Zur Biologie der Geburtshelferkröte (Alytes obstetricans)

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Zeitschrift für Feldherpetologie 10: 1!24
März 2003
Zur Biologie der Geburtshelferkröte (Alytes obstetricans)
in Kalksteinbrüchen des Niederbergischen Landes
(Nordrhein-Westfalen)
THOMAS KORDGES
Biology of the midwife toad (Alytes obstetricans) in limestone quarry
areas of the Niederbergisches Land (Northrhine-Westphalia)
The study presents phenological, biometrical and ecological data on Alytes obstetricans which mainly have been observed in spring 1999 and 2000 while taking care of
an amphibian fence. In both years seasonal activities started in March (13.3.1999,
18.3.2000). The first male carrying fresh egg clutches was found at 2.4.1999, first
males with mature egg clutches at 8.5.1999 and 5.5.2000. Those larvae, originating
from early clutches, may emerge from water within the same year. In 1999, 2000 and
2001 metamorphosis started at the end of July and lasted until the end of September,
exceptionally until 18th of October. The later ones hibernate and emerge in the next
year between the end of May until the end of June. The snout vent length of 79 males
differed from 3,1 to 4,6 cm (" = 3,95 cm). Females (n = 55) become larger and proved
to be 3,6 to 5,0 cm (" = 4,27 cm). Juveniles (n = 230) measured 1,6 to 2,9 cm (" =
2,35 cm) after having completly reduced their tails. The average number of eggs, carried by the males was 50,9 (min. 18, max. 126, n = 64). 40 % of the clutches had more
than 50 eggs and are usually supposed to result from two females. Within the quarry
areas small pools exposed to the sun proved to be the preferred habitats for reproduction. Among them there are those with constant water bodies but although very
shallow pools, eventually endangered by drying up. Contrary to these there are deep
and cold quarry ponds that serve as habitats for larvae too. Within the spawning
ponds studied, larvae of midwife toads are associated on an average with 3,2, exceptionally up to 7 further amphibian species. Highest frequencies of association showed
Triturus alpestris, Bufo calamita and Triturus vulgaris. Comparing with older studies,
the populations of the midwife toad are still well distributed within the quarry areas
of the region. Nevertheless, species status has become worse. This is especially true if
you look to the more or less small numbers of individuals within each of the populations. Calling groups with more than hundred males actually are unknown. Reasons
for species decline may result in modern technologies of limestone mining, commercial use of the areas following mining activities, questionable aims of cultivating,
changing of environmental conditions (e. g. water and thermal aspects) due to natural succession but although – if mining ends – in the lack of biotope dynamics, which
is caused by permanent mining activities.
Key words: Amphibia, Anura, Discoglossidae Alytes obstetricans, phenology, biometry, clutch size, habitat preferences, species association, limestone quarry areas, predation, species decline.
Zusammenfassung
Es werden Beobachtungen zur Phänologie, Biometrie und zum Populationsaufbau
der Geburtshelferkröte vorgestellt, die 1999 und 2000 an einem Amphibienfangzaun
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KORDGES
rund um ein Abgrabungsgewässer sowie an einem Ersatzgewässer in einem Kalksteinbruch in Wuppertal ermittelt und 2001 durch weitere Daten ergänzt wurden.
Der Aktivitätsbeginn setzte in beiden Jahren gegen Mitte März (13.3.1999, 18.3.2000)
ein. Das erste Eier tragende Männchen wurde 1999 am 2.4., die ersten Männchen mit
reifen Eipaketen am 8.5.1999 bzw. am 5.5.2000 registriert. Larven aus früh abgesetzten Gelegen können noch im selben Jahr die Metamorphose abschließen. Die Emergenz diesjähriger Larven begann in den Jahren 1999 bis 2001 jeweils gegen Ende Juli
und hielt bis gegen Ende September, ausnahmsweise auch bis gegen Mitte Oktober
an. Larven aus später abgesetzten Gelegen überwintern und schlüpfen dann erst Ende Mai (z. B. 23.5.1999, 31.5.2000) bis Ende Juni des Folgejahres. Die Kopf-RumpfLänge 79 untersuchter Männchen lag zwischen 3,1 und 4,6 cm (" = 3,95 cm). Die
Weibchen (n = 55) sind mit 3,6 bis 5,0 cm (" = 4,27 cm) größer und schwerer als die
Männchen. Frisch metamorphosierte Jungtiere weisen nach vollständiger Resorption
des Schwanzstummels Kopf-Rumpf-Längen zwischen 1,6 und 2,9 cm (" = 2,35 cm)
auf. Die Eizahl Gelege tragender Männchen schwankte zwischen 18 und 126 und betrug durchschnittlich 50,9 (n = 64). Der Anteil vermuteter Doppelgelege mit >50 Eiern
betrug 40 %. Als Larvalhabitate werden in den Abgrabungsflächen sonnenexponierte
Tümpel mit einer in der Regel ganzjährigen Wasserführung sowie sonnenexponierte,
oft austrocknungsgefährdete Flachgewässer bevorzugt. Andererseits werden aber
auch steilufrige, struktur- und nährstoffarme sommerkühle Steinbruchweiher besiedelt. In ihren Larvalgewässern ist die Geburtshelferkröte mit durchschnittlich 3,2,
ausnahmsweise bis zu 7 weiteren Amphibienarten vergesellschaftet. Die größte Anzahl gemeinsamer Vorkommen erreicht lokal der Bergmolch (Triturus alpestris), gefolgt von Kreuzkröte (Bufo calamita) und Teichmolch (T. vulgaris). Im Vergleich zu
früheren Untersuchungen ist die Geburtshelferkröte in den Abgrabungsflächen zwar
noch verbreitet, Großpopulationen mit mehr als hundert rufenden Tieren sind aber
nicht mehr bekannt. Geänderte Abbaumethoden, gewerbliche Folgenutzungen, ökologisch überholte, auf schnelle Eingrünung abzielende Wiederherrichtungs- und Rekultivierungsplanungen, natürliche Sukzession sowie die mit dem Abbauende ausbleibende betriebsbedingte Flächendynamik sind die Hauptgefährdungsursachen für
die Geburtshelferkröten-Populationen der Abgrabungsflächen.
Schlüsselbegriffe: Amphibia, Anura, Discoglossidae, Alytes obstetricans, Phänologie,
Biometrie, Gelegegrößen, Habitatpräferenzen, Vergesellschaftung, Kalksteinbrüche,
Prädation, Bestandsrückgang.
1
Einleitung
Die Geburtshelferkröte (Alytes obstetricans) zählt in Nordrhein-Westfalen zu den Charakterarten des Südwestfälischen Berglandes und ist hier insbesondere in Abgrabungsflächen mit hoher Stetigkeit anzutreffen (FELDMANN 1987, 1981, LOSKE 1984,
LOSKE & RINSCHE 1985). Trotz der Arbeiten von z. B. MEISTERHANS (1969), BUCHHOLZ
(1989), SCHMIEDEHAUSEN (1990) sowie THIESMEIER (1992) und KRONSHAGE (1996)
existieren erstaunliche Kenntnislücken hinsichtlich ökologischer Grundlagendaten
(z. B. GÜNTHER & SCHEIDT 1996). Versteckte, Lebensweise, geringe Populationsgrößen
und – bedingt durch die mehrmonatige Fortpflanzungsperiode und die spektakuläre
Fortpflanzungsbiologie – das Fehlen räumlich-zeitlich konzentrierter Ansammlungen
der Adulti an den Gewässern erschweren den Einblick in die Ökologie der jeweiligen
Populationen.
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Untersuchungsraum, Material und Methode
Anlass der vorliegenden Untersuchung war die beabsichtigte Wiederaufnahme des
Kalksteinabbaus in der Grube Voßbeck. Das ca. 6 ha große Grubengelände ist Bestandteil eines großdimensionierten, überregional bedeutsamen Abgrabungskomplexes innerhalb des Gruiten-Dornaper Massenkalkzuges, das nach Beendigung des
damaligen Abbaubetriebes vorübergehend als Kalkschlammteich genutzt worden war
und seit ca. 25 Jahren ohne betriebliche Nutzung brach liegt.
