Die menschliche Verantwortung für das tierische Leben in der

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Die menschliche Verantwortung für das tierische Leben in
der Landwirtschaft – Landwirtschaftliche Erfordernisse und
unsere Verantwortung für Tiere als Mitgeschöpfe
- Moraltheologische Überlegungen Eberhard Schockenhoff∗
Übersicht
Die menschliche Verantwortung für das tierische Leben in der Landwirtschaft – Landwirtschaftliche
Erfordernisse und unsere Verantwortung für Tiere als Mitgeschöpfe ..................................................... 1
Die menschliche Verantwortung für das tierische Leben in der Landwirtschaft ................................. 1
I. Begriffliche Vorklärungen ................................................................................................................. 2
1. Was heißt Mitgeschöpflichkeit der Tiere?................................................................................... 2
2. Haben Tiere Rechte?.................................................................................................................. 3
II. Ethische Prinzipien der menschlichen Verantwortung für das Tier ................................................ 4
1. Rücksicht auf die Interessen der Tiere. ...................................................................................... 4
2. Die moralische Selbstachtung des Menschen............................................................................ 6
3. Die Empfindungsfähigkeit der Tiere............................................................................................ 7
III. Praktische Konfliktfelder der Tierethik ........................................................................................... 9
1. Nutztierhaltung............................................................................................................................ 9
Die menschliche Verantwortung für das tierische Leben in der
Landwirtschaft
Der Begriff der "Tierethik", der seit einigen Jahren im Mittelpunkt
moralphilosophischer Debatten steht, ist auch für Fachleute eine Wortschöpfung
jüngeren Datums. Die Tatsache, daß nur der Mensch Subjekt moralischer
Verantwortung sein kann, verleitet das ethische Denken leicht zu dem Fehlschluß, er
allein komme auch als ihr einziger Gegenstand in Betracht. Die mangelnde
Unterscheidung zwischen dem Subjekt und dem Objekt der sittlichen Verantwortung
liegt der selbstverständlichen Annahme einer langen Tradition europäischer Ethik
zugrunde, wonach sittliches Handeln ein vernunftmäßiges Handeln meint, durch das
der Mensch sich selbst und seinesgleichen als moralfähiges Wesen achtet, während
die Tiere und erst recht die übrige nichtbewußte Natur aus der sittlichen Welt
ausgeschlossen bleiben. Insofern diese stillschweigende Verbannung der Tiere aus
der moralischen Gemeinschaft zur Folge hatte, daß diese auch als Gegenstand
menschlicher Verantwortung kaum mehr wahrgenommen wurden, trifft für die
gesamten europäischen Moralsysteme bis hinauf zu den modernen Vertragstheorien
und diskursethischen Denkansätze zu, was Arthur Schopenhauer und Albert
Schweitzer als erste beklagten: daß in der westlichen Ethik für die Tiere "so
unverantwortlich schlecht gesorgt" sei, weil die ganze Mühe der europäischen
Denker in der Vergangenheit der Sorge galt, daß "ihnen keine Tiere in der Ethik
herumlaufen".
I. Begriffliche Vorklärungen
Die Entdeckung der Tiere, die sich in der gegenwärtigen philosophischen Ethik
ereignet, übernimmt von Schopenhauers Mitleidsmoral oder Schweitzers
Ehrfurchtsethik häufig aber nicht nur das Motiv einer universalen Empathie mit allem
Lebendigen, sondern zugleich ihre kritische Frontstellung gegen das Vernunftsprinzip
und den Personengedanken. Diese historisch bedingte Skepsis gegenüber den
beiden Grundpfeilern der tradinionellen Ethik ist mit dem sachlichen Anliegen der
Tierethik jedoch nicht notwendig verbunden. Das Prinzip, auch im Verhältnis des
Menschen zum Tier, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln, und das
Postulat "Gerechtigkeit für Tiere" lassen sich auch innerhalb einer (gemäßigt)
anthropozentrischen Ethik einlösen. Bevor wir nach den Konsequenzen der neuen
Tierethik für die Landwirtschaft fragen, bedarf es deshalb einer Verständigung
darüber, wie weit die Grundbegriffe der klassischen Ethik auch aus dem MenschTier-Verhältnis Anwendung finden können.
1. Was heißt Mitgeschöpflichkeit der Tiere?
Noch bevor die "Befreiung der Tiere" Anfang der siebziger Jahre Gegenstand
philosophischer Debatten wurde und eine Phase intensiver Beschäftigung mit
tierethischen Fragen begann, führte der reformierte Theologe Fritz Blanke in einem
anfangs nur wenig beachteten Aufsatz das Stichwort der "Mitgeschöpflichkeit" in die
theologische Ethik ein. Er griff damit eine ähnliche Formulierung des kantianischen
Philosophen Wilhelm Wundt auf, der um die Jahrhundertwende das Wort
"Mitgeschöpf" bereits in einem philosophischen Zusammenhang verwandte. Dieser in
einem philosophischen Kontext ungewöhnliche Begriff, sollte Wundt dazu dienen,
Kants radikale Dichotomie zwischen Personen und Sachen zu überwinden, nach der
nur Vernunftwesen Personen und Zwecke an sich selbst, alle anderen Naturwesen
dagegen Sachen und Mittel zu fremden Zwecken sind. Dadurch entging er dem
durch die juristische Terminologie vorgezeichneten rechtsphilosophischen Dilemma,
die Tiere nur deshalb als bloße Sachen betrachten müssen, weil sie als
unvernünftige Wesen offensichtlich keine Personen sind.
