erdbeben und vulkane

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Erdbeben und Vulkanausbrüche sind nicht nur faszinierender
Ausdruck der gewaltigen Kräfte des Erdinneren, sondern
ebenso gefürchtete Naturkatastrophen, die die Menschen seit
jeher in Angst und Schrecken versetzen. Entsprechend hoch
sind die Erwartungen, eines Tages über ein globales und
zuverlässiges Frühwarnsystem zu verfügen, was jedoch ein
umfassendes Verständnis der komplexen Vorgänge im Erd­
inneren voraussetzt. Rolf Schick schildert die historische
Entwicklung der wissenschaftlichen Erforschung von Erdbeben und Vulkanen, er erklärt die Ursachen und Auswirkungen
dieser Naturereignisse und erläutert den Stand der gegenwär­
tigen Vorhersagemöglichkeiten.
Prof. Dr. Rolf Schick ist Physiker und arbeitet am Institut für
Geophysik der Universität Stuttgart. Er ist u. a. Vorsitzender
der internationalen Arbeitsgruppe „Seismic Phenomena Asso­
ciated With Volcanic Activity“ der „European Seismological
Commission“ und Vertreter der Bundesrepublik Deutschland
in der „Commission on Volcano Geophysics“ der „International Association of Volcanology and Chemistry of The
Earth's Interior“ (IAVCEI). Seine Forschungsgebiete sind die
Seismologie und Physikalische Vulkanologie, insbesondere der
Vulkanismus in Süditalien (Vulkane Ätna und Stromboli) und
Indonesien (Vulkane Krakatau, Merapi, Bromo und Batur).
Rolf Schick
ERDBEBEN
UND VULKANE
Verlag C.H.Beck
Mit 18 Abbildungen
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Schick, Rolf:
Erdbeben und Vulkane / Rolf Schick. - Orig.-Ausg. ­
München : Beck, 1997
(Beck'sche Reihe ; 2062 : C. H. Beck Wissen)
ISBN 3 406 41862 7 NE: GT
Originalausgabe
ISBN 3 406 41862 7
Umschlagentwurf von Uwe Göbel, München
© C. H. Beck'sche Verlagsbuchhandlung (Oscar Beck), München 1997
Gesamtherstellung: C H. Beck'sche Buchdruckerei, Nördlingen
Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier
(hergestellt aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff)
Printed in Germany
Inhalt
Einleitung..........................................................................
7
I. Wie fest ist die „feste“ Erde?...................................
9
1. Die Erdwärme.......................................................
2. Aufbau der Erde und Plattentektonik..................
9
13
II. Erdbeben ...................................................................
1. Frühere Vorstellungen und Entwicklungen
zum „tektonischen Beben“...................................
2. Mechanik der Erdbebenbrüche ............................
3. Die physikalisch-mathematische Darstellung des Erdbebenherdes..............................................
4. Erdbeben im Labor...............................................
5. Der Erdbebenherd als Punktquelle ......................
6. Der räumlich ausgedehnte Erdbebenherd ............
7. Erdbeben, die es nicht geben dürfte .....................
8. Erdbeben und Tektonik .......................................
9. Erdbebenvorhersage .............................................
10. Erdbebengefährdung und erdbebensichere Bauweise ...............................................................
11. Tsunami ................................................................
19
III. Vulkane......................................................................
1. Einführung............................................................
2. Aufschmelzvorgänge im Erdmantel .....................
3. Eruptivgesteine .....................................................
4. Eruptionsmechanismen ........................................
5. Die explosive Wirkung von Vulkanen..................
6. Die Förderprodukte der Vulkane ..........................
7. Vulkanausbrüche und Klima.................................
8. Vulkane, die es nicht geben dürfte: „Hot Spots“ und Kontinentale Riftsysteme.........
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69
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106
5
9. Vulkanismus im Sonnensystem .............................. 110
10. Vulkangefahren und Vulkanüberwachung ............ 114
Weiterführende Literatur ................................................... 124
Register ............................................................................... 126
Einleitung
Reisen mit dem Schiff oder Flugzeug werden oft mit dem Satz
beendet: „Endlich wieder festen Boden unter den Füßen“.
Doch wie fest ist dieser Erdboden wirklich? Abdrücke von
Meeresmuscheln im Hochgebirge und fossile Überreste an
sich tropischer Tiere in arktischen Gebieten geben einen unmittelbaren Hinweis auf die Beweglichkeit von Landmassen.
Im Zeitmaßstab des menschlichen Lebens läuft dieser Vorgang im Normalfall allerdings unmerklich langsam ab. Nur
gelegentlich kommt es im Transport der festen Gesteine zu
Störungen. Erdbeben ziehen uns den anscheinend so stabilen
Boden plötzlich unter den Füßen weg und Vulkanausbrüche
zeigen, daß unser Leben sich offenbar nur auf einer dünnen
Außenhaut der Erde abspielt. Wir sprechen dann von „Natur­
katastrophen“, aber ist der Ausdruck wirklich berechtigt? Der
Mensch wird nicht vom Erdbeben, sondern von herabfallenden Trümmern seiner Häuser erschlagen, und Vulkanausbrüche tragen mehr zur Erhaltung des Lebens als zu seiner Vernichtung bei. Nur über den Vulkanismus wird das Wasser in
den Ozeanen erhalten. Die fruchtbarsten Felder und Böden
findet man in Vulkangebieten.
Die Bewegungen und Deformationen der festen Erde resultieren aus ihrer inneren Wärme und der gegebenen Temperaturverteilung. Sie ist einzigartig unter den Himmelskörpern
unseres Sonnensystems, und obwohl der Erdwärmestrom nur
ein achtzehntausendstel des solaren Wärmeflusses beträgt, ist
er für das menschliche Leben eine genauso wichtige Voraussetzung wie die Wärme und Licht spendende Sonne. Unter
unseren Füßen arbeitet eine Wärmekraftmaschine. Ohne ihren
Antrieb mit gebirgsbildenden Kräften würde in einigen zehn
Millionen Jahren die Erdoberfläche unter einem geschlossenen
Ozean verschwinden, und kein Vulkan würde mehr Kohlendioxid nachliefern, das zur Erhaltung eines gemäßigten
Weltklimas und zur Photosynthese unerläßlich ist. Mit der
Abkühlung der Erde erlöschen in etwa 500 Millionen Jahren
7
diese „Tektonik“ genannten Prozesse und werden damit, lange bevor die Energie der Sonne erschöpft ist, das Leben auf
der Erde begrenzen.
Das vorliegende Buch beschäftigt sich mit sporadisch und
schnell ablaufender Tektonik, wozu Erdbebenherde und Vul­
kane gehören. Beide Phänomene sind mit komplexer und irreversibler Dynamik verbunden, was einer quantitativen Beschreibung immense Probleme bereitet. Die Ursachen für
Erdbeben und Vulkanausbrüche liegen in einem der unmittelbaren Beobachtung nicht zugänglichen, tieferen Erdinneren
und können nur über indirekt arbeitende Verfahren unter­
sucht werden. Jedes Erdbeben und jeder Vulkanausbruch ist
ein einmaliger, nicht reproduzierbarer Vorgang, der zeitlich
nicht vorher bestimmt werden kann.
Unter diesen Umständen ist es verständlich, daß Erdbeben
und vulkanische Ereignisse mathematisch-physikalisch nur
näherungsweise und mit Hilfe idealisierter Modellvorstellun­
gen beschrieben werden können. Für den Erdwissenschaftler
bleibt es aber dennoch faszinierend, welche Ordnung und Re­
gelmäßigkeit trotz aller chaotisch erscheinenden Dynamik in
diesen Prozessen gefunden werden kann.
Dieses Buch beginnt mit einer Einführung in den Aufbau
und den Wärmehaushalt der Erde und die daraus folgende
Geodynamik. Anschließend an die historische Entwicklung
zum heutigen Kenntnisstand von Erdbeben und Vulkanen
werden deren wesentliche Ursachen und Auswirkungen und
die Möglichkeiten zur Vorhersage diskutiert. Ein Verzeichnis
gibt weiterführende Literatur an und enthält eine Beschrei­
bung und einen Wegweiser zu aktuellen Erdbeben- und
Vulkaninformationen im World Wide Web des elektronischen
Internet-Informationssystems.
I. Wie fest ist die „feste“ Erde?
1. Die Erdwärme
Fährt man an einem kalten Wintertag in den Schweizer Gott­
hardtunnel ein, so schlägt einem nach kurzer Wegstrecke
durch das geöffnete Wagenfenster warme, fast subtropische
Luft entgegen. Erstaunlicherweise wurde man erst Anfang des
19. Jahrhunderts auf diese aus dem tiefen Erdinneren global
aufströmende Wärme aufmerksam. Zwar waren rotglühende
Vulkanlaven und heiße Quellen schon viel früher bekannt,
doch hielt man diese Erscheinungen für ein lokal auftretendes
Durchbrechen eines nahe unter der Erdoberfläche brennenden
Feuers. Diese Anschauung änderte sich erst um das Jahr 1830,
als bei einem genügend tief in die Erde eindringenden Schacht
eines Erzbergwerkes in Sachsen, also weit außerhalb von Vulkangebieten und unterirdischen Kohlelagerstätten, eine stetige
Temperaturzunahme von 1° C pro 30 m Erdtiefe gemessen
werden konnte. Ähnliche Werte wurden wenig später in fran­
zösischen und englischen Bergwerken gefunden. Aus heutiger
Sicht handelt es sich um überraschend präzise Bestimmungen
der durchschnittlichen geothermischen Tiefenstufe in Mitteleuropa.
Woher kommt nun die Erdwärme? Die Ansichten über die
thermische und stoffliche Entwicklung unseres Planeten sind
auch heute noch teilweise recht kontrovers. Bei der Mehrheit
der Erdwissenschaftler zeichnet sich jedoch .folgendes Bild ab:
Die Erde, wie auch die anderen Planeten unseres Sonnen­
systems, hat sich vor etwas über 4,6 Milliarden Jahren durch
ein schnelles Aufeinandertreffen von sog. Planetesimalen, Zu­
sammenballungen von kosmischem Staub zu Körpern von etwa 10 bis 100 km Größe, gebildet. Die Planetoiden zwischen
Mars und Jupiter werden z. B. als ein nicht zu einem Planeten
verbundener Gürtel von Planetesimalen angesehen. Beim Aufprall der Körper auf den im Volumen anwachsenden Erdball
wurde die Bewegungsenergie in Wärmeenergie umgesetzt. Bei
den hohen Temperaturen bildeten sich Schmelzen, wodurch in
9
einem relativ kurzen Zeitraum von vielleicht 100 Millionen
Jahren im Gravitationsfeld der entstehenden Erde eine Entmischung nach dem spezifischen Gewicht eintrat. Es entstand
ein eisenreicher, schwerer Erdkern, über den sich die leichteren Gesteinssilikate zum Erdmantel lagerten. In dieser Epoche
besaß die Erde ein Höchstmaß an Wärmeenergie mit maximalen Temperaturen. Kühlt sich die Erde seither ab?
Betrachten wir zuerst die für die Wärmeabgabe verantwortlichen Faktoren. Der Erdball gibt Wärme über Abstrahlung von seiner Oberfläche an den Weltraum ab. Der Wärme­
verlust hängt vor allem vom Verhältnis der Oberfläche (o) des
Planeten zu seiner die Wärme tragenden Masse (m) ab. Je
größer die Zahl von o/m, umso effektiver ist die Abgabe
thermischer Energie. Wird das Verhältnis o/m für die Erde
gleich 1 gesetzt, dann ergibt sich für den Erdmond 6, für den
Mars 2.5 und für die Venus 1.1. Dies ist der wesentliche
Grund, warum die Tektonik auf dem Mond schon seit über
einer Milliarde Jahren und auf dem Mars vermutlich seit
mindestens hundert Millionen Jahren eingefroren ist. Unter
Tektonik versteht man die von den im Inneren eines Planeten
wirkenden Kräften hervorgerufenen Deformationen und Mas­
senbewegungen. Ohne Tektonik gibt es aber, sieht man von
den auf die Planetenmonde einwirkenden Gezeitenkräften ab,
weder Erdbeben noch Vulkanismus.
Im Gegensatz zum Mond oder Mars befindet sich die Erde
seit einer Milliarde Jahren in einem Zeitraum, in dem Tektonik
stattfindet. Der Temperaturverlauf in der Erde ist so gestaltet,
daß sich bei der stofflichen Zusammensetzung der Erde unter
der weitgehend starren Decke, der „kalten Lithosphäre“, eine
sich plastisch und fließfähig verhaltende „heiße Astenosphäre“
ausbilden konnte. Unter diesen Bedingungen setzen Materialströmungen in Form thermischer Konvektionszellen ein, mit
denen Wärme aus dem Inneren der Erde nach außen trans­
portiert wird.
Der Erdmantel stellt eine große Wärmekraftmaschine dar,
bei der mit dem Wärme- und Massentransport der tiefliegenden,
heißen Gesteine an die kühlere Erdoberfläche mechanische
10
Die thermische Entwicklung terrestrischer Planeten.
Die Abb. zeigt qualitativ den zeitlichen Verlauf der durchschnittlichen
Temperatur terrestrischer Planeten und des Erdmondes seit ihrer Bildung
bis heute. Die Kurve für den Planeten Merkur liegt nahe der Mondkurve.
TPTA und TPTE sind die Anfangs- und Endtemperaturen, innerhalb derer
Konvektion zum Antrieb der Plattentektonik möglich erscheint. Tv ist die
Grenztemperatur
für
das
Auftreten
von
Vulkanismus.
(Zchg. Peter Schick, nach einer Vorlage von D. Chester)
Kräfte verbunden sind. Die für den Menschen spektakulären
Auswirkungen dieser Kräfte sind Erdbeben und Vulkane.
Weniger auffällig, aber für die Erde genauso bedeutende Re­
sultate, sind die Verschiebung von Kontinenten, die Bildung
neuer Ozeanböden und die Auffaltung von Gebirgen. Alle un­
ter der Überschrift „Plattentektonik“ ablaufenden Vorgänge
beruhen auf diesen Wärmezellen. Wie aus dem täglichen Le­
ben bekannt, ist die mit Materialtransport verbundene Wärmeübertragung viel effektiver als die über Wärmeleitung. Mit
den Konvektionszellen des Mantels wird deshalb der Haupt­
teil der Erdwärme an die Oberfläche geleitet, von wo aus sie
an den Weltraum abgestrahlt wird.
11
Die Wärmeverluste müssen nicht allein von der Urwärme
der Erde getragen werden. Im Zerfall radioaktiver Elemente
in Erdkruste und Erdmantel enthält der Erdball auch heute
noch Wärmequellen. Als Produzenten radiogener Wärme
kommen in der Reihenfolge ihrer Bedeutung im wesentlichen
nur noch die langlebigen Elemente Uran238, Thorium232, Ka­
lium40 und Uran235 in Frage. Die Elemente mit den großen
Ionenradien (z.B. Uran) sind in den Graniten der Oberkruste
um zwei Größenordnungen stärker angereichert als im Erd­
mantel. Trotzdem ist die im Erdmantel produzierte Wärmemenge wegen des gegenüber der Kruste mächtigeren Volu­
mens aber bedeutender. Vermutlich existieren noch weitere
Wärmequellen in der Erde. Einige Überlegungen deuten
darauf hin, daß der im wesentlichen aus Eisen und Nickel
zusammengesetzte, „flüssige“ äußere Erdkern frei von radioaktiven Zerfallsprodukten ist. Zur Aufrechterhaltung des erdmagnetischen Feldes, des Erddynamos, ist aber eine schnelle
Konvektionsströmung im Kern Voraussetzung. Der dazu notwendige Temperaturgradient wird offenbar durch die beim
„Ausfrieren“ von flüssigem Eisen am festen inneren Kern entstehende latente Schmelzwärme aufrechterhalten.
In neuerer Zeit werden umfangreiche und weltumspannende Messungen zum terrestrischen Wärmestrom vorgenom­
men, die eine repräsentative Abschätzung der Wärmeabgabe
der Gesamterde erlauben. Gegenüber dem Stand von 1970
geht man heute mit 80 mW/m2 von einem fast doppelt so hohen mittleren Wärmestrom für die Erde aus. Bei diesem Wert
ist die Wärmeabgabe der Erde deutlich größer als die heutige
Wärmeproduktion über radioaktiven Zerfall. Mit der Abnahme der globalen Wärmeenergie muß aber nicht unbedingt
eine unmittelbare Temperaturabnahme verbunden sein, da
noch genügend latente Schmelzwärme im äußeren Erdkern
vorhanden ist. Langfristig gesehen kühlt sich die Erde aber ab.
Nach Abschätzungen verläßt sie in etwa 500 Millionen Jahren
den Zustand, in dem Tektonik stattfinden kann.
12
2. Aufbau der Erde und Plattentektonik
Der Aufbau der Erde ist dominierend vertikal ausgerichtet.
Entlang horizontaler oder meist nur flach einfallender Grenzflächen treffen Gesteine verschiedener chemischer Zusammensetzung oder mit unterschiedlichen physikalischen Zustandsparametern aufeinander. Unsere Kenntnisse über die innere
Struktur der Erde stammen vorwiegend aus Untersuchungen
über die Ausbreitung seismischer Wellen, die von Erdbeben
oder Sprengungen angeregt werden. Erstmals wurde eine
Schichtgrenze oder Diskontinuität im Jahre 1909 von dem
Jugoslawen Andrija Mohorovicic entdeckt. Sie wird abkürzend Moho-Diskontinuität genannt und trennt das leichtere
Gestein der Erdkruste von dem darunter liegenden und spezifisch schwereren Material des Erdmantels. Die Tiefenlage der
Moho ändert sich typisch zwischen Hochgebirge, Flachland
und Ozean. So beträgt beispielsweise die Mächtigkeit der
Erdkruste unter dem Westalpenbogen ca. 60 km, in Süddeutschland ca. 30 km und in der Tiefsee des Atlantischen
Ozeans ca. 6 km. Im Jahre 1911 fand der deutsche, später in
die USA ausgewanderte Seismologe Beno Gutenberg eine weitere Grenzfläche in 2900 km Tiefe. Hier handelte es sich um
die schon früher vermutete Trennung zwischen den festen Si­
likatgesteinen des Erdmantels und einem flüssigen, im wesentlichen aus Eisen und Nickel bestehenden Erdkern. Die
Dänin Inge Lehmann entdeckte 1936 noch die Abgrenzung zu
einem inneren Erdkern, dessen Aggregatzustand sich gegenüber dem äußeren Kern als fest erwies.
Mit diesen Erkenntnissen war der Schalenaufbau der Erde
in großen Zügen bekannt, die vielfältige Gestalt der Erdoberfläche ließ sich jedoch nicht damit erklären. Warum zeigt die
äußerste Schale der Erde mit Flachland, Gebirgen, Inselbögen,
Ozeanbecken und Tiefseerinnen eine so heterogene und von
der Radialsymmetrie der Erdkugel abweichende Struktur?
Warum sind Erdbeben und Vulkanismus nicht gleichmäßig
über die Erde verteilt? Aus Funden fossiler Meeresmuscheln
im Hochgebirge der Alpen und aus Geröllansammlungen in
13
Der Schalenaufbau der Erde.
A: Erdkruste. Mächtigkeit 6 km unter dem Ozean (vorwiegend Basalte),
30..60 km im Kontinent (obere Kruste Granite und Gneise, untere Kruste
Basalte). Die Moho-Diskontinuität trennt die Erdkruste vom darunter liegenden Erdmantel, der sich vorwiegend aus den ultrabasischen Gesteinen
Olivin, Pyroxen und Granat zusammensetzt.
B: Lithosphäre. Tiefenbereich 0-80 km ..150 km
C: Astenosphäre. Tiefenbereich 80..150 km- 400 km
D: Übergangszone der Gesteine in Hochdruckmodifikationen. Tiefenbereich 400 km-660 km
E: Unterer Erdmantel. Tiefenbereich 660 km-2900 km
F: Äußerer Erdkern. Tiefenbereich 2900 km-5150 km. Vorwiegend Eisen,
zusätzlich Nickel, Sauerstoff und/oder Schwefel. Sehr niedere Viskosität,
„flüssig“.
G: Innerer Erdkern. Tiefenbereich 5150 km-6371 km. Eisen mit einigen
Prozent Nickel. Nach neueren Untersuchungen rotiert der feste innere
Kern gegenüber der äußeren Erde etwa einmal im Jahrhundert um seine
Achse.
(Zchg. Peter Schick, nach einer Vorlage von K. Strobach)
ihrem Vorfeld wurde schon früh auf vertikal ablaufende Hebungen und Senkungen geschlossen, doch wurden diese Beob­
achtungen mit einer durch die thermische Abkühlung im Ra­
dius schrumpfenden Erde in Verbindung gebracht. Die im
Jahre 1912 von dem deutschen Meteorologen Alfred Wegener
aufgestellte Theorie zur großräumigen Wanderung der Kontinente wurde zwar beachtet und viel diskutiert, aber nur von
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wenigen Wissenschaftlern akzeptiert. Der Argwohn war
durchaus berechtigt. Dem Erdmantel mußte eine hohe Steifig­
keit zugeordnet werden. Anderenfalls wäre die sich über viele
Millionen Jahre erstreckende, stabile vertikale Verankerung
von Hochgebirgen, wie dem Himalaya oder den Alpen, nicht
verständlich. Unter dieser Annahme mußte die horizontale
Verschiebung ganzer Kontinente ausgeschlossen werden, da
sie unvorstellbar hohe Schubkräfte gegenüber der Zähigkeit
des Erdmantels benötigt hätte.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges begann eine intensive Erforschung der Ozeane und des Meeresbodens. Der
Mittelatlantische Rücken wurde als ein sich von der Arktis
zur Antarktis hinziehendes, aus Basaltgesteinen aufgebautes
und meist unter dem Meer liegendes Gebirge erkannt. Der
pazifische und der indische Ozean zeigten ähnliche submarine
Gebirgsstrukturen. Zaghafte Versuche, ihr Entstehen mit dem
Aufdringen basaltischer Schmelzen entlang von Zerrungs­
spalten aus dem Erdmantel in die dünne ozeanische Erdkruste
in Verbindung zu bringen, wurden kontrovers diskutiert. Das
Rätsel wurde erst gelöst, als die englischen Geophysiker
Fred Vine und Drummond Matthews 1964 eine schlüssige
Interpretation zu den abwechselnd positiv und negativ
auftretenden magnetischen Anomalien in der remanenten
Magnetisierung von Gesteinen entlang dieser Schwellen fanden. Die Magnetisierungsrichtungen waren im Einklang mit
bekannten Polumkehrungen des erdmagnetischen Feldes und
bestätigten so die Annahme einer in den Rücken aufdringenden und nach den Seiten mit einer Geschwindigkeit von eini­
gen Zentimetern pro Jahr weggleitenden Basaltschmelze. Das
Konzept des sea-floor spreading (der deutsche Ausdruck
„Meeresbodenspreizung“ wird selten verwendet) war geboren, und alle späteren Untersuchungen bestätigten diesen
Mechanismus. Ständig aus dem Erdmantel aufsteigendes
Magma müßte allerdings eine Vergrößerung der Erdoberfläche mit sich bringen. In den Geowissenschaften wurde immer wieder die Möglichkeit einer expandierenden, also sich
vergrößernden, Erde diskutiert, und die Entdeckung des
15
Sea-floor spreading gab den Anhängern dieser Theorie für
kurze Zeit enormen Auftrieb. Wenig später jedoch fand man
den zum Sea-floor spreading komplementären Prozeß. Die
Seismologen Wadati und Benioff aus Japan und den USA hat­
ten schon etliche Jahre zuvor an Kontinenträndern und Insel­
bögen auftretende, eigenartige Anhäufungen von Erdbeben
entlang von tief in den Erdmantel eindringenden, schmalen
Zonen entdeckt. Jetzt lag die Vermutung nahe, diese Erdbe­
ben könnten den Weg von in die Erde absinkenden Ge­
steinsplatten markieren.
Damit war der Weg frei zur Entwicklung eines Konzepts,
welches die großen, auf der ganzen Erde zu findenden Struk­
turen in vielen wesentlichen Punkten erklärt. Man spricht
heute allgemein vom Modell der Plattentektonik. An seiner
Gestaltung waren viele Forscher beteiligt. Eine erste geschlossene und überzeugende Modelldarstellung wurde 1968 fast
gleichzeitig von dem Engländer Dan McKenzie und dem
Amerikaner Jason Morgan aufgestellt, mit deren Namen diese
Entdeckung heute verbunden wird.
Ein fundamentales Element der Plattentektonik ist ein zuvor wenig beachteter, in etwa 100 km Tiefe stattfindender
„verschmierter“ Übergang, der sich in der Temperatur, besonders aber in der Viskosität, dem Fließverhalten, des Gesteins widerspiegelt. Teilt man die Erde nach diesen Kriterien
ein, so erhält man für die obersten 660 km eine Zweiteilung:
Eine kühle, mechanisch widerstandsfähige, spröde und bruchfähige äußere Schicht, die Lithosphäre, die über einer heißen,
sich gegenüber langanhaltenden Kräften plastisch und fließfähig verhaltenden Astenosphäre liegt. Die Lithosphäre
schließt die Erdkruste und Teile des oberen Erdmantels ein.
Wird sie von kontinentaler Erdkruste bedeckt, spricht man
von kontinentaler Lithosphäre, sonst von ozeanischer Lithosphäre. Die gesamte Lithosphäre der Erde wird nun in einzelne, gegeneinander abgegrenzte Lithosphärenplatten (kurz
„Platten“ genannt) aufgeteilt. Diese Platten werden zunächst
als in sich mechanisch starr betrachtet, können aber von der
Strömung der Astenosphäre mitbewegt werden. Da die als
16
Gleitschicht wirkende Übergangszone von der Lithosphäre
zur Astenosphäre tiefer liegt als die Moho, die die Übergänge
von Kontinenten zu Ozeanen markiert, fallen die Plattengrenzen nicht immer mit kontinentalen Grenzen zusammen. Ob­
wohl in diesem Konzept das Innere der Platten als starr und
nicht deformierbar angesetzt wird, läßt man an den Platten­
rändern Deformationen zu. Diese Annahme erscheint zu­
nächst wenig sinnvoll, doch war sie der Schlüssel zum Erfolg
des Modells. Ist nämlich das großtektonische Geschehen auf
der Erde an Plattenränder gebunden, so werden die Platten­
grenzen durch alle damit verbundenen Prozesse, wie Gebirgsund Grabenbildung, Erdbeben und Vulkane markiert.
Die Bewegungen der steifen Platten gegeneinander werden
auf drei fundamentale Muster zurückgeführt:
1. Die Lithosphärenplatten bewegen sich divergent, d.h.
voneinander fort. In die aufreißende Spalte dringt heißes,
fließfähiges Material des Erdmantels ein, und es entsteht neue
Erdkruste. Es handelt sich hierbei um den als Sea-floor
spreading bezeichneten Prozeß. Beispiele sind die Mittelatlantische Schwelle, der Ostpazifische Rücken oder auch, in einem
beginnenden Stadium, das Ostafrikanische Riftsystem.
2. Die Platten bewegen sich konvergent, also aufeinander
zu. Bei der Kollision lassen sich drei Fälle unterscheiden:
ozeanisch-ozeanisch, ozeanisch-kontinental, kontinental-kon­
tinental. Der erste Fall ist mit der Bildung von Inselbögen
verbunden, Beispiele sind Indonesien oder Japan. In den süd­
amerikanischen Anden wird die ozeanische, pazifische Platte
unter eine kontinentale Platte gedrückt. Am Kontinentrand
bildet sich das langgestreckte Hochgebirge der Anden. Kolli­
dieren zwei kontinentale Platten, so tritt keine Subduktion,
sondern über die kompressiv wirkenden Kräfte in den nahezu
gleich schweren und gleich mächtigen Platten Gebirgsbildung
auf. Das Himalaya-Gebirge ist ein Beispiel für einen derarti­
gen Zusammenstoß.
3. Die Platten gleiten entlang den Plattenrändern aneinander vorbei. Ein Beispiel dafür ist die bekannte San-AndreasVerwerfung in Kalifornien.
17
Das Modell der Plattentektonik brachte eine befriedigende
Ordnung in das Verständnis der großräumigen und globalen
Strukturen auf der Erde. Man darf aber nicht vergessen, daß
bei einer Betrachtung kleinerer Maßstäbe die Verhältnisse so
komplex sein können, daß sie mit den geschilderten einfachen
Prinzipien nicht mehr zu interpretieren sind. Beispielsweise ist
die Tektonik der Alpen und des angrenzenden Mittelmeergebietes nur in groben Zügen mit den Elementen der Plattentek­
tonik erklärbar.
II. Erdbeben
1. Frühere Vorstellungen und Entwicklungen
zum „tektonischen Beben“
In den Mythen vieler Völker werden Erdbeben mit Bewegungen unterirdisch wohnender Tiere in Verbindung gebracht.
Das dumpfe, rollende Geräusch, die Stöße aus dem Boden mit
einer nachfolgenden, wellenförmigen Bewegung der Erdoberfläche, die zurückbleibenden Erdspalten, alle diese Erscheinungen ließen ein Ungeheuer in der Tiefe der Erde vermuten.
In Japan war es ein Skorpion, in Indien ein Molch, bei den
nordamerikanischen Indianern eine Schildkröte und bei den
Maori in Neuseeland das Strampeln eines ungeborenen Kindes im Leib der Mutter Erde. In der griechischen Mythologie
ist es der Meeresgott Poseidon, der als Erderschütterer oder
Erdhalter gilt, was vermutlich mit dem Glauben zusammenhing, die Erde sei eine auf dem Wasser schwimmende Scheibe.
Die von untermeerischen Erdbeben ausgelösten und an den
Küsten des Mittelmeers oft zerstörerisch wirkenden Flutwellen bestärkten die Menschen in dieser Annahme.
Bekannte griechische und römische Philosophen und
Naturforscher versuchten, auf der Grundlage von Naturbe­
obachtungen die Ursache von Erdstößen zu erklären. Einige
dieser Ansichten waren nicht unsinnig. Anaxagoras (500^-28
v. Chr.) führte Erdbeben auf Einbrüche der Erdrinde zurück,
die teils infolge von Auswaschungen, teils infolge von Aushöhlungen der Gebirge durch unterirdische Feuer entstehen
sollten. In der Theorie von Aristoteles (384-322 v. Chr.) hän­
gen Erdbeben mit in unterirdische Kohlen eingeschlossener
Luft zusammen. Durch das Bestreben der Luft, aus diesen
Höhlungen zu entweichen, wird die Erde erschüttert.
Wie auch in anderen auf diesen bedeutenden griechischen
Philosophen und Naturforscher zurückgehenden Vorstellungen folgte man in Europa bis in das ausgehende Mittelalter
der aristotelischen Lehre der Erdbebenentstehung. Allerdings
existierten auch zahlreiche Vertreter, die die Gedanken von
19
Aristoteles mit abergläubischen und phantastischen Lehrmei­
nungen fanatisch bekämpften oder zu einem göttlichen Strafgericht ergänzten. So kommt der flämische Chemiker van
Helmont der Jüngere im Jahre 1682 nach einem heftigen Erd­
beben am Niederrhein zu dem Schluß, ein Strafengel schlage
die Luft und erzeuge einen Ton, der die Erde erzittern lasse.
Doch offenbar war nicht jedermann von der mittelalterlichen
Denkweise überzeugt. Der Erdbebenchronist J. Rasch schreibt
im Jahr 1582 in München:
„Ob aber in dem erdreich darinnen, und in (Microcosmo)
menschlichen Leib, als im himmel oder in lüfften, die hitz
oder kalt miteinander streiten, dadurch ein solch greulich erschröcklich stossen, schupffen, hupffen, zittern, werffen, feilen, saussen und pfnausen anrichten wie der donner und plitz,
so komt von kelt und hitz. Oder, ob der Wind wider daz wasser oder das wasser wider den wind, oder, ein wind wider den
andern, oder, ein wasser wider das andere, unter und gegeneinander sich setzen, anstossen und jrren. Oder, ob vielleicht
ein Wassergang verfallen, verschoppet oder ob etwa in der erd
ein gewölb eingegangen sey, oder dass die Erdgeister und
Bergmännlein streiten oder dass der meerfisch Celebrant- sich
recke und strecke, die erd also unmässig rühre und bewege,
die auf jhm liege und ruhe, oder was doch ursacher sonst sey,
dadurch und wess wegen der Erdboden also geblöet, getruckt,
getrengt und gehebt wird- das ist bei allen gelehrtesten, berümbtesten Naturforschern noch unerö'rtert.“
Mit der Entdeckung der Elektrizität wurden Erdbeben viel­
fach elektrischen oder galvanischen Ursachen zugeschrieben.
Zum Schutz vor Bodenerschütterungen wurde der Bau pyramidenförmiger Gebäude vorgeschlagen, die als Ableiter der
angenommenen unterirdischen Gewitter wirken sollten.
