Kapitel 2 Die Prädikentenlogik (erster Stufe)

Werbung
Kapitel 2
Die Prädikentenlogik (erster Stufe)
Mathematische Strukturen und formale Sprachen
Mathematische Logik (WS 2010/11)
Prädikatenlogik 1. Stufe
1 / 43
Übersicht
Vorbemerkungen
Mathematische Strukturen
Prädikatenlogik: Grundzeichen der Sprachen
Prädikatenlogik: Terme
Prädikatenlogik: Formeln und Sätze
Prädikatenlogik: Zentrale semantische Konzepte
Mathematische Logik (WS 2010/11)
Prädikatenlogik 1. Stufe
2 / 43
0. Vorbemerkungen
Mathematische Logik (WS 2010/11)
Prädikatenlogik 1. Stufe
3 / 43
Vorbemerkungen
Wir erweitern hier die Aussagenlogik zur Prädikatenlogik, die uns erlauben
wird Aussagen über mathematische Strukturen zu formalisieren und den
Wahrheitswert dieser Aussagen zu analysieren.
Um über Strukturen sprechen zu können, führen wir Individuenvariablen ein,
die für die Grundobjekte (= Individuen) der Strukturen stehen.
Weiter werden wir Funktionszeichen und Relationszeichen zur Bezeichnung
der ausgezeichneten Funktionen und Relationen der Struktur verwenden,
sowie Konstanten zur Bezeichnung ausgezeichneter Individuen. (Diese
Zeichen hängen von der zu beschreibenden Struktur (genauer von deren
Typ) ab.)
Weiter benötigen wir die Möglichkeit der Quantifizierung. Hierbei
quantifizieren wir nur über die Grundobjekte (“Für alle Individuen gilt ...”
bzw. “Es gibt ein Individuum, für das ... gilt”).
Da man die Individuen einer Struktur auch die Objekte der Stufe 1, Mengen
von Individuen Objekte der Stufe 2 usw. nennt, sprechen wir hier auch von
der Prädikatenlogik 1. Stufe (PL1).
Mathematische Logik (WS 2010/11)
Prädikatenlogik 1. Stufe
4 / 43
Vorbemerkungen
Im Folgenden erläutern wir die gerade genannten Konzepte am Beispiel von
Aussagen über die Struktur der natürlichen Zahlen:
quantifizierte Aussagen über die Grundobjekte (= Individuen)
“Für jede Zahl x gibt es eine Zahl y mit . . . ”
Beziehungen (Relationen) zwischen den Grundobjekten
“. . . x ist kleiner als y ”
Abbildungen (Funktionen) von Grundobjekten
“. . . y ist der Nachfolger von x”
Spezielle Grundobjekte (Konstanten)
“. . . y ist kleiner als x, falls x 6= 0 gilt”
Die Aussage “Zu jeder von Null verschiedenen Zahl x gibt es eine Zahl y , sodass
x der Nachfolger von y ist, wobei y kleiner als x ist.” werden wir durch die Formel
∀ x (¬(x = 0) → ∃ y (x = S(y ) ∧ y < x))
darstellen, wobei S die Nachfolgerfunktion bezeichnet.
Mathematische Logik (WS 2010/11)
Prädikatenlogik 1. Stufe
5 / 43
1. Mathematische Strukturen
Mathematische Logik (WS 2010/11)
Prädikatenlogik 1. Stufe
6 / 43
Mathematische Strukturen: Idee
Eine (mathematische) Struktur A besteht aus
einer nichtleeren Menge A, dem Individuenbereich (oder Träger oder
Universum) der Struktur
Hierbei kann der Individuenbereich beliebige Kardinalität (6= 0) haben, also
endlich oder unendlich (und hier wiederum abzählbar oder überabzählbar)
sein.
ausgezeichneten Relationen und Funktionen auf dem Träger sowie
ausgezeichneten Elementen des Trägers, den Grundrelationen,
Grundfunktionen und Konstanten von A
Hierbei ist die Anzahl der Grundrelationen und Grundfunktionen (sowie
deren Dimension) und die Anzahl der Konstanten beliebig. Es können also
z.B. gar keine Grundrelationen vorkommen oder unendlich viele.
Mathematische Logik (WS 2010/11)
Prädikatenlogik 1. Stufe
7 / 43
Mathematische Strukturen: Formale Definition
DEFINITION. Eine Struktur A ist ein 4-Tupel
A = (A; (RiA |i ∈ I ); (fjA |j ∈ J); (ckA |k ∈ K ))
wobei I , J, K beliebige (möglicherweise leere oder unendliche) Mengen sind und
A eine nichtleere Menge ist (das Universum oder der Träger oder der
Individuenbereich der Struktur A; entsprechend werden die Elemente von A
die Individuen von A genannt),
für jedes i ∈ I RiA eine ni -stellige Relation auf A ist (für ni ≥ 1 geeignet),
d.h. RiA ⊆ Ani (die Grundrelationen von A),
für jedes j ∈ J fjA eine mj -stellige Funktion auf A ist (für mj ≥ 1 geeignet),
d.h. fjA : Amj → A (die Grundfunktionen von A), und
für jedes k ∈ K ckA ein Element von A ist (die Konstanten von A).
Mathematische Logik (WS 2010/11)
Prädikatenlogik 1. Stufe
8 / 43
Mathematische Strukturen: Typ oder Signatur
Die Anzahl der ausgezeichneten Relationen und Funktionen zusammen mit deren
Stelligkeiten sowie die Anzahl der Konstanten bestimmen den Typ einer Struktur:
DEFINITION. Die Struktur A = (A; (RiA |i ∈ I ); (fjA |j ∈ J); (ckA |k ∈ K )) ist vom
Typ oder besitzt die Signatur
σ(A) = ((ni |i ∈ I ); (mj |j ∈ J); K ),
falls RiA ni -stellig und fjA mj -stellig ist.
Enthält eine Struktur keine ausgezeichneten Relationen bzw. Funktionen, so
spricht man auch von einer algebraischen oder funktionalen bzw. relationalen
Struktur.
NOTATION.
