Modul 06: Ärztliche Betreuung im Rahmen der chirurgischen Adipositastherapie ……………………………………………………………………………………………………. CME-Modul Ärztliche Betreuung im Rahmen der chirurgischen Adipositastherapie Das multidisziplinäre Team………………………………………………….…….………… 03 Postoperative Nachsorge……………………………………..………………..………….... 09 Folgen der eingeschränkten Aufnahmekapazität..……………….….……….…………... 14 Lebenslange Supplementation………………………….………………………….……..... 19 Weitere Aspekte …………………………..……………….……….................................... 26 Literatur….…………………………………………………….…………….….…………...... 28 Impressum…………………………………………………….…………………….…….…… 30 Abstract Bei der Adipositaschirurgie ist der Therapieerfolg zum großen Teil abhängig von der Zusammenarbeit eines multidisziplinären Teams. Schon in der präoperativen Beratung (der Patientenauswahl) sind viele Ärzte und Spezialisten wie Ernährungsberater beteiligt – in erster Linie der behandelnde Hausarzt. Ihm kommt eine besondere Rolle zu, da er meistens den ersten und mehrjährigen Kontakt zu den Patienten hat. Er wird zunächst in der Regel ein konservatives Therapieprogramm anbieten. Wenn dies nicht den entsprechenden Erfolg bei einem morbiden Patienten bringt, ist eine Überweisung an ein Adipositaszentrum in Betracht zu ziehen. Ein wichtiges Thema bei einem operierten Patienten ist die kompetente Nachsorge, denn er benötigt eine lebenslange Betreuung. Auch hier kommt dem Arzt die besondere Bedeutung zu, die Nachsorge optimal zu gewährleisten. Der Verlauf des Gewichtsverlustes muss bei den Patienten kontrolliert werden. Durch die Operation ist eine lebenslange Ernährungs-, und Lebensstiländerung notwendig. Veränderungen des Lebensstils erfordern viel Disziplin und die Begleitung durch das Spezialisten-Team. 1 Modul 06: Ärztliche Betreuung im Rahmen der chirurgischen Adipositastherapie ……………………………………………………………………………………………………. Außerdem müssen je nach OP-Verfahren verschiedene Makro- und Mikronährstoffe supplementiert werden. Regelmäßige Laboruntersuchungen ersetzen keine Supplementation, die auch bei normalen Laborwerten durchgeführt werden soll. Es verbleibt ein dankbarer und treuer Patient, denn zu erwarten ist aufgrund der starken Gewichtsreduktion der vollständige oder zumindest teilweise Rückgang von Begleit-, und Folgeerkrankungen, wie z. B. Diabetes mellitus Typ 2, Schlafapnoe oder Bluthochdruck. Daher sprechen auch die Fachgesellschaften inzwischen nicht mehr von Adipositaschirurgie, sondern von „Metabolischer Chirurgie“. 2 Modul 06: Ärztliche Betreuung im Rahmen der chirurgischen Adipositastherapie ……………………………………………………………………………………………………. Das multidisziplinäre Team Die Chirurgie muss in ein Zentrumskonzept eingebettet sein. Dieses Konzept sollte ein multidisziplinäres Team, als auch eine entsprechende Infrastruktur und Qualitätssicherung vorsehen, welches eine optimale Betreuung des Patienten gewährleistet. Dies wird auch seitens der Krankenkassen gefordert. Ist die Indikation (Modul 5) zu einer adipositaschirurgischen Intervention gegeben, hängt der Erfolg somit von einer fachübergreifenden Zusammenarbeit ab. Zum behandelnden Adipositasteam gehören: der behandelnde Arzt (Vor- und Nachsorge) der Internist/Diabetologe (Vor- und Nachsorge, perioperativer Konsiliarius) der Chirurg/Anästhesist der Radiologe (Vor- und Nachsorge) der Psychologe (Vor- und Nachsorge) der Ernährungsberater (Nachsorge) Bei der Adipositaschirurgie handelt es sich um Hochrisikoeingriffe bei krankhafter Adipositas. Ein adipositaschirurgisches Zentrum muss daher von Seiten des Chirurgen und der Klinikstruktur hohen Ansprüchen gerecht werden (Prozessund Strukturqualität). Der Chirurg Beim Chirurgen ist nicht nur die operative Qualifikation, sondern auch das Wissen über die Krankheit „krankhafte Adipositas“ mit ihren Begleit- und Folgeerkrankungen vorauszusetzen. Ein ausreichendes Training in Tierlabors und an Simulatoren sollte den ersten Operationen vorausgehen. Diese müssen anfangs durch einen erfahrenen Adipositaschirurgen begleitet werden. Erfahrungen in der laparoskopischen Chirurgie sind nicht ausreichend. Folgende Mindestmengen an Operationen werden je nach Art der Klinik empfohlen [1]: Kompetenz- und Referenzzentrum für Adipositaschirurgie und Metabolische Chirurgie: über 100 Adipositas-Operationen pro Jahr einschließlich 3 Modul 06: Ärztliche Betreuung im Rahmen der chirurgischen Adipositastherapie ……………………………………………………………………………………………………. Revisionsoperationen Kompetenzzentrum für Adipositaschirurgie und Metabolische Chirurgie: 50 Operationen pro Jahr Da die Nachsorge integraler Bestandteil der Adipositaschirurgie und ihres Erfolgs ist, muss der Chirurg ein lebenslanges Follow-up seiner Patienten gewährleisten. Dazu gehört ein kooperierendes Netzwerk mit oben genannten Spezialisten. Die Klinik Die Zusammenarbeit sollte idealerweise durch „standard operating procedures“ (SOP), „clinical pathways“ (CPW) und Arbeitsanweisungen (AA) klar definiert sein. So wird eine Prozessoptimierung erreicht, welche in Zeiten von Budgetierungen und Fallpauschalen (DRGs) immer zwingender für jedes Krankenhaus wird. Die Klinik muss hinsichtlich der Struktur- und Prozessqualität für diese Risikoeingriffe entsprechend vorbereitet sein [2]. Wegen der adipösen Patienten bedarf es z. B. spezieller Toiletten, Stühle, Operationstische, Röntgengeräte und Blutdruckmanschetten. Auch an das Pflegepersonal sind besondere Ansprüche zu stellen. Eine Intensivtherapiestation mit entsprechender Ausstattung für extrem adipöse Patienten muss vorhanden sein. Alle Instrumente müssen in ihrer Größe und Länge an den Umfang des Patienten angepasst sein. An Zentren mit minimal-invasiver Technik ist das Instrumentarium für eine „offene“ Operation nach Konversion für dieses Vorgehen vorzuhalten. Besondere Ansprüche gelten auch für die intensive physiotherapeutische perioperative Betreuung. Zertifizierung? Das Thema Zertifizierung haben die Fachgesellschaften aufgegriffen. Die Chirurgische Arbeitsgemeinschaft für Adipositastherapie der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie hat sich zum Ziel gesetzt, eine Zertifizierung von Adipositaszentren in Deutschland einzuführen. 