Anfang des 19. Jahrhunderts führten Alexander von Hum­
boldt und Leopold von Buch ausgedehnte Reisen in Vulkangebiete durch. Dabei konnten sie beobachten, daß Vulkanausbrüche von zahlreichen, meist schwachen Erdbeben
begleitet waren, während Starkbeben außerhalb vulkanischer
Regionen auftraten. In Weiterführung der Vorstellung von
20
Aristoteles erlag Humboldt dem noch in den Schulbüchern
des 20. Jahrhunderts verbreiteten verhängnisvollen Irrtum,
Erdbeben entstünden durch die Kräfte unterirdisch einge­
spannter und expandierender vulkanischer Gase. Humboldt
schreibt: „Man möchte sagen, die Erde werde umso heftiger
erschüttert, je weniger Luftlöcher die Oberfläche des Bodens
hat“. Humboldt sah in Vulkanen Sicherheitsventile zur Entladung der über den Erdball verteilten vulkanischen Kräfte. Das
hohe Ansehen der Person Humboldts führte zu einer raschen
Verbreitung seiner Ideen. In dieser „Schule der Plutonisten“
wurden Erdbeben und Vulkanismus als eine Einheit betrach­
tet. Es gab zunächst nur wenige Gegenstimmen. Einer der
prominentesten Kritiker der Plutonisten war der an der Uni­
versität Frankfurt lehrende Georg Heinrich Otto Volger.
Nach umfangreichen Arbeiten zu Erdbeben in der Schweiz
veröffentlichte er 1858 eine Schrift mit dem Titel „Erörterungen, kritische Besprechungen in Bezug auf die in neuerer Zeit
mit Vorliebe aufgestellte vulkanische und plutonische Theo­
rie“. Volger leugnete zwar keineswegs die Existenz vulkanischer Beben, sah aber die Ursache von Erdbeben außerhalb
vulkanischer Gebiete im Einsturz unterirdischer, durch Auslaugung von Wasser entstandener Höhlen. Seine Ansichten
gingen als „Hohlschichtenhypothese“ in die Literatur ein.
Volger schloß sich mit dieser Meinung der „Schule der Nep­
tunisten“ an, also einer Gruppe von Geologen, für die Sedi­
mentation und chemische Ausfällungen aus Wasser eine der
Hauptursachen für Veränderungen im Antlitz der Erde darstellten. Plutonisten und Neptunisten bekämpften sich heftig
in ihren Lehrmeinungen, wobei jede Seite unnachgiebig auf
der Richtigkeit ihrer Ansichten beharrte.
Von derartigen Meinungen unberührt, arbeitete ab etwa
1865 eine österreichische Gruppe von Alpengeologen und
Erdbebenforschern unter der Führung des berühmten Wiener
Geologen Eduard Suess an einem ganz anderen Konzept zur
Erklärung der Ursache und des Ablaufs von Erdbeben. Bei
Erdstößen im Alpenraum erkannten sie einen auffälligen Zusammenhang zwischen der Streckung der Schüttergebiete von
21
Beben, d.h. der Zone größter Erschütterungen, und geolo­
gisch bekannten Verwerfungs- und Bruchlinien. Bei der Be­
stimmung der Lage aufeinanderfolgender Erdbeben in Kala­
brien (Süditalien) fand Suess eine systematische Reihung der
Herdlagen entlang tektonischer Störungen, Dislokationslinien
genannt. Erstmals wurden von dieser Gruppe Erdbeben und
ihre Auswirkungen mit dem geologischen und tektonischen
Bau des heimgesuchten Gebietes in Verbindung gebracht.
Dislokationen bei einer geologischen Verwerfung bedeuten
einen räumlichen Versatz früher zusammenhängender Erdschichten entlang einer durch diese Verschiebung neu ent­
standenen Grenzfläche.
Der an der Universität Graz lehrende Rudolf Hoernes, ein
Neffe von Eduard Suess, schrieb 1893 nach einer Untersu­
chung von Erdbeben im Vorderen Orient: „Es unterliegt sonach keinem Zweifel, dass die in Palästina und Syrien so häufigen und so verheerenden seismischen Erscheinungen als
tektonische Beben betrachtet werden müssen, welche mit der
gewaltigen Dislocation ... (des Jordangrabens) ... zusammenhängen und es ist klar, dass die Beben der Jordanländer kei­
neswegs auf Einsturzerscheinungen zurückgeführt werden
dürfen ... wir erkennen den innigen Zusammenhang zwischen
den Bewegungen im Feldgerüste und jenen Erschütterungen,
welche wir als tektonische oder Dislocations-Beben bezeich­
nen.“ Obwohl Hoernes sich bewußt war, daß Einsturz- und
vulkanische Beben gegenüber den von ihm als tektonisch be­
zeichneten Beben sowohl in Stärke wie in Anzahl eine bedeutungslose Minderheit darstellten, schlug er die bis heute erhaltene Klassifizierung vor, nach der es drei Arten von Erdbeben
gibt: Einsturzbeben, vulkanische Beben und tektonische Be­
ben. Die beiden ersten Kategorien schloß er mit ein, um sich
nicht unsinnigen Angriffen ihrer jeweiligen Anhänger auszusetzen. Vermutlich wäre diese Vorsicht aber gar nicht nötig
gewesen. Innerhalb kurzer Zeit wurde über eine Vielzahl von
Gesteinsverstellungen an Erdbebenspalten berichtet. Im NeoTal in Japan wurden während eines Erdbebens 1891 entlang
einer über mehrere Kilometer gestreckten Linie Dammwege in
22
Reisfeldern um vier Meter horizontal versetzt. Einen letzten
und eindeutigen Beweis für die telefonische Natur von Erdbeben erbrachte das große Beben von San Francisco im Jahre
1906. Durch einen glücklichen Umstand hatten vor diesem
Beben in dem später betroffenen Gebiet umfassende karto­
graphische Arbeiten stattgefunden. Aus einem Vergleich mit
anschließend vorgenommenen geodätischen Vermessungen
entwickelte Harry Fielding Reid, Professor für Geologie an
der Johns Hopkins University in Baltimore, USA, seine berühmt gewordene Theorie des „elastischen Zurückschnellens“
(engl, elastic rebound). Sie erklärt die Kinematik und Mechanik, die einem Erdbeben zugrunde liegt. Seine Vorstellungen sind auch heute noch gültig. Zweifellos, das Wort Erdbe­
ben beinhaltet nur das Auftreten einer Erderschütterung, und
diese kann viele Ursachen besitzen. Bis ins späte Mittelalter
nannte man alle Arten natürlicher Boden- und Gebäudeerschütterungen „erdbidem“, ein Begriff, aus dem das Wort
„Erdbeben“ hervorging. Der Ausdruck wurde auch für Hangrutschungen, Karsteinbrüche und selbst für starke Stürme
benutzt. Heute bezeichnet man nur die nach der Reidschen Interpretation ablaufenden Prozesse als tektonische Erdbeben
oder einfach als Erdbeben.
2. Mechanik der Erdbebenbrüche
Das Erdbebenmodell von Reid soll nun detaillierter betrachtet
werden. Stellen wir uns vor, in der Nähe von San Francisco
werden im Anschluß an ein dort aufgetretenes Erdbeben quer
über die San-Andreas-Verwerfung eine Anzahl Baumreihen
gepflanzt. Es muß nicht die San-Andreas-Verwerfung sein,
aber die Demonstration gelingt hier besonders gut. Schon
nach wenigen Jahren lassen sich mit bloßem Auge zu beiden
Seiten der Verwerfung auftretende Verstellungen erkennen.
Der trennende Riß verläuft in Nord-Süd-Richtung und ist eine
von vielen, meist vertikalen Trennfugen zwischen der westlichen, pazifischen Platte und der östlichen, nordamerikanischen Platte. Die Parallelverschiebung beider Platten beträgt
23
etwa 6 cm/Jahr. Die Erde wird wie eine elastische Feder aufgespannt und speichert mit ihrer Deformation potentielle
Energie. Entlang der Bruchlinie wird das Material maximal
auf Scherung belastet. Diese Scherspannungen müssen von der
zwischen den Blöcken herrschenden Festigkeit des Materials
aufgenommen werden. Die Festigkeit basiert vor allem auf
Adhäsion und Haftreibung der gegenüberliegenden Blöcke.
Übersteigen die Scher- oder Tangentialspannungen diese Materialfestigkeit, so tritt ein Materialbruch an der Nahtstelle
ein. Man spricht von einem Scherbruch, da er durch Scher­
spannungen erzeugt wurde. Der neue Bruch muß nicht unbedingt der alten Bruchlinie folgen. Entlang der bestehenden
Verwerfung ist jedoch das Material im Verhältnis zur Umgebung besonders stark zerrüttet und stellt eine Schwächezone
dar, so daß Neubrüche vorzugsweise den früher gebildeten
Gleitflächen folgen. Durch diesen Verstärkungseffekt bildet
sich auch erst eine tektonische Verwerfung aus. Während des
Bruchvorganges wird die Haftung zwischen den Blöcken dra­
stisch herabgesetzt, und die Blöcke können sich entlang der
Fuge nahezu frei bewegen. Wie eine aus ihrer Einspannung
befreite Stahlfeder springen die Gesteinsblöcke in eine neue
Gleichgewichtslage. Innerhalb weniger Sekunden oder Minuten holt die Natur sprunghaft einen Dislokationsbetrag nach,
der bei einem reibungsfreien Gleitvorgang gleichmäßig in
Jahrzehnten oder Jahrhunderten abgelaufen wäre. In der neuen Gleichgewichtslage verhaken sich die Blockränder wieder,
erreichen eine neue Festigkeit, und der Vorgang des Aufladens
mit Deformationsenergie kann erneut beginnen. Die vor und
nach dem Bruch im Gesteinsverband wirkenden statischen
Kräfte werden während des Bruchvorgangs in Beschleunigungskräfte, also dynamische Kräfte, umgesetzt. Mit diesen Kräften
ist nicht mehr statische Energie, sondern kinetische Energie
verbunden. Dies ist die wesentliche Aussage von Reid aus dem
Jahre 1910. Reid konnte aber keine Erklärung für die Herkunft der wirkenden Kräfte geben. Allerdings machte man
sich damals auch wenig Gedanken darüber, da mit dem Po­
stulat einer abkühlenden und schrumpfenden Erde genügend
24
Ausgangszustand:
Zwei Gesteinsblöcke
grenzen entlang
einer Verwerfung
(gestrichelte Linie
senkrecht zur Baumreihe) aneinander. Die
geradlinige Baumreihe
markiert einen ungespannt angenommenen Ausgangszustand.
Aufspannung:
Beidseitig der
Verwerfung
werden die Blöcke
durch das
Scherkräftepaar
deformiert. Entlang
der Verwerfung
treten maximale
Scherkräfte auf.
Scherbruch:
Die Scherfestigkeit
des Gesteins entlang
der Verwerfung wird
überschritten, und ein
Bruch setzt ein. Es
kommt zu einer ruck­
artigen Dislokation
entlang der
Verwerfungslinie.
Endzustand:
Durch elastisches
Zurückschnellen stellt
sich in den Blöcken
ein neuer und
entspannter Gleich­
gewichtszustand ein.
Er entspricht dem
Ausgangszustand.
Erdbeben als Folge eines ruckartigen Versatzes mechanisch gespannter
Gesteinsblöcke. (Zchg. Peter Schick)
25
Grundmuster der Blockverschiebung bei Erdbeben.
Die Lage der Scherfläche des Erdbebenherdes steht in Zusammenhang mit
der Richtung des im Herdgebiet wirkenden tektonischen Spannungsfeldes,
welches durch den Spannungstensor beschrieben wird.
a) Horizontalverschiebung. Kompression und Dehnung sind horizontal gerichtet, was zur Ausbildung einer horizontalen Dislokation an einer
vertikal stehenden Scherfläche führt. Die Beben in Mitteleuropa zeigen bevorzugt dieses Bruchmuster. b) Abschiebung. Die Dehnung ist horizontal, die Kompression vertikal gerichtet. Erdbeben dieses Typs sind mit einer Grabenbildung verbunden. Die horizontale Weitung begünstigt das Aufsteigen von Magma. c) Aufschiebung. Die Kompression ist horizontal, die Dehnung vertikal gerichtet. Erdbeben dieses Typs sind mit der Auffaltung von Gebirgen verbunden. 26
Spielraum für zu Erdbeben führende Klüfte und Risse gegeben
war. Im Licht der modernen Plattentektonik läßt sich die Ur­
sache von Erdbebenherden so zusammenfassen:
Wir haben in der Erde eine thermodynamische Maschine
vor uns, welche aus Wärmeenergie mechanische Impulse, d.h.
Erdbeben, erzeugt. Die im fließfähigen Erdmantel ablaufende
Wärmekonvektion führt in der an den Mantel angekoppelten,
kalten und vom Material her spröden Lithosphäre zu einer
Speicherung potentieller Energie in Form einer langsam anwachsenden Gesteinsdeformation. Ein im Gestein erfolgender
Scherbruch transformiert die potentielle Energie in einen Im­
puls kinetischer Energie. Ein Teil der erzeugten Bewegungsenergie führt zu jenen Erschütterungen der Erdoberfläche, die
wir als Erdbeben bezeichnen. Dieser Auf- und Entladeprozeß
findet oft in Zyklen, sog. Erdbebenzyklen, von unterschiedlichen Zeitkonstanten statt. Die typischen Akkumulationszeiten
großer Erdbeben betragen um hundert Jahre, die Entladung
liegt im Minutenbereich.
Derartige Lade-/Entladezyklen mit Energieumwandlung
sind in der Natur nicht selten. Blitze, Wirbelstürme, Hangrutschungen, Lawinen und Vulkanausbrüche basieren auf
ähnlichen Abfolgen. Der Schalter oder Trigger, der die Energiekonversion einleitet, beruht auf einer Instabilität oder
Nichtlinearität im Systemverhalten. Beim Einsatz der Blitzent­
ladung ist es die elektrische Durchschlagsfähigkeit der Atmosphäre, beim Erdbeben die Scherfestigkeit des Gesteins, beim
Vulkanausbruch können es Strömungsinstabilitäten im Magmafluß sein.
Die Auswertungen von Reid und seinen Mitarbeitern zum
großen San-Francisco-Erdbeben von 1906 können als die Ge­
burtsstunde der modernen Erforschung und Beschreibung von
Erdbebenherden angesehen werden. In dem auch heute noch
gängigen Begriff der „Reidschen Scherbruchhypothese“ klingt
aber immer noch die Skepsis nach, mit der viele Geologen
und Seismologen die Ergebnisse zunächst aufgenommen
hatten. Sind die schnell ablaufenden Dislokationen tatsächlich
die Ursache und nicht die Auswirkungen von immer noch
27
unbekannten Energiequellen in den Tiefen der Erde? Sind die
vielen kleinen Erdbeben, die ohne sichtbare Verstellungen an
der Erdoberfläche ablaufen, auf den gleichen Mechanismus
zurückzuführen? Die Diskussionen flammten erneut auf, als
der englische Seismologe Turner im Jahre 1922 Erdbebenher­
de in Tiefen von 100 km und mehr lokalisierte. In dieser Tiefe
müßte eigentlich der hydrostatische (genauer der lithostati­
sche) Druck das Gestein so stark zusammenpressen, daß für
ein schnelles gegenseitiges Verschieben von Blöcken, also für
ein Erdbeben, undenkbar große Antriebskräfte notwendig
wären. Antworten auf diese Fragen konnte man nur über die
neuen, instrumentell vorgenommenen seismologischen Beob­
achtungen der Erdbebenherde finden.
3. Die physikalisch-mathematische Darstellung
des Erdbebenherdes
Nur wenige Erdbeben, und dann auch meist nur starke, sind
mit einer bleibenden, meßbaren Verstellung der Erdoberfläche
verbunden. Es sind dies nicht mehr als zwei bis drei Beben pro
Jahr. Tiefbeben oder submarine Beben sind der direkten Beobachtung sowieso entzogen.
Eine Analyse des Erdbebenherdes kann im allgemeinen nur
über indirekte Beobachtungen erfolgen. Wie entfernte Him­
melskörper über Stärke und spektrale Zusammensetzung der
von ihnen ausgesandten Lichtwellen untersucht werden kön­
nen, so lassen sich aus den vom Erdbebenherd abgestrahlten
seismischen Wellen kinematische und dynamische Größen des
Bruchablaufs und die den Herd erzeugenden Kräfte ermitteln.
Die Registrierung der Wellen erfolgt in Form von Seismo­
grammen, die an Erdbebenstationen aufgezeichnet werden.
Die Seismogramme enthalten Informationen über den
Herdprozeß. Bei der Untersuchung der Quelle aus den seismographischen Aufzeichnungen müssen jedoch Einschrän­
kungen und Kompromisse in Kauf genommen werden. Die
Form der Seismogramme wird nicht nur vom Quellprozeß be­
stimmt, sondern auch wesentlich von dem Ausbreitungsweg
28
der Wellen zwischen Quelle und Empfänger. Bei von der Erde
aus erfolgenden astronomischen Beobachtungen kämpft man
gegen ein ähnliches Problem. Der Lichtweg durch die Atmosphäre verfälscht die Abbildung des betrachteten Objekts.
Glücklicherweise ist die Struktur der Erde heute recht gut be­
kannt und im Gegensatz zur Erdatmosphäre auch keinen zeitlichen Variationen ausgesetzt. Der Einfluß des Wellenweges
läßt sich in vielen Fällen gut korrigieren.
Die gravierenden Probleme bei der Erforschung des Erdbebenherdes kommen von anderer Seite. Die den Ablauf des
Bruchvorganges bestimmenden physikalischen Größen, wie
Energie, Dislokation, mechanische Spannung, Bruchgeschwin­
digkeit oder Gesteinsparameter, stehen untereinander in
komplexen, nichtlinearen Gesetzen folgenden Relationen.
Nichtlineares Verhalten bedeutet aber, daß unter bestimmten
Zuständen des Systems nahezu beliebig kleine Änderungen in
den Anfangs- oder Randbedingungen irgendeiner Größe den
weiteren Ablauf des Prozesses völlig verändern können. Uns
unbedeutend erscheinende Faktoren können den zeitlichen
und räumlichen Verlauf des Bruchprozesses entscheidend be­
einflussen. Deshalb gibt es auch keine zwei identischen Erdbeben. Jedes Beben stellt ein Einzelereignis dar, welches nicht
reproduzierbar ist.
Die Erforschung und Beschreibung der Erdbebenquellen
basieren vorwiegend auf Modellrechnungen. Der Erdbebenherd wird in der mathematisch-physikalischen Schreibweise
der Mechanik durch ein zunächst einfaches, plausibles Modell
simuliert. Mit Hilfe der Theorien zur Ausbreitung elastischer
Wellen und der Kenntnisse über die Struktur der Erde werden
aus den Kräften und Deformationen, die der in die Erde ein­
gepflanzte Modellherd auf die Umgebung ausübt, synthetisch
die resultierenden Bodenbewegungen, d.h. die Seismogramme, berechnet. Die das Herdmodell kennzeichnenden Zahlen
oder Faktoren werden nun bis zur maximalen Übereinstim­
mung zwischen beobachtetem und berechnetem Seismogramm variiert. Die Methode wird als Parametrisierung des
Erdbebenherdes bezeichnet. Die Parameter dienen einmal zur
29
30
phänomenologischen Klassifizierung und Unterscheidung von
Herden aus verschiedenen tektonischen Regionen und Tiefen­
bereichen, zum anderen sollen sie in Einklang mit Größen
stehen, wie sie sowohl in der Geotektonik oder Geodynamik
als auch bei Bruchexperimenten im Labor relevant sind.
4. Erdbeben im Labor
Lange Zeit bekamen die Seismologen aus den Ingenieurwissenschaften nur spärliche Unterstützung für ihre herdmechanischen Arbeiten. In der Technik wurde erst in den vergange­
nen zwei Jahrzehnten mit umfangreicheren Untersuchungen
zur Bruchdynamik begonnen. Ingenieure sind weniger am
Bruchablauf als an der Verhinderung eines Bruches interes­
siert. Bruchversuche geben aber die Möglichkeit, über Analo­
gien Erkenntnisse zur herdmechanischen Interpretation von
Seismogrammen zu erhalten.
In der Mechanik von Brüchen lassen sich grob zwei Arten
unterscheiden: Dehnungsbrüche und Scherbrüche. Bei einem
Dehnungsbruch stellt die entstandene Bruchfläche eine freie
und somit auch spannungsfreie Oberfläche dar. Fällt eine
Glasplatte auf den Boden, entstehen Dehnungsbrüche. Die in
der tieferen Erde wirkende Auflast der Gesteine verhindert
aber das Entstehen freier Oberflächen. Dehnungsbrüche bil­
den sich höchstens in unmittelbarer Nähe zur Erdoberfläche
in Form von Spalten oder Klüften. Sie stellen jedoch keine
Erdbebenherde dar.
Betrachten wir folgenden Laborversuch: Ein Pflasterstein
aus Gneis wird zwischen die Schraubstockbacken einer Presse
eingespannt. Bei kristallinem Gneis sieht man häufig entlang
frischer Schnittflächen planparallele Bänder. Es ist unschwer
zu vermuten, daß entlang dieser Bänder ein Gleiten des Gesteins leichter möglich ist als senkrecht zu ihnen. Die Schicht­
flächen werden unter einem Winkel von etwa 45 Grad zur
Schraubstockachse orientiert. Der in der Erde herrschende
Umgebungsdruck wird nachgebildet, indem das ganze System
in ein Ölbad eingebettet wird. Über eine Hydraulik kann das
31
Ölbad einen gewünschten hydrostatischen Druck auf die Pro­
be ausüben. (Die Gleichsetzung von hydrostatischem Druck
mit dem in der Erde wirkenden Bergdruck, dem lithostati­
schen Druck, ist alles andere als trivial und nur dadurch gegeben, daß bei sehr langsamen Kraftänderungen das Gestein
plastisch, d.h. ähnlich einer Flüssigkeit, reagiert). Jetzt werden
die Schraubstockbacken, in Analogie zu einem Ansteigen der
tektonischen Spannungen, langsam zugedreht. Der Block wird
in seiner Längsachse komprimiert. Einfachen Gesetzen der
Mechanik folgend, bilden sich unter den Winkelhalbierenden
(A-A1) von 45° gegenüber den Hauptspannungen Oi und 03
maximale Scher- oder Schubspannungen aus. Nach dem Ge­
setz actio gleich reactio müssen die bei der Deformation des
Materials entstehenden Gegenkräfte diesen Spannungen das
Gleichgewicht halten.
Aus Erfahrung wissen wir, daß ab einer bestimmten Größe
des von den Backen auf die Probe ausgeübten Drucks eine
schnelle Verformung des Körpers stattfindet, die wir als Bruch
bezeichnen. Da die Scherspannungen entlang A-A' den Maximalwert besitzen, wird die Scherbewegung hier eintreten.
Der französische Physiker Coulomb hat schon im Jahre 1773
ein Stabilitätskriterium für die Obergrenze von W angegeben:
W = W 0 + ȝ* V n
Dabei ist To der Widerstand des Gesteins gegen Scherung ohne
allseitigen Umgebungsdruck (V3=0), ȝ der Koeffizient der in­
neren Reibung des Gesteins und Vn die auf die Trennfläche
wirkende Normalspannung. Die Gleichung gibt nur einen
kritischen Wert für die maximale Spannung W, sie sagt nichts
darüber aus, ob und wie der Bruch sich ausbreitet. Dies hängt
speziell vom Verlauf zwischen Spannung und Dehnung im
Material ab. In dieser Beziehung wird beim Überschreiten eines Maximalwertes W der Gradient negativ, d.h., mit zuneh­
mender Deformation nimmt die Spannung ab. Kann diese
Spannung aber das statische Gleichgewicht gegenüber der von
außen wirkenden Last nicht mehr halten, so kommt es zu
einer Instabilität, und ein Bruchvorgang setzt ein. Der
32
Komponenten mechanischer Normal- und Scherspannungen an einem
Probekörper in Analogie zum Erdbebenherd:
V1: angelegte Lastspannung
V3: Nachbildung des Umgebungsdruckes
Übersteigt die Scherspannung W die Scherfestigkeit des Gesteins an der
Fläche A-A', so tritt ein Bruchvorgang mit ruckartigem Versatz auf.
Bruchausbreitung wäre keine Grenze gesetzt, würde nicht mit
der Zunahme der Deformation eine Materialverhärtung (engl,
strain hardening) einsetzen, durch die die Spannung wieder
anwächst. Die Beziehung zwischen Spannung und Deformati­
on hängt vom Materialverhalten ab und kann sich in weiten
Grenzen ändern. Inhomogenitäten im Gestein, nicht verheilte
frühere Bruchflächen, Wasser in den Poren des Gesteins,
Temperatureinflüsse, Umgebungsdruck u. a. bestimmen, ob
ein schnell ablaufender, seismisch effektiver Sprödbruch einsetzt oder ein kaum als Erdbeben zu betrachtender Kriechvor­
gang. Von der heterogenen Verteilung der Materialfestigkeit
und der Größe der im Block gespeicherten Deformationsenergie hängt es nun ab, ob der Bruch auf ein kleines Volum­
element konzentriert bleibt oder sich lawinenartig ausbreiten
kann. Mit der Bruchausbreitung sind nämlich exotherme
33
Zusammenhang zwischen mechanischer Last (Spannung) und Deformation
für unterschiedliches Gesteinsverhalten vor dem Einsatz zum Scherbruch:
1: Mechanisch spröd reagierendes Gestein, typisch für Granite im oberen
Teil der Erdkruste.
2: Bei höherer Last reagiert das Gestein duktil, vor Einsatz des Bruches
tritt ein Materialfließen auf. Typisch für Gesteine unter höheren Umge­
bungstemperaturen, z.B. für Gneis in der unteren Erdkruste.
3: Im Bruchablauf wechseln Haft- und Gleitreibung ab. In der Phase der
niedrigen Gleitreibung tritt eine Verfestigung des Materials mit erneuter
Haftreibung entlang der Bruchflächen ein (sog. stick-slip oder Stotter­
bruch). Das Verhalten ist besonders bei sprödem Gestein in einem heterogenen Gesteinsverband zu beobachten. Die Scherdislokationen ändern
sich zeitlich sehr rasch, was zu einer hohen und für Bauwerke gefährli­
chen Serie von Beschleunigungsimpulsen des Bodens führen kann.
Prozesse verbunden, die eine weitere Bruchausdehnung hem­
men: Einmal wird kinetische Energie in Form seismischer
Wellen abgestrahlt, zum anderen wird Energie zur Zertrüm­
merung und Erwärmung der Gesteine entlang der sich bildenden Scherzone verwendet. Einziger Energielieferant für die
Bruchausbreitung ist aber die im Körper gespeicherte Deformationsenergie. Ab einer unteren Schwelle reicht sie nicht mehr
aus, um die Bruchspitze weiter voran zu treiben. Ein neuer
Gleichgewichtszustand zwischen mechanischen Kräften und
Materialfestigkeit stellt sich ein. Der Bruchablauf ist beendet.
34
5. Der Erdbebenherd als Punktquelle
Die vereinfachte Darstellung des Erdbebenherds als punkt­
förmiger Quelle kinetischer Energie ist wenig realistisch, weil
sie eine unendlich hohe Energiedichte im Fokus bedingen
würde. Für einige fundamentale Parameter in der Quantifizierung des Herdes reicht diese Grenzbetrachtung aber aus. Es
handelt sich um den Ort, die Herdzeit, die abgegebene kinetische Energie und die Gleichgewichtskräfte zwischen Herd und
Umgebung. Die Bestimmung und Bedeutung dieser Kenndaten
werden im folgenden Absatz beschrieben.
Ort, Herdtiefe, Herdzeit
Die Angabe des Ortes, an welchem das Beben auftritt, ist
nicht so trivial, wie man zunächst vielleicht annimmt. Jeder
Bruchvorgang muß an einer mikroskopisch kleinen Stelle,
praktisch im molekularen Bereich, beginnen. Würde der
Bruch gleichzeitig an zwei oder mehreren Punkten einsetzen,
so wäre mit dem Vorgang eine unendlich hohe Informationsgeschwindigkeit verbunden. Dies ist aber nicht möglich, da
mit den kleinen Energien bei Bruchbeginn die Schallge­
schwindigkeit ein Maximum darstellt. Die geographischen
Koordinaten, an denen der Herd beginnt, werden als Epizentrum bezeichnet; wird die Herdtiefe eingeschlossen, so spricht
man vom Fokus oder vom Hypozentrum. Die Ausdrücke
wurden von Robert Mallet, einem irischen Maschineningenieur, anläßlich einer Untersuchung des im Jahre 1857 stattgefundenen großen napolitanischen Erdbebens eingeführt.
Zum Nachweis und zur Ortsbestimmung des Erdbebenherdes
wird aber eine gewisse Mindestmenge an abgestrahlter Energie benötigt, und die kann nicht von einem punktförmigen
Herd stammen. Erst nachdem der Bruchvorgang ein gewisses
Volumen erreicht hat, wird soviel Wellenenergie abgestrahlt,
daß an einer Erdbebenstation eine erste, vom Erdbebenherd
stammende Wellengruppe beobachtet werden kann. Sie wurde
anfänglich als primäre Welle bezeichnet. Es handelt sich um
35
Kompressionswellen, die die kürzeste Laufzeit vom Herd zur
Station aufweisen. Aus dem Begriff primär entstand in der
Seismologie der Name P-Wellen für Kompressionswellen. Zusätzlich können für die Auswertung die Ankunftszeiten später
ankommender Wellengruppen herangezogen werden, wobei
den Scherwellen (in der Seismologie als S-Weilen bezeichnet,
von „sekundär eintreffend“) eine besondere Bedeutung zukommt. Aus den an verschiedenen Erdbebenstationen abgele­
senen Ankunftszeiten dieser Wellengruppen läßt sich der Erd­
bebenherd einfach lokalisieren. Voraussetzung ist nur die
Kenntnis der Geschwindigkeiten, mit der sich die Wellen in
der Erde ausbreiten. Die Ausbreitungsgeschwindigkeiten sind
allerdings nicht konstant, sondern hängen vor allem von der
Tiefe ab, mit der die Wellen in die Erde eindringen. Aus einer
über viele Jahrzehnte vorgenommenen, wechselseitigen Verbesserung in der Bestimmung der Position der Herde und der
Laufzeiten zwischen Herd und Station sind jedoch präzise
Modelle zur Verteilung der Ausbreitungsgeschwindigkeiten in
der Erde entstanden. Mit dieser Kenntnis wird die Herdloka­
lisierung auf eine Navigationsaufgabe reduziert. Vier unbe­
kannte Größen müssen bestimmt werden: Geographische
Länge und Breite, Herdtiefe und Herdzeit. Zur Lösung des
Gleichungssystems werden die Ankunftszeiten an mindestens
vier verschiedenen Erdbebenstationen benötigt. Stärkere Erd­
beben werden an hunderten von Erdbebenstationen registriert. Das Gleichungssystem wird damit überbestimmt und
läßt eine Minimierung der Fehler in den Lösungen zu. Es ist
heute keine Seltenheit, daß sich der Fokus eines Erdbebens
und die Herdzeit auf Bruchteile eines Kilometers, bzw. hun­
dertstel Sekunden angeben lassen.
Intensität und Magnitude
Die Auswirkungen der durch Erdbeben hervorgerufenen Er­
schütterungen auf Menschen, Bauwerke und Landschaft wer­
den in Makroseismischen Skalen beschrieben. Die neueren
Skalen für die Erschütterungsstärke wurden seit ihrer Einfüh­
36
rung durch den italienischen Seismologen Giuseppe Mercalli
im Jahre 1902 mehrfach modifiziert und den Veränderungen
in der Bauweise angepaßt. Die Angaben erfolgen heute meist
in einer von Giuseppe Mercalli und dem Deutschen August
Sieberg vorgeschlagenen Einteilung oder in der MM-Skala
(Modified Mercalli Scale). Einige Werte daraus lauten:
Grad II: Nur vereinzelt von ruhenden Personen verspürt
Grad IV: Von vielen wahrgenommen. Geschirr und Fenster
klirren
Grad VI: Leichte Schäden an Gebäuden. Feine Risse im
Verputz
Grad VIII: Spalten im Mauerwerk. Giebel und Dachgesimse
stürzen ein
Grad X: Einstürze von vielen Bauten. Große Spalten im
Erdboden
Grad XII: Starke Veränderungen an der Oberfläche
Nach stärkeren Erdbeben werden die Auswirkungen in
Fragebogenaktionen ermittelt, um Städten und Gemeinden
durchschnittliche Intensitätsgrade zuordnen zu können. Die
graphische Darstellung erfolgt in Isoseistenkarten und Isoseistenlinien, wobei früher die maximale Stärke allgemein als
Bebenstärke angegeben wurde. Trotz einer manchmal notge­
drungen subjektiven Einschätzung der Erschütterungsgrade
bilden diese Karten, vor allem wenn historische Beben mit
einbezogen werden, eine wesentliche Grundlage bei der Planung erdbebenresistenter Gebäude.
