J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung J. P. J. Pinel: Biopsychologie Anmerkung: Kapitel 16 und 17 fehlen. Das Skript kann das Lesen des Buches nicht ersetzen, ist aber eine gute Grundlage zum Auswendiglernen. Ist in 1 Woche zu schaffen;-) Kapitel 1: Biopsychologie als Neurowissenschaft 1.1 Was ist Biopsychologie? - Biopsychologie ist der Zweig der Neurowissenschaften, der sich mit der Biologie des Verhaltens beschäftigt - Verhalten bezieht sich auf beobachtbare Aktivitäten des Organismus und auf ihnen zugrunde liegenden inneren Prozesse wie Wahrnehmung, Lernen, Gedächtnis, Motivation und Emotion - Beginn der Biopsychologie: etwa mit Hebb (1949): Organization of behaviour 1.2 Die Beziehung zwischen der Biopsychologie und anderen neurowissenschaftlichen Disziplinen - Mit Biopsychologie verwandte Neurowissenschaften: Neuroanatomie, Neurochemie, Neuroendokrinologie, Neuropathologie, Neuropharmakologie, Neurophysiologie 1.3 Typische Forschungsansätze der Biopsychologie Probanden und Versuchstiere - Häufig verwendete Tiere: Ratten, Mäuse, Katzen, Hunde, Affen - Alle Gehirne sind in Struktur gleich, unterscheiden sich mehr in Quantität als in Qualität Æ daher generalisieren von Tier auf Mensch möglich - Vorteil von Tieren: 1. Gehirn und Verhalten ist einfacher strukturiert. 2. Vergleichender Ansatz: Erkenntnisse ergeben sich aus dem Vergleich verschiedener Arten, z.B. mit hoch und niedrig entwickelter Großhirnrinde 3. Versuche möglich, die Ethik beim Menschen verbietet Experimente und nichtexperimentelle Studien - Experiment: Intergruppenplan und Intragruppenplan - Coolidge-Effekt: Frage: zeigen Mäuseweibchen bei neuem Sexpartner gesteigerte Aktivität? - Quasiexperimentelle Untersuchung: Untersuchung an Versuchsgruppen, die verschiedenen Bedingungen außerhalb des Labors ausgesetzt sind. Keine Aufteilung nach Zufallsprinzip. Bsp.: Studie mit Alkoholikern - Fallstudie: Untersuchungen, die sich auf einen einzigen Fall beschränken und diesen detailliert beobachten. Problem: Generalisierbarkeit Grundlagenforschung und angewandte Forschung - Grundlagenforschung ist nur durch Neugier der Forscher motiviert. Nutzen vor allem für Außenstehende schwer ersichtlich (ÆFinanzierungsproblem) - Angewandte Forschung ist auf direkten Nutzen ausgerichtet, wird von vielen Forschern für überflüssig gehalten 1.4 Die Teilgebiete der Biopsychologie 1. Physiologische Psychologie Experimente, in denen chirurgische oder elektrische Eingriffe ins Nervensystem vorgenommen werden. Arbeitet mit Versuchstieren. Vor allem Grundlagenforschung 1 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung 2. Psychopharmakologie Experimente, in denen neuronale Aktivität mit psychoaktiven Substanzen (Drogen, Psychopharmaka) beeinflusst wird. Arbeitet mit Versuchstieren, manchmal auch mit Menschen. Vor allem angewandte Forschung. 3. Neuropsychologie Untersucht Einfluss von Hirnschäden auf Verhalten. Beschäftigt sich meist mit dem Neokortex. Quasiexperimentelle Untersuchungen und Fallstudien. Sehr stark anwendungsorientiert. 4. Psychophysiologie Untersucht Zusammenhänge von Verhalten und physiologischen Prozessen mit nichtinvasiven Ableitungsmethoden (EEG, Muskelspannung, Augenbewegung, Herzschlagfrequenz, Blutdruck, EDA…) 5. Kognitive Neurowissenschaft Untersucht Kognition (Denken, Gedächtnis, Aufmerksamkeit und komplexe Wahrnehmungsvorgänge). Hauptsächlich beim Menschen, mittels funktionalen bildgebenden Verfahren. Viel interdisziplinäre Zusammenarbeit. 6. Vergleichende Psychologie Untersucht Verhalten allgemein, nicht nur neuronale Mechanismen. Vergleicht verschiedene Arten miteinander. Großer Teil: Verhaltensgenetik 1.5 Konvergenz der Ansätze: Wie arbeiten Biopsychologen zusammen? - Probleme und Fragestellungen können besser gelöst werden, wenn sie mit verschiedenen Ansätzen untersucht werden. - Bsp.: Korsakow-Syndrom: schwerer Gedächtnisverlust, tritt häufig bei Alkoholikern auf. Ist aber nicht direkt auf Wirkung des Alkohols zurückzuführen, sonder auf ThiaminMangel (Vitamin B1-Mangel). Erkenntnis hier aufgrund von neuropsychologischen Fallstudien, Quasiexperimenten mit Menschen und Laborexperimenten mit Ratten. 1.6 Wissenschaftliche Schlussfolgerung: Wie untersuchen Biopsychologen nichtbeobachtbare Gehirnfunktionen? - Viele Prozesse lassen sich nicht direkt beobachten, sondern nur deren Wirkung. In der Wissenschaft wird versucht, Experimente so zu planen, dass man aufgrund der Ergebnisse eines Experiments auf den zugrunde liegenden Prozess eines Phänomens schließen kann. - Bsp.: Bewegungswahrnehmungsexperiment (bewege selbst die Hand vor den Augen usw. Lösung: Reafferenzprinzip) 1.7 Was ist schlechte Wissenschaft, und wie erkennt man sie? - Problem: bei Fragestellung lassen wir uns von unbewussten vorgefassten Konzepten und Ansichten leiten - Aus Fehlern werden Grundsätze und Methoden zur Experimentplanung entwickelt - Bsp. für skandalöse Fälle von schlechter Wissenschaft: 1. José Delgado: Aggressivitätszentrum beim Stier 2. präfrontale Lobotomie (Moniz): Präfrontaler Kortex wird vom Rest des Gehirns operativ getrennt zur Therapie bei mentaler Erkrankung. Ähnlich: transorbitale Lobotomie (Freeman). Nebenwirkungen: Amoralität, Mangel an Einsicht, Gefühlskälte Epilepsie und Harninkontinenz 2 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung Kapitel 2: Evolutionäre und genetische Grundlagen des Verhaltens 2.1 Denkansätze in der Biologie des Verhaltens: von der einfachen Dichotomie zur komplexen Wechselwirkung Physiologisch oder psychologisch? - Hervorgegangen aus Renaissance: Konflikt zwischen Kirche und Wissenschaft. - Æ Trennung von Phänomenen in physiologische (erklärbar durch Wissenschaft) und psychologische (erklärbar durch Kirche/Religion): cartesischer Dualismus - Diese Trennung ist nicht mehr aktuell, psychologische Phänomene können durch Physiologie erklärt werden Angeboren oder erworben? - Auch bekannt als Erbe-Umwelt-Problem - In Nordamerika Behaviorismus: alles kommt aus der Umwelt und ist erlernt. Bsp.: Watson glaubte, er könnte ein beliebiges Kind zu einem beliebigen Menschen erziehen, je nachdem, in welchem Umfeld er es aufzöge - In Europa Ethologie: Beschäftigt sich mit angeborenem Instinktverhalten. Bsp.: Tinbergen untersuchte Schlüsselreize bei Möwen Die Grenzen der traditionellen Dichotomien - Zwei Gegenbeweise: 1. bei Menschen können höhere komplexe Prozesse (wie Gedächtnis, Gefühl) durch Schädigung oder Stimulation des Gehirns beeinflusst werden. Bsp.: Asomatognosie (Unfähigkeit, eigene Körperteile zu erkennen) 2. Tiere besitzen Fähigkeiten, die vormals als psychologisch (also menschlich) galten. Bsp.: Schimpansen erkennen sich selbst im Spiegel - Anlage und Umwelt wirken interaktiv, man kann nicht erklären, zu welchem Anteil sie ein Phänomen erklären - Grundannahmen Biopsychologische Forschung: Verhaltensreaktionen ergeben sich aus 1. der genetischen Ausstattung eines Organismus, die ein Produkt der Evolution ist 2. seiner Erfahrung 3. seiner Wahrnehmung der gegenwärtigen Situation 2.2 Die Evolution des Menschen - Beginn mit Charles Darwin: On the Origins of Species (1859). Erklärt Evolution durch natürliche Selektion: Organismen mit der höchsten Fitness haben bessere Überlebenschancen - Belege für Evolutionstheorie: systematische Veränderung bei Fossilfunden, natürliche Selektion auf Galapagos-Inseln, Zuchtwahl bei Tieren und Pflanzen, Ähnlichkeiten im Knochenbau verschiedener Arten (z.B. Menschenhand und Fledermausflügel) Evolution und Verhalten - Soziale Dominanz: Alpha-Männchen paaren sich häufiger als alle anderen rangniedrigeren Männchen einer sozialen Gruppe Æ höhere Wahrscheinlichkeit für Weitergabe von Genen - Werbeverhalten: eine Art ist i. A. in Bezug auf die Fortpflanzung von anderen Arten isoliert, begünstigt durch spezielles Werbeverhalten Verlauf der Evolution des Menschen - Evolution der Vertebraten (Wirbeltiere) in Mio. Jahren: 600 Beginn des Lebens Æ 500 Chordaten Æ 425 Wirbeltiere Æ 400 Amphibien Æ 300 Reptilien Æ 180 Säuger Æ150 Vögel Æ 6 Hominiden - Es gibt 20 Säugerordnungen: wir sind die Primaten. Es gibt 5 Primatenfamilien: Halbaffen, Neuweltaffen, Altweltaffen, Menschenaffen, Hominiden 3 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung - Entstehung der Menschheit: Ordnung: Primaten Familie: Hominiden Gattung: 1. Australopithecus (vor 6 Mio. Jahren, ca. 1,30 groß, Schädelhöhe 500 cm3) 2. Homo Art: 1. Homo habilis (vor 2 Mio. Jahren, Schädelhöhe 700 cm3) 2.Homo erectus (vor 1,5 Mio. Jahren, Schädelhöhe 850 cm3) 3. Homo sapiens (heutiger Mensch, Schädelhöhe 1350 cm3) - Zwischen Homo erectus (Werkzeuge, Feuer) und Homo sapiens: Neandertaler vor 200000 Jahren, Cro-Magnon-Menschen vor 25 000 Jahren (Wandmalereien und Schnitzereien) Gedanken über die Evolution des Menschen - Evolution ist keine gerade Linie - Wir sind nur die letzen Überlebenden einer Art - Rasche Evolutionäre Veränderung durch Umweltveränderung oder genetische Mutation - Weniger als 1% der bekannten Arten leben noch - Evolutionäre Anpassungen sind weit entfernt davon, perfekt zu sein - Nicht alle Entwicklung ist adaptiv - Verlauf von Entwicklungen: entweder homolog (gleiche Herkunft, aber unterschiedliche Funktion, z.B. Menschenhand und Vogelflügel,) oder analog (verschiedene Herkunft aber gleiche Funktion, z.B. Fisch und Wal ) Æ zurückzuführen auf konvergente Evolution (Veränderung zwecks Anpassung an jeweilige Ökologische Nische) Die Evolution des menschlichen Gehirns - Frühere Annahmen: Intelligenz beruht auf Größe des Gehirns, Intelligenz beruht auf relative Größe des Gehirngewichts zum Körpergewicht (Encephalisationsquotient) Æ beides falsch - Entwicklung von Hirnstamm und Großhirn ist getrennt zu betrachten. Struktur der Gehirne verschiedener Arten ist gleich. Größe des Großhirns und der Windungen der Großhirnrinde (Cerebraler Cortex) bestimmt Intelligenz Zwischenbilanz - Funktionaler Ansatz untersucht Anpassungsvorteil und Selektionsdruck in Evolution - Vergleichender Ansatz untersucht Verhalten und neuronale Mechanismen verwandter Arten 2.3 Genetische Grundlagen Die Mendelschen Gesetze der Vererbung - Kreuzung mit Erbsen: - Untersuchung von Dichotomen Merkmalen (Merkmale, die entweder in der einen oder der anderen Form auftreten, nicht aber kombiniert). - Kreuzung zweier Reinerbiger Zuchtlinien (bei Kreuzung innerhalb der Linie haben Nachkommen nur das eine Merkmal, sie sind homozygot) - Dominantes Merkmal bestimmt Phänotyp der 1. Filialgeneration, diese ist im Genotyp heterozygot - In 2. Filialgeneration sind 75% der Phänotypen gleich, davon 25 % der Genotypen homozygot, 50% der Genotypen heterozygot. 25% der Phänotypen ist verschieden (rezessiver Erbgang), deren Genotyp homozygot - Faktoren, die für ein Merkmal verantwortlich sind, heißen Gene, Ausprägung der Gene heißt Allel Chromosomen, Fortpflanzung und Genkopplung 4 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung - Chromosomen sind Fadenartige Strukturen im Zellkern. Menschen haben 23 Chromosomenpaare (diploider Chromosomensatz). Allele liegen auf einem Chromosomenpaar jeweils am selben Platz - Aus Meiose gehen Gameten (Keimzellen) hervor. Diese haben nur einen haploiden Chromosomensatz - Nach Befruchtung hat Zelle, jetzt Zygote genannt, wieder eine diploiden Chromosomensatz: 1x von Mutter, 1x von Vater - Mitose wird sonstige Zellteilung im Körper genannt, bei der Chromosomen auch verdoppelt wird. So entsteht ein neuer Organismus - Genkopplung: Untersuchung von Drosophila melanogaster (Morgan). Bestimmte Gene sind auf einem Chromosom gekoppelt. - Durch Crossing over entsteht neue Genkopplung auf einem Chromosom: bei Meiose überkreuzen sich nebeneinander liegende Chromosomen und tauschen einen Abschnitt aus. So können neue Merkmalskombinationen weitergegeben werden - Genkarten: Bestimmung, auf welchem Abschnitt eines Chromosoms welche Gene liegen Geschlechtschromosomen und geschlechtsgebundene Merkmale - Frauen haben zwei X-Chromosomen, Männer ein X- und ein Y-Chromosom. - Geschlechtsgebundene Merkmale liegen auf diesen Chromosomen, meist auf XChromosom. Dominante Merkmale häufiger bei Frauen, rezessive Merkmale häufiger bei Männern. Bsp.: Farbenblindheit Chromosomenbau und Selbstverdopplung - Ein Chromosom hat ein doppelsträngiges Desoxyribonucleinsäure- Molekül. - DNA besteht aus vier Nucleotidbasen (Adenin, Thymin, Guanin, Cytosin), die an einer Kette aus Phosphatresten und Desoxyribose (Zucker) hängen - Selbstverdopplung (Replikation): Doppelhelix öffnet sich, neue Nucleotidbasen aus Cytoplasma binden auf jedem Strang, bis zwei neue Stränge entstanden sind - Mutationen: bei Replikation entstandene Fehler Genetischer Code und Genexpression - Strukturgene: enthalten Information für die Synthese eines bestimmten Proteins (Aminosäurekette) - Operatorgene kontrollieren die Genexpression (Synthese eines Proteins) eines Strukturgens - Regulatorgene aktivieren oder deaktivieren Operatorgene. Sie werden von Signalen gesteuert, die Zelle aus Umgebung erhält. So interagiert Umwelt mit Genen. - Genexpression: 1. Transkription Doppelhelix öffnet sich, Ribonucleinsäure bildet komplementären Strang mit Uracil statt Thymin. Dies ist die messenger-RNA. 2. Translation m-RNA bindet im Cytoplasma an ein Ribosom, welches die genetische Info abliest. Drei Basen bilden jeweils ein Codon, welches für eine Aminosäure steht. Transfer-RNA holt entsprechende Aminosäuren aus dem Cytoplasma und bildet eine Kette am Ribosom Das Human Genome Project - Internationales Forschungsprojekt, hat alle menschlichen Chromosome kartiert - Weiteres Ziel: Bestimmung der Basensequenzen eines Gens Mitochondriale DNA - Mutationen der DNA in den Mitochondrien sind wichtig bei Entwicklung von Krankheiten - Mutationen können nicht durch Rekombination verschwinden und sind daher Untersuchung zugänglich 5 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung 2.4 Entwicklung und Verhalten: das Zusammenwirken von Vererbung und Umwelt - Ontogenese: Entwicklung eines Individuums im Laufe seines Lebens - Phylogenese: evolutionäre Entwicklung von Arten im Lauf der Erdgeschichte Selektive Züchtung von „Labyrinth-intelligenten“ und „Labyrinth-dummen“ Ratten - Tryon züchtete Labyrinth-intelligente und Labyrinth-dumme Ratten - Bei solchen Züchtungen wird meist nicht nur ein Merkmal, sondern mehrere gezüchtet Æ dies muss in Tests geprüft werden - Umwelt und Erfahrung spielt eine Rolle für Entwicklung, kann Vor- bzw. Nachteil der Gene stärken/schwächen Phenylketonurie: eine auf einem einzigen Gen beruhende Stoffwechselstörung - PKU: verzögerte geistige Entwicklung, hervorgerufen durch hohe Konzentration von Phenylalanin im Blut. Wird rezessiv vererbt. Wird Neugeborenen mit dieser Störung in sensitiver Periode auf Phenylalanindiät gesetzt, kann Gehirnentwicklung nahezu normalisiert werden Die Entwicklung des Vogelgesangs - Arten unterscheiden sich in ihren Gesängen. - Sensorische Phase: Küken hören den art-typischen Gesang ihrer Eltern und anderer Erwachsener. Geschieht dies nicht, lernen sie ihn nicht - Sensomotorische Phase: Männchen beginnt mit Jugendgesang, lernt allmählich den Erwachsenengesang. Hierbei ist auditorische Rückmeldung nötig, taube Vögel lernen nicht oder falsch. - Kanarienvögel können ihr Repertoire immer erweitern: zwischen Paarungszeiten entwickeln sie neue Gesänge. Absteigende motorische Bahn (links wichtiger!) bestimmt Gesangsproduktion, anteriore Vorderhirnbahn vermittelt Gesangslernen. Gesangskontrollierende Struktur im Gehirn verdoppelt sich jedes Frühjahr! 2.5 Zur genetischen Grundlage psychologischer Unterschiede bei Menschen Individualentwicklung versus Entwicklung von Unterschieden zwischen Individuen - Bei einem Individuum lässt sich Anlage-Umwelt-Frage nicht klären, bei Vergleich zwischen zwei Individuen schon - Vergleich von monozygoten und heterozygoten Zwillingen gibt Auskunft über Anteil des genetischen und umweltbedingten Einflusses auf die Entwicklung von Unterschieden Die Minnesota-Zwillinge-Studie - Bouchard et al. Untersuchten 59 getrennt aufgewachsene heterozygote und 47 getrennt aufgewachsene monozygote Zwillinge - Ergebnisse: eineiige Zwillinge sind sehr ähnlich hinsichtlich Intelligenz und Persönlichkeitsmerkmalen - Geschätzter Erblichkeitsgrad errechnet sich aus Anteil der genetischen Varianz an Gesamtvarianz. Liegt in der Studie bei 70%. Aber: nicht zu verallgemeinern, da sich die Gesamtvarianz nur auf diese konkrete Population bezieht. Zwillinge wuchsen alle in vergleichbaren Milieus (bedingt durch Adoptionskriterien) auf. Kapitel 3: Die Anatomie des Nervensystems 3.1 Allgemeiner Aufbau des Nervensystems Die Gliederung des Nervensystems - Zentralnervensystem (ZNS): Gehirn und Rückenmark - peripheres Nervensystem (PNS): 1. Somatisches Nervensystem: afferente Fasern schicken Info von Rezeptoren zum ZNS, efferente Fasern schicken Signale vom ZNS an Skelettmuskulatur 6 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung 2. Vegetatives (autonomes) Nervensystem (VNS): - Reguliert inneres Milieu. Gliedert sich in Sympathikus (Aktivierung) und Parasympathikus. - Efferente Fasern des sympathischen Systems entspringen dem thorakalen Bereich (Brustmark) und lumbalen Bereich (Lendenmark) - die Ganglienzellen liegen organfern im Truncus sympathicus (Grenzstrang) und im Bauchraum (z.B. Plexus solaris). - Efferente Fasern des Parasympathikus entspringen im Hirnstamm und im sakralen Bereich des Rückenmarks - die Ganglienzellen liegen bei den entsprechenden Organen. - Meist wirken die beiden Systeme antagonistisch. - Neurone von ZNS zu Ganglien heißen präganglionär, von Ganglien zu Organen postganglionär. - die Nerven des PNS gehen vom Rückenmark aus, mit Ausnahme der 12 Hirnnerven: I Bulbus olfactorius, II Nervus opticus, III Nervus oculomotorius, IV Nervus trochlearis, V Nervus trigeminus, VI Nervus abducens, VII nervus facialis, VIII Nervus stato-acusticus, IX Nervus glossopharyngeus, X Nervus vagus, XI Nervus accessorius, XII Nervus hypoglossus Hirnhäute, Ventrikel und Cerebrospinalflüssigkeit - Drei Hirn- und Rückenmarkshäute (Meningen): 1. Dura Mater 2. Arachnoidea (bindegewebshaltige Membran) Æ Subarachnoidalraum (enthält Blutgefäße und Cerebrospinalflüssigkeit 3. Pia mater - Rückenmark wird durchzogen vom Zentralkanal, dieser weitet sich im Gehirn zu Ventrikeln (III. und IV. Ventrikel verbunden durch Aquaeductus cerebri) Æ alles gefüllt mit Cerebrospinalflüssigkeit, Schutzfunktion für Gehirn. In den Plexus choroidei (Kapillare) wird sie gebildet. Bei Überschuss von Flüssigkeit wird diese in den Sinus sagittalis superior abgezogen. Die Blut-Hirn-Schranke - Im Gehirn sind die Zellwände der Blutgefäße sehr dicht, dies verhindert die Diffusion von toxischen Stoffen. Benötigte Moleküle werden aktiv transportiert. Natürlich gibt es auch Ausnahmen. 3.2 Die Zellen des Nervensystems Der Aufbau von Neuronen - Der Zellkörper hat eine semipermeable Membran, die Lipiddoppelschicht, mit Kanalund Signalproteinen. - An ihn schließen sich Axon (Fortleitung von elektrischen Impulsen) und Dendriten (Aufnahme von elektrischen Impulsen) an. Impulsübertragung findet an Synapsen statt. - Im Neuron befinden sich der Zellkern mit DNA und Strukturen für Zellstoffwechsel, Proteinsynthese und Bereitstellung von Neurotransmittern - Es gibt unipolare, bipolare, multipolare Neuronen und Interneuronen Zellen des Nervensystems mit unterstützender Funktion: Gliazellen und Satellitenzellen - Nervenzellen werden von andren Zellen umgeben und mechanisch und funktionell unterstützt. Diese nennt man Gliazellen oder Neuroglia im ZNS und Satellitenzellen im PNS - Astroglia oder Astrocyten sind die größten Gliazellen. Sie umhüllen die Blutgefäße im Gehirn 7 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung - Oligodendroglia oder Oligodendrocyten senden stark myelisierte Fortsätze aus, die sich um die Axone einiger Neurone im ZNS wickeln. Myelin erhöht die Geschwindigkeit und Effektivität der axonalen Fortleitung Ähnlich im PNS: Schwann-Zellen 3.3 Neuroanatomische Techniken und Richtungsbezeichnungen Neuroanatomische Techniken - Golgi-Färbung: macht die Form von Neuronen sichtbar - Nissl-Färbung: macht die Anzahl der Neuronen in einem Gehirnausschnitt sichtbar - Elektronenmikroskopie: erzielt viel höhere Vergrößerung als Lichtmikroskopie, macht dreidimensionale Aufnahmen - Myelinfärbung: färbt alle myelin-isolierten Axone - Neuroanatomische Tracingtechniken: Anterograde Tracingmethode (wo enden Axone) und Retrograde Tracingmethoden (wo entspringen Axone). Chemikalie wird in bekannte Gehirnstruktur injiziert, und wandert dann zum End- bzw. Ausgangspunkt. - Neuroanatomische Richtungsbezeichnung: - bei Tieren: Anterior/Rostral (vorne), Posterior/Caudal (hinten), Dorsal (oben), Ventral (unten), Medial (zur Mitte hin), Lateral (seitlich) - bei Menschen: 1. Kopf: Anterior (vorne), Posterior (hinten), Superior/Cranial (oben), Inferior/Basal (unten) 2. im Körper: Ventral (vorne), Dorsal (hinten), Anterior (oben), Posterior (unten) - Gehirnschnitte: Horizontal (oben/unten), Frontal (vorne/hinten) oder Sagittal (rechts/links) 3.4 Das Rückenmark - Besteht aus zwei Zonen: der grauen Substanz (Schmetterlingsförmig, Zellkörper, unmyelinisierte Interneurone) und der weißen Substanz (Außenbereich, auf- und absteigende myelinisierte Axone - Graue Substanz: Hinterhörner und Vorderhörner - 62 paarweise angeordnete Spinalnerven mit je zwei Ästen, von denen einer durch Hinterwurzel eintritt (afferent, sensorisch, unipolare Neurone, bilden Spinalganglien), der andere durch die Vorderwurzel austritt (efferent, motorisch, multipolare Neurone) 3.5 Die fünf Hauptabschnitte des Gehirns - Myelencephalon (Medulla oblongata), Metencephalon, Mesencephalon (Mittelhirn), Diencephalon, Telencephalon - Myelencephalon + Metencephalon = Rautenhirn - Diencephalon + Telencephalon = Vorderhirn - Großhirn = Telencephalon, Hirnstamm = Rest 3.6 Die wichtigsten Strukturen des Gehirns Myelencephalon - Auch Nachhirn, Medulla oblongata. Unterster Teil des Gehirns - Besteht aus Faserzügen, die Signale zwischen Gehirn und Körper leiten - Formatio reticularis: Geflecht aus 100 winzigen Kernen, zieht sich bis ins Mesencephalon. Funktion: Aktivierung, aber auch Schlaf, Aufmerksamkeit, Bewegung, Erhalt des Muskeltonus, Herz-, Kreislauf- und Atemreflexe Metencephalon - Hinterhirn - Ebenfalls Faserzüge, Formatio reticularis, Kerne von Hirnnerven 8 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung - Unterteilt in Pons (Ausbeulung auf Ventralseite) und Cerebellum (Kleinhirn, große, stark gefaltete Struktur auf Dorsalseite, wichtige Rolle im sensomotorischen System) Mesencephalon - Mittelhirn - Unterteilt in Tectum und Tegmentum - Tectum: anterior/dorsal gelegen. Vierhügelplatte: Colliculi inferiores sind Teil des auditorischen Systems und Colliculi superiores sind Teil des optischen Systems - Tegmentum: posterior/ventral gelegen. Ebenfalls Faserzüge, Formation reticularis, Hirnkernnerven. Außerdem: periaquaeductales Grau umgibt den Aquaeductus cerebri, spielt Rolle bei der Übermittlung analgetischer Wirkung von Opiaten. Substantia nigra und Nucleus ruber sind wichtige Bestandteile des sensomotorischen Systems Diencephalon - Zwischenhirn - Unterteilt in Thalamus und Hypothalamus - Thalamus: zwei eiförmige Teile, liegen auf III. Ventrikel und sind durch Adhaesio interthalamica verbunden. Enthält verschiedene Kernpaare, afferente Signale erhalten und in Cortex projizieren. Darunter Corpus geniculatum laterale (seitlicher Kniehöcker, visuelles System), Corpus geniculatum mediale (mittlerer Kniehöcker, auditorisches System), Nucleus ventralis posterior (somatosensorisches System) - Hypothalamus: Rolle bei Steuerung motivationaler Zustände. Reguliert Hormonfreisetzung der Anhangdrüse Hypophyse (pituitary gland). Unterseite: Im Chiasma opticum treffen die Sehnerven (II. Hirnnerv) zusammen. Hinter der Hypophyse liegen die Mamillarkörper. Telencephalon - Endhirn, Großhirn - Größter Abschnitt, komplexeste Funktionen: Willkürbewegungen, analysiert sensorischen Input, komplexe kognitive Prozesse (Lernen, Sprechen, Problemlösen) - Cortex Cerebri (Hirnrinde): stark gefurchte Oberfläche. Tiefe Furchen heißen Fissuren, flache Furchen heißen Sulci, Windungen zwischen Furchen heißen Gyri. - Längsfurche (Fissura longitudinalis) trennt Hemisphären, verbunden sind diese durch Corpus callosum, ein Bündel von Nervenfasern (Kommissur) - Wichtige Orientierungsmerkmale: Zentralfurche (Sulcus zentralis) und Sylvische Furche (Fissura lateralis) - Jede Hemisphäre ist in vier Lappen (lobus) aufgeteilt: Frontallappen, Parietallappen (Scheitel), Temporallappen (Schläfe), Occipitallappen (Hinterhaupt) - Wichtige Gyri: Gyrus praecentralis (motorische Funktion), Gyrus postcentralis (somatosensorische Funktion), Gyrus temporalis superior (auditorische Funktion) - Neocortex nimmt etwa 90 % des Großhirns ein, besteht aus sechs Schichten (von oben nach unten). Enthält zwei Arten von Zellen: Pyramidenzellen und Sternzellen. Die Dichte der Zellen variiert je nach Schicht. Neocortex ist säulenartig organisiert: Dendriten und Axone ziehen sich vertikal hindurch. - Hippocampus liegt am unteren medialen Cortexrand, faltet sich in den medialen Bereich des Temporallappens - Limbisches System: Strukturen, die sich saumartig um den Thalamus gruppieren. Steuert Emotion, Motivation. Dazu gehören Mamillarkörper, Hippocampus, Amygdala (mandelförmige Kerne im anterioren Bereich des Temporallappens) Gyrus cinguli, Septum und Fornix (Bahn, die von Amygdala und Hippocampus zu Mamillarkörpern und Septum zieht). - Basalganglien: liegen seitlich vom Thalamus. Steuert Willkürbewegung. Dazu gehören Amygdala, Striatum (gebildet aus Nucleus caudatus und Putamen) und Globus 9 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung pallidus. Interessant: Störung in Bahn von Substantia nigra zu Striatum verantwortlich für Parkinson-Krankheit Kapitel 4: Nervenleitung und synaptische Übertragung 4.1 Das Ruhemembranpotential des Neurons Ableitung des Membranpotentials - Erfolgt mit 2 Mikroelektroden (hergestellt durch Mikroelektrodenziehgerät), eine im Neuron, andere in