlich Gleitmittel) sind Stoffe, die der Außenoberfläche eines Lebensmittels ein glänzendes Aussehen verleihen oder einen Schutzüberzug bilden“. Bei den Überzugsmitteln handelt es sich größtenteils um Wachse und Harze, die vornehmlich im Süß- und Backwarenbereich den Produkten ein glänzendes Aussehen verleihen sollen, andererseits aber auch dazu genutzt werden können, einen Schutz des Lebensmittels vor Austrocknung oder mikrobiellem Befall zu liefern. 18. Feuchthaltemittel „Feuchthaltemittel sind Stoffe, die das Austrocknen von Lebensmitteln verhindern, indem sie die Auswirkungen einer Atmosphäre mit geringem Feuchtigkeitsgehalt ausgleichen, oder Stoffe, die die Auflösung eines Pulvers in einem wässrigen Medium fördern“. Süßwaren, Backwaren und andere Lebensmittel von mittlerer Feuchtigkeit behalten durch die Verwendung von Sorbit, Glycerin oder 1,2-Propandiol eine gut haltbare Konsistenz und werden vor dem Austrocknen geschützt. In Süßigkeiten verhindern sie zudem das Auskristallisieren von Zucker. 20. Packgase „Packgase sind Gase außer Luft, die vor oder nach dem Lebensmittel oder gleichzeitig mit diesem in das entsprechende Behältnis abgefüllt worden sind“. Mit Packgasen wie Stickstoff oder Kohlendioxid lassen sich Lebensmittel vor oxidativen, mikrobiologischen und anderen unerwünschten Veränderungen schützen. Für Kleinpackungen sind dabei aufwändige Verpackungstechniken erforderlich, damit weder Schutzgase aus der Verpackung heraustreten, noch Sauerstoff und Wasserdampf in die Verpackung hineindiffundieren. Beispiel: unter Schutzatmosphäre verpackte Kaffeepads. 20 21. Treibgase „Treibgase sind andere Gase als Luft, die ein Lebensmittel aus seinem Behältnis herauspressen“. Als Beispiel für die Anwendung von Treibgasen kann Sprühsahne dienen. Hier ist es das Distickstoffoxid, das die Sahne aus der Dose fördert und gleichzeitig für einen großvolumigen Aufschlag sorgt. 22. Backtriebmittel „Backtriebmittel sind Stoffe oder Kombinationen von Stoffen, die Gas freisetzen und dadurch das Volumen eines Teigs vergrößern“. Dazu zählen die schon seit Generationen in den Backpulvern verwendeten Triebmittel, die während des Backvorgangs Kohlendioxid freisetzen. Natriumhydrogencarbonat ist dabei der am häufigsten verwendete Kohlensäureträger. 23. Komplexbildner „Komplexbildner sind Stoffe, die mit Metallionen chemische Komplexe bilden“. Metallionen fördern Oxidationsprozesse und damit den oxidativen Verderb von Lebensmitteln. Durch Komplexbildner werden Metallionen inaktiviert und unterstützten so die Wirkung von Antioxidantien. 26. Mehlbehandlungsmittel „Mehlbehandlungsmittel sind Stoffe außer Emulgatoren, die dem Mehl oder dem Teig zugefügt werden, um deren Backfähigkeit zu verbessern“. Mehlbehandlungsmittel erleichtern dem Bäckerhandwerk die Arbeit. Sie werden bereits in der Mühle dem Mehl zugegeben und verleihen ihm standardisierte Eigenschaften im Hinblick auf Teigbildung, Teigbeschaffenheit, Teig- und Gebäcklockerung. Schlussbemerkung: Die Faktoren Zeit, Bequemlichkeit (Convenience) und Kosten entscheiden über das Ausmaß mit dem der Verbraucher Zusatzstoffe zu sich nimmt. Durch die Deklarationspflicht haben Verbraucher die Möglichkeit bestimmte oder auch alle deklarationspflichtigen Zusatzstoffe zu vermeiden, wenn sie dies aufgrund besonderer Stoffwechsellagen müssen oder aufgrund prinzipieller Überlegungen wollen. Letzteres gelingt am besten durch die eigenständige Zubereitung der Mahlzeiten aus frischen 21 Zutaten und Grundnahrungsmitteln. Die moderne Lebensweise führt aber dazu, dass der Verbraucher immer weniger Rohstoffkäufer ist und immer mehr zum Käufer von großtechnisch vorverarbeiteten Convenience-Produkten bis hin zu Fertiggerichten wird. Generell gilt aber: Für eine gesunde Ernährung ist es viel entscheidender was man isst, als die Frage, ob man Lebensmittel mit oder ohne Zusatzstoffe auswählt. Orientieren kann man sich dazu an den 10 Ernährungsregeln der DGE: 1. Vielseitig essen 2. Reichlich Getreideprodukte – und Kartoffeln 3. Gemüse und Obst – Nimm „5 am Tag“ 4. Täglich Milch und Milchprodukte; ein- bis zweimal in der Woche Fisch; Fleisch, Wurstwaren sowie Eier in Maßen 5. Wenig Fett und fettreiche Lebensmittel 6. Zucker und Salz in Maßen 7. Reichlich Flüssigkeit 8. Schmackhaft und schonend zubereiten 9. Sich Zeit nehmen und genießen 10. Auf das Gewicht achten und in Bewegung bleiben. Verwendete Literatur: Verordnung (EG) Nr. 1333/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über Lebensmittelzusatzstoffe – ABl. Nr. L 354 vom 31.12.2008 S. 16; Änd. durch VO (EU) Nr. 238/2010 – ABl. Nr. L 75 vom 23.03.2010 S. 17; ber., ABl. Nr. L 105 vom 27.04.2010 S. 114 Richtlinie 2008/128/EG der Kommission vom 22. Dezember 2008 zur Festlegung spezifischer Reinheitskriterien für Lebensmittelfarbstoffe – ABl. EG Nr. L 6 vom 10.01.2009 S. 20; Änd. durch Richtlinie 2011/3 v. 17.1.2011 – ABl. EG Nr. L 13/59) Richtlinie 95/31/EG der Kommission vom 5. Juli 1995 zur Festlegung spezifischer Einheitskriterien für Süßungsmittel, die in Lebensmitteln verwendet werden dürfen – ABl. EG Nr. L 178 vom 28.07.1995 S. 1; Änd. durch Richtlinie 2006/128 v. 8.12.2006 – ABl EG Nr. L 346/6 Richtlinie 2008/84/EG der Kommission vom 27. August 2008 zur Festlegung spezifischer Reinheitskriterien für andere Lebensmittelzusatzstoffe als Farbstoffe und Süßungsmittel – ABl. EG Nr. L 253 vom 20.09.2008 S. 1; Änd. durch Richtlinie 2010/67 v. 20.10.2010 – ABl. Nr. L 277/17; Änd. durch Richtlinie 2009/10 v. 13.2.2009 – ABl. Nr. L 44/62 Verordnung über die Zulassung von Zusatzstoffen zu Lebensmitteln zu technologischen Zwecken (Zusatzstoff-Zulassungsverordnung – ZZulV) vom 29. Januar 1998, BGBl S. 231; letzte Änd. v. 28.3.2011, BGBl I, S 530 Verordnung über die Anforderungen an Zusatzstoffe und das Inverkehrbringen von Zusatzstoffen für technologische Zwecke (Zusatzstoff-Verkehrsverordnung – ZVerkV) vom 29. Januar 1998, BGBl. I S. 269, ber., BGBl I S. 530; letzte Änd. v. 28.3.2011, BGBl I, S 534 Bundesministerium für Gesundheit (Österreich): Zusatzstoffe, Aromen und Enzyme in der Lebensmittelindustrie (2010) ISBN 978-3-902611-40-6 P. Kuhnert, E. Lück: Lexikon Lebensmittelzusatzstoffe (3. Auflage), Behr’s Verlag 2010 D. McCann, A. Barrett, A. Cooper et al. (2007) Food additives and hyperactive behavior in 3 and 8/9 year old children in die community. The Lancet 370:1560-7 EFSA (2011) Revised exposure assessment for steviol glycosides for the proposed uses as a food additive, EFSA Journal 9:1972 (19 S.) 22 Risikobewertung von Lebensmittelzusatzstoffen Dr. Rainer Gürtler Abteilung Lebensmittelsicherheit, Fachgruppe Lebensmitteltoxikologie Bundesinstitut für Risikobewertung, Thielallee 88-92, 14195 Berlin Lebensmittelzusatzstoffe werden Lebensmitteln zugesetzt, um bestimmte technologische Wirkungen zu erzielen, zum Beispiel um zu färben, zu süßen, oder zu konservieren. So werden z.B. Haltbarkeit und Aussehen (Farbe, Konsistenz) gesichert. Dementsprechend zählen Antioxidantien, Emulgatoren, Verdickungsmittel, sowie Konservierungs-, Farb- und Süßstoffe zu den am weitesten bekannten ZusatzstoffKategorien. Nach Artikel 3 der Verordnung (EG) Nr. 1333/2008 ist ein Lebensmittelzusatzstoff „ein Stoff mit oder ohne Nährwert, der in der Regel weder selbst als Lebensmittel verzehrt noch als charakteristische Lebensmittelzutat verwendet wird und einem Lebensmittel aus technologischen Gründen bei der Herstellung, Verarbeitung, Zubereitung, Behandlung, Verpackung, Beförderung oder Lagerung zugesetzt wird, wodurch er selbst oder seine Nebenprodukte mittelbar oder unmittelbar zu einem Bestandteil des Lebensmittels werden oder werden können.“ Lebensmittelzusatzstoffe müssen gemäß Lebensmittelkennzeichnungsverordnung auf verpackten Lebensmitteln in der Zutatenliste in der Regel mit dem Klassennamen (z. B. „Konservierungsstoff“), gefolgt von der Verkehrsbezeichnung oder der ENummer aufgeführt werden. Der Begriff „Zutaten“ ist eine Sammelbezeichnung für alle Stoffe, einschließlich der Zusatzstoffe und Aromen, die bei der Herstellung eines Lebensmittels verwendet werden. Derzeit sind in der EU etwa 300 Zusatzstoffe zugelassen (bzw. etwa 400, wenn verschiedene Salze einzelner Zusatzstoffe getrennt gezählt werden), die gemäß Anhang I der Verordnung (EG) Nr. 1333/2008 in 26 Funktionsklassen eingeteilt sind. Gemäß Verordnung (EG) Nr. 1333/2008 dürfen nur zugelassene Zusatzstoffe verwendet werden. Voraussetzung für eine Zulassung sind die gesundheitliche Unbedenklichkeit, die technologische Notwendigkeit und die Gewährleistung, dass Verbraucher nicht getäuscht werden. Der Hersteller hat den Nachweis zu erbringen, dass der betreffende Zusatzstoff gesundheitlich unbedenklich ist. Um etwaige die 23 Gesundheit gefährdende verschiedenen Wirkungen toxikologischen zu ermitteln, Untersuchungen sowie muss ein einer Zusatzstoff toxikologischen Bewertung unterzogen werden. Bei Vorliegen neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse ist gegebenenfalls eine Neubewertung erforderlich. Prinzipien der Risikobewertung Die in Deutschland und den anderen Mitgliedsländern der EU zulässigen Zusatzstoffe sind durch internationale und zum Teil auch nationale Expertengremien gesundheitlich bewertet und zur Verwendung in Lebensmitteln akzeptiert worden. In der EU ist seit 2003 die European Food Safety Authority (EFSA) mit dem Scientific Panel on Food Additives and Nutrient Sources added to Food (ANS) für die gesundheitliche Bewertung von Zusatzstoffen zuständig. Dieses Expertengremium bewertet Zusatzstoffe Wissenschaftlichen nun anstelle des Lebensmittelausschusses im der Frühjahr 2003 EU-Kommission aufgelösten (Scientific Committee on Food, SCF). Außerdem werden Zusatzstoffe auch vom Joint FAO/WHO Expert Committee on Food Additives (JECFA) bewertet. In der Verordnung (EU) Nr. 234/2011 ist kurz beschrieben, welche Daten für die Risikobewertung von neuen Lebensmittelzusatzstoffen erforderlich sind. Zu den erforderlichen toxikologischen Daten zählen Informationen über Aufnahme, Verteilung im Körper, Verstoffwechselung und Ausscheidung sowie Informationen zur subchronischen und chronischen Toxizität, Kanzerogenität, Genotoxizität, Reproduktions- und Entwicklungstoxizität. Gegebenenfalls sind auch Studien zu weiteren toxikologischen Aspekten erforderlich. Vom Antragsteller sind auch die entsprechenden Anleitungsdokumente (Guidance documents) der EU-Kommission (http://ec.europa.eu/food/food/fAEF/authorisation_application_en.htm) und der EFSA (http://www.efsa.europa.eu/en/consultations/call/111117.htm) zu berücksichtigen. Die toxikologischen Prüfungen beinhalten in der Regel verschiedene Tierversuche sowie nach Möglichkeit Untersuchungen über das Verhalten des Zusatzstoffs im menschlichen Organismus. Ziel dieser toxikologischen Untersuchungen und Bewertung ist die Ableitung einer akzeptablen täglichen Aufnahmemenge (Acceptable Daily Intake, ADI-Wert) für den Menschen. Diese ADI-Werte basieren 24 überwiegend auf den Ergebnissen von Tierexperimenten, in denen die Tiere den betreffenden Zusatzstoff zumeist täglich über einen langen Zeitraum mit dem Futter in vergleichsweise hohen Konzentrationen erhalten haben. In diesen Studien werden die niedrigste Dosis, bei der unerwünschte Wirkungen auftraten (Lowest Observed Adverse Effect Level, LOAEL), sowie die Dosis, bis zu der keine unerwünschten Reaktionen auftraten (No Observed Adverse Effect Level, NOAEL), ermittelt. Der NOAEL wird durch einen Sicherheitsfaktor (in der Regel 100) geteilt. Dadurch sollen Unsicherheiten bei der Übertragung der Studienergebnisse vom Tier auf den Menschen und individuelle Unterschiede berücksichtigt werden. Somit beträgt der ADI-Wert häufig ein Hundertstel des NOAEL. Er wird in mg/kg Körpergewicht angegeben. Diese Menge kann ein ganzes Leben lang täglich aufgenommen werden, ohne dass unerwünschte Wirkungen zu erwarten sind. Gelegentliche kurzfristige Überschreitungen des ADI-Werts sind nach diesem ADI-Konzept tolerierbar, wenn (i) die Höhe der Überschreitung nur ein Ausmaß hat, das noch einen tolerierbaren Abstand zwischen der Exposition und dem NOAEL beziehungsweise LOAEL gewährleistet, (ii) es keine Hinweise darauf gibt, dass der für die Ableitung des ADI maßgebliche Effekt schon nach akuter Exposition auftritt, und (iii) sie nur so selten auftreten, dass die langfristige Exposition davon nicht nennenswert beeinflusst wird. Für einige Zusatzstoffe, die kein wesentliches Gefährdungspotenzial haben und in den üblichen Verwendungsmengen als unbedenklich gelten, wie z.B. Calciumcarbonat (E 170) oder Stickstoff (E 941), wurden keine