Der Begriff "Mitgeschöpf" vermeidet so zwar die verbale Anstößigkeit des harten
Wortes "Sache"; er dient aber immer noch dazu, mehr die Differenz zwischen Tier
und Mensch als die unter ihnen bestehende Ähnlichkeit zu betonen. Als
Mitgeschöpfe werden die Tiere nämlich nicht um ihrer selbst willen, sondern nur als
Teil der Gesamtschöpfung Gegenstand der moralischen Ordnung, während der
Mensch das einzige Objekt unseres "wahren Mitgefühls" ist, das auf der Grundlage
einer inneren Willenseinheit der vernünftigen Wesen entsteht. Eben diese unter den
damaligen philosophischen Strömungen vom Neukantianismus bis zum dialogischen
Personalismus unbestrittene Voraussetzung zog Fritz Blanke als protestantischer
Theologe im Jahre 1959 erstmals in Zweifel; auf katholischer Seite folgte ihm bald
darauf Josef Bernhart mit seinem Buch "Die unbeweinte Kreatur" (1961). Blanke
verstand seine Ethik der Mitgeschöpflichkeit ausdrücklich als Gegenentwurf zu einer
theologischen Ethik, die sich ausschließlich in den Bahnen der Ich-Du-Beziehung
bewegt und forderte die Theologie dazu auf, die Pflichten, welche der Mensch als
"Verwalter, Helfer und Fürsorger der Natur" gegenüber dem Tierreich hat, als
"Erweiterung" des ethischen Grundgebotes der Mitmenschlichkeit anzusehen.
Angestoßen durch die intensiven Bemühungen um eine philosophische Begründung
der Tierethik und die Initiativen zu einer Novellierung der Tierschutzgesetze in
zahlreichen europäischen Ländern hat die theologische Ethik den Begriff der
"Mitgeschöpflichkeit" inzwischen mit Hilfe eines genaueren philosophischen
Instrumentariums zu bestimmen versucht. Sie versteht ihn heute weithin in dem Sinn,
daß auch Tiere und nichtmenschliche Wesen als Mitgefährten des Lebens zur
moralischen Ordnung gehören und deshalb in einer Güterabwägung um ihrer selbst
willen, d.h. unter Beachtung ihres geschöpflichen Eigenwertes, zu berücksichtigen
sind. Weil sie überzweckhaft existieren und Träger eigener Sinnwerte sind, die zur
Vielfalt des Lebens und zum Reichtum der Schöpfung gehören, darf sie der Mensch
nur so für seine Ziele in Anspruch nehmen, daß er dabei auch ihren eigenen Zielen
und ihrer Stellung innerhalb der biotischen Gemeinschaft gerecht wird. Strittig ist
innerhalb der gegenwärtigen theologischen Ethik also nicht mehr die Beachtung der
immanenten Theologie nichtmenschlicher Lebenwesen, sondern nur die Frage, ob
dieses Postulat als Erweiterung einer (gemäßigten) anthropozentrischen Ethik
einzulösen ist (A. Auer, F. Böckle, G. Mertens) oder den Übergang zu einer
(gemäßigten) biozentrischen Ethik (G. Altner, F. Ricken, K. Hilpert) erfordert.
2. Haben Tiere Rechte?
Die modernen Tierschutzgesetze dienen dem individuellen Wohl des einzelnen
Tieres; das novellierte Tierschutzgesetz der BRD von 1986 formuliert in § 1 den
Grundsatz, aus "der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf
dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen". Insofern das Tier um seiner selbst
willen zu achten ist, lassen sich unsere moralischen Verpflichtungen ihm gegenüber
noch weiter in einzelne gesetzlich garantierte Schutzansprüche aufgliedern. In
diesem Sinn hat sich die Rede vom Recht der Tiere auf angemessene Ernährung
und Pflege, auf verhaltensgerechte Unterbringung und einen artgemäßen
Bewegungsraum eingebürgert. Vor allem ist es nach allgemein anerkannter
Auffassung eine unmittelbare und direkte Pflicht des Menschen gegenüber dem
einzelnen Tier, ihm keine schweren und unnötigen Schmerzen zuzufügen.
Auch wenn das Postulat der Gegenseitigkeit, das für die Anerkennung
zwischenmenschlicher Rechtsbeziehungen konstitutiv ist, durch die Asymmetrie des
Mensch-Tier-Verhältnisses durchbrochen ist, kann man aus der Tatsache, daß wir
Menschen Pflichten gegenüber Tieren haben, im Umkehrverschluß folgen, daß diese
uns gegenüber eigene Rechte besitzen. Wir verwenden den Rechtsbegriff dann
allerdings in einem abgeleiteten Sinn, der nicht mehr den moralischen
Verantwortungsspielraum der Person und ihre Fähigkeit, selbst zu handeln, sondern
den Anspruch schützt, etwas zu erhalten. Nach diesem erweiterten Rechtsbegriff
wären nicht nur eigenverantwortliche Subjekte, sondern alle Wesen, die als Objekt
zur moralischen Gemeinschaft gehören, eo ipso auch als Träger moralischer Rechte
anzusehen.
In einer sorgfältigen Abwägung des Für und Wider beider Positionen kommt Friedo
Ricken allerdings zu dem Ergebnis, daß wir uns durch die Wendung "Tiere haben
Rechte" unnötigerweise (da wir ihre moralischen Ansprüche an uns auch anders
schützen können) der terminologischen Möglichkeit berauben, die Sonderstellung
der Person sprachlich eindeutig auszudrücken. "Rechte gründen in der sittlichen
Verantwortung der Person. Das Gesetz kann Güter von Tieren, aber nicht die
Verfügungsgewalt von Tieren über Güter schützen. Bei Wesen, die zwar moralisches
Objekt sind, aber aufgrund ihrer Natur niemals Subjekt moralischer Forderungen sein
können, sollte nicht von Rechten gesprochen werden".
Zumindest sollten wir uns bewußt bleiben, daß wir den Terminus eines moralischen
Rechtes, wenn wir ihn auf Tiere beziehen, in einem abgeleiteten Sinn verwenden,
weil unsere Pflichten gegenüber Tieren anders als in zwischenmenschlichen
Verhältnissen nicht in der Fähigkeit zu reziprokem Handeln, sondern in unserer
einseitigen Verantwortung für sie begründet sind.