Infolge der sehr dynamischen natürlichen Sukzession konnte sich auf der Grubensohle ein ca. 1,6 ha großes Stillgewässer entwickeln, dem aufgrund einer nahezu idealtypischen Vegetationsabfolge von Weichholzbeständen im Uferbereich über größere
Schilfröhrichte bis hin zu ausgedehnten Flach- und Mittelwasserzonen mit üppigen
Tauchblattgesellschaften eine herausragende vegetationskundliche und floristischfaunistische Bedeutung zukommt (KORDGES 2001). Die hohe Schutzwürdigkeit der
Steinbruchfläche stand außer Frage. Eine Ausweisung als NSG scheiterte jedoch an
der Tatsache, dass der aktuelle Geländezustand nur mittels umfangreicher und dauerhafter Grundwasserabsenkungen innerhalb des Massenkalkzuges gewährleistet
war. Nach Einstellung der betrieblichen Sümpfungsmaßnahmen wird der Wiederanstieg des Grundwassers das gesamte Grubengelände unweigerlich um mehrere Meter
überstauen und in einen steilwandigen Tiefwasserkörper verwandeln. Eine nachhaltige Sicherung des biotischen Inventars des Geländes war mittels NSG-Ausweisung
daher nicht möglich, sodass dem Antrag auf Wiederaufnahme des Kalksteinabbaus
im Rahmen der vorgesehenen Güterabwägung letztendlich stattgegeben wurde.
Zwecks Minderung des erheblichen vorhabensbedingten Konfliktpotenzials war die
Abbaugenehmigung mit der Realisierung umfangreicher Kompensationsmaßnahmen
verknüpft worden, die u. a. eine gezielte Förderung jener Organismengruppen zum
Ziel hatte, die von dem Verlust des wertvollen Sekundärlebensraumes betroffen waren. Umfangreiche faunistisch-floristische Untersuchungen auf den angrenzenden,
weitläufigen Betriebsflächen des Abgrabungsunternehmens hatten zuvor belegt, dass
die betroffenen Artengemeinschaften auch außerhalb der direkten Eingriffsfläche vorkamen und hier mittels gezielter Maßnahmen (z. B. Pflege bzw. Neuanlage von Habitaten) gefördert werden könnten (Planungsgruppe BECKER/JANSSEN & ÖKOPLAN 1996).
Ergänzend zu den Kompensationsmaßnahmen war auf ausdrücklichen Wunsch der
Genehmigungsbehörde gefordert worden, die Amphibienbestände des Grubengeländes mittels eines Fangzaunes abzufangen und in geeignete Ersatzlebensräume
umzusiedeln. Hintergrund dieser Forderung war der Nachweis von sechs Amphibienarten (Triturus vulgaris, T. alpestris, Rana temporaria, Bufo bufo, B. calamita, Alytes
obstetricans) im engeren Grubengelände, deren Populationsgrößen aber mangels Begeh- und Einsehbarkeit der Uferbereiche (schilfbestandene, nicht standfeste Schlammflächen) nur ungenau bekannt waren.
Zu diesem Zweck wurde das Grubengewässer im Februar 1999 mit einem ca. 350 m
langen Amphibienfangzaun entlang der vermuteten Anwanderungskorridore umzäunt und auf der Anwanderungsseite mit 30 Fangbehältern versehen.
Die Standzeit des Zaunes erstreckte sich über den Zeitraum von Ende Februar bis
Ende Juni. Die Kontrolle erfolgte in der Regel früh morgens und täglich, ab Mai z.T. in
4
KORDGES
Abb. 1: Das Untersuchungsgebiet im Steinbruch Voßbeck: Lage bedingt fängt der Fangzaun sowohl
gezielt anwanderende Männchen mit reifen Eipaketen als auch Tiere innerhalb der Ufer nahen
Landhabitate.
The investigation area within the limestone quarry Voßbeck. The location of the drift fence allows to
catch immigrating males with full developed clutches as animals migrating within the riparian near
terrestrial habitats.
Abb. 2: Das 1998 fertig gestellte Ersatzgewässer zeigt bereits zwei Jahre später eine ausgeprägte
Besdiedlungsdynamik von Flora und Fauna. Spontan stellten sich hier neben der Geburtshelferkröte
auch Kreuz- und Erdkröte, Grasfrosch, Teich- und Bergmolch sowie Einzeltiere von Kammmolch
und Teichfrosch ein.
The 1998 completed substitute pond shows already two years later a significant dynamic of plant and
animal colonization. Beside A. obstetricans also Bufo calamita, B. bufo, Rana temporaria, Triturus vulgaris,
T. alpestris and single specimens of T. cristatus und R. esculenta were recorded spontaneoulsy.
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zweitägigem Abstand, wobei Schwämme (Sicht- und Verdunstungsschutz) und Wasser (ca. 3 cm) in den Fangbehältern ein Austrocknen der Tiere verhinderten.
Bedingt durch die unerwartet hohen Fangzahlen des Jahres 1999 wurde die Fangaktion im folgenden Frühjahr wiederholt und ab Anfang April durch Fangeimer auf der
Abwanderungsseite ergänzt. Ende Juni wurde die Kontrolle des Zaunes eingestellt.
Anwanderungstag, Anzahl, Art, Geschlecht und Nummer des Fangeimers wurden für
alle Arten registriert. Dabei ergab sich die Gelegenheit, phänologische (Aktivitäts- u.
Rufbeginn, Anwanderung, Gelegefunde, Absetzen bzw. Landgang der Larven) und
biometrische Daten (Länge, Masse, Eizahl) der anwandernden Geburtshelferkröten zu
erheben. Weitere Daten insbesondere bezüglich frisch metamorphosierter Jungtiere
stammen überwiegend von einem erst 1998 angelegten Ersatzgewässer, wo in den
Jahren 1999–2002 unter im Uferbereich ausgelegten Brettern regelmäßig Alt- und
Jungtiere registriert wurden (KORDGES & THIESMEIER 2000).
Darüber hinaus wurden auch in benachbarten Abgrabungsflächen in Wuppertal und
im Kreis Mettmann Alytes-Gewässer hinsichtlich der Vergesellschaftung sowie der
Gewässerpräferenzen untersucht.
Die feldbiologische Ermittlung der Eizahlen Gelege tragender Männchen ist mit methodischen Unsicherheiten behaftet, da bei der Manipulation mit den Tieren die Gefahr besteht, dass diese die Eipakete abstreifen. Auf ein präzises Auszählen größerer
Gelege wurde daher im Zweifelsfall verzichtet. Andererseits sind insbesondere bei
Mehrfachgelegen nicht alle Eier von außen sichtbar, sodass deren Anzahl schnell
unterschätzt wird (vgl. Abb. 3). Vergleichszählungen an abgestreiften oder bereits
geschlüpften Eipaketen ergaben Fehlerquoten zwischen 0 und ca. 7 %, die bei der
Diskussion der Eizahlen zu berücksichtigen sind.
3
Ergebnisse und Diskussion
3.1 Fangzahlen
Den Tabellen 1 und 2 sind die Fangergebnisse aller Amphibien der Jahre 1999 und
2000 zu entnehmen. Von der Geburtshelferkröte wurden insgesamt 144 Tiere gefangen, die aber nur ca. 1 % der Gesamtfänge ausmachten. Die saisonale Entwicklung der
Fangzahlen verläuft in beiden Jahren ähnlich, wenngleich im Jahr 2000 auf einem
quantitativ deutlich niedrigerem Niveau. Der Rückgang der Fangzahlen im Jahr 2000
belegt einerseits einen gewissen Leerfangeffekt, andererseits aber auch die Tatsache,
dass 1999 ein nicht unerheblicher Teil der Population nicht abgefangen wurde. Gleiches darf auch für das Jahr 2000 angenommen werden. So wurden beispielsweise im
Jahr 2001 noch schwache Rufaktivitäten registriert, und in einem Tümpel auf der
Steinbruchsohle wurden 2001 und 2002 wiederholt Larven abgesetzt.