Sind die Indexmengen I , J, K endlich, so gehen wir davon aus, dass diese ein Anfangsstück der natürlichen Zahlen sind
und schreiben z.B. statt (RiA |i ∈ {0, . . . , k}) einfach R0A , . . . , RkA und beim Typ statt (ni |i ∈ {0, . . . , k})
entsprechend n0 , . . . , nk .
Ist eine der Indexmengen leer, so lassen wir die entsprechende Komponente in der Beschreibung der Struktur auch weg.
In der Signatur ersetzen wir eine leere Indexmenge auch durch “−”.
Mathematische Logik (WS 2010/11)
Prädikatenlogik 1. Stufe
9 / 43
Mathematische Strukturen: Beispiele
Ein (gerichteter oder ungerichteter) Graph ist eine relationale Struktur
G = (V ; E G ), wobei
I
I
V die Menge der Knoten (vertices) und
E G die 2-stellige Kantenrelation (edges) auf der Knotenmenge ist.
Der Typ von G ist also σ(G) = (2; −; −).
Eine partielle oder lineare Ordnung ist eine relationale Struktur O =
(A; ≤O ), wobei
I
I
A die Menge ist, auf der
die 2-stellige Ordnungsrelation ≤O definiert ist.
Der Typ der Ordnung O ist σ(O) = (2; −; −).
Ordnungen und Graphen haben also denselben Typ (wobei jedoch an die
ausgezeichnete 2-stellige Relation unterschiedliche Anforderungen gestellt
werden).
Mathematische Logik (WS 2010/11)
Prädikatenlogik 1. Stufe
10 / 43
Mathematische Strukturen: Beispiele (Forts.)
Eine Gruppe G ist gegeben durch
I
I
den Träger G von G und
die 2-stellige Verknüpfung +G auf dem Träger.
Nimmt man noch das neutrale Element 0G der Verknüpfung +G hinzu, so
erhält man die Struktur G = (A; +G ; 0G ) vom Typ σ(G) = (−; 2; {0}).
Nimmt man das Inverse als weitere Grundfunktion hinzu, so erhält man die
Struktur G 0 = (A; +G , −G ; 0G ) vom Typ σ(G 0 ) = (−; 2, 1; {0}).
G und G 0 sind algebraische Strukturen.
Ein Körper K kann als (algebraische) Struktur K = (A; +K , ·K ; 0K , 1K ) mit
σ(K) = (−; 2, 2; {0, 1}) beschrieben werden, wobei +K und ·K die
Körperaddition und -multiplikation sind und 0K und 1K die zugehörigen
neutralen Elemente.
Mathematische Logik (WS 2010/11)
Prädikatenlogik 1. Stufe
11 / 43
Mathematische Strukturen: Beispiele (Forts.)
Struktur der natürlichen Zahlen (Arithmetik): Versieht man die Menge der
natürlichen Zahlen N mit Addition und Multiplikation und deren neutralen
Elementen, so erhält man die (algebraische) Struktur N = (N; +, ·; 0, 1)
deren Typ σ(N ) = (−; 2, 2; {0, 1}) mit dem Typ der Körper übereinstimmt.
Erweitern kann man diese Struktur z.B. noch dadurch, dass man die
Ordnung ≤ auf N sowie die Nachfolgerfunktion S(x) = x + 1 als
Grundrelation bzw. -funktion hinzunimmt:
N 0 = (N; ≤; +, ·, S; 0, 1) wobei σ(N 0 ) = (2; 2, 2, 1; {0, 1}).
Man könnte die Struktur der natürlichen Zahlen auch als reine
Ordnungsstruktur betrachten:
N 00 = (N; ≤) wobei σ(N 00 ) = (2; −; −).
Die Wahl der Grundrelationen, Grundfunktionen und Konstanten hat
möglicherweise einen Einfluss darauf, was in der zu einer Struktur
gehörenden Sprache über die Struktur ausgedrückt werden kann.
Wir werden diese Sprachen nun einführen.
Mathematische Logik (WS 2010/11)
Prädikatenlogik 1. Stufe
12 / 43
2. Die Sprachen der Prädikatenlogik: Grundzeichen
Mathematische Logik (WS 2010/11)
Prädikatenlogik 1. Stufe
13 / 43
Die Grundzeichen der Sprache L(σ)
Um über Strukturen eines gegebenen Typs σ = ((ni |i ∈ I ); (mj |j ∈ J); K )
Aussagen machen zu können, führen wir nun die zugehörige Sprache L(σ) ein.
Die Grundzeichen oder das Alphabet der Sprache L = L(σ) bestehen aus
den logischen Zeichen (die nicht von σ abhängen) und
den nichtlogischen Zeichen (die von σ abhängen). Die nichtlogischen
Zeichen sind hierbei gerade Namen für die Grundrelationen,
Grundfunktionen und Konstanten.
Mathematische Logik (WS 2010/11)
Prädikatenlogik 1. Stufe
14 / 43
Die Grundzeichen der Sprache L(σ): logische Zeichen
Logische Zeichen von L(σ):
I
Abzählbar unendlich viele Individuenvariablen (kurz: Variablen):
v0 , v1 , v2 , . . .
Wir bezeichnen Variablen im Folgenden mit x, y , z, xi , . . .
I
Die Junktoren ¬ und ∨.
(Die übrigen üblichen Junktoren ∧, →, ↔ werden wir wiederum als
“Abkürzungen” einführen.)
I
Der Existenzquantor ∃.
(Den Allquantor ∀ werden wir später ebenfalls als “Abkürzung”
einführen.)
I
Das Gleichheitszeichen =.
I
Die Klammern ( und ).
Mathematische Logik (WS 2010/11)
Prädikatenlogik 1. Stufe
15 / 43
Die Grundzeichen der Sprache L(σ): nichtlogische Zeichen
und Typ
Nichtlogische Zeichen von L(σ):
I
Für jedes i ∈ I das ni -stellige Relationszeichen Ri .
I
Für jedes j ∈ J das mj -stellige Funktionszeichen fj .
I
Für jedes k ∈ K die Konstante ck .
Wie bei den Strukturen nennen wir σ den Typ oder die Signatur der Sprache
L(σ).
Sind die Struktur A und die Sprache L vom selben Typ σ, so heißt
L die Sprache von A und
A eine L-Struktur.