II. Ethische Prinzipien der menschlichen Verantwortung für das Tier
Entgegen Albert Schweitzers ironischer Diagnose sind in der europäischen Ethik
Tiere durchaus vorgesehen. Sie dürfen allerdings - um sein Bild aufzugreifen - nicht
frei in ihr herumlaufen, sondern sich nur in den für sie vorgesehenen Reservaten des
Denkens bewegen. Im Garten der europäischen Moralphilosophie sind sie als
gezähmte Zootiere gehalten; sie kommen darin nicht als Mittelpunkt ihrer eigenen
Umgebung, sondern nur als lebendige Staffage einer auf den Menschen hin
entworfenen Welt vor, in der sie, Betrachtungsobjekt und pädagogisches Lehrstück
zugleich, dem ästhetischen Genuß und der moralischen Erziehung des Menschen
dienen. Für ihre Mitgliedschaft in der moralischen Welt bedeutet dies: Sie sind auch
als Gegenstand der moralischen Gemeinschaft dem Menschen nicht gleichgestellt,
denn dessen Sorge und moralische Verantwortung gilt den Tieren nicht direkt,
sondern nur insofern das Mitgefühl mit ihnen auch die Empfindungsfähigkeit für das
Leiden der Mitmenschen fördert.
1. Rücksicht auf die Interessen der Tiere.
Während das Tier in der kontinentalen Ethik meist nur auf dem Umweg über das
ethikbegründende Vernunftprinzip oder einen metaphysischen Lebensbegriff in
moralische Erwägungen einbezogen wird, geht der angelsächsische Empirismus von
Anfang an einen anderen Weg. Er nimmt eine elementare Gemeinsamkeit zwischen
Mensch und Tier als Ausgangspunkt für eine Begründung der Pflichten, die wir ihnen
gegenüber haben: die Schmerzempfindlichkeit oder das Empfindungsvermögen
überhaupt. Tiere sind wie wir schmerzempfindende Wesen und in dieser
kreatürlichen Leidensfähigkeit liegt der Grund dafür, daß wir ihnen eigene Rechte
zusprechen müssen.
Der Begründer des klassischen Utilitarismus, Jeremy Bentham, hat den Gedanken
einer Gleichbehandlung der Tiere als erster philosophisch durchdacht. In seinem im
Jahr der französischen Revolution erschienen Buch "An Introduction to the Principles
of Morals and Legislation" (1789), begründet er seine Forderung in einer Analogie
zur politischen Moral damit, es gelte die Abschaffung der Sklaverei nun auch
gegenüber dem Tierreich zu verwirklichen. "Vielleicht kommt es einmal dahin, daß
auch das übrige Tierreich die Rechte erhält, die ihm durch die Tyrannei vorenthalten
werden konnten. Die Franzosen haben bereits entdeckt, daß die Schwärze der Haut
kein Grund ist, dessentwegen ein menschliches Wesen rücksichtslos den Launen
eines Peinigers überlassen werden darf. Vielleicht erkennt man eines Tages auch,
daß die Zahl der Beine, die Behaarung der Haut und der Auslauf des os sacrum
gleichermaßen keine hinreichenden Gründe sind, um ein empfindungsfähiges Wesen
(sensitive being) demselben Schicksal auszusetzen." Zur Begründung dieser
Hoffnung folgt dann ein Satz, der seitdem aus der Geschichte der philosophischen
Tierethik nicht mehr wegzudenken ist: Er bringt die Mitgliedschaft der Tiere in der
moralischen Welt auf die griffige Formel: "Die Frage ist weder: können siedenken,
noch: können sie sprechen, sondern: können sie leiden?" Daneben spielt das
klassische Argument, die Einbeziehung der Tiere in die Gesetzgebung sei "ein Mittel,
das allgemeine Gefühl des Wohlwollens zu bilden und die Menschen milder zu
machen" nur noch eine untergeordnete Rolle. Es unterstreicht, daß Wohlwollen
gegenüber Tieren auch im Interesse des Menschen liegt, daß wir also auch eigene
utilitaristische Gründe dafür haben, die Interessen der Tiere zu berücksichtigen.
Für Benthams utilitaristische Ethikkonzeption liegt also der entscheidende Grund
dafür, ein anderes Wesen moralisch anzuerkennen, nicht in seiner Sprachfähigkeit
oder in seinem Vernunftbesitz. Vielmehr erscheint ihm die Fähigkeit, zu leiden und
Schmerzen zu empfinden, als das moralische Kriterium, das unsere Pflicht zur
gleichen Rücksichtnahme ihm gegenüber begründet. Eine konsequente
Weiterführung dieses Gedankens findet sich in der gegenwärtigen utilitaristischen
Philosophie bei Peter Singer und seiner Tierbefreiungsethik. Er sieht in der Fähigkeit
zur Schmerzempfindung die breiteste, allen Lebenwesen gemeinsame Basis, die
seiner Ethik der allgemeinen Interessenerwägung als Grundlage dient.
Im Mittelpunkt steht dabei der Begriff des "Interesses", der durch die Fähigkeit,
Freude und Leid empfinden zu können, definiert wird. Interessen haben zu können,
meint an der Untergrenze aller möglicherweise davon betroffenen Wesen nichts
anderes, als von Schmerzen frei sein zu wollen (ein Stein hat deshalb kein
Interesse). Folgt man dieser Definition, dann ist die Berücksichtigung der Interessen
aller schmerzempfindenden Wesen eine unmittelbare Konsequenz des
Gleichheitsgrundsatzes, der jedem moralischen Urteil zugrunde liegt. Gegenüber
diesem universalen Fundament der Ethik wäre ihre Gründung auf die Sprachfähigkeit
oder das Vernunftvermögen eine willkürliche Eingrenzung auf die Interessen
bestimmter Wesen .
Das Postulat einer Befreiung der Tiere folgt aber nicht nur aus der inneren Logik des
Prinzips der gegenseitigen Interessenserwägung, es steht auch in einem
notwendigen geschichtsphilosophischen Horizont. Erst die Befreiung der Tiere stellt
den Abschluß der bürgerlichen Freiheitsbewegung dar, die mit der amerikanischen
Unabhängigkeitserklärung und der französischen Revolution ihren Anfang nahm.