Tatsächlich ist der Fangzaun aufgrund seiner selektiven Wirkung für eine komplette
Erfassung der Gesamtpopulation methodisch ungeeignet, da lediglich anwandernde
Männchen gezielt abgefangen werden. Zaunfänge von Weibchen und Jungtieren müssen als Zufallsfunde gelten. Das Geschlechterverhältnis von etwa 1 : 0,7 (#/$) ist aufgrund der erhöhten Fängigkeit anwandernder Männchen somit kaum repräsentativ.
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KORDGES
Abb. 3: Männchen mit Eigelegen. Oben: Mit einem frischen Gelege aus ca. 90 Eiern, die von zwei
Weibchen stammen. Unten: Ebenfalls ein Doppelgelege aus ca. 90 Eiern, wobei eines der beiden
Gelege schlecht befestigt ist und verloren zu gehen droht.
Males with egg cluches. Above: With a clutch of ca. 90 eggs, resulting from two females. Below: Also
a double clutch of ca. 90 eggs, where one clutch is fixed inappropriate and in danger of going lost.
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7
Tab. 1: Fangzaundaten Voßbeck 1999.
Records at the amphibian fence, Voßbeck 1999.
Art
Erdkröte
Grasfrosch
Teichmolch
Bergmolch
Geburtshelferkröte
Kreuzkröte
∑
Febr.
6
3
8
17
März
4 299
1 295
1 022
349
8
6 973
April
57
13
187
54
21
2
334
Mai
73
2
25
8
38
9
155
Juni
260
1
13
2
34
12
322
∑
4 689
1 317
1 250
421
101
23
7 801
%
60,1
17,6
16,0
5,4
1,3
0,3
April
211
49
215
90
7
2
574
Mai
43
7
49
70
23
5
197
Juni
51
4
11
5
10
1
82
∑
3 195
372
764
360
43
8
4 742
%
67,4
7,8
16,1
7,6
0,9
0,2
Tab. 2: Fangzaundaten Voßbeck 2000.
Records at the amphibian fence, Voßbeck 2000.
Art
Erdkröte
Grasfrosch
Teichmolch
Bergmolch
Geburtshelferkröte
Kreuzkröte
∑
Febr.
6
2
8
März
2 890
306
487
195
3
3 881
Wiederholte nächtliche Begehungen des Grubengeländes zwecks quantitativer Erfassung rufaktiver Tiere erbrachten in den Vorjahren jeweils 10 bis 15 rufende Exemplare, die z. T. über das gesamte Grubengelände verteilt riefen. Die Daten bestätigen,
dass meistens nur ein Teil der Adulttiere am Rufgeschehen teilnimmt sowie die Problematik von Hochrechnungen auf die Bestandsgröße der Adultpopulation, die auf
akustischen Erfassungen beruhen (BUCHHOLZ 1989).
3.2 Phänologie
Adulti. In beiden Jahren begann die Jahresaktivität der Geburtshelferkröten bereits
Mitte März. 1999 gelangen die ersten Zaunfänge in der mild-regnerischen Nacht vom
13.3. auf den 14.3., zeitgleich mit der ersten großen Anwanderungswelle von über
1 500 Erdkröten, Grasfröschen sowie Teich- und Bergmolchen. Im Folgejahr 2000 fiel
der erste Zaunfund auf den 18.3. In beiden Jahren steigen die Fangzahlen über die
Monate März, April bis Mai an, um im Juni dann wieder etwas abzufallen.
Bereits wenige Tage nach Beginn der Jahresaktivität setzten bei milder Witterung
schwache abendliche Rufaktivitäten ein. Bemerkenswert sind regelmäßige morgendliche Rufaktivitäten (6:30 bis 8:00 Uhr) einzelner Tiere zwischen dem 27.3. und
10.4.1999, die bei feucht-milder Witterung vereinzelt noch bis gegen Mitte Mai registriert werden konnten. In 2000 wurden die ersten morgendlichen Rufaktivitäten bereits
am 21.3. registriert. Das erste Gelege tragende Männchen datiert vom 2.4.1999. Im
selben Jahr wurde das erste Männchen mit reifem Eipaket am 8.5. und 2000 am 5.5.
beobachtet. Eine verstärkte Anwanderung Eier tragender Männchen mit reifen Eipaketen erfolgte in beiden Jahren gegen Mitte bis Ende Mai und erreichte gegen Mitte
bis Ende Juni einen weiteren Höhepunkt.
8
KORDGES
Anfang (z. B. 4.5.2001), meistens aber erst ab Mitte/Ende Mai (z. B. 20.5. und 31.5.2000,
30.5.2002) wurden erneut einzelne Männchen mit ganz frischen Eipaketen registriert,
die offensichtlich den Beginn einer zweiten Laichphase anzeigen. Späte Beobachtungen von Männchen mit frischen Eipaketen datieren vom 18.6.1999 und 5.7.2001, mit
reifen Gelegen bis in den August (9.8.2001) hinein.
Larven. Wiederholt kam es zu einem spontanen Schlupf kompletter Gelege, wenn
Männchen mit reifen Eipaketen in die mit wenigen Zentimeter Wasser gefüllten
Fangbehälter fielen. Die ersten derartigen Larvenfunde datieren im Jahr 1999 vom
21.5., in 2000 bereits vom 10.5.
Gelegentlich sind sämtliche Larvalstadien in einem Gewässer gleichzeitig anzutreffen.
So wurden in einem durch Bodenverdichtung im Frühjahr 2001 entstandenen Flachgewässer noch am 11.8. frisch abgesetzte Larven entdeckt, während die Metamorphose älterer, diesjähriger Larven hier bereits am 3.8. eingesetzt hatte.
Metamorphose. Die ersten Beobachtungen frisch metamorphosierter Tiere (mit
Schwanzstummel) fallen in das letzte Maidrittel (z. B. 23.5.1999 und 31.5.2000) und
markieren den beginnenden Landgang vorjähriger Larven, die im Gewässer überwintert haben. Gegen Ende Juni lassen die Emergenzzahlen dieser Larvengeneration in
beiden Untersuchungsjahren spürbar nach. Der Landgang diesjähriger Larven begann
wiederholt gegen Ende Juli (z. B. 30.7.1999, 27.7.2000, 26.7.2001) und hielt bis Ende
September an. Die letzten Funde frisch metamorphosierter Tiere datieren im Jahr 2000
vom 29.9., in 2001 vom 30.9., und im Jahr 1999, das sich durch einen sehr milden
Herbstanfang auszeichnete, sogar erst vom 18.10.
Juvenile. Der Fund eines juvenilen Tieres vom 14.3.1999 belegt den Beginn der Jahresaktivitäten juveniler zeitgleich mit adulten Tieren.
Diskussion. Die phänologischen Daten stimmen gut mit den Beobachtungen von
BUCHHOLZ (1989), SCHMIEDEHAUSEN (1990) THIESMEIER (1992) und KRONSHAGE (1996)
überein und bestätigen, dass Jahresaktivität, Rufbeginn und Fortpflanzung der Geburtshelferkröte offensichtlich früher einsetzen, als von manchen Autoren vermutet
(z. B. FELDMANN 1981), wenn auch nicht auszuschließen ist, dass es regionale Unterschiede geben könnte und dass die zunehmend milden Winter der letzten 5–10 Jahre
zu berücksichtigen sind. Dessen ungeachtet bleibt die Februar-Meldung sechs Gelege
tragender Männchen vom 14.2.1985 (vgl. MÜNCH 1989) äußerst fragwürdig, zumal
auch andere Details der Fundmeldung unglaubwürdig (s. u.) sind.
3.3 Biometrie
Adulti: Ein Teil der Tiere wurde vermessen (Kopf-Rumpf-Länge = KRL), z. T. auch
gewogen (Masse). Von 164 Tieren >3,0 cm konnten 79 Exemplare als Männchen und
55 als Weibchen zugeordnet werden (Abb. 4). Während Gelege tragende Tiere unschwer als Männchen anzusprechen sind, wurde bei den übrigen Tieren die während
der Fortpflanzungsperiode durch die Bauchhaut der Weibchen gelblich hindurchscheinenden Ovarien als weiteres geschlechtsdiagnostisches Merkmal herangezogen
(vgl. Abb. 5). Die verbleibenden 30 Tiere konnten auf diese Weise nicht sicher zugeordnet werden (Abb. 6).