numerischen ADIWerte abgeleitet, das Fazit der Bewertung lautete dann z.B. „akzeptabel“ oder „ADI not specified“. Das bedeutet nicht, dass eine unbegrenzte Verwendung solcher Zusatzstoffe als akzeptabel angesehen wird. JECFA hat darauf hingewiesen, dass die Verwendung der betreffenden Zusatzstoffe dann nach „Guter Herstellungspraxis“ erfolgen sollte, das heißt, nur in der Menge, die erforderlich ist, um die gewünschte technologische Wirkung zu erzielen. Die zugelassenen Zusatzstoffe sind im Allgemeinen ausführlich geprüft, wobei auch, sofern vorhanden, verfügbare Daten aus Human-Studien berücksichtigt wurden. Mit der Verordnung (EU) Nr. 257/2010 wurde allerdings ein Programm aufgestellt, wonach alle bereits zugelassenen Zusatzstoffe bis Ende 2020 durch das EFSA-ANS- 25 Panel erneut zu bewerten sind (wobei für bestimmte Zusatzstoffe kürzere Fristen gelten). Für zugelassene Zusatzstoffe wurden Verwendungshöchstmengen für verschiedene Lebensmittelkategorien abgeleitet. Damit soll sichergestellt werden, dass die für die betreffenden Zusatzstoffe geltenden ADI-Werte nicht überschritten werden. Im Bundesinstitut für Risikobewertung werden Zusatzstoffe bewertet, wenn die gesundheitliche Unbedenklichkeit zur Diskussion steht und es begründete Hinweise auf mögliche Zusammenhang Gesundheitsgefährdungen gibt (Beispiele: Studie über einen zwischen der Aufnahme von Lebensmittelfarbstoffen und Hyperaktivität bei Kindern; Bildung von Benzol aus den Zusatzstoffen Benzoat und Ascorbinsäure). Außerdem wird das Risiko bewertet, wenn bekannt wird, dass nicht zugelassene Stoffe als Zusatzstoffe in Lebensmitteln eingesetzt werden, wie das z.B. mit den sogenannte Sudanfarbstoffen der Fall war (BfR-Stellungnahmen unter www.bfr.bund.de). In anderen Fällen sind auch mögliche ADI-Wert-Überschreitungen zu bewerten. Die EFSA bewertet Anträge auf Zulassung neuer Zusatzstoffe. Außerdem bewertet sie alle bereits zugelassenen Zusatzstoffe (in einem Programm gemäß Verordnung (EU) Nr. 257/2010) bis Ende 2020 erneut. Dabei haben bestimmte Zusatzstoffe, wie beispielsweise Aspartam, eine hohe Priorität. Aspartam Der Süßstoff Aspartam ist etwa 200-mal süßer als Saccharose. Er wird im Gastrointestinaltrakt in seine Bestandteile Asparaginsäure, Phenylalanin und Methanol hydrolysiert, die im Körper und in Lebensmitteln auch natürlicherweise vorkommen. Eine Portion Milch liefert etwa sechsmal mehr Phenylalanin und dreizehnmal mehr Asparaginsäure als die entsprechende Menge eines ausschließlich mit Aspartam gesüßten Diätgetränks. Bei den üblichen Verwendungsmengen ist Aspartam als solches nicht systemisch verfügbar. Dennoch wurde die Sicherheit der Verwendung von Aspartam als Süßstoff in der Vergangenheit wiederholt infrage gestellt, und dieses Thema beschäftigt auch weiterhin Expertengremien auf internationaler Ebene. 26 Aspartam wurde mehrfach vom Joint FAO/WHO Expert Committee on Food Additives bewertet. Auf der Basis eines NOAEL von 4 g/kg Körpergewicht (KG) und Tag aus einer Langzeit-Fütterungsstudie an Ratten wurde 1981 unter Anwendung eines Unsicherheitsfaktors von 100 ein ADI von 40 mg/kg KG und Tag abgeleitet. Dabei wurden auch mehrere Human-Studien mit Personen berücksichtigt, die das Krankheitsbild Phenylketonurie (PKU) aufwiesen. Auch das SCF hat Aspartam mehrfach (1984, 1987 und 1988) bewertet. Es hat den von JECFA abgeleiteten ADIWert von 40 mg/kg KG und Tag damals bestätigt und betont, dass bei einer Aspartam-Aufnahme im Bereich des ADI die Phenylalanin-Plasmaspiegel zumeist im normalen Bereich liegen. Das gelte für gesunde Erwachsene und Kinder, PKUheterozygote Erwachsene und wahrscheinlich auch für heterozygote Kinder und Schwangere, aber nicht für PKU-homozygote Personen. Das SCF hat empfohlen, dass PKU-homozygote Personen Aspartam meiden sollten und dass Lebensmittel hinsichtlich der Phenylalaninquelle gekennzeichnet werden sollten. In der EU ist deshalb eine entsprechende Kennzeichnung vorgeschrieben. In den 1990er-Jahren wurde von Olney et al. (1996) der Verdacht geäußert, dass eine in epidemiologischen Studien beobachtete Zunahme von Hirntumoren auf die Verwendung von Aspartam als Süßstoff zurückzuführen sein könnte. Die Autoren hielten eine Neubewertung des kanzerogenen Potenzials von Aspartam für erforderlich. Das führte dazu, dass sich mehrere nationale Lebensmittelsicherheitsbehörden und internationale Expertengremien mit dieser Frage befassten (beispielsweise die US-amerikanische Food and Drug Administration 1996, die französische Lebensmittelsicherheitsbehörde AFSSA 2002, das SCF 1997 und 2002). Diese Experten stimmten nach Prüfung der Daten jeweils nicht mit der Schlussfolgerung von Olney et al. überein und sahen keinen Anlass, den ADI zu revidieren (SCF 2002). Vor einigen Jahren wurde von der European Ramazzini Foundation of Oncology and Environmental Sciences (ERF), Bologna, eine Kanzerogenitätsstudie an Ratten durchgeführt, bei der den Tieren Aspartam in sechs Dosierungen (bis zu 5000 mg/kg KG und Tag) lebenslang mit dem Futter verabreicht wurde (Soffritti et al 2005, 2006). Die Autoren berichteten von erhöhten Inzidenzen von Lymphomen/Leukämien (vorwiegend bei weiblichen Ratten), Übergangszellkarzinomen von Nierenbecken 27 und Harnleiter sowie malignen Schwannomen von peripheren Nerven. Diese Studie wurde vom AFC-Panel der EFSA bewertet. Das Panel kam zu dem Schluss, dass die Einhaltung der Empfehlungen zur „Guten Laborpraxis“ (GLP) bei der Studie nicht klar sei und dass die Studie in wesentlichen Punkten von der OECD-Guideline No. 451 abwich. Dies betraf unter anderem Daten zur Aspartam-Spezifikation, -Stabilität und Menge im Futter, zur Futterzusammensetzung und zu möglichen Kontaminanten. Außerdem waren klinische und makroskopische Beobachtungen sowie hämatologische Parameter nicht dokumentiert. Die histopathologischen Befunde waren nicht vollständig dokumentiert. Zudem erstreckte sich die Applikationsdauer über die gesamte Lebenszeit der Tiere und war nicht auf einen bestimmten Zeitraum begrenzt. Da die Tiere unterschiedlich lange lebten, erschwerte das die statistische Auswertung. Die beschriebenen erhöhten Tumorinzidenzen sah das Panel aus verschiedenen Gründen nicht als relevant an. Insgesamt kam das AFC-Panel zu dem Schluss, dass die Daten der ERF-Studie keinen Beleg für ein kanzerogenes Potenzial von Aspartam liefern. Diese Einschätzung ist im Einklang mit einer negativen Kanzerogenitätsstudie an transgenen Mäusen (NTP 2003). Außerdem wurde in einer neueren epidemiologischen Studie kein Zusammenhang zwischen der Aufnahme von Aspartam und der Inzidenz von Hirn- oder Blasentumoren beobachtet (NCI 2006). Das AFC-Panel hat auch darauf hingewiesen, dass Aspartam bei Aufnahmen (auch Bolus-Aufnahme) im Bereich des ADI nicht systemisch verfügbar ist und dass die Aufnahme auch bei hohem Konsum (bis zu 10 mg/kg KG und Tag) noch unter dem ADI von 40 mg/kg KG und Tag liegt (EFSA 2006). Die ERF hat eine weitere Kanzerogenitätsstudie mit Aspartam an Ratten durchgeführt (Soffritti et al. 2007). Dabei erhielten die Tiere Aspartam wieder lebenslang mit dem Futter, beginnend pränatal ab dem zwölften Tag der Gestation. Die Dosierung war niedriger als in der ersten ERF-Studie und lag diesmal bei 0, 20 und 100 mg/kg KG und Tag. Erneut wurde eine erhöhte Inzidenz von Lymphomen/Leukämien (bei hoher Dosis bei männlichen und weiblichen Tieren signifikant) beschrieben. Außerdem wurde eine erhöhte Inzidenz von Mammakarzinomen bei weiblichen Tieren berichtet. Auch diese Studie wurde von der EFSA bewertet, nun vom ANS-Panel, das nach Teilung des AFC-Panel in zwei neue Panels für die Bewertung von Zusatzstoffen zuständig ist. Auch diese Studie entsprach in mehrfacher Hinsicht nicht der OECD-Guideline 451, und auch diesmal war 28 nicht klar, ob sie nach GLP-Richtlinien durchgeführt wurde. Die Dokumentation war unvollständig, die Bewertung musste im Wesentlichen auf der Basis der Publikation erfolgen (die ERF hatte nur wenige der nachgeforderten Daten bereitgestellt). Das ANS-Panel hat in seinem Gutachten betont, dass die Mehrzahl der Lymphome/Leukämien offenbar bei Ratten mit entzündlichen Veränderungen der Lungen auftrat und insofern nicht als relevant anzusehen ist. Die beschriebene erhöhte Inzidenz des Mammakarzinoms sei ebenfalls nicht relevant, da hohe Schwankungen bekannt sind und in der ersten Studie bei deutlich höherer Dosierung keine erhöhte Inzidenz beobachtet wurde. Insgesamt sah das Panel keinen Anlass, den ADI zu revidieren (EFSA 2009). Die ERF hat eine dritte Kanzerogenitätsstudie mit Aspartam durchgeführt, diesmal an Mäusen (Soffritti et al. 2010). Dabei erhielten die Tiere Aspartam wieder lebenslang mit dem Futter, beginnend pränatal ab dem zwölften Tag der Gestation in Dosierungen von 0, 250, 1000, 2000, und 4000 mg/kg KG und Tag. Die Autoren berichteten über eine erhöhte Inzidenz von Hepatokarzinomen und Lungenkarzinomen bei männlichen Mäusen. Die Inzidenzen lagen allerdings im Bereich der historischen Kontrollen. Die EFSA hat in einer Stellungnahme dazu betont, dass sich die Studie auf der Basis der verfügbaren Daten (z.B. zu Studiendesign und Statistik) nicht bewerten lässt. Zurzeit werden die histologischen Präparate von unabhängigen Experten erneut ausgewertet. Die für Aspartam ursprünglich (im Rahmen der erneuten Bewertung aller zugelassenen Zusatzstoffe) bis Ende 2020 vorgesehene erneute umfassende Bewertung wird auf Wunsch der EU-Kommission vorgezogen und bis Ende 2012 erfolgen. Dabei wird auch die dritte ERF-Kanzerogenitätsstudie bewertet werden. Die EFSA hat die Bewertung von Aspartam auch mit weiteren Experten, die von mehreren EU-Mitgliedstaaten benannt wurden, diskutiert. Auch daraus ergab sich bisher kein Anlass, den ADI zu ändern. Süßstoffe und Frühgeburten Die Sicherheit von Aspartam wurde auch nach Bekanntwerden der Ergebnisse einer epidemiologischen Studie von Halldorsson et al. (2010) über den Zusammenhang zwischen dem Verzehr von mit Süßstoffen gesüßten Getränken von Schwangeren 29 und der Häufigkeit von Frühgeburten in Frage gestellt. In dieser prospektiven Kohortenstudie mit knapp 60 000 Schwangeren wurden Daten aus dem Dänischen Geburtsregister (1996 – 2002) ausgewertet. Außerdem wurden Verzehrsdaten mit einem Fragebogen etwa in der 25. Schwangerschaftswoche erhoben. Die Autoren beobachteten keine Assoziation zwischen der Anzahl der Frühgeburten und dem Konsum von mit Zucker gesüßten Getränken, aber eine Assoziation zwischen der Anzahl der Frühgeburten und dem Konsum von Getränken, die mit Süßstoffen gesüßt waren. Die Assoziation liegt allerdings in einem moderaten Bereich (OddsRatio von 1,12 – 1,78) und war bei den spontanen Frühgeburten schwächer ausgeprägt als bei den medizinisch induzierten Frühgeburten. Eine solche Assoziation kann nicht als Beleg für einen kausalen Zusammenhang angesehen werden. Zudem ist keine Aussage zu bestimmten Süßstoffen (z.B. Aspartam) möglich. Die Autoren haben betont, dass weitere Studien erforderlich wären, mit denen die Ergebnisse bestätigt oder entkräftet werden könnten. Somit können auf der Basis der verfügbaren Daten keine Empfehlungen zum Verzehr von mit Süßstoffen gesüßten Getränken ausgesprochen werden. Lebensmittelfarbstoffe und Hyperaktivität bei Kindern Die Universität Southampton hatte 2007 Studienergebnisse über den möglichen Zusammenhang zwischen der Aufnahme bestimmter Lebensmittelzusatzstoffe und dem Auftreten des Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivität-Syndroms (ADHS) bei Kindern publiziert (McCann et al. 2007). Das BfR hatte die Ergebnisse kurzfristig bewertet und kam zu dem Schluss, dass diese Studie allenfalls Hinweise auf einen möglichen Zusammenhang zwischen der Aufnahme bestimmter Lebensmittelzusatzstoffe und einer erhöhten Hyperaktivität bei Kindern liefert, aber keinen eindeutigen wissenschaftlichen Beleg für einen kausalen Zusammenhang (BfR 2007). Aus den Studienergebnissen kann für einen solchen kausalen Zusammenhang auch kein biologischer Mechanismus abgeleitet werden. Die beobachteten Effekte waren im Vergleich zur normalen interindividuellen Variation nur gering. Verhaltensänderungen traten nicht bei allen Kindern einer Gruppe auf und auch nicht durchgängig statistisch signifikant in allen untersuchten Alters- und Zusatzstoffgruppen. 