Nachdem die Menschheit Rassismus und Sexismus überwunden hat, muß sie nun
auch Abschied von dem Irrtum des Speziesismus nehmen, durch den sie ihre eigene
Rasse gegenüber den nichtmenschlichen Lebewesen privilegiert. "Das
Grundelement - die Rücksichtnahme auf die Interessen des Wesens, welcher Art
diese Interessen auch sein mögen - muß, dem Prinzip der Gleichheit zufolge, auf alle
Wesen ausgedehnt werden, farbig oder weiß, männlich oder weiblich, menschlich
oder nichtmenschlich". In der Forderung nach einer neuen Tierbefreiungsethik
vollendet sich also die Philosophie der Freiheit, die den bürgerlichen
Gleichheitsgrundsatz auf alle Lebewesen ausdehnt. Unsere Pflichten gegenüber
Tieren gründen sich dabei auf das elementare Band der Schmerzempfindlichkeit, das
als der kleinste gemeinsame Nenner gewissermaßen zur Einlaßbedingung in die
moralische Gemeinschaft wird.
2. Die moralische Selbstachtung des Menschen
In der gegenwärtigen bioethischen Diskussion besteht unter allen Strömungen
Einigkeit darüber, daß Tiere ebenso wie der Mensch schmerzempfindende Wesen
sind, auf die wir um ihrer selbst willen Rücksicht nehmen müssen. Der unbestreitbare
Sachverhalt, daß die Gemeinschaft der fühlenden Wesen die Artgrenzen des
menschlichen Lebens übersteigt, findet auch in der Ethik Anerkennung, die auf das
Vernunftprinzip und den Gedanken der Subjektivität gegründet ist. Für sie bleibt das
erste Fundament der Tierethik allerdings die moralische Selbstachtung des
Menschen, der gegen seine Würde als Vernunftwesen verstößt, wenn er sich
gegenüber Tieren grausam und gefühllos verhält. Darauf hinzuweisen ist die
unverzichtbare Funktion einer anthropologischen Begründung der Tierethik, die
freilich durch die unzureichende Form verdeckt wird, in der dieses Argument bei
Thomas und Kant entwickelt ist.
Der Grundsatz, daß der Mensch gegen seine eigene Würde als sittliches Subjekt
handelt, wenn er Tieren aus Gedankenlosigkeit oder bewußter Brutalität grausame
Schmerzen zufügt, erfordert zu seiner Begründung nämlich keineswegs die
Instrumentalisierung der Tiere, die diese zu bloßen Mitteln seiner moralischen
Erziehung macht. Das Prinzip, auf das Leben der Tiere und ihre Empfindungswelt um
ihrer selbst willen Rücksicht zu nehmen, ist mit dem Vernunftprinzip der Ethik nicht
nur ohne weiteres vereinbar, sondern auch von ihm selbst gefordert. Zur besonderen
Verantwortung des Menschen als des einzigen Subjektes der moralischen
Gemeinschaft gehört, daß er alle Wesen gemäß ihrem immanenten Eigenwert und
dem praktischen Selbstverhältnis behandeln soll, das sie ihrem Rang unter den
Naturwesen entsprechend auszeichnet. Die Fähigkeit zur Schmerzempfindung setzt
aber zweifellos ein zumindest anfängliches Selbstverhältnis voraus, durch das sich
das Tier seiner selbst als distinktes Wesen bewußt wird. Wer Schmerz empfindet,
weiß, daß es sein Schmerz ist, unter dem er leidet und erfährt sich so als von seiner
Umgebung unterschieden.
Unabhängig von der noch zu klärenden Frage, wie sich das tierische
Schmerzempfinden vom menschlichen Leiden als einer spezifisch anthropologischen
Größe unterscheidet, gilt deshalb unter allen Lebewesen: Wo Schmerz empfunden
wird, da gibt es eine "Innenseite" des Lebens, die als naturgeschichtlicher Vorschein
der Subjektivität interpretiert werden kann, die im Menschen zu sich selber kommt".
Der Mensch hat den Grundsatz, auch den nichtmenschlichen Lebewesen keine
unnötigen Schmerzen zu bereiten, deshalb um seiner moralischen Selbstachtung
und um des Tieres willen als eine primäre moralische Forderung anzuerkennen. Daß
ihre Mißachtung auf Dauer auch seine Fähigkeit zum Mitgefühl mit anderen
Menschen untergräbt, ist dagegen eine abgeleitete moralpädagogische Konsequenz,
die als empirisches Faktum keinen normativen Anspruch begründet.
Der anthropologische Rückbezug der Tierethik, nach dem der Mensch, indem
gegenüber dem Tier um dessen eigener Ziele willen Mitgefühl zeigt, zugleich sich
selbst als Vernunftwesen achtet, deshalb darf nicht "speziesistisches" Vorurteil
diskreditiert werden. Von jeder moralischen Forderung, gleich welches Objekt der
moralischen Gemeinschaft sie schützt, gilt nämlich, daß der Mensch durch ihre
Übertretung zugleich seine Integrität als moralisches Subjekt bedroht. Wenn es sich
auch unter Menschen so verhält, daß ein sadistischer Folterer nicht nur sein Opfer
erwürgt, sondern vor allem die eigene Menschenwürde zerstört, ist die Anwendung
des gleichen Grundsatzes auf sein Verhalten gegenüber der nichtmenschlichen Welt
vollkommen speziesneutral. Darin allein ist jedenfalls noch keine Benachteiligung der
Tiere zu erkennen, wie es die "speziesistische" Kritik an einer anthropologischen
Begründung der Tierethik häufig unterstellt.