Zur Biologie der Geburtshelferkröte in Kalksteinbrüchen des Niederbergischen Landes
9
12
Männchen
Anzahl
10
Weibchen
8
6
4
2
5,0
4,9
4,8
4,7
4,6
4,5
4,4
4,3
4,2
4,1
4,0
3,9
3,8
3,7
3,6
3,5
3,4
3,3
3,2
3,1
0
Länge (cm)
Abb. 4: Größenvergleich adulter Männchen und Weibchen (n = 134).
Comparison of length of males and females (n = 134).
Abb. 5: Oben: Während der Fortpflanzungssaison sind die gelblich durch die Bauchaut der Weibchen
hindurchscheinenden Ovarien ein gutes Merkmal zur Unterscheidung der Geschlechter. Links ein
Weibchen, rechts das etwas kleinere Männchen. Unten: Weibchen-Gruppe mit unterschiedlich gut
gefüllten Ovarien.
Above: During the breeding season the yellowish ovarians glimmering through the ventral skin are a
good parameter discriminating the sexes. Female left and the somewhat smaller male right. Below: A
group of females with different filled ovarians.
10
KORDGES
8
7
Anzahl
6
5
4
3
2
1
5,0
4,9
4,8
4,7
4,6
4,5
4,4
4,3
4,2
4,1
4,0
3,9
3,8
3,7
3,6
3,5
3,4
3,3
3,2
3,1
0
KRL (cm)
Abb. 6: Kopf-Rumpf-Längen von Alytes obstetricans, Geschlecht unbekannt (n = 30).
Snout-vent-length of Alytes obstetricans, sex unknow (n = 30).
Setzt man voraus, dass die Ovarien geschlechtsreifer Weibchen selbst nach gerade
erfolgter Laichabgabe nicht völlig leer und somit auch weiterhin durch die Bauchhaut
sichtbar sein sollten, so dürfte es sich bei den nicht zuzuordnenden Tieren >3,7 cm
mehrheitlich um adulte Männchen gehandelt haben. In den Größenklassen <3,8 cm
sollten hingegen verstärkt semiadulte, noch nicht geschlechtsreife Weibchen repräsentiert sein, da, von wenigen Ausnahmen abgesehen, die kleinsten Weibchen mit reifen
Ovarien KRL >3,8 cm besaßen.
Larven. Aus drei verschiedenen Gelegen wurden unmittelbar nach dem Schlupf insgesamt 50 Larven vermessen: Die Größe der Larven lag in der Regel zwischen 14 und
16 mm, ausnahmsweise auch zwischen 12 und 19 mm. Bei Beginn der Metamorphose
wiesen die Larven in der Regel Gesamtlängen zwischen 57 und 74 mm auf. Die größte
im Untersuchungsgebiet vermessene Larve besaß eine Gesamtlänge von 84 mm.
Juvenile. Die KRL und Körpermasse frisch metamorphosierter Jungtiere variiert
erheblich. Nach Resorption der Schwanzstummel wurden KRL zwischen 16 und
29 mm ermittelt. Die meisten Jungtiere wiesen eine Metamorphosegröße von 2225 mm auf (Abb. 7); der Durchschnittswert für 230 vermessene Tiere betrug 23,5 mm.
Anzahl Jungtiere
60
50
40
30
20
10
0
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
KRL (mm)
Abb. 7: Kopf-Rumpf-Länge frisch metamorphosierter Jungtiere (n = 230).
Snout-vent-length of metamorphosed juveniles (n = 230).
26
27
28
29
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Tab. 3: Kopf-Rumpf-Länge frisch metamorphosierter Jungtiere in Abhängigkeit vom Metamophosezeitpunkt, n = 230.
Snout-vent-length of metamorphosed juveniles, in dependance on the time of metamorphosis, n =
230.
Monate
Mai–Juni
Juli–August
September –Oktober
∅
23,42 mm
23,55 mm
23,66 mm
Anzahl (n)
28
94
108
min - max
16 - 26 mm
19 - 27 mm
17 - 29 mm
Entgegen den Erwartungen konnte die Beobachtung von THIESMEIER (1992) nicht
bestätigt werden, dass aus den überwinternden Larven im Mai und Juni größere
Jungtiere schlüpfen als aus diesjährigen Larven. Vielmehr lassen die vorliegenden
Daten darauf schließen, dass die KRL der Schlüpflinge vom Frühsommer über den
Hochsommer bis zum Frühherbst unverändert bleibt oder sogar geringfügig zunimmt
(Tab. 3).
Länge und Masse: Abbildung 8 gibt die Längen- und Massedaten 83 adulter Tiere
wieder. Es bestätigt sich, dass Weibchen tendenziell größer und schwerer sind als die
Männchen (vgl. Tab. 4). Bemerkenswert sind die Massedaten Gelege tragender Männchen, deren Gelege – insbesondere im Fall von Mehrfachgelegen – u. U. die Eigenmasse der Tiere erreichen kann.
Masse (g)
An frisch abgelegten reifen Eipaketen wurde eine Masse von durchschnittlich 0,075 g
je Ei ermittelt, sodass ein Durchschnittsgelege mit 50 Eiern eine Masse von ca. 3,75 g
aufweist.
14,5
14
13,5
13
12,5
12
11,5
11
10,5
10
9,5
9
8,5
8
7,5
7
6,5
6
5,5
5
4,5
4
3,5
3
Männchen
3
3,1
3,2
Weibchen
3,3
3,4
Männchen mit Eiern
3,5
3,6
3,7
3,8
3,9
KRL (cm)
Abb. 8: Längen- und Massedaten adulter Tiere (n = 83).
Length and mass data of adult animals (n = 83).
4
4,1
4,2
4,3
4,4
4,5
4,6
4,7
12
KORDGES
Tab. 4: Massedaten adulter Geburtshelferkröten (g).
Mass of adult Alytes obstetricans (g).
Männchen
Weibchen
Anzahl (n)
40
35
∅
5,38
7,91
min
3,56
5,40
max
8,28
14,18
Diskussion. Den Tabellen 5 und 6 sind die ermittelten KRL, Durchschnittswerte
sowie die jeweiligen Minima und Maxima zu entnehmen, denen die wenigen verfügbaren Vergleichsdaten aus Nordrhein-Westfalen gegenübergestellt werden. Ergänzt
werden die Tabellen durch die Daten von BUCHHOLZ (1989), die gegenwärtig die
größten Serien biometrischer Daten der Geburtshelferkröte in Deutschland darstellen
(vgl. GÜNTHER & SCHEIDT 1996).
Gemeinsames Merkmal aller aufgeführten Serien ist die größere KRL der Weibchen
sowie die Beobachtung, dass die von verschiedenen Autoren für beide Geschlechter
(z. B. NÖLLERT & NÖLLERT 1992) angegebene Maximallänge von bis zu 5,5 cm nicht
annähernd erreicht wird. Auch GÜNTHER & SCHEIDT (1996) können derart großwüchsige Tiere in Deutschland nicht bestätigen, sodass es fraglich erscheint, ob Tiere der in
Mitteleuropa lebenden Nominatform überhaupt so groß werden können.
Ebenfalls zweifelhaft ist die Meldung von MÜNCH (1989), der ein Eier tragendes
Männchen mit einer KRL von 2,5 cm gefunden haben will (s. o.). Wie Abbildung 8
und Tabelle 5 zu entnehmen ist, sind derartige Größenklassen als post-metamorphosierte Tiere anzusprechen. Tatsächlich tritt die Geschlechtsreife zumindest der
Männchen deutlich früher ein, als verschiedene Autoren vermuten. So besaß das
kleinste Eier tragende Männchen eine KRL von nur 3,1 cm. BUCHHOLZ (1989) gibt die
kleinsten adulten Männchen mit 3,2 cm und LOSKE & RINSCHE (1985) geben 3,3 cm an.