Die phänomenologische Intensitätsskala reicht dem quantitativ arbeitenden Seismologen nicht aus. Auch treten viele
Erdbeben in Gebieten auf, die dünn oder gar nicht besiedelt
sind. Der amerikanische Seismologe Charles Richter schlug
deshalb 1935 ein Verfahren vor, mit welchem aus den Ampli­
tuden der mit Hilfe von Seismogrammaufzeichnungen ermit­
telten Bodenbewegungen die im Erdbebenherd freigesetzte
seismische Energie berechnet werden kann. Da sich die Bodenamplituden zwischen schwachen und starken Beben um
37
viele Zehnerpotenzen unterscheiden, führte Richter in Analogie zu der in der Astronomie zur Klassifizierung der Helligkeit
eines Sternes verwendeten Magnitude eine Erdbebenmagnitu­
de ein, welche aus dem Logarithmus der maximalen Bodenamplitude in einer vorgegebenen Herdentfernung berechnet
wird. Damit wurde eine objektiv erfolgende Quantifizierung
der Erdbebenstärke erreicht. Der Wert wird als RichterMagnitude bezeichnet. In empirisch ermittelten Formeln wird
die Richter-Magnitude mit anderen Erdbebengrößen verknüpft, wie z.B. der Intensität und der Herdtiefe. Ein häufig
gebrauchter Zusammenhang stellt die Beziehung zwischen
Richter-Magnitude (M) und vom Herd freigesetzter seismischer (kinetischer) Energie dar:
lg E= 1.5 * M + 4.8
wobei E in Joule eingesetzt wird und lg den Logarithmus zur
Basis 10 bezeichnet.
Die Magnitudenformel von Richter ist primär gültig für
Beben in der oberen Erdkruste unter Einbeziehung lokaler
Erdbebenstationen. Für die Magnitudenbestimmungen von
Tiefbeben oder auch für weit entfernte Beben wurden später
von der Richterschen Vorschrift etwas abweichende Rechenverfahren entwickelt.
Äquivalente Herdkräfte
Im Jahre 1923 veröffentlichte der japanische Seismologe Hiro
Nakano einen fundamentalen Beitrag zur Seismotektonik. Unter Seismotektonik versteht man Verfahren, mit denen Beziehungen zwischen den Kräften und Verschiebungen im Erdbebenherd und großräumiger Tektonik hergestellt werden
können. Bei der Auswertung von Seismogrammen fiel schon
früh auf, daß die erste vom Herd herrührende Bodenbewegung sowohl weg- als auch auf den Herd zugerichtet sein
kann. Für einige Seismologen war das ein Beweis gegen die
Allgemeingültigkeit des Herdmodells von Reid. Es erschien
plausibel, eine vom Herd weggerichtete erste Bodenbewegung
38
(eine Kompression) einer unterirdischen Explosion und eine
zum Herd gerichtete Bewegung (eine Dilatation) einem
Kaverneneinsturz zuzuordnen. Nakano berechnete die durch
verschiedene Kräftekombinationen hervorgerufenen Abstrahl­
diagramme seismischer Wellen und fand durch Vergleich
heraus, daß sich bei einem äquivalenten Ersatz des Erdbebenherdes durch ein antiparalleles, entlang einer gedachten Fläche wirkendes Kräftepaar eine einfache, quadrantenförmige
Verteilung zwischen Kompression und Dilatation ergibt. Derartige Polaritätswechsel waren zwar beobachtet worden,
konnten aber nicht gedeutet werden und wurden als Meßfehler einer in Wirklichkeit aus allseitiger Kompression oder Dilatation bestehenden Abstrahlung interpretiert. Das Kräftepaar oder Kräftedipol entspricht in der Mechanik aber den
für den Erdbebenherd benötigten Scherkräften. Mit den Nakanoschen Formeln war es nun möglich, rückwärts aus einer
einfachen Seismogrammanalyse Angaben über die Lage der
Erdbebenbruchflächen im Raum und der entlang dieser Flächen erfolgenden Blockverschiebungen zu machen. Allerdings
kann mit dem einfachen Verfahren nicht zwischen der tatsächlichen Herdfläche und einer dazu senkrecht stehenden
Fläche unterschieden werden. Dies ist erst unter Einbeziehung
der Herdausdehnung möglich. Die Orientierung des erdbebenerzeugenden tektonischen Spannungsfeldes kann jedoch
eindeutig angegeben werden. Damit wurde das meist als
„Herdflächenlösung“ bezeichnete Verfahren zu einer der
wichtigsten Stützen der Geodynamik.
6. Der räumlich ausgedehnte Erdbebenherd
Herdlänge und Herdfläche
Landkarten über die Verteilung von Erdbeben stellen den
Herd meist punktförmig dar. Wie schon erwähnt, ist diese
Vereinfachung oft zweckmäßig, aber dennoch fiktiv. Die
maximal im Gestein speicherbare Energiedichte, also die Deformationsenergie pro Volumeneinheit, wird durch die Festig39
keit des Materials begrenzt. Der Erdbebenherd bezieht seine
kinetische Energie aus dem Herdvolumen, der Herd mit der
stärkeren Magnitude nimmt ein größeres Volumen ein.
Die Definition des Herdvolumens ist nun nicht eindeutig
und hängt von den Meßmethoden ab, mit denen es bestimmt
wird. Erfolgt die Bestimmung aus einer Seismogrammanalyse,
so setzt sich das Herdvolumen aus den Bereichen zusammen,
aus denen während des Bruchprozesses kinetische Energie
nach außen abgegeben wird und zu Erschütterungen an der
Erdoberfläche führt. Die Bedeutung des Herdes für die Tektonik hängt aber weniger von den verursachten Bodenerschüt­
terungen als von den bleibenden Bodenverstellungen ab.
Manchmal treten Erdbeben auf, denen über Stunden hinweg
„aseismische“, das sind langsame und nicht durch Seismometer erfaßbare, Kriechbewegungen der Herddislokation
nachfolgen. Ihre Auswirkungen an der Erdoberfläche können
aus geodätischen Höhenmessungen, Neigungsmessungen oder
neuerdings auch von Satelliten aus durchgeführten Radarmessungen ermittelt werden.
Die Herdvolumina sind meist auf schmale, bandartige Zo­
nen begrenzt. So konnten bei dem Erdbeben von San Francis­
co 1906 Dislokationen von bis zu fünf Metern entlang der
San-Andreas-Verwerfung auf viele hundert Kilometer Länge
verfolgt werden, während sie quer dazu in schon wenigen
Kilometern Abstand nicht mehr nachweisbar waren. Die
Konzentration der Bewegung auf schmale Zonen resultiert
aus einem selbstverstärkenden Effekt. Das bei einem Erdbe­
ben zertrümmerte und zerklüftete Gestein weist gegenüber
seiner Umgebung eine geringere Festigkeit auf. Bei zukünftigen Erdbeben wird deshalb bevorzugt das schon früher beanspruchte Gebiet in die neue Bruchzone mit einbezogen, wodurch sich im Laufe der Zeit nicht nur eine Einengung der
Bruchzone, sondern eine regelrechte Gleitschiene herausbildet. Diese Gleitschienen oder Gleitflächen können sich über
Hunderte von Kilometern erstrecken und sind in der Geologie
seit langem als Verwerfungen bekannt. In der mathematischen
Beschreibung des Herdvorganges kann das längsgestreckte
40
dreidimensionale Herdvolumen oft durch die einfachere An­
gabe einer zweidimensionalen Herdfläche ersetzt werden.
Manchmal wird auch nur eine eindimensionale Herdausdehnung, die Herdlinie, angegeben.
Empirisch gewonnene Zusammenhänge zwischen der Mag­
nitude (M) eines Herdes und seiner flächen- (A) bzw. linienförmig (L) angenommenen Herdgröße lauten:
lg A = 1.02 * M + 6.0 (A in cm²)
lg L = 0.5 * M + 3.2 (L in cm)
lg ist der Logarithmus zur Basis 10.
Die Gleichungen gelten für Beben in der Erdkruste ab etwa
Magnitude 4. Sie können allerdings nur in einer ersten Nähe­
rung verwendet werden.
Die Trennbereiche zwischen zwei in geologischen Zeiträumen
aneinander vorbeigleitenden Blöcken sind an Felswänden im
Gebirge oder in Steinbrüchen manchmal gut aufgeschlossen.
Schichten mit starker Gesteinsbeanspruchung und Mächtig­
keiten im Bereich von Zentimeter bis Meter findet man einge­
bettet in wenig gestörtem Fels. Manchmal handelt es sich nur
um in das Gestein eingeritzte Striemen, Harnische genannt.
Über lange Zeiträume anhaltende Deformationen können
aber bis zur Pulverisierung („Mylonithisierung“) des Gesteins
führen.
Das Anwachsen eines Erdbebenherdes von molekularer
Größe zu einer Ausdehnung bis 1000 km Länge ist ein außer­
ordentlich komplexer dynamischer Prozeß. Wie schon erwähnt, ist der Ausgangspunkt auch des stärksten Erdbebens
in einem mikroskopisch kleinen Bereich zu suchen. Wann
wird nun aus einem Mikroereignis ein Makrobeben? Mit ge­
eigneten Mikrofonen läßt sich in jeder in Fels eingehauenen
Höhle ein ständiges Knistern des Berges beobachten. Diese
vor allem im Ultraschallbereich auftretenden, als akustische
Emissionen bezeichneten Ereignisse entsprechen in ihrem
Mechanismus Erdbeben mit Herdausdehnungen von Bruchtei­
41
len von Millimetern. Eine notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung zum lawinenartigen Anwachsen der Mikro­
brüche ist ein labiles Gleichgewicht zwischen den im Gestein
von außen eingeprägten Kräften und seiner Widerstandsfä­
higkeit, diese Kräfte durch elastische Deformationen aufzu­
nehmen. Ein negativer Wert in der Differenz von actio und
reactio bedeutet Stabilität, ein positiver Wert Instabilität, also
Bruch. Aufgrund von Heterogenitäten in der geologischen
und mechanischen Struktur der Erde sind die das Gleichgewicht bestimmenden Differenzen örtlich unterschiedlich.
Poren und Lunker können die Festigkeit des Gesteins im
Submillimeterbereich um Zehnerpotenzen herabsetzen. Die
Bedingung für Instabilität ist hier leicht zu erfüllen, doch
bleibt der einsetzende Bruch auf ein Mikrovolumen beschränkt. Das Resultat ist eine akustische Emission, kein Erdbeben. Ein Bruch kann sich über eine größere Strecke nur
dann ausbreiten, wenn Stabilität und Instabilität im potentiellen Herdgebiet gewissen Verteilungsfunktionen gehorchen.
Dazu reichen Angaben von Mittelwert und Varianz nicht aus.
Es müssen genügend viele zusammenhängende oder benach­
barte Instabilitätszonen vorhanden sein, um dem Bruch den
Schwung zur Überwindung von Stabilitätszonen zu verleihen.
Die Ausbreitung eines Bruches wird nun zusätzlich dadurch
bestimmt, daß mit seiner Kinetik die Festigkeit des Materials
entlang der sich bildenden Bruchfläche verändert wird. Der
Widerstand des Gesteins gegenüber Scherkräften beruht, wie
aus Laborversuchen bekannt ist, vorwiegend auf der Haftrei­
bung angrenzender Gesteinspartikel. In der Makroskopie des
sich vorbereitenden Erdbebenherdes sind es benachbarte,
durch den Erddruck zusammengepreßte Gesteinsblöcke, die
über die Haftreibung die Gegenkraft bilden. Beim Einsetzen
des Bruches, also beim Beginn der Scherdislokation, geht nun
die Haftreibung in die niedrigere Gleitreibung über, was einer
Reduzierung der Materialfestigkeit gleichkommt und eine Be­
schleunigung der Bruchausbreitung bewirkt. Größere Bruch­
ausdehnung bedeutet einen größeren Blockversatz (Dislokation) entlang der Bruchfläche, was umgekehrt zu einer Mate­
42
rialstauchung und Materialverhärtung, also zu einer Erhöhung der Materialfestigkeit führt. In diesem Wechselspiel
können sich „Stotterbrüche“ (engl, stick-slip) ausbilden, in
denen der gesamte Bruchvorgang sich aus einer Serie von Einzelbrüchen zusammensetzt. Der Quietschton beim Auseinanderziehen zweier aufeinanderliegender Platten oder beim
Schreiben mit Kreide auf eine Wandtafel beruht auf einer
ähnlichen periodischen Abfolge von Unterbrüchen.
Die Abhängigkeit der Bruchausbreitung von vielen Einzel­
faktoren führt im statistischen Mittel erstaunlicherweise zu
einem einfachen Zusammenhang zwischen der Häufigkeit des
Auftretens und der Bruchgröße, d.h. damit auch der Magni­
tude des Bebens. Er wurde zuerst von den amerikanischen
Seismologen Beno Gutenberg und Charles Richter formuliert.
Die nach ihnen benannte Beziehung lautet:
lg N = a – b * M
wobei N die Anzahl der Beben mit einer Magnitude >M be­
zeichnet und a und b innerhalb eines vorgegebenen Gebietes
und Zeitraums als konstant angenommen werden. lg ist der
Logarithmus zur Basis 10. Die Anzahl der Beben nimmt log­
arithmisch mit dem Anwachsen der Magnitude ab. Aus einer
weltweiten Bebenverteilung erhält man a = 7-8 und b = 0.9.
Auf jährlich ein Beben mit Magnitude um 8 kommen etwa
100 mit Magnituden größer 6 und über 50000 mit Magnituden größer 3.
Der Wert von b steht in einem Zusammenhang mit der He­
terogenität der Gesteinsparameter, in denen das Erdbeben
stattfindet. Mit zunehmender Zerklüftung nimmt der b-Wert
zu. Er wird deshalb auch zur seismotektonischen Kennzeichnung eines Gebietes benützt. Ebenfalls wird versucht, in einer
Erdbebenregion auftretende zeitliche Änderungen von b mit
prä- oder postseismischen Aktivitätsphasen in Verbindung zu
bringen.
43
Dislokation, Dislokationsgeschwindigkeit
und Bruchgeschwindigkeit
Das primäre Kennzeichen eines Erdbebenherdes ist eine sich
zeitlich schnell bildende antiparallele Versetzung, eine Scherdislokation, entlang einer bei diesem Prozeß entstehenden
Bruchfläche. Nur bei starken Beben, die selten unter Magni­
tude 7 liegen, pausen sich diese Verstellungen meßbar an die
Oberfläche durch. Die größten bekannt gewordenen Dislokationen traten bei dem großen Assam-Beben in Nordindien im
Jahre 1897 mit über 10 m auf. An jedem Punkt des Herd­
volumens wird sich eine Dislokation vom Wert Null bis zu
einem Maximalwert D als Funktion der Zeit ausbilden. Erfahrungen zeigen, daß D in einen Bezug zur ausgebildeten
Herdlänge L gebracht werden kann. Es gilt die Faustformel
D = 10-5 * L. Ein Bruch mit 10 km Ausdehnung besitzt eine
maximale Dislokation von etwa 10 cm. Ähnlich einem ins
Rutschen geratenen Steinhaufen werden nun von einem Punkt
ausgehend (dem Hypozentrum) neue Stellen zur Dislokation
angeregt. Die Geschwindigkeit, mit der sich diese Bruchfront
ausbreitet, wird Bruchgeschwindigkeit genannt. Zusammen
mit der zeitlichen Ableitung der Dislokation, der Dislokations­
geschwindigkeit, stellen sie die wichtigsten kinematischen
Größen in der mathematisch-physikalischen Beschreibung des
Erdbebenherdes dar, da sie unmittelbar die Form der aufgezeichneten Seismogramme bestimmen. Die Aufgabe des Seismo­
logen ist es nun, rückwärts aus Seismogrammaufzeichnungen
und mit Hilfe von Modellrechnungen neben Hypozentrum
und Magnitude die kinematischen Herdparameter nach Betrag
und Richtung zu berechnen: Herdausdehnung, Dislokation,
Dislokations- und Bruchgeschwindigkeit. Die Dislokationsgeschwindigkeiten liegen im Bereich von unter 1 m/s, die Bruch­
geschwindigkeiten bei einigen km/s. Aus der Interpretation
dieser Größen im Vergleich zu Kenntnissen aus der Bruchmechanik spröder und duktiler Gesteine lassen sich Aussagen
über dynamisch ablaufende Bewegungen in der Erde machen,
die einer direkten Beobachtung nicht zugänglich sind.
44
Eine weitere, zur Charakterisierung des Erdbebenherdes
wichtige Größe ist das sogenannte seismische Moment, Mo.
Es hat den Vorteil, in einem Inversionsverfahren und ohne
den Umweg über die zeitaufwendige Seismogrammanpassung
an Modellrechnungen berechnet werden zu können. Das
seismische Moment entspricht dem Produkt
M0 = ȝ* A * D
wobei ȝ der Schermodul des Mediums, A die Herdfläche und
D die Dislokation bedeutet. In das seismische Moment geht
nur der Endzustand des Erdbebens ein, gleichgültig wie
schnell das Beben abgelaufen ist. Vor allem bei großen Beben
wird dem Herdmoment eine aussagekräftigere Bedeutung zugeschrieben als der Magnitude.
7. Erdbeben, die es nicht geben dürfte
Tiefbeben
In den Abendstunden des 8. Juni 1994 erlebten die Bewohner
der oberen Stockwerke in den Hochhäusern der kanadischen
Stadt Toronto eine unangenehme, langanhaltende Schaukelbewegung. Bald war klar, es konnte sich nur um ein Erdbeben
handeln. Dies war verwunderlich, denn der Osten Kanadas
liegt weit entfernt von einer Plattengrenze und zeigt nur gele­
gentlich eine schwache Seismizität. Die Aufklärung verblüffte
selbst altgediente Berufsseismologen. Die Panik der Hochhausbewohner war durch ein über 6 000 km von Toronto ent­
ferntes Beben verursacht worden. In Bolivien hatte sich mit
einer Magnitude von 8.2 in 620 km Tiefe das stärkste Erdbeben ereignet, das jemals in diesen Tiefenbereichen beobachtet
wurde.
Als der am Oxforder Zentrum zur Auswertung und Katalogisierung von Erdbeben tätige Seismologe H. H. Turner bei
seinen Bestimmungen 1922 Herdtiefen von einigen hundert
Kilometern erhielt, war er zunächst selber skeptisch und
nahm systematische Berechnungsfehler an. Sein Mißtrauen
45
war durchaus berechtigt. Es wurde geteilt von einem der führenden Erdwissenschaftler dieser Zeit, dem im englischen
Cambridge lehrenden Harold Jeffreys. Tatsächlich sprechen
wesentliche theoretische und experimentelle Überlegungen
gegen das Auftreten von Scherinstabilitäten in dem heißen
und duktilen Gestein des Erdmantels. Der in größeren Tiefen
herrschende Umgebungsdruck bedingt zwischen den Ge­
steinskörnern einen so hohen Reibungskoeffizienten, daß undenkbar hohe Scherkräfte nötig wären, um eine Dislokation
entsprechend dem Mechanismus bei Flachbeben zu erzeugen.
Die Plastizität und Fließfähigkeit des Mantelgesteins wirkt
aber ganz allgemein der Ausbildung von Scherkräften entgegen. Vor allem durch Untersuchungen des Japaners Wadati
ließen sich aber nach dem Jahr 1930 Hypozentren auch unterhalb der „kalten und spröd reagierenden“ Erdkruste nicht
mehr wegdiskutieren. Einige Wissenschaftler versuchten einen
Ausweg, indem sie vom Scherbruch abweichende Herdme­
chanismen vorschlugen. Als Alternative diskutiert man bis
heute an schnelle Volumenänderungen gekoppelte Phasen­
übergänge des Materials, d.h. Instabilitäten in der Kristallstruktur der Tiefengesteine. Allerdings steht kein Seismo­
gramm eines noch so tiefen Bebens im Widerspruch zu einer
Scherdislokation.
Der Japaner Wadati erkannte schon 1934 den typischen
Verlauf in der Anordnung der Hypozentren von Erdbeben
zwischen 50 km und mehreren hundert Kilometern Tiefe, wie
er heute im Konzept der Plattentektonik eine Subduktions­
zone markiert. Subduktionszonen sind abtauchende Litho­
sphärenplatten, in denen kaltes und wasserreiches Gestein im
oberen Teil der Platte durch die Schwerkraft in die Tiefe
gezogen und im unteren Teil gegen das festere Gestein des
unteren Erdmantels gepreßt wird. Die schlechte Wärmeleitfähigkeit der subduzierenden Platte verhindert ein schnelles
Aufheizen des Platteninneren, so daß Scherspannungen nicht
unmittelbar durch plastisches Fließen abgebaut werden. Der
lithostatische Kompressionsdruck hängt allerdings nur von
der Tiefe ab, womit auch in der Subduktionszone das Argu46
merit einer den Scherspannungen entgegenwirkenden Gesteinsreibung oder Gesteinsfestigkeit nicht gegenstandslos
wird. Verschiedene Theorien versuchen diese Schwierigkeiten
zu umgehen. Eine Rolle beim Aufheizen des wasserreichen
Lithosphärengesteins könnte Dehydration spielen. Mit der
Dehydration wird der Wasserdruck in den Gesteinsporen ver­
größert und damit der effektiv wirkende Umgebungsdruck
vermindert, was wiederum zu einer Reduzierung der Reibung
entlang einer potentiellen Scherfläche führt. Zusätzlich könnte
dieses Wasser eine Schmierwirkung ausüben.
In Europa treten Tiefbeben in Südspanien, im Tyrrheni­
schen Meer und im Karpatenbogen auf. Es ist schwer, diese
Beben mit einer Subduktionszone in Verbindung zu bringen.
Viele Fragen zum Mechanismus von Tiefbeben sind bis
heute ungeklärt. Seismologen auf der ganzen Welt sehen deshalb der Auswertung jenes ungewöhnlichen Bebens in Bolivi­
en mit großer Spannung entgegen.
Intraplattenbeben
Etwa 99 Prozent der Erdbebenenergie wird an Plattenrändern
freigesetzt, davon über 90 Prozent an konvergierenden Plattengrenzen. Diese Beobachtung ist eine fundamentale Stütze der
Plattentektonik, welche wesentliche Deformationen nur an
den Plattenrändern, nicht aber in ihrem Inneren voraussetzt.
Wie jedes Erdmodell stellt auch die Plattentektonik nur
eine angenäherte Beschreibung der Wirklichkeit dar. Die in
Mitteleuropa und nördlich der Alpen stattfindenden Beben
sind genügend weit von der Grenze zur afrikanischen Platte
entfernt und werden in die Klasse der sogenannten Intraplat­
tenbeben eingestuft. Ihre Magnituden liegen jedoch deutlich
unter einem Maximalwert von etwa M = 6. Sie können als
die Auswirkungen lokaler Spannungskonzentrationen oder
Schwächezonen, hervorgerufen durch geologische Heterogenitäten in der oberen Erdkruste, verstanden werden. Ihre Existenz beeinflußt das globale Weltbild der Plattentektonik nur
wenig.
47
Obwohl selten, können aber auch im Inneren von Platten
außerordentlich starke Beben mit verheerenden Auswirkun­
gen eintreten. Der einen Zeitraum von 3 000 Jahren erfassende Erdbebenkatalog Chinas enthält Starkbeben, die weit mehr
als tausend Kilometer von der Kollisionszone des Himalayas
wie auch der pazifischen Subduktionszone entfernt liegen.
Das auf der afrikanischen Platte gelegene Libyen zeigte über
viele Jahre hinweg eine unbedeutend geringe Seismizität.
Dennoch traten im Jahr 1935 innerhalb weniger Wochen vier
Beben mit Magnituden um 7 und darüber auf. Die bedeutend­
sten Intraplattenbeben wurden im letzten Jahrhundert im
Mittleren Westen der Vereinigten Staaten beobachtet. In die
Literatur gingen sie als die „Großen Erdbeben von New
Madrid“ ein. Zwischen 1811 und 1812 traten im Gebiet des
Mississippi, an den Grenzen zu Kentucky und Missouri, drei
Beben mit Magnituden von jeweils über M = 8 auf. Sie entsprechen damit den stärksten in Kalifornien beobachteten Be­
ben. Es ist weitgehend unklar, wie es zu einer so großräumi­
gen Verspannung in einem als tektonisch stabil angesehenen
Gebiet kommen konnte. Manchmal wird spekuliert, die Ursa­
che dieser Beben hänge mit den riesigen Ablagerungen von
Flußsedimenten des Mississippi und der daraus resultierenden
Belastung der Erdkruste zusammen. Ebenso wird über mög­
liche, von den pazifischen und atlantischen Plattenrändern
herrührende Spannungsumlagerungen diskutiert. Intraplattenbeben können vor allem deshalb so gefährlich werden, weil
sie meist eine wenig auf Erdbeben vorbereitete Bevölkerung
treffen.
8. Erdbeben und Tektonik
Seismotektonik Mitteleuropas
„Afrika drückt gegen Europa.“ Ältere Leser werden diesen
Satz im Geographieunterricht lange vor Einführung der plattentektonischen Modellvorstellungen gehört haben. Ist diese
Annahme heute noch richtig? In situ erfolgende Messungen
48
des mechanischen Spannungszustandes in der Lithosphäre beschränken sich naturgemäß auf den Tiefenbereich, in welchem
Bohrungen zur Verfügung stehen. Nur wenige Gesteinsbohrungen in Europa erreichen Tiefen über 5 km. Die direkte Bestimmung der räumlichen Verteilung von Kompression und
Dehnung (beide Größen werden als Abweichung von einem
allseitig wirkenden, „lithostatischen“ Gebirgsdruck bestimmt)
mit Hilfe von in Bohrlöchern eingebrachten Spannungsmeßdosen oder durch Messungen der Deformationsänderungen
beim Herauslösen von Gestein ist meßtechnisch aufwendig
und wird vor allem aus Kostengründen selten in Tiefen über
100 m durchgeführt. In größeren Tiefen können die Auswirkungen des Gebirgsdrucks auf das Gestein meist nur noch
qualitativ beobachtet werden. Aus der Verteilung der Häufigkeit von Klüften, aus dem Ausbrechen des Gesteins beim Boh­
ren und aus der Rißbildung beim Einpressen von Wasser in
Gesteinsformationen können die Richtungen der größten und
kleinsten Hauptspannungen abgeschätzt werden. Für die nicht
durch Bohrlöcher erschlossenen Tiefen bleiben nur die indi­
rekten Aussagen aus herdmechanischen Analysen von Erdbe­
ben übrig. Lokale Heterogenitäten oder die Störung des über­
regionalen Spannungsfeldes durch die Bohrung selber können
zu schwer abschätzbaren Fehlern beim Auswerten der Mes­
sungen führen. Auch bei der Auswertung der Herdflächen­
lösungen von Erdbeben sind systematisch auftretende Fehler
zu befürchten, da nur bei grober Vereinfachung der Realität
der Winkel zwischen Hauptspannung und Scherfläche 45°
beträgt.
Es ist deshalb fast überraschend, daß trotz dieser Unzu­
länglichkeiten die Messungen ein weitgehend einheitliches
Bild des großräumigen Spannungszustandes in Europa erge­
ben. Über weite Gebiete des europäischen Kontinents herrscht
in der Lithosphäre ein horizontales, ungefähr von Nordwest
nach Südost gerichtetes Kompressionsfeld vor. In der Orientierung der senkrecht zueinander stehenden Hauptspannungsachsen des Spannungsellipsoids entspricht es der Achse der
maximalen Hauptspannung. Die minimale Hauptspannungs49
achse ist ebenfalls horizontal gerichtet, die mittlere Hauptspannung steht vertikal. Der Betrag der Druckerhöhung in
Richtung Nordwest-Südost kann nur grob abgeschätzt werden. Vermutlich liegt er bei weniger als ein Prozent der Vertikallast.
Aus der Richtung der Kompressionsachse und deren groß­
räumiger Persistenz über weite Teile Europas und besonders
über Mitteleuropa wird allgemein der Schluß gezogen, daß
diese Spannungen von den an Europa angrenzenden Platten­
rändern ausgehen. Die europäische Platte ist gleichsam in einen Schraubstock eingespannt. Das Aufgehen und Spreizen
des Nordatlantik entlang der mittelozeanischen Schwelle stellt
den Schraubstockbacken dar, der gegenüber Europa langsam
zugedreht wird, wobei die stärksten Bewegungen in der Gegend von Island stattfinden. Der gegenüberliegende, feststehende Schraubstockbacken bildet die Plattengrenze Europas
zu Afrika. Die „Hot Spots“ auf der afrikanischen Platte zeigen aber deren stabile Lage über mindestens 30 Millionen
Jahre und untermauern die feste Position dieses Schraubstockbackens. Afrika drückt nicht gegen Europa, Europa
drückt gegen Afrika.
Die Erdbeben der „Süddeutschen Großscholle“
Die westliche Schwäbische Alb, mit Schwerpunkt um Albstadt
und den Teilgemeinden Ehingen, Tailfingen und Onstmettingen, stellt in diesem Jahrhundert das aktivste Erdbebengebiet
Mitteleuropas nördlich der Alpen dar. Am 16. November
1911 trat wie ein Blitz aus heiterem Himmel in diesem früher
nur von schwacher Seismizität heimgesuchten Gebiet ein star­
kes Schadenbeben mit einer Magnitude von 5.6 auf. Weitere
Beben vergleichbarer Stärke folgten am 28. Mai 1943 und am
3. September 1978. Die 1978 aufgetretenen Schäden an Gebäuden und Inneneinrichtungen beliefen sich auf mehrere
hundert Millionen Mark. Neben Hunderten von Nachbeben
wurden in den Jahren zwischen den Starkbeben zahlreiche
Erdstöße schwächerer Magnitude registriert und bearbeitet.
50
Damit zählt die Schwäbische Alb, auch im weltweiten Maßstab zu den am besten untersuchten Erdbebengebieten kleine­
rer Ausdehnung. Die Erdstöße sind in ihrem Ablauf und Mechanismus typisch für die in der Süddeutschen Großscholle
auftretenden Intraplattenbeben und können stellvertretend für
diese behandelt werden. Die Süddeutsche Großscholle zeich­
net sich durch einen gemeinsamen geologischen Bau innerhalb
ihrer Tiefenstruktur aus und umfaßt das Dreieck BaselKassel-Regensburg. Vorzugsrichtungen von Bruchlinien und
Verwerfungen in der Scholle deuten auf eine wechselnde tektonische Beanspruchung in ihrer Geschichte hin. Für die heutigen Erdbeben sind vor allem die in rheinischer Richtung
streichenden Bruchflächen und Verwerfungen interessant. Die
parallel zum Oberrheingraben verlaufenden, geographisch
Nord-Süd bis Nord-Nordost-Süd-Südwest orientierten Ver­
werfungen bildeten sich dominierend in der spätalpidischen
Phase in Zusammenhang mit der Entstehung des Oberrhein­
grabens. Aus der Orientierung der mechanischen Spannungen
in der Erdkruste Mitteleuropas folgt ein Feld maximaler
Scherspannungen parallel zu dem rheinisch streichenden
Bruchmuster. Zwischen den Verwerfungsflächen eingebettet
liegen Zonen geringer Scherfestigkeit, die als Ruschel- oder
Mylonithzonen bezeichnet werden. Sie trennen die gegenüberliegenden Gesteinsblöcke mit Mächtigkeiten im Bereich
von Metern und reduzieren den Reibungswiderstand zwischen
den Blöcken drastisch. Nur zum Teil sind sie Überbleibsel aus
der Zeit, als die Verwerfungen durch Neubrüche entstanden
sind. Entlang dieser Scherzonen treten als Folge der mechanischen Beanspruchung und des rheologischen Verhaltens des
Gesteins (unter Rheologie versteht man die Deformation eines
Körpers unter Einwirkung von meist schwachen, jedoch
zeitlich langanhaltenden Kräften) Kriechbewegungen mit Geschwindigkeiten in der Größenordnung von einigen Zentimetern pro Jahrhundert auf. Dieses „plastische“ Kriechen wirkt
einer Verheilung und Verfestigung aneinandergrenzender Störungsflächen entgegen und begünstigt das Entstehen neuer
Brüche. Man kann, wie schon erwähnt, in dem Prozeß eine
51
Rückkopplung sehen, in der sich ein zunächst dreidimensional
ausgedehntes Feld kleiner Risse und Scherbrüche durch
Selbstorganisation und Selbstverstärkung auf eine zweidimensionale Fläche konzentriert.
, Aus der Verteilung der Erdbeben schließt der Stuttgarter
Seismologe Götz Schneider auf zwei große, Südwestdeutschland etwa in nordsüdlicher Richtung durchziehende Scherzonen. Die sogenannte Kaiserstuhl-Scherzone verläuft auf der
östlichen Seite der Tiefscholle des Oberrheingrabens und läßt
sich vom Raum Basel über den Kaiserstuhl, die Herdgebiete
Lahr-Kehl und Karlsruhe-Kandel bis etwa Lorsch verfolgen.
Die zweite Zone enthält das Bebengebiet um Albstadt und
wird Albstadt-Scherzone genannt. Erdbeben entlang dieser
Scherzone traten in den vergangenen hundert Jahren in der
Ostschweiz, im Bodenseeraum, in Oberschwaben um Saulgau,
auf der westlichen Schwäbischen Alb, am Rande des Fildergrabens bei Stuttgart und in der Gegend von Vaihingen (Enz)
auf. All diesen Beben ist gemeinsam, daß die das Erdbeben
verursachende Scherdeformation in den beschriebenen Beanspruchungsplan einzuordnen ist. Besonders die Beben auf der
westlichen Schwäbischen Alb zeigen weitgehend horizontal
verlaufende Scherdislokationen entlang vertikaler Grenzflä­
chen (sog. Horizontal- oder Blattverschiebungen). Die Scherkräfte entlang der Verwerfung sind mit einem „linksdre­
henden Moment“ verbunden. Das bedeutet, der westliche Teil
der Scherfläche bewegt sich nach Süden, der östliche Teil
nach Norden. Ein vergleichbarer Bewegungssinn trat und tritt
vielleicht immer noch bei der Horizontalverschiebung der
Ränder des Oberrheingrabens auf. Der Schwarzwald wurde in
den vergangenen 30 Millionen Jahren nach Norden, die Vogesen nach Süden verschoben.
