Farbe in Physik und Technik

Werbung
Farbe_Kapitel_4.qxd
19.09.2002
5:08 Uhr
Seite 273
KAPITEL 4
Farbe in Physik und
Technik
Physik des farbigen Lichts
Technische Anwendungen
Farbe_Kapitel_4.qxd
19.09.2002
5:08 Uhr
Seite 274
Farbe_Kapitel_4.qxd
19.09.2002
5:08 Uhr
Seite 275
Zum vierten Kapitel
Wie schon im Vorwort erwähnt, ist die Physik, sieht man einmal von der Mathematik ab, die grundlegendste aller Naturwissenschaften. Jegliches Geschehen in der Welt geht, so
glaubt man, letztlich auf quantenmechanische Prozesse zurück.
Chemie, Biologie und Psychologie und Kunst beschäftigen sich
mit Vorgängen, die in dieser Reihenfolge aufeinander aufbauen.
Keine dieser Formen, sich mit der Welt auseinanderzusetzen,
lässt sich aber durch eine grundsätzlichere Betrachtungsweise einfach ersetzen; das wäre so, als würde man autofahren lernen, indem man sich theoretisch mit den Wechselwirkungen zwischen Reifen und Straße befasst oder diesen Vorgang aus der Sicht der Atome zu betrachten sucht. Ohne
Fahrpraxis endet ein solches Unterfangen wohl unweigerlich
im Graben. Für den Begriff der Farbe, der ja, wie aus dem vorherigen Kapitel ersichtlich, eng mit dem Bau unserer Augen
und unserem bewussten Erleben verknüpft ist, gilt Ähnliches.
Keine noch so eingehende Beschäftigung mit der Physik des
Lichts kann die Empfindung beim Sehen einer Farbe oder die
Verwendung der Farben in der Kunst wirklich erklären. Dies
zu fordern wäre so, als ob man sich beim Autofahren ständig der Positionen und Interaktionen aller Atome des Autos
bewusst sein wollte. Für die tägliche Fahrt zur Arbeit ist es offensichtlich nützlicher, nur gröbere Zusammenhänge zu beachten.
Gleichwohl ist es für das Gesamtverständnis eines Phänomens wichtig und nützlich, sich exemplarisch mit den zugrundeliegenden Prinzipien bis hinunter zur Physik zu beschäftigen. Dabei sollte man nicht mehrere Stufen zugleich im
Laufschritt nehmen, sondern sich, um nicht die Balance zu verlieren, an die erwähnte Hierarchie halten. Daher profitiert die
Chemie am meisten von den Erkenntnissen über die physikalischen Grundlagen. Das Verständnis der energetischen
Vorgänge bei der Wechselwirkung von Licht mit Atomen
und Molekülen kann die Absorptionseigenschaften färbender
Substanzen ebenso erklären wie das Spektrum eines Sterns.
Ein weiterer Grund, sich mit der Physik des Lichts zu beschäftigen, sind die zahlreichen technischen Farb-Anwendungen, die nur auf dieser Basis verständlich werden. Ob wir
die farbigen Seiten dieses Buchs betrachten oder den Inhalt einer CD-ROM auf dem Bildschirm: In jedem Fall sind atomare
Vorgänge in den absorbierenden Druckfarben oder den leuchtenden Bildschirmphosphoren für die Funktion entscheidend.
275
Farbe_Kapitel_4.qxd
19.09.2002
5:08 Uhr
Seite 276
Farbe_Kapitel_4.qxd
19.09.2002
5:08 Uhr
Seite 277
Physik des farbigen Lichts
Welle-Teilchen-Dualismus
Widersprüche ergänzen sich
Niemand würde zwischen Wasserwellen, die in
einem See entstehen, und einem fliegenden Stein,
der sie erzeugen kann, irgendeine Ähnlichkeit annehmen . Trotzdem werden zwei scheinbar so unterschiedliche Phänomene in der Physik unter der
Bezeichnung „Strahlung“ zusammengefasst.
Entsprechend wird Strahlung klassisch eingeteilt in Wellenstrahlung und in Teilchenstrahlung (Korpuskularstrahlung). Zu ersterer gehört
die elektromagnetische Strahlung von Radiowellen über Wärmestrahlung bis hin zum sichtbaren Licht, zu Ultraviolett-, Röntgen- und Gammastrahlung. Die zweite Art von Strahlung ist die
Teilchenstrahlung, z. B. die beim radioaktiven
Zerfall von Atomen auftretenden Alpha- (=
Heliumatomkerne) und Betastrahlen (schnell bewegte Elektronen).
