Begründung der Menschenwürde 2 - pro.kphvie.at

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07 / 2012
PUBLIKATIONSREIHE des
Kompetenzzentrums für Menschenrechtspädagogik
an der
KIRCHLICHEN
PÄDAGOGISCHEN
HOCHSCHULE
WIEN/KREMS
OSKAR DANGL
DAS WÜRDEKONZEPT DER AUFKLÄRUNG
BEGRÜNDUNG 2
Das Würdekonzept der Aufklärung: Begründung 2
Die Begründungsoffenheit des Würdebegriffs erlaubt
ganz unterschiedliche Zugänge. Grob kategorisiert lassen sich wohl drei Gruppen bzw. Typen von Begründungen der Menschenwürde unterscheiden, die sich auch in
der Geschichte des Würdebegriffs finden:
• Christliche Vorstellungen vom Menschen und seiner
Stellung in der Welt
• Das Konzept der Aufklärung, im Besonderen die praktische Philosophie I. Kants
• Das Speziesargument und damit verwandte Motive
Diese Begründungstypen stehen miteinander in historischer Verbindung, wie ein kurzer Blick darauf zeigen
kann.
Drei Komponenten trugen zum Werden der Aufklärung
bei (vgl. WITTSTADT 1995, 70-72):
• Ein neues naturwissenschaftliches Weltbild
• der Toleranzgedanke
• Eine neue, vom Vermögen der menschlichen Vernunft
überzeugte Philosophie
Demokratie und Freiheitsrechte verweisen auf die Idee
der Würde des Menschen, die schon in den Grundschriften verschiedener Religionen und Philosophien
aufscheint, in der Moderne aber deutlicher aus der Befähigung des Menschen zur Verantwortung, d.h. zum Subjekt mündiger Selbst- und Mitverantwortung verstanden
wird (vgl. BIELEFELDT 2008, 69-73).
Im Mittelpunkt der Aufklärung steht die Idee der
menschlichen Autonomie. Das Subjekt Mensch bestimmt kraft der Vernunft sein Verhältnis zur Welt (vgl.
WITTSTADT 1995, 70-72). Als richtungsweisend für eine
ethische Rechtfertigung der Menschenwürde gilt immer
noch KANT. Grundgelegt ist der kategorische Imperativ
in der Anthropologie, in der Lehre vom Selbstzweck des
Menschen. Den anderen als Selbstzweck sehen, bedeutet, ihn in seiner Menschenwürde zu achten (vgl. ANTOR
2009, 137-140). KANT gilt als Kronzeuge eines universalistischen Würdebegriffs in Zusammenhang mit der vernünftigen, d.h. moralisch-sittlichen Selbstbestimmung. Autonomie wird zum Grund der Menschenwürde (vgl. MENKE &
POLLMANN 2007, 138f.).
Mit der Freiheit zur Selbstverpflichtung ist der ethische Kern
der Idee der Menschenwürde umrissen. Für KANT folgt aus
der Entdeckung des unvertretbaren inneren Zustimmungsaktes zum moralisch Guten unmittelbar der moralische
Anspruch auf wechselseitige Respektierung (Achtung), die
zugleich wechselseitige Rechtspflicht ist. Das Recht auf äußere Freiheit ist die subjektrechtliche Seite der ethischen
Menschenwürde. Die objektrechtliche Seite der Menschenwürde ist, dass auch der Gesetzgeber selbst zur Achtung
der äußeren Freiheit des Individuums verpflichtet ist, deren
Einschränkung nur dann zu rechtfertigen ist, wenn durch
bestimmte Handlungen die Freiheit anderer unzumutbar
eingeschränkt wird. Die Würde des Menschen generiert den
subjektiven Rechtsanspruch auf Achtung seiner äußeren
Freiheit und daraus entwickelbarer Grundrechte. Der kategorische Imperativ begründet und rechtfertigt als ethisches
Moralprinzip auch das Recht als äußere Freiheitsordnung.
Insofern sind Ethik und Recht zwei Teile der Moralphilosophie (vgl. BARANZKE 2010, 22f.).
In aller Kürze kann man das Würdeverständnis von KANT so
zusammenfassen: Würde ist ein Wert, der keinen Preis haben kann (vgl. FELLSCHES 2009, 121f.).
KANT will nicht ein neues Prinzip der Sittlichkeit aufstellen.
Sein Ziel besteht vielmehr darin, jenes Moment unbedingter Verbindlichkeit in den Blick zu nehmen, durch das sich
ethisches Urteilen und Handeln von bloßer Nutzenkalkulation unterscheidet. Dieses Prinzip nennt er den kategorischen Imperativ:
• „Handle nur nach der Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde“ (GMS)
• „Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Per1
son, als in der Person eines jeden anderen jederzeit
zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst“
(GMS)
Trotz der differenten Formulierungen besteht KANT darauf, dass der kategorische Imperativ ein einziger sei.
Der kategorische Imperativ ist nicht eine Verhaltensregel neben anderen, sondern das Grundprinzip der Ethik
schlechthin. Er fungiert als letztes Prinzip sittlicher Urteilsbildung wie als Motivationsquelle sittlichen Handelns.
Die Würde des Menschen ist nicht nur ein ethischer Wert
neben anderen. Sie erweist sich als prinzipiell unverrechenbar. Im Reich der Zwecke hat alles entweder einen
Preis, oder eine Würde. Was über allen Preis erhaben ist,
hat Würde. Als etwas Unbedingtes kann die Menschenwürde weder erworben noch veräußert, weder verliehen noch abgesprochen werden. Sie ist unabhängig von
Leistung und Verdienst, von der Entwicklung und Reife
eines Menschen. Kein Gericht kann dem Menschen seine
Würde absprechen (vgl. BIELEFELDT 2004, 20-22).