Mathematische Logik (WS 2010/11)
Prädikatenlogik 1. Stufe
16 / 43
Strukturen und deren zugehörige Sprachen: Beispiele
Für die im letzten Beispiel eingeführten Strukturen können wir die zugehörigen
Sprachen (deren Signaturen gerade durch Signaturen der Strukturen gegeben
sind) durch Angabe der nichtlogischen Zeichen angeben:
Die Sprache der Graphen enthält ebenso wie die Sprache der Ordnungen als
einziges nichtlogisches Zeichen das 2-stellige Relationszeichen R0 . Wir
benutzen statt R0 allerdings in der Regel die suggestiveren Zeichen E (das
für die Kantenrelation steht) bzw. ≤ (das für die Ordnungsrelation steht)
und schreiben L(E ) und L(≤).
Die Sprache der Gruppen verfügt über ein 2-stelliges Funktionszeichen f0
und eine Konstante c0 , für die wir in der Regel aber + und 0 schreiben
werden: L(+; 0) Bei der Sprache der Körper kommen das 2-stellige
Funktionszeichen f1 (·) und die Konstante c1 (1) hinzu: L(+, ·; 0, 1).
Die Sprache L der Struktur N = (N; +, ·; 0, 1) der natürlichen Zahlen
umfasst die 2-stelligen Funktionszeichen f0 und f1 und die Konstanten c0
und c1 . Wir schreiben hierfür i.a. +, ·, 0 und 1: L = L(+, ·; 0, 1).
(Man beachte, dass hierbei z.B. + zwei unterschiedliche Bedeutungen hat:
in N ist + die Addition auf den natürlichen Zahlen; in L ist + dagegen ein
Zeichen (genauer: die “Abkürzung” des 2-st. Funktionszeichens f0 ).
Mathematische Logik (WS 2010/11)
Prädikatenlogik 1. Stufe
17 / 43
3. Prädikatenlogik: Terme
Terme dienen dazu, Individuen und Funktionen auf dem
Individuenbereich zu bezeichnen.
Vorgehen:
1
Induktive Festlegung der Gestalt der Terme (Syntax)
2
Zuordnung der dargestellten Individuen und Funktionen
(Semantik)
Es ist im Folgenden L wiederum die Sprache L = L(σ) der Signatur
σ = ((ni |i ∈ I ); (mj |j ∈ J); K ).
Mathematische Logik (WS 2010/11)
Prädikatenlogik 1. Stufe
18 / 43
Induktive Definition der L(σ)-Terme (Syntax)
DEFINITION. Sei L = L(σ) mit σ = ((ni |i ∈ I ); (mj |j ∈ J); K ). Die Menge der
(L-)Terme ist induktiv definiert durch:
(T1) Jede Variable vi und jede Konstante ck ist ein Term.
(T2) Sind t1 , . . . , tmj Terme, so ist auch fj (t1 , . . . , tmj ) ein Term (j ∈ J).
NOTATION:
Terme bezeichnen wir mit s, t, si , ti , etc.
V (t) bezeichnet die Menge der im Term t vorkommenden Variablen.
Kommen in t keine Variablen vor (d.h. V (t) = ∅), so ist t ein
konstanter Term.
Schreiben wir t(x1 , . . . , xn ) statt t, so bedeutet dies, dass
V (t) ⊆ {x1 , . . . , xn } gilt.
Mathematische Logik (WS 2010/11)
Prädikatenlogik 1. Stufe
19 / 43
Terme: Beispiele
In einer relationalen Sprache L sind die Variablen und Konstanten die
einzigen Terme. Enthält eine Sprache L keine Konstanten, so besitzt sie
auch keine konstanten Terme.
In der Sprache der Graphen oder Ordnungen (die weder Funktionszeichen
noch Konstanten besitzt) sind daher die Variablen die einzigen Terme.
In der Sprache der Gruppen kann man z.B. folgenden Term bilden:
t ≡ +(v0 , +(v3 , 0)) [≡ f0 (v0 , +(v3 , c0 ))]
wobei wir die suggestiven Abkürzungen + :≡ f0 und 0 :≡ c0 verwenden. Zur
Verbesserung der Lesbarkeit benutzen wir auch die in der Algebra übliche
Infixschreibweise für +, wodurch der Term t die Gestalt v0 + (v3 + 0) erhält.
Letzteres ist aber kein Term im formalen Sinn und wird von uns nur als
(informelle) Abkürzung von t verwendet.
Mathematische Logik (WS 2010/11)
Prädikatenlogik 1. Stufe
20 / 43
Terme: Beispiele (Fortsetzung)
Bei der Sprache der Struktur N = (N; +, ·; 0, 1) der natürlichen Zahlen
verwenden wir (wie bereits erwähnt) die Funktionszeichen + und · anstelle
der Funktionszeichen f0 und f1 und die Konstanten 0 und 1 an Stelle von c0
und c1 , und wir benutzen für die Funktionszeichen + und · die
Infixschreibweise.
Wiederum sind die entsprechend gebildeten Terme als abkürzende
Schreibweise aufzufassen. So steht
(1 + 1) · (1 · 1)
für den (abgekürzten) Term
·(+(1, 1), ·(1, 1))
und dieser wiederum für den (eigentlichen) Term
f2 (f1 (c1 , c1 ), f2 (c1 , c1 )).
Mathematische Logik (WS 2010/11)
Prädikatenlogik 1. Stufe
21 / 43
Semantik der L(σ)-Terme: (1) Interpretation konstanter
Terme
Wir wollen nun die L-Terme in den L-Strukturen interpretieren. Hierzu sei im
folgenden A = (A; (RiA |i ∈ I ); (fjA |j ∈ J); (ckA |k ∈ K )) eine L-Struktur, d.h. eine
Struktur vom Typ σ = ((ni |i ∈ I ); (mj |j ∈ J); K ). .