2008 wurde ein Vorschlag erarbeitet und publiziert [1]. 4 Modul 06: Ärztliche Betreuung im Rahmen der chirurgischen Adipositastherapie ……………………………………………………………………………………………………. In diesem Zusammenhang wurde u. a. auch das Outcome mehrerer internationaler Studien in Abhängigkeit von der Operationsanzahl verglichen. Die Sterblichkeit war in „High Volume-Centern“ signifikant geringer als in den „Low Volume-Centern“. Die relativ häufigsten letalen Komplikationen traten bei einer Frequenz von weniger als 20 bis 50 Eingriffen pro Jahr auf. Es besteht eine eindeutige Beziehung zur Anzahl der Operationen pro Operateur oder Krankenhaus [3]. In einer Publikation von HERBIG [1] sind abgestufte Voraussetzungen für eine Zertifizierung dargestellt. Dabei wird unterschieden zwischen Kompetenz- und Referenzzentren für Adipositaschirurgie und Metabolische Chirurgie, Kompetenzzentren für Adipositaschirurgie und Metabolische Chirurgie sowie Empfehlungen für den Start eines adipositaschirurgischen Programms. Die Abstufungen zwischen den Zentren differieren in Bezug auf die vorauszusetzenden Anforderungen. Diese betreffen z. B. die geforderte Mindestmenge an Operationen, die Anzahl der Chirurgen, die kooperierenden Fachabteilungen in der Klinik, die materielle Ausstattung sowie die regelmäßige Fortbildung. Präoperative Kooperation Schon in der ausführlichen Beratung, aber insbesondere bei der Aufklärung sind die Ärzte fachübergreifend involviert. Da die adipositaschirurgischen Operationen Wahleingriffe an Hochrisikopatienten sind, hat die genaue und verständliche Information des Patienten besondere Bedeutung. Der Betroffene muss die Möglichkeiten und Grenzen der Therapie kennen. Er muss in der Lage sein, Veränderungen seiner Lebens- und Ernährungsbedingungen umsetzen zu können. Weitere Voraussetzung ist die Bereitschaft des Patienten zu langfristigen postoperativen Kontrollen durch das behandelnde Team und besonders durch den Hausarzt. In Tabelle 1 wird deutlich, welche Aspekte bereits der behandelnde Hausarzt ansprechen kann und welche die spezialisierten Chirurgen und Anästhesisten erklären. 5 Modul 06: Ärztliche Betreuung im Rahmen der chirurgischen Adipositastherapie ……………………………………………………………………………………………………. Tabelle 1: Patientenaufklärung Behandelnder Arzt: Informationen über: die Grunderkrankung krankhafte Adipositas und ihre Folgen konservative Therapieverfahren bisherige Behandlung und ihr Erfolg Behandlungsalternativen die verschiedenen OP-Verfahren notwendige Bereitschaft zur postoperativen Kooperation (Teilnahme an Nachsorgeprogrammen) Notwendigkeit der Selbstdisziplin: Änderung der Essgewohnheiten und des Lebensstils (Eigenverantwortung) In der Klinik: Aufklärung über: geplante(s) Anästhesieverfahren/Schmerztherapie Erfahrung des Operateurs hinsichtlich des entsprechenden Eingriffs zu erwartenden Heilungsverlauf Operationsfolgen typische Risiken (Operation/Anästhesieverfahren) mögliche Komplikationen (Operation/Anästhesieverfahren) atypische, seltene Risiken (Operation/Anästhesieverfahren) postoperativen Ablauf in der Klinik (Aufwachraum/Intensivstation) mögliche Folgemaßnahmen (Re-Operationen, plastisch-chirurgische Maßnahmen) Im Modul 5 wurde kurz auf die Rolle des Ernährungsberaters, des Chirurgen, des Internisten sowie des Anästhesisten in der präoperativen Phase eingegangen. Die Patientenauswahl muss multidisziplinär erfolgen. Sind bestimmte Aspekte beim Betroffenen nicht ausreichend zu beurteilen, ist die Beratung mit einem fachspezifischen Kollegen erforderlich. 6 Modul 06: Ärztliche Betreuung im Rahmen der chirurgischen Adipositastherapie ……………………………………………………………………………………………………. Die Kostenübernahme eines adipositaschirurgischen Eingriffs ist immer noch eine Einzelfallentscheidung, welche die Krankenkasse/MDK aus dem Antrag u. a. aufgrund von Gutachten der einzelnen Spezialisten des multidisziplinären Teams trifft. Daher sind die Gutachten wichtig in der präoperativen Phase. Zudem sollten konservative Maßnahmen wie Diätversuche ausreichend vom Arzt dokumentiert werden. Die generelle psychiatrische Evaluation aller Patienten wird von den Fachgesellschaften nicht gefordert. Sie muss indikationsgerecht erfolgen, denn Adipositas ist keine psychische Erkrankung. Einige wenige Zentren führen sie generell durch [4, 5, 6, 7]. Die Patienten müssen also motiviert und vollständig informiert sein. Dazu geben die AWF-Richtlinien der Deutschen Adipositasgesellschaft und die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie der Adipositas entsprechende Empfehlungen [8, 9]. Zwischen dem Erstkontakt mit den an der Indikation beteiligten Ärzten und der Operation wird ein Zeitintervall von mehreren Wochen gefordert [4]. Innerhalb dieser Zeit muss eine Stufenaufklärung erfolgen. Nicht zuletzt ist die adäquate Patientenaufklärung für eventuelle rechtliche und gutachterliche Auseinandersetzungen relevant. Daraus folgt die Forderung nach einer lückenlosen Dokumentation. Eine gute Dokumentation hat jedoch nicht nur im Zusammenhang mit der Aufklärung des Patienten große Bedeutung. Sie ist während der gesamten Betreuung prä-, intra- und postoperativ Voraussetzung zur Prozessoptimierung. Alle Beteiligten im multidisziplinären Team können im konsiliarischen Austausch dazu beitragen, gemeinsame Arbeitsanweisungen (AA), „standard operating procedures“ (SOPs) und „clinical pathways“ (CPW) zu etablieren. Die interdisziplinären Teams sollten unter diesen Gesichtspunkten in einem Organigramm dargestellt werden (s. Modul 5, Abb. 4). 