Eine wichtige Konsequenz aus der Quantentheorie besagt, dass Wellen und Teilchen nicht so
unterschiedlich sind, wie uns die Alltagserfahrung
glauben machen will. Jede Welle hat auch Teilchenaspekte, und jedes bewegte Teilchen hat
Wellenaspekte (Materiewellen). Tatsächlich können sämtliche Strahlenarten alternativ entweder
als Welle oder als Teilchen beschrieben werden.
Man bezeichnet dies als Welle-Teilchen-Dualismus. Es gibt sogar eine Gleichung, die den Zusammenhang zwischen dem Impuls eines Teil-
Welle
=
?
Teilchen
4-1
Welle-Teilchen-Dualismus.Welle oder Teilchen? Beide
Theorien lassen sich durch Experimente bestätigen.
λ=
h
m·v
chens und seiner Wellenlänge liefert (Abbildung
4-2). Sie wurde im Jahr 1924 von de Broglie
(1892 – 1987) zunächst für Licht aufgestellt und
1927 auf beliebige Teilchen ausgedehnt. Kurz danach konnte er diese Hypothese auch experimentell untermauern. Kurze Zeit später fand
eine amerikanische Arbeitsgruppe Beugungserscheinungen eines Elektronenstrahls am Atomgitter von Nickelkristallen, was ein Beleg für die
Wellennatur des Elektronenstrahls ist.
Obwohl die auf den ersten Blick so klare
Trennung zwischen Welle und Teilchen also in der
Physik weitgehend aufgehoben ist, wird die Einteilung doch für viele praktische Zwecke beibehalten. Fast immer spricht man von Teilchenstrahlung, wenn man Teilchen mit einer von
Null verschiedenen Ruhemasse meint, andernfalls
von Wellen.
In Zusammenhang mit Farbe interessiert uns
natürlich hauptsächlich das sichtbare Licht. Man
kann nachweisen, dass sich Licht bei der Ausbreitung ähnlich wie eine Wasserwelle verhält; es
bildet so genannte Interferenzmuster (Abbildung
4-3), wenn sich zwei Wellen überlagern. Ande-
4-2
Materiewellen. Diese von
De-Broglie aufgestellte
einfache Beziehung erlaubt die Berechnung der
Wellenlänge eines Teilchens abhängig von dessen Impuls m · v (l:Wellenlänge, h: Plancksches Wirkungsquantum, m: Masse,
v: Geschwindigkeit)
4-3
Interferenz. Gegenseitige
periodische Verstärkung
oder Abschwächung
zweier von verschiedenen
Quellen ausgehenden
Wirkungen
sind ein sicheres Zeichen
für die Wellennatur eines
Phänomens. Sie lassen
sich z.B. an Wasserwellen,
an Licht oder bei Elektronenstrahlen nachweisen.
277
Farbe_Kapitel_4.qxd
Welle
=
?
Teilchen
KAPITEL 4
19.09.2002
5:08 Uhr
Seite 278
Physik des farbigen Lichts
Wichtige physikalische Konstanten
c
h
-h
me
Lichtgeschwindigkeit im Vakuum
Plancksches Wirkungsquantum
Konstante (h / 2π) sprich: „h-quer“
Elektronenmasse
2,9979
6,6261
1,0546
9,1094
·
·
·
·
108 m/s
10-34 Js
10-34 Js
10-31 kg
Formelzeichen
ν
λ
m
r
v
U
E
Frequenz
Wellenlänge
Masse
Radius
Geschwindigkeit
Potenzial, Spannung
Energie
Einheiten
1 nm
10-9 Meter
4-4
Konstanten, Formelzeichen, Einheiten. Wichtige Größen in Zusammenhang mit
Lichtwellen und -teilchen.
rerseits können beim photoelektrischen Effekt, der
in Solarzellen und Nachtsichtgeräten ausgenutzt
wird, auch eindeutig einzelne Lichtteilchen nachgewiesen werden.Auch bei der Besprechung der
Prozesse in den Sehzellen haben wir festgestellt,
dass auch Stäbchen so empfindliche Lichtverstärker sind, dass sie bei der Absorption einzelner Photonen ein messbares Signal liefern. Ein
klarer Widerspruch! Die scheinbar unvereinbaren experimentellen Befunde haben bis Anfang
des 20. Jahrhunderts zu heftigen Kontroversen in
der Physik über das wahre Modell für Licht geführt.