30 Das AFC-Panel der EFSA gelangte in seinem Gutachten vom März 2008 zu einer entsprechenden Einschätzung. Dennoch ist nach Artikel 24 in Verbindung mit Anhang V der Verordnung (EG) Nr. 1333/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über Lebensmittelzusatzstoffe vorgeschrieben, dass Lebensmittel, die die in der McCann-Studie untersuchten Farbstoffe enthalten, mit dem Hinweis „Kann Aktivität und Aufmerksamkeit bei Kindern beeinträchtigen“ gekennzeichnet vorgeschriebene werden müssen. Warnhinweis Hierbei eine vom ist zu beachten, Risikomanagement dass dieser getroffene Vorsichtsmaßnahme ist, die sich nicht unmittelbar aus den Stellungnahmen der EFSA oder des BfR ableiten lässt. Weitere Informationen zum Thema Lebensmittelzusatzstoffe sind auf den Websites des Bundesinstituts für Risikobewertung verfügbar unter www.bfr.bund.de (Stichwort Lebensmittelzusatzstoffe). Literatur: BfR (2007) Hyperaktivität und Zusatzstoffe – gibt es einen Zusammenhang? Stellungnahme Nr. 040/2007 des BfR vom 13. September 2007. http://www.bfr.bund.de/cm/208/hyperaktivitaet_und_zusatzstoffe_gibt_es_einen_zusamm enhang.pdf Gürtler R (2007): Lebensmittelzusatzstoffe: Gesundheitliche Bewertung und allgemeine Aspekte, in: Dunkelberg H, Gebel T, Hartwig A (Hrsg.) Handbuch der Lebensmitteltoxikologie, Band 3, Wiley-VCH, Weinheim, 1625 – 1663. Gürtler R (2010) Sicherheit von Lebensmittelzusatzstoffen aus nationaler und EU-Sicht. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz 53(6):554-560. Halldorsson et al. (2010) Intake of artificially sweetened soft drinks and risk of preterm delivery: a prospective cohort study in 59,334 Danish pregnant women. Am J Clin Nutrition 92, 626-633. McCann D, Barrett A, Cooper C et al (2007) Food additives and hyperactive behaviour in 3year-old and 8/9-year-old children in the community: a randomized, double-blinded, placebo-controlled trial. Lancet 370(9598):1560–1567. Olney et al. (1996) Increasing brain tumor rates: is there a link to aspartame? J Neuropathol Exp Neurol 55(11): 1115-1123. SCF (2002) Opinion of the Scientific Committee on Food: Update on the Safety of Aspartame (expressed on 4 December 2002). http://ec.europa.eu/food/fs/sc/scf/out155_en.pdf Soffritti M, Belpoggi F, Esposti DD, Lambertini L (2005) Aspartame induces lymphomas and leukaemias in rats. Eur J Oncol 10:107–116. Soffritti M, Belpoggi F, Esposti DD et al (2006) First experimental demonstration of the multipotential carcinogenic effects of aspartame administered in the feed to spraguedawley rats. Environ Health Perspect 114:379–385. Soffritti M, Belpoggi F, Tibaldi E et al (2007) Life-span exposure to low doses of aspartame beginning during prenatal life increases cancer effects in rats. Environ Health Perspect 115:1293–1297. Soffritti et al. (2010) Aspartame administered in feed, beginning prenatally through life span, induces cancers of the liver and lung in male Swiss mice. Am J Industrial Medicine 53, 1197-1206. 31 Zusatzstoffe und Gentechnik – Beispiel Enzyme Prof. Dr. Rolf Großklaus ehemals Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), Berlin Einleitung Nach Meinungsumfragen lehnen über 90% der Verbraucher in Europa und Deutschland gentechnisch hergestellte Lebensmittel ab (European Commission, 2010). Viele Europäer fürchten zudem Risiken für die menschliche Gesundheit und die Umwelt durch die Anwendung der Grünen Gentechnik. Die strengen Anforderungen an die Verwendung der Werbeaussage „ohne Gentechnik“, insbesondere in Bezug auf die Herkunft der Futtermittel, Verarbeitungshilfsstoffe, Enzyme, Vitamine und Futtermittelzusatzstoffe auf der einen Seite und die Tatsache, dass tatsächlich ca. 70 % der Lebensmittel heute im Laufe des Herstellungsprozesses in irgendeiner Form mit der Gentechnik in Berührung kommen, auf der anderen Seite, erklärt warum nur sehr wenige Unternehmen Gebrauch von der Werbeaussage „ohne Gentechnik“ machen können, wenn der Verbraucher nicht getäuscht werden soll (Abbildung 1). Abbildung 1: Lebensmittelsortiment: Gentechnik und Kennzeichnung (Quelle: www.transgen.de) So darf z. B. eine Backware, bei deren Herstellung ein aus gentechnisch verändertem Mais hergestellter Glukosesirup verwendet wurde, nicht mit dem Hinweis „ohne Gentechnik“ versehen werden. Bei der Verwendung von Glukosesirup 32 aus konventionellem Mais ist z. B. zu prüfen, ob bei seiner Herstellung mit Hilfe gentechnischer Verfahren gewonnene Enzyme verwendet wurden. Trifft dies zu, ist eine Auslobung der Backware mit Hinweisen wie „ohne Gentechnik“ ebenfalls nicht zulässig. Die heute in der EU gültige Kennzeichnungspflicht erzeugt die Illusion, Europa sei gentechnikfrei (Miersch, 2010). Denn Fleisch, Eier und Milchprodukte von Tieren, die mit Gentechnikfutter gemästet werden, müssen nicht kenntlich gemacht werden. Ungekennzeichnet bleiben auch Lebensmittel, die Zusatzstoffe, Aromen oder Vitamine enthalten, die aus gentechnisch veränderten Mikroorganismen hergestellt werden. Unsere Marmeladen, Frucht- und Gemüsesäfte sowie Brot werden in der Regel unter Verwendung von rekombinanten Enzymen hergestellt, die als technische Hilfsstoffe nicht deklariert werden müssen. Denn gewonnen werden diese Lebensmittel-Enzyme in zunehmendem Maße aus eigens dafür gentechnisch veränderten Mikroorganismen wie Bakterien oder Hefezellen. Die Angst vor gentechnisch hergestellten Lebensmitteln ist vor allem auf die zu geringe Aufklärung zurückzuführen. Kaum jemand weiß, dass schon seit fast 30 Jahren Enzyme aus rekombinanten Bakterien, Schimmelpilzen oder Hefen gewonnen worden sind, um beispielsweise als optimierte Amylasen beim Stärkeabbau, Proteasen zum Backen oder Chymosin als Labferment zur Käseherstellung verwendet zu werden. Vor der Entwicklung der Gentechnik wurden Mikroorganismen traditionell mittels Strahlung oder mit chemischen Substanzen für die Züchtung verändert (Mutationszüchtung). Die genauen Ursachen der Veränderung der Mikroorganismen durch Bestrahlung waren meistens nicht bekannt. Das Wissen über die während der Verarbeitung oder Zubereitung ablaufenden biochemischen Vorgänge in einem Lebensmittel hat stark zugenommen. Enzyme sind die Werkzeuge, diese Prozesse zu steuern und zu optimieren (Fernandes, 2010; Kirk et al., 2002; Whitehurst und Van Oort, 2010). Zweck des Beitrages ist es deshalb, einen Überblick über Herstellung und Anwendung von Enzymen in Lebensmitteln, die neuen rechtlichen Regelungen für Enzyme einschließlich der Anforderungen, das einheitliche Zulassungsverfahren für Lebensmittelzusatzstoffe, Europäischen Behörde Enzyme für und Aromen, die Lebensmittelsicherheit neuen Leitlinien (EFSA) für der die Sicherheitsbewertung von Enzymen sowie die Kennzeichnungsvorschriften zu geben. Es gilt das große Informationsdefizit darüber, was mit biotechnologischen Herstellungsverfahren einschließlich der sog. „weißen Gentechnik“ möglich ist, zu 33 verkleinern. Sachgerechte Information ist notwendig, wenn die Frage ob Gentechnologie verantwortbar ist oder nicht, sinnvoll diskutiert werden soll. Herstellung und Anwendung von Enzymen Was sind Lebensmittelenzyme? Laut Verordnung 1332/2008 versteht man unter einem Lebensmittelenzym „ein Erzeugnis, das aus Pflanzen, Tieren oder Mikroorganismen oder daraus hergestellten Erzeugnissen gewonnen wird; dazu gehört auch ein Erzeugnis, das durch ein Fermentationsverfahren mit Mikroorganismen gewonnen wird und das ein Enzym oder mehrere Enzyme enthält, die die Fähigkeit besitzen, eine spezifische biochemische Reaktion zu katalysieren, und einem Lebensmittel zugesetzt wird, um auf irgendeiner Stufe der Herstellung, Verarbeitung, Zubereitung, Behandlung, Verpackung, Beförderung oder Lagerung von Lebensmitteln einen technologischen Zweck zu erfüllen.“ Als technische Hilfsstoffe bzw. Verarbeitungshilfsstoffe werden Stoffe definiert (Richtlinie 89/107/EWG), „die nicht selbst als Lebensmittelzutat verzehrt werden, jedoch bei der Verarbeitung von Rohstoffen, Lebensmitteln oder deren Zutaten aus technologischen Gründen während der Be- oder Verarbeitung verwendet werden und unbeabsichtigte, technisch unvermeidbare Rückstände oder Rückstandsderivate im Enderzeugnis hinterlassen können, unter der Bedingung, dass diese Rückstände gesundheitlich unbedenklich sind und sich technisch nicht auf das Enderzeugnis auswirken.“ Geschichte Erste Anwendungen lassen sich bereits 6.000 v. Chr. finden, als die Sumerer in Meso- potamien aus gekeimter Gerste ein alkoholhaltiges bieraሷhnliches Getränk gebraut haben. Aber auch bei der Herstellung von Wein, Sauerteigbrot oder Käse kamen von Anfang an lebende Mikroorganismen zum Einsatz – nur hat das damals keiner gewusst, dass man sich damit die katalytischen Eigenschaften von Enzymen zur Lebensmittelherstellung sowie beim Bierbrauen zunutze machte. Die Anwendung von Kälbermagen (und dem Enzym Chymosin) wird in Homers „Ilias“ und „Odyssee“ 800 v. Chr. erwähnt. Chymosin wird 1874 aus Kälbermagen isoliert und 34 1971 wird erstmals bakterielles Chymosin als Labersatz verwendet. Gentechnisch hergestelltes Chymosin aus der Molkereihefe Kluyveromyces lactis kam erstmals 1988 auf den Markt. Seit 1999 wird gezieltes „Protein engineering“, d.h. die Neukonstruktion von Proteinen mit veränderten und optimierten Eigenschaften bei Enzymen, um beispielsweise pH Optimum, Temperaturstabilität oder Substratspezifität zu verbessern, auch in der Lebensmittelherstellung angewendet (Whitehurst und van Oort, 2010). Verfahren zur industriellen Herstellung von Amylase aus dem Pilz Aspergillus oryzae wurden bereits um 1900 entwickelt. Seit 1982 wird Amylase gentechnisch hergestellt. Mit der Gentechnik erleben Enzyme in der industriellen Anwendung einen Boom. Traditionelle und gentechnische Herstellungsverfahren von Enzymen Die weiße Gentechnik – auch industrielle weiße Biotechnologie genannt – ist ein Teil der Biotechnologie. Darunter wird allgemein die Anwendung von Naturwissenschaft und Technologie an lebenden Organismen, deren Teilen sowie Produkten von ihnen verstanden. Bei der weißen (industriellen) Biotechnologie im engeren Sinne werden chemische Prozesse durch den Einsatz von Mikroorganismen, Enzymen oder anderen Produktionssystemen optimiert oder ersetzt. Die Produkte werden großtechnisch in geschlossenen Systemen hergestellt. In der weißen Biotechnologie werden Organismen oder einzelne Biomoleküle als Grundlagen für die industrielle Produktion verwendet, was sie von der Roten Gentechnik (medizinisch- pharmazeutische Biotechnologie) und der Grünen Gentechnik (landwirtschaftlichpflanzliche Biotechnologie) abgrenzt (Großklaus, 2011; Soetaert und Vandamme, 2006). Traditionelle Herstellungsverfahren Ein bedeutsamer Anwendungsbereich ist die biotechnische Herstellung von Enzymen. Enzyme sind Proteine, die (bio)chemische Reaktionen beschleunigen, die ansonsten unter den in lebenden Zellen herrschenden Bedingungen nicht oder nur sehr langsam ablaufen würden. Sie benötigen keine erhöhten Temperaturen bzw. hohe Drücke wie chemische Katalysatoren und wirken sehr spezifisch. Enzyme sind gewissermaßen biologische „Allzweckwerkzeuge“, die in jedem Organismus vorkommen und auch bei vielen Verarbeitungsvorgängen in der Lebensmittelindustrie eingesetzt werden. Im fertigen Produkt sind sie jedoch meist 35 nicht mehr vorhanden. Ihr Einsatz für industrielle Zwecke wird seit vielen Jahren mit Blick auf ökonomische und ökologische Potenziale diskutiert (TAB, 1996). Der Nutzung biotechnologischer Verfahren in der industriellen Produktion werden große Potenziale zur Entwicklung neuer oder verbesserter Prozesse und Produkte zugesprochen (Nusser et al., 2007). Traditionell können Enzyme aus Pflanzen, Tieren oder Mikroorganismen gewonnen werden. Die industrielle Produktion von Enzymen erfolgt jedoch meistens mit Hilfe von Mikroorganismen, die in geschlossenen Systemen kultiviert werden (Abbildung 1). Der Mikroorganismus, der ein für eine bestimmte Anwendung nützliches Enzym produziert, wird in einem Fermenter (Bioreaktor) eingebracht, in dem sich eine Nährlösung befindet. Die Wachstumsbedingungen (Zusammensetzung der Ausgangsstoffe in der Nährlösung, Temperatur, Sauerstoff u.a.) sind optimal gewählt, so dass sich die Mikroorganismen rasch vermehren und große Mengen des gewünschten Enzyms produzieren (Kundu und Das, 1970). Das Enzym wird aus der abfließenden „Fermentationsbrühe“ isoliert und gereinigt. Störende Nebenprodukte aus der Fermentation trennen die Hersteller vom gewünschten Erzeugnis. Dann wird der Stoff mit Hilfe von modernen Methoden auf Reinheit überprüft und schließlich konzentriert. Nach Abschluss dieser Prozedur sind die Mikroorganismen und ihre Überreste im Endprodukt nicht mehr vorhanden. Ihre Erbsubstanz DNA ist nicht mehr nachweisbar. Mikroorganismen sind zumeist Bakterien oder seltener einfache Pilze wie z.B. Hefen. Abbildung 1: Anzucht und Vermehrung von Mikroorganismen Enzymproduktion (nach Schneider, 