Extrazellulärflüssigkeit. Beide werden an ein Oszilloskop angeschlossen (horizontal laufender Punkt, der Abweichung im Potential sichtbar macht Die Größe des Ruhemembranpotentials - Ruhemembranpotential eines Neurons ist -70mV, d.h. das Innere der Zelle ist negativer geladen als die umgebende Extrazellulärflüssigkeit. Bei -70mV ist das Neuron polarisiert Die Grundlagen des Ruhemembranpotentials: Ionen - Potential bedingt durch ungleiche Verteilung von positiv und negativ geladenen Ionen. - Homogenisierende Einflüsse: 1. Tendenz der Ionen, sich entsprechend ihres Konzentrationsgradienten zu bewegen (auch Osmotischer Druck genannt); 2. Tendenz von gleichnamigen Ladungen, sich aufzulösen (Anziehung von gegenteilig geladenen Teilchen) - Aufrechterhaltende Einflüsse: 1. Permeabilität der Membran: hoch für Kalium und Chlorid, niedrig für Natrium (erfolgt alles durch Ionenkanäle), gar nicht für Proteinionen 2. Natrium-Kalium-Pumpe: aktiver Transportmechanismus, der Natrium nach außen und Kalium nach innen pumpt (Verhältnis 3:2) und so die Potentialverschiebung durch Konzentrationsgradient bedingte diffundierende Ionen kompensiert - Verantwortlich für Ruhemembranpotential: - Natriumionen (Na+): liegen außen, Konzentrationsgradient und elektrische Ladungsdifferenz ziehen sie nach innen, Permeabilität der Membran ist aber gering. Natrium-Kalium-Pumpe gleicht Diffusion wieder aus - Kaliumionen (K+): liegen innen, Konzentrationsgradient zieht sie nach außen, Ladungsdifferenz hält sie innen, aber Permeabilität der Membran ist hoch. NatriumKalium-Pumpe gleicht Diffusion wieder aus. - Chloridionen (Cl-): liegen außen, Konzentrationsgefälle zieht sie nach innen, Ladungsdifferenz zieht sie aber nach draußen. Diese Kräfte gleichen sich gegenseitig aus. - verschiedene negativ geladenen Proteinionen innen, können nicht durch die Membran 4.2 Entstehung und Fortleitung postsynaptischer Potentiale - Wenn ein Neuron feuert, setzt es an synaptischen Endknöpfen Neurotransmitter frei. Diese diffundieren durch synaptischen Spalt und aktivieren an postsynaptischer Membran Rezeptoren. Sie wirken auf zwei Arten: Depolarisation Æ Exzitatorisches postsynaptisches Potential und Hyperpolarisation Æ Inhibitorisches postsynaptisches Potential - EPSPs und IPSPs sind abgestufte Antworten, sie breiten sich passiv aus - Eigenschaften: 1. Sehr schnelle Verbreitung, nahezu verzögerungsfrei 2. Abschwächung des Signals bei Ausbreitung 4.3 Die Verarbeitung postsynaptischer Potentiale und die Entstehung von Aktionspotentialen - Ob Neuron feuert hängt nicht von einzelner Synapse, sondern von Gesamtbilanz aller am Axonhügel eintreffenden Potentiale ab (Summation) 10 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung - Wird Erregungsschwelle durch Depolarisation erreicht, entsteht ein Aktionspotential (die Schwelle liegt für viele Neurone bei -65mV), d.h. Membranpotential kehrt sich um (auf etwa +50mV, für 1 ms) AP ist eine Alles-oder-Nichts-Antwort Räumliche Summation: Kombination von gleichzeitig an verschiedenen Synapsen eintreffenden EPSPs und IPSPs, diese können sich also jeweils verstärken, oder aber gegenseitig aufheben Zeitliche Summation: Kombination von an der gleichen Synapse kurz aufeinander folgenden EPSPs und IPSPs. Dies ist möglich, da die ausgelösten Potentiale das Eingangssignal zeitlich überdauern. Beide Typen von Summation finden dauernd statt. Position der Synapse auf Neuron ist entscheidend dafür, wie stark sie Feuerung beeinflusst. (weite Entfernung vom Axonhügel = schwächeres Signal, bedingt durch Schwächung bei Weiterleitung) 4.4 Die Weiterleitung von Aktionspotentialen Die Ionenbasis der Aktionspotentiale - Weiterleitung von APs erfolgt durch spannungsgesteuerte Ionenkanäle: Depolarisation am Axonhügel führt zu Öffnen der Natriumkanäle, Natrium strömt ein, Membranpotential wird umgepolt - Dadurch Öffnen sich Kaliumkanäle, Kalium strömt aus, Chlorid ein - Nach 1 ms hat AP sein Maximum erreicht, Natriumkanäle schließen sich wieder. Durch weiteren Ausstrom von K+ wird Neuron repolarisiert - Kaliumkanäle schließen sich langsam, Membran kann kurzzeitig sogar hyperpolarisiert werden Refraktärzeiten - Absolute Refraktärzeit: 1-2 ms nach AP kann kein neues AP ausgelöst werden - Relative Refraktärzeit: bis Membranpotential wieder vollständig hergestellt ist, ist die Schwelle für ein erneutes AP höher - Folgen: APs wandern i. A. nur in eine Richtung; sie können nicht zurück, da Membranabschnitt noch refraktär ist. Außerdem ist Frequenz der Feuerung proportional zur Reizstärke; bei starker Reizung wird direkt nach absoluter Refraktärzeit wieder gefeuert, bei mittlerer/schwacher Reizung erst wieder nach Relativer Refraktärzeit Axonale Leitung von Aktionspotentialen - Leitung ist im Unterschied zum Zellkörper aktiv, d.h. erfolgt langsamer und nicht abgeschwächt als Erregungswelle, weil Natriumkanäle sehr dicht aneinander liegen - Leitung kann in beide Richtungen erfolgen: orthodrome Leitung erfolgt vom Zellkörper zu präsynaptischen Endigungen, antidrome Leitung wandert vom Endknopf zurück zur Zelle Fortleitung in myelinisierten Axonen - Die Membran kann nur in den unmyelinisierten Abschnitten, den Ranvierschen Schnürringen, depolarisiert werden. Zwischen den Schnürringen wird das Signal passiv weitergeleitet, was sehr schnell geht. Dabei schwächt es sich ab, löst aber jedes Mal erneut ein AP gleicher Stärke aus. - Diese nennt man saltatorische Erregungsleitung, weil sie sprunghaft erfolgt Die Geschwindigkeit der axonalen Leitung - Schnell in großen und in myelinisierten Axonen (z.B. Motoneurone, d.h. Synapsen auf Skelettmuskel). Bei Säugern bis zu 100 m/s möglich, bei Menschen bis zu 60m/s Leitung in Neuronen ohne Axon - Interneurone haben kein Axon, Leitung erfolgt hier mittels abgestufter, sich abschwächender Potentiale 11 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung 4.5 Synaptische Übertragung. Chemische Signalübertragung zwischen Neuronen Bau von Synapsen - Axodendritische Synapsen (enden oft auf dendritischen Dornen) und Axosomatische Synapsen sind die gängigsten Typen. Es gibt auch noch Dendrodendritische Synapsen (Weiterleitung in beide Richtungen) und axoaxonale Synapsen (präsynaptische Hemmung - 2 Arten von Hemmung: Präsynaptische Hemmung und Postsynaptische Hemmung - Gerichtete Synapsen: kleiner Synaptischer Spalt, gezielte Neurotransmitterfreisetzung (Normalfall) - Ungerichtete Synapsen: Zielort entfernt von Freisetzungsort, Neurotransmitter werden diffus durch Varikositäten auf Axon freigesetzt Synthese, Speicherung und Transport von Neurotransmittermolekülen - Zwei Typen von Neurotransmittermolekülen: 1. Niedermolekulare: verschiedene Arten, werden im Cytoplasma der präsynaptischen Endigung synthetisiert, vom Golgi-Apparat in kleine synaptische Vesikel verpackt 2. Höhermolekulare: Peptide (Proteine), werden von Ribosomen im Zellkörper gebildet, in große Vesikel verpackt und durch Mikrotubuli zur präsynaptischen Endigung transportiert - Viele Neurone enthalten zwei Transmitter, einen höher- und einen niedermolekularen (Koexistenz) Freisetzung von Neurotransmittermolekülen - AP öffnet Calciumkanäle, Ca++ strömt ein und bewirkt Verschmelzung der Vesikel mit der Membran und Abgabe der Transmitter in den synaptischen Spalt (Exocytose) - Niedermolekulare Transmitter diffundieren bei plötzlicher, Höhermolekulare bei allgemeiner Zunahme der Calciumkonzentration Die Aktivierung von Rezeptoren durch Neurotransmittermoleküle - Ein Neurotransmitter ist ein Ligand (anbindendes Molekül) eines Rezeptors (Proteinmolekül an der postsynaptischen Membran) - Ein Ligand kann an mehrere Rezeptortypen binden, jeder Rezeptor bindet aber nur einen Liganden - Ionotrope Rezeptoren sind gebunden an ligandengesteuerte Ionenkanäle, sie bewirken also EPSPs oder IPSPs durch Öffnung von Natrium- oder Kaliumkanälen - Metabotrope Rezeptoren - sind auf Signalproteinen, die an ein G-Protein gekoppelt sind - sind häufiger, Wirkung ist langsamer, unspezifischer und variabler. - G-Protein löst Untereinheit ab, diese aktiviert Ionenkanal oder synthetisiert Second Messenger - Second Messenger bindet an Ionenkanäle, beeinflusst Stoffwechselaktivität der Zelle direkt, oder bindet an DNA und beeinflusst Genexpression - Niedermolekulare Transmitter werden an gerichteten Synapsen freigesetzt, aktivieren ionotrope Rezeptoren oder metabotrope Rezeptoren mit direkter Ionenkanal-Aktivierung Æ rasche, kurzfristige Signale - Höhermolekulare Transmitter werden an ungerichteten Synapsen freigesetzt, aktivieren metabotrope Rezeptoren mit Second Messenger Æ langsame, diffuse, lang anhaltende Signale - Autorezeptoren: sitzen an präsynaptischer Membran, binden Transmitter des eigenen NeuronsÆ reguliert Konzentration der Transmitterausschüttung Wiederaufnahme, enzymatischer Abbau und Recycling - Die meisten Neurotransmitter werden nach Ausschüttung wieder aufgenommen und erneut in Vesikel verpackt 12 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung - Neuropeptide werden im synaptischen Spalt von Enzymen abgebaut (z.B. Acetylcholin durch Acetylcholinesterase) 4.6 Die Neurotransmitter - Niedermolekulare Transmitter: Aminosäuren, Monoamine, lösliche Gase, Acetylcholin - Höhermolekulare Transmitter: Neuropeptide Aminosäuren als Neurotransmitter - Bei schnell wirkenden, zielgerichteten Synapsen - Glutamat, Aspartat, Glycin und Gamma-Aminobuttersäure (GABA, wird aus Glutamat synthetisiert) Monoamine als Neurotransmitter - Werden meist diffus freigegeben - Synthetisiert aus einer einzigen Aminosäure - Insgesamt 4 Monoamine, einteilbar in zwei Gruppen: 1. Katecholamine: entstehen alle aus Tyrosin Æ L-DOPA Æ Dopamin Æ Noradrenalin Æ Adrenalin. Neurone, die einen dieser Transmitter benutzen besitzen jeweils zusätzliches Enzym zur weiteren Synthese, heißen dopaminerg, noradrenerg und adrenerg 2. Indolamine: entsteht aus Tryptophan, es gibt nur Serotonin Lösliche Gase als Neurotransmitter - Stickoxid und Kohlenmonoxid, diffundieren sofort durch Zellmembran, aktivieren Second Messenger. Schwierig zu untersuchen, da sehr kurzlebig Acetylcholin - Ankopplung von Acetylgruppe an ein Cholinmolekül, Anwendung in neuromuskulären Verbindungen, oft im ANS und überall im ZNS, Neurone heißen cholinerg Neuropeptide - Es gibt über 50 Stück - Am interessantesten sind Endorphine, diese aktivieren Systeme, die analgetische Substanzen produzieren und Systeme, die lustvolle Erfahrungen vermitteln - Neuropeptide sind Neuromodulatoren, d.h. sie geben keine Signale, sondern beeinflussen Empfindlichkeit für hemmende oder erregende Signale 4.7 Pharmakologische Einflüsse auf die synaptische Übertragung - Psychoaktive Substanzen können die Aktivierung der Synapsen durch Neurotransmitter hemmen (Antagonisten) oder erleichtern (Agonisten) Wie pharmakologisch wirksame Substanzen die synaptische Übertragung beeinflussen - Synaptische Übertragung erfolgt in 7 Schritten. Bei jedem Schritt können psychoaktive Substanzen hemmende oder erleichternde Einflüsse ausüben - 1. Synthese des Neurotransmitters, 2. Speicherung in Vesikeln, 3. Abbau solcher Transmitter, die aus den Vesikeln ins Cytoplasma diffundieren, 4. Exocytose, 5. inhibitorisches Feedback der Autorezeptoren, 6. Aktivierung postsynaptischer Rezeptoren 7. Deaktivierung - Rezeptorblocker: antagonistische Pharmaka, besetzen den Rezeptor, ohne ihn zu aktivieren Psychoaktive Substanzen: vier Beispiele - Kokain: steigert Dopamin- und Noradrenalinaktivität, indem es ihre Wiederaufnahme in präsynaptische Endigung verhindert. Wirkung: Euphorie, Appetitverlust, Schlaflosigkeit, hat Suchterregendes Potential - Benzodiazepine: binden an Untertyp des GABA-Rezeptors, verstärken Bindung von GABA und bewirken so Hyperpolarisation durch Öffnung von Cl--Kanälen. Wirkung: anxiolytisch, sedativ und antikonvulsiv 13 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung - Atropin: Extrakt der Tollkirsche, Belladonna. Rezeptorblocker für muscarinartigen Acetylcholinrezeptor Æ hohe Atropindosen wirken negativ auf Gedächtnis, was zeigt, dass cholinerge Mechanismen wichtig für Erinnern sind Curare: Pflanzenextrakt aus Lianen. Rezeptorblocker für nicotinartigen Acetylcholinrezeptor. Bewirkt Lähmung des Organismus, Übertragung an neuromuskulären Verbindungen ist blockiert. Kapitel 5: Die Forschungsmethoden der Biopsychologie Teil 1: Methoden zur Erforschung des Nervensystems 5.1 Bildgebende Verfahren - Gibt es seit Anfang der 70er Röntgenkontrastdarstellung - Mit Röntgenkontrasttechniken kann man die Hirnventrikel und as Kreislaufsystem des Gehirns abbilden, wenn man vorher ein Kontrastmittel in das jeweilige System bringt - Pneumencephalographie: Cerebrospinalflüssigkeit wird durch Luft ersetzt, Ventrikel und Fissuren sind zu erkennen. Deformationen können Tumor bedeuten, Größenzunahme zeigt Degeneration des Hirns an. - Angiographie: Verfahren zur Visualisierung des cerebralen Gefäßsystems. Gefäßschäden können lokalisiert werden; diese können einen Tumor anzeigen Computertomographie - Computergestütztes Röntgenverfahren zur 3-D Darstellung des Gehirns. Röntgenröhre und Detektor drehen sich um Kopf des Patienten Æ CT-Scan; CT-Scans von mehreren Ebenen werden zu 3-D Bild zusammengefügt Kernspintomographie - Beruht auf Strahlung angeregter Wasserstoffkerne (Protonen, H+) im Gewebe. Die Protonenkonzentration in verschiedenen neuronalen Strukturen unterscheidet sich stark. Liefert zweidimensionale Bilder, die auch zu 3-D zusammengesetzt werden können Positronen-Emissions-Tomographie - Geben Info über Aktivität statt über Struktur des Gehirns - Radioaktiv markierte 2-Desoxyglucose wird in Halsschlagader injiziert. Aktive Neurone verbrauchen Glucose. Vorteil von 2-DG: wird nicht direkt abgebaut - Andere Methode: aktive Neurone setzen Stickoxid frei, was gefäßerweiternd wirkt. Radioaktive markiertes Wasser im Kreislaufsystem zeigt, in welche Bereichen die Durchblutung zunimmt Funktionelle Kernspintomographie - fMRT genannt, bildet erhöhte Sauerstoffzufuhr aufgrund von Durchblutungszunahme ab. - Vorteil: macht sowohl Strukturen als auch Aktivität sichtbar 5.2 Psychophysiologische Messungen - Werden an der Körperoberfläche erfasst Elektroencephalographie - Grobes Maß für die Erfassung der elektrischen Aktivität des Gehirns - Wert für Forschung: bestimmte Wellenmuster gehen mit Bewusstseinszuständen oder hirnpathologischen Zuständen einher (z.B. Alpha- Wellen, 8-10 Hz, große, Amplitude für entspannter Wachzustand) - Besonders interessant: Ereigniskorreliertes Potential (EKP). Sondertyp: evoziertes Potential (Antwort auf einen bestimmten sensorischen Stimulus) 14 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung - Signalkomponente muss vom Hintergrundrauschen getrennt werden, z.B. durch Signalmittelung - Vorteil des EEG: hohe zeitliche Auflösung. Nachteil: niedrige räumliche Auflösung Muskelspannung - Muskeltonus ist Maß für allgemeinen psychologischen Erregungszustand - Elektromyographie misst Muskelspannung mit Elektroden über interessierendem Muskel Augenbewegung - Zwischen vorderem (positiv) und hinterem (negativ) Pol des Augapfels besteht eine Potentialdifferenz, die mittels Electrooculographie gemessen wird - Elektrodermale Aktivität - Gefühlsbetonte Gedanken und Erfahrungen führen zu erhöhter Hautleitfähigkeit - Das Hautleitwertniveau (skin conductance level, SCL) in einer bestimmten Situation wird mit der Hautleitfähigkeitsreaktion (skin conductance response, SCR) verglichen - Verantwortlich dafür sind Schweißdrüsen. Meist wird EDA an der Handinnenfläche gemessen Kardiovaskuläre Aktivität - Kardiovaskuläres System besteht aus Herz und Blutgefäßen - Man untersucht Herzschlagfrequenz (EKG, normal ist 70/min), Blutdruck (normal ist 130 (systolisch)/70 (diastolisch) mmHg) und Blutvolumen (Plethysmographie) 5.3 Invasive physiologische Untersuchungsmethoden Stereotaktische Chirurgie - Eine Messelektrode wird direkt ins Gehirn eingeführt. Mittels stereotaktischem Atlas wird Ort der Ableitung lokalisiert - Für Ratten ist oft das Bregma der Referenzpunkt (dort schneiden sich die Schädelknochen) - Ein stereotaktisches Instrument besteht aus Kopfhalter und Elektrodenhalter Die Läsionsmethode - Aspirationsläsionen: geht nur auf dem Cortex, Gewebe wird per Hand mit Glaspipette abgesaugt - Radiofrequenzläsionen: subcortikale Läsionen, Glaselektrode wird stereotaktisch eingesetzt, Wechselstrom verschmort Gewebe - Schnitttechniken: mit Skalpell werden Nerven oder Nervenbahnen gekappt - Kryogene Blockade: durch Kryosonde wird Kühlmittel gepumpt, dass Neuronenaktivität lahm legt. Vorteil: Reversibilität - Interpretation von Läsionseffekten ist problematisch, da nie gewünschtes Gewebe allein und komplett zerstört wird Bilaterale und Unilaterale Läsionen - Unilaterale Läsionen haben kaum Effekt, meist werden bilaterale Läsionen vorgenommen Elektrische Stimulation - Erfolgt durch bipolare Elektrode, unmittelbar Verhaltensrelevant. Meist gegenteiliger Effekt zu Läsion in gleichem Bereich Invasive Ableitungsmethoden - Intrazelluläre Ableitung (Tier darf sich dabei nicht bewegen) - Extrazelluläre Ableitung (keine Info über Membranpotential, Signale vieler Neurone erfassbar, Tier darf sich bewegen) - Summenableitung: größere Elektrode, die mehrere Neurone misst - Invasive EEG-Ableitung 15 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung 5.4 Psychopharmakologische Methoden im Tierversuch Arten der Applikation - Drei Arten der Applikation: 