„Risiken durch Zusatzstoffe in Lebensmitteln“

Werbung
Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V., Sektion Thüringen
Referate
anlässlich der 19. Ernährungsfachtagung zum Thema:
„Risiken durch Zusatzstoffe in Lebensmitteln“
am 3. November 2011 in Jena
unter der Schirmherrschaft des Thüringer Ministeriums
für Soziales, Familie und Gesundheit
INHALT
Seite
Vorwort
3
Sponsoren
6
Grußwort des Thüringer Ministeriums für Soziales,
Familie und Gesundheit
Staatssekretär Dr. Hartmut Schubert, Erfurt
7
Übersicht zu Zusatzstoffen
Prof. Dr. Michael Petz, Wuppertal
10
Risikobewertung von Zusatzstoffen
Dr. Rainer Gürtler, Berlin
23
Zusatzstoffe und Gentechnik – Beispiel Enzyme
Prof. Dr. Rolf Großklaus, Berlin
32
Nahrungsmittelunverträglichkeiten und Zusatzstoffe
ChA Dr. Martin Kaatz, Gera
50
Klebefleisch, Surimi und andere Neu-kreationen
Prof. Dr. Leane Lehmann, Würzburg
54
Kennzeichnung von Zusatzstoffen – Verbraucherkritik
Petra Müller, Erfurt
61
2
Vorwort
Sehr geehrte Damen und Herren,
die 19. Ernährungsfachtagung der DGE-Sektion Thüringen beschäftigte sich mit der
aktuellen Thematik „Risiken durch Zusatzstoffe in Lebensmitteln“. Die Tagung folgt somit dem Gesundheitsziel der Thüringer Landesregierung, das lautet: Kontinuierliche
Verbesserung des Gesundheitszustandes der Bevölkerung des Freistaats. Speziell das
Ziel 1: „Gesund alt werden - eine Herausforderung für jedes Lebensalter, gesundheitliche Kompetenzen stärken - Risikofaktoren vorbeugen und rechtzeitig erkennen“ stand
im Fokus der Ernährungsfachtagung.
Einen breiten Raum in der öffentlichen Diskussion nehmen nach wie vor die Zusatzstoffe ein. Das enorme Interesse wird auch durch die Teilnehmerzahl bestätigt. Besonders
in der Ernährungsberatung wird dieses Thema nachgefragt. Zurzeit sind mehr als 300
Zusatzstoffe
zugelassen.
Besonders
für
die
Herstellung
von
Lebensmittel-
Fertigprodukten werden in der Regel Zusatzstoffe verwendet. Sie verbessen die sensorischen Eigenschaften, indem sie den Geschmack beeinflussen, konservieren, die Farbe betonen und für die erwünschte Konsistenz (Mundgefühl) sorgen. Es werden verschiedene Gruppen unterschieden:
Farbstoffe: E 100-180
Konservierungsstoffe: E 200-297
Antioxidationsmittel: E 300-385
Verdickungs- und Feuchthaltemittel: E 400-495
Säuerungsmittel und Ähnliches: E 500-586
Geschmacksverstärker: E 620-650
Süßstoffe und Andere: E 950-1520
Besonders Farbstoffe sind beim Konsumenten unbeliebt. Seit dem 20. Juli 2010 muss
bei Einsatz von E 102 oder E 122 ein Warnhinweis auf den Lebensmittel-Verpackungen
stehen. Dieser lautet: „Kann Aktivität und Aufmerksamkeit bei Kindern beeinträchtigen“.
Dabei handelt sich aber mehr um eine politische Entscheidung. Fundierte wissenschaftliche Nachweise stehen noch aus. Aber diese Maßnahme ist in der Realität angekommen. Inzwischen sind verschiedene Kinder-Produkte, wie z. B. Fruchtgummis weniger
farbenprächtig.
3
Für weitere Diskussion sorgt die Tatsache, dass Zusatzstoffe ohne „technologische
Wirkung im Endprodukt“ nicht kennzeichnungspflichtig sind. D. h. wenn Vorläuferprodukten bestimmte Zusatzstoffe zugesetzt wurden, um z. B. deren Aussehen zu verbessern, dies aber für das Endprodukt umgedeutet ist, kann die Kennzeichnung entfallen.
Auch bei Kleinstverpackungen, z. B. einzeln verkaufte Süßigkeiten, sowie bei Lebensmitteln, deren größte Verpackungsfläche weniger als 10 cm² beträgt, kann die Zutatenliste entfallen, wodurch die Zusatzstoffe unerkannt bleiben.
Ähnliches gilt für unverpackte Lebensmittel. Hier genügt ein allgemeiner Hinweis wie z.
B. „mit Farbstoff“, „geschwefelt“ oder „mit Geschmacksverstärker“. Dadurch ist es dem
Verbraucher nicht möglich ist, den eigentlichen Zusatzstoff zu erkennen. Diese eingeschränkte Kennzeichnungspflicht gilt auch für Gaststätten, Kantinen und Imbisseinrichtungen.
Offen bleiben Anfragen – so auch in der Diskussion während der Ernährungsfachtagung – zur Wechselwirkung von Zusatzstoffen mit Umwelt- und Haushaltschemikalien
sowie Arzneimitteln. Verständlicherweise können nicht alle Wechselwirkungen geprüft
werden. Immer wieder werden individuelle Überempfindlichkeiten beschrieben, und bei
einseitiger Ernährung können einzelne Zusatzstoffe verstärkt konsumiert werden.
Eine gute Alternative sind Bio-Lebensmittel, bei deren Herstellung deutlich weniger Zusatzstoffe und keine Farbstoffe und Geschmacksverstärker zugesetzt werden.
Natürlich gibt es zum Thema Zusatzstoffe auch Verbraucherumfragen, die eine doppelte Moral offenbaren. 73 % der Verbraucher lehnen Zusatzstoffe in Lebensmitteln ab,
wie eine aktuelle Studie von TNS Infratest belegt. Nichts desto trotz sollen Lebensmittel
schön aussehen, wohlschmeckend und „ewig haltbar“ sein.
Vitamintabletten nach Pommes, Sahnetorte oder nach dem Rauchen beruhigen das
Gewissen. Aktuelle Ergebnisse der Iowa Womens Health Study an 38.800 älteren
Frauen (Mittel 62 Jahre) ergaben, dass übliche Vitaminpräparate und Mineralstoffe mit
erhöhter Mortalität assoziiert sind (besonders ausgeprägt für Fe-Supplemente; Ca dagegen vermindert das Risiko). Eine andere Studie zur Supplementation von antioxidativen Verbindungen (Selenium and Vitamin E Cancer Prevention Trial - SELECT) mit
35.500 Männern im Alter von 50 Jahren und älter kam zu dem Ergebnis, dass die regelmäßige Einnahme von Vitamin E (400 IU/d, 268 mg/d = empfohlene Dosierung in
USA) das Prostatakrebsrisiko von gesunden Männern signifikant erhöht, während Selen
(200 µg/d) ohne signifikanten Einfluss war.
4
In diesem Zusammenhang ist auch zu bedenken, dass Lebensmittel oftmals mit αTocopherol als Antioxidans (E307) angereichert sind. Bei Obst- und Gemüsekonserven,
sowie Kartoffelprodukten verhindert L-Ascorbinsäure (E300) die Braunfärbung und unterstützt in Fleisch- und Wurstwaren die Umrötung bei Anwendung von Nitritpökelsalz.
Bei Getränken (z. B. Wein, Bier, Fruchtsaft, Cola) trägt dieses Vitamin zur Stabilisierung
bei und dient auch der direkten Vitaminisierung von Lebensmitteln aller Art, besonders
der Kindernahrung. Das bedeutet, dass auch Personen, die keine Supplemente verwenden, mit üblichen Lebensmitteln teilweise erhebliche Mengen an Vitaminen aufnehmen.
Ein herzliches Dankeschön gilt allen Vortragenden, die anlässlich unserer 19. Ernährungsfachtagung referierten. Bei Frau Ministerin Heike Taubert bedanken wir uns für die
Übernahme der Schirmherrschaft und bei Herrn Staatsekretär Dr. Schubert für das
Grußwort. Weiteren Mitarbeitern des Thüringer Ministeriums für Soziales, Familie und
Gesundheit – Abteilungsleiter Herrn Dr. Gisbert Paar, Herrn Wilfried Gaide und Frau
Ursula Lehmann - danken wir für die kontinuierliche Unterstützung der Sektion Thüringen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Diese Mitarbeiter des Ministeriums haben sich auch dafür eingesetzt, dass wir diese Ernährungsfachtagung durchführen und
dieses Sonderheft erstellen konnten.
Prof. Dr. G. Jahreis,
Jena, im Dezemer 2011
Leiter der Sektion Thüringen der DGE
5
Die Sektion Thüringen dankt den Sponsoren für die Unterstützung der
19. Ernährungsfachtagung
Herzgut Landmolkerei Rudolstadt-Schwarza
Deutsches Milchkontor (DMK), Werk Erfurt
Käserei Altenburger Land, Lumpzig
Ostthüringer Backwaren GmbH, Jena
Thüringer Waldquell Mineralbrunnen GmbH, Schmalkalden
Yakult Deutschland GmbH, Neuss
Gönnataler Putenspezialitäten GmbH, Altengönna
Thüringer Sozialakademie GmbH, Chefkoch Herr Melchert, Jena
STEP
Verbraucherzentrale: Info-Mobil, Ausstellung
6
Grußwort
des Staatsekretärs im Thüringer Ministerium für Soziales, Familie
und Gesundheit, Dr. Hartmut Schubert,
Sehr geehrter Herr Professor Jahreis,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich freue mich, heute hier in der Friedrich-Schiller-Universität in Jena an der 19. Ernährungsfachtagung der DGE – Sektion Thüringen teilnehmen zu können. Ich darf Ihnen
auch herzliche Grüße von Thüringens Verbraucherschutzministerin Frau Heike Taubert
übermitteln.
Frau Ministerin bedauert es sehr, dass Sie nicht teilnehmen kann, zumal unser Haus
die Schirmherrschaft dieser Veranstaltung übernommen hat.
Aber, meine Damen und Herren, sie werden sicherlich Verständnis dafür haben, dass in
der heute stattfindenden Sportministerkonferenz die Interessen Thüringens angemessen vertreten werden müssen.
An ihrer Stelle überbringe ich Ihnen, sehr geehrter Herr Professor Jahreis, als Vorsitzendem der Sektion Thüringen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung und allen
Tagungsteilnehmern ihre herzlichen Grüße, verbunden mit den besten Wünschen für
einen erfolgreichen Tagungsverlauf.
Die heutige Veranstaltung befasst sich mit dem Thema Zusatzstoffe in Lebensmitteln
und den sich daraus ergebenden Risiken. Diese Zusatzstoffe – gern auch „die Ees“ genannt – stehen immer wieder in der öffentlichen Diskussion. Viele Bürgerinnen und
Bürger fragen: Sind Zusatzstoffe in Lebensmitteln überhaupt nötig? Welchen Nutzen
bringen sie? Und weil Lebensmittelallergien auf dem Vormarsch sind, werden die Zusatzstoffe von Verbrauchern als einer der wichtigsten „Übeltäter“ angenommen.
Lebensmittelzusatzstoffe müssen für die beabsichtigte Verwendung zugelassen sein.
Eine Zulassung wird nur unter bestimmten Voraussetzungen erteilt. Die gesundheitliche
Unbedenklichkeit des Stoffes und die technologische Notwendigkeit des Stoffeinsatzes
müssen nachgewiesen werden. Der Einsatz von Art und Menge der Lebensmittelzusatzstoffe ist durch EU-Recht und die nationale Zusatzstoff-Zulassungsverordnung geregelt.
7
Für den sachgerechten Einsatz dieser Zusatzstoffe und die korrekte Kennzeichnung der
Lebensmittel sind die Lebensmittelunternehmen im Rahmen ihrer Sorgfaltspflicht verantwortlich. Die Lebensmittelüberwachungsbehörden in Thüringen kontrollieren dies
stichprobenweise. Im Jahr 2010 hat das Thüringer Landesamt für Lebensmittelsicherheit und Verbraucherschutz insgesamt mehr als 10.000 Lebensmittelproben untersucht.
Dabei konnte in nur 49 Fällen die fehlende Kenntlichmachung von Zusatzstoffen nachgewiesen werden. In nur 42 Fällen war eine unzulässige Verwendung von Zusatzstoffen
feststellbar, wobei hier meist ein an sich zugelassener Zusatzstoff fehlerhaft – also nicht
für den vorgesehenen Zweck – eingesetzt wurde.
Immer mehr Verbraucher kaufen „per Mausklick“ im Internet ein. Dabei gibt es im dortigen Angebot auch viele Waren, die aus Drittstaaten stammen und in der EU nicht zugelassene Zusatzstoffe enthalten. Dies stellt ein großes Problem für die amtliche Lebensmittelüberwachung dar. Denn während der Verbraucher bereits das bunte Warenangebot des Internets nutzt, fehlen der amtlichen Lebensmittelüberwachung noch konkrete
Verfahrensabläufe zur Kontrolle des Online-Handels. Inzwischen gibt es eine BundLänder-Projektgruppe, die sich diesem Thema widmet. Mein Haus beteiligt sich an dieser Projektgruppe.
Es sollen Strategien erarbeitet werden, die zu einer Verbesserung der Kontrolle des
Internethandels im Zusammenwirken mit anderen Behörden, wie Zoll oder Polizei, führen. Unabhängig von diesen den Verbraucher schützenden Maßnahmen wird ein hoher
Zusatzstoffkonsum aus Lebensmitteln von vielen Fachleuten negativ bewertet. Die Behandlung von ernährungsbedingten Erkrankungen - welche Ursachen auch zugrunde
liegen - kostet dem Gesundheitswesen jährlich schätzungsweise 70 Milliarden Euro.
Der Ausschluss von Erkrankungen durch den Einsatz von Zusatzstoffen in Lebensmitteln sollte ein Ziel sein. Die Lebensmittelindustrie bemüht sich, bei jährlich steigendem
Konsum von Fertig- und Halbfertigprodukten das Image der Zusatzstoffe zu verbessern.
Auch wird versucht, ein mögliches Risikopotential zu reduzieren. Es müssen jedoch
weitere unabhängige Forschungen folgen, um mögliche Risiken durch Zusatzstoffe
auszuschließen. Eine wesentliche Rolle bei dem Umfang der von uns täglich aufgenommenen Zusatzstoffe aus Lebensmitteln spielt die Inanspruchnahme der Gemeinschaftsverpflegung. In den Angeboten der Kindertagesstätten, Kantinen, Kliniken, Restaurants u.a. werden Zusatzstoffe zwangsläufig je nach Cateringfirma, Wissensstand
der Küchenmitarbeiter, Gewinnspanne und Zeitfaktor unterschiedlich eingesetzt.
8
Es liegt an uns Verbrauchern, den Anbietern unsere Zustimmung oder Ablehnung zu
zeigen! Eine wesentliche Hilfe bei der Auswahl einer möglichst von Zusatzstoffen freien
Gemeinschaftsverpflegung bieten die Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft
für Ernährung. Betriebe können sich nach diesen Standards zertifizieren lassen.
Ob es gelingt, diese Zertifizierungen in allen Bereichen weitgehend kostenneutral in die
Praxis umzusetzen und damit die Akzeptanz seitens der Verbraucher zu erhalten, wird
die Praxis zeigen.
ich bin mir sicher, dass Ihre Tagung dazu beitragen wird, neue wissenschaftliche Erkenntnisse transparent zu machen, auf Probleme in der Praxis hinzuweisen und mögliche Lösungswege aufzuzeigen.
Ich danke Ihnen, Herr Professor Jahreis und der Deutschen Gesellschaft für Ernährung
– Sektion Thüringen – hier ganz besonders Herrn Maichrowitz – recht herzlich für die
Ausrichtung dieser Tagung und wünsche ihr einen guten Verlauf.
9
Lebensmittelzusatzstoffe - eine Übersicht
Prof. Dr. Michael Petz
Bergische Universität Wuppertal, Fachbereich C - Lebensmittelchemie
Die für alle Mitgliedsstaaten der EU verbindlichen Regelungen zu Lebensmittelzusatzstoffen sind durch die Verordnung (EG) Nr. 1333/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates festgeschrieben. Die Auflistung der einzelnen Zusatzstoffe
mit ihren E-Nummern1, den zulässigen Anwendungsgebiet und –mengen finden sich
derzeit noch in nationalstaatlichen Verordnungen. In Deutschland ist dies die Zusatzstoffzulassungsverordnung (ZZulV). Dort findet sich beispielsweise die Angabe, dass
der Zuckeralkohol Sorbit bei einer großen Vielfalt von Lebensmitteln verwendet werden darf, so z. B. bei verschiedensten Dessertspeisen, Speiseeis, Konfitüren, Obstzubereitungen, Süßwaren, Kaugummi, Saucen, Senf, und zwar jeweils in der „qs“Menge. „qs“ steht für „“quantum satis“ und bezeichnet die Menge, die gemäß einer
guten Herstellungspraxis erforderlich ist, um die gewünschte Wirkung zu erzielen,
ohne dass der Verbraucher irregeführt wird. Andere Zusatzstoffe dürfen in Lebensmitteln eine genau festgelegte Höchstmenge nicht überschreiten, so darf der Farbstoff Gelborange in kandierten Früchten nicht oberhalb von 200 mg/kg enthalten sein
oder bei Hart- und Schnittkäse darf der zur Oberflächenbehandlung zugelassene
Konservierungsstoff Natamycin nur in einer Menge von maximal 1 mg/dm2 aufgebracht werden und 5 mm unter der Oberfläche darf im Käse kein Natamycin mehr
nachweisbar sein. Zusatzstoffe dürfen nur dann verwendet werden, wenn sie bestimmten Reinheitskriterien entsprechen. Diese sind in drei Richtlinien der Kommission festgeschrieben, (2008/128/EG für Farbstoffe; 95/31/EG für Süßungsmittel,
2008/84/EG für sonstige Lebensmittelzusatzstoffe). Über die ZusatzstoffverkehrsVerordnung (ZVerkV) wurden die drei Richtlinien in deutsches Recht übernommen.
Der Begriff „Lebensmittelzusatzstoff“ ist in der VO 1333/2008 folgendermaßen definiert: „ein Stoff mit oder ohne Nährwert, der in der Regel weder selbst als Lebensmittel verzehrt noch als charakteristische Lebensmittelzutat verwendet wird und einem Lebensmittel aus technologischen Gründen bei der Herstellung, Verarbeitung,
Zubereitung, Behandlung, Verpackung, Beförderung oder Lagerung zugesetzt wird,
wodurch er selbst oder seine Nebenprodukte mittelbar oder unmittelbar zu einem
Bestandteil des Lebensmittels werden oder werden können
Eine stets aktualisierte, dem Verbraucher zugängliche Liste der zugelassenen Lebensmittelzusatzstoffe nach E‐Nummern und Stoffnamen (auch als Download) sowie weitere Informationen zu Lebensmittelzusatzstoffen finden sich auf den Internetseiten des deutschen Verbraucherschutzministeriums: www.bmelf.de > Ernährung& Sichere Lebensmittel > Sichere Lebensmittel > Spezielle Lebensmittel & Lebensmittelzutaten > Lebensmittelzusatzstoffe 1
10
Nicht als Lebensmittelzusatzstoff gelten:
• Zucker und Oligosaccharide
• Lebensmittel, die wegen ihrer aromatisierenden, geschmacklichen oder ernährungsphysiologischen Eigenschaften beigegeben werden und eine färbende
Nebenwirkung haben
• Stoffe zum Umhüllen oder Überziehen, die nicht mit diesen Lebensmitteln verzehrt werden sollen
• Erzeugnisse, die Pektin enthalten, das aus Äpfeln oder Citrusschalen stammt
• Kaubasen zur Herstellung von Kaugummi
• Verschiedene Stärkeprodukte (z. B. geröstete, gebleichte oder physikalisch
modifizierte Stärke)
• Ammoniumchlorid
• Speisegelatine, Proteinhydrolysate, Milcheiweiß, Gluten, Blutplasma
• Aminosäuren, sofern sie nicht wie Glutaminsäure, Glycin, Cystein und Cystin
die Funktion eines Zusatzstoffes hat
• Kasein und Kaseinate
• Insulin
Generell gilt für Lebensmittelzusatzstoffe:
• sie müssen in ihrer Verwendung sicher sein
• es muss eine technologische Notwendigkeit für ihre Verwendung geben
• die Verwendung darf den Verbraucher nicht irreführen
• sie müssen dem Verbraucher einen Nutzen bringen
Derzeit sind rund 320 Zusatzstoffe in den Mitgliedsstaaten der EU zugelassen. Sie
werden in 26 Funktionsklassen unterteilt. Nachfolgend finden sich die Begriffsbestimmungen für die einzelnen Funktionsklassen gemäß EU-Verordnung 1333/2008,
ergänzt durch erläuternde Hinweise und Beispiele für ihre Verwendung in Lebensmitteln.
1. Süßungsmittel
„Süßungsmittel sind Stoffe, die zum Süßen von Lebensmitteln und in Tafelsüßen
verwendet werden“.
Der Begriff umfasst sowohl die süß schmeckenden Zucker und Oligosaccharide, als
auch Zuckeralkohole und Süßstoffe. Als Zusatzstoffe sind allerdings nur die beiden
letzteren deklarationspflichtig. Die Zulassung für einen Zuckeralkohol oder einen
Süßstoff erfolgt nur, wenn bei der Herstellung von brennwertverminderten Lebensmitteln, von nicht kariogenen Lebensmitteln oder für die Verbesserung der Haltbar11
keit Zucker ersetzt werden soll. Sie können auch für Lebensmittel verwendet werden,
die für eine besondere Ernährung bestimmt sind. Zuckeralkohole, die auch als Zuckeraustauschstoffe bezeichnet werden, gewinnt man durch Hydrierung von Zuckern.
So entsteht z.B. durch Umsetzung von Traubenzucker mit Wasserstoff Sorbit und
aus Milchzucker Lactit.
Die derzeit zugelassenen Süßstoffe sind bis auf die Ausnahme von NeohesperidinDihydrochalkon und Thaumatin rein synthetischen Ursprungs. Saccharin ist der älteste Süßstoff. Dem Vorteil der preiswerten Herstellung steht sein bitterer, metallischer Beigeschmack als Nachteil gegenüber. Aspartam ist ein chemisch synthetisiertes Dipeptid aus den beiden Aminosäuren Asparaginsäure und Phenylalanin. Bei
dessen Verwendung ist ein Warnhinweis erforderlich, damit Personen mit der Stoffwechselerkrankung Phenylketonurie vor der Aufnahme von Phenylalanin gewarnt
werden. Aspartam wird häufig zusammen mit Acesulfam verwendet, da deren Süßkraft nicht additiv, sondern synergistisch wirkt. Ein Gemisch beider Süßstoffe erreicht
etwa die doppelte Süßkraft, als wenn jeder Süßstoff in derselben Menge für sich alleine eingesetzt wird. Wenn man den gewöhnlichen Haushaltszucker (Saccharose)
dreifach chloriert, erhält man Sucralose, die wie Saccharose schmeckt und bei 600facher Süßkraft keinen Neben- und Nachgeschmack aufweist, hitzestabil und unverdaulich ist.