2011) 36 für die Mikroorganismen haben einige sehr interessante Vorteile. So wachsen sie viel schneller als Tiere oder Pflanzen, stellen also auch viel mehr des gewünschten Stoffes her, sind einfach in Fermentern zu züchten und auch einfach gentechnisch zu verändern. Die dabei verwendeten Mikroorganismen sind solche mit denen man schon große Erfahrungen in der Kultivierung hat. Dies sind Bakterien die schon von jeher zur Herstellung von Sauermilchprodukten, Antibiotika oder Enzymen verwendet werden. Der Weltmarkt für Enzyme, die für Lebensmittelanwendungen eingesetzt werden, beläuft sich 2005 auf etwa 750 Mio. US$. Eine Übersicht über enzymatische Verfahren in der Lebensmittelindustrie gibt Tabelle 1. Zahlreiche Lebensmittel werden durch enzymatische Verfahren hergestellt, so dass zu ihrer Herstellung Enzyme eingesetzt werden. Beispiele sind Brot und Backwaren (Verbesserung der Backeigenschaften), alkoholische Getränke (z.B. bei Wein bessere Mostklärung und Maischeextraktion) (Schneider, 2007), die Herstellung von Milchprodukten wie Käse, lactosereduzierter Milchprodukte (Novalin et al., 2005), die Herstellung von Fleischwaren (Marques et al., 2010; Motoki und Kumazawa, 2000; Motoki und Seguro, 1998) sowie der Einsatz von Enzymen in der Frucht- und Gemüsesaftherstellung. Darüber hinaus werden enzymatische Verfahren zur Modifikation der Makronährstoffe Kohlenhydrate, Proteine und Öle und Fette eingesetzt. So erfolgt beispielsweise die enzymatische Stärkehydrolyse zu Glucose und die Isomerisierung zu Glucose-Fructose-Sirups im großtechnischen Maßstab. Die enzymatische Herstellung von Proteinhydrolysaten ist Stand der Technik, die enzymatische Produktion bioaktiver Peptide in der Entwicklung. Durch enzymatische Modifizierung von Fetten und Ölen können u. a. strukturierte Lipide oder Öle mit erhöhtem ernährungsphysiologischen Wert hergestellt werden (Kirk et al., 2002; Nusser et al., 2007; Van den Brink und de Vries, 2011). Asparaginase führt zur Reduktion von potenziell kanzerogen Acrylamid in hitzebehandelten Lebensmitteln, da die in unbehandelten Lebensmitteln vorkommende Asparaginsäure, eine Vorstufe des Acrylamids, enzymatisch in unbedenkliche Stoffe abgebaut wird (Anese et al., 2011; Hendriksen et al., 2009). 37 Tabelle 1: Einsatzbereiche von Enzymen in der Lebensmittelproduktion (mod. nach Nusser et al., 2007) Die bei der Lebensmittelherstellung eingesetzten Enzyme sind in der Regel nicht mehr im Endprodukt vorhanden. Einige werden im Verlauf des Verarbeitungsprozesses inaktiviert (z.B. Backenzyme durch Hitze oder durch Pasteurisieren bei der Fruchtsaftherstellung), andere werden in „immobilisierter“ Form eingesetzt. Dabei werden die Enzyme auf ein Trägermedium fixiert und wirken „von außen“ auf ein Lebensmittel ein (Fernandes, 2010). Wie die Beispiele zeigen, tragen Enzyme wesentlich zur Verbesserung der Qualität von Lebensmitteln und Herstellungsprozessen bei. Viele der benötigten Enzyme konnten lange Zeit nicht in der gewünschten Größenordnung wirtschaftlich lohnend hergestellt werden, da Verunreinigungen und Nebenprodukte sich nur durch aufwendige Aufarbeitung und Reinigung beseitigen lassen. Das gewünschte Enzym arbeitet unter den jeweiligen Prozeßbedingungen (Temperatur, pH) schlecht, so dass die Ausbeute zu gering ist (Synowiecki et al., 2006). Erst durch die Gentechnologie wurden verschiedene Möglichkeiten eröffnet, diese Probleme zu lösen (Kumar und Satyanarayana, 2009; Olempska-Beer et al., 2006). 38 Gentechnische Herstellungsverfahren Mit dem Begriff der Gentechnologie werden alle Methoden und Verfahren zur Charakterisierung und Isolierung von genetischem Material, zur Bildung neuer Kombinationen genetischen Materials sowie zur Wiedereinführung und Vermehrung des neukombinierten Erbmaterials in anderer biologischer Umgebung bezeichnet. Man sagt dazu auch "rekombinante DNA-Technologie", weil damit Erbinformation gezielt re- bzw. neukombiniert werden kann. Die Gentechnologie umfasst damit vor allem das Potenzial zum gezielten und gesteuerten, selbst art-, klassen- oder reichsübergreifenden Transfer spezifischer Gene von einem Organismus in einen anderen (Großklaus, 2011). Etwa die Hälfte aller bei der Lebensmitteherstellung eingesetzten Enzyme wird inzwischen mit Hilfe von gentechnisch veränderten Mikroorganismen (GVM) wie Bakterien oder Hefezellen produziert. Unter einem genetisch veränderten Mikroorganismus versteht man einen Mikroorganismus (Richtlinie 2009/EG), „dessen genetisches Material in einer Weise verändert worden ist, wie es unter natürlichen Bedingungen durch Kreuzen und/oder natürliche Rekombination nicht vorkommt.“ Dabei gibt es verschiedene Möglichkeiten der genetischen Veränderungen: Homologer Gentransfer (arteigener Gentransfer) Hierbei wird das Gen im ursprünglichen oder in einem nahe verwandten Mikroorganismus verwendet. Dabei wird der Mikroorganismus so verändert, dass er mehrere Kopien des Gens enthält, welches das Enzym produziert, wodurch die Produktionsrate erhöht wird. Beispielsweise wird das Enzym Xylanase aus Aspergillus spec. auf diese Weise hergestellt, das das Aufgehen des Brotteigs beim Backen verbessert (Polizeli et al., 2005; Schneider, 2004). Heterologer Gentransfer (artfremder Gentransfer) Darüber hinaus ist es möglich, Enzym-Gene aus höheren Organismen, vor allem aus Pflanzen und Tieren, einzuschleusen und zur Expression zu bringen. Damit lassen sich heute auch solche Enzyme mikrobiell gewinnen, deren Produktion bisher unwirtschaftlich oder gar nicht möglich war. Dabei handelt es sich um Proteine, die sich in ihrer Struktur und Funktion nicht von traditionell hergestellten Enzymen unterscheiden; in der Regel ist aber der Reinheitsgrad des Präparats höher. Das damit verarbeitete Lebensmittel 39 entspricht dem traditionell hergestellten Produkt (z.B. Chymosin-Gen aus Schleimhautzellen eines Kalbes in Hefe transferiert) (Kumar et al., 2010). Genmodifikation („Protein engineering“) Durch sogenanntes „Protein engineering“ lassen sich auch Enzyme mit veränderten Eigenschaften konstruieren, die besser an die technologischen Prozesse angepasst sind. Durch die gerichtete Mutagenese können gezielt Aminosäuren ausgetauscht werden und dadurch eine Erhöhung der Temperatur-, Proteolyse- oder pH-Stabilität erreicht werden (Kumar und Satyanarayana, 2009; Tang und Zhao, 2009; Luetz et al., 2008). Durch diese Verfahren wird die Produktion besonders leistungsfähiger Enzyme ermöglicht, indem die genetische Information der verwendeten Mikroorganismen verändert wird. Es ist davon auszugehen, dass alle Enzyme, die in der Lebensmittelherstellung eingesetzt werden, in wenigen Jahren mit Hilfe gentechnisch veränderter Mikroorganismen hergestellt werden. Gründe hierfür sind die höhere Reinheit und die höhere Ausbeute der gewonnenen Enzyme, die Kostensenkung in der Produktion und die Ressourcenschonung im Vergleich zu den klassischen biotechnischen Verfahren (Whitehurst, 2010). Die Gewinnung von Enzymen in GVM hat große Vorteile: Rohstoffe, Energie und Wasser werden in erheblichen Maße eingespart. Da auch wesentlich weniger Abfälle und Abwasser anfallen, ist das gentechnische kostengünstiger Verfahren als die nicht nur Fermentation umweltfreundlicher, mit traditionellen sondern auch Organismen. Kosteneinsparungen von bis zu 90% können sich hierbei ergeben (Jany und Greiner, 1998). Rechtliche Regelungen für Enzyme Nur wenige Lebensmittelenzyme waren in der Europäischen Union (EU) bis zum Inkrafttreten der Verordnungen (EG) Nr. 1331/2008 über das einheitliche Zulassungsverfahren für Lebensmittelzusatzstoffe, Enzyme und Aromastoffe und Nr. 1332/2008 über Lebensmittelenzyme einheitlich geregelt. Dabei handelte es sich um Invertase (E 1103) und Lysozym (E 1105), die als Lebensmittelzusatzstoffe klassifiziert wurden. Darüber hinaus bestanden produktspezifische Regelungen für bestimmte Enzyme zur Verwendung in Wein (Urease, beta-Glucanase und Lysozym), für Lab und andere milchkoagulierende Enzyme bei der Käseproduktion sowie für einige Enzyme bei der Fruchtsaftherstellung. Die Mehrzahl der verwendeten Enzyme, 40 die als Verarbeitungshilfsstoffe angesehen wurden, unterlag dagegen einzelstaatlichen Regelungen, in Deutschland den Bestimmungen des Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuchs (LFGB). Von zwei Mitgliedstaaten (DK, F) wurde eine Sicherheitsbewertung von Enzymen, die als Verarbeitungshilfsstoffe eingesetzt wurden, entsprechend den Leitlinien des Scientific Committee on Food (SCF) durchgeführt (Spök, 2006; SCF, 1992; SKLM, 1987). Anforderungen Ein Lebensmittelenzym darf nur in die Gemeinschaftsliste aufgenommen werden, wenn es den folgenden Bedingungen und gegebenenfalls anderen berücksichtigenswerten Faktoren gerecht wird: bei der vorgeschlagenen Dosis für den Verbraucher gesundheitlich unbedenklich ist, soweit die verfügbaren wissenschaftlichen Daten ein Urteil hierüber erlauben, eine hinreichende technologische Notwendigkeit besteht; der Verbraucher durch ihre Verwendung nicht irregeführt wird. Einheitliches Zulassungsverfahren und Sicherheitsbewertung Die neue Verordnung 1332/2008 über Enzyme regelt die Verwendung von Lebensmittelenzymen erstmals auf gemeinschaftlicher Ebene und gilt für Enzyme, die einem Lebensmittel zur Erfüllung einer technologischen Funktion bei der Herstellung, Verarbeitung, Zubereitung, Behandlung, Verpackung, Beförderung oder Lagerung zugesetzt werden. Enzyme, die zum Verzehr bestimmt sind, wie zum Beispiel Enzyme zur Verdauungsfoሷrderung, sowie Enzyme, die ausschließlich zur Herstellung von Lebensmittelzusatzstoffen und Verarbeitungshilfsstoffen verwendet werden, fallen nicht in den Anwendungsbereich der neuen Verordnung. Neu ist, dass eine Gemeinschaftsliste der Lebensmittelenzyme erstellt werden muss, die für jedes Enzym folgende Angaben enthält: Beschreibung des Enzyms (Name, Synonyme) seine Spezifikationen wie Herkunft und Reinheit die Lebensmittel, denen das Enzym zugesetzt werden darf die Bedingungen, unter den es verwendet werden darf 41 Verkaufsbeschränkungen spezifische Anforderungen an die Kennzeichnung Nur wenn ein Enzym in der Liste aufscheint, ist dieses zur Verwendung zulässig. Das bedeutet, dass Lebensmittel, die mit nicht aufgeführten Lebensmittelenzymen verarbeitet bzw. hergestellt worden sind, ihre Verkehrsfaሷhigkeit verlieren. Bis zur Fertigstellung der Gemeinschaftsliste dürfen Lebensmittelenzyme nach dem Missbrauchsprinzip eingesetzt werden. Das Missbrauchsprinzip besagt, dass generell Lebensmittel hergestellt und in den Verkehr gebracht werden dürfen, solange ein bestimmtes Verhalten nicht ausdrücklich verboten ist, also alle im Verkehr mit Lebensmitteln Beteiligten frei sind, Lebensmittel in einer bestimmten Zusammensetzung, in einer bestimmten Art herzustellen und zu vertreiben. Die Regelungen für den Einsatz von Enzymen für bestimmte Bereiche wie z.B. für die Verwendung zur Wein-, Fruchtsaft- und Kaseinherstellung bleiben weiterhin anwendbar. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat für die Sicherheitsbewertung von Lebensmittelenzymen Leitlinien aufgestellt (Tabelle 2). Tabelle 2: Leitlinien für die Sicherheitsbewertung von Lebensmittelenzymen (EFSA, 2009) 42 In der Leitlinie wird festgelegt, dass die Industrie Einzelheiten über die physikalischchemischen Eigenschaften der betreffenden Lebensmittelenzyme sowie über die durchgeführten toxikologischen Prüfungen bereitstellen muss. Auf der Grundlage der eingereichten Informationen wird die EFSA die Sicherheit der Ausgangsstoffe, aus denen die Lebensmittelenzyme hergestellt werden (einschließlich des Vorhandenseins möglicher Verunreinigungen), den Herstellungsprozess und die ernährungsbedingte Exposition bewerten (EFSA, 2009). Auf die erforderlichen toxikologischen Untersuchungen kann in bestimmten Fällen verzichtet oder ihr Umfang vermindert werden, z.B. bei dokumentierter sicherer traditioneller Anwendung der Quelle des Enzyms Lebensmittelenzymen, die von Mikroorganismen produziert werden, bei denen eine Qualifizierte Annahme der Sicherheit (Qualified Presumption of Safety, QPS) vorausgesetzt werden kann (EFSA, 2005). QPS beruht auf den 4 Saሷulen: Taxonomie Die exakte taxonomische Eingruppierung ist essentiell für QPS. Undefinierte Kulturen, deren Spezies-Zusammensetzung nicht 100%ig bekannt ist, können keinen QPS-Status erhalten. QPS gilt nicht für die Stämme der Spezies, die übertragbare Antibiotika- Resistenzgene besitzen (Talon und Leroy, 2011). Vertrautheit Darunter fallen beispielsweise 1. Gram-positive nicht-sporenbildende Bakterien 2. Bacillus species 3. Hefezellen 4. Filamentöse Pilze Pathogenität Falls eine taxonomische Gruppe regelmäßig durch Pathogenität ihrer Mitglieder auffällt, kann sie keinen QPS Status erhalten. Nutzung Die beabsichtigte Nutzung bestimmt den Umfang der Informationen, die notwendig für die Bewertung sind. Oder umgekehrt: eine weniger umfassende Datenlage kann zu Einschränkungen in der Nutzung führen. 