3. Die Empfindungsfähigkeit der Tiere
Auch der zweite Ausgangspunkt der Tierethik, die Berücksichtigung der tierischen
Leidensfähigkeit um ihrer selbst willen, bedarf einer näheren philosophischen
Analyse. Die moralische Forderung, Tieren keine grausamen Schmerzen zu bereiten
und Mitgefühl gegenüber den Beeinträchtigungen ihres Daseins zu zeigen, erscheint
dem moralischen Bewußtsein zwar unmittelbar evident, sie läßt sich aber dennoch
auf verschiedene Weise begründen. Wie Friedo Ricken gezeigt hat, sind dabei
grundsätzlich drei Wege denkbar, die sich in einigen Punkten berühren und
hinsichtlich ihrer praktischen Konsequenzen weitgehend miteinander
übereinstimmen.
Das intuitionistische Argument behauptet, die Einsicht, daß der Schmerz als solcher
ein Unwert und das Freisein von Schmerzen als solches ein Gut sei, stelle einen
selbstevidenten Bewußtseinsinhalt dar, der von keinem Standpunkt aus sinnvoll
bestritten werden kann. Aus der Forderung, Schmerzen an sich zu verhindern, folgt
dann unmittelbar das Postulat, für die Schmerzfreiheit jedes Wesens einzutreten, das
Schmerzen empfinden kann. Dabei muß eine solche Moral des "generalisierten
Mitleids" (U. Wolf) nicht notwendig auf das Leiden als abstrakte Gesamtgröße
gerichtet sein, wie es in manchen utilitaristischen Ethiken der Fall ist, die das
einzelne Tier (wie auch menschliche Embryonen) nur als eine Art Behälter von
Schmerz- und Unlust-Erfahrungen ansehen. Der durch den Anblick des Schmerzes
hervorgerufene Affekt des Mitleids ist vielmehr als auf die individuelle
Leidensfähigkeit einzelner Wesen gerichtet zu denken; ausgeschlossen wird durch
das intuitionistische Argument nur, daß es für das moralische Urteil in irgendeiner
Weise von Belang sein könnte, um welches Wesen es sich dabei handelt.
Das zweite Argumant besteht in der Anwendung des Gleichheitsgrundsatzes auf die
Gemeinschaft aller Lebewesen. Dieser fordert in seiner korrekten Fassung, Gleiches
gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln; das Gleichheitsprinzip verlangt also
vom Menschen keineswegs, die Tiere in allem, sondern nur in dem gleich zu
behandeln, worin sie ihm tatsächlich gleich sind. Die Frage zielt also darauf,
inwiefern wir die Schmerzen von Menschen und Tieren vergleichen können und
welche Rückschlüsse wir aus möglichen Unterschieden ziehen dürfen.
Ein wichtiger Unterschied läßt sich trotz der offenkundigen Verwandtschaftsanalogie
im Schmerzverhalten der Tiere nicht leugnen: Der tierische Schmerz ist kein Leiden
im ganzheitlichen Sinn, weil dies das bewußte Selbstverhältnis eines geistigen
Wesens voraussetzt. Dadurch, daß der Mensch in einem bewußten Zeithorizont lebt
und sein Leiden als Teil eines größeren Lebensganzen bedeuten kann, steht er auch
als Leidender in einem anderen Verhältnis zu sich selbst als das Tier. Das Tier ist
immer - mit Nietzsche gesagt - angebunden an den "Pflock des Augenblicks"; es
steht ganz im Zentrum seiner eigenen Welt und vermag im Schmerz nichts anderes
als Schmerz zu sehen. Das Tier "leidet" deshalb nicht wie der Mensch, der auch als
Leidender in seine Zukunft vorausschauen kann. Das Leiden eines krebskranken
Menschen wird dadurch intensiviert, daß er um seinen schrecklichen Verlauf weiß
und dieses Wissen seiner Psyche schon lange bevor die körperlichen Schmerzen
einsetzen zu einer empfindlichen Lebenseinbuße führen kann. In diesem Sinn fühlt
das Tier, wenn es leidet, nur Schmerz, ohne daß es diese Empfindungen
interpretieren und in ihre Bedeutung für den eigenen Lebensvollzug entschlüsseln
könnte. Der Philosoph Günther Patzig kommt deshalb zu dem Schluß: "Menschliche
Leidensfähigkeit ist angesichts des Selbstbewußtseins und des Resonanzbodens
von Erinnerung und Zukunftserwartung in ihrer Qualität von der Lebensfähigkeit der
Tiere verschieden. Nur der Mensch hat ein Bewußtsein der ständigen Bedrohung
seines Lebens durch den Tod, nur er hat ein kulturell vermitteltes Interesse an
seinem sinnvollen Lebensganzen, einen Plan, der seine gesamte Biographie
umfassen kann".
Dennoch ist es fraglich, ob wir dem Schmerz des Menschen in jedem Fall ein
größeres Gewicht beimessen dürfen. Der fehlende Zeitbezug und die Tatsache, daß
der tierische Schmerz nicht durch ein selbstbewußtes Erleben modifiziert wird, lassen
nämlich auch eine andere Deutung zu. Weil das Tier in die jeweilige Situation
eingesperrt ist, hat es keine Hoffnung auf ein Ende des Leidens; es kann seinen
Schmerz nicht deuten und in einen bewußten Lebenszusammenhang integrieren.
Einem gefangenen Menschen kann man erklären, daß man ihn bald wieder
freilassen wird; die Todesangst eines Tieres dagegen können wir auf diese Weise
nicht zerstreuen. Gerade weil es im Schmerz nur Schmerz empfindet und ohne
Sinnbezug leidet, ist sein Schmerz in mancher Hinsicht intensiver als der des
Menschen. Deshalb ist eine rationale Entscheidung darüber, ob der Mensch oder
das Tier mehr leiden, letzten Endes unmöglich.