Die Vielzahl der bei Albstadt auftretenden Beben erlaubt
detaillierte Aussagen über deren Tiefenverteilung. Auch sie ist
typisch für Beben in Mitteleuropa. Die Herdtiefen liegen zwischen 1 km und 15 km unter der Erdoberfläche mit einer
Häufung zwischen 7 und 10 km. Die kristalline Erdkruste,
also die Oberkante des Granitgebirges, liegt hier bei 1 km
52
Tiefe unter der Sedimentbedeckung. Die Sedimente reagieren
zu weich oder sind zu zerklüftet, um für ein Erdbeben genug
Deformationsenergie speichern zu können. In etwa 20 km
Tiefe findet ein Übergang von den sauren, kieselsäurereichen
Granitgesteinen der Oberkruste zu den basischen, basalti­
schen Gesteinen der Unterkruste statt. Bei den hier 600° C
übersteigenden Temperaturen kann das Material die in unse­
ren Gebieten auftretenden geringen Deformationsraten von
weniger als 1 mm pro Jahr durch plastisches und bruchloses
Fließen abbauen. Größere und zu einem Erdbeben führende
Spannungsansammlungen sind offenbar nicht mehr möglich.
Selbst der durch Auflast, Pressung der Gesteinsporen und Ge­
steinsverhalten für die Entstehung von Erdbeben optimale
Tiefenbereich von 7-10 km zeigt bei einer Feinuntersuchung
und Präzisionsbestimmung von Hypozentren Stockwerke, die
sich weitgehend aseismisch verhalten. Alle diese Aussagen
sprechen dafür, daß selbst in einem für Mitteleuropa so herausragenden Erdbebengebiet wie der Schwäbischen Alb Erdbeben mit Magnituden nahe 6, die zusammenhängende
Bruchflächen von über zehn Quadratkilometern benötigen,
nur bei einem seltenen Zusammentreffen unterschiedlicher
Faktoren auftreten. Für Erdbeben höherer Magnitude steht
einfach keine genügend große, zur gleichen Zeit aufgespannte
Scherfläche zur Verfügung.
Am Beispiel des Bebens auf der Schwäbischen Alb vom
3. September 1978 soll gezeigt werden, mit welchen Größen
der Seismologe den Ablauf eines Bebens beschreibt, „modelliert“. Aus an vielen Erdbebenstationen ermittelten Ankunftszeiten der ersten vom Erdbeben herrührenden Bodenbewegung, den „Ersteinsätzen“, lassen sich, wie schon beschrieben,
Hypozentrum und Herdzeit als Startpunkt des Bebens berechnen. Um 6h 08m 31.74s Lokalzeit trat 1 km östlich der
Gemeinde Onstmettingen und 6.5 km unter der Erdoberfläche
eine kleine Scherdislokation auf. Niemand, „nicht einmal die
Erde“, konnte voraussagen, ob der Vorgang nach kurzer Zeit
beendet sein oder ob er sich zu einer Lawine entwickeln
würde. Die Akkumulation an Deformationsenergie und die
53
Brucheigenschaften des Gesteins waren aber in der Umgebung
des zunächst kleinen Herdes so beschaffen, daß bei dem mit
der Dislokation verbundenen Abbau mechanischer Spannung
mehr kinetische Energie entstand, als beim Fortschreiten des
Bruches durch Gesteinszertrümmerung oder Reibungswärme
vernichtet wurde. Der Bruchvorgang konnte so zu einer
Lawine anschwellen. Der Bruch breitete sich einseitig („unilateral“) in Richtung Süden mit einer Geschwindigkeit der
Bruchfront von 2-3 km/s aus. Dabei wurde der alte Stadtkern
von Tailfingen durchquert, was zu beträchtlichen Gebäudeschäden führte. Über ein Dutzend Häuser mußten anschließend abgerissen werden. Südlich von Tailfingen kam der
Bruch zum Stillstand. Aus Seismogrammanalysen wurden
später folgende Kenndaten für das Beben ermittelt: Größe der
gesamten Bruchfläche: 17.3 qkm, Herdlänge 4.5 km, Herdtiefenerstreckung 3.8 km. Der Mittelwert des Dislokations-1
betrages lag bei etwa 10 cm. Die Intensität im Epizentralge­
biet betrug in der Skala nach Mercalli und Sieberg 7-8, bei
einer Magnitude von 5.6.
Diese Werte machen den Unterschied zu einem „Weltbeben“
deutlich, bei dem Dislokationen im Meterbereich über Bruchlängen von Hunderten von Kilometern stattfinden können.
9. Erdbebenvorhersage
Kein anderes Thema wird unter Seismologen so kontrovers
diskutiert wie die Frage, ob Ort, Zeitpunkt und Stärke von
Erdbeben vorhergesagt werden können. Die Meinungen reichen von „mit genügend Geld ist alles machbar“ bis zur völligen Verneinung. Die Unstimmigkeiten beruhen nicht nur auf
wissenschaftlichen Argumenten. Die Gewährung finanzieller
Mittel für große, teilweise weltumspannende Forschungsprojekte auf dem Gebiet der Seismologie in den vergangenen
40 Jahren war an zwei Ziele gebunden: an den Nachweis unterirdisch gezündeter Nuklearexplosionen und an die Erdbe­
benvorhersage. Die erstgenannte Aufgabe wurde erfolgreich
gelöst. Ob und mit welchen Methoden Beben vorausgesagt
54
werden können, ist dagegen völlig offen. Zusätzlich ist der
Begriff „Erdbebenvorhersage“ so allgemein, daß zur Rechtfertigung von Fördermitteln leicht positive Aspekte angeführt
werden können. In keinem anderen Gebiet der Geophysik
wird Zweckoptimismus so herausgefordert. Da auch die
Medien gerne über Erfolge in der Erdbebenvorhersage und
angebliche Kopplungen von Nuklearexplosionen und nach­
folgenden Erdbeben berichten, wird eine selbst für Fachleute
oft nicht ganz durchsichtige Grauzone zwischen Scharlatane­
rie und auf seriöser wissenschaftlicher Basis stehenden Ergebnissen geschaffen. Auch ein berechtigter Hinweis auf die
Gefahr eines bevorstehenden Erdbebens kann mehr Konflikte
schaffen, als ein ohne Vorwarnung eintretendes Beben. Aus
diesen Gegensätzen heraus werden, trotz gleicher Zielsetzung
bei der wissenschaftlich fundierten Erdbebenvorhersage, in
den von starken Beben betroffenen Ländern wie USA, Japan
und China sehr unterschiedliche Arbeitsweisen und Interpretationsstrategien zur Lösung dieses Problems eingesetzt.
Landläufig stellt man sich unter Erdbebenvorhersage folgendes vor: Eine verantwortliche Institution gibt an, daß in
einem vorgegebenen Gebiet und Zeitraum ein Beben inner­
halb eines gewissen Magnitudenintervalls mit einer bestimm­
ten Wahrscheinlichkeit eintritt. Die Güte der Erdbebenvorhersage wird vom Wert der Wahrscheinlichkeit des Eintreffens
bestimmt. Gibt man eine Wahrscheinlichkeit von 50% an, so
müssen von 10 Vorhersagen 5 ins Schwarze treffen. Mit den
heutigen Erkenntnissen der Seismologie könnte vielleicht gesagt werden, auf der Schwäbischen Alb um Onstmettingen
und Tailfingen findet 1997 in einem Gebiet von 20 km Länge
in Nord-Südrichtung und 10 km Breite ein Erdbeben mit einer
Magnitude größer 2 statt. Die Wahrscheinlichkeit des Eintre­
tens liegt bei 95% - für die Erdbebenvorhersage ein ausge­
zeichneter Wert. Praktisch ist die Vorhersage aber wertlos, da
Erdbeben mit derart kleinen Magnituden weder gefühlt wer­
den noch Schäden anrichten. Das Beispiel zeigt, wie dehnbar
der Begriff Erdbebenvorhersage ist. Die vier Größen: Ort,
Zeit, Magnitude und Eintreffwahrscheinlichkeit, sind in einer
55
Art Unschärferelation miteinander verbunden. Wird der Intervallbereich, das „Fenster“, einer Größe verringert, so müs­
sen die Fenster der anderen Werte entsprechend vergrößert
werden. Zu große Ortsfenster mit Angaben wie „die Anden“
oder „Kalifornien“ machen die Vorhersage weitgehend bedeutungslos. Schränkt man dagegen den möglichen Ort ein, z.B.
„Gegend von San Francisco“ oder „Oberrheingraben“, und
setzt zusätzlich eine untere Magnitudenschwelle von M>7
bzw. M>5 an, so wird das Zeitfenster entsprechend groß.
Man muß sich dann mit Aussagen wie „langfristig“ oder
„mittelfristig“ begnügen. Die Beben werden so auch nicht
mehr „vorhergesagt“, sondern „vorhergesehen“. Für die Aus­
legung von Bauwerken und für vorbereitende Maßnahmen im
Katastrophenschutz sind diese Informationen aber durchaus
wertvoll.
Vor einigen Jahren wollte eine Gruppe japanischer Physiker
mit Bruchexperimenten zeigen, daß in einer Erdbebenregion
der Zeitpunkt des nächsten Erdbebens grundsätzlich nicht mit
nutzbarer Genauigkeit vorauszusagen ist. Fenstergroße Glasplatten wurden an ihren Rändern auf Stützen gelegt und in
der Mitte zeitlich ansteigend belastet. So wurden z. B. pro
Minute Gewichtsstücke von jeweils 1 Gramm aufgelegt. Die
Platten brachen natürlich irgendwann durch, vergleichbar
dem Sprödbruch eines Bebens. Das Interessante an diesen
Versuchen war nun, daß auch bei fertigungstechnisch identisch hergestellten Glasplatten der Zeitpunkt zwischen Beginn
der Belastung und dem Einsetzen des Bruchvorganges eine
große Streubreite zeigte. Der Einsatz des Risses hängt nur
wenig von der mittleren Bruchfestigkeit des Materials ab. Mikroskopisch kleine, für das Auge nicht erkennbare und normalerweise unbedeutende Eigenspannungen im Glas sind für
die plötzliche und ohne Vorzeichen eintretende Auslösung des
Bruches verantwortlich. Die Schlußfolgerung lautete nun:
Wenn schon bei homogenem Material und reproduzierbarer
Belastung der Bruchzeitpunkt unkontrollierbaren Schwan­
kungen unterworfen ist, so erscheint es hoffnungslos, bei der
heterogenen Gesteinszusammensetzung der Erde und den un­
56
regelmäßig anwachsenden tektonischen Spannungen einen
Bruch im Gestein mit praktikabler Genauigkeit voraussagen
zu wollen. Der bekannte japanische Seismologe Mogi wies je­
doch wenig später darauf hin, daß bei stark heterogen zu­
sammengesetztem Material der Bruchzeitpunkt eine wesent­
lich geringere Streubreite zeigte. Wären analoge Versuche mit
Holz- oder Betonplatten durchgeführt worden, so hätte man
nicht nur den Eintritt des Bruches präziser vorhersagen können, sondern das Durchbrechen der Platte wäre beim Holz
auch durch ein hörbares Knistern, bei der Betonplatte durch
meßbare Emissionen im Ultraschallbereich angekündigt
worden. Auf die Erde übertragen bedeutet es, daß Erdbeben­
zyklen in heterogenen Gebieten, wie es vor allem Subduk­
tionszonen darstellen, gleichmäßiger ablaufen als die In­
traplattenbeben in einer homogeneren Lithosphäre.
Bei der Erdbebenvorhersage geht es nun wesentlich darum,
signifikante Erscheinungen oder Vorzeichen (engl, precursor),
d.h. Abweichungen vom Normalverhalten, zu finden, die auf
einen ein größeres Gebiet durchziehenden Gesteinsbruch hindeuten. Bruchvorgänge treten immer dann ein, wenn die me­
chanische Spannung die Materialfestigkeit übersteigt. Beide
Größen müssen nun beobachtet werden. Nachdem für die Öf­
fentlichkeit aber nur Vorhersagen größerer Beben interessant
sind, müssen diese Werte über räumlich ausgedehnte Gebiete,
unter Einbeziehung der Erdtiefe, gemessen werden.
Seit Jahrhunderten bringt man Änderungen in der Wasserschüttung von Brunnen und im Grundwasserspiegel mit dem
Auftreten von Erdbeben in Zusammenhang. Hydrologische
Kenngrößen werden nicht nur durch die Niederschläge be­
stimmt, sondern auch durch Variationen des tektonischen
Spannungsfeldes beeinflußt. Das starke Erdbeben vor der Küste von Lissabon im Jahre 1755 führte noch in Mitteleuropa
zu Wasserspiegelschwankungen in Ziehbrunnen von über
50 cm. Der Wasserpegel bei Tiefbohrungen in Oberschwaben
folgt mit Amplituden von 20 cm den durch die Gezeiten von
Sonne und Mond in der Erde hervorgerufenen Druckänderungen. In den oberen Kilometern der Erdkruste ist das
57
porenreiche und zerklüftete Gestein wie ein Schwamm mit
Wasser vollgesaugt. Der Wasserstand eines tief in die Erde
gebohrten Brunnens ist mit einem Manometer zu vergleichen,
das auf einem Wasserkessel sitzt. Schon kleine Deformationen
des Volumens führen zu sichtbaren und leicht meßbaren Ver­
änderungen des Pegels. Vor allem in China und Japan werden
die Pegel tiefreichender Brunnen ständig kontrolliert.
Ohne Zweifel gibt es Fälle, bei denen vor dem Eintreten
großer Erdbeben anomale Schwankungen im Grundwasserspiegel auftreten. Der Seismologe Cinna Lomnitz berichtet
über Pegelanomalien, die in China vor dem zerstörenden
Erdbeben von Tangshan im Juli 1976 beobachtet wurden.
Das Beben forderte mehr als 200 000 Opfer. Einige Jahre vor
dem Beben begann eine langsame Absenkung des Grundwasserspiegels im späteren Bebengebiet, die sich in den Monaten
vor dem Beben beschleunigte. Wenige Stunden vor dem Er­
eignis stieg der Wasserpegel plötzlich so stark an, daß eine
Reihe von Brunnen artesisch wurden und überliefen. Mit Be­
ginn des Bebens stieg vielerorts das Grundwasser um mehrere
Meter.
Der Bericht hört sich eindrucksvoll an, doch hat er mit
ähnlichen Fallbeschreibungen eines gemeinsam: Die Parameteränderungen wurden erst nach dem Erdbeben erkannt. Es
gibt kaum ein starkes Erdbeben, bei dem in der Retrospektive
nicht irgendeine Beobachtung gefunden oder konstruiert wer­
den kann, die sich vor dem Beben anomal verhielt. Dabei
handelt es sich nicht nur um instrumentell meßbare Größen.
Jeder an einer Erdbebenstation arbeitende Seismologe kennt
die unzähligen Telefonanrufe, in denen Tierbesitzer über eine
ungewöhnliche Verhaltensweise von Hunden, Katzen oder
Vögeln vor dem Beben berichten. In China wurden bis vor
wenigen Jahren in großen Schlangenfarmen Untersuchungen
darüber angestellt, ob die seit Jahrtausenden geäußerten Meldungen zutrafen, Schlangen verließen vor Beben systematisch
ihre Erdlöcher. Die Versuche wurden aufgegeben, nachdem
sie über Jahrzehnte hinweg keine positiven Ergebnisse erbrachten.
58
Vor allem in den Ländern USA, Japan und China werden
Forschungsprogramme zur lang-, mittel- und kurzfristigen
Vorhersage von Erdbeben aufwendig gefördert. Die Untersuchungen beziehen sich vor allem auf die instrumentelle, zeitli­
che Erfassung direkt oder indirekt mit der Bruchmechanik
von Erdbeben ursächlich zusammenhängender Faktoren. So
werden beispielsweise die vom Umgebungsdruck abhängen­
den Ausbreitungsgeschwindigkeiten elastischer Wellen im Ge­
steinsverband gemessen. In jedem unter Bergdruck stehenden
Gestein findet ständig eine Neubildung, Schließung oder
Umbildung feinster, oft nur wenige tausendstel Millimeter
langer Risse statt. Die Veränderungen sind mit Emissionen im
Ultraschallbereich verbunden und können mit hochempfindlichen Körperschallmikrofonen abgehört werden. Aus Zahl
und Stärke der Impulse lassen sich Änderungen im Spannungszustand des Untersuchungsgebietes abschätzen. Dem
Bergmann sind diese Geräusche als Bergknistern geläufig. An­
dere Untersuchungsmethoden beziehen sich auf die Verfor­
mungen der Erdoberfläche, welche geophysikalisch über De­
formationsmeßgeräte und Neigungsmesser oder geodätisch
über Triangulations- und Nivellementmessungen erfaßt wer­
den können. Moderne, mit Hilfe von Satelliten arbeitende
Navigationsverfahren erlauben seit einigen Jahren, großräumige Verstellungen der Erdoberfläche mit einer Genauigkeit
von wenigen Zentimetern nachzuweisen. Es gibt heute viele
ausgezeichnete Meßverfahren, doch ist die Interpretation der
Meßdaten nach wie vor problematisch und oft vieldeutig. Der
als Hooksches Gesetz bekannte Zusammenhang zwischen
mechanischer Spannung und Deformation gilt im Erdgestein
nämlich nur sehr bedingt, vor allem wenn über längere Zeit
beobachtet wird. Plastisches Materialkriechen kann dazu führen, daß trotz offensichtlich großer Deformationen nur unbedeutende mechanische Spannungen aufgebaut werden. Noch
wesentlich kompliziertere Verhältnisse treten in der Bestim­
mung der Gesteinsfestigkeit auf. Hier gibt es nur indirekte
Meßmethoden. Die Zunahme von Mikrorissen im Gestein
läßt sich mit erhöhter Permeabilität, also Durchlässigkeit ge59
genüber Wasser und Gasen, in Verbindung bringen. Vor ei­
nem Beben bei Taschkent (Uzbekistan) im Jahre 1966 wurde
bei Brunnen ein starker Ausstoß des vorher in Wasser gelösten Edelgases Radon festgestellt. Radon ist als Zerfallsprodukt von Radium schwach radioaktiv, wodurch mit einfachen
Meßmethoden die Konzentration in der Bodenluft meßbar
wird.
Die grundlegenden Probleme bei dem Versuch, für ein bestimmtes Gebiet ein Beben nach Ort, Zeit und Stärke vorherzusagen, liegen aber gar nicht auf instrumenteller Seite. Vermutlich sind sie selbst bei einem Großeinsatz mit aufwendigen
Meß- und Beobachtungsverfahren nicht zu lösen. Erdbeben
sind physikalisch äußerst komplex ablaufende, sich in Einzelheiten niemals wiederholende Prozesse. Ihre Quantifizierung
ist nur mit Hilfe stark vereinfachter Arbeitsmodelle möglich.
Das Reidsche Modell stellt eine gute Näherung an die Kine­
matik des Erdbebenherdes dar. Es sagt aber nichts über die
realen Faktoren aus, welche Beben vorbereiten und schließlich
zum Bruch führen. Die Plattentektonik liefert eine plausible
Erklärung, warum es überhaupt zu Erdbeben kommt. Diese
ruckartig ablaufenden Dislokationen, die wir Erdbeben nennen, stellen aber nicht die dominierende Begleiterscheinung in
der Relativbewegung von kontinentalen oder ozeanischen
Platten zueinander dar. Die tektonischen Verschiebungen und
Deformationen laufen mehr in Form von langsam erfolgen­
dem viskosem oder plastischem Materialfließen ab, dessen
sichtbare Auswirkungen an der Erdoberfläche nur innerhalb
von Generationen merkbar werden. Erdbeben sind an der Al­
penauffaltung beteiligt. Ihr Beitrag stellt aber nur einen
Bruchteil der ständig vorhandenen, für den Menschen nicht
katastrophal ablaufenden Kriechvorgänge dar.
Erdbeben werden manchmal als Unfälle im tektonischen
Bewegungsablauf der Erde angesehen. Das nächste Erdbeben
kommt bestimmt, genauso wie der nächste Verkehrsunfall auf
einer Autobahn. Wie es auf der Autobahn Unfallschwerpunk­
te gibt, so gibt es auf der Erde Schwerpunkte für Erdbeben. In
dieser Analogie sind Erdbeben invers ablaufende Verkehrsun­
60
fälle. Während beim Verkehrsunfall im schnellen Strom der
Automobile lokal eine ruckartige Verzögerung auftritt, wird
beim Erdbeben die Kriechbewegung entlang von Grenzflächen
ruckartig beschleunigt. In beiden Fällen wird die Unfallhäu­
figkeit von äußeren Einflüssen gesteuert. Im Verkehr sind es
Nebel, Regen und Glatteis - in der Erde ein Ansteigen des
Drucks und der Deformation und eine Schwächung der Ma­
terialfestigkeit. Dies sind notwendige Voraussetzungen, die
beobachtet werden können. Der kritische Wert, bei dem die
Instabilität im Bewegungsablauf einsetzt, wird jedoch durch
das Zusammenwirken vieler Faktoren erreicht. Irgendeine
Einflußgröße wird mit einer an sich völlig unbedeutenden
Abweichung das System schließlich zum Kippen bringen. So
wenig in diesem Ablauf ein einzelner Autounfall vorausgesagt
werden kann, so wenig kann ein einzelnes Erdbeben vorhergesagt werden.
Es gibt noch weitere Gemeinsamkeiten mit dieser Unfallanalogie. Versicherungsgesellschaften können die Risiken
von Erdbeben recht gut einschätzen. Grund dafür ist die
Stationarität der Plattenverschiebungen, wenn über einen
Zeitraum von vielleicht fünfzig oder hundert Jahren gemittelt
wird. Die Erdbebenkataloge vieler Länder erstrecken sich
über mehrere hundert Jahre. Auf dieser Grundlage kann die
seismische Gefährdung eines Gebietes mit den für Menschen
und Bauwerke verbundenen Risiken statistisch eingeordnet
werden.
10. Erdbebengefährdung und erdbebensichere Bauweise
Erdbeben sind keine Naturkatastrophen. Vor hundert Jahren
schrieb der italienische Seismologe Baratta: „Die Menschen
werden nicht vom Erdbeben, sondern von ihren Bauwerken
erschlagen.“ Von der Bautechnik her können Gebäude so
erdbebenresistent errichtet werden, daß auch im ungünstig­
sten Fall Menschen nicht zu Schaden kommen. Starke und
schadenverursachende Bodenerschütterungen stellen allerdings auch in bebenaktiven Ländern wie Kalifornien, Japan
61
oder Italien immer noch seltene Ereignisse dar. Selbst hier
werden die wenigsten Einwohner in ihrem Leben mit einem
Erdbeben konfrontiert, das sie mehr als nur ein paar Sekun­
den in Schrecken versetzt. Erdbebensicheres Bauen kostet
Geld und erfordert Einschränkungen in der Wahl des Baugeländes. Vor allem in der Nähe von Küsten und im Gebirge
sind bevorzugte Ansiedlungslagen vom Baugrund her am
stärksten erdbebengefährdet. Die Praxis kommt deshalb nicht
ohne Kompromisse zwischen Kosten, Nutzen und der Bereitschaft zu Schaden an Eigentum und der Gefährdung von
Menschenleben aus. Absolut gesehen und in einem weltweiten
Maßstab ist die Zahl der Erdbebenopfer allerdings groß. Im
Zeitraum zwischen 1900 und 1995 wurden etwa 1,5 Millionen Menschen Opfer von Erdbeben.
Der japanische Erdbebenforscher Mogi veröffentlichte eine
interessante Aufstellung. Im Durchschnitt nahm die jährliche
Zahl der bei Beben ums Leben gekommenen Menschen vom
Beginn unseres Jahrhunderts bis zum Jahr 1955 kontinuierlich
ab, um anschließend wieder anzusteigen. Der Verlauf ist weniger durch die Fluktuation in der Seismizität bedingt. In dem
Rückgang zeigt sich vor allem die Einführung von in vielen
Ländern konsequent durchgeführten Bauvorschriften in erd­
bebengefährdeten Gebieten. Die ab den fünfziger Jahren in
den Entwicklungsländern schnell wachsende Bevölkerung ließ
jedoch den Trend der Kurve dramatisch umkehren. Von den
25 Großstädten auf der Welt mit mehr als 10 Millionen Ein­
wohnern liegen 14 in mäßig bis stark erdbebengefährdeten
Zonen. Dazu gehören vor allem Mexico City (25 Mill.),
Tokyo mit Umgebung (23 Mill.), Teheran (14 Mill.), Jakarta
(14 Mill.) und Los Angeles (12 Mill.).
Es genügen wenige einfache Regeln, um Gebäude selbst
starken Bodenbewegungen gegenüber weitgehend resistent zu
machen. Im Jahre 1783 wurde Kalabrien von einer Serie von
Erdbeben verwüstet. Für den Wiederaufbau der an der Straße
von Messina gelegenen Stadt Reggio di Calabria wurden
strenge, auch modernen Erkenntnissen entsprechende Bauvor­
schriften erlassen.
62
Die Hauptpunkte lauteten:
l. Die Bauart eines Hauses sei einfach und elegant. U- oder
L-förmige Grundrisse sind zu vermeiden.
2. Die Häuser dürfen nur ein Stockwerk besitzen und dürfen
nur 30 Spannen hoch sein. Die Gebäude auf öffentlichen
Plätzen und breiten Straßen dürfen dieses Maß um neun bis
zehn Spannen überschreiten, indem sie auch einen Halbstock besitzen dürfen.
3. Verboten sind größere Balkone. Es dürfen nur kleine und
leichte Balkone, möglichst weit von den Winkeln der Mau­
ern entfernt angebracht werden.
4. Eisenschließen müssen durch alle Mauern nach allen Rich­
tungen gezogen werden.
5. Das Innere der Häuser muß einen Rost von gut verbundenen Bauhölzern enthalten.
6. Die Anbringung von Kuppeln und Türmen ist grundsätzlich verboten.
Im nachfolgenden 19. Jahrhundert trat in Süditalien nur
eine untergeordnete seismische Aktivität auf. Dies hatte verheerende Folgen. Nicht nur bei Neubauten wurden die Bauvorschriften vergessen. Das von den Vorfahren nach der Erd­
bebenserie von 1783 errichtete Haus wurde als stabiler
Rumpfbau betrachtet, den man gut als Träger für weitere
Stockwerke und große Balkone verwenden konnte. Freie Plät­
ze wurden überbaut und aus breiten Straßen wurden enge
Gassen. Die Katastrophe war vorprogrammiert. Am 28. Dezember 1908 richtete ein in der Straße von Messina auftre­
tendes Erdbeben der Magnitude 7 in den angrenzenden Städten Reggio di Calabria und Messina fürchterliche Schäden an
und forderte das Leben von mindestens fünfzigtausend Menschen.
Es ist klar, daß die einfachen Bauvorschriften in einer mo­
dernen Industriegesellschaft mit Kernkraftwerken und in
Ländern mit hoher Bevölkerungsdichte nicht mehr ausreichen.
Für Industriebauten und Hochhäuser müssen Vorkehrungen
zur Erdbebensicherheit gegen finanzielle Belastungen und andere ökonomische Einschränkungen abgewogen werden. In
63
den westlichen Industrieländern geht man im allgemeinen von
folgender Sicherheitsphilosophie aus:
- Gebäude und Inneneinrichtungen müssen schwache Einwirkungen von Erdbeben ohne Schäden überstehen.
- Bei mäßig starken Beben dürfen keine irreparablen Schäden
am Gebäude auftreten.
- Bei starken Beben läßt man auch irreparable Schäden (die
einen Abbruch bedingen können) am Gebäude bewußt zu.
Es muß jedoch Sorge dafür getragen werden, daß weder
vom Gebäude noch von den Inneneinrichtungen her Perso­
nenschäden zu befürchten sind.
Erschütterungen des Erdbodens haben in einem als starr und
nicht deformierbar gedachten Gebäude entsprechend dem
Newtonschen Gesetz Trägheitskräfte zur Folge, die zur Bodenbeschleunigung und zur Masse des Gebäudes proportional
sind. Für diesen Fall kann die Belastung durch Erdbeben einfach bestimmt werden. Nur kleine, ein- oder zweistöckige
Gebäude in solider Bauweise können jedoch in den Berechnungen zur erdbebensicheren Bauweise als starre Körper angesehen werden. Bei größeren und vor allem bei schlanken
Bauwerken müssen die auftretenden Deformationen mit be­
rücksichtigt werden. Sie führen dazu, daß Teile des Gebäudes
wesentlich stärkeren Kräften ausgesetzt sein können, als es
der einfachen Formel Bodenbeschleunigung mal Gesamtmasse
entspricht.
Das elastische Verhalten der Gebäude führt zu ausgeprägten Eigenschwingungen. Bei komplexen Gebäuden kann die
rechnerische und meßtechnische Bestimmung dieser Resonanzen außerordentlich aufwendig werden. In einer Faustformel
läßt sich die Grundschwingung hoher und schlanker Bauwer­
ke abschätzen. Sie beträgt, in der Einheit von Hertz, 10 dividiert durch die Anzahl der Stockwerke. Ein fünfstöckiges Ge­
bäude zeigt demnach eine Resonanzfrequenz von etwa 2 Hz.
Bei allen dynamischen Systemen wirken sich Eigenschwingungen besonders dann stark aus, wenn die Eigenfrequenzen
den Anregungsfrequenzen entsprechen. Wird der Resonanz­
körper einer Glocke angeschlagen, so schwingt der Ton nach.
64
Je kleiner die mechanische Dämpfung des Systems ist, um so
länger klingt der Ton nach. Die Eigenfrequenzen von Gebäuden sind schwach gedämpft und betragen nur wenige Prozent des Wertes der „kritischen“ Dämpfung. Bei der kritischen Dämpfung klingt das angeregte System maximal schnell
ab.
Bei diesen Gebäudemerkmalen ist es verständlich, daß vor
allem in Hochhäusern Erdbeben aus größerer Entfernung zu
spüren sind. Bei der Ausbreitung von Erdbebenwellen werden
durch die Absorption der Erde die hohen Frequenzen stärker
geschwächt. In einer Entfernung von etwa 1000 km vom Be­
ben treten z.B. bevorzugt Frequenzen um 0.5-0.3 Hz auf. Da
es sich um Oberflächenwellen handelt, können die Schwingungen eine Minute und länger andauern. Dadurch werden
Hochhäuser mit 20 oder mehr Stockwerken zu Eigenschwin­
gungen angeregt. Die am Fußpunkt des Gebäudes angreifenden horizontalen Kräfte wirken sich in den oberen Stockwerken des Gebäudes besonders kräftig aus, vergleichbar dem
Verhalten eines invertierenden, also unten eingespannten und
oben frei schwingenden Pendels.
Der Seismologe hat die Aufgabe, dem Bauingenieur für ein
vorgegebenes Gebiet die durch Erdbeben hervorgerufenen
möglichen Bodenbeschleunigungen anzugeben. Die Angabe
eines maximalen Wertes, z.B. 20% der Erdbeschleunigung,
genügt nur bei einfachen Bauten. Speziell bei Bauwerken mit
hohen Sicherheitsansprüchen wird der gesamte Verlauf der
Bodenbeschleunigung als Funktion der Zeit in die Stabilitäts­
berechnungen mit einbezogen. Dies gilt besonders auch für
lange Rohrleitungen, wie sie in der chemischen Industrie verwendet werden, oder für große Tanklager.
Es ist jedoch nicht nur die Stabilität der Baukonstruktionen
zu betrachten. Bei einer Reihe von Erdbeben der letzten Jahre
hätten die Gebäude den Bodenerschütterungen vermutlich gut
widerstanden, doch ist bei der Deformation des Bodens durch
die Erdbebenwellen die Formfestigkeit des Baugrundes zusammengebrochen. Gebäuden oder Brückenpfeilern wird
praktisch „der Boden unter den Füßen weggezogen“. Der
65
Vorgang tritt vor allem bei weichem und lockerem Untergrund auf. Besonders betroffen sind wassergesättigte Tone
oder Sande, die sich unter dem Einfluß von Vibrationen nahezu verflüssigen können. Viele Städte auf der Welt wurden in
Flußtälern oder entlang von Seen oder Meeren gegründet. Der
oberflächennahe Untergrund besteht hier vornehmlich aus
Schwemmsanden und anderen jungen und damit wenig kom­
primierten, weichen Ablagerungen. Für die Anlage von Sied­
lungen bietet dies viele Vorteile. Die Wechsellagerungen von
Sanden und Tonen ergeben Horizonte von gut gefiltertem
Grundwasser, Brunnen sind leicht zu graben, und von der
Statik her können selbst Hochhäuser ohne allzu großen Auf­
wand bei der Fundierung errichtet werden. Probleme treten
erst bei der dynamischen Beanspruchung der Bauwerke durch
Beben auf. Zu stark erdbebengefährdeten Städten mit derarti­
gem Untergrund gehören Los Angeles, Managua, Lima, Bogo­
ta, Tokyo und Messina. Ein tragisches Fallbeispiel liefert das
auf einem trockengelegten Sumpf gegründete Mexico City.