43 QPS ist ein generischer Ansatz für die Sicherheitsbewertung von Mikroorganismen, der sich an der sicheren Anwendung traditioneller Kulturen orientiert. Ob die verfügbaren Informationen ausreichend sind entscheidet eine bei der EFSA angesiedelte Expertengruppe. Wenn eine Sicherheitsbewertung nach QPS nicht möglich ist, muss eine umfassende experimentelle Sicherheitsbewertung durchgeführt werden (EFSA, 2005; Sundh und Melin, 2011). Bei der Bewertung von rekombinanten Enzymen sollten zusätzliche Informationen über den gentechnisch veränderten Mikroorganismus (GVM) entsprechend dem „Leitfaden für die Risikobewertung von gentechnisch veränderten Mikroorganismen und deren Folgeprodukte, die für Lebens- und Futtermittel bestimmt sind...“ bereitgestellt werden. In diesen Fällen ist in der Regel eine zusätzliche Bewertung durch das GMO Gremium der EFSA erforderlich (EFSA, 2006). Die Herstellung gentechnisch veränderter Organismen (GVO) bzw. GVM ist gesetzlich geregelt. Für gentechnisch veränderte Organismen gibt es vier Sicherheitsstufen, die von der Europäischen Union festgelegt wurden. Für Mikroorganismen zur Enzymproduktion gilt die niedrigste Sicherheitsstufe (Großklaus, 2011). Der vermehrte Enzymeinsatz birgt Gefährdungspotentiale für Mensch und Umwelt sowohl während der Gewinnung als auch bei der Anwendung. Nach wie vor kreist dabei die Diskussion insbesondere um die ökologischen Risiken, die sich aus der gentechnischen Produktionsweise ergeben, sowie um das allergene Potential für exponierte Personen, wie z.B. Bäcker (TAB, 1996; Baur und Posch, 1998). Enzyme gehören neben Weizen- und Roggenmehlen zu den bedeutsamsten Allergenen am Arbeitsplatz der Bäcker. Von den untersuchten Enzymen rufen diejenigen, die aus Aspergillus-Kulturen gewonnen werden (-Amylase, Xylanase, Cellulase und Amyloglucosidase), die meisten Sensibilisierungen hervor (Zahradnik et al., 2003). Ein Fallbericht hatte zunächst zur Vermutung geführt, dass noch Spuren von Amylase im Brot eine Allergie auslösen können. Weitere Untersuchungen belegten aber, dass dieses Enzym durch die Hitze beim Backprozess zerstört wird, obgleich noch gewisse immunologische Aktivitäten nachweisbar waren (Baur und Czuppon, 1995; Baur et al., 1996). In anderen Einzelfällen konnten ebenfalls nach Verzehr von Brot bei empfindlichen Personen allergische Reaktionen bedingt durch eine Allergie auf -Amylase ausgelöst werden (Moreno-Ancillo et al, 2004). Aber auch andere Enzyme können bei exponierten Bäckern Asthma auslösen (Quirce et al. 2002). 44 Hohen Stellenwert besitzt deshalb die Mikroverkapselung von Enzymen, um die Umweltbelastung in Stäuben bei den Arbeitern möglichst gering zu halten. Die EFSA nimmt folglich bei allen zu bewertenden Lebensmittelenzymen eine Allergenitätsprüfung analog der stufenweisen Bewertung von neuen Proteinen in genetisch modifizierten Pflanzen vor (vgl. Tabelle 2). Inzwischen stehen auch Verfahren zur Verfügung, mit denen das allergene Potential eines Enzyms vor einer Vermarktung abgeschätzt werden kann. Dazu wird beispielsweise die Molekuሷlstruktur des betreffenden Enzyms mit der von bekannten Allergenen verglichen. Generell werden Enzyme als gering toxisch eingestuft mit Ausnahme ihres allergenen Potentials insbesondere durch Inhalation. Die Verwendung von nichtpathogenen und nicht-toxischen Stämmen, die traditionell zur Herstellung von Lebensmittelenzymen eingesetzt wurden, gilt als sicher. Inwiefern durch „Protein engineering“ und genetische Modifikation die Lebensmittelsicherheit durch solche Enzyme beeinträchtigt werden kann, bedarf im Einzelfall der vertieften Prüfung (Olempska-Beer et al., 2006; Cook und Thygesen, 2003; Harbak und Thygesen, 2002). Bislang wurde bei industriellen Enzymen aus mikrobieller Produktion kein relevantes oሷkotoxikologisches Problempotenzial gefunden (UBA/IFZ 2002; Pariza und Johnson, 2001). Kennzeichnungsvorschriften Eine Deklaration ist nur für solche Enzyme vorgesehen, die im Endprodukt eine technologische Funktion erfüllen. Auf der Zutatenliste des jeweiligen Produkts wird dieses Enzym mit Name und Funktion aufgeführt. Diese Voraussetzung wird von den Enzymen Invertase (E 1103) und Lysozym (E 1105), die als Lebensmittelzusatzstoffe zugelassen sind und Urease und beta-Glucanase bei der Weinherstellung erfüllt. Da die allermeisten Enzyme jedoch rechtlich nicht als Lebensmittel, sondern als technische Hilfsstoffe gelten, werden sie nicht auf der Zutatenliste von Lebensmitteln aufgeführt. Daher ist auch eine Kennzeichnung im Hinblick auf den Einsatz von gentechnisch veränderten Mikroorganismen nicht vorgeschrieben. Enzyme aus GVO (z.B. aus genetisch veränderten Pflanzen) sind gemäß Verordnung 1829/2003 entsprechend zu kennzeichnen, sofern sie als Zutaten gelten. Es ist also abzusehen, dass diese Kennzeichnungspflicht für die Verbraucher keine allzu großen 45 Veränderungen mit sich bringt wird. Sie werden kaum Änderungen auf der Zutatenliste in Bezug auf Enzyme feststellen. Resümee Der Einsatz von Enzymen bei der Herstellung von Lebensmitteln hat eine lange Tradition. Als technische Hilfsstoffe sind sie gewissermaßen die „Heinzelmännchen“ in der Küche und im Weinlabor. Der Verbraucher schätzt bewusst oder unbewusst ihre Vorteile bei der erreichten hohen Qualität unserer Lebensmittel. Enzyme sind sicher und keinesfalls unbeherrschbar wie der „Homunkulus aus der Flasche“. Das Wissen über die während der Verarbeitung oder Zubereitung ablaufenden biochemischen Vorgänge in einem Lebensmittel hat stark zugenommen. Die gentechnisch optimierte Enzymproduktion im Rahmen der „Weißen Biotechnologie“ ist ausdrücklich auf die mikrobielle Herstellung in geschlossenen (Fermenter-) Systemen eingegrenzt und unterscheidet sich damit deutlich von der Grünen Gentechnik. Die Erzeugung von Enzymen mit Hilfe von gentechnisch veränderten Wirtschaftlichkeit, Mikroorganismen Ressourcenschonung, ist des unter den Aspekten Umweltschutzes und der der gesundheitlichen Unbedenklichkeit von besonderem Vorteil. Letztlich entscheidend sind die Transparenz und das Wissen darum, wie unsere Lebensmittel erzeugt und verarbeitet werden, damit der Verbraucher nicht getäuscht wird. Literatur Anese, M., Quarta, B. and Frias, J.M. (2011): Modelling the effect of asparaginase in reducing acrylamide formation in biscuits. Food Chemistry 126: 435-440. Baur X., Posch A. (1998): Characterized allergens causing bakers' asthma. Allergy. 53: 562-66. Baur X., Czuppon A.B., Sander I. (1996): Heating inactivates the enzymatic activity and partially inactivates the allergenic activity of Asp o 2. Clin Exp Allergy. 26: 232-234. Baur X., Czuppon A.B. (1995): Allergic reaction after eating alpha-amylase (Asp o 2)containing bread. A case report. Allergy. 50: 85-87. Caputo I., Lepretti M., Martucciello S., Esposito C. (2010): Enzymatic strategies to detoxify gluten: implications for celiac disease. Enzyme Res. 2010:174354. Cook M.W., Thygesen H.V. 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Demgegenüber lassen sich aber insbesondere im Säuglingsund Kleinkindalter Nahrungsmittelallergien in einer Häufigkeit von bis zu 28 % nachweisen. Die häufigsten Auslöser stellen dabei die Hauptallergene der Kuhmilch und des Hühnereiweißes dar. Diese Allergien können sich jedoch bis zum Schulalter wieder verlieren. Andere relevante Auslöser von Nahrungsmittelallergien sind insbesondere Soja, Erdnuss, Nüsse und Fisch. Gleichzeitig werden im Rahmen des sogenannten oralen Allergiesyndroms auch häufig Allergien bei Pollenallergikern auf sogenannte Kreuzallergene insbesondere im Steinobst beobachtet. Auch im Rahmen des Latex-Frucht-Syndroms können bei Latexallergikern zahlreiche Nahrungsmittelallergien gegenüber vielfältigen Obst- und Gemüsearten insbesondere Banane, Kiwi, Avocado und Mango beobachtet werden. Die Symptome einer Nahrungsmittelallergie können sehr heterogen sein. So werden gastrointestinale Beschwerden ebenso wie Symptome an der Haut (Urtikaria) beobachtet. Bei anderen Patienten betrifft die Nahrungsmittelallergie den Respiraktionstrakt, ebenso sind Symptome einer Anaphylaxie im Rahmen einer Nahrungsmittelallergie möglich. Zur Bestätigung einer Nahrungsmittelallergie stehen neben der diffizil zu erhebenden Anamnese, eine Karenz, In-vivo-Testungen sowie zahlreiche in-vitroVerfahren zur Verfügung. Zusätzlich kann eine orale Provokation zur Identifizierung einer Nahrungsmittelallergie notwendig werden. Die Therapie besteht in einer Karenz, in der Verordnung eines Notfallsets insbesondere bei anamnestisch nachgewiesener Anaphylaxie und in Einzelfällen (z. B. Kuhmilch) auch in einer Desensibilisierung. Selten spricht eine Nahrungsmittelallergie auf Kreuzallergene auch auf eine Desensibilisierung gegenüber Pollen an. Zahlreiche weitere Formen der Nahrungsmittelunverträglichkeit oder Intoleranz sind dagegen häufig viel schwieriger zu diagnostizieren. Die Ursachen sind vielfältig wie etwa ein verminderter Enzymbesatz. So können z. B. Überempfindlichkeiten, Unver- 50 träglichkeiten und Intoleranzen gegenüber Histamin, Salicylsäure, Laktose/Fructose oder eine Vielzahl anderer Nahrungsmittelzusatzstoffe bestehen. Nahrungsmittelzusatzstoffe Nahrungsmittelzusatzstoffe sind in ihrer Herkunft und Zusammensetzung sehr heterogen und einem ständigen Wandel unterlegen. Nur für einen Teil dieser Substanzen konnten bisher auch eindeutige Zusammenhänge zu einer Unverträglichkeit nachgewiesen, die sich vor allem als chronische Urtikaria, nichtallergisches Asthma oder rezidivierendes Angioödem manifestiert. Überwiegend haben die Reaktionen dabei einen pseudoallergischen Charakter, sind also dosisabhängig und nicht IgEvermittelt. In Einzelfällen wurden jedoch auch IgE-vermittelte Reaktionen beobachtet. Wichtige Gruppen und Einzelsubstanzen, die in die Gruppe der Nahrungsmittelzusatzstoffe eingeordnet werden, sind in Tabelle 1 aufgeführt: Tab. 1: Übersicht über Stoffgruppen und wichtige Einzelsubstanzen unter den Nahrungsmittelzusatzstoffen (Auszug) Antioxidantien Stabilisatoren Geruchs und Geschmacksverstärker BHA, BHT, Propylgallate, Tocopherole EDTA, Gummi (Guar), Wachse MSG Anis, Zimt, Koriander, Kreuzkümmel, Fenchel, Leinsamen, Ingwer, Hopfen, Gewürze Senf, Muskatnuß, roter und weißer Pfeffer Künstliche Süßstoffe Aspartam, Saccharin, Sucralose Natürliche Süßstoffe Maissirub, Fructose, Glukose, Sukrose Benzoate, Zitronensäure, Nitrite und NitKonservierungsstoffe und antimikrobielle rate, Parabene, Salizylate, Sorbinsäure, Substanzen Sulfite Blau (Brilliantblau, Indigocarmin, Patentblau), Grün (Chlorophyll, Patentgrün), Farbstoffe Orange (Annatto, Gelborange), Rot (Allurarot, Amarant, Carmine, Erythrosin), Gelb (Tartrazin, Curcumin, Quinolingelb) Nur bei eindeutigem Verdacht auf einen Auslösung der o.g. Symptome durch Nahrungsmittelzusatzstoffe (meist im Rahmen einer pseudoallergischen Reaktion) sollte eine weitergehende Diagnostik durchgeführt. Diese umfasst zuerst eine pseudoallergenarme Kost, die über mindestens vier Wochen eingehalten werden muss. Wenn 51 sich unter dieser Diät eine klare Besserung etwa im Symptom-Score einer chronischen Urtikaria ergibt, kann eine nachfolgende Provokation sinnvoll sein. Für diese pseudoallergenarme Kost werden (modifiziert nach Zuberbier 1995) empfohlen: Tab. 2: Empfehlung für eine pseudoallergenarme Diät Grundnahrungsmittel Fette Milchprodukte Tierprodukte Gemüse Früchte Gewürze Süßigkeiten Getränke Brotaufstrich Brot und Brötchen ohne Zusatzstoffe, Gries, Hirse, Kartoffeln, Reis, Hartweizen, Weizennudeln ohne Ei, Reiswaffeln Butter, Pflanzenöl Frischmilch, natürlicher Joghurt, Frischkäse, kleine Mengen junger Gouda Frisches Fleisch, frisches Hackfleisch alles erlaubt bis auf Artischocken, Erbsen, Pilze, Spinat, Tomaten, Oliven, Rhabarber nicht erlaubt Salz, Zucker, Zwiebel, Schnittlauch keine Milch, Mineralwasser, Kaffee, nichtaromatisierter Schwarztee Honig und alle andere erlaubten Produkte Sollten auch unter der pseudoallergenarmen Diät weiterhin Beschwerden auftreten und ein wahrscheinlicher Zusammenhang zu Nahrungsmitteln bestehen, ist eine oligoallergene Basisdiät zu empfehlen, die individuell zusammengestellt werden muß und nur wenige erlaubte Nahrungsmittel beinhaltet (Reis, Lamm, Truthahn, Blumenkohl, Brokkoli, Gurke, raffiniertes, Pflanzenöl, Margarine, Mineralwasser, Schwarztee, Salz und Zucker). Hat sich unter einer pseudoallergenarmen oder oligoallergenen Basisdiät eine Besserung ergeben ist nachfolgend die Provokation mit pseudoallergenreichen Nahrungsmittel und verkapselten Nahrungsmittelzusatzstoffen indiziert, um den Verdacht zu bestätigen und den Auslöser zu identifizieren. Für eine Titration von Nahrungsmittelzusatzstoffen, deren Symptomauslösung oft eine strenge Dosisabhängigkeit aufweist, werden folgende Empfehlungen gegeben. 