7 Modul 06: Ärztliche Betreuung im Rahmen der chirurgischen Adipositastherapie ……………………………………………………………………………………………………. Merke: Der Erfolg der Adipositaschirurgie hängt von einer fachübergreifenden Zusammenarbeit eines multidisziplinären Teams ab. Chirurgen und Klinikstruktur müssen hohen Ansprüchen gerecht werden (Prozess- und Strukturqualität). Hinsichtlich des Operationserfolges besteht eine eindeutige Beziehung zur Anzahl der Operationen pro Operateur oder Krankenhaus. Die Patientenauswahl muss möglichst multidisziplinär erfolgen. Zwischen dem Erstkontakt mit den an der Indikationsstellung beteiligten Ärzten und der Operation wird ein Zeitintervall von mehreren Wochen gefordert. Die dokumentierte Patientenaufklärung ist für rechtliche und gutachterliche Auseinandersetzungen relevant. Bei der Einzelfallentscheidung der Krankenkasse/MDK für einen chirurgischen Adipositaseingriff ist ein Antrag mit entsprechenden Gutachten und Dokumentationen erforderlich. 8 Modul 06: Ärztliche Betreuung im Rahmen der chirurgischen Adipositastherapie ……………………………………………………………………………………………………. Postoperative Nachsorge Im Modul 4 wurde schon kurz auf den niedergelassenen Arzt eingegangen. Nach gelungener chirurgischer Behandlung der krankhaften Adipositas muss der Patient lebenslang ärztlich betreut werden. Im interdisziplinären Team hat speziell der niedergelassene Arzt postoperativ im weiteren Verlauf die Funktion dieses Betreuers. So können Folgekomplikationen oder Fehlentwicklungen vermieden werden. Unter dem Budget-Druck der Gesundheitsreform ist ein erfolgreich operierter und betreuter Patient für die Krankenkassen weniger kostenintensiv als vor der Operation: Die verschiedenen kostenintensiven Folgeerkrankungen einer krankhaften Adipositas entfallen. Voraussetzung dafür ist die langfristige und regelmäßige postoperative Kontrolle hinsichtlich der Folgewirkungen oder gar Spätkomplikationen der verschiedenen Operationsverfahren. Einen Überblick zum Kostenvergleich zeigt Tabelle 2 [10]. Tabelle 2: Kostenvergleich zwischen konventioneller und chirurgischer Behandlung der Adipositas (mod. nach [10]) Kosten über 5 Jahre in € Magenband Magenbypass konventionelle Behandlung 17.197 17.197 adipositas-chirurgische Behandlung inkrementelle Kosten 13.610 12.166 -3.586 -5.030 -1.436,70 -1,920,00 Kosten pro Diabetes-freies Jahr Auch wenn die ökonomischen Ergebnisse langfristig gut sind: Adipositaschirurgische Eingriffe dürfen nur nach vorheriger Genehmigung durch die gesetzlichen Krankenkassen erstattet werden. 9 Modul 06: Ärztliche Betreuung im Rahmen der chirurgischen Adipositastherapie ……………………………………………………………………………………………………. Abb.: Übersicht OP-Verfahren Restriktive Verfahren: Magenballon (endoskopisch) Magenband (Gastric banding) Gastroplastik (vertikale Gastroplastik, VGB) Schlauchmagen („Sleeve gastrectomy, vertical gastrectomy“) Kombiniert restriktiv-malabsorptive Verfahren: Mikro-malabsorptive Verfahren: Roux-en-Y-Magenbypass, RNYGB Kombination von steuerbarem Magenband und Magenbypass („banded“ Magenbypass) Makro-malabsorptive Verfahren: Biliopankreatische Diversion nach Scopinaro (BPD) Biliopankreatische Diversion mit Duodenalswitch (BPD-DS) Distaler Magenbypass Mögliche Folgewirkungen Der Patient muss bei den folgenden, exemplarisch aufgeführten Folgewirkungen beraten werden, um diese zu vermeiden bzw. zu lindern. Worauf muss geachtet werden? Bei allen OP-Verfahren kann es zu Übelkeit und Erbrechen kommen. Vermeidbare Ursachen sind z. B.: Dehydratation, zu schnelles und zu reichhaltiges Essen, nicht ausreichendes Kauen, 10 Modul 06: Ärztliche Betreuung im Rahmen der chirurgischen Adipositastherapie ……………………………………………………………………………………………………. die Wahl eines Schmerzmittels mit dieser Nebenwirkung und Ausmaß der Vitamingabe. Eine Obstipation kann folgende Gründe haben: Mangel an Ballaststoffen, zu geringe Flüssigkeitsaufnahme, zu geringer Verzehr von Obst und Gemüse, Schmerzmedikation (Opioide, Narkotika in der frühen postoperativen Phase), orale Eisenmedikation. Zu Mineral- und Vitaminmangel kann es nach Magen-Bypass und Biliopankreatischer Diversion (mit oder ohne Duodenalswitch), aber auch nach rein restriktiven Verfahren mit einseitiger Ernährung kommen (vermeidbar s. „Ernährung“). Durchfall, Blähbauch und übelriechender Stuhl können ebenfalls nach malabsorptiven Verfahren auftreten. Am häufigsten ist eine Laktoseintoleranz zu beobachten, die auch nach Magenbypass-Operationen auftreten kann. Der Darm muss sich postoperativ in seiner Tätigkeit umstellen. Meist lässt der Durchfall nach, kann aber auch ein Leben lang anhalten und die Lebensqualität mindern. Ein erhöhtes Risiko einer Gallensteinbildung tritt nach allen Gewichtsreduktionen auf, also auch nach konservativen Gewichtsabnahmen. Mitunter ist eine Cholecystektomie erforderlich. Geschwüre im Bereich des Magenpouches oder der Gastro-Jejunostomie treten nach Bypassverfahren aller Art besonders bei Rauchern auf und nach Einnahme aggressiver Medikamente (ASS, Schmerzmittel und Anti-Rheumatika). Rauchen und die Einnahme von ASS sind nach Bypass-Operationen (Magenbypass, BPD, BBD-DS) untersagt. Spätkomplikationen Der behandelnde Arzt muss an folgende mögliche Spätkomplikationen nach Einbringen eines verstellbaren Magenbandes denken: 11 Modul 06: Ärztliche Betreuung im Rahmen der chirurgischen Adipositastherapie ……………………………………………………………………………………………………. Erweiterung des Pouches, Verrutschen des Bandes (Entleerungsstörungen bei Verengung), Band-Erosion, Band-Leckage oder Portinfektion oder Verrutschen des Ports. Nach Magen-Bypass oder Biliopankreatischer Diversion sind innere Hernien mit Darmverschluss möglich. Spätkomplikationen erfordern die Überweisung an die entsprechenden Spezialisten im multidisziplinären Team. Maßnahmen der Nachsorge Es ist sinnvoll, dem Patienten beim Entlassungsgespräch aus der Klinik einen „Adipositaspass“ auszustellen [4]. Dieser sollte über die durchgeführte Operation in seiner Muttersprache informieren. Für Reisen ins Ausland sollten Adresse und Telefonnummer der Klinik, in der die Erstoperation stattgefunden hat, vermerkt sein. Ernährung und Psychologie Auch wenn die Ernährungsvorschriften je nach Eingriff unterschiedlich sind: Die größte Herausforderung für den Patienten ist die grundsätzliche Umstellung seiner Ernährungsgewohnheiten. Dies verlangt viel Disziplin und Wissen über die richtige Ernährung. Der Arzt erklärt die Gründe für die Ernährungsumstellung, der Ernährungsberater wählt die geeigneten Lebensmittel für die adäquate Nährstoffzufuhr. Bei diesen Umstellungen kann hier die Unterstützung durch den Psychologen erforderlich werden. Ernährung nach restriktiven OP-Verfahren Grundanforderungen an die Ernährung nach Magenballon, Magenband, Gastroplastik sowie Schlauchmagen (Modul 5, Operationsverfahren) sind zunächst [4]: 12 Modul 06: Ärztliche Betreuung im Rahmen der chirurgischen Adipositastherapie ……………………………………………………………………………………………………. Geringes Nahrungsvolumen Ausgeglichener Wasserhaushalt Bedarfsgerechter Energiegehalt der Nahrung Ausreichende Deckung des Bedarfs an Vitaminen, Mineralien und Spurenelementen Merke: Nach adipositaschirurgischer Behandlung der krankhaften Adipositas muss der Patient lebenslang ärztlich betreut werden. Unter dem Budget-Druck der Gesundheitsreform ist ein erfolgreich operierter und betreuter Patient weniger kostenintensiv als vor der Operation. Mögliche postoperative Nebenwirkungen sind: Übelkeit, Erbrechen, Obstipation, Mineral- und Vitaminmangel, Durchfall, Blähbauch, Gallensteine und Magen- oder Darmgeschwüre. Mögliche Komplikationen sind: Pouch-Erweiterung, Verrutschen des Magenbandes, Banderosion, Band-Leckage, Infektion und Verrutschen des Ports. 13 Modul 06: Ärztliche Betreuung im Rahmen der chirurgischen Adipositastherapie ……………………………………………………………………………………………………. Folgen der eingeschränkten Aufnahmekapazität Die Nahrung muss eine Engstelle (Stoma) passieren und hat weniger Raum zur Verfügung. Deswegen empfiehlt WEINER seinen Patienten, nach restriktiven Verfahren (Modul 5) 10 Punkte zu berücksichtigen (Tabelle 3 [4]): Tabelle 3: 10 Ernährungsempfehlungen nach restriktiven Verfahren (mod. nach [4]) 1.: Langsam essen, jeden Bissen 15 bis 20 mal kauen 2.: Geringe Mengen zusammenstellen 3.: Essen und Trinken zeitlich trennen 4.: Im Laufe des Tages ausreichend trinken 5.: Bestimmte faserreiche Nahrungsmittel meiden 6.: Kalorienbewusst essen 7.: Keine süßen Getränke und kein Alkohol 8.: Vitaminreiche Nahrung 9.: Drei bis vier Mahlzeiten pro Tag 10.: Disziplin: beim geringsten Sättigungsgefühl sofort aufhören, zu essen. Zu den 10 Punkten: 1.: Nur gut gekaute Nahrung kann das Stoma passieren. Dabei ist Kauen besser als Pürieren, denn dadurch erfolgt die Nahrungsaufnahme langsamer, und ein Sättigungsgefühl wird eher wahrgenommen. 2.: Kleine Portionen und Beendigung der Nahrungsaufnahme bei geringstem Sättigungsgefühl ändert allmählich das Essverhalten: Der Teller muss nicht – wie früher u. U. anerzogen – leer gegessen werden. 14 Modul 06: Ärztliche Betreuung im Rahmen der chirurgischen Adipositastherapie ……………………………………………………………………………………………………. 3.: Trinken kann ebenfalls rechtzeitig ein Sättigungsgefühl hervorrufen. Aber: Flüssigkeit, die gemeinsam mit Nahrung aufgenommen wird, erleichtert die Passage durch das Stoma und erhöht die Aufnahmekapazität. Der erwünschte Effekt der Gewichtsreduktion wird reduziert. 4.: Beim Abnehmen entstehen im Rahmen des Fettabbaus Stoffwechselprodukte, die ausgeschwemmt werden müssen. Die Flüssigkeitszufuhr sollte so bemessen sein, dass die produzierte Urinmenge etwa 1 bis 1,5 l Urin/24 Stunden beträgt. Es sind kalorienarme Getränke zu wählen (Mineralwasser ohne oder mit sehr wenig Kohlensäure, Tees, Kaffee ohne Zucker). Kohlensäurehaltige Getränke müssen gemieden werden! 5.: Unzureichend zerkleinerte Fasern (ältere Apfelsinen, holziger Spargel) können das Stoma verschließen. Sie werden auch nicht durch die Verdauungssäfte des Speichels angegriffen. 6.: Fett und gesüßte Speisen liefern zu hohe Mengen an Energie. Dennoch darf auf Fett als Träger fettlöslicher Vitamine nicht verzichtet werden. Die Ernährung sollte aber fettarm und aus den „richtigen“ Fetten zusammengesetzt sein (Verhältnis Omega-6-Fettsäuren zu Omega-3-Fettsäuren = 5:1). Tierische gesättigte Fette sollten nur in sehr geringen Mengen genossen werden. 7.: Soft-Drinks, Alkohol und andere hochkalorische flüssige Nahrungsmittel (z. B. Sahne) sind „Kalorienbomben“, vor denen auch das restriktive Verfahren nicht schützt. Menschen, die auf diese Getränke/Nahrungsmittel nicht verzichten können, sind von restriktiven Verfahren auszuschließen. Zudem würde Alkohol durch die fehlende Reservoirwirkung des Magens sofort im Dünndarm aufgenommen und verstärkt wirken. 