Der Vergleich des tierischen und des menschlichen Schmerzes, den wir aus den
vertrauten Analogien im Umgang mit unseren Haustieren oder aus den spekulativen
Rückschlüssen auf das tierische Bewußtsein ziehen können, bleibt in hohem Maße
hypothetisch. Selbst wenn wir sicher annehmen dürfen, daß Tiere anders leiden als
wir, kann aus dieser Erkenntnis auch die Konsequenz folgen, ihren Schmerz höher
zu achten, weil ihnen die Möglichkeit der Sinngebung von seinem vorhersehbaren
Ende her fehlt. Der zweite Ausgangspunkt der Tierethik, unsere Pflicht zur
Rücksichtnahme auf das tierische Schmerzempfinden läßt deshalb eine generelle
Ungleichbehandlung von Menschen und Tieren nicht zu. In einer konkreten
Güterabwägung, in der das Übel des tierischen Schmerzes der Rechtfertigung
bedarf, muß sich der Mensch, da er Größe und Intensität des tierischen Schmerzes
nicht exakt bemessen kann, gemäß dem Gleichheitsprinzip deshalb von der
Überlegung leiten lassen, ob er selbst in einer vergleichbaren Situation solche
Schmerzen erdulden wollte; dagegen darf er sie auch dem Tier nicht zufügen, wenn
er sie für sich selbst unzumutbar hält.
Das dritte Argument geht von dem schon mehrfach erwähnten geschöpflichen
Eigenwert der Tiere aus. Sie sind zwar nicht der letzte Zweck der moralischen
Ordnung, da sie ihr Verhalten nicht rechtfertigen können und nicht zu sittlicher
Verantwortung fähig sind. Dennoch sind sie in einem der Selbstzwecklichkeit des
Menschen analogen Sinn Träger eigener Zwecke und eines praktischen
Selbstverhältnisses, wozu neben den anderen Aspekten des tierischen
Wohlbefindens vor allem das Freisein von Schmerz und Unlust gehört. Wenn der
Mensch auch prinzipiell zur Verfügung über das tierische Leben berechtigt ist, so
verpflichtet ihn dieses Analogieargument doch dazu, Tiere nur so für seine Ziele in
Dienst zu nehmen, daß er dabei auch eigenen Zielen gerecht wird.
III. Praktische Konfliktfelder der Tierethik
Auf dem Hintergrund dieser Überlegungen lassen sich verpflichtende Grundregeln für
eine Güterabwägung in Konfliktsituationen formulieren, in denen das Wohl der
Menschen dem Wohl der Tiere gegenübersteht. Gemäß der analogen Anwendung
des Gleichheitsgrundsatzes sind wir zwar nicht zur unterschiedslosen
Gleichbehandlung, wohl aber zu Rücksichtnahme auf die Tiere in dem verpflichtet,
worin sie uns gleich sind. Da Tiere ebenso wir wir schmerzempfindende Wesen sind,
umfaßt das Gebot, auf Schmerz und Angst anderer Lebewesen Rücksicht zu
nehmen, das entsprechend der Unterscheidung zwischen Subjekten und Objekten
der moralischen Gemeinschaft allein den Menschen zu seinem Adressaten hat, in
seinem Anwendungsbereich ohne Unterschied auch die Tiere. Da Tiere im
Gegensatz zum Menschen als personalem Wesen jedoch keinen unbedingt zu
achtenden individuellen Lebensanspruch haben, kann es prinzipiell legitim sein,
menschliches und tierisches Leben als solches unterschiedlich zu berücksichtigen.
Diese Möglichkeit schließt vor allem die Erlaubnis ein, zur Sicherung und Förderung
der menschlichen Existenz Tiere zu töten. "Wo die Notwendigkeit besteht, tierisches
Leben zu opfern, um personales, menschliches Leben zu retten, zu schützen, zu
bewahren und zu fördern, ist dies erlaubt".
Aus der Tatsache, daß dem Tier als Einzelwesen durch seine Tötung kein Unrecht
geschieht, läßt sich jedoch kein willkürliches Vergnügungsrecht der Menschen über
das Leben der Tiere ableiten. Die Erlaubnis, Tiere um des menschlichen
Wohlergehens willen zu opfern, steht vielmehr unter zwei einschränkenden
Bedingungen. Erstens dürfen Tieren niemals grausame und unnötige Schmerzen
zugefügt werden, die der Mensch bei sich selbst als unzumutbar empfinden würde
und zweitens muß die Verfügung über tierisches Leben im Dienst des Menschen
einen Maßstab der Verhältnismäßigkeit entsprechen, der außer der
Schmerzempfindlichkeit auch andere Aspekte des tierischen Wohlbefindens wie
einen angemessenen Bewegungsraum und eine artgemäße Umgebung
berücksichtigt. Welche Grenzen diese Bedingungen der menschlichen
Verfügungsgewalt über das tierische Leben auflegen, soll nun für zwei konkrete
Bewährungsfelder der Tierethik noch näher behandelt werden.
1. Nutztierhaltung
Nach dem bisher Gesagten kann das Recht des Menschen, das Leben der Tiere für
seine eigene Ernährung in Dienst zu nehmen und zu diesem Zwecke eine rationale
Nutztierhaltung zu organisieren, nicht als schrankenlose Verfügungsgewalt
verstanden werden, die nur nach Effizienzkriterien zu bewerten wäre. Die rationale
Erwartung eines Jeremy Bentham, der Mensch werde die Tötung der Tiere
schmerzfrei organisieren und ihnen ein sanfteres Los als die Natur bereiten, blieb
angesichts der Entwicklung der industriellen Tierproduktion bislang jedoch ein
uneingelöstes Versprechen. Die gegenwärtig in vielen Formen praktizierte
Massentierhaltung stellt einen eklatanten Verstoß gegen das Gebot zur
Rücksichtnahme auf das tierische Wohlbefinden dar, auf das der Mensch bei der
Erschließung tierischer Nahrungsquellen verpflichtet bleibt. Die Legebatterien für
Hühner, die Schweinehaltung und die Mastbullenzucht mißachten das Eigenrecht der
Tiere auf einen artgemäßen Bewegungsraum und fügen ihnen auch durch eine
unzureichende Pflege vielfach auch unnötige Schmerzen zu.