Die beiden zugelassenen Süßstoffe natürlicher Herkunft lassen sich nicht in breitem
Umfang einsetzen. Bei dem aus einer afrikanischen Pflanze gewonnenen Protein
Thaumatin beeindruckt zwar die sehr hohe Süßkraft des 2000- bis 3000-fachen von
Saccharose, nachteilig ist aber sein lakritzartiger Nachgeschmack. Das aus Bitterorangen isolierte Neohesperidin-Dihydrochalcon entwickelt seinen Süßgeschmack
verzögert und besitzt einen kühlenden, mentholartigen Nachgeschmack. Neben
Thaumatin gibt es weitere interessante geschmacksbeeinflussende Proteine (z. B.
Monellin, Pentadin, Mabinlin, Brazzein), die einen äußerst intensiven Süßeindruck
vermitteln, der über Minuten bis hin zu Stunden anhalten kann. Die Proteine Miraculin und Curculin rechnet man zur Gruppe der Geschmacksumwandler. Beide verändern einen sauren Geschmack nach süß.
Unterdrückt wird ein Süßgeschmack durch Gymnemasäure, Gurmarin und Hodulcin.
Die meisten der genannten Stoffe stammen aus afrikanischen Pflanzen und werden
dort traditionell von der einheimischen Bevölkerung genutzt. Die geringe Verfügbarkeit bedingt einen hohen Preis für diese Produkte, was einer breiten Nutzung im
Wege steht. Intensiv wird deshalb beforscht, diese Proteine durch gentechnisch modifizierte Mikroorganismen zu gewinnen. Dies ist bei Monellin bereits gelungen.
12
Die Pflanze Stevia rebaudiana Bertoni wird traditionell von den Ureinwohnern
Paraguays als Süßungsmittel verwendet, denn diese enthält die gegenüber
Saccharose 200-300fach süßer schmeckenden Glycoside Steviosid und
Rebaudiosid A. Natürliche Herkunft ist bei vielen Verbrauchern ein schlagendes
Kaufargument. Natürliche Herkunft schließt aber eine gesundheitsschädliche
Wirkung nicht aus. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat
noch 2011 bei „Stevia“ die Grundlage für eine Zulassung nicht gegeben gesehen, da
bei größeren Verzehrsmengen die in toxikologischen Studien ermittelte duldbare
tägliche Aufnahme (ADI-Wert) von 4 mg/kg Körpergewicht überschritten wird. Im
November 2011 hat die Europäische Kommission die Verwendung von Stevia jedoch
in 31 Lebensmittelkategorien genehmigt. Allerdings mussten die beantragten
Verwendungen und Verwendungsmengen geändert werden, damit es nicht zu
gesundheitlichen Belastungen der Verbraucher kommt.
2. Farbstoffe
„Farbstoffe sind Stoffe, die einem Lebensmittel Farbe geben oder die Farbe in einem
Lebensmittel wiederherstellen; hierzu gehören natürliche Bestandteile von Lebensmitteln sowie natürliche Ausgangsstoffe, die normalerweise weder als Lebensmittel
verzehrt noch als charakteristische Lebensmittelzutaten verwendet werden. Zubereitungen aus Lebensmitteln und anderen essbaren natürlichen Ausgangsstoffen, die
durch physikalische und/oder chemische Extraktion gewonnen werden, durch die die
Pigmente im Vergleich zu auf ihren ernährungsphysiologischen oder aromatisierenden Bestandteilen selektiv extrahiert werden, gelten als Farbstoffe“.
Farbstoffe dürfen nur dann zugelassen werden, wenn
• das ursprüngliche Erscheinungsbild von Lebensmitteln wiederhergestellt wird,
deren Farbe durch Verarbeitung, Lagerung, Verpackung und Vertrieb mit
nachteiligen Folgen für die optische Akzeptanz beeinträchtigt worden ist.
• dadurch Lebensmittel äußerlich ansprechender gemacht werden
• dadurch normalerweise farblose Lebensmittel gefärbt werden
Dabei ist es verboten, dass durch die Färbung eine Täuschung des Verbrauchers
erfolgt, indem verdorbene oder minderwertige Ware kaschiert wird.
Technologisch gibt es für eine Färbung keine Notwendigkeit. Es sollen sensorisch
ansprechende Produkte angeboten werden können, denn „das Auge isst mit“.
Früher wurden vor allem natürliche Farbstoffe bzw. färbende Lebensmittel (z. B. Safran, Kurkuma, Paprika) verwendet. Sie haben gegenüber den künstlichen Farbstoffen meist eine geringere Farbintensität und vor allem eine geringere Stabilität bei der
Lagerung. Das schlechte Image von künstlichen Farbstoffen beim Verbraucher hat
allerdings dazu geführt, dass viele traditionell mit künstlichen Farbstoffen gefärbte
13
Lebensmittel, wie z. B. Gummibärchen oder Schokolinsen, heute überwiegend mit
Extrakten aus färbenden Lebensmitteln angefärbt sind. Der Trend zur Vermeidung
künstlicher Farbstoffe wurde noch dadurch verstärkt, dass als Ergebnis der sog.
McCann-Studie bei Verwendung von Gelborange S (E 110), Chinolingelb (E 104),
Azorubin (E 122), Allurarot AC (E 129), Tartrazin (E 102) und Chochenillerot A (E
124) die zusätzliche Angabe „kann Aktivität und Aufmerksamkeit bei Kindern beeinträchtigen“ erfolgen muss.
3. Konservierungsstoffe
„Konservierungsstoffe sind Stoffe, die die Haltbarkeit von Lebensmitteln verlängern,
indem sie sie vor den schädlichen Auswirkungen von Mikroorganismen schützen,
und/oder vor dem Wachstum pathogener Mikroorganismen schützen“.
Mit den Prozessen des Pökelns und Räucherns besitzt die chemische Konservierung
eine weit zurückreichende Tradition. Beim Pökeln kommen verschiedene Pökelstoffe,
vornehmlich aber Nitritpökelsalz zum Einsatz und beim Räuchern entstehen beim
Verschwelen von Holz (i.a. Buchenholz) antioxidativ wirksame Phenole, die auch das
Wachstum schädlicher Mikroorganismen verhindern können. Pökeln hilft sehr zuverlässig das Wachstum des Bakteriums Clostridium botulinum zu unterdrücken, welches das giftigste dem Menschen bekannte Toxin bildet und zu der lebensbedrohlichen Erkrankung des Botulismus führt.
Gepökelte Erzeugnisse wie Kochschinken, Katenbauchfleisch oder Wiener Würstchen müssen entweder mit einer der den Pökelstoffen entsprechenden E-Nummern
249-252 oder dem Namen, z. B. Nitritpökelsalz, deklariert werden. Generell besitzen
Konservierungsstoffe beim Verbraucher ein schlechtes Image, obwohl sie zu den
bestuntersuchten Zusatzstoffen zählen und direkt auf Bakterien, Schimmelpilze oder
Hefen einwirken, ohne die Qualität des Lebensmittels negativ zu beeinträchtigen. Zu
den Konservierungsstoffen zählen auch Schwefeldioxid und Sulfite (E 220 – 228).
Diese besitzen eine herausragende Bedeutung bei der Weinherstellung. Sie verhindern bakteriell bedingte Weinkrankheiten, stellen eine reintönige Gärung sicher, wirken farbstabilisierend, indem sie oxidative Enzyme hemmen und unerwünschte Gärungsnebenprodukte binden, die den Geschmack und Geruch des Weines negativ
beeinflussen können. Bei Personen mit zu geringer Aktivität der körpereigenen
Sulfitoxidase rufen Sulfite pseudoallergische Erscheinungen und Kopfschmerzen
hervor.
Lebensmittel, die mit Sorbinsäure und Benzoesäure bzw. ihren Salzen konserviert
sind, finden sich heute immer weniger in den Verkaufsregalen. Eine Ausnahme da14
von bilden einige kalorienreduzierte Lebensmittel, wie z.B. Fruchtaufstriche ohne zugesetzten Zucker oder fettreduzierte Margarine. Feinkostsalate sind mikrobiell sehr
anfällig, weshalb dort der Einsatz von Konservierungsstoffen sehr sinnvoll ist. Viele
Hersteller werben aber gerade in diesem Segment oft damit, dass ihr Produkt konservierungsstofffrei ist, um damit beim Verbraucher zu punkten. Dieser übersieht dabei möglicherweise, dass er nach dem Öffnen z.B. eines mayonnaisehaltigen Feinkostproduktes keinen wirksamen Schutz mehr gegen mikrobiellen Verderb hat.
4. Antioxidationsmittel
„Antioxidationsmittel sind Stoffe, die die Haltbarkeit von Lebensmitteln verlängern,
indem sie sie vor den schädlichen Auswirkungen der Oxidation wie Ranzigwerden
von Fett und Farbveränderungen schützen“.
Wenn man gekochte Speisen für 2-3 Tage aufbewahrt und dann vor dem Verzehr
wieder aufwärmt, kann man häufig einen „Aufwärm“- oder „Kochgeschmack“ feststellen. Dieser hat seine Ursache darin, dass Lebensmittel oxidationsanfällige Inhaltsstoffe, wie ungesättigte Fettsäuren oder Aromastoffe enthalten, die durch Reaktion mit Sauerstoff einen Fehlgeruch und Fehlgeschmack entwickeln können, u.a.
wegen des deutlichen Anstieges bei der Produktgruppe der Fertiggerichte nimmt der
Einsatz von Antioxidantien stark zu. Da auch hier die Lebensmittelproduzenten möglichst deklarationsfreie Lebensmittel anbieten wollen, gibt es einen Trend zu einer
intensiveren Nutzung solcher Gewürze, die einen hohen Gehalt an phenolischen
Verbindungen besitzen und deshalb natürlicherweise über ein hohes antioxidatives
Potential verfügen, z. B. Rosmarin oder Salbei.
Schutz vor oxidativem Verderb bieten auch sauerstoffundurchlässige Verpackungen
und die Verwendung von Schutzgasen, z.B. bei gemahlenem Röstkaffee oder Kartoffelpüreepulver. Bei Kaugummi wirken Antioxidantien gegen die Aushärtung der
Kaumasse und gegen Aromaveränderungen.
5. Trägerstoffe
„Trägerstoffe sind Stoffe, die verwendet werden, um Lebensmittelzusatzstoffe, aromen oder -enzyme, Nährstoffe und/oder sonstige Stoffe, die einem Lebensmittel
zu Ernährungszwecken oder physiologischen Zwecken zugefügt werden, zu lösen,
zu verdünnen, zu dispergieren oder auf andere Weise physikalisch zu modifizieren,
ohne ihre Funktion zu verändern (und ohne selbst eine technologische Wirkung auszuüben), um deren Handhabung, Einsatz oder Verwendung zu erleichtern“.
15
Damit man die oft nur in sehr kleinen Mengen einzusetzenden Zusatzstoffe, wie z.B.
Farbstoffe, gleichmäßig in ein Lebensmittel einarbeiten kann, bedarf es der Trägerstoffe als Dosier- und Verteilungshilfsmittel. Aus der sehr großen Gruppe der Trägerstoffe seien einige wichtige genannt: Dextrine, Kochsalz (für Nitrit im Pökelsalz),
Natriumsulfat (für Farbstoffe), Calciumsilikate, Alginate und Sorbit.
6. Säuerungsmittel
„Säuerungsmittel sind Stoffe, die den Säuregrad eines Lebensmittels erhöhen
und/oder diesem einen sauren Geschmack verleihen“.
Säuerungsmittel werden in großem Umfang eingesetzt, um einen produkttypischen
Geschmack zu erzeugen, zu betonen oder abzurunden, z. B. bei Mayonnaise, Feinkostsalaten, Obstprodukten, Erfrischungsgetränken, Süßwaren und Dessertspeisen.
Essigsäure hat dabei wie Weinsäure auch, einen geringen zusätzlichen Eigengeschmack. Citronensäure und die speziell in koffeinhaltigen Erfrischungsgetränken
verwendete Phosphorsäure schmecken dagegen rein sauer.
7. Säureregulatoren
„Säureregulatoren sind Stoffe, die den Säuregrad oder die Alkalität eines Lebensmittels verändern oder steuern“.
Anders als die Säuerungsmittel verändern Säureregulatoren z. B. Citrate, Di-, Triund Polyphosphate, Carbonate oder Hydroxide nicht notwendigerweise den Geschmack eines Lebensmittels, sondern regeln den Säure- bzw. auch Alkalitätsgrad
eines Lebensmittels. Säureregulatoren bewirken erwünschte Eigenschaften bei der
Herstellung und Verarbeitung von Lebensmitteln, indem sie z.B. die Emulgier-, die
Gelier- oder die Wasserbindungsfähigkeit erhöhen, so bei der Herstellung von Brühwürsten (Fleischwurst, Wiener), die ihre Saftigkeit bzw. Knackigkeit durch die Einarbeitung von Wasser erhalten. Die zu den Säureregulatoren zählende Natronlauge
wird benötigt, um Laugengebäck herstellen zu können.
8. Trennmittel
„Trennmittel sind Stoffe, die die Tendenz der einzelnen Partikel eines Lebensmittels,
aneinander haften zu bleiben, herabsetzen“.
Trennmittel werden als Rieselhilfsmittel, z.B. bei Speisesalz verwendet, damit dieses
nicht verklumpt und streufähig bleibt. Bienenwachs wird in der Regel als Trennmittel
für Fruchtgummierzeugnisse genutzt, damit diese nicht miteinander verkleben. Als
16
Formentrennmittel werden diejenigen Stoffe bezeichnet, die man verwendet, um das
Ankleben an Blechen und Formen zu verhindern.
9. Schaumverhüter
„Schaumverhüter sind Stoffe, die die Schaumbildung verhindern oder verringern“.
Bei der Herstellung von z.B. Suppen, Konfitüren, Süßwaren oder der Anwendung
von Frittierfetten kann es zu erheblicher Schaumbildung kommen, die sich mit
Schaumverhütungsmitteln unterdrücken lässt, beispielsweise mit Salzen sowie
Mono- und Diglyceriden ungesättigter Fettsäuren oder Dimethylpolysiloxan.
10. Füllstoffe
„Füllstoffe sind Stoffe, die einen Teil des Volumens eines Lebensmittels bilden, ohne
nennenswert zu dessen Gehalt an verwertbarer Energie beizutragen“.
Mit dem Trend hin zu kalorienreduzierten Lebensmitteln wächst auch der Einsatz von
Füllstoffen, die dort Fett und/oder Zucker ersetzen können. Ein wichtiger Füllstoff ist
die aus Traubenzucker, dem Zuckeralkohol Sorbit und Citronensäure hergestellte
Polydextrose, deren Energiegehalt nur 1 kcal/g beträgt und die deshalb als Ersatz für
Fett (9 kcal/g) und Kohlenhydrate(4 kcal/g) die Möglichkeit einer deutliche Kalorienreduktion bietet. Auch die unverdauliche Cellulose und Cellulosederivate werden als
Füllstoff eingesetzt.
11. Emulgatoren
„Emulgatoren sind Stoffe, die es ermöglichen, die einheitliche Dispersion zweier oder
mehrerer nicht mischbarer Phasen wie z. B. Öl und Wasser in einem Lebensmittel
herzustellen oder aufrechtzuerhalten“.
Typische Lebensmittel, in denen jeweils eine größere Menge an wässriger und öliger
bzw. Fettphase zu einer Emulsion verbunden werden müssen, sind z. B. Margarine,
Mayonnaise, Dressings, Salatsoßen und Backwaren. Im Haushalt wird zu Emulgierzwecken i.a. Eidotter verwendet, in dem der natürliche Emulgator Lecithin enthalten
ist. Lecithin fällt in etwas anderer Zusammensetzung bei der Gewinnung von Sojaöl
an und findet deshalb, da weit billiger, in großem Umfang bei der Lebensmittelproduktion Verwendung. Neben Sojalecithin und zunehmend auch Lecithin aus Sonnenblumenkernen kommt eine Vielzahl synthetischer Emulgatoren zum Einsatz, die
oft maßgeschneiderte Eigenschaften für spezifische Produkte besitzen. Insgesamt
wird der Markt durch drei Emulgatoren bzw. Emulgatorenklassen beherrscht:
17
Lecithine, Mono- und Diglyceride der Speisefettsäuren sowie Diacetylweinsäureessigester.
12. Schmelzsalze
„Schmelzsalze sind Stoffe, die in Käse enthaltene Proteine in eine dispergierte Form
überführen und hierdurch eine homogene Verteilung von Fett und anderen Bestandteilen herbeiführen“.
Schmelzsalze dienen vor allem der Herstellung von Schmelzkäse aus dem nur begrenzt haltbaren Rohkäse. Die dazu verwendeten Natriumcitrate und Natriumsalze
der Mono-, Di-, Tri- und Polyphosphorsäuren lösen das Calcium aus dem paraCasein-Gel und überführen es in ein Sol aus para-Casein, in dem Calcium durch
Natrium ersetzt ist und das dem erhaltenen Schmelzkäse seine typische Konsistenz
und Wiederschmelzbarkeit verleiht.
13. Festigungsmittel
„Festigungsmittel sind Stoffe, die dem Zellgewebe von Obst und Gemüse Festigkeit
und Frische verleihen bzw. diese erhalten oder die zusammen mit einem Geliermittel
ein Gel erzeugen oder festigen“.
Die Festigkeit von Obst und Gemüse beruht auf dem Polysaccharid Pektin als einem
Hauptbestandteil der pflanzlichen Zellstruktur. Festigungsmittel bewirken bei Lebensmitteln, wie z. B. bei Gewürzgurken, das die Festigkeit (Knackigkeit) während
und nach der Verarbeitung erhalten bleibt. Dafür werden in der Regel Calcium- bzw.
Aluminiumsalze eingesetzt, die als zwei- oder dreiwertige Anionen das Pektin in
schwerlösliche Pektate überführen.
14. Geschmacksverstärker
„Geschmacksverstärker sind Stoffe, die den Geschmack und/oder Geruch eines
Lebensmittels verstärken“.
Geschmacksverstärker besitzen meist nur einen geringen Eigengeschmack, können
aber den Geschmack anderer Stoffe erhöhen. Die gängigen Geschmacksverstärker,
Glutaminsäure und ihre Salze sowie Inosinate und Guanylate (Ribonucleotide) kommen als natürliche Fleischbestandteile vor. Sie entstehen aber auch aus pflanzlichen
Rohstoffen durch Fermentation und liefern Speisewürzen, Soja- oder Worcestersoße.
Die Glutaminsäure und die Ribonucleotide werden als deklarationspflichtige Zusatzstoffe großtechnisch gewonnen und umfangreich eingesetzt, z.B. bei Tütensuppen,
18
Fertigmahlzeiten und Soßen. Als Verstärker für den Süßgeschmack von Fruchtsaftgetränken, Marmeladen oder Gelees wirken Maltol bzw. Isomaltol.
15. Schaummittel
„Schaummittel sind Stoffe, die die Bildung einer einheitlichen Dispersion einer gasförmigen Phase in einem flüssigen oder festen Lebensmittel ermöglichen“.
Die Wirkungsweise von Schaum- oder Aufschlagmitteln ist rein physikalisch. Mit ihnen gelingt es ein größeres Luftvolumen in eine Masse als „Aufschlag“ einzubringen,
z.B. bei Speiseeis oder Schaumzuckerwaren (Schokoküsse). Die klassischen
Schaumbildner sind grenzflächenaktive Proteine.
Geliermittel, modifizierte Stärken,
(Funktionsklassen 16, 19, 24 und 25)
Stabilisatoren
und
Verdickungsmittel
„Geliermittel sind Stoffe, die Lebensmitteln durch Gelbildung eine festere Konsistenz
verleihen“.
„Modifizierte Stärken sind durch ein- oder mehrmalige chemische Behandlung aus
essbaren Stärken gewonnene Stoffe. Diese essbaren Stärken können einer physikalischen oder enzymatischen Behandlung unterzogen und durch Säure- oder Alkalibehandlung dünnkochend gemacht oder gebleicht worden sein“.
„Stabilisatoren sind Stoffe, die es ermöglichen, den physikalisch-chemischen Zustand
eines Lebensmittels aufrechtzuerhalten. Zu den Stabilisatoren zählen Stoffe, die es
ermöglichen, die einheitliche Dispersion zweier oder mehrerer nicht mischbarer Phasen in einem Lebensmittel aufrechtzuerhalten, Stoffe, durch welche die vorhandene
Farbe eines Lebensmittels stabilisiert, bewahrt oder intensiviert wird, und Stoffe, die
die Bindefähigkeit eines Lebensmittels verbessern, einschließlich der Bildung von
Proteinvernetzungen, die die Bindung von Lebensmittelstücken in rekonstituierten
Lebensmitteln ermöglichen“.
„Verdickungsmittel sind Stoffe, die die Viskosität eines Lebensmittels erhöhen“.
Die funktionellen Eigenschaften dieser Stoffe erlauben keine strenge Trennung zwischen diesen vier Klassen. Bei den meisten Stoffen handelt es sich um Hydrokolloide, deren Wirkungen fließend ineinander übergehen. Diese in sehr breitem
Umfang genutzten Zusatzstoffe dienen hauptsächlich zur Konsistenzgebung und 19
erhaltung z.B. von Puddings, Soßen, Cremes, Gelees und Süßwaren. Die Erhöhung
der Viskosität von Produkten oder die Bildung schnittfester Gelees steht dabei im
Vordergrund. Ein spezieller, nur bei Oliven zugelassener Stabilisator ist das Eisen-IIgluconat, mit dem unreife grüne Oliven durch Reaktion mit deren Gerbstoffen geschwärzt werden und durch das die schwarze Farbe stabil bleibt.
17. Überzugmittel (einschließlich Gleitmittel)
„Überzugmittel (einschließlich Gleitmittel) sind Stoffe, die der Außenoberfläche eines
Lebensmittels ein glänzendes Aussehen verleihen oder einen Schutzüberzug bilden“.
Bei den Überzugsmitteln handelt es sich größtenteils um Wachse und Harze, die
vornehmlich im Süß- und Backwarenbereich den Produkten ein glänzendes Aussehen verleihen sollen, andererseits aber auch dazu genutzt werden können, einen
Schutz des Lebensmittels vor Austrocknung oder mikrobiellem Befall zu liefern.