Aber sind Belege für die Wellennatur und
der ebenso gesicherte Nachweis der Teilchennatur des Lichts wirklich ein Widerspruch? Nehmen
wir ein Beispiel: Kann etwas gleichzeitig Ecken
haben und doch keine Ecken haben? „Natürlich
nicht!“, möchte man ausrufen.
Stellen wir uns aber einmal Lebewesen vor, die
nur in einer Ebene leben. Nehmen wir jetzt einen
Zylinder und stecken ihn durch die Welt der
„Flachländer“ hindurch, so erscheint er ihnen als
Kreis. Sie stellen fest: keine Ecken. Drehen wir den
selben Zylinder aber in einer Dimension, die für
sie nicht „begreifbar“ ist, um 90°, so ist der
Zylinder in ihrer Welt plötzlich ein Rechteck. Der
Widerspruch war also kein echter Widerspruch,
sondern konnte auf höherer Vorstellungsebene
aufgehoben werden. Die beiden sich widersprechenden und gleichzeitig ergänzenden Betrachtungsweisen sind für die „Flachländer“ sogar
notwendig, um der Vorstellung von einem räumlichen Zylinder so nahe wie eben möglich zu
kommen.
Obwohl das Bild vom Zylinder natürlich selbst
wieder nur ein grobes Modell der Situation darstellt, kann es doch zeigen, dass zwei sich scheinbar gegenseitig ausschließende, in Wahrheit aber
sich ergänzende (komplementäre) Erklärungen in
der Welt der Quanten notwendig sein können, um
alle Aspekte eines Phänomens zu beleuchten. Man
nennt dies auch das Komplementaritätsprinzip. Es
ist also völlig in Ordnung, einmal von langwelligem
rotem Licht zu reden und ein anderes Mal von roten Lichtteilchen (Photonen).
■
4-5
Synthese von Widersprüchen. So genannte
„Flachländer“, gedachte
Lebewesen in einer zweidimensionalen Welt,
erhalten von einem Zylinder widersprüchliche
Bilder. Erst die Betrachtung in einer höheren Dimension klärt den Widerspruch. Ganz ähnlich
kann man sich das Verhältnis zwischen den zwei
sich widersprechenden
Aspekten des Lichts
vorstellen.
278
Farbe_Kapitel_4.qxd
19.09.2002
5:08 Uhr
Seite 279
Potenzial und Quantensprünge
Atombau und Farbe
Potenzial und Quantensprünge
In diesem Abschnitt werden wir uns mit dem
Entstehungsprozess farbigen Lichts befassen,
der untrennbar mit der Atomtheorie verbunden ist. Die Vorstellung von Atomen wurde bereits in der Antike (Demokrit, Epikur) entwickelt, bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts
galten sie als unteilbare (griech. atomos) kleinste Einheiten eines chemischen Grundstoffs. Die
von Materie ausgesandte und absorbierte Strahlung, Basis für die Farbigkeit von Stoffen, ist aber
nur erklärbar aus dem inneren Aufbau der
Atome, der seit Anfang des 20. Jahrhunderts entschlüsselt wird.
Potenzial eines Steins
Im Jahr 1911 führte der neuseeländische Physiker Ernest Rutherford (1871 – 1937) seinen
berühmt gewordenen Streuversuchen von Alphastrahlen an sehr dünnen Goldfolien durch. Er
stellte fest, dass nur ein sehr kleiner Teil der
Alphateilchen überhaupt abgelenkt wird, diese
aber manchmal sogar nach rückwärts abprallen.
Dies konnte er mit dem Modell erklären, dass
Atome aus einem positiv geladenen, massiven
und dabei sehr kleinen zentralen Kern und einer
ihn umgebenden negativ geladenen Elektronenhülle bestehen. Demnach muss es im Atom einen
Effekt geben, der verhindert, dass ein Elektron
sofort in den positiven Atomkern fällt, von dem
es ja angezogen wird.
Rutherfords stellte sich ein Atom ähnlich wie
ein Planetensystem aufgebaut vor; die Elektronen
sollten sich auf kreisförmigen Bahnen um den
Kern bewegen. In diesem Modell sollte Zentrifugalkraft die Elektronen davon abhalten, in
den Kern zu fallen.