Tab. 5: Kopf-Rumpf-Längen (cm) von A. obstetricans-Männchen in NRW im Vergleich zu Werten aus
Bayern.
Snout-vent-length (cm) of male A. obstetricans in Northrhine-Westphalia in comparison with data
from Bavaria.
Region
Bergisches Land
Kreis Soest
Sauerland
Niederbergisches Land
Bonn
Vorrhön, Bayern
n
30
20
11
79
59
183
∅
3,7
3,8
3,9
3,95
4,1
4,2
min
3,4
3,3
3,6
3,1
3,9
3,2
max
3,9(4,2)
4,3
4,4
4,6
4,4
5,1
Autor
KRONSHAGE (1996)
LOSKE & RINSCHE (1985)
KORDGES (1999 unveröff.)
vorliegende Daten
SCHMIEDEHAUSEN (1990)
BUCHHOLZ (1989)
Tab. 6: Kopf-Rumpf-Längen (cm) von A. obstetricans-Weibchen in NRW im Vergleich zu Werten aus
Bayern.
Snout-vent-length (cm) of female Alytes in Northrhine-Westphalia in comparison with data from
Bavaria.
Region
Bergisches Land
Niederbergisches Land
Bonn
Vorrhön, Bayern
n
10
55
46
40
∅
4,1/4,2
4,27
4,4
4,5
min
3,7/4,0
3,6
4,0
3,9
max
4,4
5,0
4,7
5,0
Autor
KRONSHAGE (1996)
vorliegene Daten
SCHMIEDEHAUSEN (1990)
BUCHHOLZ (1989)
Zur Biologie der Geburtshelferkröte in Kalksteinbrüchen des Niederbergischen Landes
13
18
16
14
Anzahl
12
10
8
6
4
2
120-129
110-119
100-109
90-99
80-89
70-79
60-69
50-59
40-49
30-39
20-29
10-19
0
Anzahl Eier
Abb. 9: Gelegegrößen Eier tragender A. obstetricans-Männchen (n = 64).
Number of eggs carried by the males of A. obstericans (n = 64).
3.4 Gelegegrößen
Die Gelegegrößen 64 in Wuppertal ausgezählter Eipakete schwanken zwischen 18 und
126 Eiern (Abb. 9), wobei die hohen Eizahlen auf Mehrfachgelege hinweisen. Im
Durchschnitt wurden 50,9 Eier je Eipaket ermittelt (Tab. 7).
Auf eine Differenzierung zwischen Einfach- und Mehrfachgelegen wurde aus Gründen des Artenschutzes verzichtet (s. o.). 59 % der Gelege fallen in die Größenklassen
<50 Eier (Abb. 9) und sind nach den Angaben von SCHMIEDEHAUSEN (1990) und BUCHHOLZ (1989), die für Einzelgelege durchschnittlich 39 bzw. 42 Eier (±11) Eier ermittelten, als Einzelgelege einzustufen. Bei den verbleibenden Gelegegrößen (>50 Eier)
dürfte es sich daher um Mehrfach-, in der Regel um Doppelgelege handeln, deren
Anteil hier, genau wie in der Studie von SCHMIEDEHAUSEN (1990), bei ca. 40 % liegt.
Hinweise auf Dreifachgelege (z. B. das Gelege mit 126 Eiern) bleiben die große Ausnahme.
Andere Autoren ermittelten in NRW Durchschnittswerte zwischen 27 und 63,3 Eiern
pro Männchen (vgl. Tab. 7). Berücksichtigt man jedoch lediglich die etwas größeren
Tab. 7: Gelegegrößen von A. obstetricans in NRW im Vergleich zu Werten aus Bayern.
Clutch size of A. obstetricans in Northrhine-Westphalia in comparison with data from Bavaria.
Region
Westfalen
Niederrheinische Bucht
Kreis Soest
Sauerland
Niederbergisches Land
Bonn
Bergisches Land
Vorrhön, Bayern
n
2
10
35
11
64
32
9
148
∅
27
35,8
50,8
50,9
55,7 (39/78)
63,3
42 (±11)
min
22
21
14
19
18
<15
31
24
max
53
33
80
96
126
121
89
142
Autor
FELDMANN (1981)
GALAN et al. (1990)
LOSKE & RINSCHE (1985)
KORDGES 1999 unveröff.
KORDGES vorliegende Daten
SCHMIEDEHAUSEN (1990)
KRONSHAGE (1996)
BUCHHOLZ (1989)
14
KORDGES
Serien, so liegen die Werte zunehmend in der Größenordnung um 42 (±11), die BUCHHOLZ (1989) auf der Basis von 148 Gelegen in der Vorrhön ermittelte.
3.5 Larvalgewässer
In der Wahl ihrer Larvalhabitate erweist sich die Geburtshelferkröte in den Abgrabungsflächen als außerordentlich flexibel. Das Spektrum reicht von temporären
Flachwasserpfützen, wassergefüllten Wagenspuren und ausdauernden, oft mehrjährig wasserführenden Tümpeln über wassergefüllte Fundamentreste und alte Reifenwäschen, technisch ausgebaute Speicherbecken bis hin zu den großen, aufgrund ihrer
Steilwandigkeit sehr strukturarmen Steinbruchweihern.
Hinsichtlich der Larvalökologie lassen sich im Untersuchungsraum – je nach Gewässertyp – drei verschiedene Entwicklungsstrategien beobachten: In sonnenexponierten,
wärmebegünstigten Flachgewässern schließen früh abgesetzte Larven bereits im
Spätsommer des ersten Jahres die Metamorphose ab. Spät abgesetzte Larven überwintern und gehen im folgenden Frühsommer an Land. In den tiefen, sommerkühlen
Steinbruchweihern dürfte eine Larvalüberwinterung auch für die meisten früh abgesetzten Larven obligatorisch sein.
Eine Typisierung von 42 in den Jahren 1999 bis 2002 untersuchten Larvalgewässern
innerhalb der Abgrabungsflächen im Raum Wuppertal/Mettmann lieferte folgendes
Ergebnis: Die häufigsten Gewässertypen sind kleine bis mittelgroße (25–250 m2) sonnenexponierte Tümpel mit einer schwankenden, in der Regel aber ganzjährigen Wasserführung (13x) sowie sonnenexponierte, stark austrocknungsgefährdete Flachgewässer (Pfützen und Lachen, hier typischerweise vergesellschaftet mit der Kreuzkröte
Bufo calamita, 10x). Völlig andersartige Gewässertypen sind die großdimensionierten
Steinbruchweiher (9x), die mehrheitlich als steilufrige Tiefengewässer ausgeprägt sind
(Abb. 9). Bei den restlichen Standorten handelt es sich um größere, struktur- und
nährstoffreichere Sedimentationsbecken der Kalkindustrie (Klärteiche) (5x) sowie
übrige Sonderstandorte (5x), wie wassergefüllte technische Betriebsanlagen (z. B.
Fundamentreste, Reifenwäsche) und Folienteiche.
_______________________
Abb. 10: Oben: Im Rahmen des laufenden Gesteinsabbaus entstehen immer wieder temporäre Flachgewässer, die von Kreuzkröte, Geburtshelferkröte und Bergmolch als Laichgewässer genutzt werden.
Mitte: Auch tiefe, steilwandige und sommerkühle Abgrabungsgewässer werden als Larvalhabitate
genutzt. Die Habitateignung der landseitigen Uferbereiche ist topografisch bedingt jedoch deutlich
limitiert. Unten: Wassergefüllte Wagenspur einer Abraumhalde, die trotz geringer Wasserstände
über mehrere Jahre hinweg erfolgreich als Laichgewässer von Geburtshelfer- und Kreuzkröte sowie
als Überwinterungsgewässer von Alytes-Larven genutzt wurde.
Above: During rock mining temoprary pools are created permanently. They are used by Bufo calamita,
Alytes obstetricans and Triturus alpestris as spawning site. Middle: Even deep, steep faced, and summer
cool mining waters are used as larval habitats. The suitability of the terrestrial habitats is less dependent on the extreme topografical situation. Below: Water filled tracks can used over years successfully as spawning sites for A. obstetricans and B. calamita, and allow Alytes larvae hibernating too.
