Der Patient rückt in den Mittelpunkt Foto: © peepo – www.istockphoto.com Auswirkungen des Patientenrechtegesetzes und der 16. AMG-Novelle auf die Healthcare-Kommunikation Jahrbuch Healthcare Marketing 2013 U 152 nser Leitbild ist der mündige Patient“, erklärt Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr am 29. November 2012 in Berlin. Und die Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ergänzt in der gemeinsamen Presseerklärung anlässlich der vom Bundestag beschlossenen Verabschiedung des Patientenrechtegesetzes: „Erstmals werden Informations- und Aufklärungspflichten gesetzlich verankert. Das Informationsgefälle zwischen Behandelnden und Patientinnen und Patienten wird endlich ausgeglichen. Patientinnen und Patienten müssen vor der Behandlung umfassend informiert werden, insbesondere welche Untersuchungen anstehen und welche Therapien beabsichtigt sind – und zwar so, dass es verständlich ist.“ Ein sehr hehres Ziel, das da nunmehr per Gesetz festgeschrieben ist. Und eine riesige Herausforderung für Kommunikationsspezialisten. Knackpunkt „verständlich“ Im verabschiedeten Gesetzentwurf heißt es in § 630c Mitwirkung der Vertragsparteien; Informationspflichten: „(1) Behandelnder und Patient sollen zur Durchführung der Behandlung zusammenwirken. (2) Der Behandelnde ist verpflichtet, dem Patienten in verständlicher Weise zu Beginn der Behandlung und, soweit erforderlich, in deren Verlauf sämtliche für die Behandlung wesentlichen Umstände zu erläutern, insbesondere die Diagnose, die voraussichtliche gesundheitliche Entwicklung, die Therapie und die zu und nach der Therapie zu ergreifenden Maßnahmen.“ Der Arzt muss über voraussichtliche, absehbare Zusatzkosten „in Textform“ informieren, falls die Kostenübernahme nicht gesichert ist. Ausnahmen zur Informationspflicht sind nur ausnahmsweise gestattet, insbesondere wenn die Behandlung unaufschiebbar ist. In § 630e heißt es zum Thema Aufklärungspflichten: „(1) Der Behandelnde ist verpflichtet, den Endlich Zeit für sprechende Medizin Diesen Gesetzestext muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: Ich freue mich schon darauf, von meinem Arzt bei der nächsten Konsultation in der üblichen Tageshektik, die es in jeder Praxis gibt, umfassend und rechtzeitig über alle unterschiedlichen Behandlungsoptionen für mein Problem so aufgeklärt zu werden, dass ich zusammen mit ihm in aller Ruhe meine Entscheidung über die Behandlung treffen kann. Vor allem, da mein Arzt selbstverständlich so geschult ist, dass er in einer mir verständlichen Sprache die komplexen Zusammenhänge meiner Erkrankung überzeugend erläutern kann. Und diese notwendigen aufklärenden Erläuterungen können die Ärzte natürlich so ausführen, dass sie von allen Patienten, egal welche intellektuellen Fähigkeiten diese besitzen, egal welche Muttersprache sie sprechen, glasklar verstanden werden. Wobei, laut Gesetz, die mündliche Aufklärungspflicht durch schriftliche Materialien ergänzt werden darf. Wie gesagt, ein hehres Ziel, das es umzusetzen gilt. Die Stunde für Kommunikationsagenturen Spaß beiseite. Wenn Ärzte und qualifiziertes Fachpersonal dieser Aufgabe gerecht werden wollen, müssen sie dafür ausgebildet und mit den entsprechenden Materialien versorgt werden. Dieser Prozess ist nach meiner Einschätzung längst GESUNDHEITSKOMMUNIKATION angestoßen. Auch Werbeagenturen, die sich wie wir der Marke verpflichtet fühlen, bieten ihren Kunden längst viel mehr als ein herausragendes Key Visual. Wenn es im Rahmen einer Markenstrategie nicht gelingt, mit taktischen Maßnahmen auch in das Feld der Fort- und Weiterbildung vorzudringen, wird man in der heutigen Zeit nicht mehr weit kommen. Die Ansprüche sind, nicht zuletzt durch die neue Gesetzgebung, aber auch durch die Möglichkeiten der neuen Medien, ganz andere geworden. Pharmaunternehmen kümmern sich im Rahmen ihrer Fortbildungsmaßnahmen längst um ganze Indikationsfelder und nicht vordergründig ausschließlich um die eigenen Präparate. Anders wären CME-Zertifizierungen zu Recht auch nicht erreichbar. Und der von Herrn Bahr angesprochene mündige Patient wird sicher mehr und mehr Realität. Es ist eben so, dass sich viele Patienten bereits vor, spätestens aber nach dem Arztbesuch weiter Informationen aus dem Netz holen. So entsteht häufig ein ungesundes Halbwissen, gegen das die Ärzte sehr angehen müssen. Die Aufgabe der Kommunikationsagenturen wird es künftig deshalb mehr und mehr sein, zusammen mit der Pharmaindustrie Unterlagen zu entwickeln, die es den Ärzten ermöglichen, den geforderten Informationspflichten in einer patientengerechten Sprache nachzukommen. Und das kann selbstverständlich keine platte Produktwerbung sein. Im Gegenteil. Werbung für verordnungspflichtige Medikamente ist und bleibt in Europa nach wie vor verboten. Und damit komme ich zur 16. AMGNovelle, die ja bereits seit Oktober in Kraft ist. Keine amerikanischen Verhältnisse Diese Novelle definiert, welche Prinzipien für konkrete Medikamentenwerbung gelten und passt sie europäischem Recht an. Da wir, anders als in den Staaten, hier in Europa keine Werbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel machen dürfen – hier sind immer noch