Spätestens seit dieser Zeit ist es klar, dass
eine gewisse Energie erforderlich ist, um ein
Elektron weiter vom Kern zu entfernen. An dieser grundsätzlichen Erkenntnis hat auch die
nachfolgende Entwicklung der Atomtheorien
über stationäre Bahnen bis hin zu quantenmechanisch definierten Aufenthaltbereichen
(Orbitalen) nichts grundsätzlich geändert.
Die Konstellation im Atom – Elektronen im elektrostatischen Anziehungsfeld des Kerns – ist auf
den ersten Blick ganz analog zur Situation eines
Steins, der von der Erde angezogen wird. Um ihn
gegen die Anziehungskraft hochzuheben, muss
man Energie aufwenden. Die Energie ist danach
im System Erde-Stein gespeichert und wird als
Lageenergie (potenzielle Energie) bezeichnet.
Eine passende Bezeichnung, dies wird offensichtlich, wenn der Stein fallengelassen wird.
Dann wandelt sich nämlich die potenzielle Energie
in Bewegungsenergie (kinetische Energie) um.
Potenziell ist sie deutlich zu bemerken, wenn einem der Stein auf den Fuß fällt. Wenn sich jedem
Potenzial eines Steins im Schwerefeld der Erde
potenzielle Energie
Das Atommodell nach Ernest Rutherford
4-6
Atombau nach dem Modell von Rutherford.
Die negativ geladenen
Elektronen bewegen sich
auf geschlossenen Kreisbahnen um den massereichen, positiv geladenen Kern. Sie bilden im
zeitlichen Mittel eine
ausgedehnte „Wolke“
und bestimmen damit
die Größe des Atoms wie
sie sich aus den Wechselwirkungen mit anderen
Atomen (Bindungslängen) ergibt (ca. 10-10m).
Der Atomkern ist hier
übergroß gezeichnet, ansonsten wäre er mit typischerweise etwa 10-14m
(1/10000 des Atomdurchmessers!) im Abbildungsmaßstab nicht zu
erkennen. Über eine
innere Struktur der Elektronenwolke sagt dieses
Modell wenig aus.
Energie bei der Fluchtgeschwindigkeit
Erdoberfläche
Entfernung
4-7
Ein Körper im Schwerefeld. Die potenzielle Energie eines Steins im Schwerefeld der Erde
bildet eine grobe Analogie zur Energie eines negativ geladenen Elektrons im elektrostatischen Feld des positiven Atomkerns.
279
Farbe_Kapitel_4.qxd
KAPITEL 4
19.09.2002
5:08 Uhr
Seite 280
Physik des farbigen Lichts
Punkt eines Feldes eindeutig ein definierter
Energiewert zuordnen lässt, so spricht man von
einem „Potenzial“. Dabei kann der Energienullpunkt beliebig gewählt werden, gemessen werden
jeweils nur Unterschiede der potenziellen Energie.
Potenzial eines Elektrons
Bei einem Elektron, das sich in der Nähe eines
Atomrumpfes (Restatom aus Atomkern und
verbleibenden Elektronen) aufhält, wird die
Rolle der Schwerkraft nach klassischem Bild
von der elektrostatischen Anziehung zwischen
dem betrachteten Elektron und dem Restatom
übernommen. Die Energie, die man benötigt,
ein Elektron gänzlich von einem Atomrumpf zu
trennen, nennt man die Ionisationsenergie. Sie
entspricht in unserem Modell der Energie, die
man einem Stein zuführen muss, damit er die
Fluchtgeschwindigkeit erreicht. Als Fluchtgeschwindigkeit bezeichnet man die Geschwindigkeit, mit der man einen Stein (unter Vernachlässigung der Luftreibung) hochwerfen
müsste, damit er das Schwerefeld der Erde verlässt und auf nimmer Wiedersehen im Weltraum
verschwindet.
Meist betrachtet man das Potenzial eines
einzelnen Teilchens im Anziehungsbereich eines
anderen, in der Regel massereicheren Objekts,
wie bei den Systemen Erde-Stein, Erde-Mond
oder Atomrumpf-Elektron. Man kann das
Potenzial dann als Kurve darstellen, welche die
Energie eines Teilchens im Feld eines als ruhend
angenommenen anderen Teilchens in Abhängigkeit von der Entfernung zeigt.