Konstante L-Terme werden in der L-Struktur A als Individuen interpretiert:
DEFINITION. Für einen konstanten L-Term t ist t A ∈ A wie folgt durch Ind(t)
definiert:
1
(ck )A := ckA
2
A
(fj (t1 , . . . , tmj ))A := fjA (t1A , . . . , tm
)
j
Mathematische Logik (WS 2010/11)
Prädikatenlogik 1. Stufe
22 / 43
Interpretation konstanter Terme: Beispiele
Der konstante Term t ≡ ·(+(1, 1), ·(1, 1)) der Sprache der Arithmetik erhält
in der Struktur N = (N; +, ·; 0, 1) der natürlichen Zahlen den Wert t N = 2
(da das Zeichen 1 durch die Eins und die Funktionszeichen + und · durch
Addition und Multiplikation interpretiert werden).
Definiert man induktiv die konstanten Terme n (n ≥ 0) durch
0 :≡ 0 und n + 1 :≡ (n + 1),
so gilt gerade nN = n. (Wir nennen n die Ziffer der Zahl n.)
Es lässt sich also jede natürliche Zahl durch einen konstanten Term der
Sprache von N darstellen.
Die Sprache einer Struktur erlaubt aber nicht immer, dass man alle
Individuen durch konstante Terme beschreiben kann: Betrachten wir z.B.
eine Struktur ohne Konstanten, so gibt es -wie bereits beobachtet- keine
konstanten Terme in der zugehörigen Sprache. Hier lässt sich also sogar
überhaupt kein Individuum durch einen konstanten Term darstellen.
Mathematische Logik (WS 2010/11)
Prädikatenlogik 1. Stufe
23 / 43
Semantik der L(σ)-Terme: (2) Interpretation beliebiger
Terme
Wir betrachten nun die Interpretation beliebiger Terme: Einem Term t ≡ t(~x )
(~x = (x1 , . . . , xn )), in dem höchstens die Variablen x1 , . . . , xn vorkommen, wird
ein Wert aus A in Abhängigkeit von einer Belegung B der Variablen xi durch
Werte ai aus A zugeordnet.
DEFINITION. Sei V = {x1 , . . . , xn } eine Menge von Variablen und A eine
L-Struktur. Eine (Variablen-)Belegung B von V in A ist eine Abbildung
B : V → A.
DEFINITION. Sei t ≡ t(~x ) (~x = (x1 , . . . , xn )) ein L-Term, in dem höchstens die
Variablen x1 , . . . , xn vorkommen, und sei B : {x1 , . . . , xn } → A eine Belegung
dieser Variablen in der L-Struktur A. Der Wert tBA ∈ A von t in A bzgl. der
Belegung B ist durch Ind(t) wie folgt definiert:
1
A
A
(xi )A
B := B(xi ) und (ck )B := ck
2
A
A
A
(fj (t1 , . . . , tmj ))A
B := fj ((t1 )B , . . . , (tmj )B )
Mathematische Logik (WS 2010/11)
Prädikatenlogik 1. Stufe
24 / 43
Semantik der L(σ)-Terme: (2) Interpretation beliebiger
Terme (Fortsetzung)
NOTATION. Ordnet die Belegung B von V = {x1 , . . . , xn } in A den Variablen xi
die Individuen ai zu, so schreiben wir für t ≡ t(x1 , . . . , xn ) statt tBA auch
t A [a1 , . . . , an ]. (Diese Schreibweise wird im Skript verwendet!)
Der Term t ≡ t(~x ) (~x = (x1 , . . . , xn )) wird in A also als n-stellige Funktion
n
A
A
a) = t A [~a]
ft(~
x ) (~
x ) : A → A mit ft(~
interpretiert. Dabei hängt der Wert von t A [~a] höchstens dann von ai ab, wenn die
Variable xi tatsächlich in t vorkommt (Beweis durch Ind(t); Übung!):
KOINZIDENZLEMMA (für Terme). Sei A eine L-Struktur, t ein L-Term,
V = {x1 , . . . , xm } und V 0 = {x10 , . . . , xn0 } Variablenmengen mit V (t) ⊆ V , V 0 und
B und B 0 Belegungen von V bzw. V 0 in A, sodass B V (t) = B 0 V (t). Dann
gilt tBA = tBA0 .
Mathematische Logik (WS 2010/11)
Prädikatenlogik 1. Stufe
25 / 43
Interpretation beliebiger Terme: Beispiel
Der durch
t :≡ f0 (f1 (x1 , x1 ), f1 (f0 (c1 , c1 ), x2 )) ≡ +(·(x1 , x1 ), ·(+(1, 1), x2 ))
definierte Term t der Sprache von N lässt sich in Infixschreibweise auch als
t ≡ (x1 · x1 ) + ((1 + 1) · x2 )
schreiben. Es gilt V (t) = {x1 , x2 }. Wir können t also z.B. als
t ≡ t(x1 , x2 , x3 ) schreiben.
Für die Belegung B(x1 ) = 0, B(x2 ) = 1, B(x3 ) = 2 gilt dann
tBN
= (B(x1 ) · B(x1 )) + ((1 + 1) · B(x2 ))
= (0 · 0) + ((1 + 1) · 1) = 2
Die Auswertung von t N [0, 1, 2] = tBN hängt also nicht von der Belegung
B(x3 ) = 2 der nicht in t vorkommenden Variablen x3 ab.
Die von t(x1 , x2 , x3 ) dargestellte Funktion ftN : N3 → N ist:
ftN (a1 , a2 , a3 ) = a12 + 2a2 (a1 , a2 , a3 ∈ N)
Mathematische Logik (WS 2010/11)
Prädikatenlogik 1. Stufe
26 / 43
Interpretation beliebiger Terme: Bemerkungen
A
Für einen konstanten Term t ist die Funktion ft(x
= ftA (nach dem
1 ,...,xn )
A
A
Koinzidenzlemma) konstant und es gilt ft (~a) = t für alle ~a ∈ An .
In einer L-Struktur A lassen sich genau die Funktionen durch L-Terme
darstellen, die über den Grundfunktionen und den Konstanten der Struktur
explizit definierbar sind.
Mathematische Logik (WS 2010/11)
Prädikatenlogik 1. Stufe
27 / 43
4. Prädikatenlogik: Formeln und Sätze
(L-)Sätze dienen dazu, Aussagen über (L-)Strukturen zu machen.