Von einem Verlust der Würde kann streng genommen
niemals die Rede sein. Allerdings gibt es Erfahrungen, die
die Würde des Menschen massiv missachten und sogar
negieren, mit der Folge dass die Opfer sogar das Gefühl
und Bewusstsein ihrer eigenen Würde verlieren. Missachtung der Würde geschieht durch Verdinglichung des
Menschen. Extreme Formen stellen Sklaverei und Folter
dar. Im internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (1966) gehören die Verbote von Folter und
Sklaverei daher zu den wenigen Artikeln, die selbst im
Falle des Staatsnotstandes nicht eingeschränkt werden
dürfen. Die Würde wird auch dort missachtet, wo man
Menschen ihre wesentliche Gleichheit abspricht. Rassismus, Sexismus und andere Formen der Leugnung der
wesentlichen Gleichheit der Menschen bedeuten stets
eine Missachtung der Menschenwürde. Generell geht
es in den Menschenrechten darum, die Würde des Menschen dadurch vor Missachtung zu schützen, dass allen
Menschen gleiche Freiheitsrechte garantiert werden. Die
gleiche rechtliche Freiheit bildet nach KANT das eine fundamentale Menschenrecht. Diese Einsicht in die Unbeliebigkeit der Freiheit macht das Pathos der Aufklärung
aus. Missachtungen der Menschenwürde, das ist die entscheidende Einsicht, sind kein unabänderliches Schicksal, sondern ein Skandalon (vgl. BIELEFELDT 2004, 22-27).
Auf der Linie KANTS könne auch das aktuelle Konzept
„Human Dignity as Empowerment“ gesehen werden,
weil es die grundlegende Idee der Menschenwürde im
Wert eines selbstbestimmten Lebens zum Ausdruck
bringe (vgl. DÜWELL 2010, 73-77).
Weil manche den kategorischen Imperativ für antiquiert
halten, wird das Speziesargument häufig in die Diskussion
gebracht, besonders im Kontext des Streits um P. SINGER.
Jedem Mitglied der Gattung Mensch ist demnach das Lebensrecht einzuräumen (vgl. ANTOR & BLEIDICK 2000, 8295).
Literatur
ANTOR Georg (2009), Menschenwürde; in: DEDERICH Markus & JANTZEN Wolfram (Hrsg.), Behinderung und Anerkennung (Behinderung, Bildung, Partizipation. Enzyklopädisches Handbuch der Behindertenpädagogik; Bd. 2),
Kohlhammer: Stuttgart, 134-143
ANTOR Georg & Ulrich BLEIDICK (2000), Behindertenpädagogik als angewandte Ethik, Kohlhammer: Stuttgart
BARANZKE Heike (2010), Menschenwürde zwischen Pflicht
und Recht. Zum ethischen Gehalt eines umstrittenen Begriffs; in: zfmr 4, H. 1, 10-24
BIELEFELDT Heiner (2004), Die Würde als Maßstab. Philosophische Überlegungen zur Menschenrechtsbildung; in:
MAHLER Claudia & MIHR Anja (Hrsg.), Menschenrechtsbildung. Bilanz und Perspektive, VS Verlag für Sozialwissenschaften: Wiesbaden, 19-27
BIELEFELDT Heiner (2008), Religionsfreiheit als Menschenrecht. Ein klassisches Menschenrecht in der Kontroverse;
in: BIELEFELDT Heiner & DEILE Volkmar & HAMM Brigitte
& HUTTER Franz-Josef & KURTENBACH Sabine & TRETTER
Hannes, Religionsfreiheit. Jahrbuch Menschenrechte 2009,
Böhlau Verlag: Wien, 58-77
DÜWELL Marcus (2010), Menschenwürde als Grundlage der
Menschenrechte; in: zfmr 4, H.1, 64-79
FELLSCHES Josef (2009), Werte und Normen, Tugenden und
Regeln; in: MOKROSCH Reinhold & REGENBOGEN Arnim
(Hg.), Werte-Erziehung und Schule. Ein Handbuch für Unterrichtende, Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen, 118-125
MENKE Christoph & POLLMANN Arnd (2007), Philosophie
der Menschenrechte zur Einführung, Junius Verlag: Hamburg
WITTSTADT Klaus (1995), Perspektiven zu Menschenwürde
und Menschenrecht – dargestellt an dem Weg der Kirche
der Neuzeit; in: BÖHM Winfried (Hrsg.), Erziehung und Menschenrechte, Ergon-Verlag: Würzburg, 69-81
Autor
DDr. Oskar Dangl
Studium der katholischen Theologie mit Schwerpunkt Alttestamentliche Bibelwissenschaften; Studium der Pädagogik mit
Schwerpunkt Skeptische Pädagogik; Lehrender an der Kirchlichen
Pädagogischen Hochschule Wien/Krems in den Bereichen Erziehungswissenschaft und Religionspädagogik; Leiter des Kompetenzzentrums Menschenrechtspädagogik; Lehrbeauftragter an
der Universität Wien (Institut für Bildungswissenschaft); Tätigkeit
im Rahmen der kirchlichen Erwachsenenbildung (Theologischer
Fernkurs).
IMPRESSUM: Herausgeber: Kompetenzzentrum für Menschenrechtspädagogik an der KPH Wien/Krems, Mayerweckstr. 1, 1210 Wien; Monika Bayer und Oskar Dangl; monika.
[email protected]; [email protected]; http://pro.kphvie.ac.at/mere; DOI: 10.1371/journal.pbio.0020449; © bei der Autorin/dem Autor
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