4-8
Potenzial. Von einem Potenzial spricht man dann,
wenn sich jedem Punkt
eines Feldes eindeutig ein
Energiewert zuordnen
lässt, wie dies z. B. für einen Stein oder den Mond
im Schwerefeld der Erde
der Fall ist. Der
Energieunterschied
zwischen zwei Punkten in
einem solchen Feld ist
unabhängig vom Weg,
der bei der Bewegung
von Punkt A nach Punkt
B durchlaufen wird.
280
Stellt man sich einen Querschnitt durch
das Atom vor, so kann man die Energie eines
Elektrons auf der senkrechten Achse auftragen.
Den Potenztialverlauf kann man sich dann
als trichterförmige Mulde vorstellen, ähnlich
wie ihn eine schwere Metallkugel in einem gespannten weichen Gummituch verursachen
würde. Man spricht in diesem Zusammenhang sogar oft von einem Potenzialtrichter.
(Tatsächlich wäre das Atom natürlich dreidimensional zu zeichnen, dann aber kann der
Potenzialverlauf schwer zeichnerisch dargestellt werden.)
So attraktiv Rutherfords Modell – insbesondere nach den Erfolgen der Newtonschen
Himmelsmechanik in den davor liegenden
Jahrhunderten – auch war, so versagte es doch
bei der Erklärung verschiedener experimen-
4-9
Spektren entscheiden zwischen Modellen. Nach Rutherford müssten Atome ein kontinuierliches Spektrum aussenden (oben). Das tatsächlich bei angeregten Atomen zu
beobachtende Linienspektrum lässt sich aus dem Modell
nicht erklären. Erst die durch Bohr eingeführte Quantisierung erklärt die experimentellen Befunde.
B
Weg 1
Weg 2
Feldlinien
A
M
Äquipotenzialflächen
4-10
Potenzialverlauf im Atom. Nach dem Rutherfordschen
Modell könnten die Elektronen ohne weitere Einschränkungen jeden beliebigen Energiebetrag austauschen und
müssten durch Energieabstrahlung in den Kern fallen.
Farbe_Kapitel_4.qxd
19.09.2002
5:08 Uhr
Seite 281
Potenzial und Quantensprünge
teller Befunde. Nach dem Planetenmodell
sollte z. B. ein Elektron, das um einen Kern
kreist, Energie in beliebigen Portionen aufnehmen und abgeben können. Es müsste also
Lichtquanten beliebiger Farbe absorbieren
und das Spektrum aller Atome wäre kontinuierlich. Dies widerspricht den tatsächlich beobachteten Linienspektren der Atome ( Arten
von Spektren, Seite 299). Die Sache hatte
noch einen weiteren Haken! Aus der Elektrodynamik ist nämlich bekannt, dass jede
bewegte Ladung ähnlich wie eine Antenne
Energie abstrahlen muss. Ein Elektron würde
so in Sekundenbruchteilen seine gesamte Bewegungsenergie verlieren und müsste schließlich in den Kern fallen. Stabile Atome dürfte
es also gar nicht geben.
Das Atommodell nach Nils Bohr
Der dänische Physiker Nils Bohr (1885 – 1962)
entwickelte 1913 die Vorstellung eines planetensystemähnlichen Atomaufbaus weiter, indem er zwei Postulate (Annahmen) einführte,
die von entscheidender Bedeutung für die weitere Entwicklung der Physik werden sollten. In
seinem ersten Postulat ging Bohr davon aus,
dass es in Atomen bestimmte Bahnen geben
müsse, auf denen Elektronen keine Energie abstrahlen und daher dauerhaft existieren können.
Für die Impulse der Elektronen auf stationären
Bahnen gab er folgende Bedingung an (me :
Elektronenmasse, v : Geschwindigkeit des Elektrons, n: Hauptquantenzahl, rn: Radius der n.
Bahn, -h: Konstante (sprich: „ha-quer“) = h/2π):
mevrn = n · -h
mit n = 1, 2, 3, ...
In seinem zweiten Postulat nimmt Bohr an, dass
Elektronen auf stationären Bahnen Energie
nur in bestimmten Paketen aufnehmen oder abgeben können, die gerade der Energie zwischen zwei verschiedenen Bahnen entspricht.
Dies lässt sich für den Übergang eines Elektrons
von der n. in die m. Bahn folgendermaßen
ausdrücken (∆E : Energiedifferenz zwischen
den Bahnen, h : Konstante, ν: Frequenz (griech.