Zur Biologie der Geburtshelferkröte in Kalksteinbrüchen des Niederbergischen Landes
15
16
KORDGES
Anzahl Gewässer
10
Abb. 11: Anzahl Amphibienarten
in 42 Larvalgewässern der Geburtshelferkröte.
Number of amphibian species in
42 aquatic habitats of A. obstetricans larvae.
8
6
4
2
0
1
2
3
4
5
6
7
8
Anzahl Amphibien
3.6 Vergesellschaftung
Anzahl Gewässer
In den untersuchten Larvalgewässern ist die Geburtshelferkröte mit durchschnittlich
3,19, ausnahmsweise bis zu sieben weiteren Amphibienarten vergesellschaftet
(Abb. 11). Darunter befinden sich gleichermaßen typische r-Strategen, wie z. B. die
Kreuzkröte (Bufo calamita), als auch K-Strategen (z. B. Erdkröte, Bufo bufo). Den größten Anteil gemeinsamer Vorkommen, ermittelt an 42 Larvengewässern, erreicht der
Bergmolch (Triturus alpestris), gefolgt von Kreuzkröte und Teichmolch (T. vulgaris)
(vgl. Abb. 12). Deutlich geringere Werte weisen Erdkröte und Grasfrosch (Rana temporaria) auf, während Kammmolch (T. cristatus), Fadenmolch (T. helveticus), Feuersalamander (Salamandra salamandra) und Teichfrosch (Rana kl. esculenta) lediglich sporadisch in Alytes-Gewässern registriert wurden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass diese
Reihung weniger die ökologischen Präferenzen der Geburtshelferkröte wiedergibt,
sondern vielmehr die Häufigkeit der genannten Arten innerhalb der Steinbruchflächen. So ist A. obstetricans außerhalb der Steinbrüche im Niederbergischen Raum z. B.
regelmäßig auch mit Feuersalamander und Fadenmolch (z. B. Quellteiche und Bachstaue in Waldrandlage) vergesellschaftet. Aus Tongruben des Westerwaldes sind dem
Verfasser darüber hinaus mehrere Standorte bekannt, wo Geburtshelferkröten regelmäßig auch mit Kammmolch, Teichfrosch, Laubfrosch (Hyla arborea) und Gelbbauchunke (Bombina variegata) vergesellschaftet sind.
40
35
30
25
20
15
10
5
0
Ta
Bc
Tv
Bb
Rt
Tc
Vergesellschaftete Arten
Re
Ss
Th
Abb. 12: Vergesellschaftung der
Geburtshelferkröte mit anderen
Amphibienarten in ihren Larvalgewässern (n = 42). Ta = Triturus
alpestris, Bc = Bufo calamita, Tv =
T. vulgaris, Bb = Bufo bufo, Rt =
Rana temporaria, Tc = T. cristatus,
Re = R. kl. esculenta, Ss = Salamandra salamandra, Th = T. helveticus.
Association of A. obstetricans with
other amphibian species in its
aquatic habitat (n = 42).
Zur Biologie der Geburtshelferkröte in Kalksteinbrüchen des Niederbergischen Landes
4
17
Schutz und Gefährdung
4.1 Kalksteinbrüche als Lebensräume
Abgrabungsflächen sind in der heutigen Kulturlandschaft wertvolle Sonderstandorte
mit bemerkenswerten Refugialfunktionen für die Herpetofauna (z. B. SCHLÜPMANN &
GEIGER 1999, KORDGES 2001). Schon früh wiesen einzelne Autoren darauf hin, dass
dies insbesondere für die Geburtshelferkröte gilt, die in besonderem Maße von dem
Lebensraumtyp Steinbruch profitiert (FELDMANN 1981, LOSKE 1984, LOSKE & RINSCHE
1985). So erreichte die Art mit einer Stetigkeit von 86 % in 56 westfälischen Abgrabungen einen absoluten Spitzenwert, der sie geradezu als Charakterart westfälischer
Steinbrüche ausweist (FELDMANN 1987). Auch gegenwärtig sind Abgrabungen der am
häufigsten genannte Biotoptyp der Geburtshelferkröte in Nordrhein-Westfalen (WEBER 2003), und in Rheinland-Pfalz stammen sogar 79 % aller landesweiten Meldungen
aus Steinbrüchen und Grubengeländen (EISLÖFFEL 1996).
Für den Raum Wuppertal verweisen SCHALL et al. (1985) diesbezüglich ausdrücklich
auf die überregionale Bedeutung der Abgrabungsflächen der Kalkindustrie, die auch
Gegenstand der vorliegenden Studie sind. Zur damaligen Bestandssituation schrieben
die Autoren: »...finden sich in den Kalksteinbrüchen außerordentlich große Bestände
von meist weit über 100 Exemplaren. Im gesamten Kalkabbaugebiet leben daher weit
über 1 000 erwachsene Tiere, wahrscheinlich sogar weit über 10000. Es dürfte sich um
eines der größten Vorkommen Nordrhein-Westfalens, wenn nicht der Bundesrepublik
oder Mitteleuropas überhaupt handeln.«
Diese bemerkenswerte Bestandseinschätzung trifft auf die aktuelle Situation sicherlich
nicht mehr zu. Zwar erreicht die Geburtshelferkröte gegenwärtig in 20 untersuchten
und mehrheitlich noch im Betrieb befindlichen Kalksteinbrüchen oder Betriebsstandorten im Raum Wuppertal/Mettmann mit einer Stetigkeit von 75 % noch Werte, die
aktuell nur noch von weit verbreiteten Aren wie z. B. Berg- und Teichmolch sowie
Erdkröte übertroffen werden. Koloniegrößen mit weit über 100 rufenden(!) Tieren
sind heute aber nicht mehr bekannt und beschränken sich vielmehr auf Populationen
mit mehrheitlich deutlich weniger als 50, oft auch weniger als 25 rufenden Tieren.
Die Ursachen der rückläufigen Bestandsentwicklung sind vielschichtig und resultieren vorrangig aus dem aktuellen Stand der Lagerstättenerschließung sowie aus veränderten Abbautechniken. Bereits gegen Mitte des letzten Jahrhunderts waren die
meisten der heutigen Abbauflächen aufgeschlossen und hatten ihre laterale Ausdehnung mehr oder weniger erreicht. Verglichen mit heute lagen die Fördermengen auf
niedrigem Niveau, was zur Folge hatte, dass die Steinbruchsohlen sich relativ langsam in den Untergrund einsenkten. Trotz Abbaubetrieb blieben daher regelmäßig
einzelne innerbetriebliche Flächen oft über Jahre ungenutzt, die in sich der Folge zu
geeigneten Sommer- und Winterquartieren für Geburtshelferkröten entwickelten. In
mehreren Steinbrüchen wurde darüber hinaus der Abbau eingestellt, sodass sich auch
hier, parallel zur beginnenden Sukzession, z. T. außerordentlich große Populationen
entwickeln konnten.
Inzwischen sind die oberflächennahen Kalksteinvorkommen in den aufgeschlossenen
Lagerstätten weitgehend erschöpft. Da laterale Steinbrucherweiterungen oder Neu-
18
KORDGES
aufschlüsse aufgrund konkurrierender Nutzungen (z. B. Wohnsiedlungen) oder der
damit verbundenen Eingriffe (Grundwasser, FFH-Thematik etc.) auf erhebliche eigentums- und genehmigungsrechtliche Widerstände stoßen, geht man innerhalb der
Steinbrüche zunehmend zum Tiefenabbau über. Dieser wird je nach Betriebsstandort
ohnehin schon seit mehreren Jahrzehnten betrieben und erfordert zwecks Trockenhaltung der Abbausohlen ggf. eine intensive Sümpfung des Grundwassers. Zukünftig
sollen dabei lokal Abbautiefen bis unter 100 m NN und tiefer erreicht werden.