Die von Formeln (auch Satzformen genannt) gemachten Aussagen
hängen noch von der Interpretation der in ihnen vorkommenden freien
Variablen ab, und können so auch als Relationen auf den Trägern von
(L-)Strukturen interpretiert werden.
Vorgehen:
1
Induktive Festlegung der Gestalt der Formeln (Syntax)
2
Interpretation der Formeln in zugehörigen Strukturen (Semantik)
Es ist im Folgenden L wiederum die Sprache L = L(σ) der Signatur
σ = ((ni |i ∈ I ); (mj |j ∈ J); K ).
Mathematische Logik (WS 2010/11)
Prädikatenlogik 1. Stufe
28 / 43
Induktive Definition der L(σ)-Formeln (Syntax)
DEFINITION. Sei L = L(σ) mit σ = ((ni |i ∈ I ); (mj |j ∈ J); K ). Die Menge der
(L-)Formeln ist induktiv definiert durch:
(F1) (a) Sind t1 , t2 Terme, so ist t1 = t2 eine Formel.
(b) Sind t1 , . . . , tni Terme, so ist Ri (t1 , . . . , tni ) eine Formel (i ∈ I ).
(F2) Ist ϕ eine Formel, so ist auch ¬ϕ eine Formel.
(F3) Sind ϕ1 und ϕ2 Formeln, so ist auch (ϕ1 ∨ ϕ2 ) eine Formel.
(F4) Ist ϕ eine Formel und x eine Variable, so ist auch ∃xϕ eine Formel.
Die gemäß (F1) definierten Formeln heißen Primformeln oder atomare Formeln.
Im Folgenden bezeichnen ϕ, ψ, γ, δ, ϕi , . . . (L-)Formeln.
Mathematische Logik (WS 2010/11)
Prädikatenlogik 1. Stufe
29 / 43
L(σ)-Formeln: Freie und gebundene Vorkommen von
Variablen
Eine in einer Formel ϕ vorkommende Variable x kann frei oder (durch einen
Existenzquantor ∃) gebunden auftreten (wobei x in einer Formel ϕ an einer Stelle
frei und an einer anderen Stelle gebunden auftreten kann).
Formal definiert man das Vorkommen einer Variablen x und die freien und gebunden Vorkommen von x in einer Formel ϕ durch
Ind(ϕ):
1
Die Variable x kommt in der Primformel t1 = t2 bzw. Ri (t1 , . . . , tni ) vor, falls x in einem der Terme t1 , t2 bzw.
t1 , . . . , tni vorkommt. Alle Vorkommen von x sind frei.
2
Die Variable x kommt in ¬ϕ vor, wenn sie in der Formel ϕ vorkommt. Ein Vorkommen von x in ¬ϕ ist frei
(gebunden), wenn das entsprechende Vorkommen von x in ϕ frei (gebunden) ist.
3
Die Variable x kommt in der Formel (ϕ1 ∨ ϕ2 ) vor, wenn sie in der Formel ϕ1 oder in der Formel ϕ2 vorkommt. Ein
Vorkommen von x in (ϕ1 ∨ ϕ2 ) ist frei (gebunden), wenn das entsprechende Vorkommen von x in ϕ1 bzw. ϕ2 frei
(gebunden) ist.
4
Die Variable x kommt in der Formel ∃y ϕ vor, wenn x = y oder x in der Formel ϕ vorkommt. Ist x = y , so sind alle
Vorkommen von x in ∃y ϕ gebunden. Sonst ist ein Vorkommen von x in ∃y ϕ frei (gebunden), wenn das entsprechende
Vorkommen von x in ϕ frei (gebunden) ist.
Wir bezeichnen mit V (ϕ), FV (ϕ) und GV (ϕ) die Mengen der in ϕ
vorkommenden bzw. frei vorkommenden bzw. gebunden vorkommenden
Variablen.
Gilt FV (ϕ) ⊆ {x1 , . . . , xn }, so schreiben wir auch ϕ(x1 , . . . , xn ) statt ϕ.
Mathematische Logik (WS 2010/11)
Prädikatenlogik 1. Stufe
30 / 43
Freie und gebundene Vorkommen von Variablen (Forts.)
BEISPIEL. In der Formel
ϕ ≡ (¬∃x¬ ≤ (x, y ) ∨ ¬y = x)
der Sprache der Ordnungen sind die ersten beiden Vorkommen der Variablen x
gebunden während das dritte Vorkommen frei ist. Weiter sind beide Vorkommen
von y frei. Es gilt also V (ϕ) = FV (ϕ) = {x, y } und GV (ϕ) = {x}.
DEFINITION. Kommt in einer (L-)Formel ϕ keine Variable frei vor (d.h. gilt
FV (ϕ) = ∅), so ist ϕ ein (L-)Satz.
Im Folgenden bezeichnen σ, τ, σn etc. Sätze.
Mathematische Logik (WS 2010/11)
Prädikatenlogik 1. Stufe
31 / 43
Verbesserung der Lesbarkeit von Formeln (“Abkürzungen”)
Zur Verbesserung der Lesbarkeit der Formeln benutzen wir folgende Konventionen
und abkürzenden Schreibweisen:
Die schon im Teil über die Aussagenlogik eingeführten Regeln zur
Klammerersparnis.
Zusätzlich erlauben wir für ¬ϕ und ∃xϕ auch die Schreibweise ¬(ϕ) bzw.
∃x(ϕ).
Die Junktoren ∧, → und ↔ führen wir wie in der AL ein.
Zusätzlich führen wir den Allquantor ∀ durch ∀xϕ :≡ ¬∃x¬ϕ ein.
Statt ¬t1 = t2 schreiben wir auch t1 6= t2 .
Wo üblich benutzen wir für Funktionszeichen (wie + und ·) und
Relationszeichen (wie ≤) auch die Infixschreibweise.
NB: Die derart verallgemeinerten Formeln sind keine eigentlichen Formeln und
sind daher bei formaler Sichtweise (z.B. in Beweisen durch Ind(ϕ)) immer durch
die eigentlichen Formeln zu ersetzen, die sie abkürzend beschreiben.