52 Tab. 3: Dosierungsempfehlungen für Provokationstestungen mit wichtigen Nahrungsmittel-zusatzstoffen bei konkretem Einzelverdacht Aspartam 50, 250 mg Glutamat 0,5, 2, 5 g Sodium benzoate 50, 250, 500 mg Sodium nitrite 2, 10, 20 mg Salizylsäure 100, 250, 500, 1000 mg Disulfit 10, 50, 100, 300, 500 mg Tartrazin 10, 50 mg Insgesamt sind gegenwärtig nur sehr eingeschränkte Daten zur Häufigkeit von Unverträglichkeiten durch Zusatzstoffe verfügbar. Die Identifizierung der Auslöser ist mühsam und häufig nicht von Erfolg gekrönt. Sie erfordert von den Betroffenen ein hohes Maß an Geduld, Disziplin und Verzicht. Es sind dringend weitere Untersuchungen zu den Einflüssen von Zusatzstoffen auf Befindlichkeitsstörungen und chronische Unverträglichkeitsreaktionen erforderlich. Literatur: Bühner S, Reese I, Kuehl F, Lochs H, Zuberbier T. Pseudoallergic reactions in chronic urticaria are associated with altered gastroduodenal permeability. Allergy 2004 (59): 1118–1123. Czech W, Busse A, Wedi B, Kapp A. Nahrungsmitteladditiva und nichtsteroidale Antiphlogistika – Auslöser von pseudoallergischen Reaktionen. Allergologie 1996; 19: 442–448. Ehlers I, Henz BM, Zuberbier T. Diagnose und Therapie pseudo-allergischer Reaktionen der Haut durch Nahrungsmittel. Allergologie 1996; 19: 270–276. Gillman A, Douglass JA. What do asthmatics have to fear from food and additive allergy? Clin Exp Allergy, 2010 (40): 1295–1302. Randhawa S, Bahna SL: Hypersensitivity reactions to food additives. Curr Opin All Clin Immunol 2009 (9):278–283. 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Wenn ihre Kennzeichnung nicht stimmt, werden diese Erzeugnisse jedoch zu „Mogelpackungen“, die in der jüngeren Vergangenheit durch Negativ-Schlagzeilen aufgefallen sind und zu teilweise heftigen Reaktionen der Verbraucherzentralen führten. „Analogkäse auf der Käsepizza“ (Taz, 2009), „Analog-Käse und Schinkenimitate“ (Focus, 2009), „Nach Analog-Käse nun der „Mogel-Schinken“ (Welt, 2009), „Verbraucher „geleimt-Rohschinken aus Fleischstücken zusammengeklebt“ (Focus, 2010) stellen eine kleine Auswahl der Schlagzeilen der Jahre 2009/2010 dar. Historie nachgemachter Lebensmittel Nachgemachte Lebensmittel sind jedoch keine Erscheinung der jüngsten Vergangenheit. Käseimitate erregten beispielsweise bereits 1897 die Gemüter: „Die Erzeugung von Kunstkäse - zuerst in Amerika versucht - hat nunmehr auch in Europa immer mehr und mehr Fuss gefasst, und zwar in einem solchen Grade, dass sich dieselbe in einigen Ländern sogar zu einem wichtigen Industriezweige herausgebildet hat, und die Producte der Kunstkäsefabrikation heute schon auf allen Grossmärkten des Continents unter verschiedenen Namen feilgeboten werden" war im Fresenius' Journal of Analytical Chemistry zu lesen (Devarda, 1897). Damals wurde Magermilch mit flüssigem Rindertalg (Oleomargarin) vermischt und mit Lab dickgelegt. Das auf diese Weise gewonnene Erzeugnis war durch den Ersatz des Milchfetts durch den preiswerteren Rindertalg deutlich billiger als herkömmlicher Käse. Gängige Bezeichnungen neben „Kunstkäse“ waren „Schmalzkäse“, „Oleomargarinekäse“ oder „Margarinkäse“ (Meyer, 1907). 54 Andere nachgemachte Lebensmittel sind mittlerweile etabliert. Heutzutage selbstverständlich in der Produktpalette sind Margarine, Persipan, Fleischersatz für Vergetarier/Veganer, koffeinfreier Kaffeeersatz etc..., die ursprünglich einmal angeboten wurden um Butter, Marzipan, Fleisch oder Kaffee zu ersetzen. Auch die Globalisierung macht sich bemerkbar: „Surimi“, ein traditionelles japanisches Erzeugnis, gewinnt seit den 60er-Jahren weltweit immer größere Bedeutung. Gründe für die Herstellung nachgemachter Lebensmittel Ein nahe liegender Grund für den Verkauf nachgemachter Lebensmittel ist der Preis (Käse- und Schinkenimitate, Surimi). Eng mit dem Preis hängt auch ein Mangel an Rohmaterial (beispielsweise Käsereimilch in warmen Ländern; natürliche Vanille) zusammen. Manchmal (Schmelzverhalten, sind jedoch Hitzebeständigkeit) auch einstellbare insbesondere bei Produkteigenschaften Convenience-Produkten gewünscht. Ein weiterer Grund sind Bedürfnisse spezieller Verbrauchergruppen (cholesterinfreie Erzeugnisse, Erzeugnisse für Veganer). Im Folgenden sollen ausgewählte Lebensmittel und ihre Imitate vorgestellt werden. Käseimitate („Analogkäse“) Anmerkung: Wenn bei einem Erzeugnis ein Milchbestandteil durch einen NichtMilchbestandteil ersetzt wurde, beispielsweise Milchfett durch Pflanzenfett, ist damit die Verwendung der Bezeichnung „Käse“ auch in Wortverbindungen nicht zulässig. Dementsprechend ist bei der Kennzeichnung solcher Produkte bislang auch die Verwendung von Bezeichnungen wie „Analogkäse“, „Käseimitat“, „Käseersatz“ etc. nicht möglich. Ungeachtet dessen soll hier „Käseimitat“ verwendet werden. Käse wird ausschließlich aus Milch hergestellt (Verordnung (EG) 1234/2007). Bei der Herstellung von Käse werden durch die Labenzyme Chymosin und Pepsin polare Glycopeptide an der Oberfläche des als Mizelle gelösten Milchproteins abgespalten, wodurch dessen Löslichkeit verringert wird. Infolgedessen lagern sich, unterstützt durch Calcium-Ionen aus der Milch, Eiweißmoleküle zusammen, wodurch sie aus der wässrigen Molke ausfallen. Alternativ wird das Ausfallen durch Absenken des pH-Wertes erreicht. Bei der Käsebereitung wird die so entstandene „Gallerte“ mechanisch zerteilt, was den Austritt von Molke aus den Hohlräumen der Gallerte ermöglicht und so der sogenannte 55 „Bruch“ bereitet. Nach dem Salzen erfolgt eine Milchsäure- oder Propionsäuregärung. Während dieser „Reifung“, die je nach Sorte 5 Wochen bis zu 5 Monate dauert, werden durch fettabbauende Enzyme auch die charakteristischen Aromastoffe gebildet. (Belitz et al., 2001) Im Gegensatz dazu wird zur Herstellung von Käseimität Milch-, Sojaeiweiß und Pflanzenöle wie Palmöl, teilweise Stärke, Emulgatoren, Aroma- und Farbstoffe, Salz und Geschmacksverstärker verwendet. Das Pflanzenfett wird erwärmt, mit einer vorgefertigten Trockenmischung und mit Wasser vermischt, anschließend, erhitzt, dann wird ein Aromakonzentrat eingerührt. Abschließend wird verpackt und gekühlt. Da bei dieser Herstellungsweise kein Reifungsprozess durch eine Bakterienflora (und die damit verbundene Gasbildung) stattfindet, bilden sich keine Käselöcher (Reifungslöcher). Kunstkäse wird daher bevorzugt in Form von geriebenem Käse angeboten. Im Stück werden nur bei Sorten angeboten, die auch natürlicherweise eine relativ glatte Textur haben, wie beispielsweise Feta. Durch den Wegfall des Reifungsprozesses wird die Produktionsdauer stark verkürzt. Käseimitate werden in den USA vor allem wegen ihres günstigeren Preises seit den frühen 1970er Jahren im industriellen Maßstab hergestellt. Die Produktionsmenge in Deutschland wird auf jährlich bis zu 100.000 t geschätzt (BMELV). Einsatz findet das Käseimitat zur Herstellung von Bäckereierzeugnissen, Pizza und bei Convenienceprodukten für Endverbraucher (beispielsweise Cordon Bleu). Da beim „Analogkäse“ der Milchbestandteil ganz oder teilweise ersetzt wurde, beispielsweise Milchfett durch Pflanzenfett, darf die Bezeichnung „Käse“ nicht mehr verwendet werden. Stattdessen müssen die Produkte mit einer beschreibenden Verkehrsbezeichnung versehen werden (beispielsweise „Erzeugnis aus Pflanzenfett und Milcheiweiß/Molkenpulver/Milchpulver“ oder, bei Verwendung als Zutat, „Pizza mit einer Zubereitung aus Pflanzenfett und Magermilch). (Gerstenberg und Krause, 2010) (Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit Merkblatt Autoren: Dr. Gerstenberg Dr. Krause R.: Kennzeichnung von sogenannten „Käseimitaten“ auf der Speisekarte in der Gastronomie und bei loser Abgabe auf dem Schild an der Ware) Käseimitate können nachgewiesen makroskopisch werden. Der anhand Nachweis von des Fehlens geriebenen von und Gärungslöchern weiterverarbeiteten Käseimitaten ist anhand der instrumentell-analytischen quantitativen Bestimmung des Milchfettes möglich. Dieses enthält charakteristischer Weise 3,5% Buttersäure. Die 56 Bestimmung der Fettsäurezusammensetzung und Quantifizierug der Buttersäure mittels Gaschromatographie lässen Rückschlüsse auf einen teilweisen oder vollständigen Ersatz des Milchfettes durch Pflanzenöle zu (Andlauer, 2009; Werkmeister, 2009). Schinkenimitate Zur Herstellung von (gekochtem) Schinken werden traditionell nur wenige Zutaten/Zusatzstoffe wie Nitritpökelsalz und Ascorbinsäure, Gewürze und Räucherrauch verwendet. Weder ein Fremdwasseranteil noch zusätzliche Proteine (beispielsweise Sojaeiweiß) kommen bei der Herstellung von Schinken zum Einsatz. Zunächst sollen die gekochten Schinken vorgestellt werden: Gekochter (Hinter-)Schinken entstammt aus der Hinterkeule, gekochter Vorderschinken aus der sehenreicheren Schulter. Das Fleisch ist in beiden Fällen aus einem Stück (wie gewachsen). Im Gegensatz dazu wird Formfleischschinken/Formfleischvorderschinken (aus Hinterkeule/Schulter) aus Teilstücken zusammengefügt: Bei seiner Herstellung werden die Fleischstücke zunächst durch „Poltern" oder „Tumbeln" mechanisch behandelt, dann in Formen gefüllt, gegebenenfalls geräuchert und in der Form erhitzt. Bei der mechanischen Behandlung tritt oberflächlich an den Fleischstücken Muskeleiweißsaft aus. Dieses Eiweiß „verklebt" beim Kochprozess die einzelnen Muskelfleischstücke zu einem größeren Verband. Der Gewebeverband der verwendeten Fleischstücke bleibt im Wesentlichen erhalten. Bei der Herstellung von Formfleischschinken werden die gleichen Zusatzstoffe/Zutaten wie bei Schinken verwendet. Ein Formfleischschinken hat daher die gleiche Qualität wie ein „Schinken", er wurde nur aus zugeschnittenen Muskelfleischstücken des Schinkens hergestellt. Schinkenimitat besteht zu 50% bis 60% aus zerkleinerter, feinbrätartiger Masse, in die bohnen- oder walnussgroßen Schweinefleischstücken eingelagert sind. Zudem werden zahlreiche weitere Zutaten (wie Sojaeiweiß, Milcheiweiß, Weizenstärke, Zuckerstoffe) und Zusatzstoffe benötigt, um (Nitritpökelsalz, eine Phosphate, schnittfeste Geschmacksverstärker, Konsistenz und die Verdickungsmittel) gewünschten sensorischen Eigenschaften zu erlangen. Ein interessanter lebensmitteltechnologischer Aspekt ist die, auf dem diesen Produkten zugesetzten hohen Trinkwasseranteil (bis zu 40%) basierende, Formstabilität beim 57 Erhitzen, so dass das Verbrennen des als Pizzabelag verwendeten Erzeugnisses vermieden wird. Diese Erzeugnisse werden im europäischen Ausland produziert und gelangen über den Großhandel zu gastronomische einem deutlich Betriebe. geringeren Während die Einkaufspreis als Originalpackungen das „Original“ weitestgehend in den Kennzeichnungsvorschriften (beispielsweise „Pizzabelag aus gepökeltem Schulterfleisch geformt, überwiegend fein zerkleinert“ entsprechen, verwendet der Gastwirt oftmals eine falsche Kennzeichnung (Schinkenpizza, Salat mit Schinken...). Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit: Gern bestellt, oft verfälscht: SCHINKEN-PIZZA) Stärkehaltige Schinkenimitate können durch die Jod-Stärke-Reaktion (Blaufärbung des Schinkens oder von Teilen nach Austräufeln einer Jodlösung) nachgewiesen werden. Die ins Brät eingelagerten einzelnen Fleischstückchen sind makroskopisch am Durchlichttisch zu erkennen (CVUA, 2009). Nachdem die bisher genannten Schinkenimitate nur zur Nachahmung von gekochtem Schinken geeignet sind, ist es beim sogenannten „Klebefleisch“ möglich, auch rohe Fleischstücke schnittfest zu verbinden. Roher Schinken wird üblicherweise aus intaktem (wie gewachsenen) Muskelfleisch der Hinterkeule des Schweines hergestelltund wird lediglich gepökelt, geräuchert und erhitzt. Diee Herkunft des Fleisches aus einer anderen Muskelpartie spiegelt sich im Namen wieder („Nussschinken“, „Lachsschinken“). Zur Herstellung von „Klebefleisch“ werden rohe oder gekochte Fleischstücke mit dem Enzym Transglutaminase vermischt und in einer beliebigen Form „reifen“ gelassen. Die Transglutaminase verbindet verschiedene Fleischstücke durch Vereinfachen der Bildung einer chemischen Bindung zwischen den Fleischeiweissbausteinen Glutamin (Gln) und Lysin (Lys). Nachzuweisen ist „Klebefleisch“ einerseits makroskopisch über die verschiedenen Wuchsrichtungen der neu miteinander verbundenen Fleischstücke, andererseits durch Änderung der elektrophoretischen Eigenschaften der verknüpften Fleischproteine. Surimi (Krebsfleisch-/Garnelenimitat) Surimi ist je nach Formgebung ein Krebsfleisch- oder Garnelenimitat. 