Als Folge dieser Entwicklung kommt es zu einer immer effizienteren Nutzung der
Lagerstätten und zu einer Beschleunigung der Betriebsabläufe. Insbesondere die
»Turnover«-Zeiten der Abbausohlen verkürzen sich bei zunehmender Eintiefung,
sodass die kleinflächigen, für Alytes-Populationen aber existenziell wichtigen innerbetrieblichen Resthabitate komplett verloren gehen.
Ein weiterer Effekt der Erschließungsprobleme ist die Reaktivierung bereits stillgelegter Abgrabungsflächen, die unter heutigen Rahmenbedingungen mittels moderner
Abbautechniken wieder ökonomisch nutzbar erscheinen. Dass dabei u. U. äußerst
wertvolle Lebensräume verloren gehen, wird durch das vorliegende Beispiel der
Grube Voßbeck dokumentiert.
Eine weitere Konsequenz der aktuellen abbautechnischen Entwicklungen ist die u. U.
nur noch stark eingeschränkte Habitatqualität der Steinbrüche nach Betriebsende.
Während stillgelegte Steinbrüche früher – soweit eine gewerbliche Folgenutzung,
Verfüllung etc. ausblieb – per se als Vorzugshabitate für Geburtshelferkröten betrachtet werden konnten, trifft dies auf Tiefenabgrabungen nur noch bedingt zu. Hier
entstehen zukünftig steilwandige Tiefengewässer, die mangels Flachwasserzonen und
angrenzender Landhabitate nur über ein begrenztes Ressourcenangebot für AlytesPopulationen verfügen.
Im Rahmen der Genehmigungsplanungen ist daher stärker als bisher zu prüfen, welche Möglichkeiten der Berücksichtigung von Artenschutzbelangen bereits während
des Abbaubetriebes bestehen (z. B. Ausweisung kleinflächiger, an den Abbaufortschritt angepasster »Tabuzonen«, Nachweis einer Mindestdichte von Kleingewässern). Eigene Erfahrungen belegen, dass vorhandene Standortpotenziale in Absprache
mit den Steinbruchbetreibern oft sehr effizient genutzt werden können, ohne dass
betriebliche Belange dabei beeinträchtigt werden. Dies setzt allerdings Kommunikation und Kooperationsbereitschaft, eine hinreichende Vertrauensbasis zwischen allen
Beteiligten (z. B. Betreiber, Fachbehörde, Planungsbüro) sowie eine entsprechende
Würdigung durch die Genehmigungsbehörde (z. B. Anrechnung als Kompensationsleistung, Ökokonto) voraus.
Weitere Gestaltungsspielräume existieren im Rahmen von Kompensationsmaßnahmen sowie bei der Wiederherrichtungsplanung. Ein besondere Rolle kommt dabei
der Verwendung des anfallenden Abraummaterials zu, das im Falle einer Innenverkippung ggf. zur gezielten Profilierung von Kleingewässern und Flachwasserzonen
genutzt werden kann. Bei Aufhaldungen außerhalb des Steinbruches sind insbesondere solche Maßnahmen kritisch zu hinterfragen, die zu einer schnellen Eingrünung
der Haldenkörper führen (z. B. Auftrag organischer Böden, Düngung, LeguminosenEinsaat, Pflanzmaßnahmen, Aufforstung etc. vgl. z. B. OLSCHOWY 1993).
Zur Biologie der Geburtshelferkröte in Kalksteinbrüchen des Niederbergischen Landes
19
Unverständlicherweise zählen solche Maßnahmen noch immer zum Standard vieler
Renaturierungsplanungen, ohne dabei zu berücksichtigen, dass dies eine standörtliche Nivellierung der faunistisch-floristisch u. U. sehr wertvollen Rohbodenstandorte
bewirkt (z. B. KORDGES 1994, 2001).
4.2 Steinbrüche als Naturschutzgebiete (NSG)
Auch außerhalb der betrieblich genutzten Abgrabungsflächen hat sich das von
SCHALL et al. (1985) geschilderte »Alytes-freundliche« Umfeld im Raum Wuppertal/
Mettmann verändert. In mehreren zwischenzeitlich als NSG ausgewiesenen Steinbrüchen zeigen sich deutlich rückläufige Bestandsentwicklungen, die lokal auf natürliche
Sukzession sowohl der Laichgewässer als auch der Landhabitate zurückzuführen
sind. Verlandung von Kleingewässern und alten Sedimentationsbecken sowie die mit
der großflächigen Entwicklung dauerhafter Vorwaldstadien verbundenen Veränderungen des Standortklimas (z. B. zunehmende Beschattung der Sommerhabitate)
führen zu einer spürbaren Habitatentwertung und zu Bestandsschrumpfungen. In
ähnlicher Weise wirkt der Verlust der Laichgewässer durch Grundwasserabsenkung.
Gleiches gilt aber auch für die großflächige Flutung von Steinbruchsohlen, wenn sich
nach Sümpfungsende wieder ein natürlicher Grundwasserspiegel einstellt, der zur
Überflutung von Laich- und Landhabitaten führt.
Grundsätzlich erweist sich die Geburtshelferkröte gegenüber sukzessionsbedingten
Veränderungen der Land- und Larvalhabitate als wesentlich robuster, als die oft
gleichzeitig vorkommende Kreuzkröte (Bufo calamita). So reagiert letztere sehr empfindlich auf den Verlust betriebsbedingter Flächendynamik (z. B. durch Schwerlastverkehr verdichtete Flachgewässer und Reifenspuren, ständig »aktualisiertes« Angebot an Rohbodenflächen), was häufig zum Erlöschen der Bestände führt. Im Vergleich
dazu verfügen Geburtshelferkröten hinsichtlich der Laichgewässer über zahlreiche
Optionen. Bei zunehmender Verbuschung der Landhabitate wurde mehrfach beobachtet, dass die Bestände zwar spürbar zurückgehen, kleine Restpopulationen aber
über lange Zeiträume ein ausgesprochenes Verharrungsvermögen besitzen und auf
niedrigem Populationsniveau stabil scheinen. Eine besondere Bedeutung als Refugialhabitat kommt dabei (möglichst südexponierten) Blockschutthalden zu, die aufgrund ihrer edaphisch-pedologisch extremen Standortbedingungen nur sehr langsam
von Pioniergehölzen besiedelt werden und damit langfristig geeignete Land- und
Winterhabitate darstellen.
4.3 Larvalphase
Je nach Gewässertyp sind die Larven unterschiedlichen Gefährdungen ausgesetzt.
Temporäre sonnenexponierte Larvalgewässer sind durch geringen Feinddruck und
thermisch begünstigte, kurze Larvalzeiten gekennzeichnet, die aber dem ständigen
Risiko des frühzeitigen Austrocknens unterliegen. Dabei scheinen Alytes-Larven ab
einem gewissen Entwicklungsstadium befähigt, bei sinkendem Wasserstand eine
verfrühte »Not-Metamorphose« einzuleiten und auf diese Weise das Austrocknungsrisiko zu mindern. So wurden beispielsweise im Uferbereich eines soeben ausgetrockneten Larvengewässers zahlreiche frisch metamorphosierte Jungtiere registriert, deren
20
KORDGES
Abb. 13: In temporären Kleingewässern sind Alytes-Larven einem erhöhten Austrocknungsrisko
ausgesetzt. Ältere Larven haben aber die Fähigkeit, kurze Trockenphasen im feuchten Schlamm
eingegraben zu überdauern.
In small temporary pools Alytes larvae have a higher desiccation risk. Elder larvae have the abililty to
withstand short periods of desiccation dug in moist mud.
Längen- und Massewerte erheblich unter dem Durchschnitt frisch geschlüpfter Tiere
lagen. Ferner profitiert die Art offensichtlich von einer gewissen Austrocknungstoleranz der Larven (Abb. 139. Wiederholt wurde beobachtet, dass insbesondere ältere, in
den Schlamm eingegrabene Alytes-Larven ein kurzes Trockenfallen von Flachgewässern erfolgreich überdauerten, während z. B. Molchlarven und selbst die relativ robusten Kreuzkrötenlarven komplett abstarben.