Buchstabe n, sprich: „ny“), Em, En: Energien
auf der m. bzw. n. Bahn):
∆E = h · ν = Em - En
Diese Energiedifferenz, ausgedrückt als Produkt der Planckschen Konstanten h und der
Frequenz ν ist so eng mit dem Licht verknüpft,
dass hν sogar häufig in Formeln und Grafiken
als Synonym für Lichteinstrahlung verwendet wird.
Die Quantentheorie
4-11
Schalenbau eines Atoms. Nach einem weiterentwickelten
Modell können sich die Elektronen nur in bestimmten
Bahnen oder Schalen um den Atomkern aufhalten. Dabei
nimmt die Energie auf höheren Schalen normalerweise zu
(innerhalb jeder Schale existiert aber eine weitere Feinabstufung der Energie, die hier nicht berücksichtigt wurde).
Auf jeder Schale stehen nur eine begrenzte Anzahl möglicher quantenmechanischer Zustände (hier symbolisiert
durch Positionen) für die Elektronen zur Verfügung. Zwei
Elektronen können nicht den gleichen Quantenzustand
einnehmen. Die leeren Zustände in den höheren Schalen
wurden in der Zeichnung weggelassen.
Mit der Idee, eine Quantisierung in die Theorie der Atome einzuführen, brach Nils Bohr
mit der klassischen, auf kontinuierlichen
Differentialgleichungen beruhenden Physik.
Er knüpfte damit an die bereits 1900 von
Max Planck zur Erklärung des Spektrums des
Schwarzen Strahlers (Seite 313) eingeführte
Theorie an, die besagt, dass atomare Systeme
Energie nur in bestimmten Einheiten, den
Quanten, aufnehmen oder abgeben können.
Den Übergang eines Elektrons aus einem
Energiezustand in einen anderen nennt man
einen Quantensprung. Die Aufnahme oder
Abgabe der Energie erfolgt meist unter Absorption oder Emission von Lichtteilchen pas-
281
Farbe_Kapitel_4.qxd
KAPITEL 4
19.09.2002
5:09 Uhr
Seite 282
Physik des farbigen Lichts
4-12
Quantensprung. Ein
Atom kann ein Photon
absorbieren, wenn dieses
dem Energieunterschied
zwischen zwei elektronischen Zuständen im Atom
entspricht. Fällt ein Elektron auf ein niedrigeres
Niveau zurück, sendet es
wiederum ein Photon
aus, dessen Wellenlänge
(Farbe) vom freiwerdenden Energiebetrag abhängt.
sender Wellenlänge (es kommen allerdings
auch strahlungslose Übergänge vor).
So trug Bohr wesentlich zur Entwicklung der
Quantentheorie bei; sie feierte ihre ersten großen
Triumphe bei der Vorhersage und Erklärung aller im Spektrum des Wasserstoffatoms vorkommenden Linien. Über die Spektralanalyse ist es inzwischen möglich, die chemische Zusammensetzung von Sternen und Milchstraßensystemen zu
ermitteln, die so weit von uns entfernt sind, dass
E, U
0
Ionisationsenergie
Entfernung vom Kern
E3
E 1 E2
∆E
E1
Potenzielle Energie
4-13
Potenzielle Energie eines
Elektrons. Die potenzielle
Energie eines Elektrons im
Feld des Atomkerns wird
für sehr große Entfernung willkürlich als Null
definiert. Bei Annäherung
des Elektrons an den Kern
erreicht die Energiekurve
unendliche negative Werte, da sie hier eine Polstelle besitzt. Die Energieniveaus der einzelnen
Schalen unterscheiden
sich bei Annäherung an
die Ionisationsenergie immer weniger. Für die Energie eines absorbierten
oder emittierten Lichtquants und damit für die
Farbe des Lichts, sind die
Energieunterschiede ∆E
zwischen den beteiligten
Energieniveaus (hier
exemplarisch E1 und E3)
entscheidend.
uns nur noch der Hauch eines Lichtscheins erreicht. Bis heute ist die Quantentheorie die erfolgreichste physikalische Theorie überhaupt. Die
weitere Entwicklung dieser Theorie führte allerdings auch zu der Erkenntnis, dass sich die Dinge
im Allerkleinsten in keiner Weise so verhalten, wie
wir es mit unserer im makroskopischen Bereich
gewonnenen Erfahrung erwarten würden. Sogar
großen Geistern, die selbst viel zu ihrer Entwicklung beigetragen haben, wie Albert Einstein, ist die
Quantentheorie deshalb im Herzen fremd geblieben. Sie erlaubt detaillierte Wahrscheinlichkeitsberechnungen und exakte Voraussagen vieler Prozesse in der Atomphysik wie in der Kosmologie. Trotzdem sind klassische Modelle unserer
Vorstellung auch nach einem Jahrhundert Quantentheorie unmittelbarer zugänglich geblieben
und werden weiterhin verwendet, wo ihre Voraussagen von den quantenmechanisch berechneten nicht allzu stark abweichen.