58 Für die Herstellung von Surimi wird Fisch direkt nach dem Fang unter Zusatz von Feuchthaltemitteln und Stabilisatoren fein zerkleinert und in großen Blöcken eingefroren. An Land werden die Blöcke zerkleinert und unter Zugabe weiterer Zutaten wie Pflanzenöl, Stärke, Zucker, Gewürze, Geschmacksverstärker und Aromastoffe zu einer breiartigen Masse vermischt. Diese wird zu dünnen Platten ausgewalzt, die durch Lebensmittelfarbe mit den den charakteristisch roten Streifen versehen werden. Die dünn ausgewalzte Masse wird erhitzt und zu „Surimisticks“ gerollt und geschnitten oder in Garnelenform gebracht. Krebs-und Fischimitate aus Surimi müssen klar erkennbar als Imitate gekennzeichnet werden. Verwirrend für die Verbraucher wäre eine Bezeichnung wie „Surimi-Garnele, gefangen-indischer Ozean“. Der Nachweis von Surimi erfolgt anhand der Morphologie (beispielsweise bei Garnelen Fehlen der Ausbuchtung für den Darm) und einer Tierartbestimmung durch spezifische Antikörper oder Restriktionsfragmentlängenpolymorphismus. (LGL, 2009) Verbreitung von Lebensmittelimitaten auf dem bayerischen Markt Die gezielte Untersuchung von 404 Produkten die überwiegend in Tankstellen, Bäckereien und Gaststätten angeboten wurden im Jahre 2009 durch das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, ergab bei 49% (synthetisches Vanillin anstatt Vanille), 48% (Schinkenimitat anstatt Schinken), 38% (kakaohaltige Überzüge anstatt Schokolade), 7% (Käseimitat anstatt Käse), 0% (Surimi anstatt Garnelenfleisch/Krabben Surimi), 0% (Verwendung des Begriffes Milch bei Sojaerzeugnissen) der Proben nicht korrekt bezeichnete Imitate (LGL, 2009). Zahlenmäßig bedeutend waren demnach neben den Schinkenimitaten nur Imitate, die die Öffentlichkeit nicht weiter bewegen wie die bereits lange im Handel befindlichen Schokoladen- und Vanilleimitate. Während zwei Drittel der Schinkenimitate in Gastronomie und Großhandel nicht korrekt bezeichnet waren, fielen nur 6% der Schinkenimitate der Hersteller und aus dem Einzelhandel durch falsche Kennzeichnung auf. Nachgemachte Lebensmittel haben eine lange Tradition und etablieren sich zu eigenständigen und auch als qualitativ anerkannten Lebensmitteln. Imitate können, wie Schinkenimitate eine geringere Qualität als das Original aufweisen, müssen dies jedoch 59 nicht unbedingt. In den Fokus der öffentlichen Kritik geraten Imitate zurecht wenn durch eine falsche Kennzeichnung die Verwechslung mit dem Original billigend in Kauf genommen wird. Literatur Raniah Salloum: „Analogkäse auf der Käsepizza“. In: Taz online, Stand: 16.04.2009, URL: http://www.taz.de/1/zukunft/konsum/artikel/1/analogkaese-auf-der-kaesepizza/ (abgerufen 03.03.2011) Analog-Käse und Schinkenimitate. 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VO 1234/2007/EG, ABl 2007 L299/1 Jahberg H, Weneit S,Woratschka R: „Auf den Inhalt kommt es an.“, In: Der Tagesspiegel, Stand:11.07.2009, URL: http://www.tagesspiegel.de/zeitung/auf-den-inhalt-kommt-esan/1554930.html (abgerufen 03.03.2011) Gerstenberg, Krause: Kennzeichnung von sogenannten „Käseimitaten“ auf der Speisekarte in der Gastronomie und bei loser Abgabe auf dem Schild an der Ware). Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, Stand: 2010, URL: http://www.lgl.bayern.de/lebensmittel/doc/kaeseanaloge_merkblatt.pdf (abgerufen am 03.03.2011) Belitz HD, Grosch W, Schieberle P: Lehrbuch der Lebensmittelchemie, Springer Verlag 2001, 5. Auflage, 520-528. BMELV: „Ernährungsphysiologischer Wert von Analogkäse“. URL: http://www.bmelv.de/SharedDocs/Standardartikel/Ernaehrung/SichereLebensmittel/Ken nzeichnung/ErnaehrungsphysWertAnalogkaese.html (abgerufen am 03.03.2011) Andlauer C: Verbrauchertäuschung durch falschen Käse – (k)ein Problem? 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Jahresbericht 2009, 32-35. 60 Kennzeichnung von Zusatzstoffen - Verbraucherkritik Petra Müller Referats- und Projektleiterin Ernährung der Verbraucherzentrale Thüringen: „Kennzeichnung von Zusatzstoffen – Verbraucherkritik“ Die Kennzeichnung von Lebensmitteln ist gesetzlich geregelt. Ein wichtiges übergeordnetes Regelwerk ist derzeit noch die Lebensmittelkennzeichnungsverordnung (LMKV). Sie schreibt zwingend die Angabe des Verzeichnisses der Zutaten (Zutatenliste) bei Lebensmitteln in Fertigpackungen vor. Zukünftig wird für alle EU-Staaten die Lebensmittelinformations-Verordnung die Basis für die Lebensmittelkennzeichnung bilden. In der Zutatenliste werden die Zutaten eines Lebensmittels in absteigender Reihenfolge ihres Gewichtsanteils aufgeführt. Zusatzstoffe, die zu einer Zusatzstoffklasse gehören (beispielsweise Konservierungsstoffe) sind mit dem Name der Klasse, gefolgt von der Verkehrsbezeichnung oder der E-Nummer zu kennzeichnen. 1. Fragen und Kritiken der Verbraucher zum Thema Zusatzstoffe in Lebensmitteln Verbraucher haben viele Fragen zu Zusatzstoffen in Lebensmitteln. Im Rahmen unserer Tätigkeit im Projekt „Verbraucheraufklärung auf dem Gebiet der Ernährungsberatung im Land Thüringen“ zählen Fragen der Verbraucher und auch der Medien zu Thema Lebensmittelkennzeichnung seit Jahren zu den Schwerpunkten. Das sind insbesondere Fragen wie • Welche Stoffe stecken hinter den E-Nummern? • Welchem Zweck dienen sie überhaupt? • Was sind die gesundheitlichen Auswirkungen? • Sind sie pflanzlich, tierisch oder synthetisch? • Muss es wirklich so viele geben? • Welche dürfen in Bio-Produkten sein? • Wie glaubwürdig sind Kennzeichnungen? 61 Anhand dieser beispielhaft gewählten Fragen lässt sich erkennen, dass dieses Thema von großem Interesse für Verbraucher ist, aber auch mit vielen Unsicherheiten, „Misstrauen“ und Unbehagen verbunden ist. Obwohl Zusatzstoffe rechtlich geregelt sind haben Konsumenten das Gefühl, dass es keine eindeutigen Regelungen gäbe. 2. Kennzeichnungsmängel Aus den jährlich von den Lebensmittelüberwachungsbehörden der Länder veröffentlichten Berichten lassen sich auch Beanstandungen aufgrund fehlerhafter oder fehlende Angaben im Zusammenhang mit der Kennzeichnung von Lebensmittelzusatzstoffen entnehmen. So gab es Beanstandungen wegen fehlerhafter oder gar fehlender Kennzeichnung bei: • Eiern bzw. Eiererzeugnissen • Suppen und Soßen • Fleischerzeugnissen • Marmeladen und Konfitüren • Feinkostprodukten • Speisen auf öffentlichen Veranstaltungen Die Beispiele zeigen, dass Hersteller ihren Pflichten nicht immer in vollem Umfang nachkommen und eine Kontrolle durch die Überwachungsbehörden notwendig und angemessen ist. 3. „Clean Label“ – „ohne Zusatzstoffe“ Der Wunsch vieler Verbraucher, beim Essen auf Zusatzstoffe wie Geschmacksverstärker oder Aromen zu verzichten, nimmt zu. Diese Käuferschicht sucht nach natürlichen Lebensmitteln - ohne lange E-Nummern-Listen auf der Verpackung. Die Lebensmittelindustrie hat diesen Trend längst erkannt und bewirbt immer häufiger auf dem Etikett den Verzicht auf bestimmte Stoffe. In Fachkreisen spricht man in diesem Zusammenhang von einem „Clean Label“ – einem „sauberen Etikett“. Weltweit gibt es knapp 20.000 Lebensmittel, die derartig deklariert werden. 62 In Deutschland sind es mehr als 1.600. Die Anzahl der Produkteinführungen hat sich seit 2005 mehr als verdreifacht, denn Produkte mit der Auslobung „enthält keine künstlichen Farbstoffe“ oder „ohne Zusatz von Geschmacksverstärkern“ verkaufen sich gut. Doch was steckt wirklich dahinter? Nicht immer sind die Zutatenlisten dieser Produkte wirklich „sauber“. Es verstecken sich andere Stoffe mit ähnlicher Wirkung in den „E-Nummer-freien“ Zutatenlisten, die nicht als Zusatzstoffe gekennzeichnet werden müssen. Dazu gehören Hefeextrakte an Stelle von geschmacksverstärkenden Zusatzstoffen oder färbende Lebensmittel statt Farbstoffen mit E-Nummern. Wo schaffen die Label Klarheit auf den ersten Blick, wo täuschen sie eine besondere Natürlichkeit nur vor? Denn „Clean Label“ sind nicht gesetzlich definiert. Sie werden weder einheitlich gestaltet noch produkt- oder herstellerübergreifend eingesetzt. Jeder Anbieter bedruckt seine Etiketten nach eigenem Marketingkonzept. Trotzdem stehen „Clean Label“ nicht im rechtsfreien Raum. So ist insbesondere das Irreführungsverbot nach § 11 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches zu beachten. 3.1. Marktcheck „Clean Label“ In 2010 führten die Verbraucherzentralen bundesweit eine Markterhebung zu „CleanLabel“ Produkten durch. Folgende Ziele wurden dabei verfolgt: • Erhebung und Protokollierung des aktuellen Vorkommens von „Clean Label“ zu bestimmten Stoffgruppen (ausgewählte Zusatzstoffe und Aromen) in relevanten • Produktgruppen Bewertung der Formulierungen der „Clean Label“ und Vergleich mit den jeweiligen Zutatenlisten o Bewertung des Einsatzes von eventuellen „Ersatzstoffen“ wie Säuerungsmitteln statt Konservierungsmitteln, Hefeextrakten statt Geschmacksverstärkern oder färbenden Lebensmitteln statt Farbstoffen o Rechtliche Einordnung anhand der aktuellen Rechtsauffassung o Prüfung der erfassten „Clean Label“ im Hinblick auf ein allgemeines Irre- • • führungsverbot entsprechend § 11 LFGB Veröffentlichung von verbraucherrelevanten Forderungen zur Verhinderung von Irreführung und Täuschung und zur Verbesserung der Transparenz Weiterverfolgung von erfassten Rechtsverstößen mittels Abmahnungen zur Erzielung von Unterlassungserklärungen 63 • Erstellung einer Verbraucherinformation als kurze übersichtliche Einkaufshilfe zum „Clean Label“ 151 Produkte aus 12 Lebensmittelgruppen wurden erfasst und dokumentiert. Danach erfolgte die Zuordnung zu den Zusatzstoffklassen Konservierungsstoffe, Geschmacksverstärker, Farbstoffe sowie Aromen. Andere Auslobungen, z.B. „ohne Fett“ oder „lactosefrei“, wurden bei der Auswertung nicht berücksichtigt. 3.1.1. Die Ergebnisse des Marktchecks 3.1.1.1. „Clean Label“ zu Konservierungsstoffen Hinweise auf nicht verwendete Konservierungsstoffe sind auf 59% der erfassten Produkte vorhanden. Damit ist die Auslobung fehlender Konservierungsstoffe am weitesten verbreitet. Am häufigsten wurden Milcherzeugnisse (94%), Erfrischungsgetränke (90%) oder Feinkostsalate (86%) entsprechend beworben. Die Formulierungen der Anbieter waren sehr uneinheitlich. So konnten allein in diesem Segment 16 unterschiedliche Auslobungen registriert werden. Bei Trocken-Fertiggerichten wie Suppen, Saucen oder Tassengerichten war es auffällig, dass 80% der gelabelten Produkte mit dem zusätzlichen Hinweis „natürlich“, „100% natürlicher Geschmack“ oder „Natur pur“ beworben wurden. Rechtliche Einordnung: Werden Konservierungsstoffe im Sinne der Zusatzstoff-Zulassungsverordnung in Rezepturen verwendet, müssen diese in der Zutatenliste deklariert werden – entweder mit der E-Nummer oder ihrem Namen – und dem übergeordneten Klassennamen, der ihren Einsatz beschreibt. Das gilt auch für Säuerungs- und Antioxidationsmittel. Der Übergang im Hinblick auf die Wirkung dieser Stoffe ist allerdings fließend, die Zuordnung nicht immer eindeutig und einige Stoffe haben mehrere Wirkungen. So wirken z.B. E 260 Essigsäure und E 290 Kohlensäure säuernd und zugleich auch konservierend. Daher ist die Abgrenzung schwierig. Die derzeitige gesetzliche Definition, bei der sich die Konservierung nur auf die Begrenzung der schädlichen Auswirkungen von Mikroorganismen bezieht, ermöglicht es, Säuerungsmittel oder Antioxidantien mit zusätzlich konservierender Wirkung unter diesen Klassennamen „zu tarnen“. Konservierungsstoffe, die unter die Zusatzstoffdefinition fallen, dürfen nur dann zur Herstellung von Lebensmitteln verwendet werden, wenn sie für das jeweilige Le64 bensmittel laut Zusatzstoff-Zulassungsverordnung ausdrücklich zugelassen sind, z.B. für Feinkostsalate oder Erfrischungsgetränke. Es gibt Stoffe, die zwar eine konservierende Wirkung haben, aber dennoch – rein rechtlich gesehen - keine Zusatzstoffe sind. So kann z.B. der Zusatz von Essig oder Essigverbindungen, Senfsaaten, Fruchtextrakten, Salz oder Zucker - wenn sie als geschmackliche Komponenten zu den Bestandteilen der Rezeptur gehören - in der Zutatenliste aufgelistet werden ohne einen Hinweis auf die konservierende Wirkung. Mögliche Irreführung und Täuschung: • Man kann nicht voraussetzen, dass Verbraucher über das Wissen von Lebensmittelchemikern