Selbst eine Überwinterung der Larven scheint in Flachgewässern möglich. Während
verschiedene Autoren dies mit dem Hinweis auf das vollständige Durchfrieren der
Standorte eher ausschließen, belegen wiederholte Funde älterer Larven eine erfolgreiche Überwinterung in Gewässern, die mit winterlichen Wasserständen von <25 cm
weitgehend durchfrieren dürften (BLAB 1986). Bemerkenswerterweise bleiben Käscheraktionen in derartigen Gewässern im Zeitraum November bis Mitte April nahezu ergebnislos, was auf ein tief im lehmigen Gewässerboden eingegrabenes mehrmonatiges Überwintern schließen lässt (THIESMEIER 1992).
4.4 Prädation
Eine weitere artspezifische Besonderheit ist die – im Vergleich mit Rana-, Hyla oder
Triturus-Larven – deutlich geringere Gefährdungsexposition der Larven gegenüber
dem Prädationsdruck durch Fische. Der Schlupf der Larven erfolgt in der Regel wenige Minuten nachdem die Gelege tragenden Männchen das Wasser aufgesucht haben.
Dabei erweisen sich bereits die frisch geschlüpften Larven als hochmobile, rasche
Schwimmer, sodass die für andere Amphibienarten obligatorische gefährliche und oft
Zur Biologie der Geburtshelferkröte in Kalksteinbrüchen des Niederbergischen Landes
21
tage- oder sogar wochenlange Eiphase sowie die noch weitgehend immobile Phase
unmittelbar nach dem Schlupf der Larven bei Alytes weitgehend entfällt.
Auch die Größe der Larven mindert das Prädationsrisiko. Mit einer Körperlänge von
in der Regel 14-16 mm sind frisch geschlüpfte Alytes-Larven bereits deutlich großwüchsiger als Rana- oder Bufo-Larven und fallen damit aus dem Beutespektrum mancher Klein- und Jungfische bereits heraus. Insbesondere gilt dies für die rasch heranwachsenden und großwüchsigen älteren Larven, die sich darüber hinaus durch ausgeprägte Fluchtreaktionen potenziellen Nachstellungen entziehen.
Tatsächlich können sich auch in mit Nutzfischen besetzten und fischereilich genutzten
Steinbruchweihern vitale Rufkolonien der Geburtshelferkröte behaupten. Die früher
gelegentlich geäußerte Vermutung, Alytes-Larven würden von Fischen verschmäht, ist
jedoch widerlegt, wie z. B. BUCHHOLZ (1989) mittels Larvenresten im Magen von
Schleien nachweisen konnte. Entscheidend für eine Koexistenz von Alytes-Larven und
Fischen sind vermutlich das Angebot an Gewässerstrukturen, die Besatzart sowie die
Besatzdichte, wie an folgendem Beispiel erläutert werden soll:
In dem großen Weiher eines Basaltsteinbruches im Westerwald verfolgte ich über
mehrere Jahre hinweg eine starke Rufkolonie (deutlich >50 rufende Tiere), die trotz
Angelnutzung (u. a. Hecht, Zander, Flussbarsch, Regenbogenforelle, Karpfen, Döbel
u. a. Weißfische) keine negativen Bestandsveränderungen erkennen ließ. Als Ursache
dieser überraschenden Koexistenz vermutete ich einerseits die Tatsache, dass ein Teil
der Raubfische typische Freiwasser-Jäger waren, während Alytes-Larven aufgrund
ihrer benthischen Lebensweise fast immer Substratkontakt suchen (vgl. CAMPENY &
CASINOS 1989). Andererseits belegten eigene, mittels Schnorchel unterstützte Beobachtungen, dass die Alytes-Larven eindeutig die bis tief in das Wasser hinein als Blockschutthalden ausgeprägten Uferbereiche bevorzugten. Hier fanden sich erhöhte Larvendichten, die auf eine gezielte Nutzung dieses aquatischen Hohlraumlückensystems schließen lassen, das gleichermaßen durch sein Angebot an Versteckplätzen
sowie – bedingt durch die große Oberfläche – das gute Nahrungsangebot an Aufwuchsalgen gekennzeichnet war.
Während Raubfische der Freiwasserzonen deratige Kleinhabitate kaum zu jagdlichen
Zwecken nutzen, boten die untergetauchten Blockschutthalden bei einem Besatz mit
Aalen offensichtlich keinen hinreichenden Schutz mehr. So wurde in dem Steinbruchweiher nach erfolgtem Besatz ein spürbarer Rückgang der Larvendichten verzeichnet, der innerhalb weniger Jahre zu einer deutlichen Bestandsschrumpfung der
Kolonie führte. Ein ähnlicher Effekt wurde in einem anderen Gewässer nach dem
Besatz mit Krebsen beobachtet.
Sowohl Aale als auch Krebse sind omnivore, nachtaktive Arten mit einem ausgeprägten Geruchssinn, die ihre Reviere systematisch absuchen und aufgrund ihrer Körpergestalt auch tief in schmale Spalten und Versteckplätze vordringen können.
Bezogen auf den Großraum Wuppertal bleibt festzuhalten, dass ausnahmslos alle (!)
untersuchten Steinbruchweiher trotz offiziell fehlender fischereilicher Nutzung Fischbesatz aufweisen. Besonders problematisch erscheinen in einzelnen Gewässern die
aus Nordamerika stammenden und z. T. in hohen Siedlungsdichten als Neozoen
auftretenden Sonnenbarsche (Lepomis gibbosus) sowie die beiden Krebsarten Orconectes
22
KORDGES
limosus und Pacifastacus leniusculus. Alle drei Arten sind u. a. auch in als Naturschutzgebiet und Artenschutzgewässer ausgewiesenen Alytes-Gewässern nachgewiesen
worden und werden zumindest in einem Fall für den starken Einbruch einer Geburtshelferkröten-Kolonie sowie weiterer Amphibien-Populationen verantwortlich gemacht (z. B. AXELSSON et al. 1997, FLINDT & HEMMER 1969).
4.4 Krötengoldfliege
Laut BRUMPT (1934), der Wahlversuche zur Wirtspräferenz der Krötengoldfliege (Lucilia bufonivora) durchführte, soll der Amphibienparasit neben der Erdkröte (Bufo bufo)
bevorzugt Geburtshelferkröten parasitieren. Auch MEISTERHANS & HEUSSER (1970)
sowie SCHMIEDEHAUSEN (1990) berichten von Lucilia-Befall an Alytes, der in NRW auch
von anderen Gewährsleuten bestätigt wird (z. B. J. BLAB, Bonn u. G. WEBER, Bochum,
schriftl. Mitt.). Eine ausgesprochene Wirtspräferenz für Alytes kann aber nicht bestätigt werden, da in den Untersuchungsflächen 1999 und 2000 zwar Dutzende von
Erdkröten parasitiert wurden, als weitere Wirtsarten im Steinbruchgelände aber lediglich – je einmal – Kreuzkröte (Bufo calamita) und Grasfrosch (Rana temporaria) registriert wurden (KORDGES 2000).
5
Danksagung
Mein Dank gilt meinen damaligen Mitarbeitern, namentlich Frau VAN OFFERN, die mich bei den
aufwändigen Zaunkontrollen unterstützten, Frau OEYNHAUSEN für die Erstellung der Grafiken
sowie Herrn Dr. THIESMEIER für die Bereitstellung einer digitalen Präzisionswaage. Auch der
Firma Rheinkalk gilt mein Dank für die Untersuchungsmöglichkeiten und das jederzeit kooperative Verhalten auf den werkseigenen Betriebsflächen, das weit über die genehmigungsrechtlichen Notwendigkeiten hinausreichte. Gleiches gilt für die Fachbehörden des Kreises Mettmann
und der Stadt Wuppertal, deren unbürokratisches Verhalten bei Genehmigungsfragen u. a.
auch die Einbeziehung mehrerer bereits als NSG ausgewiesener Steinbrüche ermöglichte. Nicht
zuletzt danke ich Frau LÜSCHER für die kritische Durchsicht des Manuskriptes.
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Anschrift des Verfassers:
THOMAS KORDGES, Ökoplan, Husmannshofstr. 10, D-45143 Essen,
E-Mail: [email protected]
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