Die katastrophalen Folgen des Erdbebens von 1985 liegen
hauptsächlich darin, daß viele der zusammengebrochenen
Hochhäuser auf zu wenig tief in den Boden eingelassenen
Pfeilern standen. Die Einwohner berichteten, beim Erdbeben
hätten die Hochhäuser Bewegungen wie auf einem schwan­
kenden Schiff ausgeführt, wodurch benachbarte Gebäude aneinander schlugen, sich gegenseitig zertrümmerten und zum
Einsturz brachten.
11. Tsunami
Als in den frühen Morgenstunden des 28. Dezember 1908 die
Stadt Messina von einem starken Erdbeben erschüttert wurde,
flüchteten viele Menschen zu den breiten Uferstraßen entlang
der Meerenge, um der Gefahr weiterer Einstürze und auftretender Brände zu entgehen. Sie erlebten dort ein eigenartiges
Schauspiel: Wenige Minuten nach Abklingen der seismischen
Wellen zog sich das Meer vom Ufer zurück. Felsenklippen,
die gewöhnlich nur knapp über das Wasser ragten, hoben sich
66
plötzlich wie Türme heraus. Dabei erschien das Meer völlig
ruhig. Doch eine halbe Stunde später kehrte sich das Bild um.
Ein Zollbeamter berichtete später: „Hoch wie ein Haus war
die gewaltige Woge und kam heran wie Ol, lautlos, ohne
Wellen, ohne Schaum.“ In dieser Woge ertranken Hunderte
von Menschen. Nicht wenige wurden Opfer von Haien, die
damals in der Straße von Messina zahlreich auftraten.
Tsunami (das Wort stammt aus dem Japanischen und setzt
sich zusammen aus tsu = Hafen und nami = Welle) sind Flutwellen, die von einer schnellen vertikalen Verschiebung des
Ozeanbodens erzeugt werden. Die Herdfläche des Messinabe­
bens lag in der Meerenge zwischen Kalabrien und Sizilien,
wobei der Herdprozeß eine Absenkung des Meeresbodens von
einem Meter verursachte. Die größte je beschriebene Flutwelle
wurde im Mai 1960 von einem vor der Küste von Chile lie­
genden Beben erzeugt. Der Tsunami überquerte den Pazifi­
schen Ozean und erreichte nach 22 Stunden die japanische
Küste. Schiffe auf dem Ozean bemerkten die Flutwelle nicht.
Bei einer Wellenhöhe von etwa einem Meter und einer Peri­
ode der Schwingung von zehn Minuten liegen die dazugehörigen Beschleunigungen weit unter der Fühlbarkeitsgrenze.
Probleme treten erst auf, wenn die Welle flaches Wasser in
Küstennähe erreicht. Die Ausbreitungsgeschwindigkeit des
Tsunami hängt von der Wassertiefe ab. Sie beträgt im tiefen
Ozean 700 km/h, wird aber beim Übergang zum Flachwasser
drastisch abgebremst. Aus Gründen der Energieerhaltung
führt dies zu einer Erhöhung der Wellenfront. In eng einge­
schnittenen Buchten oder Flußmündungen können Resonanzeffekte die Flutwelle zusätzlich aufsteilen. So lief der vom
Chile-Beben erzeugte Tsunami an einigen Orten im 15 000 km
entfernten Japan zu Fluthöhen von über 20 Metern auf und
kostete 200 Menschen das Leben.
Physikalisch gesehen stellen Tsunami Oberflächenwellen im
Wasser dar. Die Ausbreitungsgeschwindigkeit v ergibt sich
aus der Beziehung
67
wobei g = 9.81 m/sec2 (Schwerebeschleunigung) und d die
Wassertiefe darstellt. Nachdem die Erdgravitation in die
Formel für die Ausbreitung eingeht, spricht man auch von
Schwere- oder Gravitationswellen. Da sich Tsunami sehr viel
langsamer ausbreiten als seismische Wellen, konnte man ein
System zur Warnung der Bevölkerung aufbauen, das vor al­
lem im pazifischen Raum eingesetzt wird. Mit Hilfe von
Seismogrammen werden innerhalb weniger Minuten nach
Eintreten eines Erdbebens der Ort, die Stärke und der aus der
Herdmechanik zu vermutende vertikale Versatz des Meeresbodens berechnet. Bei Verdacht eines auftretenden Tsunami
werden gefährdete Küstenorte über Zeitpunkt und Stärke der
Flutwelle informiert, so daß dort Alarmsysteme ausgelöst
werden können. Trotz der erfolgreichen Arbeit des Pacific
Tsunami Warning Center (PTWC) mit Hauptsitz in Honolulu
(Hawaii) ist die Herausgabe von Warnungen nicht ganz un­
problematisch. Als ein starkes Erdbeben am Karfreitag des
Jahres 1964 von Alaska aus Tsunami über den ganzen Pazifik
schickte, strömten nach der Radiowarnung Zehntausende von
Menschen an die Küsten Kaliforniens, um das zu erwartende
„Naturschauspiel“ aus nächster Nähe verfolgen zu können.
III. Vulkane
1. Einführung
Grundlegende Probleme
„Wenn wir aber die Gedanken überblicken, die zahlreiche
Forscher zur Erklärung der vulkanischen Erscheinungen seit
den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart geäußert haben, so er­
kennen wir trotz mancher zeitweiliger Rückschritte doch ent­
sprechend der höheren Entwicklung der Wissenschaften im
allgemeinen sehr bedeutende Fortschritte. So können wir denn
wohl das Vertrauen haben, daß geduldige Weiterarbeit und
sorgfältiges Weiterdenken uns doch dem Ziel besserer Er­
kenntnis allmählich näherbringen müssen, so weit wir auch
jetzt noch davon entfernt sind. Neues zuverlässiges Tatsachenmaterial zu sammeln, dürfte als wichtigstes Ziel der
künftigen Studien anzusprechen sein, denn nur solches kann
dereinst eine tragfähige Unterlage für befriedigendere Theo­
rien werden, als man bisher zu ersinnen vermocht hat.“
Mit diesen Sätzen endet das im Jahre 1927 herausgegebene
Buch „Vulkankunde“, verfaßt von einem der Altmeister der
Vulkanologie, dem Würzburger Professor Karl Sapper. Seine
Aussagen gelten ohne Abstriche auch am Ende des 20. Jahr­
hunderts. Zweifellos wurden in den vergangenen Jahrzehnten
in allen Bereichen vulkanologischer Forschungen immense
Fortschritte gemacht. Sie sind besonders ausgeprägt in den
experimentellen Beobachtungstechniken und quantitativen
Auswerteverfahren von geophysikalischen, geochemischen und
petrologischen Untersuchungen. Die fast unbegrenzten Möglichkeiten im Einsatz moderner Meßtechnik, sei es bei der
Verwendung neuer Seismometer, bei der in Echtzeit erfolgenden Fernübertragung von Daten unbemannter Beobachtungsstationen zu Observatorien oder bei der Fernüberwachung eines Vulkans mit Hilfe von Satelliten auf mögliche thermische,
geodätische und geochemische Abweichungen, stellen dem
Vulkanologen ein Instrumentarium zur Verfügung, das völlig
69
neue Einblicke in vulkanische Abläufe erlaubt, bis jetzt aber
nur ansatzweise genutzt wird. Mit Sapper können wir auch
heute sagen, daß die vergangenen Jahre neue und wichtige
Erkenntnisse gebracht haben. Sie zeigen sich aber mehr in einer präziseren Fragestellung als in fundierten Antworten. Erst
die modern durchgeführten Forschungsarbeiten geben einen
Einblick in die ungeheure Komplexität eruptiver vulkanischer
Dynamik. Die Wirklichkeit von Lavafontänen, die über Stun­
den und Tage anhalten und viele hundert Meter hoch sind,
bereitet den mit den Prinzipien der Physik und der Strömungsmechanik vertrauten Vulkanologen heute sehr viel
mehr Kopfzerbrechen als ihren Kollegen aus früheren Zeiten.
So grundlegende Fragen, wie welche Ursachen für die Änderungen im eruptiven Verhalten eines Vulkans maßgebend sind
oder warum und wann ein Feuerberg aus einem inaktiven in
einen aktiven Zustand übergeht, können heute genausowenig
beantwortet werden wie in früheren Zeiten. Kaum ein Vulkan
der Erde ist besser untersucht als der Vesuv bei Neapel. An
seinen Flanken wurde 1857 das weltweit erste Institut für die
Physik der Erde gegründet und der erste Seismograph aufge­
stellt. Weit über tausend wissenschaftliche Artikel wurden
über den Aufbau und die vulkanische Tätigkeit des Berges ge­
schrieben. Trotz dieses hohen Wissensstandes läßt sich eine
fundamentale und für das umliegende Land entscheidende
Frage nicht einmal im Ansatz beantworten: Warum ist nach
einer fast pausenlosen Aktivitätsphase zwischen den Jahren
1631 und 1944 der große Vesuvkrater heute völlig ruhig? Der
Vesuv begann seine Tätigkeit vor über 15000 Jahren. Schon
allein aus Gründen der Erhaltungstendenz im Ablauf geologi­
scher Prozesse ist es unwahrscheinlich, daß mit dem Jahr
1944 die vulkanische Tätigkeit des Berges für alle weiteren
Zeiten erloschen sein soll. Auch mit dem ganzen Wissen der
modernen Vulkanologie und ihren hochqualifizierten Meßmöglichkeiten ist jedoch keine auch nur einigermaßen befrie­
digende Antwort auf Fragen möglich, wie: Kommt der nächste Ausbruch in einer Woche oder in tausend Jahren? Wie
sieht dann der Übergang von der Ruhe- in die Aktivitätsphase
70
aus? Dauert er eine Stunde, eine Woche oder länger? Welche
visuell und instrumentell beobachtbaren Vorläufer gehen ei­
ner neuen Tätigkeit voraus? Geowissenschaftler können diese
Probleme nur angehen, ohne zu wissen, ob und wann sie jemals beantwortet werden können.
Historische Erklärungen und Konsequenzen
In der Naturphilosophie der Antike wurden Vulkane als unwichtige Begleiterscheinungen von Erdbeben angesehen. Das
griechische Festland ist frei von Vulkanen, und auch die vul­
kanischen Inseln der Ägäis und der Vesuv waren in dieser Zeit
wenig oder nicht aktiv. Die eruptive Tätigkeit der Äolischen
Inseln mit Vulcano und Stromboli wurde zwar in Schriften
vermerkt, doch war die Inselgruppe zu abgelegen, um auf das
Phänomen des Vulkanismus größere Aufmerksamkeit zu lenken. Lediglich der Ätna in Sizilien war von Interesse. Anfänglich wurden im Altertum alle feuerspeienden Berge als „Ätna“
bezeichnet, bis dann der Name des Feuerbergs der Insel Hie­
ra, das spätere Vulcano im Tyrrhenischen Meer nördlich Siziliens, namensgebend wirkte. Für Aristoteles war bewegte und
in der Erde eingespannte Luft die Ursache von Erdbeben. Die
Feuererscheinungen der Vulkane erklärte er als Entzündungen
der komprimierten Luft. Eingehende Beschreibungen der vul­
kanischen Tätigkeit im Mittelmeerraum lieferte der Stoiker
Posidonius. Er suchte nach einem Brennmaterial und gab
Schwefel und Bergteer (Asphalt oder Pech) als wärmeerzeugende Substanzen an. Im europäischen Mittelalter wurden die
Gedanken der Antike mit dem Glauben des Christentums an
die Bibel als Quelle aller Erkenntnisse verknüpft. Die Vulkane
waren Pforten zum Höllenfeuer aus Pech und Schwefel. Unter
dem Deckmantel der Religion wurden phantastische Spekulationen geäußert.
Ende des 18. Jahrhunderts begann in Physik und Chemie
eine Zeit vieler großer Entdeckungen. Die Euphorie ermunterte bekannte Forscher aus diesen Gebieten zu Aussagen über
die Herkunft und Natur der vulkanischen Wärme. Unterstützt
71
von dem französischen Physiker Gay-Lussac vertrat der große
englische Chemiker Davy die Anschauung, Vulkanismus beruhe auf den exothermen Reaktionen beim Zutritt von Was­
ser zu Alkalien und anderen Elementen im nichtoxidierten
Zustand. Auch die in dieser Zeit noch sehr geheimnisvolle
Elektrizität wurde zu Erklärungsversuchen herangezogen. So
sollte z.B. Reibungselektrizität aus der Erde austretenden
Wasserstoff zum Brennen bringen.
Der Beginn der modernen Vulkanologie ist untrennbar mit
dem Namen von Sir William Hamilton verknüpft. Hamilton,
englischer Botschafter am Königshof in Neapel, war fasziniert
von dem Ende des 18. Jahrhunderts, sehr tätigen Vesuv und
wurde ein begeisterter Vulkanologe. Im Gegensatz zu vielen
anderen Gelehrten seiner Zeit erkannte er, daß verläßliche
Aussagen zu Herkunft und Wesen des Vulkanismus nicht, wie
er sagte, vom bequemen Sessel aus, sondern nur auf der
Grundlage umfangreicher Feldbeobachtungen und deren In­
terpretation zu machen sind. Er unterschied Fließformen von
Lavaströmen, ließ erstmals chemische Analysen von vulkanischen Gesteinen und Gasen durchführen und zeigte, daß
Vulkanberge als Aufschüttungskegel entstehen. Seine Hauptleistung besteht in der auf vielen Beobachtungen basierenden
Folgerung, daß der Herd eines vulkanischen Feuers weit in
der Tiefe sitzt und Vulkanismus ganz allgemein eine
Nachwirkung von Vorgängen während der Entstehung des
Planeten Erde darstellt. Johann Wolfgang von Goethe traf bei
seinen italienischen Reisen mehrmals mit Hamilton zusammen. Trotz der überzeugenden Argumente Hamiltons ließ
Goethe sich jedoch nicht von seiner Vorstellung abbringen,
Vulkanismus beruhe auf „Erdbränden im Gefolge grenzenlos
ausgedehnter Kohlenlager“.
Hamiltons umfangreiche, nicht selten unter Lebensgefahr
vorgenommenen Untersuchungen am Vesuv und an anderen
Vulkanen, also „am Objekt“, waren der Schlüssel zu seinem
Erfolg. Viele der an ein Labor gewöhnten Physiker und Chemiker jener Zeit wollten sich offenbar den Strapazen von
Bergbesteigungen und Feldaufnahmen nicht unterziehen und
72
gaben nach erfolglosen Spekulationen ihre Beschäftigung mit
dem Vulkanismus weitgehend auf. Die Vulkanologie wurde
fortan zur Domäne von Geographen und Geologen. Unter
den wenigen Ausnahmen findet man den berühmten Chemi­
ker Robert Bunsen, der Ende des 19. Jahrhunderts noch heute
gültige Arbeiten zum Ausbruchsgeschehen von Geysiren
durchführte.
In den Vulkanen besitzen wir ein Fenster zu einem uns
sonst unzugänglichen tieferen Erdinneren. Hamilton war ein
Wegbereiter zu der Erkenntnis, daß nur durch eine umfangreiche, systematische und nach wissenschaftlichen Prinzipien
am Vulkan vorgenommene Datenaufnahme Aussagen über
das Erdinnere zu machen sind. Der Wissenschaftler versucht
nun, zwischen seinen Beobachtungen („Daten“) und seinen
zwar nach logischen und naturwissenschaftlichen Gesetzmä­
ßigkeiten, aber dennoch weitgehend willkürlich zustandege­
kommenen Erklärungsversuchen zur Wirkungsweise eines
Vulkans eine Brücke zu schlagen. Die zur Verfügung stehenden Daten stellen jedoch immer nur eine gewisse Teilmenge
der am Vulkan ablaufenden Phänomene dar. Technische wie
finanzielle Hintergründe erzwingen Kompromisse, während
sich der Beobachtungszeitraum nur auf einen Bruchteil im Le­
ben des Vulkans erstreckt. Daraus wird verständlich, daß sich
ganz verschiedene und sogar widersprüchliche Modellvorstel­
lungen zur Wirkungsweise von Vulkanen mit den Beobachtungen in Einklang bringen lassen und eindeutige Aussagen
nicht immer möglich sind. Erweiterte Vulkanbeobachtungen
mit neuen Erkenntnissen, beispielsweise aus der Strömungs­
mechanik oder im Verhalten von Materie bei hohen Temperaturen und Drücken, schränken die Auswahl möglicher Model­
le zwar ein, doch gilt auch hier die Regel „je präziser die
Aussage, desto unsicherer ist sie zu bewerten“.
73
2. Aufschmelzvorgänge im Erdmantel
Magmenbildung in Dehnungsstrukturen
Bis Ende des 19. Jh. wurde für den Aufbau der Erde angenom­
men, eine 20 bis 50 km mächtige feste Kruste (die „Panzer­
decke“) spanne sich weltweit über einen darunter liegenden
„Magmaozean“. Erst mit den Untersuchungen zur Ausbrei­
tung von Erdbebenwellen wurde erkannt, daß außer dem in
2900 km Tiefe beginnenden metallischen Erdkern der Erdkörper eine etwa Stahl entsprechende Scherfestigkeit besitzt
und damit sicher nicht als flüssig angesehen werden kann.
Dies war zunächst erstaunlich, denn viele junge Gesteine der
Erdoberfläche weisen eindeutig auf eine Erstarrung aus einem
schmelzflüssigen Zustand hin, und die aktuellen Lavaströme
der Vulkane zeigen, daß auch heute noch Gesteinsschmelzen
in der Erde vorkommen müssen.
Erst durch die in der Mitte dieses Jahrhunderts möglich
gewordenen präzisen Messungen zur Ausbreitung von Erdbe­
benwellen fand man im oberen Erdmantel eine geringe Abnahme in der Ausbreitungsgeschwindigkeit seismischer Signale und eine leicht erhöhte Absorption bei Scherwellen. Ein
Vergleich mit im Labor vorgenommenen Hochdruckversuchen an Gesteinen ließ daraus im Tiefenbereich von etwa 100
bis 200 km eine Erdtemperatur nahe der Schmelztemperatur
des Mantelgesteins erwarten. Die Vermutung eines Aufschmelzens von Teilkomponenten des heterogen zusammen­
gesetzten Mantelgesteins, eines „partiellen Schmelzens“, lag
somit nahe.
Allerdings wurde erst mit der auf Konvektionsströmen basierenden Plattentektonik eine plausible Deutung zum Entste­
hen partieller Schmelzen in der Erde gefunden. Am Beispiel
der ozeanischen Schwellen oder Rücken soll der Vorgang ver­
deutlicht werden.
Greifen wir aus 200 km Tiefe ein kleines Volumelement
Erdmantelgestein heraus. Mit dem Aufstieg im Konvektions­
strom erfährt die Probe eine Druckentlastung. Bei der für
74
Vorgänge im tieferen Erdinneren schnellen Strömungsge­
schwindigkeit von einigen Millimetern pro Jahr ist die Wärmeabgabe an die Umgebung über Wärmeleitung vernachläs­
sigbar. Der Vorgang kann deshalb als adiabatisch angesehen
werden, man spricht von adiabatischer Dekompression.
Druckversuche an Material, wie es im Erdmantel vorkommt,
haben gezeigt, daß in den Phasenübergängen (fest zu flüssig
oder flüssig zu fest) sowohl die Solidus- als auch die Liqui­
duskurven des Gesteins bei geringer werdender Druckbelastung zu tieferen Temperaturen verschoben werden. Infolge
der Heterogenität des Gesteins und seiner Zusammensetzung
aus vielerlei Mineralkomponenten fallen Solidus- und Liqui­
duskurve nicht zusammen. Unterhalb der Soliduskurve sind
alle Mineralkomponenten in der festen, oberhalb der Liquiduskurve alle in der flüssigen Phase. Zwischen den beiden
Kurven liegt ein Zustand ähnlich dem eines wassergetränkten
Schwammes. In der festen Matrix des Korngerüstes befinden
sich fluide Tröpfchen.
Ein typisches Gestein des oberen Erdmantels ist Peridotit.
Steigt dieses Material aus einer Umgebungstemperatur von
1500° C auf, so wird bei einem hydrostatischen Druck von
30 kb, entsprechend etwa 100 km Erdtiefe, die Soliduskurve
überschritten, und es findet ein partielles Aufschmelzen statt.
Die für den Schmelzprozeß benötigte latente Wärme führt danach zu einer schnelleren Abnahme der Temperatur in Richtung Erdoberfläche. Während in der Solidusphase die vertika­
le Temperaturänderung ca. 0.5 °C/km beträgt, steigt sie im
Aufschmelzbereich auf den zehnfachen Wert. Ohne diese
Stabilisierung wäre die Erdoberfläche entlang der ozeanischen
Rücken von riesigen Magmaseen bedeckt.
Im Zentrum der ozeanischen Schwellen erreicht der Konvektionsstrom bei ca. 6 km Tiefe die geringste Entfernung zur
Oberfläche. Beim Ablenken des Stromes in die horizontale
Richtung kühlt er mit zunehmender Entfernung von der
Schwellenachse ab, und es kommt zu einer Verdickung der
entstehenden Lithosphärenplatte. Gleichzeitig nimmt symmetrisch zum ozeanischen Rücken der von Temperatur und
75
Druck abhängige Prozentsatz der partiellen Schmelze im Festgestein ab. An der Rückenachse beträgt die Aufschmelzung 20
Prozent, in einigen hundert Kilometern Entfernung sind es nur
noch wenige Prozent. Entsprechend ändert sich auch der
Chemismus: In der Nähe der ozeanischen Rücken herrschen
tholeitische Basalte vor, weiter weg sind es alkalische Basalte.
Die Tröpfchen in der festen Gesteinsmatrix stellen das Ausgangsprodukt für den an der Erdoberfläche beobachteten
Vulkanismus dar. Der erste Schritt zum Vulkanismus bedingt
eine Anreicherung der fluiden Phase. Um eine Trennung der
Fluid- von der Festphase zu ermöglichen, müssen jedoch die
mikroskopischen Porenräume, in denen sich die Tröpfchen
zwischen den Mineralkörnern befinden, durch Kanäle ver­
bunden sein, d.h. die Schmelzpartikel und Fluide müssen in
einem makroskopischen Volumen zusammenhängen. Ob ein
offenes Porenvolumen vorliegt, hängt von der Oberflächenspannung und der Oberflächenenergie der beteiligten Mineralkomponenten ab. Die aufgeschmolzenen Mineralkomponenten weisen gegenüber dem festen Rest ein geringeres
spezifisches Gewicht auf. Der Umstand ist nicht selbstverständlich und gilt vermutlich nicht mehr für Tiefen unterhalb
von etwa 300 km.
Die in einem Netzwerk von Adern zusammenhängenden
und spezifisch leichteren Schmelztröpfchen erfahren nun einen
archimedischen Auftrieb. Gleichzeitig drückt aber die Auftriebskraft des Magmas auf die Wände des umgebenden Festgesteins und drängt sie durch plastisch erfolgende Deforma­
tionen zurück. In der Folge erweitern sich die Adern zu
Kanälen, die dann die Fördergänge für die Schmelze, also für
das Magma, bilden. Das fließende Magma kann Stücke aus
dem umgebenden Festgestein herauslösen oder herausreißen
und mit der Strömung wie in einem Fahrstuhl an die Erdoberfläche transportieren. Diese Fremdkörper nennt man
Xenolithe. Sie stellen für uns die einzige Möglichkeit dar,
weitgehend unverfälschtes Gestein aus dem Erdmantel zu erhalten. Manchmal werden sie auch „Meteorite aus dem Erdinneren“ genannt. Solche aus dem Material des Erdmantels
76
Schnitt quer zu einer mittelozeanischen Schwelle. Die durchgehend ge­
zeichneten Linien stellen die Strömungspfade von aus dem Erdmantel auf­
steigenden, duktil fließenden Gesteinen dar. Die Strömung divergiert
symmetrisch zur Schwellachse, kühlt ab und führt zu einer Verdickung
der Lithosphäre mit zunehmendem Abstand. Unterhalb der Schwellachse
bildet sich eine Zone partieller Aufschmelzung, deren Strömung zur
Schwellachse konvergiert und dort Vulkanismus hervorruft.
(Zchg. Peter Schick, nach einer Vorlage von St. Sparks)
bestehenden Xenolithe können die Größe eines Fußballs erreichen. Dies läßt den Schluß zu, daß die Förderkanäle für das
Magma schon im Erdmantel eine beträchtliche Weite besitzen.
Nur ein kleiner Teil des Magmas wird bis zur Erdoberflä­
che gefördert. Mit abnehmender Erdtiefe nimmt die Dichte
des die Schmelze umgebenden Gesteins und damit auch die
Auftriebskraft ab. Vermutlich wäre an der Erdoberfläche kei­
ne vulkanische Aktivität erkennbar, würden nicht zusätzliche
Kräfte in das Spiel eintreten: die tektonischen Kräfte. Wirkt
zusätzlich zum allseitigen Bergdruck in horizontaler Richtung
eine Kompression, so werden Gebirge aufgefaltet, wirkt eine
Dilatation, entstehen Dehnungsstrukturen und Gräben. Nur
zusammen mit den in der Erde wirkenden horizontalen Deh­
nungskräften reicht die Auftriebskraft des Magmas aus, um
gegenüber dem hydrostatischen Bergdruck kleine, vertikal
stehende Adern zu Rissen und diese wiederum zu Spalten und
Gängen zu erweitern und damit dem Magma eine Wegsam77
keit in Richtung Erdoberfläche zu schaffen. Es bedarf also des
Zusammentreffens einer Reihe günstiger Faktoren, um an der
Erdoberfläche Vulkanismus hervorzurufen. Selbst bei Reisen
in bedeutende Vulkangebiete ist es für einen interessierten
Touristen nicht einfach, eruptiven Vulkanismus in Form von
Lavaströmen oder großen Aschenwolken in eigener Anschau­
ung zu erleben. Eruptiver Vulkanismus ist, weltweit gesehen,
ein seltenes Ereignis.
Magmenbildung in Kompressionsstrukturen
Etwa zehn Prozent des heute aktiven Vulkanismus auf der Er­
de befindet sich an mittelozeanischen Schwellen, 80 Prozent
jedoch an konvergenten Plattengrenzen und Subduktionszonen. Der „Ring of Fire“ um den Pazifik ist ein typischer Sub­
duktionsvulkanismus. Während Schmelzprozesse, hervorgerufen durch die Dekompression von aufsteigendem, heißen
Mantelmaterial entlang ozeanischer Rücken, plausibel erscheinen, sind Erklärungen für das Auftreten von Vulkanis­
mus an Subduktionszonen wesentlich schwieriger zu finden.
Die Lithosphärenplatten tauchen ja gerade deshalb ab, weil
sie durch Abkühlung schwerer werden. Eine entscheidende
Rolle spielt das vom Gestein beim Transport der Platte von
der ozeanischen Schwelle zur Subduktionszone aufgenommene Wasser. In der Nähe der ozeanischen Schwellen sind die
Basaltdecken noch heiß und weisen tiefreichende Spalten auf.
Durch hydrothermale Vorgänge in Tiefen bis zu mehreren
Kilometern und bei Temperaturen von über 300° C werden
vor allem in der oberen Schicht der Platte die Basaltgesteine in
hydratreiche Mineralien, wie Amphibolite und Serpentinite,
umgewandelt. Darüber kann während des Transports eine
dicke Sedimentschicht mariner und stark wasserhaltiger Ge­
steine abgelagert werden. Die Lithosphärenplatte wird beim
Eintauchen in den heißeren Erdmantel durch Wärmeleitung
langsam aufgeheizt. Die jetzt einsetzenden chemischen und
mineralogischen Veränderungen sind komplex und in ihrer
Beschreibung nicht frei von spekulativen Annahmen. Mit
78
steigender Temperatur tritt eine Dehydratisierung ein, und
zwischen den Silikaten lagern sich Wassermoleküle und
Hydroxylgruppen an, die die chemische Aktivität verringern
und den Schmelzpunkt der Gesteine um mehrere hundert
Grad herabsetzen. Durch den beim weiteren Abtauchen der
Platte zunehmenden hydrostatischen Druck lösen sich einige
Silikatverbindungen in Wasser und führen zu einer weiteren
Verringerung des Soliduspunktes.
Die leichteren Bestandteile der entstehenden Fluide erfahren
einen archimedischen Auftrieb, lösen sich von der subdu­
zierenden Platte ab und treten auf ihrem Weg in Richtung
Erdoberfläche in Reaktion mit den Gesteinen des oberen
Erdmantels. Die Breite der Vulkangürtel in Richtung der abtauchenden Platte übersteigt selten einige hundert Kilometer
und ist damit im Vergleich zu ihrer Längsausdehnung schmal.
Dies zeigt, daß die Entstehung von Schmelzen in den subduzierenden Platten offenbar nur in dem engen Tiefenbereich
von etwa 80 bis maximal 200 km erfolgt und damit auf die
dort herrschenden Temperaturen und Drücke beschränkt ist.
In diesen Tiefen treten auch bevorzugt Erdbeben auf.
Aufschmelzvorgänge und Vulkanbildung an einer Subduktionszone.
79
Der an konvergenten Plattengrenzen auftretende und mit
Subduktion verbundene Vulkanismus zeigt in der Form seiner
eruptiven Tätigkeit, in den Förderprodukten und in der Landschaftsbildung ein sehr unterschiedliches und komplexes
Verhalten. Es können zwei Grenzfälle unterschieden werden:
Eine ozeanische Lithosphärenplatte taucht unter eine darüber
hinweggleitende ozeanische oder kontinentale Platte. In der
überschiebenden Platte tritt eine Abfolge verschiedener geo­
logischer Erscheinungsformen auf: Vom offenen Ozean in
Richtung Subduktion kommt zuerst ein angelagerter Keil mit
gefalteten Sedimenten und von der Oberkante der abtauchen­
den Platte abgehobelten Bruchstücken ozeanischer Kruste
(Ophiolite). Die am stärksten gehobenen Teile des Keils
bilden ein äußeres Hochgebiet, an das sich ein Becken mit
Sedimenten aus den benachbarten Hochgebieten anschließt.
Bewegt man sich weiter landeinwärts, so erreicht die subduzierende Platte in 100 bis 200 km Tiefe die Zone mit partiel­
ler Aufschmelzung. Ist die überschiebende Platte ozeanische
Lithosphäre, so bildet sich aus den aufsteigenden Produkten
ein Inselbogen. Beispiele dafür sind Indonesien, die Aleuten,
die Marianen oder der karibische Inselbogen. Bei kontinenta­
ler Lithosphäre entsteht ein breiter Vulkangürtel am Konti­
nentalrand. Beispiele dafür sind das Hochgebirge der Anden
am Westrand Südamerikas und das Kaskadengebirge in Kali­
fornien. In einigen der überschiebenden Platten werden hinter
dem Vulkangürtel Dehnungsstrukturen beobachtet, welche zu
einer Krustenverdünnung mit Senkungsstrukturen und Vul­
kanismus führen. Die Ursachen hierfür sind ziemlich umstrit­
ten. Die Absenkungen können zu Randmeeren, wie dem Japanischen Meer oder der Javasee, führen. Manche Forscher
rechnen auch die Ägäis im östlichen Mittelmeer dazu.
Der Chemismus der über Subduktionszonen austretenden
vulkanischen Förderprodukte hängt in erster Linie von der
Art und Mächtigkeit des Gesteinspakets ab, welches die
Schmelzen auf ihrem Weg an die Erdoberfläche durchdringen
müssen. Entlang geologisch junger Inselbögen, wie den Mari­
anen oder den Tonga-Inseln, kommen die Schmelzen weder
80
mit kontinentaler Kruste noch mit dicken Sedimentpaketen in
Berührung. Die Förderprodukte ähneln den siliziumarmen Basalten der ozeanischen Rücken. Mit zunehmendem Alter der
subduzierenden Platten nimmt auch deren Sedimentauflage
zu. Die Schmelzen werden silikatreicher, Andesite und Dacite
nehmen zu. An den Vulkangürteln der Kontinentränder
kommen die Förderprodukte schließlich in Kontakt mit bis zu
70 km mächtigen Krusten aus silikatreichem Gestein. In dem
leichten Krustengestein reduziert sich der archimedische Auftrieb durch die kleiner werdende Differenz der spezifischen
Gewichte zwischen Schmelze und Umgebungsgestein. Vermutlich erreicht der weitaus größte Teil der gebildeten
Schmelzen nicht mehr die Erdoberfläche. Es bilden sich In­
trusionskörper in und an der Unterkante der Kruste. Die Ent­
stehung von Granitvorkommen wird mit derartigen Intrusio­
nen in Verbindung gebracht.
3. Eruptivgesteine
Terminologie
Eruptivgesteine oder Magmatite sind Kristallisationsprodukte,
die beim Abkühlen der aus der Tiefe stammenden Gesteinsschmelze, dem Magma, gebildet werden. Beim Magma handelt
es sich im allgemeinen um einen heterogen zusammengesetz­
ten, silikatreichen Schmelzbrei, der neben gelöstem Gas auch
Kristalle enthalten kann. Erreicht das Magma nicht die Erd­
oberfläche, sondern kristallisiert langsam in der Tiefe aus, entstehen mittel- bis grobkörnige Plutonite. Granit ist ein derart
gebildetes Tiefengestein. Beim Aufsteigen des Magmas läßt der
hydrostatische Druck nach, und das Magma beginnt zu entgasen. Das an der Erdoberfläche ohne die flüchtigen Bestandteile austretende Magma wird als Lava bezeichnet. (Das Wort
Lava wird vom lateinischen labes, d.h. Fall oder Erdrutsch
abgeleitet, in Süditalien wird es sowohl für Sturzfluten von
Wasser wie vom Vulkan abgehende Schmelzströme verwendet.) Die aus den Laven entstehenden vulkanischen Gesteine
81
heißen Vulkanite. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie durch Ausfluß oder Auswurf der Laven entstanden sind. Bei explosiver
vulkanischer Tätigkeit können flüssige oder feste Lavafragmente zwischen Staubkorngröße und Brocken von mehreren
Tonnen Gewicht in die Atmosphäre geschleudert werden. Sie
werden Pyroklastika genannt. Vulkanische Aschen können bei
der Rückkehr zur Erde riesige Sedimentmächtigkeiten bilden
und sich unter dem Einfluß von Wasser zu Tuffen verfestigen.
