Medizin des Alterns Neuropsychologie des Alterns Gliederung Einführung Normales kognitives Altern Alterssensitive Funktionen Altersstabile Funktionen Differentielles Altern verschiedener Hirnregionen Pathologisches Altern (Demenzen) Neuropsychologische Profile verschiedener Demenzformen Neuropsychologische Diagnostik bei Älteren / bei Dementen Neuropsychologische Therapie bei Demenz Was ist Neuropsychologie? Die Neuropsychologie beschäftigt sich mit den Auswirkungen von hirnorganischen bzw. psychiatrischen Erkrankungen auf kognitive Funktionen wie z. B. Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Planung und räumliche Leistungen. In der neuropsychologischen Untersuchung werden diese Funktionsbereiche unter Zuhilfenahme von standardisierten Testverfahren überprüft. Normales „kognitives Altern“? Beginn von kognitivem Abbau bereits im Alter von 20 Jahren! Kognitive Leistungen, die auf akkumuliertem Wissen und geübten Fertigkeiten basieren, sind relativ altersstabil. Eher wissensunabhängige basale kognitive Leistungen zeigen deutlicheren Altersabbau. Quelle: Karnath & Thier, 2003 Alterssensitive Funktionen Gibt es kognitive Funktionen, die schneller altern als andere? Generalfaktor „Verlangsamung“ Viele kognitive Alterseffekte sind durch eine generelle Verlangsamung erklärbar. Ältere Erwachsene haben eine um den Faktor 1,5-2 langsamere „Grundgeschwindigkeit“. Neurobiologische Grundlagen für die Verlangsamung liegen vermutlich u. a. in der Reduktion der „isolierenden“ Myelinschicht, Verzögerungen an Synapsen wegen Reduktion kritischer Neurotransmitter, mehr „neural noise“ durch die Zunahme von Spontanaktivität oder der Verlust ganzer Nervenzellen. Quelle: Karnath & Thier, 2003 Spezifische Funktionen Neben dem Generalfaktor der Verlangsamung, lässt sich auch das Altern spezifischer Funktionen feststellen. Im Vergleich zu anderen Funktionen lassen sich in den folgenden Funktionen deutlichere Altersabbaueffekte feststellen: - Exekutive Funktionen, insbesondere Arbeitsgedächtnis und - einige Gedächtnisfunktionen Quelle: Karnath & Thier, 2003 Altersabhängige Volumenveränderungen in verschiedenen Gehirnregionen Quelle: Karnath & Thier, 2003 Exekutivfunktionen Unter dem Begriff der Exekutivfunktionen wird eine heterogene Gruppe von Mechanismen zusammengefasst, die flexibles, intentionales Verhalten ermöglichen. Exekutivfunktionen gelten als die „höchsten“ integrativen Leistungen, die der Mensch auszuführen vermag. Der frontale Kortex, insbesondere der dorsolaterale präfrontale Kortex ist maßgeblich an der Umsetzung der Exekutivfunktionen beteiligt. Quelle: Karnath & Thier, 2003 Neuroanatomie der Exekutivfunktionen Quelle: Karnath & Thier, 2003 Exekutivfunktionen Zu den Exekutivfunktionen zählen u. a. Handlungsplanung, Handlungsüberwachung, Inhibition, Arbeitgedächtnis, Gedächtnisabruf. Typische Dysfunktionen treten auf, wenn in einer Aufgabe eine fest vorgegebene Struktur fehlt und Organisation und Planung über einen längeren Zeitraum erforderlich ist. Quelle: Karnath & Thier, 2003 Das Arbeitsgedächtnis Aufgabe des Arbeitsgedächtnisses ist es, handlungsrelevante Informationen aktiv zu halten, während andere Operationen ausgeführt werden. Baddley (1986) unterscheidet 3 Komponenten des Arbeitsgedächtnis: eine zentrale Kontrolleinheit, die zentrale Exekutive genannt wird, koordiniert zwei Subsysteme, die phonologische Schleife und den visuell-räumlichen Notizblock. Die Subsysteme dienen der Bereithaltung von Informationen für die weitere Verarbeitung. Dorsolaterale präfrontale Hirnareale spielen eine bedeutende Rolle beim Arbeitsgedächtnis. Quelle: Karnath & Thier, 2003 Das Gedächtnis „Wir sind Erinnerung“ Schacter, 1999 Eine Minderung der Gedächtnisleistung ist das am häufigsten geklagte subjektive Altersproblem. Das Gedächtnis Die Einteilung der Gedächtnisfunktionen ist möglich nach einem zeitlichen