1. orale Aufnahme, 2. durch Sonde in den Magen: intragastrisch (IG), 3. durch Injektion: intraperitoneal (IP, Bauchhöhle), intramuskulär (IM), intravenös (IV) Selektive chemische Läsionen - Neurotoxine sind Nervengifte, welche bestimmte Neurone beschädigen. Bsp.: 6Hydroxydopamin (6-OHDA) wird nur von Neuronen aufgenommen, die Neurotransmitter Noradrenalin und Dopamin ausschütten Messung der chemischen Aktivität des Gehirns - Mit 2-DG-Technik werden Rattengehirne präpariert: erst 2-DG schlucken, dann Aufgabe, dann getötet, Gehirn geschnitten und eingefärbt - Cerebrale Dialyse: dünnes Röhrchen wird ins Gehirn eingeführt und die Konzentration von neurochemischen Substanzen gemessen, während das Tier lebt - Elektrochemie: Substanzen auf Elektrode reagieren und produzieren so Strom, der gemessen werden kann Lokalisation von Neurotransmittern und Rezeptoren im Gehirn - Immunocytochemie: markierte Antigene gegen interessierenden Neurotransmitter werden injiziert. Später kann man dann gucken, in welchem Teil des Gehirns diese markierten Stoffe sich befinden. - In-situ-Hybridisierung 5.5 Gentechnik Inaktivierung von Genen (Knockout) - Knockout-Mice: Gene werden aus embryonalen Zellen entfernt und diese in einen Mäuseembryo eingesetzt - Problem: Verhaltensmerkmale werden von vielen Genen beeinflusst, Elimination eines Gens beeinflusst auch Expression anderer Gene, Erfahrung eines Organismus kann Entfernung von Genen modifizieren Ersatz von Genen - Transgene Mäuse haben Gene von einer anderen Spezies eingebaut bekommen. Es ist auch möglich, das gleiche Gen mit nur einigen zusätzlichen Basen einzusetzen, so dass man es mit chemischen Substanzen ein und ausschalten kann - dies sind neuere Errungenschaften, man weis noch nicht, ob sie psychologischen Erkenntnisgewinn bringen Teil 2: Verhaltensstudien in der Biopsychologie - Verhalten ist der sichtbare Ausdruck verborgener neuronaler Aktivität Methoden zur Erforschung des Nervensystems wollen nicht Sichtbares beobachtbar machen, Verhaltensuntersuchungen wollen kontrollieren, vereinfachen und objektivieren Im Verhaltensparadigma soll Verhaltensphänomen erzeugt und objektiv gemessen werden 5.6 Die neuropsychologische Untersuchung - Neuropsychologen wollen nicht nur sensorische und motorische Funktionen, sondern auch subtile Veränderungen der Wahrnehmung und emotionalen, motivationalen und kognitiven Funktionen aufdecken 16 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung - Tests dauern sehr lange; sie sollen eine Basis für eine Diagnose liefern, wenn neurologische Tests uneindeutig waren, Grundlage für Beratung und Betreuung eines Patienten schaffen und Effektivität einer Behandlung objektiv ermitteln Entwicklung neuropsychologischer Diagnostik - Entwickelte sich in drei Phasen: - mit Einzeltests sollte zwischen Patienten mit oder ohne Hirnschaden differenziert werden Æ ging nicht - in den 60ern entwickelte man standardisierte Testbatterien mit verschiedenen Untertests, die zwar gesund von krank trennen, nicht aber die kranken differenzieren konnten - danach kam Patientenorientierte Testung (auch heute noch). Methode: erst Basistestung, dann ausgewählte Tests, um entdeckte Defizite zu spezifizieren. Moderne Tests sind theorie- und empiriegeleitet (z.B. über Langzeit- und Kurzzeitgedächtnis) Außerdem wird nicht nur Leistung des Patienten, sondern auch Strategie berücksichtigt. Tests für die Basisdiagnostik - Intelligenz wird oft mit dem Wechsler-Intelligenztest (WAIS) gemessen. IQ sagt zwar nichts über Hirnschäden aus, kann aber helfen, andere Testergebnisse zu interpretieren. Muster der Leistungsschwächen in Subtests lässt Rückschlüsse auf Fehlfunktionen zu. - Gedächtnis muss mit vielen verschiedenen Tests gemessen werden, um 4 Fragen zu klären: 1. Ist KZG oder LZG betroffen? 2. sind LZG-Defizite anterograd oder retrograd? 3. Betreffen LZG-Defizite semantisches oder episodisches Gedächtnis? 4. gehören Defizite zu explizitem oder implizitem Gedächtnis? - Tests für Gedächtnis: Wechsler-Memory-Scale, Zahlengedächtnistest, Repetition Priming Tests - Tests zu Aufmerksamkeit und zur Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung (z.B. einfache Papier-Bleistift-Tests) Spezifischere Tests neuropsychologischer Funktionen - Störungen der Sprache äußern sich in Form von Aphasien. Es können Sprechen, Verstehen, Lesen und Schreiben betroffen sein. - Bsp.: für Tests: Aachener Aphasie Test, Token-Test (enthalten im AAT): Bildelemente mit Formen und Farben, Patient soll komplexer werdende Handlungen ausführen - Tests zur Sprachlateralität: eine Hemisphäre ist immer sprachdominant, bei den meisten Menschen die linke. Die Sprachlateralität muss geprüft werden, wenn am Gehirn operiert wird. Hauptsächlich zwei Tests: im Natriumamytaltest wird Natriumamytal in arteria carotis injiziert, Hemisphäre wird blockiert, falls dominante fällt Sprache aus für einige Minuten. Im dichotischen Hörtest hört man auf jedem Ohr über Kopfhörer andere Zahlenfolgen und soll diese wiederholen. Dies gelingt besser für Ohr kontralateral zur dominanten Hemisphäre. - Höhere exekutive Funktionen werden z.B. mit Wisconsin-Kartensortiertest überprüft (sortiere Karten nach Form, Farbe oder Anzahl, Regel wechselt zwischendurch) 5.7 Verhaltensbiologische Methoden in den Kognitiven Neurowissenschaften - Zwei Prämissen: Jeder komplexe kognitive Prozess setzt sich aus kognitiven Basisprozessen zusammen. Jeder kognitive Basisprozess entspricht neuronaler Aktivität in einem bestimmten Hirnareal. - Stichwort Artificial Intelligence - Subtraktionstechnik: bei PET und fMRT werden Bilder eines Probanden bei verschiedenen kognitiven Aufgaben aufgenommen. Anschließend wird die Aktivität in diesen Bildern von derjenigen der Bilder der interessierenden Aufgabenstellung 17 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung subtrahiert. Um Rauschen auszuschalten, werden diese Differenzbilder verschiedener Probanden gemittelt 5.8 Biopsychologische Paradigmen des Verhaltens von Tieren Paradigmen für die Bewertung von artspezifischen Verhaltensweisen - Artspezifisches Verhalten kennzeichnet sich dadurch, dass es nahezu alle Individuen einer Art zeigen - Open-field-test: Verhalten des Tieres in einer leeren Box wird registriert, dies dient der Standardisierung. Als Maß für Ängstlichkeit dienen Bewegungsaktivität, Anzahl der Exkrementpartikel und Thigmotaxis (Aufenthalt in Nähe der Wände) - Tests zum Aggressions- und Defensivverhalten: Paradigma des Kolonieeindringlings, Labyrinth mit offenen Armen, Reaktion auf Experimentator. Zweck: oft für Test von anxiolytischen Psychopharmaka (z.B. Benzodiazepine) - Tests zum Sexualverhalten: Lordosehaltung und Lordosequotient beim Weibchen, Anzahl der Besteigungen und Anzahl des Eindringens bis zur Ejakulation beim Männchen Traditionelle Konditionierungsparadigmen - Klassische Konditionierung (US, CS, UR, CR; Bsp.: Pawlow) - operantes Konditionieren (Belohnung/Bestrafung; Bsp. für Biopsychologie: Selbstreizungsparadigma, Selbstapplikations-Paradigma) Seminatürliche Lernparadigmen bei Tierexperimenten - Besonderheiten der konditionierten Geschmacksaversion: Ratten entwickeln Aversion schon nach einem Durchgang, es ist egal, wie viel Zeit vergangen ist (gegen Prinzip der zeitlichen Kontiguität); Passung des Reizes ist wichtig (gegen Prinzip der Äquipotentialität) - Im radialen Labyrinth müssen Ratten sich orientieren, um Futter in identisch aussehenden Gängen zu finden - Morrissches Wasserlabyrinth: Ratten müssen in trübem Wasser zu verdeckter Plattform finden. Dies gelingt bald gut, obwohl keine Anhaltspunkte (außer Laborumgebung) gegeben sind - Konditioniertes defensives Vergraben: ein Objekt, von dem ein aversiver Stimulus ausgeht, wird schon nach einmaligem Erleben erkannt und vergraben. Diese Reaktion wird durch anxiolytische Pharmaka abgeschwächt. Kapitel 6: Hirnschäden des Menschen und Tiermodelle 6.1 Ursachen von Hirnschäden Hirntumoren - Tumor ist enthemmtes Überschusswachstum körpereigenen Gewebes - 20% aller Tumore sind Meningeome, sie wachsen zwischen den drei Hirnhäuten des NS und sind abgekapselte Tumoren. Sie lösen Druck auf umliegendes Gewebe aus, sind meist benigne (gutartig) und können ohne Rezidivrisiko entfernt werden - Infiltrierend wachsende Tumore sind maligne (bösartig), können nur schwer ganz entfernt werden und wachsen daher weiter - Metastasierende Tumore entstehen aus Tumorfragmenten, die mit dem Blut ins Hirn transportiert werden und sich dort besonders gut ausbreiten können - Tumorwachstum resultiert aus Fehlfunktion von Mechanismen, die normales Zellwachstum und –teilung steuern Æ darauf konzentriert sich Forschung Cerebrovaskuläre Störungen - Infarkt = Absterben von