Unverfestigte Pyroklastika werden als Tephra bezeichnet.
Beschreibung von Eruptivgesteinen
Die Vulkanite haben nur noch wenig mit dem Muttergestein
gemein, aus dem sie entstanden sind. Schon die partielle
Schmelze (das primäre Magma) ist ein Derivat aus der Astenosphäre oder der subduzierenden Platte. Beim Aufstieg
reagiert die Schmelze thermisch und chemisch mit dem Um­
gebungsgestein. Der Vorgang kann sich auf einen reinen
Wärmeaustausch reduzieren, wenn mit der Wärmemenge
einer spezifisch schwereren Substanz neue und leichtere
Schmelze aus dem umgebenden Gesteinsverband gelöst wird
und nur noch diese Komponente einen Auftrieb erfährt. Je
mehr Zeit für den Aufstieg benötigt wird, umso größere Modifikationen können eintreten. Tritt während des Transports
der Schmelze oder des Fluids eine Abkühlung ein, so kann die
partielle Schmelzbildung in eine fraktionierte Kristallisation
umgekehrt werden. Ein späteres Wiederaufschmelzen ist nicht
ausgeschlossen. Magma ist ein sehr allgemeiner, „primäres
Magma“ ein recht hypothetischer Begriff.
Die Untersuchung und Einteilung von Magmatiten und ihren Abkömmlingen fällt in den Bereich der Petrologie. Aus ursprünglich einfach zusammengesetzten Magmen können sich,
abhängig von den während des Transports vorherrschenden
Druck- und Temperaturbedingungen, den Transportgeschwin­
digkeiten und dem Chemismus des umgebenden Materials,
eine ungeheure Vielzahl von Gesteinszusammensetzungen
ausbilden. Klassifikation und Benennung der Gesteine wurden
82
früher häufig aus ihren Fundstätten abgeleitet. Heute werden
sie allgemein den jeweils verwendeten Verfahren zu ihrer Bestimmung angepaßt. Mit den im Laufe der Zeit verfeinerten
Meßmethoden lassen sich immer zweckmäßigere Einteilungen
vornehmen, doch sind historisch gewachsene Namen und
Klassen nur schwer auszuräumen. Erschwerend wirkt sich
aus, daß die Zusammensetzung der Gesteine aus den sie bil­
denden Mineralien und Mineralgruppen ein Kontinuum ohne
scharfe Abgrenzungen bildet. Daraus entwickelte sich ein Begriffswirrwarr, das von Außenstehenden nicht leicht zu
durchschauen ist. Es gibt heute über tausend verschiedene
Namen für Eruptivgesteine.
Zunächst wurden Vulkanite nur nach der mit bloßem Auge
unterscheidbaren Farbe, dem Korngefüge und den vorherrschenden Einsprengungen unterschieden. Dunkle Laven wur­
den Basalte genannt. Nach den sichtbaren Kristallen unter­
schied man Olivinbasalte, Feldspatbasalte u. a. Waren keine
Kristalle zu sehen, sprach man von Aphaniten. Phonolite waren helle Laven, welche beim Anschlagen klangen. Von Beginn an wurde der Anteil von Quarz (SiCh) im Gestein als
ganz wesentliches Unterscheidungsmerkmal erkannt. Da man
die Silikate als Abscheidungen von Siliziumsäure ansah, wurde mit „sauer“ und „basisch“ der Gehalt an SiÜ2 zum Ausdruck gebracht. Heute werden zur Unterscheidung des Bestands an SiÜ2 mehr die Ausdrücke „felsisch“ (für hohen
Quarzanteil) und „mafisch“ (für niederen Quarzanteil) ver­
wendet. Sie ergeben sich aus einer Summe heller oder dunkler
erscheinender Gemengteile im Dünnschliff einer Gesteinspro­
be unter dem Polarisationsmikroskop.
Zwischen dem Gefüge oder der Textur eines magmatischen
Gesteins und seiner Entstehung besteht häufig eine enge Bindung. Aus der Korngröße der erstarrten Vulkanite kann auf
die Viskosität und den Kristallisationszustand der Schmelze
bei der Förderung und auf die nachfolgende Abkühlungsge­
schwindigkeit geschlossen werden. In einer dünnflüssigen und
sich langsam abkühlenden Schmelze haben die Kristallkeime
genügend Zeit, sich zu größeren Kristallen zusammenzufügen.
83
Grobkörniges Gefüge ist typisch für eine Erstarrung in größeren Tiefen. Die in Vulkaniten oft zu beobachtenden Ein­
sprengunge in Form größerer Kristalle bildeten sich aus, wäh­
rend die Schmelze langsam abkühlte. Der Vorgang wurde
dann durch eine Eruption gewaltsam unterbrochen, und an­
schließend erstarrte die noch nicht kristallisierte Grundmasse
an der Erdoberfläche schnell zu einem feinen Gefüge. Bei der
schnellen Abkühlung kieselsäurereicher und hochviskoser La­
ven kann die Kristallbildung vollkommen unterdrückt werden, und es bilden sich vulkanische Gläser, z.B. Obsidiane,
aus. Unter dem Mikroskop ermittelte Gesteinsgefüge ergeben
so einen ersten Anhaltspunkt zur geologischen Stellung und
zur Herkunft des Gesteins.
Die moderne Einteilung der Eruptivgesteine wird vorwiegend nach Mineralbestandteilen und chemischen Merkmalen
vorgenommen. Minerale sind Gemengteile von Gesteinen. Bei
den Magmatiten, und in der Zusammensetzung der Erdkruste
ganz allgemein, spielen Feldspäte eine herausragende Rolle.
Feldspäte sind chemisch relativ einfach zusammengesetzte Silikate, die, mit Silizium als Hauptbestandteil, in verschiedenen
Mengen und Gerüststrukturen Natrium, Kalium, Kalzium
und Aluminium enthalten. Häufig werden magmatische Gesteine nach ihrer mengenmäßigen Lage innerhalb eines
QAPF-Doppeldreieckes eingeteilt und benannt. Die vier Eckpunkte des Doppeldreiecks bilden Quarz (Q), Alkalifeldspat
(A), Plagioglas (P) und Feldspatoide (F).
Bei anderen Methoden wird von Diagrammen ausgegangen, in denen die prozentualen Gewichtsanteile der im
Gestein enthaltenen Alkali (Na2O+K2O) gegenüber SiCh auf­
getragen werden. In diesen Darstellungen schälen sich Gesteinsverwandtschaften heraus. Sie werden zu Magmengruppen zu­
sammengefaßt, die als granitisch, dioritisch usw. bezeichnet
werden. In der petrochemischen Unterscheidung treten drei
Gesteinsreihen hervor: die Kalkalkali-Reihe, die Alkali-Reihe
mit Natronvormacht und die Alkali-Reihe mit Kalivormacht.
Die wichtigsten Vulkanite innerhalb der Kalkalkali-Reihe sind
mit abnehmendem Gehalt an SiCh: Ryolith, Rhyodacit, Dacit,
84
Andesit, Tholeitbasalt und Pikrit. Von Bedeutung ist die Korrelation, welche zwischen den einzelnen Gesteinsgruppen und
der Tektonik ihres Vorkommens besteht. Silikatarme Vulka­
nite, wozu die große Klasse der Tholeitbasalte gehört, treten
vorzugsweise an mittelozeanischen Schwellen auf, silikatreiche Vulkanite dagegen an Subduktionszonen.
4. Eruptionsmechanismen
Um die Mittagszeit des 24. September 1986 wurde am Nordostkrater des Vulkans Ätna auf Sizilien nach einer längeren
Ruhepause wieder eine kleine, weiße Dampfwolke beobachtet. Dies war nichts Ungewöhnliches. Mindestens einer der
vier Gipfelkrater des Ätna ist ständig mit Dampf-, Aschenoder auch Schlackenwurftätigkeit in einem aktiven Zustand.
Große Explosionen sind jedoch selten. Dieser Tag ging aber in
die Eruptionsgeschichte des Ätna ein. Innerhalb einer Stunde
entwickelten sich aus der diffusen Wolke scharf gebündelte
Dampfstrahlen, die zischend einige hundert Meter zum Him­
mel aufstiegen. Gegen 14 Uhr ging die Farbe der Vulkanemission von weiß in schwarz über. Die Schmelze im Krater
begann zu sieden, und eine starke Entgasung setzte ein.
Schmelztröpfchen lösten sich ab, wurden vom Sog der Ther­
mik mitgerissen und als erkaltete, schwarze und feste Asche
aus dem Kraterschlot geblasen. Häufig stellt dieser Zustand
den Höhepunkt einer Aktivitätsphase dar und klingt nach
kurzer Zeit wieder ab, manchmal zur Enttäuschung der Vulkanologen und Touristen. Nicht jedoch an diesem Tag. Gegen
15 Uhr wurde die explosive Tätigkeit nicht nur heftiger, die
Ausstöße traten jetzt im Sekundentakt rhythmisch auf. Als
Folge entwickelte sich eine kilometerhohe Eruptionswolke mit
der Struktur eines riesigen Blumenkohls. Die daraus nieder­
fallenden Pyroklastika wurden größer. Noch in einer Kraterentfernung von 6 km gingen kirsch- bis nußgroße Lavafrag­
mente, Lapilli genannt, nieder. Unter dem Eindruck dieses
seltenen Schauspiels und in der Annahme, der Ausbruch habe
seinen Höhepunkt erreicht, schoß ein bekannter Ätnafotograf
85
seine Filmkassetten leer. Entgegen allen Erwartungen der Experten war der Klimax der Eruption aber immer noch nicht
eingetreten. Kurz nach 18 Uhr begann die Wolke zu glühen,
und wenig später stand über dem Krater eine Lavasäule von
1000 m Höhe. In der Fontäne wurden dunkle Punkte beobachtet. Es handelte sich um aus den Kraterwänden gerissene,
tonnenschwere Blöcke, die später in dem weiten Gipfelbereich
des Ätnas gefunden wurden. Mit bloßem Auge konnten bis zu
einer Minute dauernde Flugzeiten der Blöcke erkannt werden.
Sie entsprechen ballistischen Austrittsgeschwindigkeiten von
über 100 m/s.
Es gibt jedoch noch viel stärkere Eruptionen. Bei der Tätig­
keit des Vulkans Pinatubo auf den Philippinen schätzte man
die maximalen Förderraten der Pyroklastika bei Austrittsgeschwindigkeiten von 600 m/s auf eine Million Kubikmeter
pro Sekunde.
Woher kommen die antreibenden Impulse? Die für den
Magmenaufstieg in Erdmantel und Kruste verantwortlichen
archimedischen Auftriebskräfte sind zur Erklärung der beobachteten schnellen Förderung um viele Größenordnungen zu
klein und können von vornherein ausgeschlossen werden. Aus
verständlichen Gründen erfordern alle Beobachtungen zur
Eruptionsdynamik einen gewissen Sicherheitsabstand zur
Quelle. Versuche, mit Gasanalysatoren ausgerüstete Roboter
in aktive Vulkankrater einzuführen, sind trotz aufwendiger
Technik mehr oder weniger gescheitert. Um nur ein Beispiel
zu nennen: Am Vulkan Ätna sollten über Funk ferngesteuerte
Modellflugzeuge Proben aus dem Inneren einer Eruptionswolke entnehmen, da die vulkanischen Gase im Randbereich
zu stark von der Erdatmosphäre kontaminiert wurden. Ob­
wohl für die Lenkung der Maschinen ein Europameister im
Modellfliegen engagiert wurde, mußten die Versuche wegen
zu vieler Abstürze in den turbulenten Emissionen bald wieder
aufgegeben werden.
Seismische Messungen geben indirekt einen Einblick in
die im Eruptionsherd ablaufenden Magmaströmungen und
Drücke. Ähnlich dem Rauschen einer Wasserleitung verur86
sacht strömendes Magma im Infraschallbereich ein „Magmarauschen“. Fluktuationen in der Strömungsgeschwindigkeit
des Magmas sind mit Druckänderungen verbunden, die auf
die Schlotwände wirken und sich von dort in der festen Erde
als seismische Wellen („Erdbebenwellen“) ausbreiten. Im
Vergleich zu den mit statischen Feldern (Schwere-, Magnetoder Temperaturfelder) verbundenen physikalischen Meßgrößen ist die Amplitudenabnahme von Wellen mit der Entfernung zur Quelle geringer und kann in „sicherer“ Distanz zum
Eruptionsherd aufgezeichnet werden. Die Klangfarbe des
Wasserleitungsrauschens läßt erkennen, ob es sich um eine
schnelle oder langsame Strömung handelt. Ganz ähnlich werden aus den Frequenzspektren der seismischen Registrierungen Strömungscharakteristiken der Magmenbewegungen abgeschätzt. Das sanfte Strömungsrauschen einer Wasserleitung
kann von harten, oft rhythmischen Schlägen überlagert werden. Man spricht vom Wasserhammer. Vor einigen Jahren
ereigneten sich im Wasserversorgungsnetz der Stadt Stuttgart
Rohrbrüche, die durch einen zunächst völlig unerklärlich hohen Druck zustande kamen. Die Lösung des Rätsels waren im
Wasser eingeschlossene Luftblasen. Sie führten dazu, daß die
Wasserströmung an Rohrverengungen, Verzweigungen oder
Krümmern in einen instabilen Zustand geriet. Die Folgen
zeigten sich im Auftreten hydraulischer Druckstöße, die kurzzeitig den statischen Druck um ein Vielfaches überstiegen und
so die Leitungen sprengen konnten.
Viele Untersuchungen und Überlegungen deuten darauf hin,
daß auch im eruptiven Vulkan die mit Strömungsinstabilitäten verbundenen dynamischen Drücke die Hauptantriebskräf­
te für den explosionsartigen Austrieb der Schmelze darstellen.
Die Löslichkeit der im Magma enthaltenen flüchtigen oder
volatilen Bestandteile nimmt beim Emporsteigen der Schmelze
mit dem kleiner werdenden Auflastdruck ab. Übersteigt der
Dampfdruck den hydrostatischen Druck, so tritt Blasenbil­
dung ein.
In den Volumina der Volatile ragen besonders Wasser­
dampf und Kohlendioxid heraus. Beispielsweise emittiert der
87
Vulkan Ätna auch ohne Zeichen besonderer Aktivität täglich
etwa fünfzigtausend Tonnen Kohlendioxid und eine um ein
Vielfaches höhere Menge an Wasserdampf.
Das mit Blasen angereicherte Magma zeigt bei höheren
Strömungsgeschwindigkeiten ein völlig anderes Strömungsverhalten und eine viel kompliziertere Dynamik als eine blasenfreie Strömung. Allgemein ist bei Blasenströmungen oberhalb bestimmter Fließgeschwindigkeiten das Auftreten von
Druckimpulsen hoher Intensität typisch. Eine bekannte und
mit einem starken Druckimpuls verbundene Strömungsinstabilität tritt auf, wenn die Fließgeschwindigkeit die Schallgeschwindigkeit erreicht oder übersteigt („Düsenjägerknall“).
Die Schallgeschwindigkeit in einer Flüssigkeit hängt von
Dichte und Kompressibilität ab. Flüssigkeiten sind wenig
kompressibel. Führt man einer Flüssigkeit jedoch nur wenige
Volumprozent Blasen zu, so wird die Kompressibilität des
jetzt aus zwei Phasen (gasförmig und flüssig) bestehenden
Fluids wesentlich von der Kompressibilität des Gases, die
Fluiddichte aber weiterhin von der Flüssigkeit bestimmt. Daraus resultiert eine drastische Reduzierung der Ausbreitungsgeschwindigkeit des Schalls. Die Schallgeschwindigkeit in einer
blasenfreien Silikatschmelze beträgt etwa 2000 m/s. Mit einem Volumanteil von einem Prozent Gas sinkt sie aber auf
20 m/s und erreicht dann Werte, welche der Fließgeschwindigkeit des Magmas entsprechen können. Als Folge bildet sich
ein hydraulischer Druckstoß aus, mit dem das Magma nach
oben gepumpt wird.
Vulkaneruptionen werden manchmal mit dem Öffnen einer
Flasche Sekt verglichen. Die Analogie ist jedoch nur scheinbar. Beim Entkorken des Sektes schießt ein schnell abklingender Strahl aus der Flasche. Aktivitäten am Vulkan können
dagegen über Stunden oder Tage anhalten, ohne daß die Intensität sich wesentlich verändert. Offenbar steuern und stabilisieren Rückkopplungsprozesse die Eruptionsdynamik. Mit
Hilfe seismischer Messungen läßt sich die mittlere Strömungsgeschwindigkeit des Magmas beim Übergang zur höheren
Aktivität verfolgen. Es werden Zeitfunktionen beobachtet,
88
Bei Vulkaneruptionen wird häufig ein rhythmisches Ausstoßen der För­
derprodukte aus dem Krater beobachtet. Dieser über Stunden oder Tage
gleichmäßig anhaltende Vorgang legt den Schluß nahe, daß er über eine
Rückkopplung („feed-back“) stabilisiert wird. Dem Prozeß könnte folgender Mechanismus zugrunde liegen:
Bringt man in eine Flüssigkeit (Schmelze) Gasblasen ein, so wird die
Schallgeschwindigkeit des jetzt aus zwei Phasen bestehenden Fluids stark
reduziert (a).
Einige Volumprozente Gas in einer Basaltschmelze ergeben Schallge­
schwindigkeiten von ungefähr 10-20 m/s. Erkaltete und durch Erosion
freigelegte Fördergänge weisen oft Einschnürungen auf. Aus Gründen der
Massenerhaltung erhöht sich an derartigen Engstellen die Strömungsgeschwindigkeit des Magmas, was einen Druckabfall bewirkt und eine Zunahme der Blasen verursacht (b).
Mit dem höheren Blasenanteil ist wiederum eine Absenkung der Schallgeschwindigkeit gekoppelt. Dies kann soweit führen, daß die Schallge­
schwindigkeit den Wert der Strömungsgeschwindigkeit erreicht. Dadurch
wird ein Druckstoß ausgelöst („Überschallknall“), der Schmelze und Gas
in Richtung der freien Oberfläche ausstößt (c), den Blasenanteil in der
Schmelze reduziert und somit wieder den Ausgangszustand mit Unter­
schallbedingungen herstellt. Das System kann so zu Regelschwingungen
angeregt werden, eine mögliche Ursache für die Antriebskräfte und für
den beobachteten periodischen Verlauf im Ausstoß der Förderprodukte.
89
A. Andreäs Apparat
zur experimentellen
Darstellung des
Geiserphänomens.
Die in Vulkaneruptionen auftretenden dynamischen Vorgänge lassen sich
in einem Labormodell nicht ohne Einschränkungen in ihrer Wirkungswei­
se nachbilden. Ein wesentlicher Grund dafür ist, daß bei Verringerung des
Maßstabes Volum- und Flächenkräfte mit unterschiedlichen geometri­
schen Potenzen abnehmen. Trotzdem können einige typische Abfolgen
eruptiver Prozesse auch in kleinem Maßstab qualitativ simuliert werden.
Auf einen mit Wasser gefüllten Behälter wird ein Steigrohr oder Schlauch
aufgesetzt (a).
Erhitzt man die Bodenwanne, so treten beim Sieden die Dampfblasen ru­
hig aus der oberen Öffnung des Rohres aus. Wird jedoch an einer Stelle
des Rohres der Querschnitt verringert (b), so tritt ab einer gewissen Ein­
schnürung ein rhythmisches, explosionsartiges Ausstoßen des Dampfes
auf, wobei Wasser mitgerissen wird. Der Vorgang hat Ähnlichkeit mit
„Strombolianischer Tätigkeit“. Ein ähnlicher Effekt wird erreicht, wenn
statt der Verengung eine Erweiterung („Magmakammer“) eingebaut wird
(c). Experimente in dieser Art wurden schon im letzten Jahrhundert vor­
genommen (d).
(Abb. (d) aus A. Sieberg: Der Erdball. Verlag J. F. Schreiber, Eßlingen
und München, 1908)
90
Der Mechanismus in einem tätigen Vulkan ist dem in einer Dampfma­
schine nicht unähnlich. Beide erzeugen aus einem über Wärme gewonnenen Reservoir potentieller Energie kinetische Energie. Langsame, quasi­
statische Druckänderungen werden mit Hilfe eines über Rückkopplung
gesteuerten Schalters in schnell abfolgende Druckimpulse transformiert.
In der Dampfmaschine bewirkt der mechanische Schieber die Schaltfunktion, beim Vulkan sind es nichtlineare Terme im Strömungsverhalten. Da­
zu gehören Blasenbildung und Blasenkollaps (Kavitation) sowie die Über­
gänge laminar <–> turbulent und Unterschall <–> Überschall. In der
zeitlichen Abfolge der schnellen Druckänderungen findet man typische
Charakteristiken nichtlinearer Oszillatoren.
91
deren Verlauf große Ähnlichkeit mit Ein- und Ausschwingvor­
gängen von Oszillatoren besitzen. Vielleicht ist das Netzwerk
der magmaführenden Kanäle und Reservoirs im Vulkan mit
der Konstruktion eines fluiden Oszillators zu vergleichen.
Fluide Oszillatoren sind in der Hydraulik verwendete Bauelemente zur Verstärkung dynamischer Strömungsvorgänge. Besteht diese Analogie zu rückgekoppelten Oszillatoren, so kann
folgende Vorstellung den Unterschied zwischen Ruhe- und
Aktivitätszustand des Vulkans erklären: Die zur Anfachung
der Eruption erforderliche Rückkopplung erfordert nicht nur
einen Vorrat an potentieller Wärmeenergie, sondern es müssen auch andere Faktoren, wie Materialeigenschaften und
geometrische Abmessungen der Förderkanäle, positiv zusammentreffen, um in dem System eine selbstverstärkende Dynamik zu erreichen. Ist diese Struktur gegeben, dann reicht eine
kleine Störung in einem den Prozeß steuernden Parameter aus,
um einen Übergang von nichteruptiv zu eruptiv einzuleiten.
Ein Vulkan ist in seiner Wirkungsweise einer Dampfmaschine
nicht unähnlich. Mit Hilfe nichtlinear wirkender Transforma­
tionsglieder wird potentielle, statische Wärmeenergie in kinetische Energie, also Bewegungsenergie, umgesetzt. Bei der
Dampfmaschine stellt der Schieber das nichtlineare Element
dar, beim Vulkan können es die Gas- und Dampfblasen sein.
5. Die explosive Wirkung von Vulkanen
Die Stärke eines Erdbebens läßt sich mit Magnitude und In­
tensitätsverteilung bequem und zur Beantwortung vieler Fra­
gen ausreichend genau beschreiben. Bei den vielfältigen Erscheinungsformen vulkanischer Aktivität ist eine brauchbare
Größe zur Angabe einer Explosionsstärke nicht so einfach
festzulegen. Nicht nur zur Klassifizierung von Vulkaneruptio­
nen in Katalogen ist die Einführung eines derartigen Para­
meters dennoch zweckmäßig. So wird z. B. für statistische Un­
tersuchungen des Einflusses von Vulkaneruptionen auf das
Wetter eine Quantifizierung der Eruptionsstärke benötigt.
Obwohl es fast vermessen ist, einen so weit gefaßten und
92
subjektiven Begriff wie Vulkanstärke in einer einzigen Zahl
auszudrücken, wird als Kompromißlösung ein auf die Vulkanologen Karl Sapper (1920) und Alfred Rittmann (1935)
zurückgehender Vulkanischer Explosivitäts-Index (VEI) ver­
wendet. Der VEI bestimmt sich aus fünf Einzelgrößen:
- dem Volumen der Förderprodukte
- der Förderrate (Volumen pro Zeiteinheit), die aus der Aus­
trittsgeschwindigkeit und der Höhe der Eruptionssäule bestimmt wird
- der Reichweite der Eruption, ermittelt aus der Höhe der
Eruptionssäule
- der Heftigkeit von einzelnen Explosionen
- dem Zerstörungspotential
Der VEI wird in Anlehnung an Erdbebenmagnituden mit
Zahlen zwischen 0 und 8 angegeben. Die Schrittweite soll ei­
nem Faktor 10 in den benützten Maßzahlen entsprechen. Im
Vergleich zu historisch eingeführten Begriffen fällt 0 bis 1 in
den Bereich „hawaiianisch“, 1 bis 3 in „strombolianisch“, 2
bis 5 in „vulkanianisch“, 4 bis 6 in „plinianisch“ und alles
darüber in „ultra-plinianisch“. Die Ausdrücke beziehen sich
auf den Charakter der Explosivität einzelner Vulkanregionen
im Vergleich zum ruhigen, effusiv genannten Ausfluß von Lava. Der Vulkanismus in Hawaii ist häufig nur schwach ex­
plosiv, Stromboli und Vulcano in Süditalien zeigen höhere
Explosivität. Mit „plinianisch“ bezieht man sich auf den für
Europa gewaltigen Ausbruch des Vesuvs im Jahre 79, welcher
von Plinius beschrieben wurde. Für einige bekannte Vulkaneruptionen wurden folgende VEI ermittelt:
Vulkan
Jahr
Nevado del Ruiz
(K
l bi )(Indonesien)
Galunggung
Mt. St. Helens (USA)
Krakatau (Indonesien)
Tambora (Indonesien)
Ägäis (Mittelmeer)
1985
1982
1980
1883
1815
vor 10000 J.
Tephravolumen (m3)
107
108
109
1010
1011
1012
VEI
3
4
5
6
7
8
93
isländisch
hawaiianisch
strombolianisch
vulkanianisch
plinianisch
94
Schon lange vor Einführung der Plattentektonik wurde erkannt,
daß der VEI in den einzelnen Vulkanprovinzen ein typisches
Verhalten hat. Für die „Atlantische Vulkansippe“ wurden allgemein niedere, für die „Pazifische Vulkansippe“ höhere VEI
beobachtet. Die alte Kennzeichnung entspricht heute dem Vulkanismus entlang ozeanischer Rücken (früher „atlantisch“ genannt) bzw. Subduktionszonen (früher „pazifisch“ genannt).
Der Grad der Explosivität eines Vulkans wird speziell von
zwei Faktoren beeinflußt: der Viskosität der Schmelze und
dem Anteil an flüchtigen Bestandteilen, also an in der Schmelze
gelösten oder ungelösten Gasen. Wasser spielt vom Volumen
her eine dominierende Rolle. Mit zunehmender Viskosität
(Zähflüssigkeit) erhöht sich die Formfestigkeit der Schmelze
gegenüber der Wirkung von Kräften und mechanischen
Spannungen. Der sich im Inneren der Schmelze aufbauende
Gas- oder Dampfdruck hängt einmal von der Menge der frei
werdenden Gase und Dämpfe und zum anderen von der Wi­
derstandsfähigkeit der Schmelze ab, diesen Drücken ohne
Überschreiten der Bruchfestigkeit standzuhalten.
Das an Subduktionszonen aufdringende Magma ist reich an
Silikaten und Wasser. Der Wassergehalt stammt vor allem aus
den beim Abtauchen der Lithosphärenplatten mitgenomme­
nen Sedimenten. Bei gegebener Temperatur verringert sich die
Viskosität des Magmas mit zunehmendem Gehalt an gelöstem
Wasser. Der Effekt ist bei silikatreichen Magmen besonders
ausgeprägt. Beim Aufsteigen des Magmas wird der hydrosta­
tische Druck in der Schmelze kleiner und die Löslichkeit des
Wassers im Kristallverband herabgesetzt. Zusammen mit dem
Ausscheiden von Wasser setzt eine Kristallisation im Magma
ein und führt zur Erhöhung der Viskosität. In den Vulkankra­
tern an Subduktionszonen bilden sich häufig über den mag­
mafördernden Kanälen hochviskose Pfropfen, Magmadome,
unter denen sich dank ihrer Festigkeit ein hoher Gasdruck
ausbilden kann. Eine besonders gefährliche Situation entsteht,
wenn der Magmadom nicht zentral in einer Kraterschüssel
liegt, sondern seitlich an der Flanke eines steilen Vulkankegels
hängt. Gleitet der Dom infolge einer Hanginstabilität ab, so
95
Der Ausbruch des Vesuv im Jahre 1779. Gouache-Bild von Pietro Fabris.
Die Ballenstruktur der Eruptionswolke zeigt deutlich den an eine Dampfmaschine erinnernden, rhythmischen Austritt der volatilen Förderprodukte.
96
setzt unter der plötzlichen Druckentlastung ein schnelles Aufschäumen des Magmas ein. Als Folge können sich Druckwellen und Glutlawinen hoher Intensität ausbilden. Ein derartig
steil abfallender und gefährlicher Magmadom mit mehreren
Quadratkilometern Ausdehnung hat sich beispielsweise in den
vergangenen 15 Jahren am Vulkan Merapi nahe der Großstadt Yogyakarta in Zentraljava (Indonesien) ausgebildet.
Das basische oder mafische Magma der mittelozeanischen
Rücken enthält weniger Silikate, die sich zu festigkeitserhöhenden Molekülketten zusammenschließen können. Die Vis­
kositäten der Schmelzen sind geringer, und bei der leichteren
Entgasung können sich nur kleinere Staudrücke ausbilden.
6. Die Förderprodukte der Vulkane
Bezogen auf den Aggregatzustand der magmatischen Produkte während des Austretens aus dem Krater unterscheidet man:
- vulkanische Gase
- feste, plastische und schmelzflüssige Auswurfmassen
(explosive Tätigkeit)
- glutflüssige, zusammenhängende (kohärente) Laven
(effusive Tätigkeit)
Vulkanische Gase
Die Atmosphäre der Erde und das Wasser der Ozeane sind
Folgen der vulkanischen Entgasung, die in der Erdgeschichte
seit Beginn der Tektonik vor etwa drei Milliarden Jahren
stattfindet. Der Stoffaustausch zwischen fester, flüssiger und
gasförmiger Erde, also zwischen Lithosphäre, Hydrosphäre
und Atmosphäre, hält auch heute noch an. Die bei heftigen
Eruptionen ausgestoßenen Gase, Aerosole und staubkorngro­
ßen Partikel können weit in die Stratosphäre eindringen und
noch in Höhen von 25-40 km Wolken bilden, die sich über
die Erde ausbreiten und das Weltklima beeinflussen. Eine
Kenntnis der Zusammensetzung und Menge der von Vulkanen abgegebenen volatilen, d.h. flüchtigen, Produkte ist be97
sonders auch im Vergleich mit der vom Menschen mit zu­
nehmender Intensität verursachten Belastung der Atmosphäre
wichtig. Aus dem Chemismus der vulkanischen Gase lassen
sich Rückschlüsse auf Natur, Temperatur und Druck des sie
abgebenden Magmas machen. Gase und Dämpfe können
entlang tief in den Vulkan reichender Spalten schnell aufsteigen. Sie stellen damit wichtige Vorboten beginnender eruptiver Tätigkeit dar.
Die Entnahme von über den Zustand des Magmas Auskunft gebenden Gasproben aus einer Eruptionssäule gehört zu
den schwierigsten und gefährlichsten Untersuchungen in der
Vulkanologie. Am Vulkan Galeras in Kolumbien kamen 1993
sechs Vulkanologen ums Leben, als sie bei Gasmessungen von
einem Ausbruch überrascht wurden. Trotz größerer Unsicherheiten in der Abschätzung der vulkanischen Emissionen
zieht man deshalb Fernmeßverfahren vor. Dazu gehört vor
allem die Infrarotspektrometrie für die quantitative Bestimmung des in die Stratosphäre injizierten Wassers. Die Konzentration von Schwefeldioxid wird mit Hilfe sogenannter Korrelationsspektrometer über die Absorption von ultraviolettem
Licht bestimmt. Neuerdings wird versucht, aus Fluidein­
schlüssen in abgelagerten festen Förderprodukten (Tephra)
Aussagen über die Emission magmatischer Volatile vergangener Ausbrüche zu machen. Damit soll vor allem der Ausstoß
vulkanischer Großeruptionen aus historischer und geologischer Zeit abgeschätzt werden.
Fast alle Geochemiker stimmen heute darin überein, daß
H2O unter den flüchtigen Anteilen der vulkanischen Förderung mit 30-90 Mol% die dominierende Menge einnimmt.
Um ein Beispiel zu nennen: Während der Ausbruchstätigkeit
des Vulkans Nevado del Ruiz in Kolumbien wurde zwischen
1985 und 1990 etwa ein Kubikkilometer Wasser aus dem
Magma freigesetzt. An zweiter Stelle stand CO2 mit 10-50%
Anteil, gefolgt von SO2 mit 5-30%. Die Streubreiten zeigen
die große Variation in der Zusammensetzung der Gase. Mit
nur wenigen Prozent kommen vor: H2, CO, COS, HCl, H2S,
HF, CH4, Hg und einige Edelgase. Es ist bemerkenswert, daß,
98
abgesehen von dem zu hohen Schwefelanteil, diese Häufigkeitsverteilung etwa der entspricht, welche man auch in der
Atmosphäre, der Hydrosphäre und in den Sedimentgesteinen
der Erde findet.