Potenzial eines Elektrons im Feld des Atomkerns
282
r
Farbe_Kapitel_4.qxd
19.09.2002
5:09 Uhr
Seite 283
Potenzial und Quantensprünge
Das quantenmechanische Atom
Man spricht noch immer vielfach von Elektronenbahnen, obwohl die Heisenbergsche
Unschärferelation besagt, dass für Elektronen keine klassischen Bahnen festgelegt werden können. Tatsächlich kann man sich die
verschiedenen Elektronenbahnen besser als
unterschiedliche Schwingungszustände einer
Saite oder einer Membran vorstellen.
Von ähnlichen Vorstellungen ging auch der
österreichische Physiker Erwin Schrödinger (1887
– 1961) aus, dessen Name eng mit der Entwicklung der Quantentheorie verbunden ist. Ihm verdanken wir die berühmt gewordenen SchrödingerGleichung. Häufig wurde diese Gleichung (die
Mathematiker nennen sie eine partielle Differentialgleichung) auch als „Weltformel“ bezeichnet,
da ihre Lösungen prinzipiell das Verhalten aller
Quantensysteme beschreiben können. Die
Lösungen dieser Gleichung sind nicht etwa Zahlen, wie man das von Gleichungen in der Schule
gewohnt ist, sondern selbst wieder Funktionen, die
Wellenfunktionen (für sie wird meist der Formelbuchstaben ψ (psi) verwendet). Diese Wellenfunktionen beschreiben Elementarteilchen, ähnlich
wie eine Sinuswelle einen Ton beschreibt. Die
Wellenfunktion ψ selbst ist nicht leicht in gängigen Begriffen zu beschreiben, wohl aber ihr Quadrat (ψ2). Das Quadrat der Wellenfunktion gibt die
Aufenthaltswahrscheinlichkeit eines Elektrons in
einem bestimmten Bereich des Atoms an. Die
Wellenfunktionen bzw. deren Quadrate nennt
man Orbitale (in Anlehnung an die klassischen Planetenbahnen). Zumindest für sehr einfache Atome
lassen sich die Wellenfunktionen als Lösungen
der Wellengleichung direkt berechnen. Erstaunlicherweise sind nicht alle Orbitale kugelsymmetrisch
um den Kern angeordnet, es kommen auch hantelförmige, kleeblattförmige und noch komplizierter geformte Aufenthaltsbereiche vor (dies ist
übrigens die tiefere Ursache dafür, dass chemische
Bindungen häufig bestimmte Winkel zueinander
bilden ( Strukturformeln, Seite 139).
E [eV]
-0,54
-0,84
-1,50
2
L
-3,38
Hauptquantenzahl
Schale
...
3s
3px 3py 3pz 3dz2
3dxy
3dyz
3dx2-y2 3dxz
2s
2px 2py 2pz
50
32
18
8
max. Elektronen in Schale
5 O
4 N
3 M
1 K
n
Ionisationsgrenze (E = 0)
...
-13,55
2
1s
x y z
Orbitaltyp
s
p
d
f
g
Nebenquantenz. l
0
1
2
3
4
4-14
Schrödingergleichung.
Die „Weltformel“, hier in
sphärischen Koordinaten
mehr aus ästhetischen
Gründen gezeigt, erlaubt
in einfachen Fällen die Ermittlung der Wellenfunktionen, die Lösungen dieser partiellen Differentialgleichung darstellen. Sie
stellt damit auch die Basis
für quantenmechanische
Berechnungen der Orbitalenergien und der Spektrallinien dar.
4-15
Termschema des Wasserstoffatoms. Die übersichtliche Anordnung der
in einem Quantensystem
vorhandenen Orbitale erlaubt Rückschlüsse auf die
Farben im Spektrum.