18. Feuchthaltemittel
„Feuchthaltemittel sind Stoffe, die das Austrocknen von Lebensmitteln verhindern,
indem sie die Auswirkungen einer Atmosphäre mit geringem Feuchtigkeitsgehalt
ausgleichen, oder Stoffe, die die Auflösung eines Pulvers in einem wässrigen Medium fördern“.
Süßwaren, Backwaren und andere Lebensmittel von mittlerer Feuchtigkeit behalten
durch die Verwendung von Sorbit, Glycerin oder 1,2-Propandiol eine gut haltbare
Konsistenz und werden vor dem Austrocknen geschützt. In Süßigkeiten verhindern
sie zudem das Auskristallisieren von Zucker.
20. Packgase
„Packgase sind Gase außer Luft, die vor oder nach dem Lebensmittel oder gleichzeitig mit diesem in das entsprechende Behältnis abgefüllt worden sind“.
Mit Packgasen wie Stickstoff oder Kohlendioxid lassen sich Lebensmittel vor oxidativen, mikrobiologischen und anderen unerwünschten Veränderungen schützen. Für
Kleinpackungen sind dabei aufwändige Verpackungstechniken erforderlich, damit
weder Schutzgase aus der Verpackung heraustreten, noch Sauerstoff und Wasserdampf in die Verpackung hineindiffundieren. Beispiel: unter Schutzatmosphäre verpackte Kaffeepads.
20
21. Treibgase
„Treibgase sind andere Gase als Luft, die ein Lebensmittel aus seinem Behältnis
herauspressen“.
Als Beispiel für die Anwendung von Treibgasen kann Sprühsahne dienen. Hier ist es
das Distickstoffoxid, das die Sahne aus der Dose fördert und gleichzeitig für einen
großvolumigen Aufschlag sorgt.
22. Backtriebmittel
„Backtriebmittel sind Stoffe oder Kombinationen von Stoffen, die Gas freisetzen und
dadurch das Volumen eines Teigs vergrößern“.
Dazu zählen die schon seit Generationen in den Backpulvern verwendeten Triebmittel, die während des Backvorgangs Kohlendioxid freisetzen. Natriumhydrogencarbonat ist dabei der am häufigsten verwendete Kohlensäureträger.
23. Komplexbildner
„Komplexbildner sind Stoffe, die mit Metallionen chemische Komplexe bilden“.
Metallionen fördern Oxidationsprozesse und damit den oxidativen Verderb von Lebensmitteln. Durch Komplexbildner werden Metallionen inaktiviert und unterstützten
so die Wirkung von Antioxidantien.
26. Mehlbehandlungsmittel
„Mehlbehandlungsmittel sind Stoffe außer Emulgatoren, die dem Mehl oder dem Teig
zugefügt werden, um deren Backfähigkeit zu verbessern“.
Mehlbehandlungsmittel erleichtern dem Bäckerhandwerk die Arbeit. Sie werden bereits in der Mühle dem Mehl zugegeben und verleihen ihm standardisierte Eigenschaften im Hinblick auf Teigbildung, Teigbeschaffenheit, Teig- und Gebäcklockerung.
Schlussbemerkung:
Die Faktoren Zeit, Bequemlichkeit (Convenience) und Kosten entscheiden über das
Ausmaß mit dem der Verbraucher Zusatzstoffe zu sich nimmt. Durch die Deklarationspflicht haben Verbraucher die Möglichkeit bestimmte oder auch alle deklarationspflichtigen Zusatzstoffe zu vermeiden, wenn sie dies aufgrund besonderer Stoffwechsellagen müssen oder aufgrund prinzipieller Überlegungen wollen. Letzteres
gelingt am besten durch die eigenständige Zubereitung der Mahlzeiten aus frischen
21
Zutaten und Grundnahrungsmitteln. Die moderne Lebensweise führt aber dazu, dass
der Verbraucher immer weniger Rohstoffkäufer ist und immer mehr zum Käufer von
großtechnisch vorverarbeiteten Convenience-Produkten bis hin zu Fertiggerichten
wird. Generell gilt aber: Für eine gesunde Ernährung ist es viel entscheidender was
man isst, als die Frage, ob man Lebensmittel mit oder ohne Zusatzstoffe auswählt.
Orientieren kann man sich dazu an den 10 Ernährungsregeln der DGE:
1. Vielseitig essen
2. Reichlich Getreideprodukte – und Kartoffeln
3. Gemüse und Obst – Nimm „5 am Tag“
4. Täglich Milch und Milchprodukte; ein- bis zweimal in der Woche Fisch;
Fleisch, Wurstwaren sowie Eier in Maßen
5. Wenig Fett und fettreiche Lebensmittel
6. Zucker und Salz in Maßen
7. Reichlich Flüssigkeit
8. Schmackhaft und schonend zubereiten
9. Sich Zeit nehmen und genießen
10. Auf das Gewicht achten und in Bewegung bleiben.
Verwendete Literatur:
Verordnung (EG) Nr. 1333/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember
2008 über Lebensmittelzusatzstoffe – ABl. Nr. L 354 vom 31.12.2008 S. 16; Änd. durch VO (EU)
Nr. 238/2010 – ABl. Nr. L 75 vom 23.03.2010 S. 17; ber., ABl. Nr. L 105 vom 27.04.2010 S. 114
Richtlinie 2008/128/EG der Kommission vom 22. Dezember 2008 zur Festlegung spezifischer
Reinheitskriterien für Lebensmittelfarbstoffe – ABl. EG Nr. L 6 vom 10.01.2009 S. 20; Änd. durch
Richtlinie 2011/3 v. 17.1.2011 – ABl. EG Nr. L 13/59)
Richtlinie 95/31/EG der Kommission vom 5. Juli 1995 zur Festlegung spezifischer Einheitskriterien für
Süßungsmittel, die in Lebensmitteln verwendet werden dürfen – ABl. EG Nr. L 178 vom 28.07.1995
S. 1; Änd. durch Richtlinie 2006/128 v. 8.12.2006 – ABl EG Nr. L 346/6
Richtlinie 2008/84/EG der Kommission vom 27. August 2008 zur Festlegung spezifischer
Reinheitskriterien für andere Lebensmittelzusatzstoffe als Farbstoffe und Süßungsmittel – ABl. EG
Nr. L 253 vom 20.09.2008 S. 1; Änd. durch Richtlinie 2010/67 v. 20.10.2010 – ABl. Nr. L 277/17;
Änd. durch Richtlinie 2009/10 v. 13.2.2009 – ABl. Nr. L 44/62
Verordnung über die Zulassung von Zusatzstoffen zu Lebensmitteln zu technologischen Zwecken
(Zusatzstoff-Zulassungsverordnung – ZZulV) vom 29. Januar 1998, BGBl S. 231; letzte Änd. v.
28.3.2011, BGBl I, S 530
Verordnung über die Anforderungen an Zusatzstoffe und das Inverkehrbringen von Zusatzstoffen für
technologische Zwecke (Zusatzstoff-Verkehrsverordnung – ZVerkV) vom 29. Januar 1998, BGBl. I
S. 269, ber., BGBl I S. 530; letzte Änd. v. 28.3.2011, BGBl I, S 534
Bundesministerium für Gesundheit (Österreich): Zusatzstoffe, Aromen und Enzyme in der
Lebensmittelindustrie (2010) ISBN 978-3-902611-40-6
P. Kuhnert, E. Lück: Lexikon Lebensmittelzusatzstoffe (3. Auflage), Behr’s Verlag 2010
D. McCann, A. Barrett, A. Cooper et al. (2007) Food additives and hyperactive behavior in 3 and 8/9
year old children in die community. The Lancet 370:1560-7
EFSA (2011) Revised exposure assessment for steviol glycosides for the proposed uses as a food
additive, EFSA Journal 9:1972 (19 S.) 22
Risikobewertung von Lebensmittelzusatzstoffen
Dr. Rainer Gürtler
Abteilung Lebensmittelsicherheit, Fachgruppe Lebensmitteltoxikologie
Bundesinstitut für Risikobewertung, Thielallee 88-92, 14195 Berlin
Lebensmittelzusatzstoffe werden Lebensmitteln zugesetzt, um bestimmte technologische Wirkungen zu erzielen, zum Beispiel um zu färben, zu süßen, oder zu konservieren. So werden z.B. Haltbarkeit und Aussehen (Farbe, Konsistenz) gesichert.
Dementsprechend zählen Antioxidantien, Emulgatoren, Verdickungsmittel, sowie
Konservierungs-, Farb- und Süßstoffe zu den am weitesten bekannten ZusatzstoffKategorien. Nach Artikel 3 der Verordnung (EG) Nr. 1333/2008 ist ein
Lebensmittelzusatzstoff „ein Stoff mit oder ohne Nährwert, der in der Regel weder
selbst als Lebensmittel verzehrt noch als charakteristische Lebensmittelzutat
verwendet wird und einem Lebensmittel aus technologischen Gründen bei der
Herstellung, Verarbeitung, Zubereitung, Behandlung, Verpackung, Beförderung oder
Lagerung zugesetzt wird, wodurch er selbst oder seine Nebenprodukte mittelbar oder
unmittelbar zu einem Bestandteil des Lebensmittels werden oder werden können.“
Lebensmittelzusatzstoffe müssen gemäß Lebensmittelkennzeichnungsverordnung
auf verpackten Lebensmitteln in der Zutatenliste in der Regel mit dem Klassennamen
(z. B. „Konservierungsstoff“), gefolgt von der Verkehrsbezeichnung oder der ENummer aufgeführt werden. Der Begriff „Zutaten“ ist eine Sammelbezeichnung für
alle Stoffe, einschließlich der Zusatzstoffe und Aromen, die bei der Herstellung eines
Lebensmittels verwendet werden. Derzeit sind in der EU etwa 300 Zusatzstoffe
zugelassen (bzw. etwa 400, wenn verschiedene Salze einzelner Zusatzstoffe
getrennt gezählt werden), die gemäß Anhang I der Verordnung (EG) Nr. 1333/2008
in 26 Funktionsklassen eingeteilt sind.
Gemäß Verordnung (EG) Nr. 1333/2008 dürfen nur zugelassene Zusatzstoffe
verwendet werden. Voraussetzung für eine Zulassung sind die gesundheitliche
Unbedenklichkeit, die technologische Notwendigkeit und die Gewährleistung, dass
Verbraucher nicht getäuscht werden. Der Hersteller hat den Nachweis zu erbringen,
dass der betreffende Zusatzstoff gesundheitlich unbedenklich ist. Um etwaige die
23
Gesundheit
gefährdende
verschiedenen
Wirkungen
toxikologischen
zu
ermitteln,
Untersuchungen
sowie
muss
ein
einer
Zusatzstoff
toxikologischen
Bewertung unterzogen werden. Bei Vorliegen neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse
ist gegebenenfalls eine Neubewertung erforderlich.
Prinzipien der Risikobewertung
Die in Deutschland und den anderen Mitgliedsländern der EU zulässigen
Zusatzstoffe sind durch internationale und zum Teil auch nationale Expertengremien
gesundheitlich bewertet und zur Verwendung in Lebensmitteln akzeptiert worden. In
der EU ist seit 2003 die European Food Safety Authority (EFSA) mit dem Scientific
Panel on Food Additives and Nutrient Sources added to Food (ANS) für die
gesundheitliche Bewertung von Zusatzstoffen zuständig. Dieses Expertengremium
bewertet
Zusatzstoffe
Wissenschaftlichen
nun
anstelle
des
Lebensmittelausschusses
im
der
Frühjahr
2003
EU-Kommission
aufgelösten
(Scientific
Committee on Food, SCF). Außerdem werden Zusatzstoffe auch vom Joint
FAO/WHO Expert Committee on Food Additives (JECFA) bewertet.
In der Verordnung (EU) Nr. 234/2011 ist kurz beschrieben, welche Daten für die
Risikobewertung von neuen Lebensmittelzusatzstoffen erforderlich sind. Zu den
erforderlichen
toxikologischen
Daten
zählen
Informationen
über
Aufnahme,
Verteilung im Körper, Verstoffwechselung und Ausscheidung sowie Informationen
zur subchronischen und chronischen Toxizität, Kanzerogenität, Genotoxizität,
Reproduktions- und Entwicklungstoxizität. Gegebenenfalls sind auch Studien zu
weiteren toxikologischen Aspekten erforderlich. Vom Antragsteller sind auch die
entsprechenden Anleitungsdokumente (Guidance documents) der EU-Kommission
(http://ec.europa.eu/food/food/fAEF/authorisation_application_en.htm) und der EFSA
(http://www.efsa.europa.eu/en/consultations/call/111117.htm) zu berücksichtigen.
Die toxikologischen Prüfungen beinhalten in der Regel verschiedene Tierversuche
sowie nach Möglichkeit Untersuchungen über das Verhalten des Zusatzstoffs im
menschlichen Organismus. Ziel dieser toxikologischen Untersuchungen und
Bewertung
ist
die
Ableitung
einer
akzeptablen
täglichen
Aufnahmemenge
(Acceptable Daily Intake, ADI-Wert) für den Menschen. Diese ADI-Werte basieren
24
überwiegend auf den Ergebnissen von Tierexperimenten, in denen die Tiere den
betreffenden Zusatzstoff zumeist täglich über einen langen Zeitraum mit dem Futter
in vergleichsweise hohen Konzentrationen erhalten haben. In diesen Studien werden
die niedrigste Dosis, bei der unerwünschte Wirkungen auftraten (Lowest Observed
Adverse Effect Level, LOAEL), sowie die Dosis, bis zu der keine unerwünschten
Reaktionen auftraten (No Observed Adverse Effect Level, NOAEL), ermittelt. Der
NOAEL wird durch einen Sicherheitsfaktor (in der Regel 100) geteilt. Dadurch sollen
Unsicherheiten bei der Übertragung der Studienergebnisse vom Tier auf den
Menschen und individuelle Unterschiede berücksichtigt werden. Somit beträgt der
ADI-Wert häufig ein Hundertstel des NOAEL. Er wird in mg/kg Körpergewicht
angegeben. Diese Menge kann ein ganzes Leben lang täglich aufgenommen
werden, ohne dass unerwünschte Wirkungen zu erwarten sind. Gelegentliche
kurzfristige Überschreitungen des ADI-Werts sind nach diesem ADI-Konzept
tolerierbar, wenn (i) die Höhe der Überschreitung nur ein Ausmaß hat, das noch
einen
tolerierbaren
Abstand
zwischen
der
Exposition
und
dem
NOAEL
beziehungsweise LOAEL gewährleistet, (ii) es keine Hinweise darauf gibt, dass der
für die Ableitung des ADI maßgebliche Effekt schon nach akuter Exposition auftritt,
und (iii) sie nur so selten auftreten, dass die langfristige Exposition davon nicht
nennenswert beeinflusst wird.
Für einige Zusatzstoffe, die kein wesentliches Gefährdungspotenzial haben und in
den
üblichen
Verwendungsmengen
als
unbedenklich
gelten,
wie
z.B.
Calciumcarbonat (E 170) oder Stickstoff (E 941), wurden keine numerischen ADIWerte abgeleitet, das Fazit der Bewertung lautete dann z.B. „akzeptabel“ oder „ADI
not specified“. Das bedeutet nicht, dass eine unbegrenzte Verwendung solcher
Zusatzstoffe als akzeptabel angesehen wird. JECFA hat darauf hingewiesen, dass
die Verwendung der betreffenden Zusatzstoffe dann nach „Guter Herstellungspraxis“
erfolgen sollte, das heißt, nur in der Menge, die erforderlich ist, um die gewünschte
technologische Wirkung zu erzielen.
Die zugelassenen Zusatzstoffe sind im Allgemeinen ausführlich geprüft, wobei auch,
sofern vorhanden, verfügbare Daten aus Human-Studien berücksichtigt wurden. Mit
der Verordnung (EU) Nr. 257/2010 wurde allerdings ein Programm aufgestellt,
wonach alle bereits zugelassenen Zusatzstoffe bis Ende 2020 durch das EFSA-ANS-
25
Panel erneut zu bewerten sind (wobei für bestimmte Zusatzstoffe kürzere Fristen
gelten).
Für zugelassene Zusatzstoffe wurden Verwendungshöchstmengen für verschiedene
Lebensmittelkategorien abgeleitet. Damit soll sichergestellt werden, dass die für die
betreffenden Zusatzstoffe geltenden ADI-Werte nicht überschritten werden.
Im Bundesinstitut für Risikobewertung werden Zusatzstoffe bewertet, wenn die
gesundheitliche Unbedenklichkeit zur Diskussion steht und es begründete Hinweise
auf
mögliche
Zusammenhang
Gesundheitsgefährdungen
gibt
(Beispiele:
Studie
über
einen
zwischen der Aufnahme von Lebensmittelfarbstoffen und
Hyperaktivität bei Kindern; Bildung von Benzol aus den Zusatzstoffen Benzoat und
Ascorbinsäure). Außerdem wird das Risiko bewertet, wenn bekannt wird, dass nicht
zugelassene Stoffe als Zusatzstoffe in Lebensmitteln eingesetzt werden, wie das
z.B. mit den sogenannte Sudanfarbstoffen der Fall war (BfR-Stellungnahmen unter
www.bfr.bund.de). In anderen Fällen sind auch mögliche ADI-Wert-Überschreitungen
zu bewerten.
Die EFSA bewertet Anträge auf Zulassung neuer Zusatzstoffe. Außerdem bewertet
sie alle bereits zugelassenen Zusatzstoffe (in einem Programm gemäß Verordnung
(EU) Nr. 257/2010) bis Ende 2020 erneut. Dabei haben bestimmte Zusatzstoffe, wie
beispielsweise Aspartam, eine hohe Priorität.
Aspartam
Der Süßstoff Aspartam ist etwa 200-mal süßer als Saccharose. Er wird im Gastrointestinaltrakt in seine Bestandteile Asparaginsäure, Phenylalanin und Methanol
hydrolysiert, die im Körper und in Lebensmitteln auch natürlicherweise vorkommen.
Eine Portion Milch liefert etwa sechsmal mehr Phenylalanin und dreizehnmal mehr
Asparaginsäure als die entsprechende Menge eines ausschließlich mit Aspartam
gesüßten Diätgetränks. Bei den üblichen Verwendungsmengen ist Aspartam als
solches nicht systemisch verfügbar. Dennoch wurde die Sicherheit der Verwendung
von Aspartam als Süßstoff in der Vergangenheit wiederholt infrage gestellt, und
dieses Thema beschäftigt auch weiterhin Expertengremien auf internationaler Ebene.
26
Aspartam wurde mehrfach vom Joint FAO/WHO Expert Committee on Food
Additives bewertet. Auf der Basis eines NOAEL von 4 g/kg Körpergewicht (KG) und
Tag aus einer Langzeit-Fütterungsstudie an Ratten wurde 1981 unter Anwendung
eines Unsicherheitsfaktors von 100 ein ADI von 40 mg/kg KG und Tag abgeleitet.
Dabei wurden auch mehrere Human-Studien mit Personen berücksichtigt, die das
Krankheitsbild Phenylketonurie (PKU) aufwiesen. Auch das SCF hat Aspartam
mehrfach (1984, 1987 und 1988) bewertet. Es hat den von JECFA abgeleiteten ADIWert von 40 mg/kg KG und Tag damals bestätigt und betont, dass bei einer
Aspartam-Aufnahme im Bereich des ADI die Phenylalanin-Plasmaspiegel zumeist im
normalen Bereich liegen. Das gelte für gesunde Erwachsene und Kinder, PKUheterozygote Erwachsene und wahrscheinlich auch für heterozygote Kinder und
Schwangere, aber nicht für PKU-homozygote Personen. Das SCF hat empfohlen,
dass PKU-homozygote Personen Aspartam meiden sollten und dass Lebensmittel
hinsichtlich der Phenylalaninquelle gekennzeichnet werden sollten. In der EU ist
deshalb eine entsprechende Kennzeichnung vorgeschrieben.
In den 1990er-Jahren wurde von Olney et al. (1996) der Verdacht geäußert, dass
eine in epidemiologischen Studien beobachtete Zunahme von Hirntumoren auf die
Verwendung von Aspartam als Süßstoff zurückzuführen sein könnte. Die Autoren
hielten eine Neubewertung des kanzerogenen Potenzials von Aspartam für erforderlich. Das führte dazu, dass sich mehrere nationale Lebensmittelsicherheitsbehörden und internationale Expertengremien mit dieser Frage befassten (beispielsweise die US-amerikanische Food and Drug Administration 1996, die französische
Lebensmittelsicherheitsbehörde AFSSA 2002, das SCF 1997 und 2002). Diese
Experten stimmten nach Prüfung der Daten jeweils nicht mit der Schlussfolgerung
von Olney et al. überein und sahen keinen Anlass, den ADI zu revidieren (SCF
2002).
Vor einigen Jahren wurde von der European Ramazzini Foundation of Oncology and
Environmental Sciences (ERF), Bologna, eine Kanzerogenitätsstudie an Ratten
durchgeführt, bei der den Tieren Aspartam in sechs Dosierungen (bis zu 5000 mg/kg
KG und Tag) lebenslang mit dem Futter verabreicht wurde (Soffritti et al 2005, 2006).
Die Autoren berichteten von erhöhten Inzidenzen von Lymphomen/Leukämien
(vorwiegend bei weiblichen Ratten), Übergangszellkarzinomen von Nierenbecken
27
und Harnleiter sowie malignen Schwannomen von peripheren Nerven. Diese Studie
wurde vom AFC-Panel der EFSA bewertet. Das Panel kam zu dem Schluss, dass die
Einhaltung der Empfehlungen zur „Guten Laborpraxis“ (GLP) bei der Studie nicht klar
sei und dass die Studie in wesentlichen Punkten von der OECD-Guideline No. 451
abwich. Dies betraf unter anderem Daten zur Aspartam-Spezifikation, -Stabilität und Menge im Futter, zur Futterzusammensetzung und zu möglichen Kontaminanten.
Außerdem
waren
klinische
und
makroskopische
Beobachtungen
sowie
hämatologische Parameter nicht dokumentiert. Die histopathologischen Befunde
waren nicht vollständig dokumentiert. Zudem erstreckte sich die Applikationsdauer
über die gesamte Lebenszeit der Tiere und war nicht auf einen bestimmten Zeitraum
begrenzt. Da die Tiere unterschiedlich lange lebten, erschwerte das die statistische
Auswertung. Die beschriebenen erhöhten Tumorinzidenzen sah das Panel aus
verschiedenen Gründen nicht als relevant an. Insgesamt kam das AFC-Panel zu
dem Schluss, dass die Daten der ERF-Studie keinen Beleg für ein kanzerogenes
Potenzial von Aspartam liefern. Diese Einschätzung ist im Einklang mit einer
negativen Kanzerogenitätsstudie an transgenen Mäusen (NTP 2003). Außerdem
wurde in einer neueren epidemiologischen Studie kein Zusammenhang zwischen der
Aufnahme von Aspartam und der Inzidenz von Hirn- oder Blasentumoren beobachtet
(NCI 2006). Das AFC-Panel hat auch darauf hingewiesen, dass Aspartam bei
Aufnahmen (auch Bolus-Aufnahme) im Bereich des ADI nicht systemisch verfügbar
ist und dass die Aufnahme auch bei hohem Konsum (bis zu 10 mg/kg KG und Tag)
noch unter dem ADI von 40 mg/kg KG und Tag liegt (EFSA 2006).
Die ERF hat eine weitere Kanzerogenitätsstudie mit Aspartam an Ratten durchgeführt (Soffritti et al. 2007). Dabei erhielten die Tiere Aspartam wieder lebenslang
mit dem Futter, beginnend pränatal ab dem zwölften Tag der Gestation. Die
Dosierung war niedriger als in der ersten ERF-Studie und lag diesmal bei 0, 20 und
100
mg/kg
KG
und
Tag.
Erneut
wurde
eine
erhöhte
Inzidenz
von
Lymphomen/Leukämien (bei hoher Dosis bei männlichen und weiblichen Tieren
signifikant) beschrieben. Außerdem wurde eine erhöhte Inzidenz von Mammakarzinomen bei weiblichen Tieren berichtet. Auch diese Studie wurde von der
EFSA bewertet, nun vom ANS-Panel, das nach Teilung des AFC-Panel in zwei neue
Panels für die Bewertung von Zusatzstoffen zuständig ist. Auch diese Studie entsprach in mehrfacher Hinsicht nicht der OECD-Guideline 451, und auch diesmal war
28
nicht klar, ob sie nach GLP-Richtlinien durchgeführt wurde. Die Dokumentation war
unvollständig, die Bewertung musste im Wesentlichen auf der Basis der Publikation
erfolgen (die ERF hatte nur wenige der nachgeforderten Daten bereitgestellt). Das
ANS-Panel
hat
in
seinem
Gutachten
betont,
dass
die
Mehrzahl
der
Lymphome/Leukämien offenbar bei Ratten mit entzündlichen Veränderungen der
Lungen auftrat und insofern nicht als relevant anzusehen ist. Die beschriebene erhöhte Inzidenz des Mammakarzinoms sei ebenfalls nicht relevant, da hohe Schwankungen bekannt sind und in der ersten Studie bei deutlich höherer Dosierung keine
erhöhte Inzidenz beobachtet wurde. Insgesamt sah das Panel keinen Anlass, den
ADI zu revidieren (EFSA 2009).
Die ERF hat eine dritte Kanzerogenitätsstudie mit Aspartam durchgeführt, diesmal an
Mäusen (Soffritti et al. 2010). Dabei erhielten die Tiere Aspartam wieder lebenslang
mit dem Futter, beginnend pränatal ab dem zwölften Tag der Gestation in
Dosierungen von 0, 250, 1000, 2000, und 4000 mg/kg KG und Tag. Die Autoren
berichteten
über
eine
erhöhte
Inzidenz
von
Hepatokarzinomen
und
Lungenkarzinomen bei männlichen Mäusen. Die Inzidenzen lagen allerdings im
Bereich der historischen Kontrollen. Die EFSA hat in einer Stellungnahme dazu
betont, dass sich die Studie auf der Basis der verfügbaren Daten (z.B. zu
Studiendesign und Statistik) nicht bewerten lässt. Zurzeit werden die histologischen
Präparate von unabhängigen Experten erneut ausgewertet. Die für Aspartam
ursprünglich (im Rahmen der erneuten Bewertung aller zugelassenen Zusatzstoffe)
bis Ende 2020 vorgesehene erneute umfassende Bewertung wird auf Wunsch der
EU-Kommission vorgezogen und bis Ende 2012 erfolgen. Dabei wird auch die dritte
ERF-Kanzerogenitätsstudie bewertet werden.
Die EFSA hat die Bewertung von Aspartam auch mit weiteren Experten, die von
mehreren EU-Mitgliedstaaten benannt wurden, diskutiert. Auch daraus ergab sich
bisher kein Anlass, den ADI zu ändern.
Süßstoffe und Frühgeburten
Die Sicherheit von Aspartam wurde auch nach Bekanntwerden der Ergebnisse einer
epidemiologischen Studie von Halldorsson et al. (2010) über den Zusammenhang
zwischen dem Verzehr von mit Süßstoffen gesüßten Getränken von Schwangeren
29
und der Häufigkeit von Frühgeburten in Frage gestellt. In dieser prospektiven
Kohortenstudie mit knapp 60 000 Schwangeren wurden Daten aus dem Dänischen
Geburtsregister (1996 – 2002) ausgewertet. Außerdem wurden Verzehrsdaten mit
einem Fragebogen etwa in der 25. Schwangerschaftswoche erhoben. Die Autoren
beobachteten keine Assoziation zwischen der Anzahl der Frühgeburten und dem
Konsum von mit Zucker gesüßten Getränken, aber eine Assoziation zwischen der
Anzahl der Frühgeburten und dem Konsum von Getränken, die mit Süßstoffen
gesüßt waren. Die Assoziation liegt allerdings in einem moderaten Bereich (OddsRatio von 1,12 – 1,78) und war bei den spontanen Frühgeburten schwächer
ausgeprägt als bei den medizinisch induzierten Frühgeburten. Eine solche
Assoziation kann nicht als Beleg für einen kausalen Zusammenhang angesehen
werden. Zudem ist keine Aussage zu bestimmten Süßstoffen (z.B. Aspartam)
möglich. Die Autoren haben betont, dass weitere Studien erforderlich wären, mit
denen die Ergebnisse bestätigt oder entkräftet werden könnten. Somit können auf
der Basis der verfügbaren Daten keine Empfehlungen zum Verzehr von mit
Süßstoffen gesüßten Getränken ausgesprochen werden.
Lebensmittelfarbstoffe und Hyperaktivität bei Kindern
Die Universität Southampton hatte 2007 Studienergebnisse über den möglichen
Zusammenhang zwischen der Aufnahme bestimmter Lebensmittelzusatzstoffe und
dem Auftreten des Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivität-Syndroms (ADHS) bei
Kindern publiziert (McCann et al. 2007). Das BfR hatte die Ergebnisse kurzfristig
bewertet und kam zu dem Schluss, dass diese Studie allenfalls Hinweise auf einen
möglichen
Zusammenhang
zwischen
der
Aufnahme
bestimmter
Lebensmittelzusatzstoffe und einer erhöhten Hyperaktivität bei Kindern liefert, aber
keinen eindeutigen wissenschaftlichen Beleg für einen kausalen Zusammenhang
(BfR 2007). Aus den Studienergebnissen kann für einen solchen kausalen
Zusammenhang auch kein biologischer Mechanismus abgeleitet werden. Die beobachteten Effekte waren im Vergleich zur normalen interindividuellen Variation nur
gering. Verhaltensänderungen traten nicht bei allen Kindern einer Gruppe auf und
auch nicht durchgängig statistisch signifikant in allen untersuchten Alters- und
Zusatzstoffgruppen.
30
Das AFC-Panel der EFSA gelangte in seinem Gutachten vom März 2008 zu einer
entsprechenden Einschätzung. Dennoch ist nach Artikel 24 in Verbindung mit
Anhang V der Verordnung (EG) Nr. 1333/2008 des Europäischen Parlaments und
des Rates vom 16. Dezember 2008 über Lebensmittelzusatzstoffe vorgeschrieben,
dass Lebensmittel, die die in der McCann-Studie untersuchten Farbstoffe enthalten,
mit dem Hinweis „Kann Aktivität und Aufmerksamkeit bei Kindern beeinträchtigen“
gekennzeichnet
vorgeschriebene
werden
müssen.
Warnhinweis
Hierbei
eine
vom
ist
zu
beachten,
Risikomanagement
dass
dieser
getroffene
Vorsichtsmaßnahme ist, die sich nicht unmittelbar aus den Stellungnahmen der
EFSA oder des BfR ableiten lässt.
Weitere Informationen zum Thema Lebensmittelzusatzstoffe sind auf den Websites
des Bundesinstituts für Risikobewertung verfügbar unter www.bfr.bund.de (Stichwort
Lebensmittelzusatzstoffe).
Literatur:
BfR (2007) Hyperaktivität und Zusatzstoffe – gibt es einen Zusammenhang? Stellungnahme
Nr. 040/2007 des BfR vom 13. September 2007.
http://www.bfr.bund.de/cm/208/hyperaktivitaet_und_zusatzstoffe_gibt_es_einen_zusamm
enhang.pdf
Gürtler R (2007): Lebensmittelzusatzstoffe: Gesundheitliche Bewertung und allgemeine
Aspekte, in: Dunkelberg H, Gebel T, Hartwig A (Hrsg.) Handbuch der
Lebensmitteltoxikologie, Band 3, Wiley-VCH, Weinheim, 1625 – 1663.
Gürtler R (2010) Sicherheit von Lebensmittelzusatzstoffen aus nationaler und EU-Sicht.
Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz 53(6):554-560.
Halldorsson et al. (2010) Intake of artificially sweetened soft drinks and risk of preterm
delivery: a prospective cohort study in 59,334 Danish pregnant women. Am J Clin
Nutrition 92, 626-633.
McCann D, Barrett A, Cooper C et al (2007) Food additives and hyperactive behaviour in 3year-old and 8/9-year-old children in the community: a randomized, double-blinded,
placebo-controlled trial. Lancet 370(9598):1560–1567.
Olney et al. (1996) Increasing brain tumor rates: is there a link to aspartame? J Neuropathol
Exp Neurol 55(11): 1115-1123.
SCF (2002) Opinion of the Scientific Committee on Food: Update on the Safety of Aspartame
(expressed on 4 December 2002). http://ec.europa.eu/food/fs/sc/scf/out155_en.pdf
Soffritti M, Belpoggi F, Esposti DD, Lambertini L (2005) Aspartame induces lymphomas and
leukaemias in rats. Eur J Oncol 10:107–116.
Soffritti M, Belpoggi F, Esposti DD et al (2006) First experimental demonstration of the
multipotential carcinogenic effects of aspartame administered in the feed to spraguedawley rats. Environ Health Perspect 114:379–385.
Soffritti M, Belpoggi F, Tibaldi E et al (2007) Life-span exposure to low doses of aspartame
beginning during prenatal life increases cancer effects in rats. Environ Health Perspect
115:1293–1297.
Soffritti et al. (2010) Aspartame administered in feed, beginning prenatally through life span,
induces cancers of the liver and lung in male Swiss mice. Am J Industrial Medicine 53,
1197-1206.
31
Zusatzstoffe und Gentechnik – Beispiel Enzyme
Prof. Dr. Rolf Großklaus
ehemals Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), Berlin
Einleitung
Nach Meinungsumfragen lehnen über 90% der Verbraucher in Europa und
Deutschland gentechnisch hergestellte Lebensmittel ab (European Commission,
2010). Viele Europäer fürchten zudem Risiken für die menschliche Gesundheit und
die Umwelt durch die Anwendung der Grünen Gentechnik. Die strengen
Anforderungen an die Verwendung der Werbeaussage „ohne Gentechnik“,
insbesondere in Bezug auf die Herkunft der Futtermittel, Verarbeitungshilfsstoffe,
Enzyme, Vitamine und Futtermittelzusatzstoffe auf der einen Seite und die Tatsache,
dass
tatsächlich
ca.
70
%
der
Lebensmittel
heute
im
Laufe
des
Herstellungsprozesses in irgendeiner Form mit der Gentechnik in Berührung
kommen, auf der anderen Seite, erklärt warum nur sehr wenige Unternehmen
Gebrauch von der Werbeaussage „ohne Gentechnik“ machen können, wenn der
Verbraucher nicht getäuscht werden soll (Abbildung 1).
Abbildung 1: Lebensmittelsortiment: Gentechnik und Kennzeichnung
(Quelle: www.transgen.de)
So darf z. B. eine Backware, bei deren Herstellung ein aus gentechnisch
verändertem Mais hergestellter Glukosesirup verwendet wurde, nicht mit dem
Hinweis „ohne Gentechnik“ versehen werden. Bei der Verwendung von Glukosesirup
32
aus konventionellem Mais ist z. B. zu prüfen, ob bei seiner Herstellung mit Hilfe
gentechnischer Verfahren gewonnene Enzyme verwendet wurden. Trifft dies zu, ist
eine Auslobung der Backware mit Hinweisen wie „ohne Gentechnik“ ebenfalls nicht
zulässig. Die heute in der EU gültige Kennzeichnungspflicht erzeugt die Illusion,
Europa sei gentechnikfrei (Miersch, 2010). Denn Fleisch, Eier und Milchprodukte von
Tieren, die mit Gentechnikfutter gemästet werden, müssen nicht kenntlich gemacht
werden. Ungekennzeichnet bleiben auch Lebensmittel, die Zusatzstoffe, Aromen
oder Vitamine enthalten, die aus gentechnisch veränderten Mikroorganismen
hergestellt werden. Unsere Marmeladen, Frucht- und Gemüsesäfte sowie Brot
werden in der Regel unter Verwendung von rekombinanten Enzymen hergestellt, die
als technische Hilfsstoffe nicht deklariert werden müssen. Denn gewonnen werden
diese Lebensmittel-Enzyme in zunehmendem Maße aus eigens dafür gentechnisch
veränderten Mikroorganismen wie Bakterien oder Hefezellen. Die Angst vor
gentechnisch hergestellten Lebensmitteln ist vor allem auf die zu geringe Aufklärung
zurückzuführen. Kaum jemand weiß, dass schon seit fast 30 Jahren Enzyme aus
rekombinanten Bakterien, Schimmelpilzen oder Hefen gewonnen worden sind, um
beispielsweise als optimierte Amylasen beim Stärkeabbau, Proteasen zum Backen
oder Chymosin als Labferment zur Käseherstellung verwendet zu werden. Vor der
Entwicklung der Gentechnik wurden Mikroorganismen traditionell mittels Strahlung
oder mit chemischen Substanzen für die Züchtung verändert (Mutationszüchtung).
Die genauen Ursachen der Veränderung der Mikroorganismen durch Bestrahlung
waren meistens nicht bekannt. Das Wissen über die während der Verarbeitung oder
Zubereitung ablaufenden biochemischen Vorgänge in einem Lebensmittel hat stark
zugenommen. Enzyme sind die Werkzeuge, diese Prozesse zu steuern und zu
optimieren (Fernandes, 2010; Kirk et al., 2002; Whitehurst und Van Oort, 2010).
Zweck des Beitrages ist es deshalb, einen Überblick über Herstellung und
Anwendung von Enzymen in Lebensmitteln, die neuen rechtlichen Regelungen für
Enzyme einschließlich der Anforderungen, das einheitliche Zulassungsverfahren für
Lebensmittelzusatzstoffe,
Europäischen
Behörde
Enzyme
für
und
Aromen,
die
Lebensmittelsicherheit
neuen
Leitlinien
(EFSA)
für
der
die
Sicherheitsbewertung von Enzymen sowie die Kennzeichnungsvorschriften zu geben.
Es gilt das große Informationsdefizit darüber, was mit biotechnologischen
Herstellungsverfahren einschließlich der sog. „weißen Gentechnik“ möglich ist, zu
33
verkleinern.
Sachgerechte
Information
ist
notwendig,
wenn
die
Frage
ob
Gentechnologie verantwortbar ist oder nicht, sinnvoll diskutiert werden soll.
Herstellung und Anwendung von Enzymen
Was sind Lebensmittelenzyme?
Laut Verordnung 1332/2008 versteht man unter einem Lebensmittelenzym „ein
Erzeugnis,
das
aus
Pflanzen,
Tieren
oder
Mikroorganismen
oder
daraus
hergestellten Erzeugnissen gewonnen wird; dazu gehört auch ein Erzeugnis, das
durch ein Fermentationsverfahren mit Mikroorganismen gewonnen wird und das
 ein Enzym oder mehrere Enzyme enthält, die die Fähigkeit besitzen, eine
spezifische biochemische Reaktion zu katalysieren, und
 einem Lebensmittel zugesetzt wird, um auf irgendeiner Stufe der Herstellung,
Verarbeitung, Zubereitung, Behandlung, Verpackung, Beförderung oder
Lagerung von Lebensmitteln einen technologischen Zweck zu erfüllen.“
Als technische Hilfsstoffe bzw. Verarbeitungshilfsstoffe werden Stoffe definiert
(Richtlinie 89/107/EWG), „die nicht
 selbst als Lebensmittelzutat verzehrt werden, jedoch bei der Verarbeitung von
Rohstoffen, Lebensmitteln oder deren Zutaten aus technologischen Gründen
während der Be- oder Verarbeitung verwendet werden
 und
unbeabsichtigte,
technisch
unvermeidbare
Rückstände
oder
Rückstandsderivate im Enderzeugnis hinterlassen können,
 unter der Bedingung, dass diese Rückstände gesundheitlich unbedenklich
sind und sich technisch nicht auf das Enderzeugnis auswirken.“
Geschichte
Erste Anwendungen lassen sich bereits 6.000 v. Chr. finden, als die Sumerer in
Meso- potamien aus gekeimter Gerste ein alkoholhaltiges bieraሷhnliches Getränk
gebraut haben. Aber auch bei der Herstellung von Wein, Sauerteigbrot oder Käse
kamen von Anfang an lebende Mikroorganismen zum Einsatz – nur hat das damals
keiner gewusst, dass man sich damit die katalytischen Eigenschaften von Enzymen
zur Lebensmittelherstellung sowie beim Bierbrauen zunutze machte. Die Anwendung
von Kälbermagen (und dem Enzym Chymosin) wird in Homers „Ilias“ und
„Odyssee“ 800 v. Chr. erwähnt. Chymosin wird 1874 aus Kälbermagen isoliert und
34
1971 wird erstmals bakterielles Chymosin als Labersatz verwendet. Gentechnisch
hergestelltes Chymosin aus der Molkereihefe Kluyveromyces lactis kam erstmals
1988 auf den Markt. Seit 1999 wird gezieltes „Protein engineering“, d.h. die
Neukonstruktion von Proteinen mit veränderten und optimierten Eigenschaften bei
Enzymen,
um
beispielsweise
pH
Optimum,
Temperaturstabilität
oder
Substratspezifität zu verbessern, auch in der Lebensmittelherstellung angewendet
(Whitehurst und van Oort, 2010). Verfahren zur industriellen Herstellung von
Amylase aus dem Pilz Aspergillus oryzae wurden bereits um 1900 entwickelt. Seit
1982 wird Amylase gentechnisch hergestellt. Mit der Gentechnik erleben Enzyme in
der industriellen Anwendung einen Boom.
Traditionelle und gentechnische Herstellungsverfahren von Enzymen
Die weiße Gentechnik – auch industrielle weiße Biotechnologie genannt – ist ein Teil
der Biotechnologie. Darunter wird allgemein die Anwendung von Naturwissenschaft
und Technologie an lebenden Organismen, deren Teilen sowie Produkten von ihnen
verstanden. Bei der weißen (industriellen) Biotechnologie im engeren Sinne werden
chemische Prozesse durch den Einsatz von Mikroorganismen, Enzymen oder
anderen Produktionssystemen optimiert oder ersetzt. Die Produkte werden
großtechnisch in geschlossenen Systemen hergestellt. In der weißen Biotechnologie
werden Organismen oder einzelne Biomoleküle als Grundlagen für die industrielle
Produktion
verwendet,
was
sie
von
der
Roten
Gentechnik
(medizinisch-
pharmazeutische Biotechnologie) und der Grünen Gentechnik (landwirtschaftlichpflanzliche Biotechnologie) abgrenzt (Großklaus, 2011; Soetaert und Vandamme,
2006).
Traditionelle Herstellungsverfahren
Ein bedeutsamer Anwendungsbereich ist die biotechnische Herstellung von
Enzymen. Enzyme sind Proteine, die (bio)chemische Reaktionen beschleunigen, die
ansonsten unter den in lebenden Zellen herrschenden Bedingungen nicht oder nur
sehr langsam ablaufen würden. Sie benötigen keine erhöhten Temperaturen bzw.
hohe Drücke wie chemische Katalysatoren und wirken sehr spezifisch. Enzyme sind
gewissermaßen biologische „Allzweckwerkzeuge“, die in jedem Organismus
vorkommen
und
auch
bei
vielen
Verarbeitungsvorgängen
in
der
Lebensmittelindustrie eingesetzt werden. Im fertigen Produkt sind sie jedoch meist
35
nicht mehr vorhanden. Ihr Einsatz für industrielle Zwecke wird seit vielen Jahren mit
Blick auf ökonomische und ökologische Potenziale diskutiert (TAB, 1996). Der
Nutzung biotechnologischer Verfahren in der industriellen Produktion werden große
Potenziale zur Entwicklung neuer oder verbesserter Prozesse und Produkte
zugesprochen (Nusser et al., 2007).
Traditionell können Enzyme aus Pflanzen, Tieren oder Mikroorganismen gewonnen
werden. Die industrielle Produktion von Enzymen erfolgt jedoch meistens mit Hilfe
von Mikroorganismen, die in geschlossenen Systemen kultiviert werden (Abbildung
1). Der Mikroorganismus, der ein für eine bestimmte Anwendung nützliches Enzym
produziert, wird in einem Fermenter (Bioreaktor) eingebracht, in dem sich eine
Nährlösung
befindet.
Die
Wachstumsbedingungen
(Zusammensetzung
der
Ausgangsstoffe in der Nährlösung, Temperatur, Sauerstoff u.a.) sind optimal gewählt,
so dass sich die Mikroorganismen rasch vermehren und große Mengen des
gewünschten Enzyms produzieren (Kundu und Das, 1970). Das Enzym wird aus der
abfließenden „Fermentationsbrühe“ isoliert und gereinigt. Störende Nebenprodukte
aus der Fermentation trennen die Hersteller vom gewünschten Erzeugnis. Dann wird
der Stoff mit Hilfe von modernen Methoden auf Reinheit überprüft und schließlich
konzentriert. Nach Abschluss dieser Prozedur sind die Mikroorganismen und ihre
Überreste im Endprodukt nicht mehr vorhanden. Ihre Erbsubstanz DNA ist nicht
mehr nachweisbar. Mikroorganismen sind zumeist Bakterien oder seltener einfache
Pilze wie z.B. Hefen.