Feste Förderprodukte bei explosiver Tätigkeit
Die Gasblasen im aufsteigenden Magma vergrößern ihr
Volumen unter dem abnehmenden Umgebungsdruck. Bis zu
welcher Größe die Blasen wachsen, hängt von der Viskosität
der Schmelze ab. Mit der Entgasung der Schmelze steigt ihre
Viskosität und damit der Widerstand, den sie einer Volumenvergrößerung der Blasen entgegensetzt. Damit bildet sich ein
maximales Blasenvolumen aus. Erreicht die Blasenströmung
die freie Oberfläche im Vulkankrater, so wird die Gegenkraft
der flüssigen Phase immer kleiner, bis die Blasen gegenüber
dem Atmosphärendruck zerplatzen. Der einsetzende Fragmentierungsprozeß reißt die Trennfläche der Schmelze gegenüber
der Atmosphäre auf. Dadurch werden tiefer liegende Schichten druckentlastet, und der Siedevorgang breitet sich nach unten aus, bis sich mit dem Nachschub von Magma ein dynamisches Gleichgewicht einstellt. Die eintretenden Vorgänge
werden von vielen Faktoren kontrolliert: thermodynamische
Größen, Viskosität und Bruchverhalten der Schmelze, volatiler Anteil, Geschwindigkeit des nachströmenden Materials
u.a. Demzufolge bewegen sich die resultierenden Ausbruchserscheinungen in einem weiten Bereich. Bei ruhiger Entga­
sung, meist verbunden mit einer Schmelze niederer Viskosität,
strömt blasenreiches Magma als geschlossene Masse aus. Man
spricht von einer Effusion. Bei hochexplosiven Vulkanexplosionen wird ein breites Spektrum zwischen zu Asche erkalteten Lavätröpfchen und noch in großer Entfernung glühend zu
Boden fallenden Lavafetzen entstehen. Dazwischen befinden
sich aus dem kalten Nebengestein des Schlots herausgerissene
Blöcke und Gesteinssplitter. Für die Umgebung des Vulkans
sind besonders pyroklastische Ströme oder Glutlawinen gefährlich. Sie entstehen, wenn bei ungenügendem thermischen
99
Auftrieb die Eruptionssäule kollabiert und sich in kurzer Zeit
um die Ausbruchstelle riesige Mengen an Lockermaterial ablagern.
Effusive Tätigkeit
Viele Vulkane zeigen eine gemischt explosive und effusive
Aktivität. Häufig wird ein Zustand beobachtet, bei dem das
Magma aus einem topographisch höher gelegenen Krater unter heftigen Explosionen entgast, während ein Stück tiefer die
entgaste Lava ruhig, fast wie Wasser, aus einer Spalte strömt.
Eine derartige laterale Tätigkeit ist zum Beispiel typisch für
den Vulkan Ätna auf Sizilien. Aus den sich bildenden Lavaströmen können verbliebene Gasreste noch schwach explosiv
entweichen. Hornito nennt man die dabei entstehenden kegel­
förmigen Kamine von wenigen Metern Höhe. Die Fließ- und
Erstarrungsformen der ausgeflossenen Laven hängen wesentlich von der Viskosität, dem verbliebenen Gasgehalt und vor
allem auch von dem Böschungswinkel des Vulkans ab. In den
Lavamassen nimmt von innen nach außen die Temperatur ab
und die Viskosität damit zu. Die Erstarrungsgrenze liegt, abhängig von der chemischen Zusammensetzung und dem Gasgehalt, zwischen 500° C und 900° C. Bei heißen und dünnflüssigen Laven bildet sich rasch eine zähflüssige Außenhaut,
die von der darunter fließenden Lava mitgeschleppt wird. Bei
kleiner Fließgeschwindigkeit bleibt die Haut über große Flä­
chen glatt und eben erhalten. Man spricht von Pahoe-hoeLaven. „Pahoe-hoe“ ist ein Freudenschrei im Hawaiianischen,
mit dem die gute Begehbarkeit des Stroms ausgedrückt wird.
Beim Übergang von größerem zu kleinerem Gefälle kann der
Lavastrom mit der abnehmenden Fließgeschwindigkeit aufgestaut werden, wobei sich die zerrissenen Platten der erkalteten
Oberfläche zu einem wirren Haufen Schollenlava auftürmen.
Eine für das Auge spektakuläre und oft fotografierte Ober­
flächenform der Pahoe-hoe-Lava ist die Seillava. Eine noch
plastische Erstarrungshaut wird von der verzögert darunter
fließenden Lava aufgewickelt und durch die zur Strommitte
100
Schematische Darstellung der gesetzmäßigen Anordnung der Auswurfprodukte, wie sie z.B. bei Flankeneruptionen des Vulkans Ätna (Sizilien)
typisch sind. Die Zeichnung wurde Anfang dieses Jahrhunderts von August Sieberg, einem langjährigen Professor für Geophysik in Straßburg
und Jena, erstellt. Sie gab zum ersten Mal einen auch heute noch gültigen
Einblick in das „Innenleben“ eines Stratovulkans. (Die eingezeichneten
Förderschlote für das Magma sind in Wirklichkeit jedoch nur wenige Meter breit.)
hin zunehmende Geschwindigkeit bogenförmig zu Gebilden
gekrümmt, die einem Haufen von Seilen ähnlich sehen.
Bei Laven mit höherer Viskosität wird durch das Fließen
die Oberfläche zu Brocken und Schlacken zerrissen. Der
Name Aa-Lava hat sich dafür eingebürgert. „Aa“ ist im Hawaiianischen der Schmerzensschrei beim barfüßigen Überqueren derartiger Laven.
Die blasenreichen Deckschichten der Lavaströme bieten ei­
ne gute thermische Isolation, durch die sich im Inneren der
Ergüsse zusammenhängende, kristalline Massen (Blocklaven)
ausbilden können.
Treten dünnflüssige Laven unter Wasser aus, bilden sich
Pillow- oder Kissenlaven. Die Laven überziehen sich bei ih101
rem Kontakt mit Wasser mit einer dünnen Erstarrungshaut.
Nachdrängende Lava bricht diese Haut auf, und der Vorgang
wiederholt sich. Als Folge entsteht eine blumenkohlartige
Zerklüftung mit runden, kissenförmigen Ballen verschiedener
Größe.
7. Vulkanausbrüche und Klima
Was hat das Cannstatter Volksfest mit der Französischen Revolution gemeinsam? Was zunächst wie eine Scherzfrage aussieht, hat einen tieferen Hintergrund. Bei beiden Ereignissen
gehörten Vulkanausbrüche zu den auslösenden Faktoren. Im
ersten Fall spielte der Ausbruch des Vulkans Tambora auf der
Insel Sumbawa in Indonesien im April 1815 eine Rolle, im
zweiten Fall waren es die Eruptionen der Laki-Spalte in Island
im Jahre 1783. Mit beiden plinianischen Großeruptionen wurden riesige Mengen an Gasen und Festpartikeln in die hohe
Atmosphäre geschleudert. Bei der Eruption des Tambora wur­
den 25 Kubikkilometer Tephra freigesetzt, die eine maximale
Höhe von 45 km erreichten. Darin enthalten waren 50 Millionen Tonnen Schwefelsäure (H2SO4), 200 Millionen Tonnen
Salzsäure (HCl) und 100 Millionen Tonnen Flußsäure (HF).
Die Gase und Partikel führten in der hohen Atmosphäre zu
einer erhöhten Absorption und Streuung der von der Sonne
kommenden Strahlung. In der Folge nahm die bodennahe
Lufttemperatur ab, während gleichzeitig die obere Atmosphä­
re erwärmt wurde. Die kalten Sommer der Jahre nach 1783
und um 1815/16 ergaben Mißernten und Hungersnöte. In
Frankreich führten sie zur Revolution, in Württemberg stiftete
der König ein Erntedankfest (das heutige Volksfest), als wie­
der die erste gute Ernte eingebracht werden konnte.
Der Einfluß von Vulkanausbrüchen auf das Klima der Erde
wird heute in vielen Studien intensiv untersucht. Sie sollen vor
allem eine Trennung zwischen den natürlichen Emissionen der
Erde und den vom Menschen, vor allem durch die Emissionen
von Kohlendioxid und chlorierten Kohlenwasserstoffen, hervorgerufenen Klimaeinflüssen erlauben. Im Vordergrund steht
102
hierbei die Frage, ob Vulkanausbrüche dem Treibhauseffekt
entgegenwirken und ob sie die Ozonschicht schädigen.
Ein großes Problem bei den Untersuchungen besteht darin,
daß die Temperatur der Atmosphäre von vielen Mechanismen
gesteuert wird, von denen der Vulkanismus nur einen Faktor
darstellt. Auch über lange Zeiträume aufgestellte statistische
Korrelationen zwischen großen Vulkanausbrüchen und dem
Wettergeschehen der darauffolgenden Jahre können nur be­
dingt eine zuverlässige Auskunft geben. So fiel der Ausbruch
des Tambora in Europa in eine Zeitspanne unterdurch­
schnittlicher Temperaturen und brachte vermutlich nur „das
Faß zum Überlaufen“.
Aufschlußreiche Informationen über den aktuellen chemi­
schen und physikalischen Zustand der hohen Atmosphäre erhält man mit LIDAR-Messungen. LIDAR ist die Abkürzung
für Light Detection and Ranging. Meßstationen auf der Erde
senden kontinuierlich Laserimpulse in Richtung der hohen
Atmosphäre aus und beobachten Laufzeit und Intensität des
rückgestreuten Lichtes. Wenige Tage nach der stark explosiven
Tätigkeit des Vulkans El Chichon in Mexiko Ende März 1982
zeigten LIDAR-Geräte auf Hawaii ungewöhnlich starke Rückstreuungen, die einer Wolke in 25 km Höhe zugeordnet wurden.
Hawaii liegt in Richtung der in der Stratosphäre aus Osten
wehenden Winde, und der Zeitpunkt des Eintreffens stimmte
mit der mittleren Windgeschwindigkeit von 70 km/h sehr gut
überein. Die Wolke driftete weiter nach Westen und konnte
im Mai mit dem LIDAR-System des Fraunhofer-Instituts für
Atmosphärische Umweltforschung in Garmisch-Partenkirchen
in 16 km Höhe nachgewiesen werden. Einige Monate später
trat dort in etwa 25 km Höhe eine weitere Wolke dazu. Beide
Partikelwolken vermischten sich langsam zu einer Aerosolschicht, die bis Ende 1983 beobachtet werden konnte. Die
farbenprächtigen Sonnenuntergänge in diesen Jahren waren
eine Folge der Lichtstreuung dieses stratosphärischen Dunstschleiers.
Modellrechnungen zur Entstehung der streuaktiven Wolken
haben zusammen mit von Ballonen und Flugzeugen gefaßten
103
Proben das frühere Bild von der klimatologischen Wirksamkeit plinianischer Vulkanausbrüche in wesentlichen Punkten
modifiziert. Entgegen ersten Annahmen hängt der klimatolo­
gische Effekt vulkanbedingter atmosphärischer Verschmutzung in erster Linie nicht vom Volumen der ausgestoßenen
Asche- und Staubteilchen ab. Bei der vergleichsweise schwachen explosiven Tätigkeit des Vulkans El Chichon (Mexiko)
wurde erstaunlicherweise eine Dunstwolke mit ausgeprägten
abschirmenden Eigenschaften erzeugt. Eingehende Analysen
ergaben dann folgendes Bild: Entscheidend für die Dichte und
Streuaktivität der Wolke war die ungewöhnlich starke Emis­
sion an Schwefeldioxid. Dieses wird in der Stratosphäre in ei­
nem komplex ablaufenden Prozeß unter der Einwirkung von
Sonnenlicht und Wasserdampf zu gasförmiger Schwefelsäure
aufoxidiert, die sich an kleinsten Staubteilchen, Ionen und
Molekülverbänden anlagert. Der photochemische Prozeß läuft
jedoch mit einer Zeitverzögerung ab. Es können Monate ver­
gehen, bis sich das Gas völlig in Aerosole umgewandelt hat,
die als Streuzentren für Licht in Frage kommen. Gegenüber
Silikatpartikeln sinken die Aerosole wegen der niedrigeren
Dichte viel langsamer ab. Zusätzlich bedingt der kleine
vertikale Temperaturgradient in der unteren Stratosphäre
(10-30 km) eine minimale Durchmischung. Es bilden sich
deshalb Wolkenschichten in den Höhen aus, in die die Gase
durch die Eruption eingetragen wurden. Die Verweilzeit kann
mehrere Jahre betragen, wodurch eine Anreicherung von
zeitlich auseinanderliegenden Eruptionen eines oder mehrerer
Vulkane entstehen kann. Einige kleine Ausbrüche können
für das Klima ähnlich bedeutsam sein wie ein großer. Wie
sich die Vulkanwolke in horizontaler Richtung ausbreitet,
hängt von dem jahreszeitlichen Wettermuster der Stratosphäre ab.
Der Ausbruch des El Chichon trug rund 3-4 Millionen
Tonnen Schwefeldioxid in die Stratosphäre hinein. Die mittlere Temperaturabnahme in den betroffenen Zonen lag bei et­
wa 0.5° C. Als Vergleichswert dazu bewirkte der Ausbruch
des Vulkans Krakatau (Indonesien) des Jahres 1883 im Osten
104
der Vereinigten Staaten eine mittlere Temperaturabnahme
von ca. 1.5° C.
Das Klima wird jedoch nicht nur von der Temperatur be­
stimmt. Ein erhöhtes Angebot von Aerosolen in der unteren
Atmosphäre (bis 10 km) kann durchaus zu vermehrter Wol­
ken- und Niederschlagsbildung führen.
Die weltweite vulkanische Gesamtförderung von Schwefeldioxid im Zeitraum 1960-1990 wird auf etwa 15 Millionen Tonnen pro Jahr geschätzt. Davon entfallen aber nur
wenige Prozent auf starke eruptive Phasen, deren Emissionen
bis in die Stratosphäre getragen wurden. Der Rest stammt aus
den in vielen Vulkangebieten vorkommenden Solfataren und
Fumarolen. Die Solfataren- und Fumarolentätigkeit ist gekennzeichnet durch eine ständig auftretende, ruhige und
gleichmäßige Förderung von Gasen und Dämpfen aus Spalten
und Rissen im Vulkanbau. Beispielsweise treten aus dem
Fumarolenfeld des „Großen Kraters“ der Insel Vulcano
(Sizilien) täglich zwischen 50 und 150 Tonnen Schwefelgase
aus. Diese ruhige Abgabe ist mit der aus einem Fabrikkamin
zu vergleichen. Die vulkanischen Gase bleiben in der Tro­
posphäre, tragen aber höchstens 10 Prozent zum „sauren Regen“ bei. Der durch den Menschen verursachte Gesamtbeitrag
zum atmosphärischen Schwefelhaushalt ist um eine Größenordnung höher.
Beeinflussen Vulkanausbrüche die stratosphärische Ozonschicht? Nach der gigantischen Eruption des Vulkans Pinatu­
bo auf den Philippinen im Juni 1991 wurde in den nachfol­
genden Wintern eine ungewöhnliche Vergrößerung des Ozon­
loches beobachtet. Sie wirkte sich vor allem in den höheren
Breiten der nördlichen Hemisphäre aus. Erste Erklärungsver­
suche ergaben Widersprüche. Die durch den Vulkanausbruch
in der Stratosphäre hundertfach erhöhte Aerosolkonzentration hätte nach den Berechnungen zu einer erhöhten Ozonkonzentration führen müssen. Eine Lösung wurde erst gefunden,
als der vom Menschen über die chlorierten Kohlenwasserstof­
fe in die Stratosphäre eingebrachte Betrag an Chlor bei den
Modellrechnungen mit berücksichtigt wurde. Dabei zeigte
105
Auswirkungen vulkanischer Emissionen in Tropo- und Stratosphäre.
(Zchg. Peter Schick)
sich, daß das Verhalten der Ozonschicht gegenüber dem Ein­
trag vulkanischer Gase sehr empfindlich von der dort herrschenden Chlorkonzentration abhängt. Bei der derzeit vorhandenen, anthropogen verursachten hohen Chlorbelastung
der Stratosphäre tritt tatsächlich eine Abnahme des Ozonge­
halts und damit eine Vergrößerung des Ozonloches ein.
8. Vulkane, die es nicht geben dürfte: „Hot Spots“ und
Kontinentale Riftsysteme
Die Inselgruppe von Hawaii gehört zu den bekanntesten und
aktivsten Vulkangebieten der Erde. Auf der östlichsten Insel,
Hawaii oder Big Island genannt, fließen seit 15 Jahren nahezu
pausenlos große Lavaströme von einem zum Kilauea-RiftSystem gehörenden Seitenkrater ins Meer und bieten vor allem nachts einen spektakulären Anblick. Doch ein Blick auf
die Landkarte verblüfft. Hawaii liegt inmitten der Pazifischen
106
Platte und Tausende von Kilometern vom nächsten aktiven
Plattenrand entfernt. Nach den Regeln der sonst so aussagekräftigen Plattentektonik dürfte es dort weder Erdbeben noch
Vulkanismus geben. Und Hawaii ist zwar die bekannteste,
aber nicht die einzige Ausnahme von dem plattentektonischen
Konzept. Der Vulkanismus auf den Kanarischen Inseln, das
Tibesti-Massiv in der Sahara und der gewaltige Vogelsberg in
Hessen lassen sich ebensowenig in das System der Plattentek­
tonik einordnen.
Schon im letzten Jahrhundert fiel einigen Geologen auf, daß
innerhalb der Inselkette von Hawaii der Vulkanismus von den
gegenwärtig aktiven Zentren Kilauea und Mauna Loa auf Big
Island aus in Richtung Nordwesten über die Inseln Maui,
Molakai, Oahu und Kauai ein immer höheres Alter zeigt.
Noch weiter nach Nordwesten ist die Erosion der Vulkanin­
seln so weit fortgeschritten, daß sie nur noch auf Reliefkarten
des Ozeanbodens zu finden sind. Der kanadische Geowissenschaftler Tuzo Wilson gab um 1960 eine plausible Erklärung
zu dieser Beobachtung. Aus dem tieferen Erdmantel dringt
von einer dort fest verankerten Wärmequelle ein Wärme- und
Materialstrom nach oben (oft mit dem französischen Wort
„Plume“ bezeichnet) und führt in der Lithosphärenplatte zu
Aufschmelzvorgängen mit der Bildung von Vulkanbergen.
Nun gleitet aber die pazifische Platte langsam über die von
Wilson als Hot Spot bezeichnete thermische Anomalie hinweg
und entfernt so die Vulkanberge von ihrem im Erdkörper
raumfest verankerten Förderschlot, wodurch ihre vulkanische
Tätigkeit allmählich erlischt. Der Vorgang hat Ähnlichkeit
mit einem Industriekamin, der periodisch schwarze Rauchbal­
len abgibt. Ein über den Schornstein streichender Wind trägt
die Ballen weg. In ihrer Spur erkennt man Geschwindigkeit
und Richtung des Windes. Die Spur der über dem Hot Spot
von Hawaii aufgebauten Berge läßt sich über einen Zeitraum
von 75 Millionen Jahren von der Insel Hawaii bis nahe Kamtschatka verfolgen. Sie stimmt perfekt mit den aus anderen
Überlegungen erhaltenen Bewegungsrichtungen der pazifischen Lithosphärenplatte überein.
107
Über hundert große Vulkangebiete der Erde bringt man
heute mit derartigen Hot Spots in Verbindung. Nicht alle lie­
gen, wie Hawaii, weit abseits aktiver Plattenränder. Vermut­
lich werden die geographisch auf der mittelatlantischen
Schwelle gelegenen Vulkangebiete Islands, der Azoren und der
südatlantischen Insel Tristan da Cunhas ebenfalls von Hot
Spot-Förderschloten gespeist. Die Volumina ihrer Magmaförderung übersteigen um ein Vielfaches den Betrag der ansonsten meist submarin gebliebenen Kleinvulkane entlang des
Rückens.
Alle Untersuchungen zur Lage der Hot Spots deuten auf eine langlebige und weitgehend raumfeste Position im Erdkörper hin. Dies ist aber nur möglich, wenn die Quellen des Hot
Spots unterhalb des Tiefenbereichs liegen, in dem Konvektion
mit Horizontalbewegungen stattfindet. Damit wird der obere
Erdmantel ausgeschlossen. Erst die höhere Viskosität des
Materials im unteren Erdmantel schränkt die Beweglichkeit
eines Plume so weit ein, daß seine über einen langen Zeitraum
fixierte Position verständlich wird. Obwohl es (noch?) keine
direkten Hinweise gibt, sehen viele Forscher in der Grenz­
schicht zwischen Erdkern und Erdmantel die thermischen Ursachen zur Entstehung dieser Mantel-Plumes.
Trotz der Spekulationen über Herkunft und Entstehung der
Hot Spots besitzen sie einen unschätzbaren Wert zur Be-
Bildung von Vulkanketten auf der beweglichen Lithosphärenplatte durch
fest im Erdmantel verankerte Hot Spot-Förderschlote. Die Entstehung der
diskreten Vulkankegel wird mit einer zeitlich variablen Förderung des
Magmas erklärt. (Zchg. Peter Schick)
108
Schreibung der globalen Tektonik. Durch ihre Langlebigkeit
und ihre fixe Position in der Erde bilden sie ein hervorragen­
des Referenzsystem gegenüber den mobilen Lithosphärenplat­
ten. In der Plattentektonik wird die afrikanische Platte für die
vergangenen 30 Millionen Jahre als in ihrer Lage weitgehend
stabil und ortsfest angesehen. Die Hot Spots auf dem afrikanischen Kontinent bestätigen diese Annahme. In den Vulkangebieten des Tibesti, des Mount Kameroon, des Nyiragongo
in Zaire oder der Insel Reunion sind die Laven aus vielen
Millionen Jahren vertikal übereinandergeschichtet, ein schlüssiger Beweis für die feste Position der afrikanischen Platte.
Die Öffnung des Atlantiks zwischen Südamerika und Afrika
beruht nicht auf einer symmetrischen Bewegung beider Kontinente zur mittelatlantischen Schwelle, wie man denken
könnte. In einem absoluten Bezugssystem bleibt Afrika in der
fixen Position, während die mittelatlantische Schwelle und
der amerikanische Kontinent sich gegenüber dem Erdmantel
mit einfacher bzw. doppelter Geschwindigkeit nach Westen
bewegen.
Eine besondere Bedeutung besitzen Hot Spots vermutlich
bei der Einleitung großtektonischer Phasen. Schon in den
dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts beschrieb der in Bonn
lehrende Geologe Hans Cloos Aufwölbungen in kontinentalen
Strukturen, von deren Zentrum in der Form eines Merce­
des-Sterns dreiarmig verlaufende Bruchzonen ausgehen. Das
Aufdomen tritt vermutlich dann ein, wenn ein Kontinent
über einem Mantel-Plume zu stehen kommt. Zwei der drei
Brucharme öffnen sich und formen einen neuen Ozean. Der
dritte Brucharm läuft ohne Ozeanbildung in die kontinentale
Landmasse. Bei der Rekonstruktion von Gondwana, dem
Kontinent, der vor etwa 120 Millionen Jahren in Südamerika
und Afrika zerbrochen ist, lassen sich zahlreiche derartige
Muster finden. Es spricht vieles dafür, daß dieses Aufbrechen
mit von den Hot Spots in der Lithosphäre erzeugten Schwä­
chezonen zusammenhängt. Dort, wo sich die Arabische Halbinsel vom Afrikanischen Kontinent löst, spielt sich in unserer
Zeit offenbar ein ähnlicher Prozeß ab. Das Rote Meer und der
109
Golf von Aden stellen die Arme mit Ozeanbildung dar. Der
dritte, „trockene“ Arm gehört zum Afar-Dreieck und zum
Äthiopischen Riftsystem.
9. Vulkanismus im Sonnensystem
Die Erde ist nicht der einzige Himmelskörper in unserem
Sonnensystem mit Vulkanismus. Dennoch bleibt die Erde
auch in bezug auf vulkanische Erscheinungen ein einzigartiger
Planet. Vielleicht abgesehen vom Planeten Venus, konnten
sich nur im Mantel der Erde Konvektionszellen mit den uns
bekannten Phänomenen der Plattentektonik ausbilden. Der
Grund dafür liegt in der Wärmeabstrahlung des Körpers, die
vom Verhältnis seiner Oberfläche zur Gesamtmasse abhängt.
Setzt man dieses Zahlenverhältnis für die Erde gleich 1, so erhält man für unseren Erdmond 6.1, für Merkur und Mars je
2.5 und für die Venus 1.1. Je größer die Zahl, umso mehr
Wärme kann pro Zeitraum abgegeben werden. Die im Him­
melskörper in der Phase seiner Entstehung durch die Dissipation der kinetischen Energie aufprallender Planetisimale entstandene Wärmemenge drückt sich im Größenverhältnis
zwischen seinem metallischen Kern und dem Gesteinsmantel
aus. Wird das Kern/Mantel Verhältnis für die Erde als 1 an­
genommen, so ergibt sich für die Venus 0.9, für den Mars 0.8
und für den Erdmond 0.1. Sieht man vom Planeten Merkur
ab, so hat die Erde die größte Anfangswärme mitbekommen
und gibt gleichzeitig am wenigsten thermische Energie ab.
Dadurch ist sie gegenüber allen anderen terrestrischen Plane­
ten und ihren Monden am wenigsten „ausgebrannt“.
Betrachten wir zunächst die vulkanische Entwicklung des
Erdmondes und der inneren Planeten.
Erdmond
Die in früherer Zeit als Wasserozeane angesehenen und des­
halb „Mare“ genannten großen Ebenen mit wenigen Ein­
schlagkratern entstanden vor 3 bis 4 Milliarden Jahren als
110
mächtige Flutbasalte. Im Chemismus unterscheiden sie sich
wenig von den terrestrischen Basalten, enthalten aber etwas
mehr Eisen und Magnesium und weniger Alkalielemente und
Wasser. Aus den Dimensionen der Mare und ihrer Lavaströme kann auf die früheren Förderraten in der Größenordnung
von einigen Kubikkilometern pro Tag geschlossen werden.
Auf der Erde erreichen höchstens die Flutbasalte des Deccan-Trapp-Plateaus in Indien derartige Ausmaße. Die für die
Erde typischen Vulkankegel kommen auf dem Mond kaum
vor. Der Grund dafür liegt vor allem in der Dünnflüssigkeit
der Mondlaven. Wegen des niederen Wassergehaltes der
Mondmagmen war außerdem die Explosivität der Mondvulkane so schwach, daß sich unter der geringen Schwerkraft des
Mondes keine Stratovulkane ausbilden konnten.
Mars
Wie beim Mond findet man auch auf dem Mars ausgedehnte
Lavafelder. Oft erstrecken sich, bei einer Hangneigung von
wenigen Grad, die Lavaströme über Hunderte von Kilome­
tern, ebenfalls eine Folge der heißen und niederviskosen basischen Magmen. Aus unbekannten Gründen konzentriert sich
der Vulkanismus auf die nördliche Hemisphäre. Hier befinden
sich auch die gewaltigsten Schildvulkane, die wir in unserem
Sonnensystem kennen. Der größte unter ihnen, der Olympus
Mons, weist eine Gipfelhöhe von 25 km auf. Ein Ringwall
umgibt ihn in 300 km Entfernung. In ihrer Struktur sind die
Schildvulkane des Mars den großen Vulkanen Mauna Loa
und Mauna Kea auf Hawaii vergleichbar. Es existieren Einbruchkrater in der Gipfelregion, lange lineare Lavaströme an
den Flanken und ausgedehnte Kanäle, die vermutlich eingebrochene Lavatunnel darstellen. Die unterschiedlichen Grö­
ßen sind plausibel. Die Vulkane von Hawaii wandern mit der
Lithosphärenplatte über einen im Erdmantel ortsfesten Förderkanal, den „Mantel-Plume“, wodurch sich die Förderpro­
dukte über eine ganze Vulkankette verteilen. Bei der stabilen
Kruste des Mars jedoch bleibt der Vulkanbau unverrückbar
111
über der Magmaquelle stehen. Der Berg wird so lange aufgeschüttet, bis der zunehmende hydrostatische Druck der Magmasäule einen weiteren Aufstieg von Schmelze unterbindet.
Schildvulkane stellen nicht die einzige Vulkanstruktur auf
dem Mars dar. Alba Patera ist ein mit Lava bedecktes Gebiet
von über 1600 km Ausdehnung bei geringem Relief. Die tiefer
gelegenen Ebenen werden oft von mächtigen Asche- und Sedimentschichten bedeckt. Sie sind ein Zeichen dafür, daß in
der Geschichte des Mars Erosion durch Wind, Gletscher und
vermutlich auch durch Wasser eine bedeutende Rolle spielte.
Das Alter der Marsvulkane ist umstritten. Die Angabe des
Alters einer Oberflächenstruktur beruht hauptsächlich auf der
Anzahl der Einschlagkrater der Meteoriten, die man in dem
Gebiet findet. Je mehr Impaktkrater gezählt werden, umso älter ist die Struktur. Junger Vulkanismus ebnet die alten Krater
ein. Bei der Bestimmung des Alters der Marseffusionen geht
man von der nicht hinreichend gesicherten Annahme aus, daß
die Einschlagshäufigkeit von Meteoriten auf dem Mars mit
der auf dem Mond übereinstimmt. Für den Erdmond konnte
die Dichte der Einschlagkrater mit dem absoluten Alter dort
entnommener Gesteinsproben verglichen werden. Manche
Forscher nehmen eine bis 200 Millionen Jahre zurückreichende vulkanische Aktivität des Olympus Mons an. Stimmt diese
Zahl, so ist der Schluß berechtigt, daß bei dem Alter des Mars
von vier Milliarden Jahren Vulkanismus auch heute noch
durchaus möglich ist.
Venus
Aufgrund der Ähnlichkeit in Masse, Dichte und Durchmesser
zwischen Erde und Venus wird die Venus manchmal der
Zwillingsplanet der Erde genannt. Ein vergleichbarer Ablauf
im tektonischen Geschehen beider Planeten wäre so in ge­
wisser Weise verständlich. Wegen der dicken Atmosphäre ist
die feste Oberfläche der Venus von der Erde aus nur schwer
zu untersuchen. Erst die amerikanische Raumsonde Magellan
konnte mit ihrem RADAR das Bodenrelief der Venus mit
112
einer Genauigkeit von etwa 300 m auflösen. Die Oberfläche
der Venus ist übersät mit gut erhaltenen, ringförmig ausgeprägten Einschlagkratern, deren Alter wegen ihrer geringen
Erosion auf nicht mehr als einige hundert Millionen Jahre
geschätzt wird. Ältere Impaktkrater wurden offenbar von
einer ausgeprägten Phase vulkanischer Aktivität überdeckt.
In der Oberfläche des Planeten lassen sich Strukturen nachweisen, die zweifellos mit Tektonik gekoppelt sind. Es
handelt sich um Zonen mit Kompression und Dehnung,
lineare und lang ausgedehnte Abbruche, vielleicht Verwerfun­
gen, Faltengebirge und Schildvulkane über großen, domför­
migen Aufwölbungen. Im Gegensatz zur Erde scheinen aber
die tektonischen Gebiete gleichmäßig über die Venus verteilt
zu sein und sind nicht, wie auf der Erde, an Plattenrändern
konzentriert.
Jupitermonde
Während Antriebskräfte und Förderprodukte des Vulkanismus auf den inneren Planeten sich im Prinzip nicht von denen
auf der Erde unterscheiden, sieht es auf den äußeren Planeten
und deren Monden ganz anders aus. Ein Beispiel dafür ist der
Vulkanismus auf Io, dem Innersten der großen Jupitermonde.
Mit Hilfe von Bildern der amerikanischen Raumsonden
Voyager wurden hier die gegenwärtig aktivsten Vulkane unseres Sonnensystems entdeckt. Massen werden geysirartig auf
ballistischen Bahnen bis mehrere hundert Kilometer über die
Ausbruchstellen geschleudert. Auf der Oberfläche des Io las­
sen sich viele heiße Calderen nachweisen, aus denen Lavaströme fließen. Die gesamte Oberfläche- von Io ist frei von
Impaktkratern, ein Zeichen für die hohen Förderraten der
vulkanischen Massen. Der thermische Energieausstoß von los
gesamter Oberfläche liegt bei 1014 Watt.
Spektralanalytische Untersuchungen zeigen die Dominanz
von Schwefel in den Förderprodukten an. Ein gewisser Anteil
an Silikatvulkanismus ist aber nicht auszuschließen. Die topo­
graphischen Variationen auf Io erreichen einige Kilometer
113
und sind mit einer Kruste, die große Ablagerungen von heißem und weichem Schwefel enthält, nicht vereinbar.