8.: Trotz geringer Quantität kann mit vollwertiger ausgewogener Kost der Bedarf an Vitaminen, Mineralien und Spurenelementen nach restriktiven Verfahren im Idealfall gedeckt werden (siehe aber „Supplementation“). 9.: Zwischenmahlzeiten (Snacks) stimulieren das Insulin und hemmen so den Fettabbau. Vier Mahlzeiten sind optimal und entsprechen den Gewohnheiten unseres Kulturkreises (z. B. Frühstück, Mittagessen, Nachmittagsessen, Abendessen). 15 Modul 06: Ärztliche Betreuung im Rahmen der chirurgischen Adipositastherapie ……………………………………………………………………………………………………. 10.: Das „Gehorchen“ auf das erste Sättigungsgefühl erfordert Disziplin und Kooperation. Vielen gelingt dies nicht gleich, was die oben genannte Nebenwirkung „Erbrechen und Übelkeit“ erklärt. Wenn man diese Empfehlungen betrachtet, so sind für den einen oder anderen Patienten doch einschneidende Änderungen der Essgewohnheiten erforderlich (keine Süßigkeiten, ungesüßter Kaffee, kein „Snack“, weniger tierisches Fett etc.). Hierfür sind Motivationshilfen durch Psychologen hilfreich, und in einigen Fällen ist eine Verhaltenstherapie einzuleiten. Abb.: Übersicht OP-Verfahren Restriktive Verfahren: Magenballon (endoskopisch) Magenband (Gastric banding) Gastroplastik (vertikale Gastroplastik, VGB) Schlauchmagen („Sleeve gastrectomy, vertical gastrectomy“) Kombiniert restriktiv-malabsorptive Verfahren: Mikro-malabsorptive Verfahren: Roux-en-Y-Magenbypass, RNYGB Kombination von steuerbarem Magenband und Magenbypass („banded“ Magenbypass) Makro-malabsorptive Verfahren: Biliopankreatische Diversion nach Scopinaro (BPD) Biliopankreatische Diversion mit Duodenalswitch (BPD-DS) Distaler Magenbypass 16 Modul 06: Ärztliche Betreuung im Rahmen der chirurgischen Adipositastherapie ……………………………………………………………………………………………………. Ernährung nach restriktiv-malabsorptiven Verfahren Nach diesen Verfahren wird nicht nur die Essensmenge reduziert, sondern auch die Aufnahme von Fett als Hauptenergieträger aus dem Darmtrakt. Daher ist auf die ausreichende Zufuhr von fettlöslichen Vitaminen, B-Vitaminen, Mineralien und Spurenelementen zur Vermeidung von Mangelzuständen zu achten. Außerdem muss der Patient darüber aufgeklärt werden, dass die verminderte Aufspaltung des Fettes in der Nahrung zu Durchfällen führt. Fett muss jedoch in der Nahrung nach malabsorptiven Verfahren enthalten sein, da Fett sättigt und schmeckt. Eine reine Kohlenhydraternährung erzeugt keinen Gewichtsverlust nach malabsorptiven Verfahren, da alle Kohlenhydrate resorbiert werden. Nach Roux-en-Y-Magenbypass (RNYGB, Modul 5) entfällt zusätzlich die Reservoirfunktion des Magens. Somit können nach diesem kombiniert restriktiv-malabsorptiven Verfahren ebenfalls nur kleine Nahrungsportionen verzehrt werden. Bei der Biliopankreatischen Diversion mit Duodenalswitch (BPD-DS, Modul 5) besteht ebenfalls zusätzlich eine starke Restriktion. Somit gelten auch hier die oben genannten 10 Empfehlungen. Anders ist dies nach Biliopankreatischer Diversion (BPD, Modul 5): Der Magenpouch hat hier ein Fassungsvermögen von 200 bis 300 ml. Die Restriktion ist also geringfügig. Ziel dieses Verfahrens ist vorrangig die Malassimilation von Fett. Das schränkt die Energieaufnahme deutlich ein. Die Patienten müssen sich ausreichend ernähren, um mit allen notwendigen Nährstoffen versorgt zu werden. Wichtig ist hier die ausreichende Proteinzufuhr. Ein zu hoher Fettverzehr führt zu Durchfall und übelriechenden Flatulenzen. Kohlenhydratreiche Kost kann zu Dumping mit Schwindelgefühl und Unwohlsein führen. Diese Konstellation erfordert in der Beratung ernährungsmedizinisches Wissen, am besten die Kooperation mit einem Ernährungsberater. Um einer Osteoporose vorzubeugen, sollten alle Frauen ab 40 Jahren eine Osteoporoseprophylaxe nach adipositaschirurgischen Eingriffen erhalten. Insbesondere ist 17 Modul 06: Ärztliche Betreuung im Rahmen der chirurgischen Adipositastherapie ……………………………………………………………………………………………………. nach BPD und BPD-DS eine tägliche Zufuhr von 2 g Calcium gemeinsam mit Vitamin D erforderlich. Dies ist nur durch Supplementation zu erreichen. Wie bei den restriktiven Verfahren ist auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr zu achten [4]. Merke: Nach restriktiven Verfahren beachten: Kauen ist besser als Pürieren (die Nahrungsaufnahme erfolgt langsamer –> früheres Sättigungsgefühl) Flüssigkeit soll nicht gemeinsam mit Nahrung aufgenommen werden (Passage wird erleichtert und Aufnahmekapazität erhöht = der erwünschte Effekt der Gewichtsreduktion wird reduziert). Die Flüssigkeitszufuhr sollte so bemessen sein, dass die produzierte Urinmenge etwa 1 bis 1,5 l Urin/24 Stunden beträgt. Soft-Drinks und Alkohol sind „Kalorienbomben“, ebenso hochkalorische Nahrungsmittel wie Sahne. Auf ausreichende Zufuhr von Vitaminen, Mineralien und Spurenelementen achten. Tierische gesättigte Fette sollten nur in sehr geringen Mengen genossen werden. Empfohlen: Verhältnis Omega-6-Fettsäuren zu Omega-3-Fettsäuren = 5:1 Ausreichende Proteinzufuhr Nach restriktiv-malabsorptiven Verfahren beachten: Ausreichende Zufuhr von fettlöslichen Vitaminen Ausreichende Proteinzufuhr nach Biliopankreatischer Diversion Zu hohe Fettzufuhr vermeiden 18 Modul 06: Ärztliche Betreuung im Rahmen der chirurgischen Adipositastherapie ……………………………………………………………………………………………………. Lebenslange Supplementation Bei diesem Thema dient die Übersicht zu den OP-Verfahren wieder als Erinnerung (Abb.). Abb.: Übersicht OP-Verfahren Restriktive Verfahren: Magenballon (endoskopisch) Magenband (Gastric banding) Gastroplastik (vertikale Gastroplastik, VGB) Schlauchmagen („Sleeve gastrectomy, vertical gastrectomy“) Kombiniert restriktiv-malabsorptive Verfahren: Mikro-malabsorptive Verfahren: Roux-en-Y-Magenbypass, RNYGB Kombination von steuerbarem Magenband und Magenbypass („banded“ Magenbypass) Makro-malabsorptive Verfahren: Biliopankreatische Diversion nach Scopinaro (BPD) Biliopankreatische Diversion mit Duodenalswitch (BPD-DS) Distaler Magenbypass Bei den restriktiven OP-Verfahren kann durch reduzierte Nahrungszufuhr besonders ein Mangel an Vitaminen, Mineralien und Spurenelementen entstehen. Einseitige Ernährung und wiederholtes Erbrechen können dies verstärken. Nach Applikation eines verstellbaren Magenbands ist die tägliche Einnahme eines Multivitaminpräparates ausreichend. 