Mathematische Logik (WS 2010/11)
Prädikatenlogik 1. Stufe
32 / 43
Verbesserung der Lesbarkeit von Formeln: Beispiele
Nach den gerade eingeführten Konventionen sind die folgenden (uneigentlichen)
Formeln alle identisch mit der (eigentlichen) Formel
ϕ ≡ (¬∃x¬ ≤ (x, y ) ∨ ¬y = x):
¬∃x¬(x ≤ y ) ∨ ¬(y = x)
∀x(x ≤ y ) ∨ ¬(y = x)
∀x(x ≤ y ) ∨ y 6= x
Mathematische Logik (WS 2010/11)
Prädikatenlogik 1. Stufe
33 / 43
Semantik der L(σ)-Formeln: Idee
Wir wollen nun zeigen, wie ein (L-)Satz σ als eine Aussage über die
(L-)Struktur A interpretiert werden kann.
Hierzu ordnen wir zunächst allgemeiner einer Formel ϕ, in der höchstens die
Variablen x1 , . . . , xn frei vorkommen, und jeder Belegung B dieser Variablen
durch Individuen a1 , . . . , an von A einen Wahrheitswert WBA (ϕ) zu.
Wir zeigen dann, dass dieser Wert höchstens dann von B(xi ) = ai abhängt,
wenn xi in ϕ frei vorkommt (Koinzidenzlemma für Formeln).
Ist ϕ ein Satz, so hängt die Wahrheit von ϕ also nur von der Struktur A und
nicht von der gewählten Variablenbelegung B ab.
Mathematische Logik (WS 2010/11)
Prädikatenlogik 1. Stufe
34 / 43
Semantik der L(σ)-Formeln: Definition
DEFINITION. Sei A eine L-Struktur, ϕ ≡ ϕ(x1 , . . . , xn ) eine L-Formel mit
FV (ϕ) ⊆ {x1 , . . . , xn } und B eine Belegung von {x1 , . . . , xn } in A. Dann ist der
Wahrheitswert
WBA (ϕ) ∈ {0, 1}
von ϕ in A bzgl. der Variablenbelegung B durch Ind(ϕ) wie folgt definiert:
1
A
WBA (t1 = t2 ) = 1, g.d.w. (t1 )A
B = (t2 )B
A
(für die Definition von tB siehe Semantik der Terme).
2
A
A
WBA (Ri (t1 , . . . , tni )) = 1, g.d.w. ((t1 )A
B , . . . , (tni )B ) ∈ Ri .
3
WBA (¬ψ) = 1, g.d.w. WBA (ψ) = 0.
4
WBA (ϕ1 ∨ ϕ2 ) = 1, g.d.w. WBA (ϕ1 ) = 1 oder WBA (ϕ2 ) = 1 (oder beides).
5
WBA (∃y ψ) = 1, g.d.w. es eine Belegung B 0 von {x1 , . . . , xn , y } gibt, die mit
B auf {x1 , . . . , xn } \ {y } übereinstimmt und für die WBA0 (ψ) = 1 gilt.
Mathematische Logik (WS 2010/11)
Prädikatenlogik 1. Stufe
35 / 43
Semantik der L(σ)-Formeln: uneigentliche Formeln
Für die uneigentlichen Formeln ϕ ≡ ϕ(x1 , . . . , xn ) und Belegungen B von
{x1 , . . . , xn } in A ergeben sich hieraus folgende Wahrheitswerte (Übung):
WBA (ϕ1 ∧ ϕ2 ) = 1, g.d.w. WBA (ϕ1 ) = 1 und WBA (ϕ2 ) = 1.
WBA (ϕ1 → ϕ2 ) = 1, g.d.w. WBA (ϕ1 ) = 0 oder WBA (ϕ2 ) = 1 (oder beides).
WBA (ϕ1 ↔ ϕ2 ) = 1, g.d.w. WBA (ϕ1 ) = WBA (ϕ2 ).
WBA (∀y ψ) = 1, g.d.w. für alle Belegungen B 0 von {x1 , . . . , xn } ∪ {y }, die
mit B auf {x1 , . . . , xn } \ {y } übereinstimmen, WBA0 (ψ) = 1 gilt.
Mathematische Logik (WS 2010/11)
Prädikatenlogik 1. Stufe
36 / 43
Semantik der L(σ)-Formeln: Notation
Ordnet die Belegung B den Variablen ~x = (x1 , . . . , xn ) die Individuen
~a = (a1 , . . . , an ) zu, so schreibt man statt WBA (ϕ) = 1 auch
A ϕ[~a]
und sagt: A macht die Formel ϕ ≡ ϕ(x1 , . . . , xn ) bzgl. der Belegung ~a wahr (oder
ϕ gilt in A bzgl. ~a).
Entsprechend schreibt man auch A 6 ϕ[~a], falls WBA (ϕ) = 0 gilt.
Diese Schreibweisen werden im Skript verwendet! Im Folgenden werden wir beide
Schreibweisen benutzen.
Mathematische Logik (WS 2010/11)
Prädikatenlogik 1. Stufe
37 / 43
Semantik der L(σ)-Formeln: Koinzidenzlemma
KOINZIDENZLEMMA (für Formeln). Sei A eine L-Struktur, ϕ eine L-Formel,
V = {x1 , . . . , xm } und V 0 = {x10 , . . . , xn0 } Variablenmengen mit FV (ϕ) ⊆ V , V 0
und B und B 0 Belegungen von V bzw. V 0 in A, sodass
B FV (ϕ) = B 0 FV (ϕ).
Dann gilt WBA (ϕ) = WBA0 (ϕ).
D.h.: Der Wahrheitswert WBA (ϕ) einer Formel ϕ in einer Struktur A bzgl. einer
Variablenbelegung B hängt nur von der Belegung der freien Variablen in ϕ ab.
BEWEIS. Induktion nach dem Aufbau von ϕ (wobei man für Primformeln ϕ
natürlich das Koinzidenzlemma für Terme verwendet). Übung!