Abbildung 1:
Anzucht
und
Vermehrung
von
Mikroorganismen
Enzymproduktion (nach Schneider, 2011)
36
für
die
Mikroorganismen haben einige sehr interessante Vorteile. So wachsen sie viel
schneller als Tiere oder Pflanzen, stellen also auch viel mehr des gewünschten
Stoffes her, sind einfach in Fermentern zu züchten und auch einfach gentechnisch zu
verändern. Die dabei verwendeten Mikroorganismen sind solche mit denen man
schon große Erfahrungen in der Kultivierung hat. Dies sind Bakterien die schon von
jeher zur Herstellung von Sauermilchprodukten, Antibiotika oder Enzymen verwendet
werden. Der Weltmarkt für Enzyme, die für Lebensmittelanwendungen eingesetzt
werden, beläuft sich 2005 auf etwa 750 Mio. US$.
Eine Übersicht über enzymatische Verfahren in der Lebensmittelindustrie gibt
Tabelle 1. Zahlreiche Lebensmittel werden durch enzymatische Verfahren hergestellt,
so dass zu ihrer Herstellung Enzyme eingesetzt werden. Beispiele sind Brot und
Backwaren (Verbesserung der Backeigenschaften), alkoholische Getränke (z.B. bei
Wein
bessere
Mostklärung
und
Maischeextraktion)
(Schneider,
2007),
die
Herstellung von Milchprodukten wie Käse, lactosereduzierter Milchprodukte (Novalin
et al., 2005), die Herstellung von Fleischwaren (Marques et al., 2010; Motoki und
Kumazawa, 2000; Motoki und Seguro, 1998) sowie der Einsatz von Enzymen in der
Frucht- und Gemüsesaftherstellung. Darüber hinaus werden enzymatische Verfahren
zur Modifikation der Makronährstoffe Kohlenhydrate, Proteine und Öle und Fette
eingesetzt. So erfolgt beispielsweise die enzymatische Stärkehydrolyse zu Glucose
und die Isomerisierung zu Glucose-Fructose-Sirups im großtechnischen Maßstab.
Die enzymatische Herstellung von Proteinhydrolysaten ist Stand der Technik, die
enzymatische Produktion bioaktiver Peptide in der Entwicklung. Durch enzymatische
Modifizierung von Fetten und Ölen können u. a. strukturierte Lipide oder Öle mit
erhöhtem ernährungsphysiologischen Wert hergestellt werden (Kirk et al., 2002;
Nusser et al., 2007; Van den Brink und de Vries, 2011). Asparaginase führt zur
Reduktion von potenziell kanzerogen Acrylamid in hitzebehandelten Lebensmitteln,
da die in unbehandelten Lebensmitteln vorkommende Asparaginsäure, eine Vorstufe
des Acrylamids, enzymatisch in unbedenkliche Stoffe abgebaut wird (Anese et al.,
2011; Hendriksen et al., 2009).
37
Tabelle 1:
Einsatzbereiche von Enzymen in der Lebensmittelproduktion (mod.
nach Nusser et al., 2007)
Die bei der Lebensmittelherstellung eingesetzten Enzyme sind in der Regel nicht
mehr
im
Endprodukt
vorhanden.
Einige
werden
im
Verlauf
des
Verarbeitungsprozesses inaktiviert (z.B. Backenzyme durch Hitze oder durch
Pasteurisieren
bei
der
Fruchtsaftherstellung),
andere
werden
in
„immobilisierter“ Form eingesetzt. Dabei werden die Enzyme auf ein Trägermedium
fixiert und wirken „von außen“ auf ein Lebensmittel ein (Fernandes, 2010).
Wie die Beispiele zeigen, tragen Enzyme wesentlich zur Verbesserung der Qualität
von Lebensmitteln und Herstellungsprozessen bei. Viele der benötigten Enzyme
konnten lange Zeit nicht in der gewünschten Größenordnung wirtschaftlich lohnend
hergestellt werden, da
Verunreinigungen und Nebenprodukte sich nur durch
aufwendige Aufarbeitung und Reinigung beseitigen lassen. Das gewünschte Enzym
arbeitet unter den jeweiligen Prozeßbedingungen (Temperatur, pH) schlecht, so dass
die Ausbeute zu gering ist (Synowiecki et al., 2006). Erst durch die Gentechnologie
wurden verschiedene Möglichkeiten eröffnet, diese Probleme zu lösen (Kumar und
Satyanarayana, 2009; Olempska-Beer et al., 2006).
38
Gentechnische Herstellungsverfahren
Mit dem Begriff der Gentechnologie werden alle Methoden und Verfahren zur
Charakterisierung und Isolierung von genetischem Material, zur Bildung neuer
Kombinationen genetischen Materials sowie zur Wiedereinführung und Vermehrung
des neukombinierten Erbmaterials in anderer biologischer Umgebung bezeichnet.
Man sagt dazu auch "rekombinante DNA-Technologie", weil damit Erbinformation
gezielt re- bzw. neukombiniert werden kann. Die Gentechnologie umfasst damit vor
allem das Potenzial zum gezielten und gesteuerten, selbst art-, klassen- oder
reichsübergreifenden Transfer spezifischer Gene von einem Organismus in einen
anderen (Großklaus, 2011). Etwa die Hälfte aller bei der Lebensmitteherstellung
eingesetzten Enzyme wird inzwischen mit Hilfe von gentechnisch veränderten
Mikroorganismen (GVM) wie Bakterien oder Hefezellen produziert. Unter einem
genetisch veränderten Mikroorganismus
versteht man einen Mikroorganismus
(Richtlinie 2009/EG), „dessen genetisches Material in einer Weise verändert worden
ist, wie es unter natürlichen Bedingungen durch Kreuzen und/oder natürliche
Rekombination nicht vorkommt.“ Dabei gibt es verschiedene Möglichkeiten der
genetischen Veränderungen:

Homologer Gentransfer (arteigener Gentransfer)
Hierbei wird das Gen im ursprünglichen oder in einem nahe verwandten
Mikroorganismus verwendet. Dabei wird der Mikroorganismus so verändert,
dass er mehrere Kopien des Gens enthält, welches das Enzym produziert,
wodurch die Produktionsrate erhöht wird. Beispielsweise wird das Enzym
Xylanase aus Aspergillus spec. auf diese Weise hergestellt, das das Aufgehen
des Brotteigs beim Backen verbessert (Polizeli et al., 2005; Schneider, 2004).

Heterologer Gentransfer (artfremder Gentransfer)
Darüber hinaus ist es möglich, Enzym-Gene aus höheren Organismen, vor
allem aus Pflanzen und Tieren, einzuschleusen und zur Expression zu bringen.
Damit lassen sich heute auch solche Enzyme mikrobiell gewinnen, deren
Produktion bisher unwirtschaftlich oder gar nicht möglich war. Dabei handelt
es sich um Proteine, die sich in ihrer Struktur und Funktion nicht von
traditionell hergestellten Enzymen unterscheiden; in der Regel ist aber der
Reinheitsgrad des Präparats höher. Das damit verarbeitete Lebensmittel
39
entspricht dem traditionell hergestellten Produkt (z.B. Chymosin-Gen aus

Schleimhautzellen eines Kalbes in Hefe transferiert) (Kumar et al., 2010).
Genmodifikation („Protein engineering“)
Durch sogenanntes „Protein engineering“ lassen sich auch Enzyme mit
veränderten Eigenschaften konstruieren, die besser an die technologischen
Prozesse angepasst sind. Durch die gerichtete Mutagenese können gezielt
Aminosäuren ausgetauscht werden und dadurch eine Erhöhung der
Temperatur-, Proteolyse- oder pH-Stabilität erreicht werden (Kumar und
Satyanarayana, 2009; Tang und Zhao, 2009; Luetz et al., 2008).
Durch diese Verfahren wird die Produktion besonders leistungsfähiger Enzyme
ermöglicht, indem die genetische Information der verwendeten Mikroorganismen
verändert wird. Es ist davon auszugehen, dass alle Enzyme, die in der
Lebensmittelherstellung eingesetzt werden, in wenigen Jahren mit Hilfe gentechnisch
veränderter Mikroorganismen hergestellt werden. Gründe hierfür sind die höhere
Reinheit und die höhere Ausbeute der gewonnenen Enzyme, die Kostensenkung in
der Produktion und die Ressourcenschonung im Vergleich zu den klassischen
biotechnischen Verfahren (Whitehurst, 2010). Die Gewinnung von Enzymen in GVM
hat große Vorteile: Rohstoffe, Energie und Wasser werden in erheblichen Maße
eingespart. Da auch wesentlich weniger Abfälle und Abwasser anfallen, ist das
gentechnische
kostengünstiger
Verfahren
als
die
nicht
nur
Fermentation
umweltfreundlicher,
mit
traditionellen
sondern
auch
Organismen.
Kosteneinsparungen von bis zu 90% können sich hierbei ergeben (Jany und Greiner,
1998).
Rechtliche Regelungen für Enzyme
Nur wenige Lebensmittelenzyme waren in der Europäischen Union (EU) bis zum
Inkrafttreten der Verordnungen (EG) Nr. 1331/2008 über das einheitliche
Zulassungsverfahren für Lebensmittelzusatzstoffe, Enzyme und Aromastoffe und Nr.
1332/2008 über Lebensmittelenzyme einheitlich geregelt. Dabei handelte es sich um
Invertase (E 1103) und Lysozym (E 1105), die als Lebensmittelzusatzstoffe
klassifiziert wurden. Darüber hinaus bestanden produktspezifische Regelungen für
bestimmte Enzyme zur Verwendung in Wein (Urease, beta-Glucanase und Lysozym),
für Lab und andere milchkoagulierende Enzyme bei der Käseproduktion sowie für
einige Enzyme bei der Fruchtsaftherstellung. Die Mehrzahl der verwendeten Enzyme,
40
die
als
Verarbeitungshilfsstoffe
angesehen
wurden,
unterlag
dagegen
einzelstaatlichen Regelungen, in Deutschland den Bestimmungen des Lebensmittel-,
Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuchs (LFGB). Von zwei Mitgliedstaaten
(DK,
F)
wurde
eine
Sicherheitsbewertung
von
Enzymen,
die
als
Verarbeitungshilfsstoffe eingesetzt wurden, entsprechend den Leitlinien des
Scientific Committee on Food (SCF) durchgeführt (Spök, 2006; SCF, 1992; SKLM,
1987).
Anforderungen
Ein Lebensmittelenzym darf nur in die Gemeinschaftsliste aufgenommen werden,
wenn
es
den
folgenden
Bedingungen
und
gegebenenfalls
anderen
berücksichtigenswerten Faktoren gerecht wird:
 bei
der
vorgeschlagenen
Dosis
für
den
Verbraucher
gesundheitlich
unbedenklich ist, soweit die verfügbaren wissenschaftlichen Daten ein Urteil
hierüber erlauben,
 eine hinreichende technologische Notwendigkeit besteht;
 der Verbraucher durch ihre Verwendung nicht irregeführt wird.
Einheitliches Zulassungsverfahren und Sicherheitsbewertung
Die neue Verordnung 1332/2008 über Enzyme regelt die Verwendung von
Lebensmittelenzymen erstmals auf gemeinschaftlicher Ebene und gilt für Enzyme,
die einem Lebensmittel zur Erfüllung einer technologischen Funktion bei der
Herstellung, Verarbeitung, Zubereitung, Behandlung, Verpackung, Beförderung oder
Lagerung zugesetzt werden.
Enzyme, die zum Verzehr bestimmt sind, wie zum Beispiel Enzyme zur
Verdauungsfoሷrderung, sowie Enzyme, die ausschließlich zur Herstellung von
Lebensmittelzusatzstoffen und Verarbeitungshilfsstoffen verwendet werden, fallen
nicht in den Anwendungsbereich der neuen Verordnung.
Neu ist, dass eine Gemeinschaftsliste der Lebensmittelenzyme erstellt werden muss,
die für jedes Enzym folgende Angaben enthält:
 Beschreibung des Enzyms (Name, Synonyme)
 seine Spezifikationen wie Herkunft und Reinheit
 die Lebensmittel, denen das Enzym zugesetzt werden darf
 die Bedingungen, unter den es verwendet werden darf
41
 Verkaufsbeschränkungen
 spezifische Anforderungen an die Kennzeichnung
Nur wenn ein Enzym in der Liste aufscheint, ist dieses zur Verwendung zulässig. Das
bedeutet, dass Lebensmittel, die mit nicht aufgeführten Lebensmittelenzymen
verarbeitet bzw. hergestellt worden sind, ihre Verkehrsfaሷhigkeit verlieren. Bis zur
Fertigstellung der Gemeinschaftsliste dürfen Lebensmittelenzyme nach dem
Missbrauchsprinzip eingesetzt werden. Das Missbrauchsprinzip besagt, dass
generell Lebensmittel hergestellt und in den Verkehr gebracht werden dürfen,
solange ein bestimmtes Verhalten nicht ausdrücklich verboten ist, also alle im
Verkehr mit Lebensmitteln Beteiligten frei sind, Lebensmittel in einer bestimmten
Zusammensetzung, in einer bestimmten Art herzustellen und zu vertreiben.
Die Regelungen für den Einsatz von Enzymen für bestimmte Bereiche wie z.B. für
die Verwendung zur Wein-, Fruchtsaft- und Kaseinherstellung bleiben weiterhin
anwendbar.
Die
Europäische
Behörde
für
Lebensmittelsicherheit
(EFSA)
hat
für
die
Sicherheitsbewertung von Lebensmittelenzymen Leitlinien aufgestellt (Tabelle 2).
Tabelle 2: Leitlinien für die Sicherheitsbewertung von Lebensmittelenzymen (EFSA,
2009)
42
In der Leitlinie wird festgelegt, dass die Industrie Einzelheiten über die physikalischchemischen Eigenschaften der betreffenden Lebensmittelenzyme sowie über die
durchgeführten toxikologischen Prüfungen bereitstellen muss. Auf der Grundlage der
eingereichten Informationen wird die EFSA die Sicherheit der Ausgangsstoffe, aus
denen
die
Lebensmittelenzyme
hergestellt
werden
(einschließlich
des
Vorhandenseins möglicher Verunreinigungen), den Herstellungsprozess und die
ernährungsbedingte Exposition bewerten (EFSA, 2009).
Auf die erforderlichen toxikologischen Untersuchungen kann in bestimmten Fällen
verzichtet oder ihr Umfang vermindert werden, z.B. bei
 dokumentierter sicherer traditioneller Anwendung der Quelle des Enzyms
 Lebensmittelenzymen, die von Mikroorganismen produziert werden, bei denen
eine Qualifizierte Annahme der Sicherheit (Qualified Presumption of Safety,
QPS) vorausgesetzt werden kann (EFSA, 2005).
QPS beruht auf den 4 Saሷulen:
 Taxonomie
Die exakte taxonomische Eingruppierung ist essentiell für QPS. Undefinierte
Kulturen, deren Spezies-Zusammensetzung nicht 100%ig bekannt ist, können
keinen QPS-Status erhalten. QPS gilt nicht für die Stämme der Spezies, die
übertragbare Antibiotika- Resistenzgene besitzen (Talon und Leroy, 2011).
 Vertrautheit
Darunter fallen beispielsweise
1. Gram-positive nicht-sporenbildende Bakterien
2. Bacillus species
3. Hefezellen
4. Filamentöse Pilze
 Pathogenität
Falls eine taxonomische Gruppe regelmäßig durch Pathogenität ihrer
Mitglieder auffällt, kann sie keinen QPS Status erhalten.
 Nutzung
Die beabsichtigte Nutzung bestimmt den Umfang der Informationen, die
notwendig für die Bewertung sind. Oder umgekehrt: eine weniger umfassende
Datenlage kann zu Einschränkungen in der Nutzung führen.
43
QPS ist ein generischer Ansatz für die Sicherheitsbewertung von Mikroorganismen,
der sich an der sicheren Anwendung traditioneller Kulturen orientiert. Ob die
verfügbaren Informationen ausreichend sind entscheidet eine bei der EFSA
angesiedelte Expertengruppe. Wenn eine Sicherheitsbewertung nach QPS nicht
möglich
ist,
muss
eine
umfassende
experimentelle
Sicherheitsbewertung
durchgeführt werden (EFSA, 2005; Sundh und Melin, 2011).
Bei der Bewertung von rekombinanten Enzymen sollten zusätzliche Informationen
über den gentechnisch veränderten Mikroorganismus (GVM) entsprechend dem
„Leitfaden für die Risikobewertung von gentechnisch veränderten Mikroorganismen
und
deren
Folgeprodukte,
die
für
Lebens-
und
Futtermittel
bestimmt
sind...“ bereitgestellt werden. In diesen Fällen ist in der Regel eine zusätzliche
Bewertung durch das GMO Gremium der EFSA erforderlich (EFSA, 2006). Die
Herstellung gentechnisch veränderter Organismen (GVO) bzw. GVM ist gesetzlich
geregelt. Für gentechnisch veränderte Organismen gibt es vier Sicherheitsstufen, die
von der Europäischen Union festgelegt wurden. Für Mikroorganismen zur
Enzymproduktion gilt die niedrigste Sicherheitsstufe (Großklaus, 2011).
Der vermehrte Enzymeinsatz birgt Gefährdungspotentiale für Mensch und Umwelt
sowohl während der Gewinnung als auch bei der Anwendung. Nach wie vor kreist
dabei die Diskussion insbesondere um die ökologischen Risiken, die sich aus der
gentechnischen Produktionsweise ergeben, sowie um das allergene Potential für
exponierte Personen, wie z.B. Bäcker (TAB, 1996; Baur und Posch, 1998). Enzyme
gehören neben Weizen- und Roggenmehlen zu den bedeutsamsten Allergenen am
Arbeitsplatz der Bäcker. Von den untersuchten Enzymen rufen diejenigen, die aus
Aspergillus-Kulturen gewonnen werden (-Amylase, Xylanase, Cellulase und
Amyloglucosidase), die meisten Sensibilisierungen hervor (Zahradnik et al., 2003).
Ein Fallbericht hatte zunächst zur Vermutung geführt, dass noch Spuren von Amylase im Brot eine Allergie auslösen können. Weitere Untersuchungen belegten
aber, dass dieses Enzym durch die Hitze beim Backprozess zerstört wird, obgleich
noch gewisse immunologische Aktivitäten nachweisbar waren (Baur und Czuppon,
1995; Baur et al., 1996). In anderen Einzelfällen konnten ebenfalls nach Verzehr von
Brot bei empfindlichen Personen allergische Reaktionen bedingt durch eine Allergie
auf -Amylase ausgelöst werden (Moreno-Ancillo et al, 2004). Aber auch andere
Enzyme können bei exponierten Bäckern Asthma auslösen (Quirce et al. 2002).
44
Hohen Stellenwert besitzt deshalb die Mikroverkapselung von Enzymen, um die
Umweltbelastung in Stäuben bei den Arbeitern möglichst gering zu halten. Die EFSA
nimmt
folglich
bei
allen
zu
bewertenden
Lebensmittelenzymen
eine
Allergenitätsprüfung analog der stufenweisen Bewertung von neuen Proteinen in
genetisch modifizierten Pflanzen vor (vgl. Tabelle 2). Inzwischen stehen auch
Verfahren zur Verfügung, mit denen das allergene Potential eines Enzyms vor einer
Vermarktung
abgeschätzt
werden
kann.
Dazu
wird
beispielsweise
die
Molekuሷlstruktur des betreffenden Enzyms mit der von bekannten Allergenen
verglichen.
Generell werden Enzyme als gering toxisch eingestuft mit Ausnahme ihres
allergenen Potentials insbesondere durch Inhalation. Die Verwendung von nichtpathogenen und nicht-toxischen Stämmen, die traditionell zur Herstellung von
Lebensmittelenzymen eingesetzt wurden, gilt als sicher. Inwiefern durch „Protein
engineering“ und genetische Modifikation die Lebensmittelsicherheit durch solche
Enzyme beeinträchtigt werden kann, bedarf im Einzelfall der vertieften Prüfung
(Olempska-Beer et al., 2006; Cook und Thygesen, 2003; Harbak und Thygesen,
2002). Bislang wurde bei industriellen Enzymen aus mikrobieller Produktion kein
relevantes oሷkotoxikologisches Problempotenzial gefunden (UBA/IFZ 2002; Pariza
und Johnson, 2001).
Kennzeichnungsvorschriften
Eine Deklaration ist nur für solche Enzyme vorgesehen, die im Endprodukt eine
technologische Funktion erfüllen. Auf der Zutatenliste des jeweiligen Produkts wird
dieses Enzym mit Name und Funktion aufgeführt. Diese Voraussetzung wird von den
Enzymen Invertase (E 1103) und Lysozym (E 1105), die als Lebensmittelzusatzstoffe
zugelassen sind und Urease und beta-Glucanase bei der Weinherstellung erfüllt.
Da die allermeisten Enzyme jedoch rechtlich nicht als Lebensmittel, sondern als
technische Hilfsstoffe gelten, werden sie nicht auf der Zutatenliste von Lebensmitteln
aufgeführt. Daher ist auch eine Kennzeichnung im Hinblick auf den Einsatz von
gentechnisch veränderten Mikroorganismen nicht vorgeschrieben. Enzyme aus GVO
(z.B. aus genetisch veränderten Pflanzen) sind gemäß Verordnung 1829/2003
entsprechend zu kennzeichnen, sofern sie als Zutaten gelten. Es ist also abzusehen,
dass diese Kennzeichnungspflicht für die Verbraucher keine allzu großen
45
Veränderungen mit sich bringt wird. Sie werden kaum Änderungen auf der
Zutatenliste in Bezug auf Enzyme feststellen.
Resümee
Der Einsatz von Enzymen bei der Herstellung von Lebensmitteln hat eine lange
Tradition.
Als
technische
Hilfsstoffe
sind
sie
gewissermaßen
die
„Heinzelmännchen“ in der Küche und im Weinlabor. Der Verbraucher schätzt
bewusst oder unbewusst ihre Vorteile bei der erreichten hohen Qualität unserer
Lebensmittel. Enzyme sind sicher und keinesfalls unbeherrschbar wie der
„Homunkulus aus der Flasche“. Das Wissen über die während der Verarbeitung oder
Zubereitung ablaufenden biochemischen Vorgänge in einem Lebensmittel hat stark
zugenommen. Die gentechnisch optimierte Enzymproduktion im Rahmen der
„Weißen Biotechnologie“ ist ausdrücklich auf die mikrobielle Herstellung in
geschlossenen (Fermenter-) Systemen eingegrenzt und unterscheidet sich damit
deutlich von der Grünen Gentechnik. Die Erzeugung von Enzymen mit Hilfe von
gentechnisch
veränderten
Wirtschaftlichkeit,
Mikroorganismen
Ressourcenschonung,
ist
des
unter
den
Aspekten
Umweltschutzes
und
der
der
gesundheitlichen Unbedenklichkeit von besonderem Vorteil. Letztlich entscheidend
sind die Transparenz und das Wissen darum, wie unsere Lebensmittel erzeugt und
verarbeitet werden, damit der Verbraucher nicht getäuscht wird.