Für die thermische Aufheizung des Io wird allgemein Reibungswärme als Folge der zwischen Jupiter und Io auftreten­
den Gezeitenkräfte angenommen. Io umläuft Jupiter auf einer
durch die anderen galileischen Monde gestörten Bahn und mit
wechselnden Abständen zum Zentralgestirn. Die dabei auftretende Wechselwirkung in den Gravitationskräften führt Io
mechanische Energie zu, die durch Dissipation in Wärme um­
gesetzt wird. Eine andere oder zusätzliche Energiequelle für
die Aufheizung von Io könnte darin bestehen, daß die Wechselwirkung zwischen Io und der Magnetosphäre von Jupiter
einen elektrischen Strom in Io induziert, welcher über Widerstandsverluste Wärme erzeugt.
Europa, der dem Jupiter nach Io am nächsten stehende
Mond, zeigt Vulkanismus ganz anderer Art. Das Fehlen von
Einschlagkratern zeigt auch hier die ständige Erneuerung der
Oberfläche durch tektonische oder vulkanische Prozesse. Der
Wert der mittleren Dichte von Europa deutet auf einen Silikatkern hin, der von einer dicken Eisdecke überzogen ist. Die
Eisdecke ist von einem Muster von Brüchen durchschnitten,
aus denen Eis und Wasserdampf entweicht. Als Ursache wird
ähnlich wie bei Io thermische Aufheizung über Gezeitenreibung angenommen. Sie ist jedoch auf Europa mindestens um
den Faktor 10 schwächer als bei Io. Bei Callisto, dem größten
Jupitermond, ist die Oberfläche mit Meteorkratern übersät.
Vulkanismus, falls in seiner Geschichte überhaupt vorge­
kommen, muß vor langer Zeit erloschen sein.
10. Vulkangefahren und Vulkanüberwachung
Im Gegensatz zu Erdbeben, bei denen innerhalb weniger Se­
kunden nahezu statische Zustandsparameter in dynamische
Größen übergehen und damit schlagartig eine völlig veränderte Situation schaffen, benötigt der auf Strömungsvorgängen
basierende Motor im Vulkan immer eine gewisse Zeit für Än­
derungen in der Aktivität. Eine kurzfristige Einschätzung der
114
vom Vulkan ausgehenden Gefährdung ist demnach prinzipiell
einfacher als eine präzise Angabe zu Stärke und Zeitpunkt
zukünftiger tektonischer Beben. Die folgenden Fallstudien
zeigen allerdings, daß ein technisch im Prinzip möglicher
Schutz der Bevölkerung vor den Gefahren eines Vulkans in
der Praxis meist unlösbare soziologische Probleme mit sich
bringt.
Nach 1980 haben eine Reihe zum Teil spektakulärer Vul­
kanaktivitäten an teilweise gut überwachten Vulkanen statt­
gefunden. Dazu gehören die Phlegräischen Felder bei Neapel
in Italien, der Ausbruch des Vulkans El Chichon in Mexiko
und die Eruptionen des Vulkans Mihara-Yama nahe Tokyo in
Japan.
Am aufregendsten war für Europäer das Geschehen in den
Phlegräischen Feldern bei Neapel. Von 1982 bis 1984 war die
Stadt Pozzuoli und ihre Umgebung schwarmartig und sehr
oberflächennah auftretenden Erdbeben ausgesetzt. In der
Landschaft wurden Hebungsraten von Millimetern pro Tag
gemessen, und nach zwei Jahren erreichte das Maximum der
Aufwölbung fast zwei Meter. Aus ihrem Wissen zogen viele
Vulkanologen den Schluß, diese Erscheinungen müßten ur­
sächlich mit dem Einströmen von Magma in Schichten nahe
der Erdoberfläche zusammenhängen. Das Gebiet ist historisch
durch starke vulkanische Tätigkeit bekannt. Im Jahre 1538
wurde dort innerhalb weniger Stunden ein Vulkankegel, der
heutige Monte Nuovo, aufgeschüttet. Es lag nahe, aus diesen
Tatsachen auf eine hohe vulkanische Gefährdung der dicht
besiedelten Region zu schließen. Aus der Stadt Pozzuoli wurden 20 000 Menschen evakuiert. Dennoch blieb die befürchtete Vulkankatastrophe trotz typischer Vorläufer aus. Nie­
mand kann heute jedoch sagen, ob diese geowissenschaftlich
ungewöhnlichen Erscheinungen in späteren Jahren nicht doch
noch als „echte Vorläufer“ einer zukünftigen Vulkankatastrophe angesehen werden müssen.
Ganz anders war die Situation im Jahre 1982 bei dem in
Mexiko gelegenen Vulkan El Chichon. Der letzte Ausbruch
lag Tausende von Jahren zurück, und der Vulkan galt, wenn
115
er überhaupt als solcher erkannt wurde, als erloschen. Nur
wegen der Kontrolle der Erdbebenaktivität unter einem nahe
gelegenen Stausee wurde überhaupt eine Erdbebenstation installiert. Einige im März 1982 auftretende, schwache Erdbeben fanden jedoch kaum Beachtung. Ende März wurden von
den Seismographen Signale aufgezeichnet, die jeden mit Vulkanseismizität vertrauten Geophysiker sofort aufgeschreckt
hätten. Es handelte sich nicht mehr um impulsförmige, spo­
radisch auftretende Erdbebenstöße, sondern um regelmäßige,
oszillatorische Schwingungen. Vulkanologen sind diese vulka­
nische Tremor genannten Seismogramme wohlvertraut. Die
Bodenbewegungen rührten von den Siedegeräuschen oberflächennaher Magmaströmungen her. Am nächsten Tag wurde
der Berg in einer gewaltigen Eruption geöffnet, bei der mehrere tausend Menschen ihr Leben verloren.
Wären die Einwohner bei einer Überwachung des Vulkans
durch erfahrene Wissenschaftler gerettet worden? Wohl
kaum. Obwohl das Auftreten von Strömungsgeräuschen auf
schnelle, gashaltige und oberflächennahe Magmaströmungen
hindeutet, die bei einem über Jahrtausende nicht aktiven Vul­
kan und einem geschlossenen Krater einen äußerst gefährli­
chen Vulkanausbruch wahrscheinlich machen, hätte niemand
aufgrund dieses Verdachts eine innerhalb von Stunden zu erfolgende Evakuierung einer mit vulkanischen Gefahren nicht
vertrauten Bevölkerung durchsetzen können. Selbst in einem
Land wie Japan, wo die Bevölkerung auf die von Erdbeben
und Vulkaneruptionen ausgehenden Gefahren wie in keinem
anderen Land der Welt vorbereitet ist, sind, wie das folgende
Beispiel zeigt, Evakuierungen außerordentlich problematisch.
Auf der in der Bucht von Tokyo gelegenen Vulkaninsel
Izu-Oshima begann, für Vulkanologen nicht ganz unerwartet,
im November 1986 eine starke explosive Tätigkeit, bei der
Lavafontänen eine Höhe von 1500 m über der Ausbruchstelle
erreichten. Obwohl die einige Kilometer von der Ausbruch­
stelle gelegenen Ortschaften nicht unmittelbar von dem Ausbruch bedroht waren, wurde eine Evakuierung der Inselbe­
wohner eingeleitet. Von früheren Ausbrüchen war bekannt,
116
daß mit den Lavaergüssen wegen des nahen Meeres nicht
selten verheerende phreatomagmatische Explosionen verbunden waren. Diese entstehen, wenn die Gesteinsschmelze beim
Aufdringen mit wasserführenden Schichten in Kontakt kommt
und in einer Reaktion Dampfexplosionen erzeugt. Die bekannten Maare in der Eifel sind vermutlich so entstanden.
Trotz einer vom wissenschaftlichen Standpunkt aus begründeten und anhaltenden starken Gefährdung der Insel durch den
Vulkan konnte die Evakuierung der 10000 Inselbewohner auf
das nahe gelegene Festland nicht länger als zwei Wochen
durchgehalten werden. Auf Druck der Evakuierten besuchte
der Gouverneur von Tokyo die Insel und erklärte, im Gegen­
satz zur Meinung der meisten japanischen Vulkanologen,
nach seinem „intuitiven Gefühl“ sei der Vulkan ruhig, und die
Bevölkerung könne wieder auf ihre Insel zurückkehren.
Die von Vulkanen ausgehende Bedrohung der Menschen an
Leib und Leben ist allerdings weit geringer als vielfach angenommen wird. In den vergangenen fünfhundert Jahren haben
etwa eine Viertelmillion Menschen, unmittelbar oder mittelbar durch von der Zerstörung der Landwirtschaft ausgehende
Hungersnöte, ihr Leben im Zusammenhang mit vulkanischer
Aktivität verloren. Verglichen mit der Zahl der Erdbebenopfer ist dies wenig. Allein bei dem Erdbeben in Tangshan
(China) im Juli 1976 kamen vergleichbar viele Menschen ums
Leben. Eine Redewendung in Mittelamerika sagt: „Einem
Vulkanausbruch kann man davonlaufen, einem Erdbeben
nicht.“ Ein wesentlicher Punkt wird hier jedoch nicht berücksichtigt. Erdbeben treten nur bis zu einer maximalen Stärke
auf. Dieses größtmögliche Ereignis tritt pro Jahrhundert im
Durchschnitt einmal auf der Welt ein. Die maximal mit einem
Vulkanausbruch verbundene mögliche Gewalt ist uns aber,
genauso wie die Häufigkeit ihres Auftretens, weitgehend un­
bekannt. Eine gewisse Vorstellung möglicher Eruptionsstärken geben uns allerdings die auf der Erde vorkommenden
Großcalderen. Calderen, früher auch Einsturzkessel genannt,
sind Einsenkungen in einer Vulkanlandschaft, gleichsam die
Überbleibsel eines Vulkans nach dem Auswurf großer Massen
117
Im „Hermannschen Krisenkubus“ werden katastrophenartig eintretende
Zustandsänderungen nach Überraschungsmoment, Gefährdungsgrad und
Entscheidungszeit verglichen. Die Abbildung zeigt einige Vulkaneruptio­
nen mit der Jahreszahl des Ausbruchs. Die Koordinatenwerte können bei
der Risikoabschätzung mit Hilfe der Theorie nichtlinearer Vorgänge als
sogenannte Kontrollparameter verstanden werden. (Zchg. Peter Schick)
von Magmen. Beim Toba-See im nördlichen Sumatra handelt
es sich um eine der größten bekannten Calderen mit einer
Längsausdehnung von fast 100 km. Man schätzt, daß hier vor
75 000 Jahren innerhalb weniger Tage etwa tausend Kubikkilometer Asche ausgeworfen wurden. Der Massenverlust
führte zu einer Tiefe des Caldera-Bodens von zunächst vielleicht 2 000 m. Später nachfolgende Magmaintrusionen ließen
den Boden wieder anheben, so daß heute inmitten des tiefen
Toba-Sees die Insel Samosir herausragt.
Die verheerenden Auswirkungen derartiger Rieseneruptio­
nen auf den Menschen und seine Landschaft werden höch­
stens noch durch den Einschlag eines Meteoriten übertroffen.
Bei der Bildung der Toba-Caldera ist ein 400 Quadratkilome­
ter großes Gebiet eingebrochen, mit Asche zugedeckt worden
und damit praktisch von der Landkarte verschwunden. Am
118
Rande der Caldera fanden sich Aschenmächtigkeiten über
Hunderte von Metern, und noch in einigen hundert Kilometern Entfernung betrug die Aschenbedeckung mehrere Meter.
Auf einer Fläche fast so groß wie die Schweiz wurde alles
menschliche, tierische und pflanzliche Leben begraben und
zerstört. Es ist unbekannt, wie häufig derartige Ereignisse
in der Erdgeschichte auftreten. Riesenausbrüche wie am
Toba-See finden vermutlich nur alle 500000 Jahre statt.
Calderen mit kleinerer Ausdehnung findet man naturgemäß
häufiger. Etwa alle 50 000 Jahre entstehen Einbruchkessel mit
20 bis 30 km Ausdehnung und alle 1000 Jahre etwa solche
mit 5 bis 10 km.
Es ist ein fundamentales Ziel der Vulkanologie, die Ursachen und die begleitenden Phänomene beim Übergang von ei­
nem nicht oder nur schwach aktiven Zustand in eine Phase
hoher Aktivität zu erkunden. Wir können nur anhand von
Beobachtungen aus plausibel erscheinenden Überlegungen
schließen, daß langfristig eine erhöhte Aktivität im wesentlichen die Folge eines Magmaschubs aus der Tiefe ist. Warum,
wann, wo und wie stark dieser Schub jedoch einsetzt, ist völ­
lig unbekannt. Kurzfristig gehen in den Übergang Faktoren
ein, wie sie in Abschnitt III. 4. beschrieben sind.
Die heutige Überwachung eines Vulkans mit der Absicht,
die Entwicklung seiner zukünftigen Dynamik abschätzen zu
können, besitzt Ähnlichkeit mit der Beschreibung des Wettergeschehens und mit der Wettervorhersage. Das Verhalten beider Systeme wird entscheidend durch Art und Zustand von
Strömungen bestimmt. Im Gegensatz zu den Bewegungen der
Luftmassen können die unterirdisch und einer direkten Beob­
achtung nicht zugänglichen Magmaströmungen jedoch nur an
der Oberfläche oder außerhalb des Vulkanbaus, also nur über
indirekt durchgeführte Messungen verfolgt werden. Die Interpretation der Daten ist dabei fast immer mit unsicheren oder
gar spekulativen Annahmen belastet.
In das Innere eines Vulkans neu einströmendes Magma
oder Änderungen in einem über Jahre hinweg stationären
Strömungsmuster verursachen Störungen und Anomalien, die
119
man mit den Mitteln der modernen Meßtechnik zu erfassen
versucht. Dabei wird der Vorteil ausgenutzt, daß sich das
Magma in seinem mechanischen, thermodynamischen, elek­
trischen und chemischen Verhalten signifikant von seiner
Umgebung unterscheidet. Vereinfacht gesagt erfolgt der
Transport von Magma im Vulkaninneren auf zwei Arten:
1. Das Magma fließt im Vulkaninneren in vorgefertigten,
plattenförmigen Kanälen oder Gängen. An vielen Vulkanen
der Erde (z. B. an der Somma-Wand des Vesuvs oder im Valle
del Bove am Ätna) lassen sich durch Erosion herauspräparierte Gangstrukturen von erkalteter Schmelze wunderbar erken­
nen. Die meist vertikal orientierten Gänge besitzen Breiten im
Bereich von Metern. Die Ausdehnungen in vertikaler und
horizontaler Richtung ziehen sich oft über mehrere hundert
Meter hin, bis der Gang im Vulkanbau verschwindet. Die
Übergänge zwischen Fördergang und Vulkanbau sind oft
messerscharf ausgeprägt.
2. Der Vulkanbau ist mechanischen Belastungen ausgesetzt,
eine Folge seines Eigengewichtes und der Einspannung in
überregionale tektonische Spannungen. Neues Magma kann
nun entlang von Schwächezonen, vorgefertigten Rissen oder
Flächen mit minimaler statischer Kompression (also maxima­
ler Dehnung) vordringen und neue Förderkanäle mit einer
neuen Ausbruchstelle erzeugen.
Die Überwachung von Vulkanen basiert in wesentlichen
Teilen auf diesen Grundvorstellungen des Magmentransports.
Im ersten Fall kann mit Seismometern, d.h. „Horchgeräten“,
das in Abschnitt III. 4. beschriebene Strömungsrauschen des
Magmas abgehört werden. Aus Charakteristik und Klangfar­
be des typischerweise im Infraschallbereich liegenden Geräusches lassen sich mit theoretischen und experimentellen Er­
kenntnissen aus der Strömungsakustik im Magmatransport
verschiedene Strömungstypen und Strömungsmuster unter­
scheiden. So glaubt man zum Beispiel, feststellen zu können,
ob die Förderung im Schlot einseitig gerichtet ist („Monopol­
strömung“) oder ob eine Konvektionsströmung („Dipolströ­
mung“) vorherrscht. Der geschlossene Kreislauf einer Warm­
120
wasserheizung in einem Gebäude entspricht einer Dipolströmung. Tritt durch ein Loch in einem Heizkörper Wasser aus,
so wird die Dipolströmung von einer Monopolströmung
überlagert. Der Übergang von Dipol- zu Monopolströmung
kann ein Hinweis auf eine zukünftige Eruption darstellen.
Treten in den Beobachtungen schnelle und ausgeprägte Fluk­
tuationen in den Signalstärken auf, deutet dies auf das Vor­
handensein von Gasblasen in der Strömung.
Die Neubildung von Förderkanälen geschieht durch Auf­
weitung von Spalten, in die das Magma eindringt und die sei­
nen Weg vorzeichnen. Das Aufweiten erfolgt teils durch plastische Deformation, teils aber auch durch Dehnungsbrüche.
Mit seismischen Beobachtungsnetzen lassen sich die Brüche
nach dem Ort des Auftretens und der Stärke verfolgen. Man
erhält so eine Spur des vordringenden Magmas. Seismometer
sind Instrumente zur Messung der Bodenbeschleunigung. Die
Grenzempfindlichkeiten des Meßbereiches sind zwar hoch
und können 10 12 der Erdbeschleunigung erreichen, doch
reicht selbst dieser Wert nicht aus, um Änderungen im Magmafluß, die sich über Jahre hinziehen können, nachzuweisen
und zu orten. Ein sehr langsam und im Vulkangebäude
asymmetrisch verlaufender Magmatransport (z.B. einseitig
zur Erdoberfläche hin gerichtet oder auch als von einem zentralen Förderschlot weggehender Radialgang) führt zu De­
formationen des Vulkangebäudes. Diese können mit verschie­
denen Verfahren überwacht werden. Traditionell werden
geodätische Methoden mit Nivellement und Triangulation
eingesetzt. Da sie aber sehr arbeitsintensiv und zeitaufwendig
sind, werden heute Meßverfahren der modernen Satellitengeodäsie bevorzugt. Das bekannte und für Navigationszwecke
häufig eingesetzte Global Positioning Satellites (GPS) erlaubt
an ausgewählten Punkten absolute Ortsbestimmungen im
Zentimeterbereich und darunter. Mit dem noch im Aufbau
begriffenen, vielversprechenden System der Satelliten-RadarInterferometrie (SAR) können Vulkangebiete allein vom
Satellit aus, ohne die Hilfe von Bodenstationen, großflächig
abgetastet und bei Wiederholungsmessungen in späteren
121
Umläufen auf zwischenzeitlich eingetretene Deformationen
untersucht werden. Neigungsmesser, in Form überlanger
Wasserwaagen oder dem Prinzip der „schief eingehängten
Tür“ folgend, werden nicht nur in Erdbebengebieten, sondern
auch am Vulkan zur Überwachung möglicher Bodendeforma­
tionen seit Anfang des Jahrhunderts häufig verwendet. Mit
diesen Instrumenten wurde schon vor fünfzig Jahren an den
Schildvulkanen Hawaiis nachgewiesen, daß Aufwölbungen
der Vulkanoberfläche mit einem Einströmen, Kesselbildungen
dagegen mit einem Abströmen von Magma verbunden sind.
Spezifisches Gewicht und Dichte des Magmas unterscheiden sich vom Nebengestein des Vulkanbaus. Verlagerungen
von Magma im Berg wirken sich im Gravitationsfeld des Vul­
kans aus, das mit Hilfe von Gravimetern mit hoher Präzision
gemessen werden kann. Verschiedene quantitativ schwer erfaßbare Störeinflüsse, wie Veränderungen des Grundwasserspiegels, machen jedoch die Messungen schwer interpretierbar.
Zusätzlich zu den genannten instrumentellen und physikalischen Meßmethoden zur Überwachung eines Vulkans werden
noch qualitative Beobachtungen herangezogen. Selbst bei potientiell sehr gefährlichen Vulkanen ist dies nicht selten die
einzige Möglichkeit, Veränderungen des Aktivitätszustandes
zu erkennen. Ungewöhnliche Schneeschmelzen oder Gletscher­
abbrüche können auf eine Temperaturzunahme im Vulkan
hindeuten. Oft sind Hangrutschungen, vermehrter Steinschlag
oder Spaltenbildung die Folge einer Aufsteilung des Vulkans
durch hochsteigendes Magma. Intrusionen magmatischer
Schmelze führen auch zu vermehrter SO2-Emission. Stehen
keine teuren Gasmeßgeräte zur Verfügung, so können verminderte pH-Werte in Kraterseen auf diesen Effekt hindeuten.
Unser Wissen über die zu einer vulkanischen Eruption führenden Faktoren und ihr Zusammenwirken reicht bei weitem
nicht aus, um aus Meßdaten die Entwicklung der Aktivität eines Vulkans eindeutig ableiten zu können. Meist bleiben nur
allgemeine Abschätzungen, Plausibilitätsbetrachtungen und
Vergleiche mit früheren, am selben oder an einem vergleich­
122
baren Vulkan abgelaufenen Eruptionsprozesse. Die für die be­
troffene Bevölkerung jedoch wichtigste Frage, ob sich die an­
steigende Aktivität zu einem Paroxysmus, einer Großeruption
ausweiten wird, ist für den Vulkanwissenschaftler kaum zu
beantworten. Von dieser Problematik sind selbst Meteorologen betroffen. Auch für außergewöhnlich selten eintretende
Wettereinwirkungen, wie Wirbelstürme, extremer Hagelschlag u.a., kann die Wettersituation, aus der sie entstanden
sind, meist nur nachträglich erklärt werden. Die Analogie
zum Vulkan ist nicht überraschend. Vulkanologische wie meteorologische Vorgänge werden von nach nichtlinearen Gesetzen ablaufenden Strömungen beherrscht, die von vielen Ein­
flußgrößen abhängen. Bei einem kritischen Zustand des
Systems können kleine Änderungen große Wirkungen erzielen. Dennoch gibt es auch Zustände, bei denen eine Voraus­
berechnung des Geschehens mit großer Sicherheit möglich ist.
Eine ruhige Hochdruckwetterlage mit geringen Schwankungen im Luftdruck läßt sich vergleichen mit der Situation am
Vulkan Ätna auf Sizilien, bei der die vulkanischen Tremor nur
kleine zeitliche Amplitudenänderungen aufweisen. Nun sind
aber für Prognosen nicht die ruhigen Wetterlagen maßgebend,
sondern die Prozesse mit hoher zeitlicher Instationarität. Ob
aus einem plötzlichen Abfall des Barometerdrucks in einer
Gewittersituation eine Unwetterkatastrophe entsteht oder nur
ein Sturm, der ein paar Dachziegel abwirft, ist genauso unsicher vorherzusagen, wie aus einer plötzlichen Änderung vul­
kanischer Meßgrößen auf einen die Anwohner bedrohenden
neuen Aktivitätszustand des Vulkans zu schließen.
Weiterführende Literatur
(im Buchhandel bei Drucklegung des vorliegenden Buches
nicht vergriffen)
Allgemeine Geophysik, Aufbau der Erde, Plattentektonik
Berckhemer, Hans: Grundlagen der Geophysik. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 201 S., 1990.
Brown, Geoff, Hawkesworth, Chris and Chris Wilson (eds.): Understanding the Earth - a new synthesis. Cambridge University Press, Cam­
bridge-New York, 551 S., 1992.
Strobach, Klaus: Unser Planet Erde. Ursprung und Dynamik. Gebrüder
Bornträger, Berlin-Stuttgart, 253 S., 1991.
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Bolt, Bruce, A: Erdbeben - Schlüssel zur Geodynamik. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg-Berlin-New York, 230 S., 1995.
Lomnitz, Cinna: Fundamentals of Earthquake Prediction. John Wiley &
Sons, Inc., New York-Chichester-Brisbane, 326 S., 1994.
Schneider, Götz: Erdbebengefährdung. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 167 S., 1992.
Vulkane
Chester, David: Volcanoes and Society. Edward Arnold. A division of
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Decker, Robert und Barbara Decker: Vulkane. Spektrum Akademischer
Verlag, Heidelberg-Berlin-New York, 267 S., 1992.
Edmaier, Bernhard und Angelika Jung-Hüttel: Vulkane. BLV Verlagsge­
sellschaft, München, 161 S., 1994.
Pichler, Hans: Italienische Vulkangebiete. Sammlung Geologischer Führer.
Gebr. Bornträger, Berlin-Stuttgart.
Das Werk besteht aus 5 Einzelbänden:
I: Somma-Vesuv, Latium, Toscana. (Band Nr. 51, 258 S.)
II: Phlegräische Felder, Ischia, Ponza-Inseln, Roccamonfina. (Band
Nr. 52, 186 S.)
III: Lipari, Vulcano, Stromboli, Tyrrhenisches Meer. (Band Nr. 69,
270 S.)
IV: Ätna, Sizilien. (Band Nr. 76, 326 S.)
V: Mte. Vulture, Äolische Inseln II (Salina, Filicudi, Alicudi, Panarea),
Mti. Iblei, Capo Passero, Ustica, Pantelleria und Linosa. (Band Nr. 83,
271 S.)
Rast, Horst: Vulkane und Vulkanismus. Ferdinand Enke Verlag, Stuttgart, 3. Auflage, 236 S., 1987.
124
Schmincke, Hans-Ulrich: Vulkanismus. Wissenschaftliche
Buchgesellschaft, Darmstadt, 164 S., 1986.
Elektronische Informationssysteme
Sammlung von CD-ROM (CD-ROM Collection)
Vom National Geophysical Data Center (NGDC) in Boulder, USA, werden innerhalb einer CD-ROM Sammlung Datenbänke mit umfangreichen
Angaben zu Erdbeben und Vulkaneruptionen herausgegeben. Erwähnenswert ist ein Katalog mit über vier Millionen weltweit aufgetretener
Beben, der bis auf das Jahr 2100 v.Chr. zurückgeht.
Anschrift: National Geophysical Data Center, 325 Broadway, E/GCl,
Code 975, Boulder, CO., 80303-3328, USA.
World Wide Web (WWW)
Eine größere Anzahl geophysikalischer Institute und Observatorien zur
Beobachtung von Erdbeben und Vulkanaktivitäten unterhält über das Internet erreichbare „home-pages“ im World Wide Web (WWW). Die Seiten enthalten neben allgemeinen Darstellungen zur Seismologie und Vulkanologie aktuelle Informationen über Erdbeben und Aktivitätszustände
vieler Vulkane. Wegen der häufigen Änderungen sollen keine detaillierten
Angaben zu den Adressen erfolgen.
Die Rubriken Seismology, Earthquakes und Volcanology sind jedoch
leicht zu finden. Eine Möglichkeit des Einstiegs kann über den Search
YAHOO erfolgen (www.yahoo.com). Über die Sparten Science: Earth
Sciences: Geology and Geophysics erreicht man Seismology, Earthquakes
und Volcanology.
Earthquakes enthält Kataloge weltweit aufgetretener Beben, Verzeichnisse und Anschriften von Erdbebenstationen, Vorschläge zur erdbebensicheren Bauweise, Erdbebengefährdungskarten, Nachrichten über aktuelle
Beben und nahezu in Echtzeit ablaufende Seismogrammregistrierungen
vieler Erdbebenstationen.
Volcanology enthält Verzeichnisse von Vulkanen und Vulkanobservatorien, Satellitenbilder, gegenwärtige Vulkanemissionen und ihre Ein­
wirkungen auf das Klima, sowie die aktuellen Aktivitätszustände vieler
Vulkane. Für Europäer besonders interessant sind ausführliche Beschreibungen der süditalienischen Vulkane Vesuv, Stromboli, Vulcano und Ätna. Man findet hier nicht nur den neuesten Eruptionszustand, sondern
auch touristische Informationen wie Landkarten, Wegbeschreibungen,
Fahrpläne und Anschriften von Verkehrs- und Schiffahrtsbetrieben.
Register
Aa-Lava 101
adiabatische Dekompression 75
akustische Emissionen 42
Alba Patera 112
Alkali-Reihe 84
aseismisch 40, 53
Assam-Beben 44
Astenosphäre 10, 14, 16 f., 79, 81
Ätna 71, 85 f., 88, 100f., 120, 123
FlutbasaJte 109
Fokus 35 f.
Fumarolen 105
b-Wert 43
Blocklava 101
Bruchfläche 31, 34, 42, 44, 51,
53 f.
Bruchgeschwindigkeit 29, 44 f., 54
Harnisch 41
Hawaii 68, 100f., 103, 106 ff., 122
hawaiianisch 93 f.
Herdfläche 39 ff., 45, 49, 67
Herdflächenlösung 39, 49
Herdlänge 39ff., 54
Herdtiefe 35 f., 38,45, 52, 54
Herdvolumen 40 f.
Herdzeit 35 f., 53
Hohlschichtenhypothese 21
Hornito 100
Hot Spot 50, 106 ff.
Hypozentrum 35, 44, 46, 53
Caldera, Calderen 113, 117ff.
Coulombsches Gesetz 32
Deccan-Trapp-Plateau 109
Dehnungsbruch 31, 121
Dehydration 47
Dislokation 22, 24 ff., 29, 34, 40,
42, 44 f., 54, 60
Dislokationsgeschwindigkeit
44 f.
Dislokationslinien 22
effusive Tätigkeit 97, 100ff.
Einschlagkrater 110ff.
Einsturzbeben 22
El Chichon 103 f., 115, 118
Epizentrum 35, 54
Erdbebenvorhersage 8, 54ff.
Erdbebenzyklen 27, 57
Erdkern 10, 12 ff., 74, 107, 110
Erdkruste 12 ff., 38, 46 ff., 51, 57,
86
Erdmantel 10, 12 ff., 46, 74 ff., 86,
107, 109f.
explosive Tätigkeit 82, 85, 97,
99 f., 104, 116
126
Galeras 98
Global Positioning Satellites (GPS)
121
Glutlawinen 97, 99
Gutenberg-Richter-Beziehung 43
Inselbogen 17, 80
Intensität 36 ff., 54, 88, 97
Intraplattenbeben 47f., 51, 57
Intrusionen 79, 81, 118, 122
Isoseisten 37
Kalkalkali-Reihe 84
Kilauea, Kilauea-Riftsystem 106 f.
Kissenlava 101
Konvektionszellen 10f., 110
Krakatau 93, 104
Laki-Spalte 102
Lapilli 85
Lava 9, 70, 72, 74, 78, 81 ff., 97,
99, 100f., 109, 112f., 117
LIDAR-Messungen 103
Liquiduskurve 75
Lithosphäre, Lithosphärenplatten
10,14, 16 f., 27, 46 f., 49, 57,
75, 77ff., 95, 97, 107, 109, 111
Maare 117
Magma 11, 15, 26f., 74ff., 81 f.,
84, 86 ff., 90 f., 95, 91 ff., 107,
111f., 115f., 118ff.
Magmadom 95, 97
Magnitude 30, 36 ff., 40 f., 43 ff.,
47 f., 50, 53 ff., 63, 92 f.
Magnitudenformel 38
Makroseismische Skala 36
Mare 110
Merapi 97
MM-Skala 37
Moho-Diskontinuität 13 f., 17
Monte Nuovo 115
Mylonithisierung 41
Mylonithzone 51
Nevado del Ruiz 93, 98, 118
New-Madrid-Erdbeben 48
Obsidiane 84
Olympus Mons 111f.
Ozonloch 105 f.
P-Wellen 36
Pahoe-hoe-Lava 100
Paroxysmus 123
partielles (Auf)Schmelzen 74 ff., 79
Peridotit 75
Phlegräische Felder 115, 118
Pillowlava 101
Pinatubo 86, 105, 118
Planetesimale 9
Plattentektonik 11, 13, 16 ff., 27,
46 f., 60, 74, 94, 107, 109 f.
plinianischgSf., 102, 104
Plume, Mantel-Plume 107f., Ill
Pozzuoli 115
Pyroklastika 82, 85 f., 99
QAPF-Doppeldreieck 84
Reidsches Erdbebenmodell 23 f.,
27, 38, 60
Richter-Magnitude 38
Ring of Fire 78
S-Wellen 36
San-Andreas-Verwerfung 17, 23,
40
Satelliten-Radar-Interferometrie
(SAR) 121
Scherbmch 24 f., 27, 31, 34, 46, 52
Scherdislokation 42, 44, 46, 52 f.
Schildvulkane 111ff., 122
Schollenlava 100
Schüttergebiet 21
Sea-floor spreading 15 ff.
Seillava 100
seismisches Moment 45
Seismogramm 28ff., 37ff., 40,
44 ff., 54, 68, 116
Seismotektonik 38, 48
Solfataren 105
Soliduskurve 75
stick-slip 34, 43
Stromboli 71, 93
strombolianisch 90, 93 f.
Subduktion, Subduktionszonen
46 ff., 57, 78 ff., 85, 95
Süddeutsche Großscholle 50 ff.
Tambora93, 102 f.
Tektonik 8,10,12,18, 31, 38, 40,
48,75,85,97, 109, 113
tektonische Beben 19 ff., 115
Tephra 82, 93, 98, 102
Theorie des elastischen Zurück­
schnellens 23
Tiefbeben 28, 45 ff.
Toba-See 118 f.
Tsunami 66 ff.
Vesuv 70 ff., 96, 118, 120
Vulcano 71, 93, 105
vulkanianisch 93 f.
vulkanische Beben 20 ff.
127
vulkanische Gase 21, 86, 97f.,
100, 105
vulkanischer Tremor 116, 123 Vulkanischer Explosivitäts-Index
(VEI) 93 ff.
Vulkanite82ff.
Wärmekonvektion 27 Wärmequellen 12 Wärmestrom 12 Wasserspiegelschwankungen 57
Xenolithe 76 f.
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