Das „Tarifkartell“

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DER TREND
Diskussion um Tarifeinheit
Das „Tarifkartell“
Das Bundesarbeitsgericht hat in einer aktuellen Entscheidung den seit Jahrzehnten geltenden Grundsatz
der Tarifeinheit verworfen und aufgegeben. Dieser
Grundsatz sagte kurz gefasst: Ein Betrieb – ein Tarifvertrag. Offenbar soll auch unter den Sozialpartnern für
mehr Wettbewerb gesorgt werden (siehe Informationsbrief 7/2010).
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und der Deutsche Gewerkschaftsbund
(DGB) haben diese Entscheidung zum Anlass genommen,
an den Gesetzgeber zu appellieren, den Grundsatz der
Tarifeinheit nunmehr gesetzlich zu verankern, um damit
wieder Rechtssicherheit zu schaffen und den Betriebsfrieden weiterhin zu gewährleisten. Dies haben sie ausführlich begründet und auch Vorschläge zur Operationalisierung unterbreitet. Ideologischer Hintergrund der
Diskussion ist der so genannte „Korporatismus“, der den
Kritikern zufolge zu einer Erstarrung auf dem Arbeitsmarkt geführt habe, da Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände als „Tarifkartell“ gewirkt hätten und damit für Probleme auf dem Arbeitsmarkt in erheblichem
Umfang mitverantwortlich seien. Erst kürzlich ist in der
renommierten FAZ der Vorwurf des „Tarifkartells“ wieder
bemüht worden. Ist dieser Vorwurf zutreffend?
Was ist ein Kartell?
Ein Kartell – so Vahlens Großes Wirtschaftslexikon –
ist eine „Form der horizontalen Wettbewerbsbeschränkung“. Und weiter: „Kartelle entstehen durch Vertrag
oder Beschluss von Unternehmen, die auf dem gleichen
relevanten Markt tätig sind. Ziel der Vereinbarung ist
die Beschränkung des Wettbewerbs durch Verzicht
auf den autonomen Gebrauch jener Aktionsparameter
(Preis, Rabatte, Konditionen, u.a.m.), deren gemeinsame
Handhabung durch den Kartellvertrag geregelt ist.“
Dabei spielt die Nachfrage eine wichtige Rolle, „denn
ein Kartellpreis verspricht gegenüber dem niedrigeren
Preis bei Wettbewerb einen umso höheren Gewinn, je
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weniger elastisch die Nachfrage auf Preiserhöhungen
reagiert“. Was lässt sich dieser Definition entnehmen?
Offenbar handelt es sich bei Kartellen um Marktbeschränkungen seitens der Anbieter zu Lasten der
Nachfrager, z.B. in Form von Preisabsprachen. Trifft
dies auf den Arbeitsmarkt zu?
Tarifverträge gleich Kartellverträge?
Zunächst: Die Anbieter auf dem Arbeitsmarkt sind die
Arbeitnehmer, die ihre Arbeitsleistung anbieten. Die
Nachfrager auf dem Arbeitsmarkt sind die Unternehmen bzw. die Arbeitgeber, die Arbeitsleistung nachfragen. Ist damit ein Tarifvertrag ein Kartellvertrag?
Nach der genannten Definition offenbar nicht, denn
es sind weder die Anbieter allein, die Preisabsprachen zu Lasten der Nachfrager durchsetzen, noch die
Nachfrager, die sich marktwidrig zum (Preis-)Druck
auf die Anbieter zusammenfinden. Vielmehr schließen
Anbieter (Arbeitnehmer) und Nachfrager (Arbeitgeber)
auf dem Arbeitsmarkt gemeinsam einen Vertrag über
den Preis für Arbeit, also über die Höhe von Löhnen
und Gehältern. Das Typische des Kartells, nämlich der
Zusammenschluss einer Marktseite zur „Ausbeutung“
der Marktgegenseite findet durch Tarifverträge gerade
nicht statt! Vielmehr sorgen beide Marktseiten für
Transparenz, indem sie den Marktteilnehmern durch
die Festlegung von Mindeststandards zeitlich fixierte
Rahmendaten zur Orientierung geben.
Vielgestaltige Tariflandschaft
Die Tariflandschaft ist zudem vielgestaltiger als allgemein bekannt. So gibt es in Deutschland nicht etwa
nur DGB und BDA als „Kartellbrüder“ oder Angebotsbzw. Nachfragemonopolisten. Vielmehr schließen
eine Vielzahl von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften branchenbezogene, regional ausgerichtete
oder auch firmenbezogene Tarifverträge ab.
Informationsbrief 8/2010
Darüber hinaus hat sich in den letzten Jahren eine
erhebliche Flexibilisierung durchgesetzt: Öffnungsklauseln, Einstiegstarife, Einmalzahlungen, Arbeitszeitflexibilisierung etc. lauten hier die Stichworte.
Zudem gibt es einen ausgeprägten so genannten übertariflichen Bereich. Das sind Bezüge, die oberhalb des
tariflich vereinbarten Lohnes gezahlt werden. Dieser
Bereich ist außerordentlich flexibel, schwankt je nach
Konjunktur- und Ertragslage und unterliegt nicht der
Regelung durch Tarifverträge.
de System der Tarifverträge zu Gunsten betrieblicher
Kollektivregelungen beseitigen wollen, sprechen sich
die Befürworter der bisher praktizierten Sozialpartnerschaft für eine Fortsetzung der bereits Mitte der
1990er Jahre eingeleiteten „evolutionären Weiterentwicklung“ aus. Für diese Position spricht, dass Deutschland die Krise nicht zuletzt mit Hilfe der Flächentarifverträge weitaus besser bewältigt hat als vergleichbare
Industrienationen, die nicht über ein solches „Tarifkartell“ verfügen.
Arbeitsmarkt: Systemwechsel oder ...
... Weiterentwicklung im Konsens?
Einigkeit besteht darin, dass die nach wie vor hohe
Arbeitslosigkeit eines der wichtigsten wirtschafts- und
sozialpolitischen Probleme der Gegenwart darstellt.
Einigkeit besteht ferner darin, dass eine effektive
Differenzierung und Flexibilisierung auf dem Arbeitsmarkt unabdingbar ist.
Hinsichtlich des Weges, Arbeitslosigkeit zu reduzieren, existieren jedoch unterschiedliche Auffassungen:
Während die Kritiker des „Tarifkartells“, die diese
Bezeichnung geradezu als Kampfbegriff verwenden,
eine radikale Kehrtwende fordern und das bestehen-
Die Befürworter des Sozialpartner-Modells machen
zudem geltend, dass in Deutschland Fortschritte nur
durch den Konsens der beteiligten gesellschaftlichen
Gruppen erreicht werden können, da dies der historischen und sozialen Tradition des Landes entspricht.
Zwar hätten radikalere Lösungen möglicherweise die
gleichen, vielleicht sogar schnelleren Wirkungen. Sie
müssten aber mit „Konfliktkosten“ erkauft werden,
deren negative gesamtwirtschaftliche Rückwirkungen
ökonomische sowie gesellschaftliche Schäden nach
sich ziehen würden.
Informationsbrief 8/2010
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