Literatur
Anese, M., Quarta, B. and Frias, J.M. (2011): Modelling the effect of asparaginase in
reducing acrylamide formation in biscuits. Food Chemistry 126: 435-440.
Baur X., Posch A. (1998): Characterized allergens causing bakers' asthma. Allergy.
53: 562-66.
Baur X., Czuppon A.B., Sander I. (1996): Heating inactivates the enzymatic activity
and partially inactivates the allergenic activity of Asp o 2. Clin Exp Allergy. 26:
232-234.
Baur X., Czuppon A.B. (1995): Allergic reaction after eating alpha-amylase (Asp o 2)containing bread. A case report. Allergy. 50: 85-87.
Caputo I., Lepretti M., Martucciello S., Esposito C. (2010): Enzymatic strategies to
detoxify gluten: implications for celiac disease. Enzyme Res. 2010:174354.
Cook M.W., Thygesen H.V. (2003): Safety evaluation of a hexose oxidase expressed
in Hansenula polymorpha. Food Chem Toxicol. 41: 523-529.
EFSA (2009): Guidance of EFSA prepared by the Scientific Panel of Food Contact
Material, Enzymes, Flavourings and Processing Aids on the Submission of a
Dossier on Food Enzymes. The EFSA Journal 1305: 1-26.
EFSA (2006): Guidance document for the risk assessment of genetically modified
microorganisms and their derived products intended for food and feed use by the
46
Scientific Panel on Genetically Modified Organisms (GMO). The EFSA Journal
374: 1-115.
EFSA (2005): Opinion of the Scientific Committee on a request from EFSA related to
a generic approach to the safety assessment by EFSA of micro-organisms used
in food/feed and the production of food/feed additives. The EFSA Journal 226: 112.
European Commission (2010): Europeans and biotechnology in 2010. Winds of
change? A report to the European Commission’s Directorate-General for
Research by G. Gaskell, S. Stares, A. Allansdottir, N. Allum, P. Castro, Y. Esmer,
C. Fischler, J. Jackson, N. Kronberger, J. Hampel, N. Mejlgaard, A. Quintanilha,
A. Rammer, G. Revuelta, P. Stoneman, H. Torgersen and W. Wagner.
Luxembourg: Publications Office of the European Union
Fernandes P. (2010): Enzymes in food processing: a condensed overview on
strategies for better biocatalysts. Enzyme Res. 2010: Article ID 862537, 19
pages, doi:10.4061/2010/862537
Großklaus R. (2011): Kapitel 15.3.6 Gentechnologie – Gentechnisch hergestellte
Lebensmittel. In: Ernährungsmedizin in der Praxis. Aktuelles Handbuch zu
Prophylaxe und Therapie ernährungsabhängiger Erkrankungen. Hrsg. O. Adam,
Spitta Verlag GmbH & Co. KG, Balingen, Stand September 2011
Harbak L., Thygesen H.V. (2002): Safety evaluation of a xylanase expressed in
Bacillus subtilis. Food Chem Toxicol. 40:1-8.
Hendriksen H.V., Kornbrust B.A., Østergaard P.R., Stringer M.A. (2009): Evaluating
the potential for enzymatic acrylamide mitigation in a range of food products
using an asparaginase from Aspergillus oryzae. J Agric Food Chem. 57: 41684176.
Jany, K.-D., Greiner, R. (1998): Gentechnik und Lebensmittel. Berichte der Bundesforschungsanstalt für Ernährung, Karlsruhe, 1998
Kirk O., Borchert T.V., Fuglsang C.C. (2002): Industrial enzyme applications. Current
Opinion in Biotechnology 13: 345-351.
Kumar A., Grover S., Sharma J., Batish V.K. (2010): Chymosin and other milk
coagulants: sources and biotechnological interventions. Crit Rev Biotechnol. 30:
243-258.
Kumar P., Satyanarayana T. (2009): Microbial glucoamylases: characteristics and
applications. Crit Rev Biotechnol. 29: 225-255.
Kundu A.K., Das S. (1970): Production of Amylase in Liquid Culture by a Strain of
Aspergillus oryzae. Applied Microbiology 19: 598-603.
Leonowicz A., Cho N.S., Luterek J., Wilkolazka A., Wojtas-Wasilewska M.,
Matuszewska A., Hofrichter M., Wesenberg D., Rogalski J. (2001): Fungal
laccase: properties and activity on lignin. J Basic Microbiol. 41:185-227.
Marques A.Y., Maróstica M.R., Pastore G.M. (2010): Some nutritional, technological
and environmental advances in the use of enzymes in meat products. Enzyme
Res. Article ID 480923, 8 pages, 2010. doi:10.4061/2010/480923
Miersch M. (2010): Gentechnik ist längst auf dem Teller. Die Welt v. 08.03.2010
Moreno-Ancillo A., Domínguez-Noche C., Gil-Adrados A.C., Cosmes P.M. (2004):
Bread eating induced oral angioedema due to alpha-amylase allergy. J Investig
Allergol Clin Immunol. 14: 346-347.
Motoki M., Kumazawa Y. (2000): Recent Research Trends in Transglutaminase
Technology for Food Processing. Food Sci. Technol. Res. 6: 151-160.
Motoki M., Seguro K. (1998): Transglutaminase and its use for food processing.
Trends in Food Science & Technology 9: 204-210.
47
Novalin S., Neuhaus W., Kulbe K.D. (2005): A nnew innovative process to produce
lactose-reduced skim milk. J Biotechnol 119: 212-218.
Nusser M., Hüsing B., Wydra S. (2007): Potenzialanalyse der industriellen, weißen
Biotechnologie. Endbericht, Studie im Auftrag des Bundesministeriums fuሷr
Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen der Innovations- und Technikanalyse (ITA), Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung
(Fraunhofer ISI), Karlsruhe
Olempska-Beer Z.S., Merker R.I., Ditto M.D., DiNovi M.J. (2006): Food-processing
enzymes from recombinant microorganisms--a review. Regul Toxicol Pharmacol.
45:144-158.
Pariza M.W., Johnson E.A. (2001): Evaluating the safety of microbial enzyme
preparations used in food processing: update for a new century. Regul Toxicol
Pharmacol. 33:173-186.
Pedreschi, F., Kaack, K., Granby, K. (2008): The effect of asparaginase on acrylamid
formation in French fries. Food Chemistry 109: 386-392.
Polizeli M.L., Rizzatti A.C., Monti R., Terenzi H.F., Jorge J.A., Amorim D.S. (2005):
Xylanases from fungi: properties and industrial applications. Appl Microbiol
Biotechnol. 67: 577-591.
Quirce S., Fernández-Nieto M., Bartolomé B., Bombín C., Cuevas M., Sastre J.
(2002): Glucoamylase: another fungal enzyme associated with baker's asthma.
Ann Allergy Asthma Immunol. 89:197-202.
Richtlinie 2009/41/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Mai 2009
über die Anwendung genetisch veränderter Mikroorganismen in geschlossenen
Systemen. ABl L125 vom 21.05.2009, S. 75
SCF (Scientific Committee on Food) (1992): Guidelines for the Presentation of Data
on Food Enzymes. In: Food, Science and Techniques: Reports of the Scientific
Committee for Food, pp. 13–22.
Schneider I. (2007): Enzyme: natürlich oder gentechnisch hergestellt? Der Deutsche
Weinbau Nr. 16-17: 44-45.
Schneider I. (2004): Biotechnologie – Auswirkungen für die Getränkeindustrie?
Flüssiges Obst 1: 14-15.
SKLM (1987): Starterkulturen und Enzyme fuሷr die Lebensmitteltechnik / DFG
(Deutsche Forschungsgemeinschaft),
Mitteilung XI der Senatskommission
zur Pruሷfung von Lebensmittelzusatz- und –inhaltsstoffen, VCH Verlag GmbH,
Weinheim, ISBN 3-527-27362-X
Spök A. (2006): Safety Regulations of Food Enzymes. Food Technol. Biotechnol. 44:
197–209.
Soetaert W., Vandamme E. (2006): The impact of industrial biotechnology.
Biotechnol. J. 1: 756–769.
Sundh I., Melin P. (2011): Safety and regulation of yeasts used for biocontrol or
biopreservation in the food or feed chain. Antonie Van Leeuwenhoek. 99: 113119.
Synowiecki J., Grzybowska B., Zdziebło A. (2006): Sources, properties and suitability
of new thermostable enzymes in food processing. Crit Rev Food Sci Nutr.
46:197-205.
TAB (Büro für Technikfolgen-Abschaሷtzung beim Deutschen Bundestag) (1996):
Stand und Perspektiven der Katalysatoren- und Emzymtechnik (Autor: Sauter,
A.). TAB-Arbeitsbericht Nr. 46, Bonn
Talon R., Leroy S. (2011): Diversity and safety hazards of bacteria involved in meat
fermentations. Meat Sci. 89: 303-309. doi: 10.1016/j.meatsci.2011.04.029. Epub
2011 May 7.
48
Tang W.L., Zhao H. (2009): Industrial biotechnology: tools and applications.
Biotechnol J. 4: 1725-1739.
UBA/IFZ (Federal Environment Agency Austria/Inter- University Research Center for
Technology, Work and Culture[IFF/IFZ]) (2000): Final Report: Collection of
Information
on
Enzymes.
Vienna/Graz.
http://europa.eu. int/comm/environment/dansub/enzymerepcomplete.pdf
Van den Brink J.; de Vries R.P. (2011): Fungal enzyme sets for plant polysaccharide
degradation. Appl Microbiol Biotechnol 91: 1477–1492.
Verordnung (EG) Nr. 1332/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom
16. Dezember 2008 über Lebensmittelenzyme. Abl. L 354, S.7-15
Whitehurst R.J., Van Oort M. (2010): Enzyme in Food Technology, Blackwell
Publishing Ltd.
WHO (2007): General Specifications and Considerations for Enzyme Preparations
Used in Food Processing. In: Evaluation of certain food additives and
contaminants (Sixty-seventh report of the Joint FAO/WHO Expert Committee on
Food Additives). WHO Technical Report Series, No. 940
Zahradnik E., Sander I., Fleischer C., Meurer U., Brüning T., Raulf-Heimsoth M.
(2003): Enzymsensibilisierungen bei Patienten mit Verdacht auf Baሷckerasthma.
Poster, Mainzer Allergie-Workshop, März 2003
Interessenkonflikt:
Es
besteht
kein
Interessenkonflikt
des
Autors.
Die
Ergebnisse
und
Schlussfolgerungen dieses Beitrags sind die des Autors und repräsentieren
notwendigerweise nicht die offizielle Meinung des BfR.
49
Nahrungsmittelunverträglichkeiten und Zusatzstoffe
ChA Dr. Martin Kaatz
SRH Wald-Klinikum Gera, Klinik für Hautkrankheiten und Allergologie
Nahrungsmittelunverträglichkeiten und Intoleranzen gegenüber Zusatzstoffen werden
von vielen Menschen als Ursache zahlreicher Beschwerden angesehen. Echte Nahrungsmittelallergien sind im Erwachsenenalter mit einer Häufigkeit von ca. 1 – 2 %
jedoch relativ selten. Demgegenüber lassen sich aber insbesondere im Säuglingsund Kleinkindalter Nahrungsmittelallergien in einer Häufigkeit von bis zu 28 % nachweisen. Die häufigsten Auslöser stellen dabei die Hauptallergene der Kuhmilch und
des Hühnereiweißes dar. Diese Allergien können sich jedoch bis zum Schulalter wieder verlieren. Andere relevante Auslöser von Nahrungsmittelallergien sind insbesondere Soja, Erdnuss, Nüsse und Fisch. Gleichzeitig werden im Rahmen des sogenannten oralen Allergiesyndroms auch häufig Allergien bei Pollenallergikern auf sogenannte Kreuzallergene insbesondere im Steinobst beobachtet. Auch im Rahmen
des Latex-Frucht-Syndroms können bei Latexallergikern zahlreiche Nahrungsmittelallergien gegenüber vielfältigen Obst- und Gemüsearten insbesondere Banane, Kiwi,
Avocado und Mango beobachtet werden.
Die Symptome einer Nahrungsmittelallergie können sehr heterogen sein. So werden
gastrointestinale Beschwerden ebenso wie Symptome an der Haut (Urtikaria) beobachtet. Bei anderen Patienten betrifft die Nahrungsmittelallergie den Respiraktionstrakt, ebenso sind Symptome einer Anaphylaxie im Rahmen einer Nahrungsmittelallergie möglich. Zur Bestätigung einer Nahrungsmittelallergie stehen neben der diffizil
zu erhebenden Anamnese, eine Karenz, In-vivo-Testungen sowie zahlreiche in-vitroVerfahren zur Verfügung. Zusätzlich kann eine orale Provokation zur Identifizierung
einer Nahrungsmittelallergie notwendig werden.
Die Therapie besteht in einer Karenz, in der Verordnung eines Notfallsets insbesondere bei anamnestisch nachgewiesener Anaphylaxie und in Einzelfällen (z. B. Kuhmilch) auch in einer Desensibilisierung. Selten spricht eine Nahrungsmittelallergie auf
Kreuzallergene auch auf eine Desensibilisierung gegenüber Pollen an.
Zahlreiche weitere Formen der Nahrungsmittelunverträglichkeit oder Intoleranz sind
dagegen häufig viel schwieriger zu diagnostizieren. Die Ursachen sind vielfältig wie
etwa ein verminderter Enzymbesatz. So können z. B. Überempfindlichkeiten, Unver-
50
träglichkeiten und Intoleranzen gegenüber Histamin, Salicylsäure, Laktose/Fructose
oder eine Vielzahl anderer Nahrungsmittelzusatzstoffe bestehen.
Nahrungsmittelzusatzstoffe
Nahrungsmittelzusatzstoffe sind in ihrer Herkunft und Zusammensetzung sehr heterogen und einem ständigen Wandel unterlegen. Nur für einen Teil dieser Substanzen
konnten bisher auch eindeutige Zusammenhänge zu einer Unverträglichkeit nachgewiesen, die sich vor allem als chronische Urtikaria, nichtallergisches Asthma oder
rezidivierendes Angioödem manifestiert. Überwiegend haben die Reaktionen dabei
einen pseudoallergischen Charakter, sind also dosisabhängig und nicht IgEvermittelt. In Einzelfällen wurden jedoch auch IgE-vermittelte Reaktionen beobachtet.
Wichtige Gruppen und Einzelsubstanzen, die in die Gruppe der Nahrungsmittelzusatzstoffe eingeordnet werden, sind in Tabelle 1 aufgeführt:
Tab. 1: Übersicht über Stoffgruppen und wichtige Einzelsubstanzen unter den Nahrungsmittelzusatzstoffen (Auszug)
Antioxidantien
Stabilisatoren
Geruchs und
Geschmacksverstärker
BHA, BHT, Propylgallate, Tocopherole
EDTA, Gummi (Guar), Wachse
MSG
Anis, Zimt, Koriander, Kreuzkümmel,
Fenchel, Leinsamen, Ingwer, Hopfen,
Gewürze
Senf, Muskatnuß, roter und weißer Pfeffer
Künstliche Süßstoffe
Aspartam, Saccharin, Sucralose
Natürliche Süßstoffe
Maissirub, Fructose, Glukose, Sukrose
Benzoate, Zitronensäure, Nitrite und NitKonservierungsstoffe und antimikrobielle
rate, Parabene, Salizylate, Sorbinsäure,
Substanzen
Sulfite
Blau (Brilliantblau, Indigocarmin, Patentblau), Grün (Chlorophyll, Patentgrün),
Farbstoffe
Orange (Annatto, Gelborange), Rot (Allurarot, Amarant, Carmine, Erythrosin),
Gelb (Tartrazin, Curcumin, Quinolingelb)
Nur bei eindeutigem Verdacht auf einen Auslösung der o.g. Symptome durch Nahrungsmittelzusatzstoffe (meist im Rahmen einer pseudoallergischen Reaktion) sollte
eine weitergehende Diagnostik durchgeführt. Diese umfasst zuerst eine pseudoallergenarme Kost, die über mindestens vier Wochen eingehalten werden muss. Wenn
51
sich unter dieser Diät eine klare Besserung etwa im Symptom-Score einer chronischen Urtikaria ergibt, kann eine nachfolgende Provokation sinnvoll sein.
Für diese pseudoallergenarme Kost werden (modifiziert nach Zuberbier 1995) empfohlen:
Tab. 2: Empfehlung für eine pseudoallergenarme Diät
Grundnahrungsmittel
Fette
Milchprodukte
Tierprodukte
Gemüse
Früchte
Gewürze
Süßigkeiten
Getränke
Brotaufstrich
Brot und Brötchen ohne Zusatzstoffe,
Gries, Hirse, Kartoffeln, Reis, Hartweizen, Weizennudeln ohne Ei, Reiswaffeln
Butter, Pflanzenöl
Frischmilch, natürlicher Joghurt, Frischkäse, kleine Mengen junger Gouda
Frisches Fleisch, frisches Hackfleisch
alles erlaubt bis auf Artischocken, Erbsen, Pilze, Spinat, Tomaten, Oliven,
Rhabarber
nicht erlaubt
Salz, Zucker, Zwiebel, Schnittlauch
keine
Milch, Mineralwasser, Kaffee, nichtaromatisierter Schwarztee
Honig und alle andere erlaubten Produkte
Sollten auch unter der pseudoallergenarmen Diät weiterhin Beschwerden auftreten
und ein wahrscheinlicher Zusammenhang zu Nahrungsmitteln bestehen, ist eine oligoallergene Basisdiät zu empfehlen, die individuell zusammengestellt werden muß
und nur wenige erlaubte Nahrungsmittel beinhaltet (Reis, Lamm, Truthahn, Blumenkohl, Brokkoli, Gurke, raffiniertes, Pflanzenöl, Margarine, Mineralwasser, Schwarztee,
Salz und Zucker).
Hat sich unter einer pseudoallergenarmen oder oligoallergenen Basisdiät eine Besserung ergeben ist nachfolgend die Provokation mit pseudoallergenreichen Nahrungsmittel und verkapselten Nahrungsmittelzusatzstoffen indiziert, um den Verdacht
zu bestätigen und den Auslöser zu identifizieren. Für eine Titration von Nahrungsmittelzusatzstoffen, deren Symptomauslösung oft eine strenge Dosisabhängigkeit aufweist, werden folgende Empfehlungen gegeben.
52
Tab. 3: Dosierungsempfehlungen für Provokationstestungen mit wichtigen Nahrungsmittel-zusatzstoffen bei konkretem Einzelverdacht
Aspartam
50, 250 mg
Glutamat
0,5, 2, 5 g
Sodium benzoate
50, 250, 500 mg
Sodium nitrite
2, 10, 20 mg
Salizylsäure
100, 250, 500, 1000 mg
Disulfit
10, 50, 100, 300, 500 mg
Tartrazin
10, 50 mg
Insgesamt sind gegenwärtig nur sehr eingeschränkte Daten zur Häufigkeit von Unverträglichkeiten durch Zusatzstoffe verfügbar. Die Identifizierung der Auslöser ist
mühsam und häufig nicht von Erfolg gekrönt. Sie erfordert von den Betroffenen ein
hohes Maß an Geduld, Disziplin und Verzicht. Es sind dringend weitere Untersuchungen zu den Einflüssen von Zusatzstoffen auf Befindlichkeitsstörungen und chronische Unverträglichkeitsreaktionen erforderlich.
Literatur:
Bühner S, Reese I, Kuehl F, Lochs H, Zuberbier T. Pseudoallergic reactions in chronic urticaria are associated with altered gastroduodenal permeability. Allergy 2004
(59): 1118–1123.
Czech W, Busse A, Wedi B, Kapp A. Nahrungsmitteladditiva und nichtsteroidale Antiphlogistika – Auslöser von pseudoallergischen Reaktionen. Allergologie 1996; 19:
442–448.
Ehlers I, Henz BM, Zuberbier T. Diagnose und Therapie pseudo-allergischer Reaktionen der Haut durch Nahrungsmittel. Allergologie 1996; 19: 270–276.
Gillman A, Douglass JA. What do asthmatics have to fear from food and additive
allergy? Clin Exp Allergy, 2010 (40): 1295–1302.
Randhawa S, Bahna SL: Hypersensitivity reactions to food additives. Curr Opin All
Clin Immunol 2009 (9):278–283.
Reese I, Zuberbier T, Bunselmeyer B, Erdmann S, Henzgen M, Fuchs T, Jäger L,
Kleine-Tebbe J, Lepp U, Niggemann B, Raithel M, Saloga J, Vieths S, Werfel T. Diagnostic approach for suspected pseudoallergic reaction to food ingredients. J
Dtsch Dermatol Ges. 2009 (7):70-7
Simon RA. IgE mediated sulfite sensitive asthma: a case report. JACI 1986 (77): 157.
Worm M, Ehlers I, Sterry W, Zuberbier T. Clinical relevance of food additives in adult
patients with atopic dermatitis. Clin Exp Allergy 2000a (30): 407–414.
Zaknun D, Schroecksnadel S, Kurz K, Fuchs D: Potential Role of Antioxidant Food
Supplements, Preservatives and Colorants in the Pathogenesis of Allergy and
Asthma. Int Arch Allergy Immunol 2012 (157): 113–124.
53
Klebefleisch, Surimi und andere Neukreationen
Prof. Dr. Leane Lehmann
Lehrstuhl für Lebensmittelchemie am Institut für Pharmazie und Lebensmittelchemie der
Universität Würzburg, Am Hubland, 97074 Würzburg
[email protected]
Die
derzeitigen
Rechtsvorschriften
erlauben
den
Entwurf
fast
beliebiger
neuer
Lebensmittelkompositionen. Dies wird von einigen Herstellern für gezielte Innovationen
genutzt. Lebensmittelimitate, also Erzeugnisse, die sich von herkömmlichen Lebensmitteln
durch den Ersatz von einer oder mehreren Zutaten unterscheiden, sind in vielfältigem
Umfang und mit steigender Tendenz auf dem Lebensmittelmarkt zu finden und die
Produkte werden teilweise von Verbrauchern auch geschätzt. Wenn ihre Kennzeichnung
nicht stimmt, werden diese Erzeugnisse jedoch zu „Mogelpackungen“, die in der jüngeren
Vergangenheit durch Negativ-Schlagzeilen aufgefallen sind und zu teilweise heftigen
Reaktionen der Verbraucherzentralen führten. „Analogkäse auf der Käsepizza“ (Taz,
2009), „Analog-Käse und Schinkenimitate“ (Focus, 2009), „Nach Analog-Käse nun der
„Mogel-Schinken“ (Welt, 2009), „Verbraucher „geleimt-Rohschinken aus Fleischstücken
zusammengeklebt“ (Focus, 2010) stellen eine kleine Auswahl der Schlagzeilen der Jahre
2009/2010 dar.