Gewebe in Folge eines Schlaganfalls 18 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung - Zwei Arten von Schlaganfällen: Hämorrhagie und Ischämie Cerebrale Hämorrhagie (Einblutung): ein Aneurysma, eine pathologische, ballonförmige Erweiterung eines Blutgefäßes, platzt, Blut schädigt umliegendes Nervengewebe. Aneurysmen sind congenital oder durch Infektionen oder Gefäßgifte entstanden. - Cerebrale Ischämie (Mangeldurchblutung): Blutzufuhr und somit Glucose- und Sauerstoffzufuhr wird unterbrochen. - Drei Hauptgründe: Thrombose (Pfropfen am Entstehungsort), Embolie (Pfropfen auf Wanderschaft), Arteriosklerose (Gefäßverhärtung/-verdickung). - Blockierung von Blutgefäß führt zu Hyperaktivität der betroffenen Neurone Æ erhöhte Glutamatausschüttung Æaktiviert postsynaptische NMDA-Rezeptoren Æ toxische Reaktion breitet sich kaskadenartig aus, Neurone sterben ab - mögliches Gegenmittel: Gabe von NMDA-Rezeptorblockern direkt nach Schlaganfall (muss noch entwickelt werden) Gedeckte Schädel-Hirn-Traumata - Bei Hirnquetschungen führen zu inneren Blutungen, die dann als Hämatome von außen sichtbar sind - Contre-Coup-Verletzung: Hirn prallt durch Schlag gegen die Schädelinnenwand der gegenüberliegenden Kopfhälfte - Gehirnerschütterungen sind i. A. zeitlich begrenzte Bewusstseinstrübungen ohne anatomische Schäden. Aber: Punch-drunk-syndrom äußert sich in starker Demenz, z.B. bei Boxern Gehirninfektionen - Ins Gehirn eindringende Mikroorganismen führen zu entzündlichen Veränderung (Encephalitis) - Bakterielle Infektionen: Meningitis (Gehirnhautentzündung) oder Hirnabszesse (Eiteransammlungen) Bsp.: Syphilis kann zu Meningitis führen Symptomkomplex: Irrsinn und Demenz = progressive Paralyse - Virusinfektionen: neurotrope Viren (Affinität zum Nervengewebe, z.B. Tollwut) und pantrope Viren (z.B. Mumps, Herpes) - Eiweißmoleküle (Hirnstoffwechsel störende Molekülstruktur, degeneriert Gehirn schwammartig, z.B. Creutzfeldt-Jakob-Krankheit Neurotoxine - Toxische Psychose: chronische Geistesgestörtheit, z.B. durch Quecksilber oder Blei hervorgerufen. Manche antipsychotische Medikamente haben solche Wirkung, führen zu Spätdyskinesie, werden heute nicht mehr angewandt. Auch Alkohol hat solche Wirkung. Außerdem: Autoimmunkrankheit wie z.B. Multiple Sklerose Genetische Faktoren - Down-Syndrom: Trisomie des Chromosoms 21, tritt bei 0,15% aller Geburten auf, hervorgerufen durch Fehler bei Zellteilung - Die meisten genetisch bedingten neurologischen Störungen kommen von abnormen rezessiven Genen, z.B. PKU - Abnormes dominanten Gen: Huntington-Erkrankung, tritt erst im Erwachsenenalter zum Vorschein Programmierter Zelltod - Zwei Arten von Zelltod: 1. Apoptose: Überflüssige und dysfunktional werdende Zellen begehen Selbstmord, werden von Makrophagen aufgefressen, Zellkern verschwindet zuerst, dauert Tage 2. Zellnekrose: Verletzung bringt Zelle zum Anschwellen und Platzen, dadurch entsteht Entzündung, Immunzellen fressen Zellreste, Zellkern verschwindet zuletzt, dauert Stunden 19 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung - Bei cerebraler Ischämie kann man versuchen, Apoptose durch Medikamente zu verhindern 6.2 Neurologische Erkrankungen mit neuropsychologischen Störungen - Problem der Differentialdiagnose: Entscheidung, ob und an welcher neuropsychologischen Störung ein Patient leidet. - Man versucht, Symptomkomplexe zu finden, die eine gemeinsame Ursache haben, und dadurch eine Krankheit zu definieren; Patienten unterscheiden sich aber hinsichtlich ihrer der Kombination einzelner Symptome. Epilepsie - Hauptsymptom ist ein epileptischer Anfall. Von Epilepsie spricht man, wenn dieser Anfall durch chronische Gehirnfehlfunktion ausgelöst wird - Anfall in Form von Krämpfen (Convulsionen), gekennzeichnet durch Muskelschütteln (Clonus) und Streckstarre (Tonus), Verlust des Gleichgewichts, Bewusstlosigkeit - Im EEG treten während eines Anfalls Spikesalve von großer Amplitude auf - Epileptische Aura kündigt Patienten oft einen neuen Anfall an - Zwei Arten von Epilepsie: Partielle Epilepsie oder Generalisierte Epilepsie - Partielle Anfälle: betreffen nur Teil des Gehirns. Zwei Hauptkategorien: - einfache partielle Anfälle: sind sensorisch und motorisch (in entsprechenden Hirnregionen, ansonsten im ganzen Körper). - Komplexe partielle Anfälle: beschränkt auf Temporallappen, Ankündigung durch Aura, psychomotorische Attacken - Generalisierte Anfälle: betreffen ganzes Gehirn. Zwei Hauptkategorien: - Grand-Mal-Anfall: Primäre Symptome: Bewusstlosigkeit, Verlust des Gleichgewichts, heftige tonisch-klonische Krämpfe. Außerdem: Zungenbiss, Harninkontinenz, Cyanose Æ Hypoxie (Sauerstoffmangel im Blut Æ weitere Hirnschäden) - Petit-mal-Anfall: nicht immer Krämpfe, Bewusstseinstrübung. EEG: bilateralsymmetrisches Spike-and-wave-Muster. Treten oft bei Kindern auf, verschwinden mit Pubertät, oft Epilepsie unerkannt Die Parkinson-Krankheit - Bewegungsstörung. Symptome: Ruhetremor, Muskelsteifigkeit, maskenartiges Gesicht, quälende Ruhelosigkeit, Bradykinese, schlurfender Gang, keine intellektuellen Störungen! - Ursachen können vielfältig sein, bleiben meist ungeklärt - Zusammenhang mit Degeneration der Substantia nigra, die über nigrostriatale Bahn ins Striatum projiziert. - Dopamin ist der Neurotransmitter für Substantia nigra und Striatum, fehlt bei Parkinson Patienten Æ Gabe von L-DOPA oder Dopaminagonisten kann Krankheit zeitweilig verbessern Die Huntington-Krankheit - Bewegungsstörung, starke genetische Komponente, geht einher mit schwerer Demenz. Symptom: schnelle ruckartige Zuckungen (auch als Veitstanz bezeichnet) - Vererbt durch dominantes Gen, Erkrankung tritt erst im mittleren Alter auf, Hälfte der Nachkommen erkrankt ebenfalls - Unheilbar, Tod nach 15 Jahren - Abnormes Gen produziert Protein Huntingtin, das überall im Gehirn produziert wird, jedoch nur Striatum und cerebrale Hemisphäre zerstört - Es ist möglich zu testen, ob man Gen geerbt hat oder nicht Multiple Sklerose - Myelin im ZNS wird nach und nach zerstört, Axone verhärten, weiße Substanz wird degeneriert. 20 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung - Diagnose ist schwierig, je nach Anzahl, Lage und Größe der Läsionen Krankheit verläuft in Schüben Symptome: Ataxie (Unfähigkeit der Bewegungskoordination), Sehstörungen, Muskelschwäche, Taubheit der Gliedmaßen, Intensionstremor und Harninkontinenz - Epidemiologie: Umweltfaktoren wie Geographie oder Ernährung, aber auch genetische Faktoren, z.B. die Rasse spielen eine Rolle - Versuche bei Labortieren: Myelin und Immunreaktion Stimulator injiziert, führt zu experimenteller autoimmuner Encephalomyelitis Æähnlich zu MS, Vermutung: MS ist krankhafte Autoimmunreaktion Die Alzheimer-Krankheit - Häufigste Ursache für Demenz, tritt meist zunehmend ab 40 auf. - Progressiver Verlauf - Kennzeichen: Neurofibrillenknäuel und Amyloidplaques mit Kernregion aus Amyloidproteinen, substantieller Neuronenverlust. Ausgeprägt im medialen Temporallappen (entorhinaler Cortex, Amygdala, Hippocampus), im inferioren temporalen Cortes, posterioren parietalen Cortex und präfrontalem Cortex - Wichtige genetische Komponente, Zusammenhang möglich mit defekt auf Chromosom 21, 14 oder 1 - Keine wirksame Behandlungsmöglichkeit. Auf jeden Fall hilfreich: Aspirin oder Ibuprofen können Fortschreiten der Krankheit verzögern 6.3 Tiermodelle neurologischer Erkrankungen mit neuropsychologischen Störungen beim Menschen - Drei Typen von Tiermodellen: homologe Tiermodelle, isomorphe Tiermodelle und prädiktive Tiermodelle - Tiermodelle sind sehr problematisch, es ist schwer nachzuweisen, dass sie tatsächlich wertvolle Hinweise zur Aufklärung von Krankheiten liefern. Das Kindling-Modell der Epilepsie - Ratten werden durch Elektrode in Amygdala einmal täglich gereizt, dies führt zu Krämpfen, die nach und nach stärker werden; klappt auch bei Reizung anderer Strukturen - Nachgewiesen bei verschiedenen Tieren - Neuronale Schäden sind irreversibel, Effekt wird durch zeitlich verteilte, nicht aber zeitlich konzentrierte Stimulation hervorgerufen - Krampfanfälle ähneln denen epileptischer Patienten; Art der Epileptogenese ebenfalls - Dilantin blockiert Krämpfe nach Stimulation von Neocortex, Valium blockiert Krämpfe nach Stimulation von Amygdala Das transgene-Maus-Modell der Alzheimer-Krankheit - Gene für die Bildung menschlicher Amyloidproteine werden in Mäuse verpflanzt, so dass deren Gehirn viele Amyloidplaques, ähnlich wie beim Alzheimerpatienten, enthält - Diese Mäuse haben Defizite von Gedächtnisleistungen, vor allem wenn sie auf Hippocampus beruhen - Überprüfung mit Y-Labyrinth und Morrisschem Wasserlabyrinth Das MPTP-Modelll der Parkinson-Krankheit - Drogenabhängige entwickelten