19 Modul 06: Ärztliche Betreuung im Rahmen der chirurgischen Adipositastherapie ……………………………………………………………………………………………………. Nach restriktiv-malabsorptiven Verfahren muss neben Calcium, Eisen und B-Vitaminen routinemäßig Vitamin B12 parenteral zugeführt werden. Diese Substitution hat auch bei normalen Laborparametern zu erfolgen. Vitamin B12 und Folsäure sind entscheidend an der DNA-Synthese beteiligt. Besonders nach malabsorptiven Verfahren tritt ein Mangel auf. Typische Symptome sind: Anämie, Müdigkeit, Blässe, Leistungsschwäche, Schleimhautveränderungen und Diarrhoen. Aber auch neurologische Symptome können auftreten: Gangunsicherheit, sowie schmerzhafte Parästhesien an Händen und Füßen. Neben der i. m.-Applikation alle 3 Monate (2.500 IE) werden Vitaminsprays angeboten [4]. Die empfohlene Tagesdosis für Folsäure beträgt nach Roux-en-Y-Magenbypass 400 µg, nach Biliopankreatischer Diversion 800 µg. Eine Supplementation über 1.000 µg ist wegen einer Maskierung eines Vitamin B12-Mangels nicht zu empfehlen [11]. Vitamin B1 (Thiamin) beeinflusst neben der Funktion von Herz und Gastrointestinaltrakt besonders das periphere und zentrale Nervensystem. Die rechtzeitige Diagnose eines Mangels und entsprechende Substitution schützen vor Schäden wie Wernicke-Enzephalopathie. Thiamin ist wasserlöslich und wird physiologisch durch ein aktives Transportsystem im Jejunum resorbiert. Die empfohlene Tagesdosis beträgt bei Frauen 1,1 mg und bei Männern 1,2 bis 1,5 mg. In 1.000 kcal/Tag müssen also 0,5 mg Thiamin enthalten sein. Ein Thiaminmangel (Gefahr: Beriberi-Symptomatik) ist auch ein Indikator für andere Vitamin B-Defizite [11]. Da Eisen zum großen Teil im Zwölffingerdarm aufgenommen wird, kann es hier zum Mangel nach Roux-en-Y-Magenbypass sowie Biliopankreatischer Diversion mit und ohne Duodenalswitch kommen. Reicht die orale Zufuhr nicht aus, müssen Infusionen zur Vermeidung von Anämie, Schwäche, Brüchigkeit der Nägel und Haare sowie Mundwinkelrhagaden verabreicht werden. Nach Roux-en-Y-Magenbypass beträgt die Inzidenz eines Eisenmangels etwa 52 % nach 2 Jahren, nach Biliopankreatischer Diversion bis zu 100 % [4]. 20 Modul 06: Ärztliche Betreuung im Rahmen der chirurgischen Adipositastherapie ……………………………………………………………………………………………………. Die empfohlene orale Tagesdosis beträgt für Männer 10 mg und für Frauen im gebärfähigen Alter 15 mg. Die zusätzliche Einnahme von Vitamin C kann die Eisenresorption verbessern. Durch verminderte Fettverwertung ist die Aufnahme fettlöslicher Vitamine (A, D, E und K) herabgesetzt. Die empfohlene Tagesdosis an Vitamin A beträgt 1 mg. Ein Vitamin D-Mangel wird durch Calcium-Mangel weiter verstärkt. Das kann zum sekundären Hyperparathyreoidismus führen. Bei Kindern und Erwachsenen liegt der Vitamin D-Bedarf bis zum 50. Lebensjahr bei etwa 400 bis 500 IE/Tag. Bis zum Alter von 75 Jahren erhöht er sich auf 700 IE/Tag, darüber auf 1.000 IE/Tag. Hinsichtlich der Vitamin K-Versorgung ist die Datenlage nach adipositaschirurgischen Eingriffen spärlich. In einzelnen Studien wurde nach Biliopankreatischer Diversion bei 50 bis 68 % der Patienten ein Mangel drei bis vier Jahre postoperativ nachgewiesen. In den vorliegenden Studien zeigten sich jedoch keine Manifestationen im Sinne von Gerinnungsstörungen. Ein Vitamin E-Mangel ist aufgrund der Gabe von Multivitaminpräparaten selten. Ein Zinkmangel tritt gehäuft nach malabsorptiven Eingriffen auf. Die Zinkresorption ist an die Fettresorption gekoppelt. Wenn Haarausfall auftritt, ist eine Substitution empfohlen. Tabelle 4 zeigt beispielhaft Supplementierungsempfehlungen [mod. nach 12]. 21 Modul 06: Ärztliche Betreuung im Rahmen der chirurgischen Adipositastherapie ……………………………………………………………………………………………………. Tabelle 4: Derzeit gültige Supplementationsempfehlungen nach RYGB Nährstoff, Vitamin, Mögliche »laborgestützte« Supplementation Mineral Protein 50-60 mg/Tag, Kostenzusammenstellung, Essreihenfolge Eisen 50-100 (600) mg/Tag oral, insbesondere prämenopausale Frauen Vitamin B12 350-500 µ/Tag oral, gelegentlich 1000-2000 IE s.c./Monat Folsäure 400 µ/Tag oral Calcium 1000-2000 mg/Tag oral Vitamin D 400 IE/Tag oral (< 60 Jahre), 700 IE/Tag oral (> 60 Jahre) Übrige Vitamine täglich handelsübliche Multivitaminpräparate Laborchemie in der Nachsorge Ein Teil der notwendigen Laborkontrollen in der Nachsorge ergibt sich aus den oben genannten Mangelerscheinungen. Die Untersuchungen sind in der Regel nach Roux-en-Y-Magenbypass im ersten Jahr alle 6 Monate, danach mindestens einmal pro Jahr notwendig. Nach malabsorptiven Verfahren sollten zunächst vierteljährliche Kontrollen durchgeführt werden. Dazu gehört die Bestimmung von: Calcium Eisen Ferritin Vitamin B12 Vitamin D Eiweiß 22 Modul 06: Ärztliche Betreuung im Rahmen der chirurgischen