und einem inhaltlichen Kriterium. Gedächtnismodell I -zeitliche Einteilung- Quelle: Prietzel, Brand & Markowitsch, 2003 Gedächtnismodell II - inhaltliche Einteilung - Quelle: Prietzel, Brand & Markowitsch, 2003 Gedächtnisrelevante Hirnstrukturen Quelle: Prietzel, Brand & Markowitsch, 2003 Neuroanatomie des Gedächtnisses Papez‘scher Kreis Basolateraler limbischer Kreis Quelle: Karnath & Thier, 2003 Normales Altern des Gedächtnisses Das Defizit in der Reproduktion neu gelernter Inhalte gilt als typisches Merkmal normalen Alterns. Verantwortlich ist hierfür ein moderater Abbau in temporomedialen Hirnstrukturen. Bei Enkodierungs- und Abrufprozessen, bei denen auch der frontale Kortex eine bedeutende Rolle spielt, kommt es ebenfalls zu deutlichen Verlusten während des Alterns. Quelle: Karnath & Thier, 2003 Altersstabile kognitive Funktionen Wissens- und bildungsabhängige Leistungen (kristalline Intelligenz) Zugriff auf semantische Informationen (z.B. Erinnern von Wortbedeutungen) Implizite Gedächtnisfunktionen (Priming, prozedurales Ged.) Altgedächtnis Prospektives Gedächtnis Quelle: Karnath & Thier, 2003 Gründe für differentielles Altern verschiedener Hirnregionen Regionen, die ontogenetisch spät reifen (entsprechen auch Regionen, die phylogenetisch spät entstanden sind), zeigen mehr Abbau als ontogenetisch und phylogenetisch ältere Regionen. Funktional sind „späte“ Regionen besonders wichtig für das flexible Neulernen und die Entwicklungsplastizität. Dieses permanente Neulernen mit den damit einhergehenden neuronalen Veränderungen könnte verstärkte Alterung als negativen Nebeneffekt haben. Die hiervon am stärksten betroffene Hirnregion ist der präfrontale Kortex. Quelle: Karnath & Thier, 2003 Pathologisches Altern (Demenzen) Demenzsyndrome sind definitionsgemäß komplexe psychiatrische Krankheitsbilder. In den meisten Fällen sind die Störungen progredient und betreffen mit der Zeit in einer gewissen Regelhaftigkeit alle mentalen Funktionen. Die Differenzierbarkeit verschiedener Demenzformen anhand neuropsychologischer Diagnostik ist umstritten. Wenn überhaupt gelingt sie nur im frühen und mittleren Erkrankungsstadium. Quelle: Karnath & Thier, 2003 Neuropsychologische Profile bei Demenzen Alzheimer Demenz Beginnend mit - Einschränkungen im episodischen Gedächtnis - räumlichen und zeitlichen Orientierungsstörungen - Wortfindungsstörungen Quelle: Sturm et al., 2000 Neuropsychologische Profile bei Demenzen Alzheimer Demenz Fortschreitend mit - Störungen des Kurzzeitgedächtnisses - Störungen des Altgedächtnisses - Visuo-konstruktive Störungen (beim Anziehen, Autofahren etc.) - Apraxien - Orientierungsstörungen zur Person Neuropsychologische Profile bei Demenzen • Verlauf der kognitiven Defizite bei der Alzheimer Demenz Abbildung Quelle: Karnath & Thier, 2003 Neuropsychologische Profile bei Demenzen Fronto-temporale Demenz - Persönlichkeitsveränderungen (apathisch zurückgezogen oder sozial enthemmt) - Störungen der Exekutivfunktionen /Handlungsplanung - später: Echolalie - weiter fortschreitend: Patienten werden stumm Quelle: Sturm et al., 2000 Neuropsychologische Profile bei Demenzen Vasculäre Demenz Multi-Infarkt-Demenz - Kortikaler Typus: - Aphasie - Agnosie - Amnesie - Apraxie - Gemischter Typus (kortikal und subkortikal): - Unterschiedliche Schädigungsmuster (incl. Sprache und Gedächtnis) Quelle: Sturm et al., 2000 Neuropsychologische Profile bei Demenzen Vasculäre Demenz weitere Formen: strategische Infarktdemenz unterschiedliche neuropsychologische Defizite je nach Lokalisation des Infarktes Small-vessel-Erkrankung Status lacunaris: Defizite in den Bereichen kognitive Flexibilität, verbale Flüssigkeit, Aufmerksamkeit, Abstraktion Morbus Binswanger: Defizite in den Bereichen Gedächtnis, Aufmerksamkeit, kognitive Flexibilität, Motorik Neuropsychologische Profile bei Demenzen • Differenzialdiagnostik bei