VORWORT Der 60. Geburtstag von Professor Dr. Helge Peters war für das Institut für Soziologie der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg Anlaß zur Durchführung eines wissenschaftlichen Kolloquiums. Professor Peters vertritt im Institut die Professur mit dem Schwerpunkt „Soziologie des abweichenden Verhaltens und sozialer Kontrolle“. Deswegen lautete der Titel der Veranstaltung auch „Devianzsoziologisches Kolloquium“. In dieser Ausgabe der Oldenburger Universitätsreden veröffentlichen wir die drei Vorträge, die auf dem Kolloquium gehalten wurden; sie wurden für den Druck überarbeitet. Der Direktor des Instituts für Soziologie, Professor Dr. Walter Siebel, liefert mit den nachstehend abgedruckten Gedanken ein Resümee des Festkolloquiums, indem er zunächst kurz die Anliegen der drei das Kolloquium strukturierenden Vorträge anspricht. Professor Dr. Manfred Brusten, Universität Wuppertal, beginnt mit einem biographisch gefärbten historischen Rückblick auf die Entwicklung der Kriminalsoziologie in der Bundesrepublik seit Ende der 60er Jahre. Birgit Menzel (M.A.), Universität Oldenburg, berichtet im Anschluß daran aus einem Forschungsprojekt, das in der von Professor Helge Peters geleiteten Arbeitsgruppe „Soziale Probleme und soziale Kontrolle“ Gewalt zum Thema hat. Sie macht an diesem Thema, bei dem die substantialistische Betrachtungsweise sich dem Alltagsbewußtsein unmittelbar aufzudrängen scheint, die Produktivität des definitionstheoretischen Ansatzes deutlich, in dem sie dem Wandel des Gewaltbegriffs und den Instanzen solcher Definitionsmacht nachgeht. Professor Dr. Rüdiger Lautmann, Universität Bremen, stellt in seinem Beitrag zunächst die Soziologie abweichenden Verhaltens in die soziologische Tradi- 6 tion, um dann den Versuch zu machen, die kontrolltheoretische Orientierung der Soziologie - im Anschluß an Mead und Giddens und deren Beiträge zu den Begriffen Vertrauen und Sicherheit - zu erneuern. Die Vorträge machen deutlich, was auch die lebhaften und anregenden Diskussionen des Kolloquium erwiesen haben: die Provokation im buchstäblichen und übertragenden Sinn des Wortes, die mit diesem kontroll- oder definitionstheoretischen Ansatz verbunden ist. Mit der konsequenten Konzentration auf die soziale Konstruiertheit aller Definitionen abweichenden Verhaltens wird die Empörung sowohl über das Leiden der Opfer wie über die Perfidie der Täter gleichermaßen verweigert. An deren Stelle tritt eine herrschaftskritische Analyse der sozialen Selektivität in den Praktiken sozialer Kontrolle abweichenden Verhaltens. Der kontrolltheoretische Ansatz nimmt damit politisch Stellung auf Seiten der Kontrollierten und gegen die Nichtkontrollierten, gegen die soziale Selektivität der Kontrollinstanzen. Die Konsequenz daraus ist die Weigerung, Handreichungen für die Praxis zu produzieren. In der besten Tradition kritischer, soziologischer Aufklärung versteht sich dieser Ansatz als Beitrag zur Selbstreflexion der Praxis, nicht zu ihrer technischen Optimierung. Professor Dr. Helge Peters hat diese Denkschule - beginnend mit seiner Arbeit in Münster - wesentlich mitgeprägt und seit dem kontinuierlich sowohl in seinem empirischen Untersuchungen wie in seinen theoretischen Beiträgen fortentwickelt. Oldenburg, im Juni 1998 Prof. Dr. Friedrich W. Busch