Historie nachgemachter Lebensmittel
Nachgemachte Lebensmittel sind jedoch keine Erscheinung der jüngsten Vergangenheit.
Käseimitate erregten beispielsweise bereits 1897 die Gemüter: „Die Erzeugung von
Kunstkäse - zuerst in Amerika versucht - hat nunmehr auch in Europa immer mehr und
mehr Fuss gefasst, und zwar in einem solchen Grade, dass sich dieselbe in einigen
Ländern sogar zu einem wichtigen Industriezweige herausgebildet hat, und die Producte
der Kunstkäsefabrikation heute schon auf allen Grossmärkten des Continents unter
verschiedenen Namen feilgeboten werden" war im Fresenius' Journal of Analytical
Chemistry zu lesen (Devarda, 1897).
Damals wurde Magermilch mit flüssigem Rindertalg (Oleomargarin) vermischt und mit Lab
dickgelegt. Das auf diese Weise gewonnene Erzeugnis war durch den Ersatz des
Milchfetts durch den preiswerteren Rindertalg deutlich billiger als herkömmlicher Käse.
Gängige Bezeichnungen neben „Kunstkäse“ waren „Schmalzkäse“, „Oleomargarinekäse“
oder „Margarinkäse“ (Meyer, 1907).
54
Andere
nachgemachte
Lebensmittel
sind
mittlerweile
etabliert.
Heutzutage
selbstverständlich in der Produktpalette sind Margarine, Persipan, Fleischersatz für
Vergetarier/Veganer, koffeinfreier Kaffeeersatz etc..., die ursprünglich einmal angeboten
wurden um Butter, Marzipan, Fleisch oder Kaffee zu ersetzen.
Auch die Globalisierung macht sich bemerkbar: „Surimi“, ein traditionelles japanisches
Erzeugnis, gewinnt seit den 60er-Jahren weltweit immer größere Bedeutung.
Gründe für die Herstellung nachgemachter Lebensmittel
Ein nahe liegender Grund für den Verkauf nachgemachter Lebensmittel ist der Preis
(Käse- und Schinkenimitate, Surimi). Eng mit dem Preis hängt auch ein Mangel an
Rohmaterial (beispielsweise Käsereimilch in warmen Ländern; natürliche Vanille)
zusammen.
Manchmal
(Schmelzverhalten,
sind
jedoch
Hitzebeständigkeit)
auch
einstellbare
insbesondere
bei
Produkteigenschaften
Convenience-Produkten
gewünscht. Ein weiterer Grund sind Bedürfnisse spezieller Verbrauchergruppen
(cholesterinfreie Erzeugnisse, Erzeugnisse für Veganer).
Im Folgenden sollen ausgewählte Lebensmittel und ihre Imitate vorgestellt werden.
Käseimitate („Analogkäse“)
Anmerkung: Wenn bei einem Erzeugnis ein Milchbestandteil durch einen NichtMilchbestandteil ersetzt wurde, beispielsweise Milchfett durch Pflanzenfett, ist damit die
Verwendung der Bezeichnung „Käse“ auch in Wortverbindungen nicht zulässig.
Dementsprechend ist bei der Kennzeichnung solcher Produkte bislang auch die
Verwendung von Bezeichnungen wie „Analogkäse“, „Käseimitat“, „Käseersatz“ etc. nicht
möglich. Ungeachtet dessen soll hier „Käseimitat“ verwendet werden.
Käse wird ausschließlich aus Milch hergestellt (Verordnung (EG) 1234/2007). Bei der
Herstellung von Käse werden durch die Labenzyme Chymosin und Pepsin polare
Glycopeptide an der Oberfläche des als Mizelle gelösten Milchproteins abgespalten,
wodurch dessen Löslichkeit verringert wird. Infolgedessen lagern sich, unterstützt durch
Calcium-Ionen aus der Milch, Eiweißmoleküle zusammen, wodurch sie aus der wässrigen
Molke ausfallen. Alternativ wird das Ausfallen durch Absenken des pH-Wertes erreicht.
Bei der Käsebereitung wird die so entstandene „Gallerte“ mechanisch zerteilt, was den
Austritt von Molke aus den Hohlräumen der Gallerte ermöglicht und so der sogenannte
55
„Bruch“ bereitet. Nach dem Salzen erfolgt eine Milchsäure- oder Propionsäuregärung.
Während dieser „Reifung“, die je nach Sorte 5 Wochen bis zu 5 Monate dauert, werden
durch fettabbauende Enzyme auch die charakteristischen Aromastoffe gebildet. (Belitz et
al., 2001)
Im Gegensatz dazu wird zur Herstellung von Käseimität Milch-, Sojaeiweiß und
Pflanzenöle wie Palmöl, teilweise Stärke, Emulgatoren, Aroma- und Farbstoffe, Salz und
Geschmacksverstärker verwendet. Das Pflanzenfett wird erwärmt, mit einer vorgefertigten
Trockenmischung und mit Wasser vermischt, anschließend, erhitzt, dann wird ein
Aromakonzentrat eingerührt. Abschließend wird verpackt und gekühlt. Da bei dieser
Herstellungsweise kein Reifungsprozess durch eine Bakterienflora (und die damit
verbundene Gasbildung) stattfindet, bilden sich keine Käselöcher (Reifungslöcher).
Kunstkäse wird daher bevorzugt in Form von geriebenem Käse angeboten. Im Stück
werden nur bei Sorten angeboten, die auch natürlicherweise eine relativ glatte Textur
haben, wie beispielsweise Feta. Durch den Wegfall des Reifungsprozesses wird die
Produktionsdauer stark verkürzt.
Käseimitate werden in den USA vor allem wegen ihres günstigeren Preises seit den frühen
1970er Jahren im industriellen Maßstab hergestellt. Die Produktionsmenge in Deutschland
wird auf jährlich bis zu 100.000 t geschätzt (BMELV). Einsatz findet das Käseimitat zur
Herstellung von Bäckereierzeugnissen, Pizza und bei Convenienceprodukten für
Endverbraucher (beispielsweise Cordon Bleu). Da beim „Analogkäse“ der Milchbestandteil
ganz oder teilweise ersetzt wurde, beispielsweise Milchfett durch Pflanzenfett, darf die
Bezeichnung „Käse“ nicht mehr verwendet werden. Stattdessen müssen die Produkte mit
einer beschreibenden Verkehrsbezeichnung versehen werden (beispielsweise „Erzeugnis
aus Pflanzenfett und Milcheiweiß/Molkenpulver/Milchpulver“ oder, bei Verwendung als
Zutat, „Pizza mit einer Zubereitung aus Pflanzenfett und Magermilch).
(Gerstenberg und Krause, 2010) (Bayerisches Landesamt für Gesundheit und
Lebensmittelsicherheit Merkblatt Autoren: Dr. Gerstenberg Dr. Krause R.: Kennzeichnung
von sogenannten „Käseimitaten“ auf der Speisekarte in der Gastronomie und bei loser
Abgabe auf dem Schild an der Ware)
Käseimitate
können
nachgewiesen
makroskopisch
werden.
Der
anhand
Nachweis
von
des
Fehlens
geriebenen
von
und
Gärungslöchern
weiterverarbeiteten
Käseimitaten ist anhand der instrumentell-analytischen quantitativen Bestimmung des
Milchfettes möglich. Dieses enthält charakteristischer Weise 3,5% Buttersäure. Die
56
Bestimmung der Fettsäurezusammensetzung und Quantifizierug der Buttersäure mittels
Gaschromatographie lässen Rückschlüsse auf einen teilweisen oder vollständigen Ersatz
des Milchfettes durch Pflanzenöle zu (Andlauer, 2009; Werkmeister, 2009).
Schinkenimitate
Zur
Herstellung
von
(gekochtem)
Schinken
werden
traditionell
nur
wenige
Zutaten/Zusatzstoffe wie Nitritpökelsalz und Ascorbinsäure, Gewürze und Räucherrauch
verwendet. Weder ein Fremdwasseranteil noch zusätzliche Proteine (beispielsweise
Sojaeiweiß) kommen bei der Herstellung von Schinken zum Einsatz.
Zunächst sollen die gekochten Schinken vorgestellt werden:
Gekochter (Hinter-)Schinken entstammt aus der Hinterkeule, gekochter Vorderschinken
aus der sehenreicheren Schulter. Das Fleisch ist in beiden Fällen aus einem Stück (wie
gewachsen).
Im
Gegensatz
dazu
wird
Formfleischschinken/Formfleischvorderschinken
(aus
Hinterkeule/Schulter) aus Teilstücken zusammengefügt: Bei seiner Herstellung werden die
Fleischstücke zunächst durch „Poltern" oder „Tumbeln" mechanisch behandelt, dann in
Formen gefüllt, gegebenenfalls geräuchert und in der Form erhitzt. Bei der mechanischen
Behandlung tritt oberflächlich an den Fleischstücken Muskeleiweißsaft aus. Dieses Eiweiß
„verklebt" beim Kochprozess die einzelnen Muskelfleischstücke zu einem größeren
Verband. Der Gewebeverband der verwendeten Fleischstücke bleibt im Wesentlichen
erhalten.
Bei
der
Herstellung
von
Formfleischschinken
werden
die
gleichen
Zusatzstoffe/Zutaten wie bei Schinken verwendet. Ein Formfleischschinken hat daher die
gleiche
Qualität
wie
ein
„Schinken",
er
wurde
nur
aus
zugeschnittenen
Muskelfleischstücken des Schinkens hergestellt.
Schinkenimitat besteht zu 50% bis 60% aus zerkleinerter, feinbrätartiger Masse, in die
bohnen- oder walnussgroßen Schweinefleischstücken eingelagert sind. Zudem werden
zahlreiche weitere Zutaten (wie Sojaeiweiß, Milcheiweiß, Weizenstärke, Zuckerstoffe) und
Zusatzstoffe
benötigt,
um
(Nitritpökelsalz,
eine
Phosphate,
schnittfeste
Geschmacksverstärker,
Konsistenz
und
die
Verdickungsmittel)
gewünschten
sensorischen
Eigenschaften zu erlangen.
Ein interessanter lebensmitteltechnologischer Aspekt ist die, auf dem diesen Produkten
zugesetzten hohen Trinkwasseranteil (bis zu 40%) basierende, Formstabilität beim
57
Erhitzen, so dass das Verbrennen des als Pizzabelag verwendeten Erzeugnisses
vermieden wird.
Diese Erzeugnisse werden im europäischen Ausland produziert und gelangen über den
Großhandel
zu
gastronomische
einem
deutlich
Betriebe.
geringeren
Während
die
Einkaufspreis
als
Originalpackungen
das
„Original“
weitestgehend
in
den
Kennzeichnungsvorschriften (beispielsweise „Pizzabelag aus gepökeltem Schulterfleisch
geformt, überwiegend fein zerkleinert“ entsprechen, verwendet der Gastwirt oftmals eine
falsche Kennzeichnung (Schinkenpizza, Salat mit Schinken...). Bayerisches Landesamt für
Gesundheit und Lebensmittelsicherheit: Gern bestellt, oft verfälscht: SCHINKEN-PIZZA)
Stärkehaltige Schinkenimitate können durch die Jod-Stärke-Reaktion (Blaufärbung des
Schinkens oder von Teilen nach Austräufeln einer Jodlösung) nachgewiesen werden.
Die ins Brät eingelagerten einzelnen Fleischstückchen sind makroskopisch am
Durchlichttisch zu erkennen (CVUA, 2009).
Nachdem die bisher genannten Schinkenimitate nur zur Nachahmung von gekochtem
Schinken geeignet sind, ist es beim sogenannten „Klebefleisch“ möglich, auch rohe
Fleischstücke schnittfest zu verbinden.
Roher Schinken wird üblicherweise aus intaktem (wie gewachsenen) Muskelfleisch der
Hinterkeule des Schweines hergestelltund wird lediglich gepökelt, geräuchert und erhitzt.
Diee Herkunft des Fleisches aus einer anderen Muskelpartie spiegelt sich im Namen
wieder („Nussschinken“, „Lachsschinken“).
Zur Herstellung von „Klebefleisch“ werden rohe oder gekochte Fleischstücke mit dem
Enzym Transglutaminase vermischt und in einer beliebigen Form „reifen“ gelassen. Die
Transglutaminase verbindet verschiedene Fleischstücke durch Vereinfachen der Bildung
einer chemischen Bindung zwischen den Fleischeiweissbausteinen Glutamin (Gln) und
Lysin (Lys).
Nachzuweisen ist „Klebefleisch“ einerseits makroskopisch über die verschiedenen
Wuchsrichtungen der neu miteinander verbundenen Fleischstücke, andererseits durch
Änderung der elektrophoretischen Eigenschaften der verknüpften Fleischproteine.
Surimi (Krebsfleisch-/Garnelenimitat)
Surimi ist je nach Formgebung ein Krebsfleisch- oder Garnelenimitat.
58
Für die Herstellung von Surimi wird Fisch direkt nach dem Fang unter Zusatz von
Feuchthaltemitteln und Stabilisatoren fein zerkleinert und in großen Blöcken eingefroren.
An Land werden die Blöcke zerkleinert und unter Zugabe weiterer Zutaten wie Pflanzenöl,
Stärke, Zucker, Gewürze, Geschmacksverstärker und Aromastoffe zu einer breiartigen
Masse vermischt. Diese wird zu dünnen Platten ausgewalzt, die durch Lebensmittelfarbe
mit den den charakteristisch roten Streifen versehen werden. Die dünn ausgewalzte
Masse wird erhitzt und zu „Surimisticks“ gerollt und geschnitten oder in Garnelenform
gebracht.
Krebs-und Fischimitate aus Surimi müssen klar erkennbar als Imitate gekennzeichnet
werden. Verwirrend für die Verbraucher wäre eine Bezeichnung wie „Surimi-Garnele,
gefangen-indischer Ozean“.
Der Nachweis von Surimi erfolgt anhand der Morphologie (beispielsweise bei Garnelen
Fehlen der Ausbuchtung für den Darm) und einer Tierartbestimmung durch spezifische
Antikörper oder Restriktionsfragmentlängenpolymorphismus.
(LGL, 2009)
Verbreitung von Lebensmittelimitaten auf dem bayerischen Markt
Die gezielte Untersuchung von 404 Produkten die überwiegend in Tankstellen, Bäckereien
und Gaststätten angeboten wurden im Jahre 2009 durch das Bayerische Landesamt für
Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, ergab bei 49% (synthetisches Vanillin anstatt
Vanille), 48% (Schinkenimitat anstatt Schinken), 38% (kakaohaltige Überzüge anstatt
Schokolade), 7% (Käseimitat anstatt Käse), 0% (Surimi anstatt Garnelenfleisch/Krabben
Surimi), 0% (Verwendung des Begriffes Milch bei Sojaerzeugnissen) der Proben nicht
korrekt bezeichnete Imitate (LGL, 2009).
Zahlenmäßig bedeutend waren demnach neben den Schinkenimitaten nur Imitate, die die
Öffentlichkeit nicht weiter bewegen wie die bereits lange im Handel befindlichen
Schokoladen-
und
Vanilleimitate.
Während
zwei
Drittel
der
Schinkenimitate
in
Gastronomie und Großhandel nicht korrekt bezeichnet waren, fielen nur 6% der
Schinkenimitate der Hersteller und aus dem Einzelhandel durch falsche Kennzeichnung
auf.
Nachgemachte Lebensmittel haben eine lange Tradition und etablieren sich zu
eigenständigen und auch als qualitativ anerkannten Lebensmitteln. Imitate können, wie
Schinkenimitate eine geringere Qualität als das Original aufweisen, müssen dies jedoch
59
nicht unbedingt. In den Fokus der öffentlichen Kritik geraten Imitate zurecht wenn durch
eine falsche Kennzeichnung die Verwechslung mit dem Original billigend in Kauf
genommen wird.
Literatur
Raniah Salloum: „Analogkäse auf der Käsepizza“. In: Taz online, Stand: 16.04.2009, URL:
http://www.taz.de/1/zukunft/konsum/artikel/1/analogkaese-auf-der-kaesepizza/
(abgerufen 03.03.2011)
Analog-Käse und Schinkenimitate. In: Focus online, Stand 03.07.2009, URL:
http://www.focus.de/panorama/vermischtes/lebensmittel-analog-kaese-und-schinkenimitate_aid_413902.html (abgerufen 03.03.2011)
Nach Analog-Käse nun der „Mogel-Schinken“. In: Welt online, Stand 03.07.2009, URL:
http://www.welt.de/wissenschaft/article4049225/Nach-Analog-Kaese-nun-der-MogelSchinken.html (abgerufen 03.03.2011)
Verbraucher „geleimt“-Rohschinken aus Fleischstücken zusammengeklebt. In: Focus
online, Stand: 12.04.2010, URL: http://www.focus.de/gesundheit/gesundheitsnews/klebefleisch-verbraucher-geleimt-rohschinken-aus-fleischstueckenzusammengeklebt_aid_497922.html (abgerufen am 03.03.2011)
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 11. Leipzig 1907, 817.
VO 1234/2007/EG, ABl 2007 L299/1
Jahberg H, Weneit S,Woratschka R: „Auf den Inhalt kommt es an.“, In: Der Tagesspiegel,
Stand:11.07.2009, URL: http://www.tagesspiegel.de/zeitung/auf-den-inhalt-kommt-esan/1554930.html (abgerufen 03.03.2011)
Gerstenberg, Krause: Kennzeichnung von sogenannten „Käseimitaten“ auf der
Speisekarte in der Gastronomie und bei loser Abgabe auf dem Schild an der Ware).
Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, Stand: 2010, URL:
http://www.lgl.bayern.de/lebensmittel/doc/kaeseanaloge_merkblatt.pdf (abgerufen am
03.03.2011)
Belitz HD, Grosch W, Schieberle P: Lehrbuch der Lebensmittelchemie, Springer Verlag
2001, 5. Auflage, 520-528.
BMELV:
„Ernährungsphysiologischer
Wert
von
Analogkäse“.
URL:
http://www.bmelv.de/SharedDocs/Standardartikel/Ernaehrung/SichereLebensmittel/Ken
nzeichnung/ErnaehrungsphysWertAnalogkaese.html (abgerufen am 03.03.2011)
Andlauer C: Verbrauchertäuschung durch falschen Käse – (k)ein Problem? Stand:
06.05.2009
URL:
http://www.untersuchungsämterbw.de/pub/beitrag.asp?subid=0&Thema_ID=2&ID=1167&lang=DE
(abgerufen
03.03.2011)
Werkmeister K, Dienelt W: Käseimitat - Ist auf Käsestangen auch wirklich Käse drauf?
Stand: 01.07.2009, URL: http://www.lgl.bayern.de/lebensmittel/kaeseimitate.htm
(abgerufen am 03.03.2010)
CVUA: „Ist es wirklich ein Schinken auf der Pizza?“. Stand: 24.08.2009, URL:
http://www.untersuchungsämterbw.de/pub/beitrag.asp?subid=0&Thema_ID=2&ID=1193&Pdf=No
(abgerufen
am
03.03.2011)
Bayerisches
Landesamt
für
Gesundheit
und
Lebensmittelsicherheit
(LGL):
Transglutaminase
in
Rohschinken.
Stand:
19.04.2010,
URL:
http://www.lgl.bayern.de/lebensmittel/formrohschinken.htm (abgerufen am 03.03.2011)
Bayerisches
Landesamt
für
Gesundheit
und
Lebensmittelsicherheit
(LGL):
Lebensmittelimitate - Hintergründe und aktuelle Fakten. Jahresbericht 2009, 32-35.
60
Kennzeichnung von Zusatzstoffen - Verbraucherkritik
Petra Müller
Referats- und Projektleiterin Ernährung der Verbraucherzentrale Thüringen:
„Kennzeichnung von Zusatzstoffen – Verbraucherkritik“
Die Kennzeichnung von Lebensmitteln ist gesetzlich geregelt. Ein wichtiges übergeordnetes Regelwerk ist derzeit noch die Lebensmittelkennzeichnungsverordnung
(LMKV). Sie schreibt zwingend die Angabe des Verzeichnisses der Zutaten (Zutatenliste) bei Lebensmitteln in Fertigpackungen vor. Zukünftig wird für alle EU-Staaten die
Lebensmittelinformations-Verordnung die Basis für die Lebensmittelkennzeichnung
bilden.
In der Zutatenliste werden die Zutaten eines Lebensmittels in absteigender Reihenfolge ihres Gewichtsanteils aufgeführt. Zusatzstoffe, die zu einer Zusatzstoffklasse
gehören (beispielsweise Konservierungsstoffe) sind mit dem Name der Klasse, gefolgt von der Verkehrsbezeichnung oder der E-Nummer zu kennzeichnen.
1. Fragen und Kritiken der Verbraucher zum Thema Zusatzstoffe in Lebensmitteln
Verbraucher haben viele Fragen zu Zusatzstoffen in Lebensmitteln. Im Rahmen unserer Tätigkeit im Projekt „Verbraucheraufklärung auf dem Gebiet der Ernährungsberatung im Land Thüringen“ zählen Fragen der Verbraucher und auch der Medien zu
Thema Lebensmittelkennzeichnung seit Jahren zu den Schwerpunkten. Das sind
insbesondere Fragen wie
• Welche Stoffe stecken hinter den E-Nummern?
• Welchem Zweck dienen sie überhaupt?
• Was sind die gesundheitlichen Auswirkungen?
• Sind sie pflanzlich, tierisch oder synthetisch?
• Muss es wirklich so viele geben?
• Welche dürfen in Bio-Produkten sein?
• Wie glaubwürdig sind Kennzeichnungen?
61
Anhand dieser beispielhaft gewählten Fragen lässt sich erkennen, dass dieses Thema von großem Interesse für Verbraucher ist, aber auch mit vielen Unsicherheiten,
„Misstrauen“ und Unbehagen verbunden ist. Obwohl Zusatzstoffe rechtlich geregelt
sind haben Konsumenten das Gefühl, dass es keine eindeutigen Regelungen gäbe.