Nimmt man den Gedanken ernst, daß der Mensch den Eigenwert des Tieres achten
muß und seine Schutzbedürfigkeit auch dort zu wahren hat, wo er das Leben für die
eigenen Zwecke in Dienst nimmt, dann darf die Nutztierhaltung nicht einseitig am
Interesse der billigen Mengenproduktion fleischlicher Nahrung für den Menschen
ausgerichtet sein. Der Mensch darf zum Zwecke seiner eigenen Ernährung auf das
tierische Leben zurückgreifen, aber er hat kein Recht, um einer kostengünstigen
Fleischproduktion willen das Gebot einer tiergerechten Aufzucht zu mißachten.
Insbesonders sind Methoden der Aufzucht, Haltung oder Mast, die den natürlichen
Bewegungsraum der Tiere annähernd auf die Quadratzentimeterzahl ihrer
Körpergröße reduzieren, ethisch nicht zu rechtfertigen. Ebenso müssen alle
Transportmethoden als unzulässig angesehen werden, die das Tier panischen
Angstzuständen und Streßreaktionen ausliefern. Auch die Tötung selbst darf nicht
auf grausame Weise erfolgen. Insbesondere verstößt der Transport von
Mastschweinen, bei denen viele ohne vorherige Injektionen infolge panikartiger
Streßreaktionen an Herzstillstand sterben würden, gegen das Gebot, auf Schmerzund Angstzustände der Tiere Rücksicht zu nehmen. Auch die Art und Weise, wie in
unseren Geflügelfabriken Suppenhühner und Brathähnchen nur unzureichend
betäubt geschlachtet werden, ist mit den Grundgeboten einer tiergerechten
Nahrungsgewinnung nicht zu vereinbaren. Dabei war von der Erzeugung
ausgefallener Luxusnahrungsmittel wie der Gänseleberpastete oder besonders
zarter Fleischspeisen durch die vorgeburtliche Schlachtung der Tiere noch gar nicht
die Rede.
Anders als Tierversuche unter bestimmten Konstellationen lassen sich die Formen
der Tierproduktion, an die sich Herstellung und Verbraucher längst gewöhnt haben,
durch kein menschliches Grundbedürfnis rechtfertigen, dem nicht auf andere Weise
Rechnung getragen werden kann. In vielen Fällen wäre der Verzicht auf seiten des
Menschen, den eine Abkehr von den herkömmlichen Produktionsverfahren der
Tierindustrie bedeuten würde, nicht einmal sehr erheblich. Bei der Umstellung der
Batteriehaltung von Hühnern auf die Bodenhaltung in geschlossenen Räumen - die
natürliche Freilufthaltung als einzig zulässige Form halten auch viele
Tierschutzverbände als unrealistisch - wird vom Verbraucher nur die Bereitschaft
gefordert, eine bescheidene Preissteigerung mitzutragen. Angesichts der Tatsache,
daß ein Ei heute kaum mehr als vor 30 Jahren kostet, wären die Mehrkosten, die auf
die Bevölkerung zukommen, kaum der Rede wert.
Andere Maßnahmen, die eine spürbare Verteuerung von Fleisch- und Wurstwaren
mit sich bringen, haben eine weitergehende Umstellung im Konsumverhalten und in
den Ernährungsgewohnheiten der Menschen zur Voraussetzung. Da in unserem
Wirtschaftssystem eine wirksame Steuerung der Produktionsformen nur über den
Markt erfolgen kann, ist die Änderung der Verbrauchergewohnheiten der schnellste und letztlich auch der einzig erfolgversprechende - Weg, der in den modernen
Industriegesellschaften zu Formen der Nahrungsmittelproduktion führen kann, die
berechtigte Belange der Tiere in angemessener Weise berücksichtigt. Dafür unter
Verbrauchern, Politikern und Herstellern für Verständnis zu werben, ist vielleicht das
dringlichste öffentliche Desiderat einer rationalen Tierethik, von dessen Einlösung die
"zivilisierten" Gesellschaften des Westens noch weit entfernt sind.
Über die Übertragung gezielter Einzelgene wie des Wachstumshormongens hinaus
sind aber auch Züchtungen vorstellbar, die bisherige Artgrenzen überschreiten.
Solche "transgenen Tiere" werden zwar bislang in der Agrarproduktion noch nicht
eingesetzt, aber auch mit den biotechnischen Methoden, die in den letzten Jahren
Eingang in die Tierzucht gefunden haben (künstliche Besamung; In-VitroFertilisation, Embryonen-Transfer), bislang bereits die Züchtung von "Mischtieren"
aus Schaf und Ziege ("Schiege") oder aus Bison und Rind ("Beefalo"). Die
kommerziellen Vorteile einer solchen Züchtung liegen auf der Hand: Da das
Mischprodukt "Beefalo" doppelt so schnell wie ein Rind heranwächst, dabei als Futter
nur Gras frißt und obendrein noch weniger fettes Fleisch auf die Waage bringt,
kommt es sowohl den ökonomischen Interessen der Produzenten als auch den
Geschmackserwartungen der Verbraucher entgegen. Daß Mischwesen wie der
Maulesel oder Hundebastarde auch in der Natur vorkommen, kann solche
Züchtungen allein jedoch ebensowenig legitimieren wie die unbestrittene Tatsache,
daß die neuen biotechnischen oder gentechnologischen Methoden in sich als ethisch
neutral zu betrachten sind. Sie müssen vielmehr wie jeder technische Eingriff des
Menschen in die Natur von ihren Zielen her sittlich gerechtfertigt und auch angesichts
der vorhersehbaren Folgen zu verantworten sein. Lassen sich diese noch nicht
sicher abschätzen, weil z.B. die Expression des Transgens oder sein Integrationsort
im neuen tierischen Organismus noch nicht steuerbar sind, so spricht schon der
technische Sicherheitsaspekt zum gegenwärtigen Zeitpunkt dagegen, den Einsatz
transgener Tiere außerhalb der Grundlagenforschung ernsthaft zu erwägen.