Adipositastherapie ……………………………………………………………………………………………………. Erforderlich sind weitere Kontrollen von: Blutbild Elektrolyten Parathormon Standard-Gerinnungsparametern Kontrollen nach „metabolischer Chirurgie“ Im 5. Frankfurter Meeting für Adipositaschirurgie und metabolische Chirurgie 2008 [13] wurde in entsprechenden Beiträgen auch auf die positiven Einflüsse auf Folgekrankheiten der Adipositas nach adipositaschirurgischen Eingriffen eingegangen: Diabetes mellitus Typ 2 Herz-Kreislauf-Erkrankungen Die entsprechende Laborchemie in der Nachsorge müsste die zu erwartenden Verbesserungen der Folgekrankheiten beim jeweiligen Patienten bestätigen: Nach mehreren Studien werden über 70 % insulinpflichtiger Adipositas-Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 von ihrer Stoffwechselerkrankung nach Magenbypass geheilt [13]. Die Verbesserungen der Triglycerid-Spiegel und des HDL-Cholesterins sind nach allen Verfahren mit erfolgreicher Gewichtsreduktion signifikant [4]. Ebenso günstig wirken sich die adipositaschirurgischen Eingriffe mit Gewichtsabnahme auf vorbestehende Hochdruckerkrankungen aus. So gehört die Blutdrucküberwachung ebenso zur Nachsorge, wie natürlich auch die Messung des Operationserfolges im Hinblick auf den Gewichtsverlust (BMI, whaist-to-hip-ratio, Bioimpedanz-Analyse). Bei vorbestehender nicht-alkoholischer Steatohepatitis (NASH) kann die Leberfunktion durch operativ induzierten Gewichtsverlust gebessert werden. Dies ist durch Studien belegt [14, 15]. Ein entsprechendes Laborscreening ist bei solchen Patienten sinnvoll. 23 Modul 06: Ärztliche Betreuung im Rahmen der chirurgischen Adipositastherapie ……………………………………………………………………………………………………. Da die Hyperurikämie Bestandteil des Metabolischen Syndroms ist, kann auch die Bestimmung der Harnsäure ein Maß für den Operationserfolg sein. Somit werden nach Operation mit erfolgreichem Gewichtsverlust und konsekutiver Verbesserung der Adipositas-Folgeerkrankungen viele vorher notwendige Medikamente verzichtbar. Dennoch müssen u. U. nach entsprechenden Kontrollen der genannten Laborparameter im Einzelfall medikamentöse Maßnahmen weitergeführt werden. Die Dosis der einzelnen notwendigen Substanzen ist individuell je nach stattgehabtem Operationsverfahren zu titrieren. Hierbei muss die spezielle Resorption der unterschiedlichen Pharmaka bedacht werden. Grundsätzlich gilt [16]: Dem Magen kommt schon physiologisch bei der Resorption eine geringe Bedeutung zu (geringe Oberfläche, schlechte Löslichkeit schwacher Säuren im sauren Milieu). Allerdings wird die Magenpassagezeit verkürzt. Wichtigstes Resorptionsorgan ist der Dünndarm. Hier führen bestimmte adipositaschirurgische Eingriffe zur Oberflächenverkleinerung mit möglicher Auswirkung auf die Arzneimittelresorption. Spezielles Neben den gut untersuchten hormonalen Regulationen von Sättigungs- und Hungergefühl (Modul 1) können weitere hormonell aktive Substanzen laborchemisch nachgewiesen werden. Dies ist aber speziellen Labors und Fragestellungen vorbehalten. Ebenso sind in den Fettzellen unterschiedlichste Adipokine bekannt, die zum Teil an der „low grade inflammation“ eines Adipösen beteiligt sind. Heute sind etwa 400 Substanzen bekannt, die Einfluss auf die Speicherungsaktivität, die Regulation der Nahrungsaufnahme und die Stoffwechselprozesse ausüben. Die zirkulierenden Zytokin- und Hormonspiegel verändern sich signifikant nach adipositaschirurgischen Eingriffen im positiven Sinne [LEBOWITZ, 13]. 24 Modul 06: Ärztliche Betreuung im Rahmen der chirurgischen Adipositastherapie ……………………………………………………………………………………………………. Merke: Nach malabsorptiven OP-Verfahren: Tägliche Zufuhr von 2 g Calcium Lebenslange Supplementation von Vitamin B12, Folsäure, Thiamin, Eisen, Vitamin D – Vitamin E, A und K nach Bedarf, ebenso Zink Keine Supplementation von Folsäure über 1.000 µg/d aufgrund einer Maskierung eines Vitamin B12-Mangels. Inzidenz eines Eisenmangels nach Roux-en-Y-Magenbypass etwa 52 % nach 2 Jahren, nach Biliopankreatischer Diversion bis zu 100 %. Heilung von 70 % insulinpflichtiger Adipositas-Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 nach Magenbypass. Signifikante Verbesserungen der Triglycerid-Spiegel und des HDL-Cholesterins nach allen Verfahren mit erfolgreicher Gewichtsreduktion. Verbesserung der Leberfunktion bei vorbestehender nicht-alkoholischer Steatohepatitis (NASH). Mögliche Verbesserung einer vorbestehenden Hyperurikämie. 25 Modul 06: Ärztliche Betreuung im Rahmen der chirurgischen Adipositastherapie ……………………………………………………………………………………………………. Weitere Aspekte Zum Thema Bewegung und körperliche Aktivität verweisen wir auf das Modul 3, Präventionsmaßnahmen 1. Diese Empfehlungen gelten grundsätzlich auch nach adipositaschirurgischen Eingriffen. Dennoch muss der nachbehandelnde Arzt in Abhängigkeit vom Eingriff mit dem Patienten die individuellen Grenzen und stufenweisen Steigerungen festlegen. Durch das anfangs noch hohe Übergewicht sollten zunächst „sanfte“ und Gelenk-schonende Sportarten empfohlen werden. Gut geeignet sind z. B. Nordic-Walking, Radfahren, Aquagymnastik oder Schwimmen. Wird das Gewicht weniger, so fällt auch die körperliche Betätigung allmählich immer leichter, der Aktivitätsgrad kann dann gesteigert werden. Plastisch chirurgischer Folgeeingriff Nach starker Gewichtsabnahme sind die Fettdepots leer, und es gibt überschüssige Haut, die für den Betroffenen evtl. zu einer eingeschränkten Lebensqualität sowie zu neuen Begleiterkrankungen führen kann (z. B. Entzündungen unter den Hautlappen, Pilzerkrankungen etc.). Daraus kann sich eine medizinische Indikation für einen plastischen Eingriff ableiten, deren Kosten die Krankenkassen meistens übernehmen. Ein plastisch chirurgischer Folgeeingriff sollte jedoch erst nach Stabilisierung der Gewichtskurve vorgenommen werden. Schwangerschaft Eine Schwangerschaft sollte frühestens nach 12 bis 18 Monaten geplant werden. Erst dann kann eine Stabilisierung des Körpergewichtes festgestellt werden. Eine orale Kontrazeption ist nach Magenbypass, Biliopankreatischer Diversion (BPD) und Biliopankreatischer Diversion mit Duodenalswitch (BPD-DS) nicht zuverlässig. Postoperativ muss eine Kontrazeption erfolgen, die mit dem Gynäkologen abzustimmen ist. Der Gewichtsverlust kann eine erhöhte Fertilität zur Folge haben [4]. 