englischsprechende Menschen bevorteilt, die sich ganz leicht auf den amerikanischen Internetseiten über die Medikamente informieren können –, trifft die Novelle aus meiner Sicht vor allem OTC-Arzneimittel, die frei in der Apotheke gekauft werden können. Mit einer Ausnahme. Für verordnungspflichtige Medikamente dürfen künftig im Internet die Fachinformation und die Packungsbeilage auf Nachfrage zugänglich gemacht werden. Das ist sicher Jahrbuch Healthcare Marketing 2013 Patienten über sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände aufzuklären. Dazu gehören insbesondere Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme sowie ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose oder die Therapie. Bei der Aufklärung ist auch auf Alternativen zur Maßnahme hinzuweisen, wenn mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Methoden zu wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen führen können. (2) Die Aufklärung muss 1. mündlich durch den Behandelnden oder durch eine Person erfolgen, die über die zur Durchführung der Maßnahme notwendige Ausbildung verfügt; ergänzend kann auch auf Unterlagen Bezug genommen werden, die der Patient in Textform erhält, 2. so rechtzeitig erfolgen, dass der Patient seine Entscheidung über die Einwilligung wohlüberlegt treffen kann, 3. für den Patienten verständlich sein.“ 153 Verständlich Sprache? Therapie Folgen Aufklären Dringlichkeit Erklären Diagnose Zusatzkosten Risiken Erfolgsaussichten Umstände Behandlung Alternativen Wie sag' ich's bloß meinem Patienten – und zwar so, dass er es versteht??? Jahrbuch Healthcare Marketing 2013 ein Fortschritt. Solange diese Dokumente aber so sind wie sie sind, das heißt voll mit Fachchinesisch, voll mit Nebenwirkungen und häufig eher Angst machend, hilft diese Maßnahme aus meiner Sicht nicht wirklich weiter. 154 Grundsätzlich gibt es im Bereich der Publikumswerbung auf den ersten Blick einige Lockerungen, die sich aber noch in der praktischen Rechtsprechung bewähren bzw. durchsetzen müssen. Testimonials und Wirk-Demos So dürfen künftig Krankengeschichten und Empfehlungen Dritter, also Testimonials, grundsätzlich verwendet werden. Auch bildliche Darstellungen zur Wirkung eines Arzneimittels sind grundsätzlich erlaubt. Es wird jedoch im Einzelfall zu klären sein, ob die konkreten Abbildungen nicht missbräuchlich, abstoßend oder irreführend sind. Und bei den Testimonials muss außerdem jeweils entschieden werden, ob die beschriebenen Krankengeschichten nicht zu einer falschen Selbstdiagnose verleiten können. Künftig möglich ist auch die Abbildung von Fachkreisangehörigen in Berufsbekleidung. Also von Menschen in Arztkitteln. Allerdings dürfen Fachkreise keine Empfehlung abgeben. Und dann fragt man sich, was der abgebildete Kittel noch soll. Wissenschaftliche Belege und Fachvokabular Sehr erfreulich dagegen ist die Tatsache, dass künftig Hinweise auf wissenschaftliche Arbeiten erlaubt sind, selbstverständlich nur im Zusammenhang mit den zugelassenen Indikationen. Und auch die Regelung, nach der präzise Begriffe auch dann verwendet werden dürfen, wenn sie noch keinen Eingang in den allgemeinen deutschen Sprachgebrauch gefunden haben, wird sicher in vielen Fällen zur Klarheit beitragen. Preisausschreiben Eine ganz spezielle Diskussion wird es voraussichtlich zum Thema Gewinnspiel geben. Preisausschreiben sind im Rahmen von Arzneimitteln nicht Fazit Die neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen werden die Ausrichtung und die Spielräume der Healthcare-Kommunikation in der Tat verändern und auch ein Stück erweitern. Verändern wird sich die Ausrichtung im Hinblick auf den Patienten. Schon lange gefordert, werden die Unternehmen nicht mehr umhin kommen, die Patienten mehr in den Fokus zu nehmen. Dabei wird der Arzt als Mittler jedoch nach wie vor die entscheidende Rolle spielen. Hier gilt es anzusetzen und Programme zu entwickeln, die es den Ärzten ermöglichen, die geforderte verständliche mündliche Information an die Patienten weiterzugeben. Und was die Auswirkungen der 16. AMG-Novelle angeht, können sich die Anwälte freuen. Denn bei den noch zu entwickelnden neuen Formaten wird es im Einzelfall genug Streitpunkte geben, und es wird eine Zeitlang dauern, bis sich die neuen Regeln eingespielt haben. GESUNDHEITSKOMMUNIKATION mehr grundsätzlich ausgeschlossen. Eine endgültige Entscheidung über die Rechtmäßigkeit wird jedoch im Einzelfall von Juristen zu treffen sein. Auf jeden Fall bleibt für Agenturen genug zu tun. Arbeiten wir daran. ist geschäftsführender Gesellschafter der Schmittgall Werbeagentur, Stuttgart. Nach dem Studium der Germanistik und Philosophie in Köln war er als Medizin-Journalist und PR-Berater tätig. Es folgten zehn Jahre als Kontakter und Etat Director bei medical innovation, Solingen. Bei der Schmittgall Werbeagentur begann er als Account Director für Unternehmen wie Berlin-Chemie, MerckSerono, Mundipharma, MSD, Pfizer, Bayer, Novartis etc. Seit 1995 ist Krenz Managing Director der Schmittgall Gruppe und seit 2007 Partner der Schmittgall Werbeagentur. Außerdem ist er seit 2011 im Beirat des COMPRIX. Jahrbuch Healthcare Marketing 2013 Winfried Krenz [email protected] 155