Demenzen - Vasculäre Demenz und Alzheimer Demenz schwer abgrenzbar - Fronto-temporale Demenz etwas besser abgrenzbar - wirklich sichere Diagnose nur post-mortem möglich Quelle: Sturm et al., 2000 Unterteilung von Hirnleistungsstörungen im Alter • Altersassoziierte Gedächtnisbeeinträchtigungen (Crook, 1989) - 1 SD unter Standard für junge Erwachsene - alltagsrelevante Beeinträchtigungen Quelle: Sturm et al., 2000 Unterteilung von Hirnleistungsstörungen im Alter • leichte kognitive Beeinträchtigungen (Zaudig, 1995) - nicht näher spezifizierte kognitive Einbußen - keine erkennbaren psychosozialen Einbußen Quelle: Sturm et al., 2000 Unterteilung von Hirnleistungsstörungen im Alter • Demenzen - nicht-uniforme, multivariate kognitive Einbußen - bestimmter Schweregrad Quelle: Sturm et al., 2000 Ansatzpunkte neuropsychologischer Diagnostik • Differenzierte Statusdiagnostik • Kompetenzdiagnostik (indiv. Profil, Ressourcen) • Differentialdiagnostik und Früherkennung • Beurteilung von Folgen (Definition spezif. Handicaps) • Evaluation von Intervention und Verlaufskontrollen • Forschung Quelle: Sturm et al., 2000 Gütekriterien neuropsychologischer Testverfahren • Validität • Reliabilität • Altersfairness • Bandbreite des Schwierigkeitsgrades • Paralleversionen • Normwerte Quelle: Sturm et al., 2000 Neuropsychologische Testverfahren • Screenings • Testbatterien • Spezifische Verfahren Quelle: Sturm et al., 2000 Neuropsychologische Testverfahren • Screenings - Mini-Mental-Status-Test (Leistungstest) (Kessler et al., 1990) - DemTect (Kessler et al., 2000) - Uhrentest - Reisberg-Skalen (Ihl & Fröhlich (Fremdbeurteilung) @ Demenzdiagnostik Quelle: Sturm et al., 2000 Neuropsychologische Testverfahren • Testbatterien - Nürnberger Alters Inventar (NAI) - Behavioural Assessement of the dysexecutive Syndrom (BADS) - Testbatterie zur Aufmerksamkeitsprüfung (TAP) PCgestützt - Inventar zur Gedächtnisdiagnostik (IGD) Quelle: Sturm et al., 2000 Neuropsychologische Testverfahren • Spezielle Verfahren Lern- und Merkfähigkeitstests – Verbaler Lern- und Merkfähigkeitstest VLMT – Wechsler Gedächtnistest WMS-R, deutsche Version – Complex Figure Test (CFT) – Berliner Amnesietest (BAT) Quelle: Sturm et al., 2000 Neuropsychologische Testverfahren • Spezielle Verfahren Aufmerksamkeit – Untertests aus der Testbatterie zur Aufmerksamkeitsprüfung (TAP) – d2 Quelle: Sturm et al., 2000 Neuropsychologische Testverfahren • Spezielle Verfahren Exekutivfunktionen – Planungstest (Kohler) PC-gestützt – Regensburger Wortflüssigkeits Test (RWT) – Wisconsin Card Sorting Test (WCST) Quelle: Sturm et al., 2000 Neuropsychologische Testverfahren • Spezielle Verfahren Demenzdiagnostik – The Consortium to establish a registry for Alzheimer desease (CERAD) Quelle: Sturm et al., 2000 Neuropsychologische Therapie • Ziel neuropsychologischer Therapie: Nutzung verfügbarer kognitiver Leistungen zwecks Erhaltung von Selbständigkeit und Alltagskompetenz Quelle: Sturm et al., 2000 Neuropsychologische Therapie • Therapie bei dementiellen Entwicklungen - keine kausalen Ansätze möglich - deshalb: Kompensation statt Restitution - Aufrechterhaltung des bestehenden Leistungsniveaus - Verlangsamung defizitärer Entwicklungen - Verbesserung nur in einzelnen Funktionsbereichen möglich Quelle: Sturm et al., 2000 Kann man der Demenz vorbeugen? Generell lassen sich dementielle Prozesse durch „Gehirntraining“ nicht verhindern. Aus neuropsychologischer Perspektive gibt es keine signifikant protektiv wirksamen Massnahmen. Literatur Gehirn und Verhalten. Prietzel, M.; Brand, M. & Markowitsch H.J.. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg, 2003. Lehrbuch der Klinischen Neuropsychologie. Sturm, W., Neuropsychologie. Karnath H.-O. & Thier, P. Springer Verlag, Berlin, 2003. Wir sind Erinnerung. Gedächtnis und Persönlichkeit. Schacter, D.L. Rowohlt Verlag, Hamburg, 1999.