oder Juristen verfügen und die gesetzlichen Definitionen für Konservierungsstoffe kennen. Sie gehen vom allgemeinen Sprachverständnis aus. Danach sind Konservierungsstoffe alle Stoffe, die zum Zweck eingesetzt werden, • Lebensmittel zu konservieren und länger haltbar zu machen. Bei Hinweisen auf das Nichtvorhandensein von Konservierungsstoffen erwarten Verbraucher ursprüngliche Produkte. Insbesondere mit der Verbindung „natürlich“ erzeugt das Label „ohne Konservierungsstoffe“ bei vielen Verbrauchern die Erwartung, dass es sich um ein naturbelassenes, wenig verarbeitetes Produkt handelt. Konservierende Stoffe oder Rohstoffe, welche durch chemische Synthese hergestellt wurden, werden von den Verbrauchern nicht erwartet. Das ist insbesondere dann irreführend, wenn die Produkte gleichzeitig diverse andere Zusatzstoffe mit haltbarkeitsverlängernder Wirkung, z.B. Antioxidantien, Säuerungsmittel, Säureregulatoren oder pflanzliche Extrakte mit ähnlichen Funktionen, wie z.B. Senfsaaten, enthalten. Die unübersichtliche Vielfalt von Ersatzstoffen ist verwirrend und auch anhand der Zutatenlisten auf den Produkten für Laien nicht nach- • vollziehbar und viel zu schwer zu durchschauen. Eines der ältesten Konservierungsmittel ist neben Rauch und Salz die Essigsäure, sie wirkt gleichzeitig konservierend und säuernd. Trotzdem enthalten Produkte mit dem Label „ohne Zusatz von Konservierungsstoffen“ Essigsäure, wodurch die • Verbraucher getäuscht werden. Wenn ein Produkt, das laut Gesetz gar nicht mit Konservierungsstoffen behandelt werden darf, mit dem Label „ohne Konservierungsstoffe“ ausgelobt wird, unterstellt der Anbieter indirekt, dass vergleichbare Produkte anderer Wettbewerber unter Umständen Konservierungsstoffe enthalten könnten. Eine solche Werbung 65 mit Selbstverständlichkeiten ist unzulässig. Wird aber auf diese Selbstverständlichkeit beispielsweise mit den Worten „laut Gesetz“ oder „laut Lebensmittelrecht“ hingewiesen, so ist dies eine zulässige Auslobung. Aus Sicht der Verbraucherzentralen führen solche Angaben nicht dazu, mehr Klarheit beim Einkauf zu • schaffen. Diese überflüssige Formulierung sollte ausnahmslos verboten werden. Produkte ohne „Clean Label“ unterscheiden sich häufig nicht von Vergleichsprodukten mit „Clean Label“. Sie sind häufig nicht „sauberer“ als andere Produkte ohne diese Auslobung, wie aus nachfolgender Tabelle ersichtlich ist. 3.1.1.2. „Clean Label“ zu Geschmacksverstärkern Der Verzicht auf den Einsatz von Geschmacksverstärkern wurde bei den erfassten Produkten von den Herstellern am zweithäufigsten ausgelobt. Auf 74 Produkten (49%) wurden „Clean Label“ mit verschiedenen Formulierungen gefunden. Geschmacksverstärker sind Stoffe, die den Geschmack und/oder den Geruch eines Lebensmittels verstärken. Dabei gibt es sowohl Geschmacksverstärker, die unter die Zusatzstoff-Definition fallen, als auch Stoffe, die zwar eine geschmacksverstärkende Wirkung haben, aber charakteristische Lebensmittelzutaten sind. Das bekannteste Beispiel für Letzteres ist Hefeextrakt. Da es den Geschmack anderer Lebensmittel verstärkt, kommt Hefeextrakt in der Lebensmittelindustrie insbesondere aufgrund dieser Eigenschaft zum Einsatz. Hefeextrakt gehört zu den geschmacksverstärkenden Zutaten, es enthält zwischen 2,1 und 3,3% freies Glutamat enthält. Besonders auffällig ist, dass mit 92% fast alle Produkte (68 von 74), auf denen der Verzicht auf Geschmacksverstärker deklariert ist, potentiell geschmacksverstärkende Zutaten wie Hefeextrakt, Sojasoße, verschiedene Eiweiße oder Gewürzextrakte enthalten. Rechtliche Einordnung: Werden Geschmacksverstärker als Zusatzstoffe (Salze der Glutaminsäure und der Nukleinsäuren E 620 – E 635) verwendet, so sind diese in der Zutatenliste mit dem Klassennamen und der chemischen Bezeichnung oder der E-Nummer zu deklarieren. Werden Geschmacksverstärker in Form von Hydrolysaten (z.B. Hefeextrakt oder Würzen) zugesetzt, genügt es, den Namen der Zutat in der Zutatenliste zu nennen. Hefeextrakt ist rein rechtlich kein Zusatzstoff, weil es sich gemäß § 2 Abs. 3 S1 LFBG um eine charakteristische Lebensmittelzutat handelt. 66 Mögliche Irreführung und Täuschung: • Beratungsgespräche mit Verbrauchern zeigen, dass sie sich, entgegen der aktuellen Rechtskommentierung, bei der Auslobung „ohne Zusatzstoff Geschmacksverstärker“ und „ohne Geschmacksverstärker“ in jedem Fall irregeführt und ge- • täuscht fühlen, wenn geschmacksverstärkende Zutaten eingesetzt werden. Die Verbraucher verfügen nicht über ein umfassendes technologisches Detailwissen zum Einsatz von Geschmacksverstärkern und die differenzierten Feinheiten bei der Kennzeichnung und Rechtsprechung sind ihnen nicht bekannt. Wenn geschmacksverstärkende Zutaten, aus welchem technologischen Grund auch immer, eingesetzt werden, sollen aus Sicht der Verbraucherzentralen die „Clean Label“ „ohne Zusatzstoffe Geschmacksverstärker“ und „ohne Geschmacksver- • stärker“ grundsätzlich nicht verwendet werden. Die „Clean Label“ „ohne Zusatzstoffe Geschmacksverstärker“ und „ohne Geschmacksverstärker“ sollten grundsätzlich nicht verwendet werden, wenn ge- • schmacksverstärkende Zutaten verarbeitet werden. Produkte ohne „Clean Label“ unterscheiden sich häufig nicht von Vergleichsprodukten mit „Clean Label“. Sie sind häufig nicht „sauberer“ als andere Produkte ohne diese Auslobung, wie aus nachfolgender Tabelle ersichtlich ist. 3.1.1.3. „Clean Label“ zu Farbstoffen Farbstoffe werden in Lebensmitteln ausschließlich zur optischen Aufbereitung eingesetzt. Sie sollen ein Lebensmittel appetitlicher bzw. dekorativer erscheinen lassen. Ein „Clean Label“ zu Farbstoffen wurde bei 63 Produkten (42 %) gefunden. Nach den Ergebnissen dieses Marktchecks ist es vor allem in den Produktgruppen Süßwaren und Erfrischungsgetränke von Bedeutung, aber auch bei gekühlten Fertiggerichten und Wurstwaren, weniger bei Milchprodukten. Rechtliche Einordnung: Farbstoffe zählen zu den Lebensmittelzusatzstoffen und dürfen nur dann verwendet werden, wenn sie ausdrücklich zugelassen sind. Zum Färben von Lebensmitteln oder zum Erzielen von Farbeffekten bei Lebensmitteln sind daher nur die in Anlage 1 der Zusatzstoff-Zulassungsverordnung aufgeführten Zusatzstoffe für die jeweils dort genannten Lebensmittel zugelassen. In der Zutatenliste ist die Angabe „mit Farbstoff“ 67 gefolgt von der Bezeichnung des Farbstoffes oder der ihm zugeordneten E-Nummer erforderlich. Mögliche Irreführung und Täuschung: • Der Marktcheck stellte dar, dass die Verwendung färbender Lebensmittel einschließlich der Auszüge aus Lebensmitteln anstelle des Einsatzes von Farbstof- • fen üblich ist. Irreführend ist aus Verbrauchersicht, wenn Lebensmittel zur Farbgebung eingesetzt werden ohne diesen Charakter oder Zweck besonders im Zutatenverzeichnis zu kennzeichnen. Der Marktcheck hat gezeigt: Die Verwendung färbender Lebensmittel einschließlich der Auszüge aus Lebensmitteln ist anstelle des Einsat- • zes von Farbstoffen üblich Außerdem problematisch erscheint die Auslobung „ohne Farbstoffe“, wenn gezielt färbende Lebensmittel eingesetzt werden, selbst wenn im Zutatenverzeichnis auf • • diese Eigenschaft verwiesen wird Verwirrend ist eine Auslobung „ohne künstliche Farbstoffe“ dann, wenn trotzdem Farbstoffe im Sinne der Zusatzstoff-Zulassungsverordnung eingesetzt werden Hinweise zum Verzicht auf Farbstoffe sind zum Teil wertlos, da andere Hersteller bei ähnlichen Lebensmitteln auch ohne Auslobung auf die Verwendung von Farbstoffen verzichten 4. Gesetzliche Ausnahmen von einer Kennzeichnung der Zusatzstoffe - unsere Kritik Es gibt eine Vielzahl von Stoffen, die laut gesetzlicher Regelungen nicht zu den Zusatzstoffen zählen. Dazu gehören beispielsweise Blutplasma (eingesetzt als Emulgator), Proteinhydrolysate (eingesetzt als Geschmacksverstärker) oder Inulin (eingesetzt zur Verbesserung von Geschmack und Mundgefühl). Aus Sicht der Verbraucherzentrale wird eine Werbung mit Selbstverständlichkeiten (die nicht erlaubt ist) geduldet, wenn auf Etiketten „ohne xyz laut Gesetz“ vermerkt ist. Einen weiteren kritischen Punkt stellt die eingeschränkte Kennzeichnung von Zusatzstoffen bei lose verkauften Lebensmitteln dar. Keine Kennzeichnung der Zusatzstoffe ist nötig, wenn im Endprodukt keine technologische Wirkung mehr besteht, es sich um Kleinstverpackungen oder einzeln verkaufte Zuckerfiguren handelt. 68 Dennoch: Laut den Erwägungsgründen der Verordnung (EG) Nr. 1333/2008 Punkt 7 darf die Verwendung von Zusatzstoffen Verbraucher nicht irreführen und muss Verbrauchern einen Nutzen bringen. 5. Unsere Forderungen an Hersteller und Gesetzgeber zum Schutz der Verbraucher Wir fordern • • • • • mehr Verbraucherschutz vor Irreführung und Täuschung, eindeutige, klare und ausnahmslose Kennzeichnung aller Zusatzstoffe, auch bei loser Ware, Kleinstverpackungen und Stoffen ohne technologische Wirkung im Endprodukt rechtliche Definition von „Clean Label“ Produkte mit „Clean Label“ sollten auch keine Zutaten mit entsprechender Wirkung enthalten, d.h. keine konservierenden, geschmacksverstärkenden oder färbenden Zutaten, wenn darauf nicht deutlich und unmissverständlich hingewiesen wird. Wichtig ist Transparenz, d.h. die Aufklärung und Information der Verbraucher, stärkere Kontrollen der Kennzeichnungen und die Veröffentlichung der Kontrollergebnisse der Überwachungsbehörden. 6. Kurzfassung Die Kennzeichnung von Lebensmitteln ist gesetzlich geregelt. Ein wichtiges übergeordnetes Regelwerk ist derzeit noch die Lebensmittelkennzeichnungsverordnung (LMKV). Sie schreibt zwingend die Angabe des Verzeichnisses der Zutaten (Zutatenliste) bei Lebensmitteln in Fertigpackungen vor. Zukünftig wird für alle EU-Staaten die Lebensmittelinformations-Verordnung die Basis für die Lebensmittelkennzeichnung bilden. In der Zutatenliste werden die Zutaten eines Lebensmittels in absteigender Reihenfolge ihres Gewichtsanteils aufgeführt. Zusatzstoffe, die zu einer Zusatzstoffklasse gehören (beispielsweise Konservierungsstoff) sind mit dem Name der Klasse, gefolgt von der Verkehrsbezeichnung oder der E-Nummer zu kennzeichnen. Verbraucher haben viele Fragen zu Zusatzstoffen. Und die Lebensmittelüberwachung beanstandet regelmäßig fehlerhafte oder fehlende Angaben im Zusammenhang mit der Kennzeichnung von Lebensmittelzusatzstoffen. 69 In den letzten Jahren ist ein neuer Trend zu beobachten, der Trend zu „Clean Label“. „Ohne Konservierungsstoffe“, ohne Geschmacksverstärker“, „natürlich, da ohne Zusatzstoffe“ – immer mehr Lebensmittel werben damit, was sie nicht enthalten. Verbraucher, die auf Zusatzstoffe wie z.B. Geschmacksverstärker verzichten möchten, freuen sich zunächst über eine deutliche Information, ohne die Zutatenliste im Einzelnen entziffern zu müssen. Doch werden die Erwartungen tatsächlich erfüllt? Sind die Rezepturen der Hersteller hochwertiger wenn sie betonen, auf den einen oder mehrere Stoffe zu verzichten? Oder werden diese gegebenenfalls durch andere, „unverdächtige“ Stoffe ersetzt? Die Verbraucherzentralen der Bundesländer haben im Jahr 2010 überprüft, inwieweit die Verbrauchererwartungen erfüllt werden. Im Mai 2010 wurden bundesweit Produkte ausgewählt und eingekauft. Dabei wurden 151 Etiketten aus 12 relevanten Lebensmittelgruppen erfasst, die mit einem „Clean Label“ auf den Verpackungen den Verzicht auf bestimmte Zusatzstoffe sowie Aromen ausloben. Die 272 Auslobungen der „Clean Label“ wurden bewertet und mit den jeweiligen Zutatenlisten der Produkte verglichen. Die Ergebnisse: Es existiert eine große Vielzahl an unterschiedlichen „Clean Labeln“, sowohl hinsichtlich der graphischen Umsetzung als auch bei der Formulierung der Werbeaussagen. Auf den untersuchten Produkten wurde eine Vielzahl unterschiedlich formulierter „ohne xy“-Versprechen gefunden. Die Analyse der Zutatenlisten ergab, dass Anbieter den durch „Clean Label“ ausgelobten Verzicht auf bestimmte Zusatzstoffe bzw. Zutaten, die eine gleiche oder ähnliche technologische Wirkung aufweisen, teilweise durch andere Stoffe ersetzen. Häufig wurde zusätzlich zum „Clean Label“ durch weitere Aussagen wie z.B. „Natur pur“ eine Ursprünglichkeit impliziert, die durch den Blick auf die Zutatenlisten nicht bestätigt werden konnte. Manche Anbieter werben bei dem Verzicht auf bestimmte Zusatzstoffe mit dem Zusatz „ohne xy lt. Gesetz“. Diese Aussage ist wertlos, weil vergleichbare Lebensmittel diesen Zusatzstoff laut Gesetz auch nicht enthalten dürfen. Neben der Erläuterung der Ergebnisse des Marktchecks und deren Bewertung wird auf die gesetzlich legitimierten Ausnahmen der Kennzeichnung von Zusatzstoffen eingegangen. 70