Mathematische Logik (WS 2010/11)
Prädikatenlogik 1. Stufe
38 / 43
Semantik der L(σ)-Formeln: Wahrheit von Sätzen und
Modelle
Nach dem Koinzidenzlemma hängt der Wahrheitswert eines Satzes σ in einer
Struktur A nicht von der gewählten Variablenbelegung ab: Da σ keine freien
Variablen enthält (d.h. FV (σ) = ∅), gilt für alle Variablenbelegungen B und B 0
beliebiger Variablenmengen V und V 0 in A: WBA (σ) = WBA0 (σ)
DEFINITION. Ein L-Satz σ ist in einer L-Struktur A wahr, wenn WBA (σ) = 1 für
die leere Variablenbelegung gilt (d.h. für die eindeutig bestimmte Belegung B der
leeren Menge ∅).
Ist ein Satz σ in der Struktur A wahr, so schreiben wir
Aσ
und sagen, dass A ein Modell von σ ist.
Mathematische Logik (WS 2010/11)
Prädikatenlogik 1. Stufe
39 / 43
Semantik der L(σ)-Formeln: Wahrheit von Formeln und
Modelle (1)
In der Mathematik ist es üblich, bei Aussagen mit freien Variablen anzunehmen,
dass die freien Variablen implizit allquantifiziert sind. So wird z.B. die Aussage,
dass jede von der Null verschiedene natürliche Zahl Nachfolger einer natürlichen
Zahl ist, durch die Formel
x 6= 0 → ∃y (x = y + 1)
ausgedrückt, wobei diese als
∀x (x 6= 0 → ∃y (x = y + 1))
gelesen wird. Diese Konvention führt zu folgender Erweiterung des Wahrheitsund Modellbegriffs für Sätze auf beliebige Formeln:
Mathematische Logik (WS 2010/11)
Prädikatenlogik 1. Stufe
40 / 43
Semantik der L(σ)-Formeln: Wahrheit von Formeln und
Modelle (2)
DEFINITION. Eine L-Formel ϕ ist in einer L-Struktur A wahr, wenn WBA (ϕ) = 1
für alle Variablenbelegungen von FV (ϕ) gilt.
Ist eine Formel ϕ in der Struktur A wahr, so schreiben wir A ϕ und sagen, dass
A ein Modell von ϕ ist.
BEMERKUNGEN.
Ist ϕ ein Satz, so stimmt diese Definition mit der zuvor für Sätze gegebene
Definition der Wahrheit in einer Struktur überein.
Es gilt
A ϕ ⇔ A ∀ϕ
wobei ∀ϕ der Allabschluss von ϕ ist, der durch ∀ϕ :≡ ∀x1 . . . ∀xn ϕ
definiert ist, wobei x1 , . . . , xn die in ϕ frei vorkommenden Variablen (in der
kanonischen Reihenfolge bzgl. der Aufzählung aller Variablen) sind.
(Übung! NB: ∀ϕ ist ein Satz.)
Mathematische Logik (WS 2010/11)
Prädikatenlogik 1. Stufe
41 / 43
Semantik der L(σ)-Formeln: Wahrheit von Formeln und
Modelle (3)
BEMERKUNGEN (Fortsetzung).
Man beachte, dass nach Definition der Wahrheitswerte WBA (ϕ) und dem
Koinzidenzlemma, für einen L-Satz σ und eine L-Struktur A entweder
A σ oder A ¬σ gilt.
Für eine Formel ϕ mit freien Variablen, können wir dagegen i.a. nur
feststellen, dass nicht gleichzeitig A ϕ und A ¬ϕ gelten kann. Hier ist
jedoch möglich, dass weder A ϕ noch A ¬ϕ gilt.
Ein Beispiel hierfür ist die Formel ϕ ≡ x = y : es gilt A 6 ¬(x = y ) für alle
Strukturen A und A 6 x = y für alle Strukturen A, deren Träger zumindest
2 Elemente enthält.
Mathematische Logik (WS 2010/11)
Prädikatenlogik 1. Stufe
42 / 43
Formeln und Relationen
Wir beenden die Diskussion der semantischen Grundbegriffe der Prädikatenlogik
mit der Beobachtung, dass L-Formeln Relationen auf den L-Strukturen A
definieren:
DEFINITION. Sei ϕ ≡ ϕ(x1 , . . . , xn ) eine L-Formel mit FV (ϕ) ⊆ {x1 , . . . , xn }.
Die von ϕ auf der L-Struktur A definierte n-stellige Relation RϕA ist durch
(a1 , . . . , an ) ∈ RϕA ⇔ A ϕ[a1 , . . . , an ]
bestimmt.
BEISPIEL. In der Sprache von N = (N; ≤; +, ·; 0, 1) wird die Menge der geraden
Zahlen durch die Formel
ϕ(x) ≡ ∃y (x = (1 + 1) · y )
und die Teilbarkeitsrelation (x teilt y ) durch die Formel
ψ(x, y ) ≡ x 6= 0 ∧ ∃z(x · z = y )
definiert.
Mathematische Logik (WS 2010/11)
Prädikatenlogik 1. Stufe
43 / 43
5. Prädikatenlogik: Zentrale semantische Konzepte
Nachdem wir die Syntax und Semantik der Sprachen der Prädikatenlogik
eingeführt haben, können wir nun die zentralen (semantischen) Begriffe der
Prädikatenlogik (Allgemeingültigkeit, Erfüllbarkeit, Folgerung, Äquivalenz)
vorstellen.
Diese zentralen Begriffe werden entsprechend wie in der Aussagenlogik definiert,
wobei wir aber statt von der Wahrheit einer (al.) Formel bzgl. einer Belegung der
Aussagenvariablen nun von der Wahrheit einer (pl.) Formel in einer Struktur
ausgehen.
Wir halten hierbei immer noch eine Sprache
L = L((Ri |i ∈ I ), (fj |j ∈ J), (ck |k ∈ K )) vom Typ
σ(L) = ((ni |i ∈ I ), (mj |j ∈ J), K ) der Prädikatenlogik fest, und meinen im
folgenden mit einer Struktur A immer eine L-Struktur.
Mathematische Logik (WS 2010/11)
Prädikatenlogik 1. Stufe
44 / 43
Allgemeingültigkeit und Erfüllbarkeit: Definition
DEFINITION. Eine Formel ϕ ist (logisch) wahr oder allgemeingültig, wenn alle
L-Strukturen Modell von ϕ sind, d.h. wenn
Für alle L-Strukturen A: A ϕ
gilt.