Eine ethische Bewertung der neuen gentechnischen Verfahren in der Tierwirtschaft
darf sich aber nicht auf eine reine Folgenabschätzung unter Sicherheitsaspekten
beschränken. Sie muß, auch wenn diese nicht mit Gewißheit vorherzusagen sind,
ebenso die weitergehenden Folgen für die Gesundheit der Tiere, den Erhalt ihres
Artenreichtums und das soziale Umfeld der in der Landwirtschaft tätigen Menschen
in Betracht ziehen. Bei aller notwendigen Vorsicht, die angesichts der zu
erwartenden revolutionären technischen Innovationsschübe im Agrarsektor
angebracht ist, erlaubt es die Abwägung der damit verbundenen Güter und Übel
doch schon heute, in dreifacher Hinsicht eine deutliche Warnung auszusprechen.
Unter dem Gesichtspunkt des tierischen Wohlbefindens sind gegen die neuen
bioethischen und gentechnologischen Tierzuchtverfahren die gleichen Bedenken
anzumelden, die gegen die herkömmliche Massentierhaltung und industrielle
Nutzung der Tiere sprechen. Die erstrebte größere Krankheitsresistenz und die
Entwicklung von Impfstoffen gegen gefährliche Infektionskrankheiten wie die Tollwut
oder die Maul- und Klauenseuche stellen zwar auch aus der Sicht des Tieres einen
begrüßenswerten Fortschritt dar. Eine Güterabwägung unter dem Aspekt der
tierischen Gesundheit darf jedoch nicht nur ein isoliertes Merkmal, sondern muß alle
Folgen für die Gesundheit, Gesamtphysiologie und Lebensleistung des Tieres
berücksichtigen. Der Bericht der Enquete-Kommission des deutschen Bundestages
"Chancen und Risiken der Gentechnologie" weist darauf hin, daß einseitige
Produktionssteigerungen in der Vergangenheit durch regelmäßige
Gesundheitseinbußen der Tiere erkauft wurden und befürchtet, daß sich dieser
Negativtrend durch die einseitige Nutzung gentechnologisch verbesserter
Hochleistungsvarianten noch weiter fortsetzen könnte. Es ist aber auch möglich, daß
eine umgekehrte Entwicklung zugunsten des Tieres ausschlägt, wenn es nämlich
gelingt, über eine Leistungssteigerung die Bedarfszahlen so zu senken, daß die
Situation des einzelnen Tieres verbessert wird. Welche der aufgezeigten
Entwicklungen tatsächlich eintreten, hängt nicht zuletzt von der Bereitschaft des
Menschen ab, das freiwerdende Weideland und die bisherigen Haltungskapazitäten
auch tatsächlich zu einer Optimierung des Bewegungsraumes und der
Lebensbedingungen seiner Nutztiere zu verwenden.
Ein zweiter Aspekt, der in einer Güterabwägung zu berücksichtigen ist, betrifft den
notwendigen Erhalt der Artenvielfalt unter unseren Nutztieren und des genetischen
Reichtums innerhalb der einzelnen Arten. Es ist schon heute ein oft beklagtes
Ergebnis der modernen Landwirtschaft, daß wir auf unseren Wiesen nur noch wenige
Tierrassen antreffen. Eine weitere Verarmung, wie sie durch gezielte
Zuchtanstrengungen zur einseitigen Maximierung von Produktivität und Geschmack
zu befürchten ist, würde durch die theoretische Möglichkeit nicht wettgemacht, eine
viel größere Zahl phänotypischer Rassenmerkmale in künftigen Genbanken zu
lagern. Der Bericht der Enquete-Kommission trifft angesichts der zu erwartenden
Entwicklungen in der Tierzucht leider keine triviale Feststellung, wenn er darauf
hinweist, daß es "ganz allgemein wünschenswert (ist), wenn die Vielfalt der Arten
uns nicht nur in Form tiefgefrorener Embryonen, sondern auch und vor allem in Form
lebender Tiere erhalten bliebe".
Schließlich ist als dritte Konsequenz zu bedenken, daß eine weitere Versachlichung
des Mensch-Tier-Verhältnisses die kritische Schwelle überschreiten kann, die in
ethischer Hinsicht akzeptabel erscheint. Dabei ist etwa an die Gefahr von
Monsterbildungen zu denken, die in keiner Weise mehr an die natürliche Herkunft
solcher Tiere erinnern oder auch an die Möglichkeit, daß sich die einzelnen
Forschungslaboratorien ihre Züchtungen patentieren lassen.
Zur Wahrnehmung der Schutzbedürftigkeit des Tieres gehört auch, daß der Mensch
dessen Eigenwert respektiert und anerkennt. Bevor man deshalb darüber nachdenkt,
wie sich menschliche Produktions- und Verwertungsansprüche gegenüber einzelnen
Tierarten rechtlich absichern lassen, müßte sich juristischer Sachverstand wohl eher
mit der Frage beschäftigen, welche garantierten Schutzansprüche diesen Tierarten
gegenüber ihren Vertreiberkonzernen zukommen. Je stärker die Grundlagen unseres
Zusammenlebens mit den Tieren im Haus der Welt berührt werden, desto größeres
Gewicht erhält die Mahnung, die unlängst Alfons Auer ausgesprochen hat: "Die
zunehmende Technisierung führt fast zwangsläufig zur Vorherrschaft oder gar zur
Alleinherrschaft des Funktionalen und damit zu einer bedenklichen Versachlichung
des Verhältnisses zum Tier". Daß es im Einzelfall schwer zu bestimmen bleibt, an
welchem Punkt die kritische Schwelle überschritten ist, jenseits derer eine illegitime
Verfügung des Menschen über die Tiere beginnt, berechtigt jedenfalls nicht dazu,
solche Warnungen immer dann in den Wind zu schlagen, wenn es der
technologische Fortschritt gestattet, einen weiteren Schritt in dieser Richtung zu tun.
∗
Vortrag gehalten anlässlich der Tagung "Euch sollen sie zur Nahrung dienen ...“ – Ethik des Lebens
zwischen Vegetarismus und Rinderwahn, Weingarten, 7. - 9. Juni 1996.
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