26 Modul 06: Ärztliche Betreuung im Rahmen der chirurgischen Adipositastherapie ……………………………………………………………………………………………………. Selbsthilfegruppen Selbsthilfegruppen haben bei den Betroffenen einen hohen Stellenwert. Oft hat der Arzt nicht genügend Zeit, auf die Fragen des Patienten adäquat einzugehen – oder sie stellen sich dem Patienten erst nach dem Arztbesuch. Die Mitglieder der Selbsthilfegruppe stehen Betroffenen und Angehörigen für Fragen jederzeit zur Verfügung. Auch außerhalb von Sprechstunden sind sie kompetenter Ansprechpartner für alle Sorgen und Nöte der Betroffenen. Die Gruppenmitglieder haben den gleichen Weg hinter sich und geben ihre Erfahrung und Tipps gerne weiter. Weitere Themen, bei denen sie weiterhelfen, sind z. B. Fragen zur Kostenübernahme vor der Operation Umgang mit Ernährungs- und Lebensumstellung nach Operation soziale (Re)-Integration Umgang mit Nebenwirkungen nach operativem Eingriff 27 Modul 06: Ärztliche Betreuung im Rahmen der chirurgischen Adipositastherapie ……………………………………………………………………………………………………. Literatur Quelle: Weiner RA: Adipositaschirurgie – Indikation und Therapieverfahren. UNI MED Verlag AG – Bremen (2006) Zitierte Literatur: [1] Herbig B: Zertifizierung von Zentren für Adipositas- und Metabolische Chirurgie in Deutschland durch die DGAV. Chirurgische Allgemeine – CHAZ, 9. Jahrgang 11und 12: 483-490 (2008) http://www.dgav.de/fileadmin/media/texte_pdf/caadip/caadip_zertifizierung_ueberbli ck_2008-10.pdf [2] Husemann B et al.: Evidenzbasierte Leitlinie Chirurgische Therapie der extremen Adipositas http://www.adipositas-gesellschaft.de/daten/Leitlinie-Chirurgie.pdf [3] Weiner RA: Kommentar: Zertifizierung – ein wichtiger Schritt für die Entwicklung der Adipositas-Chirurgie in Deutschland http://www.dgav.de/fileadmin/media/texte_pdf/caadip/caadip_zertifizierung_ueberbli ck_2008-10.pdf [4] Weiner RA: Adipositaschirurgie – Indikation und Therapieverfahren. UNI MED Verlag AG – Bremen (2006) [5] Benotti PN et al.: Obesity. Arch Surg 139: 406-14 (2004) [6] Buchwald H et al.: Consensus conference statement. Bariatric surgery for morbid obesity: Health implications for patients, health professionals, and third-party payers. Surgery for Obesity and related diseases 1: 371-81 (2005) [7] Society of American Gastrointestinal Endoskopic Surgeons. Guidelines for institutions granting baraitric privileges utilizing laparoscopic techniques. Society of American 28 Modul 06: Ärztliche Betreuung im Rahmen der chirurgischen Adipositastherapie ……………………………………………………………………………………………………. Gastrointestinal Endoskopic Surgeons (SAGES) and the SAGES Bariatric Task Force. Surg Endosc 17: 2037-40 (2003) [8] AWF-Richtlinien der Deutschen Adipositasgesellschaft: http://www.adipositasgesellschaft.de/ [9] http://www.deutsche-adipositas-gesellschaft.de/Leitlinien/Leitlinie-Chirurgie-v2.pdf [10] Ackroyd R, Mouiel J, Chevallier JM, Daoud F: Cost-effectiveness and budget impact of obesity surgery in patients with type-2 diabetes in three European countries. Obes Surg 2006; 16(11): 1488-1503. [11] Stroh C et al.: Die Notwendigkeit der lebenslangen Supplementation nach malabsorptiven bariatrischen Eingriffen. Ärzteblatt Thüringen 11: 633-36 (2008) [12] Ludwig K, Bernhard J: Adipositas-Chirurgie (Hrsg.: Weiner RA): 4. Frankfurter Meeting (Frankfurt/M), 9./10.Nov. 2006, Chir Gastroenterol 23, Suppl 1, Band 23: p 30-34 (2007) [13] Weiner A: 5. Frankfurter Meeting für Adipositaschirurgie und metabolische Chirurgie. AdipositasSpektrum 6: pp12-16 (2008) [14] Gasteyger C et al.: Changes in body composition, metabolic profile and nutritional status 24 months after gastric banding. Obes Surg 16: 243-50 (2005) [15] Rodrigues de Almeida S et al.: Roux-en-Y gastric bypass improves the nonalcoholic steatohepatitis (NASH) of morbid obesity. Obes Surg 16: 270-78 (2006) [16] Mutschler E: Arzneimittelwirkungen – Lehrbuch der Pharmakologie und Toxikologie. Wiss Verlagsgesellschaft mbH Stuttgart (1996) 29 Modul 06: Ärztliche Betreuung im Rahmen der chirurgischen Adipositastherapie ……………………………………………………………………………………………………. Impressum Herausgeber: MEDI DIDAC GmbH Institut und Verlag für Fortbildung im Gesundheitswesen Friedrich-Wilhelm-Straße 160 56077 Koblenz Tel +49 261 97 30 70-0 Fax +49 261 97 30 70-2 E-Mail: [email protected] www.medi-didac.de Autor: Dr. med. Peter Kohler Facharzt für Anästhesiologie MEDI DIDAC GmbH Friedrich-Wilhelm-Straße 160 56077 Koblenz Wissenschaftlicher Beirat: Univ. Doz. Dr. Stephan Kriwanek Krankenanstalt Rudolfstiftung / Chirurgische Abteilung Juchgasse 25 A - 1030 Wien Prof. Dr. Rudolf Weiner Adipositaschirurgie Krankenhaus Sachsenhausen Schulstraße 31 60594 Frankfurt am Main Das Projekt CME-Adipositas wird zweckneutral unterstützt durch: Johnson & Johnson Medical Products GmbH, Österreich Johnson & Johnson MEDICAL GmbH, Ethicon Endo-Surgery Deutschland 30