DEFINITION. (a) Eine Formel ϕ ist erfüllbar, wenn ϕ ein Modell besitzt, d.h.
wenn
Es gibt eine L-Struktur A mit A ϕ
gilt. Andernfalls ist ϕ unerfüllbar.
(b) Eine Menge Φ von L-Formeln ist erfüllbar, wenn es eine L-Struktur A gibt,
die Modell aller Formeln in Φ ist.
Ist eine L-Struktur A Modell aller Formeln in einer Formelmenge Φ, so nennen
wir A ein Modell von Φ und schreiben A Φ.
Mathematische Logik (WS 2010/11)
Prädikatenlogik 1. Stufe
45 / 43
Allgemeingültigkeit vs. Erfüllbarkeit
Jede allgemeingültige Formel ist erfüllbar.
Die Umkehrung hiervon gilt i.a. nicht. So ist z.B. die L-Formel ϕ ≡ x = y
erfüllbar, da sie in allen L-Strukturen A mit |A| = 1 gilt. Sie ist jedoch nicht
allgemeingültig, da sie in L-Strukturen A mit |A| > 1 nicht gilt.
Ein L-Satz σ (¬σ) ist genau dann allgemeingültig, wenn ¬σ (σ) unerfüllbar
ist.
BEWEIS. Dies folgt aus der Tatsache, dass in jeder L-Struktur A entweder
der Satz σ oder der Satz ¬σ gilt.
Für beliebige Formeln ϕ folgt zwar aus der Allgemeingültig von ϕ auch die
Unerfüllbarkeit von ¬ϕ. Die Umkehrung gilt aber i.a. nicht. So ist für die
Formel ϕ ≡ x = y die Negation ¬ϕ ≡ x 6= y nicht erfüllbar, ϕ aber nicht
allgemeingültig (s.o.).
Mathematische Logik (WS 2010/11)
Prädikatenlogik 1. Stufe
46 / 43
Erfüllbarkeit von Formeln vs. Erfüllbarkeit von
Formelmengen
Die leere Formelmenge ist erfüllbar.
Ist eine nichtleere Formelmenge Φ erfüllbar, so sind alle Formeln in Φ
erfüllbar, da
AΦ ⇒ ∀ϕ∈Φ: Aϕ
Die Umkehrung gilt jedoch i.a. nicht. So sind die Formeln
ϕ1 ≡ ∀x ∀y (x = y ) und ϕ2 ≡ ∃x ∃y (x 6= y ) beide erfüllbar. Die Modelle
von ϕ1 und ϕ2 sind aber gerade die Strukturen mit einem Individuum bzw.
mit mindestens zwei Individuen, sodass ϕ1 und ϕ2 kein gemeinsames Modell
besitzen. Die Formelmenge Φ = {ϕ1 , ϕ2 } ist also unerfüllbar.
Mathematische Logik (WS 2010/11)
Prädikatenlogik 1. Stufe
47 / 43
Folgerung und Äquivalenz: Definition
DEFINITION. Eine (L-)Formel ϕ folgt aus einer (L-)Formel ψ (ψ ϕ), wenn
jedes Modell von ψ auch ein Modell von ϕ ist, d.h. wenn
Für alle L-Strukturen A: A ψ ⇒ A ϕ
gilt.
ϕ und ψ sind äquivalent (ϕ äq ψ), falls ϕ aus ψ und ψ aus ϕ folgt (also ϕ und ψ
dieselben Modelle besitzen).
Der Folgerungsbegriff lässt sich auf Formelmengen erweitern:
DEFINITION. Eine (L-)Formel ϕ folgt aus einer Menge Φ von (L-)Formeln
(Φ ϕ), wenn jedes Modell von Φ auch ein Modell von ϕ ist, d.h. wenn
Für alle L-Strukturen A: A Φ ⇒ A ϕ
gilt.
Mathematische Logik (WS 2010/11)
Prädikatenlogik 1. Stufe
48 / 43
Folgerungsbegriff: Bemerkungen und Beobachtungen
NOTATION:
Für nichtleeres endliches Φ = {ϕ1 , . . . , ϕn } schreiben wir statt Φ ϕ auch
ϕ1 , . . . , ϕn ϕ,
Entsprechend schreiben wir statt ∅ ϕ auch kurz ϕ.
NB: Dies is konsistent mit der zuvor eingeführten Schreibweise ϕ für allgemeingültiges ϕ: jede L-Struktur A ist ein
Modell der leeren Formelmenge, weshalb ϕ genau dann aus der leeren Formelmenge folgt, wenn ϕ allgemeingültig ist.
EINFACHE FAKTEN:
MONOTONIE DES FOLGERUNGSBEGRIFFS:
Φ⊆Ψ&Φϕ ⇒ Ψϕ
VERTRÄGLICHKEIT VON UND →:
ϕ1 , . . . , ϕn σ ⇔ (ϕ1 ∧ · · · ∧ ϕn ) → σ
Mathematische Logik (WS 2010/11)
Prädikatenlogik 1. Stufe
49 / 43
Zusammenhang zw. Folgerungsbegriff und Erfüllbarkeit
Rückführung der Erfüllbarkeit auf den Folgerungsbegriff:
LEMMA. Eine L-Formelmenge Φ is genau dann erfüllbar, wenn es keinen L-Satz
σ mit Φ σ und Φ ¬σ gibt.
Rückführung des Folgerungsbegriffs auf die Erfüllbarkeit:
LEMMA (Zusammenhang zwischen Folgerungs- und Erfüllbarkeitsbegriff).
Für jede L-Formelmenge Φ und jeden L-Satz σ gilt:
Φ σ ⇔ Φ ∪ {¬σ} unerfüllbar
BEWEIS.
Φσ
⇔ ∀A:AΦ⇒Aσ
⇔ ∀A:AΦ⇒A
6 ¬σ
⇔ 6 ∃ A : A Φ & A ¬σ
⇔ Φ ∪ {¬σ} unerfüllbar
Mathematische Logik (WS 2010/11)
(nach Definition)
(da entweder A σ oder A ¬σ )
(nach Definition)
Prädikatenlogik 1. Stufe
50 / 43
Herunterladen