2. Kennzeichnungsmängel
Aus den jährlich von den Lebensmittelüberwachungsbehörden der Länder veröffentlichten Berichten lassen sich auch Beanstandungen aufgrund fehlerhafter oder fehlende Angaben im Zusammenhang mit der Kennzeichnung von Lebensmittelzusatzstoffen entnehmen. So gab es Beanstandungen wegen fehlerhafter oder gar fehlender Kennzeichnung bei:
• Eiern bzw. Eiererzeugnissen
• Suppen und Soßen
• Fleischerzeugnissen
• Marmeladen und Konfitüren
• Feinkostprodukten
• Speisen auf öffentlichen Veranstaltungen
Die Beispiele zeigen, dass Hersteller ihren Pflichten nicht immer in vollem Umfang
nachkommen und eine Kontrolle durch die Überwachungsbehörden notwendig und
angemessen ist.
3. „Clean Label“ – „ohne Zusatzstoffe“
Der Wunsch vieler Verbraucher, beim Essen auf Zusatzstoffe wie Geschmacksverstärker oder Aromen zu verzichten, nimmt zu. Diese Käuferschicht sucht nach natürlichen Lebensmitteln - ohne lange E-Nummern-Listen auf der Verpackung. Die Lebensmittelindustrie hat diesen Trend längst erkannt und bewirbt immer häufiger auf
dem Etikett den Verzicht auf bestimmte Stoffe. In Fachkreisen spricht man in diesem
Zusammenhang von einem „Clean Label“ – einem „sauberen Etikett“. Weltweit gibt
es knapp 20.000 Lebensmittel, die derartig deklariert werden.
62
In Deutschland sind es mehr als 1.600. Die Anzahl der Produkteinführungen hat sich
seit 2005 mehr als verdreifacht, denn Produkte mit der Auslobung „enthält keine
künstlichen Farbstoffe“ oder „ohne Zusatz von Geschmacksverstärkern“ verkaufen
sich gut. Doch was steckt wirklich dahinter? Nicht immer sind die Zutatenlisten dieser
Produkte wirklich „sauber“. Es verstecken sich andere Stoffe mit ähnlicher Wirkung in
den „E-Nummer-freien“ Zutatenlisten, die nicht als Zusatzstoffe gekennzeichnet werden müssen. Dazu gehören Hefeextrakte an Stelle von geschmacksverstärkenden
Zusatzstoffen oder färbende Lebensmittel statt Farbstoffen mit E-Nummern. Wo
schaffen die Label Klarheit auf den ersten Blick, wo täuschen sie eine besondere Natürlichkeit nur vor? Denn „Clean Label“ sind nicht gesetzlich definiert. Sie werden
weder einheitlich gestaltet noch produkt- oder herstellerübergreifend eingesetzt. Jeder Anbieter bedruckt seine Etiketten nach eigenem Marketingkonzept. Trotzdem
stehen „Clean Label“ nicht im rechtsfreien Raum. So ist insbesondere das Irreführungsverbot nach § 11 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches zu beachten.
3.1. Marktcheck „Clean Label“
In 2010 führten die Verbraucherzentralen bundesweit eine Markterhebung zu „CleanLabel“ Produkten durch.
Folgende Ziele wurden dabei verfolgt:
•
Erhebung und Protokollierung des aktuellen Vorkommens von „Clean Label“ zu
bestimmten Stoffgruppen (ausgewählte Zusatzstoffe und Aromen) in relevanten
•
Produktgruppen
Bewertung der Formulierungen der „Clean Label“ und Vergleich mit den jeweiligen Zutatenlisten
o Bewertung des Einsatzes von eventuellen „Ersatzstoffen“ wie Säuerungsmitteln statt Konservierungsmitteln, Hefeextrakten statt Geschmacksverstärkern oder färbenden Lebensmitteln statt Farbstoffen
o Rechtliche Einordnung anhand der aktuellen Rechtsauffassung
o Prüfung der erfassten „Clean Label“ im Hinblick auf ein allgemeines Irre-
•
•
führungsverbot entsprechend § 11 LFGB
Veröffentlichung von verbraucherrelevanten Forderungen zur Verhinderung von
Irreführung und Täuschung und zur Verbesserung der Transparenz
Weiterverfolgung von erfassten Rechtsverstößen mittels Abmahnungen zur Erzielung von Unterlassungserklärungen
63
•
Erstellung einer Verbraucherinformation als kurze übersichtliche Einkaufshilfe
zum „Clean Label“
151 Produkte aus 12 Lebensmittelgruppen wurden erfasst und dokumentiert. Danach
erfolgte die Zuordnung zu den Zusatzstoffklassen Konservierungsstoffe, Geschmacksverstärker, Farbstoffe sowie Aromen. Andere Auslobungen, z.B. „ohne
Fett“ oder „lactosefrei“, wurden bei der Auswertung nicht berücksichtigt.
3.1.1. Die Ergebnisse des Marktchecks
3.1.1.1. „Clean Label“ zu Konservierungsstoffen
Hinweise auf nicht verwendete Konservierungsstoffe sind auf 59% der erfassten Produkte vorhanden. Damit ist die Auslobung fehlender Konservierungsstoffe am weitesten verbreitet. Am häufigsten wurden Milcherzeugnisse (94%), Erfrischungsgetränke
(90%) oder Feinkostsalate (86%) entsprechend beworben. Die Formulierungen der
Anbieter waren sehr uneinheitlich. So konnten allein in diesem Segment 16 unterschiedliche Auslobungen registriert werden. Bei Trocken-Fertiggerichten wie Suppen,
Saucen oder Tassengerichten war es auffällig, dass 80% der gelabelten Produkte mit
dem zusätzlichen Hinweis „natürlich“, „100% natürlicher Geschmack“ oder „Natur
pur“ beworben wurden.
Rechtliche Einordnung:
Werden Konservierungsstoffe im Sinne der Zusatzstoff-Zulassungsverordnung in
Rezepturen verwendet, müssen diese in der Zutatenliste deklariert werden – entweder mit der E-Nummer oder ihrem Namen – und dem übergeordneten Klassennamen, der ihren Einsatz beschreibt. Das gilt auch für Säuerungs- und Antioxidationsmittel. Der Übergang im Hinblick auf die Wirkung dieser Stoffe ist allerdings fließend,
die Zuordnung nicht immer eindeutig und einige Stoffe haben mehrere Wirkungen.
So wirken z.B. E 260 Essigsäure und E 290 Kohlensäure säuernd und zugleich auch
konservierend. Daher ist die Abgrenzung schwierig. Die derzeitige gesetzliche Definition, bei der sich die Konservierung nur auf die Begrenzung der schädlichen Auswirkungen von Mikroorganismen bezieht, ermöglicht es, Säuerungsmittel oder Antioxidantien mit zusätzlich konservierender Wirkung unter diesen Klassennamen „zu tarnen“. Konservierungsstoffe, die unter die Zusatzstoffdefinition fallen, dürfen nur dann
zur Herstellung von Lebensmitteln verwendet werden, wenn sie für das jeweilige Le64
bensmittel laut Zusatzstoff-Zulassungsverordnung ausdrücklich zugelassen sind, z.B.
für Feinkostsalate oder Erfrischungsgetränke. Es gibt Stoffe, die zwar eine konservierende Wirkung haben, aber dennoch – rein rechtlich gesehen - keine Zusatzstoffe
sind. So kann z.B. der Zusatz von Essig oder Essigverbindungen, Senfsaaten,
Fruchtextrakten, Salz oder Zucker - wenn sie als geschmackliche Komponenten zu
den Bestandteilen der Rezeptur gehören - in der Zutatenliste aufgelistet werden ohne
einen Hinweis auf die konservierende Wirkung.
Mögliche Irreführung und Täuschung:
•
Man kann nicht voraussetzen, dass Verbraucher über das Wissen von Lebensmittelchemikern oder Juristen verfügen und die gesetzlichen Definitionen für Konservierungsstoffe kennen. Sie gehen vom allgemeinen Sprachverständnis aus. Danach sind Konservierungsstoffe alle Stoffe, die zum Zweck eingesetzt werden,
•
Lebensmittel zu konservieren und länger haltbar zu machen.
Bei Hinweisen auf das Nichtvorhandensein von Konservierungsstoffen erwarten
Verbraucher ursprüngliche Produkte. Insbesondere mit der Verbindung „natürlich“
erzeugt das Label „ohne Konservierungsstoffe“ bei vielen Verbrauchern die Erwartung, dass es sich um ein naturbelassenes, wenig verarbeitetes Produkt handelt. Konservierende Stoffe oder Rohstoffe, welche durch chemische Synthese
hergestellt wurden, werden von den Verbrauchern nicht erwartet. Das ist insbesondere dann irreführend, wenn die Produkte gleichzeitig diverse andere Zusatzstoffe mit haltbarkeitsverlängernder Wirkung, z.B. Antioxidantien, Säuerungsmittel, Säureregulatoren oder pflanzliche Extrakte mit ähnlichen Funktionen, wie z.B.
Senfsaaten, enthalten. Die unübersichtliche Vielfalt von Ersatzstoffen ist verwirrend und auch anhand der Zutatenlisten auf den Produkten für Laien nicht nach-
•
vollziehbar und viel zu schwer zu durchschauen.
Eines der ältesten Konservierungsmittel ist neben Rauch und Salz die Essigsäure, sie wirkt gleichzeitig konservierend und säuernd. Trotzdem enthalten Produkte
mit dem Label „ohne Zusatz von Konservierungsstoffen“ Essigsäure, wodurch die
•
Verbraucher getäuscht werden.
Wenn ein Produkt, das laut Gesetz gar nicht mit Konservierungsstoffen behandelt
werden darf, mit dem Label „ohne Konservierungsstoffe“ ausgelobt wird, unterstellt der Anbieter indirekt, dass vergleichbare Produkte anderer Wettbewerber
unter Umständen Konservierungsstoffe enthalten könnten. Eine solche Werbung
65
mit Selbstverständlichkeiten ist unzulässig. Wird aber auf diese Selbstverständlichkeit beispielsweise mit den Worten „laut Gesetz“ oder „laut Lebensmittelrecht“
hingewiesen, so ist dies eine zulässige Auslobung. Aus Sicht der Verbraucherzentralen führen solche Angaben nicht dazu, mehr Klarheit beim Einkauf zu
•
schaffen. Diese überflüssige Formulierung sollte ausnahmslos verboten werden.
Produkte ohne „Clean Label“ unterscheiden sich häufig nicht von Vergleichsprodukten mit „Clean Label“. Sie sind häufig nicht „sauberer“ als andere Produkte
ohne diese Auslobung, wie aus nachfolgender Tabelle ersichtlich ist.
3.1.1.2. „Clean Label“ zu Geschmacksverstärkern
Der Verzicht auf den Einsatz von Geschmacksverstärkern wurde bei den erfassten
Produkten von den Herstellern am zweithäufigsten ausgelobt. Auf 74 Produkten
(49%) wurden „Clean Label“ mit verschiedenen Formulierungen gefunden.
Geschmacksverstärker sind Stoffe, die den Geschmack und/oder den Geruch eines
Lebensmittels verstärken. Dabei gibt es sowohl Geschmacksverstärker, die unter die
Zusatzstoff-Definition fallen, als auch Stoffe, die zwar eine geschmacksverstärkende
Wirkung haben, aber charakteristische Lebensmittelzutaten sind. Das bekannteste
Beispiel für Letzteres ist Hefeextrakt. Da es den Geschmack anderer Lebensmittel
verstärkt, kommt Hefeextrakt in der Lebensmittelindustrie insbesondere aufgrund
dieser Eigenschaft zum Einsatz. Hefeextrakt gehört zu den geschmacksverstärkenden Zutaten, es enthält zwischen 2,1 und 3,3% freies Glutamat enthält.
Besonders auffällig ist, dass mit 92% fast alle Produkte (68 von 74), auf denen der
Verzicht auf Geschmacksverstärker deklariert ist, potentiell geschmacksverstärkende
Zutaten wie Hefeextrakt, Sojasoße, verschiedene Eiweiße oder Gewürzextrakte enthalten.
Rechtliche Einordnung:
Werden Geschmacksverstärker als Zusatzstoffe (Salze der Glutaminsäure und der
Nukleinsäuren E 620 – E 635) verwendet, so sind diese in der Zutatenliste mit dem
Klassennamen und der chemischen Bezeichnung oder der E-Nummer zu deklarieren. Werden Geschmacksverstärker in Form von Hydrolysaten (z.B. Hefeextrakt oder
Würzen) zugesetzt, genügt es, den Namen der Zutat in der Zutatenliste zu nennen.
Hefeextrakt ist rein rechtlich kein Zusatzstoff, weil es sich gemäß § 2 Abs. 3 S1
LFBG um eine charakteristische Lebensmittelzutat handelt.
66
Mögliche Irreführung und Täuschung:
•
Beratungsgespräche mit Verbrauchern zeigen, dass sie sich, entgegen der aktuellen Rechtskommentierung, bei der Auslobung „ohne Zusatzstoff Geschmacksverstärker“ und „ohne Geschmacksverstärker“ in jedem Fall irregeführt und ge-
•
täuscht fühlen, wenn geschmacksverstärkende Zutaten eingesetzt werden.
Die Verbraucher verfügen nicht über ein umfassendes technologisches Detailwissen zum Einsatz von Geschmacksverstärkern und die differenzierten Feinheiten
bei der Kennzeichnung und Rechtsprechung sind ihnen nicht bekannt. Wenn geschmacksverstärkende Zutaten, aus welchem technologischen Grund auch immer, eingesetzt werden, sollen aus Sicht der Verbraucherzentralen die „Clean
Label“ „ohne Zusatzstoffe Geschmacksverstärker“ und „ohne Geschmacksver-
•
stärker“ grundsätzlich nicht verwendet werden.
Die „Clean Label“ „ohne Zusatzstoffe Geschmacksverstärker“ und „ohne Geschmacksverstärker“ sollten grundsätzlich nicht verwendet werden, wenn ge-
•
schmacksverstärkende Zutaten verarbeitet werden.
Produkte ohne „Clean Label“ unterscheiden sich häufig nicht von Vergleichsprodukten mit „Clean Label“. Sie sind häufig nicht „sauberer“ als andere Produkte
ohne diese Auslobung, wie aus nachfolgender Tabelle ersichtlich ist.
3.1.1.3. „Clean Label“ zu Farbstoffen
Farbstoffe werden in Lebensmitteln ausschließlich zur optischen Aufbereitung eingesetzt. Sie sollen ein Lebensmittel appetitlicher bzw. dekorativer erscheinen lassen.
Ein „Clean Label“ zu Farbstoffen wurde bei 63 Produkten (42 %) gefunden. Nach den
Ergebnissen dieses Marktchecks ist es vor allem in den Produktgruppen Süßwaren
und Erfrischungsgetränke von Bedeutung, aber auch bei gekühlten Fertiggerichten
und Wurstwaren, weniger bei Milchprodukten.
Rechtliche Einordnung:
Farbstoffe zählen zu den Lebensmittelzusatzstoffen und dürfen nur dann verwendet
werden, wenn sie ausdrücklich zugelassen sind. Zum Färben von Lebensmitteln oder
zum Erzielen von Farbeffekten bei Lebensmitteln sind daher nur die in Anlage 1 der
Zusatzstoff-Zulassungsverordnung aufgeführten Zusatzstoffe für die jeweils dort genannten Lebensmittel zugelassen. In der Zutatenliste ist die Angabe „mit Farbstoff“
67
gefolgt von der Bezeichnung des Farbstoffes oder der ihm zugeordneten E-Nummer
erforderlich.
Mögliche Irreführung und Täuschung:
•
Der Marktcheck stellte dar, dass die Verwendung färbender Lebensmittel einschließlich der Auszüge aus Lebensmitteln anstelle des Einsatzes von Farbstof-
•
fen üblich ist.
Irreführend ist aus Verbrauchersicht, wenn Lebensmittel zur Farbgebung eingesetzt werden ohne diesen Charakter oder Zweck besonders im Zutatenverzeichnis zu kennzeichnen. Der Marktcheck hat gezeigt: Die Verwendung färbender Lebensmittel einschließlich der Auszüge aus Lebensmitteln ist anstelle des Einsat-
•
zes von Farbstoffen üblich
Außerdem problematisch erscheint die Auslobung „ohne Farbstoffe“, wenn gezielt
färbende Lebensmittel eingesetzt werden, selbst wenn im Zutatenverzeichnis auf
•
•
diese Eigenschaft verwiesen wird
Verwirrend ist eine Auslobung „ohne künstliche Farbstoffe“ dann, wenn trotzdem
Farbstoffe im Sinne der Zusatzstoff-Zulassungsverordnung eingesetzt werden
Hinweise zum Verzicht auf Farbstoffe sind zum Teil wertlos, da andere Hersteller
bei ähnlichen Lebensmitteln auch ohne Auslobung auf die Verwendung von Farbstoffen verzichten
4. Gesetzliche Ausnahmen von einer Kennzeichnung der Zusatzstoffe - unsere
Kritik
Es gibt eine Vielzahl von Stoffen, die laut gesetzlicher Regelungen nicht zu den Zusatzstoffen zählen. Dazu gehören beispielsweise Blutplasma (eingesetzt als Emulgator), Proteinhydrolysate (eingesetzt als Geschmacksverstärker) oder Inulin (eingesetzt zur Verbesserung von Geschmack und Mundgefühl).
Aus Sicht der Verbraucherzentrale wird eine Werbung mit Selbstverständlichkeiten
(die nicht erlaubt ist) geduldet, wenn auf Etiketten „ohne xyz laut Gesetz“ vermerkt
ist.
Einen weiteren kritischen Punkt stellt die eingeschränkte Kennzeichnung von Zusatzstoffen bei lose verkauften Lebensmitteln dar. Keine Kennzeichnung der Zusatzstoffe
ist nötig, wenn im Endprodukt keine technologische Wirkung mehr besteht, es sich
um Kleinstverpackungen oder einzeln verkaufte Zuckerfiguren handelt.
68
Dennoch: Laut den Erwägungsgründen der Verordnung (EG) Nr. 1333/2008 Punkt 7
darf die Verwendung von Zusatzstoffen Verbraucher nicht irreführen und muss Verbrauchern einen Nutzen bringen.
5. Unsere Forderungen an Hersteller und Gesetzgeber zum Schutz der Verbraucher
Wir fordern
•
•
•
•
•
mehr Verbraucherschutz vor Irreführung und Täuschung,
eindeutige, klare und ausnahmslose Kennzeichnung aller Zusatzstoffe, auch bei
loser Ware, Kleinstverpackungen und Stoffen ohne technologische Wirkung im
Endprodukt
rechtliche Definition von „Clean Label“
Produkte mit „Clean Label“ sollten auch keine Zutaten mit entsprechender Wirkung enthalten, d.h. keine konservierenden, geschmacksverstärkenden oder färbenden Zutaten, wenn darauf nicht deutlich und unmissverständlich hingewiesen
wird.
Wichtig ist Transparenz, d.h. die Aufklärung und Information der Verbraucher,
stärkere Kontrollen der Kennzeichnungen und die Veröffentlichung der Kontrollergebnisse der Überwachungsbehörden.
6. Kurzfassung
Die Kennzeichnung von Lebensmitteln ist gesetzlich geregelt. Ein wichtiges übergeordnetes Regelwerk ist derzeit noch die Lebensmittelkennzeichnungsverordnung
(LMKV). Sie schreibt zwingend die Angabe des Verzeichnisses der Zutaten (Zutatenliste) bei Lebensmitteln in Fertigpackungen vor. Zukünftig wird für alle EU-Staaten die
Lebensmittelinformations-Verordnung die Basis für die Lebensmittelkennzeichnung
bilden. In der Zutatenliste werden die Zutaten eines Lebensmittels in absteigender
Reihenfolge ihres Gewichtsanteils aufgeführt. Zusatzstoffe, die zu einer Zusatzstoffklasse gehören (beispielsweise Konservierungsstoff) sind mit dem Name der Klasse,
gefolgt von der Verkehrsbezeichnung oder der E-Nummer zu kennzeichnen. Verbraucher haben viele Fragen zu Zusatzstoffen. Und die Lebensmittelüberwachung
beanstandet regelmäßig fehlerhafte oder fehlende Angaben im Zusammenhang mit
der Kennzeichnung von Lebensmittelzusatzstoffen.
69
In den letzten Jahren ist ein neuer Trend zu beobachten, der Trend zu „Clean Label“.
„Ohne Konservierungsstoffe“, ohne Geschmacksverstärker“, „natürlich, da ohne Zusatzstoffe“ – immer mehr Lebensmittel werben damit, was sie nicht enthalten. Verbraucher, die auf Zusatzstoffe wie z.B. Geschmacksverstärker verzichten möchten,
freuen sich zunächst über eine deutliche Information, ohne die Zutatenliste im Einzelnen entziffern zu müssen. Doch werden die Erwartungen tatsächlich erfüllt? Sind
die Rezepturen der Hersteller hochwertiger wenn sie betonen, auf den einen oder
mehrere Stoffe zu verzichten? Oder werden diese gegebenenfalls durch andere,
„unverdächtige“ Stoffe ersetzt?
Die Verbraucherzentralen der Bundesländer haben im Jahr 2010 überprüft, inwieweit
die Verbrauchererwartungen erfüllt werden. Im Mai 2010 wurden bundesweit Produkte ausgewählt und eingekauft. Dabei wurden 151 Etiketten aus 12 relevanten Lebensmittelgruppen erfasst, die mit einem „Clean Label“ auf den Verpackungen den
Verzicht auf bestimmte Zusatzstoffe sowie Aromen ausloben. Die 272 Auslobungen
der „Clean Label“ wurden bewertet und mit den jeweiligen Zutatenlisten der Produkte
verglichen.
Die Ergebnisse: Es existiert eine große Vielzahl an unterschiedlichen „Clean Labeln“,
sowohl hinsichtlich der graphischen Umsetzung als auch bei der Formulierung der
Werbeaussagen. Auf den untersuchten Produkten wurde eine Vielzahl unterschiedlich formulierter „ohne xy“-Versprechen gefunden.
Die Analyse der Zutatenlisten ergab, dass Anbieter den durch „Clean Label“ ausgelobten Verzicht auf bestimmte Zusatzstoffe bzw. Zutaten, die eine gleiche oder ähnliche technologische Wirkung aufweisen, teilweise durch andere Stoffe ersetzen. Häufig wurde zusätzlich zum „Clean Label“ durch weitere Aussagen wie z.B. „Natur pur“
eine Ursprünglichkeit impliziert, die durch den Blick auf die Zutatenlisten nicht bestätigt werden konnte.
Manche Anbieter werben bei dem Verzicht auf bestimmte Zusatzstoffe mit dem Zusatz „ohne xy lt. Gesetz“. Diese Aussage ist wertlos, weil vergleichbare Lebensmittel
diesen Zusatzstoff laut Gesetz auch nicht enthalten dürfen. Neben der Erläuterung
der Ergebnisse des Marktchecks und deren Bewertung wird auf die gesetzlich legitimierten Ausnahmen der Kennzeichnung von Zusatzstoffen eingegangen.
70
Herunterladen