283
5:09 Uhr
Seite 284
Physik des farbigen Lichts
UV
284
Licht
Brackett-Serie
1459
Pfund-Serie
2279
2626
2166
IR
λ [nm]
2700
2600
2500
2200
2100
2000
1900
1800
1700
1876
1600
1282
1300
1100
1200
1000
900
800
700
600
500
400
300
200
100
Lyman-Serie Balmer-Serie
Paschen-Serie
91
365
821
97
397
955
103
410
1005
122
434
1094
486 656
0
4-16
Serien. Im Spektrum des
atomaren Wasserstoffs
(er kommt z. B. in kosmischen Gaswolken vor),
zeigen sich zusammengehörige Serien von
Linien.
2400
Das einfachste Atom, das existiert, ist das
Wasserstoffatom. Es besteht lediglich aus einem einzelnen Proton als Atomkern und einem
Elektron als Hülle. Die möglichen Energiezustände des Elektrons im Potenzialfeld des Kerns
lassen sich noch relativ übersichtlich in Form
von Wellenfunktionen beschreiben. Sie können
näherungsweise auf die viel komplizierteren
Verhältnisse in größeren Atomen übertragen
werden. Das Potenzial eines Elektrons im
Grundzustand des Wasserstoffatoms ist kugelsymmetrisch. Es wird für unendlich große Abstände als Null definiert. Obwohl das Potenzial
am Kern unendliche negative Werte annimmt
und damit die Anziehungskraft besonders groß
ist, ergibt sich, dass nicht etwa dort die höchste Aufenthaltswahrscheinlichkeit für das Elektron besteht. Für den Grundzustand folgt aus der
Schrödinger-Gleichung eine Wellenfunktion ψ,
die am Kern einen Maximalwert aufweist. Allerdings ist dieser Bereich natürlich klein. Untersucht man die integrierte Wahrscheinlichkeit, dass sich das Elektron in einer Kugelschale
bestimmter Dicke um den Kern aufhält, so führt
die quantenmechanische Rechnung zu dem Ergebnis, dass das Elektron die maximale Aufenthaltswahrscheinlichkeit in einem bestimmten
Abstand a0 hat. Dieser Abstand entspricht genau dem bereits von Bohr im Rahmen seines
Modells angenommenen Radius einer kreisförmigen Elektronenbahn.
Aus der Schrödinger-Gleichung, ergeben
sich allerdings noch weitere Wellenfunktionen
(Orbitale), die mögliche Zustände höherer Energie („angeregte Zustände“) für das Elektron
beschreiben. Sie unterscheiden sich durch einige
in die Wellenfunktion eingehende mathematische Größen, die als Quantenzahlen bezeichnet
werden und teilweise Entsprechungen im klassischen Atommodell besitzen.
Man unterscheidet die Hauptquantenzahl n,
die Nebenquantenzahl l (auch als Drehimpulsquantenzahl bezeichnet) die Magnetquantenzahl
m und die erst bei Mehrelektronensystemen
relevante Spinquantenzahl s.
Die Hauptquantenzahl kann jede natürliche Zahl (n = 1, 2, 3,...) sein. Man kann sie mit
den möglichen Bahnradien des klassischen
Bohrschen Atommodells gleichsetzen. Alle
Orbitale mit gleicher Hauptquantenzahl bilden
eine Elektronenschale. Die ersten Schalen werden aus historischen Gründen auch mit den
Buchstaben K, L, M, N und O bezeichnet.
Die Nebenquantenzahl kann in der n-Schale
Werte von l = 0 bis l = n-1 annehmen. Unterschiedliche Werte der Nebenquantenzahl führen
zu verschiedenen geformten Aufenthaltsbereichen
der Elektronen, die aus historischen Gründen
auch mit Kleinbuchstaben (s, p, d, f, g) bezeichnet werden. Nur für s-Orbitale (l = 0) ergeben sich kugelsymmetrische Ladungsverteilungen. In p-Orbitalen (l=1) ist der Aufenthaltsbereich des Elektrons wie eine Hantel
geformt, für höhere Nebenquantenzahlen treten
sogar noch kompliziertere Verteilungen auf.
Anmerkung: Für Moleküle von Farbstoffen
ist eine Kategorie chemischer Bindungen besonders wichtig, die sich zwischen p-Orbitalen
ausbilden können und die als π-Bindungen bezeichnet werden. Da sich bei mehreren solcher
π-Bindungen in einem Molekül leicht räumliche Überlappungen ergeben können, gestatten
2300
Wasserstoff – das einfachste Atom
1500
KAPITEL 4
19.09.2002
1400
Farbe_Kapitel_4.qxd
Herunterladen