Symptome von Parkinson, nachdem sie Wirkstoff MPTP gespritzt hatten - Versuche bei Primaten: MPTP führt zu Schädigung der Substantia nigra - Deprenyl ist ein Monoaminoxidasehemmer (MAO-Hemmer), erhöht Dopaminspiegel, indem Abbauenzym Monoaminoxidase gehemmt wirdÆ kann Progression im Frühstadium der Krankheit verhindern 21 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung Kapitel 7: Das visuelle System: vom Auge zum Cortex 7.1 Licht und Netzhautbild - Licht kann man als diskrete Energiepartikel (Photonen) oder als elektromagnetische Wellen betrachten - Sichtbares Licht. Wellenlängen von 380-760 nm - Wellenlänge ist wichtig für Farbwahrnehmung, Intensität ist wichtig für Helligkeitswahrnehmung - Pupillengröße wird durch musculus constrictor pupillae (parasympathisch) und musculus dilatator pupillae (sympathisch) an Beleuchtung angepasst Æ Kompromiss zwischen Sensitivität und Sehschärfe - Linse fokussiert das Licht auf die Retina, Brechkraft wird akkommodiert durch Ciliarmuskel (hohe Brechkraft = nahes Objekt = angespannter Ciliarmuskel) - Kurzsichtigkeit: Myopie, Augapfel zu lang, konkave Linse; Weitsichtigkeit: Hypermetropie, Augapfel zu kurz, konvexe Linse - Durch Konvergenz der Augen (Drehung je nach Fixationsebene) fallen bestimmte Punkte auf korrespondierende Netzhautpunkte - trotzdem sind Netzhautbilder leicht verschieden: Æ Querdisparation ist bei nahen Objekten größer als bei entfernten, daraus entsteht dreidimensionale Wahrnehmung 7.2 Die Retina und die Umwandlung von Licht in neuronale Signale - fünf Zellschichten: Rezeptoren, Horizontalzellen, Bipolarzellen, Amakrinzellen, Ganglienzellen - Horizontal- und Amakrinzellen sind für laterale Kommunikation (Info zwischen sensorischen Eingangskanälen) zuständig, geben inhibitorische Transmitter frei (GABA und Glycin) - Bipolar- und Ganglienzellen geben exzitatorischen Transmitter Glutamat frei - Retina ist invers aufgebaut - In Blindem Fleck verlassen die gebündelten Axone der Ganglienzellen, der Sehnerv, das Auge. Ergänzungseffekt sorgt dafür, dass wir keine Lücke im Netzhautbild haben - Zentral auf der Retina liegt die Fovea centralis (dünne Ganglienzellenschicht, höchste Rezeptordichte, scharfes Sehen) Stäbchen- und Zapfensehen - Duplizitätstheorie des Sehens: photopisches System (7 Mio. Zapfen, vorwiegend in Retina, Schärfe, Detailtreue und Farbe bei guter Beleuchtung) und skotopisches System (123 Mio. Stäbchen, nur in Peripherie, höhere Sensitivität, schwarz-weiß bei schwacher Beleuchtung) - Hell- bzw. Dunkeladaptation: Anpassung an Beleuchtungswechsel, Aktivierung photopischem bzw. skotopischem System - Unterschiedliche Konvergenz: bei Stäbchen konvergieren viele Rezeptoren auf eine Ganglienzelle, bei Zapfen nur wenige Æ hohe Sensitivität und niedrige Schärfe des skotopischen Systems - In nasaler Retina liegen mehr Stäbchen als in temporaler Retina. Grund: Nase wirft Schatten, daher mehr Rezeptoren nötig - Nicht alle Wellenlänge der gleichen Intensität werden als gleich hell wahrgenommen Æ wir haben photopische (Maximum 500nm) und skotopische (Maximum 560nm ) Hellempfindlichkeitskurve - Purkinje-Effekt: bei Aktivität des photopischen Systems scheint rot und gelb heller als blau, bei Aktivität des skotopischen Systems umgekehrt 22 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung Augenbewegungen - Wir tasten Sehfeld ständig ab, es kommt etwa zu drei Fixationen pro Sekunde, dazwischen liegen Sakkaden (schnelle Augenbewegungen) - Auf Grund von Sakkaden sehen wir nicht nur kleinen Punkt der Fovea, sondern alles farbig und scharf - Stabilisiertes Netzhautbild: kann durch Lähmung des Augenmuskels oder Projektor auf Kontaktlinse herbeigeführt werden, setzt Sakkaden außer Kraft. Ergebnis: retinales Bild verschwindet nach ein paar Sekunden, man sieht nur noch grau - Rezeptoren scheinen also auf kontinuierliche Veränderung des Netzhautbildes zu reagieren Phototransduktion: die Umwandlung von Licht in neuronale Signale - Phototransduktion: Licht wird in neuronale Signale umgewandelt - Rhodopsin (Sehpurpur) - Pigment, also eine Substanz, die Licht absorbiert. - Das Absorptionsspektrum von Rhodopsin stimmt mit der skotopischen Hellempfindlichkeitskurve überein - metabotroper Rezeptor, reagiert auf Licht anstatt auf Transmittermoleküle, enthält cGMP, dass bei Dunkelheit Na+-Kanäle öffnet, so dass Glutamat abgegeben wird. Bei Helligkeit wird Rhodopsin gebleicht, cGMP nicht aktiviert, Na+-Kanäle geschlossen, kein Glutamat abgegebenÆ Signal wird durch Inhibition übertragen 7.3 Von der Retina zum primären visuellen Cortex - Zentrale Sehbahn (Retino-geniculo-striäre Bahn) führt von den Ganglienzellen der Retina als Nervus opticus, der sich im Chiasma opticum kreuzt und dann Tractus opticus heißt, über den Corpus geniculatum laterale (CGL, seitliche Kniehöcker) im Thalamus als Radiatio optica zum primären visuellen Cortex (Area striata) - Temporaler Bereich der Retina wird jeweils ipsilateral, nasaler Bereich dagegen kontralateral weitergeleitet Æ linkes Gesichtsfeld wird zu rechtem visuellen Cortex geleitet, rechtes Gesichtsfeld zu linkem visuellen Cortex (links auf Netzhaut ist rechtes Gesichtsfeld) Retinotope Organisation - Benachbarte Punkte auf Netzhaut erregen benachbarte Neuronen im Cortex. - Fovea centralis ist überproportional groß im Cortex repräsentiert Die M- und P-Bahnen - Zentrale Sehbahn besteht aus zwei getrennten Kommunikationskanälen: 1. Parvozelluläre Bahn verläuft durch oberen vier Schichten des CGL, Neurone reagieren besonders auf Farbe, feine Strukturdetails und feststehende oder sich langsam bewegende Objekte, Signale hauptsächlich von Zapfen 2. Magnozelluläre Bahn verläuft durch Schicht 1. und 2. des CGL, Neurone reagieren besonders auf Bewegung, Signale hauptsächlich von Stäbchen 7.4 Die Wahrnehmung von Kanten - Anhand von Kanten können wir Ausdehnung und Position von Objekten bestimmen. Für visuelles System ist eine Kante einen Kontrast zwischen benachbarten Flächen Laterale Inhibition und Kontrastverstärkung - Phänomen. Mach-Bänder: an der Kante wird der Kontrast verstärkt wahrgenommen. Wird erklärt durch laterale Inhibition - Bsp.: Limulus: hat viele Ommatiden (Einzelaugen, mit je einem Axon), die durch laterales neuronales Netzt (Lateralplexus) verschaltet sind. Jedes Ommatid feuert proportional zur Intensität des einfallenden Lichtes, jedes Ommatid hemmt seinen Nachbarrezeptor 23 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung Die rezeptiven Felder visueller Neurone - Hubel und Wiesel: jedes Neuron hat ein rezeptives Feld; es reagiert auf Lichtreize, die auf dieses Feld fallen, mit Aktivitätsänderung. Experimente mit Affen oder Katzen: Augenmuskel lähmen mit Curare, Mikroelektrode ins Gehirn auf ein Neuron, Reize auf kleine Teile der Retina Æ signifikante Zu- oder Abnahme identifiziert rezeptives Feld Æ innerhalb eines Feldes lässt sich Art des bevorzugten Reizes identifizieren Rezeptive Felder: Neurone der Retino-geniculo-striären Bahn - Die meisten rezeptiven Felder der Retina, des CGL und der IV. Schicht der Area striata sind rund. Dabei unterscheidet man zwischen On-Zentrum-Neuronen (feuern, wenn Lichtreiz auf Zentrum des rezeptiven Feldes fällt; verringern Feuerung, wenn Lichtreiz auf Peripherie des rezeptiven Feldes fällt) und Off-Zentrum-Neuronen (genau umgekehrt) - Um Impulsfrequenz eines solchen Neurons zu erhöhen, muss Kontrast zwischen Zentrum und Peripherie erhöht werden Rezeptive Felder: einfache Zellen des visuellen Cortex - Im visuellen Cortex bilden Neurone der IV. Schicht eine Ausnahme. - Einfache Zellen: monokular und „On/Off“ wie Neuronen in IV. Schicht, aber rezeptive Felder sind rechteckig, Grenzen zwischen „On“ und „Off“ verlaufen nicht kreisförmig - Sie reagieren nicht auf diffuses Licht, sondern auf Kantenreize in bestimmter Position Rezeptive Felder: komplexe Zellen des visuellen Cortex - Komplexe Zellen: davon gibt es mehr als einfache Zellen. Unterschied: größere rezeptive Felder, Position des Reizes ist egal, Orientierung und Richtung der Bewegung des Reizes sind entscheidend, sie sind binokular. - Binokulare Neuronen reagieren auf Stimulation beider Augen stärker als auf eins, zeigen aber okuläre Dominanz. Monokulare Neuronen reagieren dagegen nur auf Stimulation eines bestimmten Auges Die Organisation des primären visuellen Cortex in Säulen - Funktionale vertikale Säulen: Neuronen, die vertikal untereinander liegen, haben rezeptive Felder ungefähr im gleichen Gesichtsfeld (Gemeinsamkeit aller = aggregiertes Feld) und reagieren auf Reize gleicher Ausrichtung. - Säulen, die Input eines Gebiets der Retina verarbeiten, sind in Clustern zusammengeschlossen. Eine Hälfte eines Cluster kriegt Input vom rechten Auge, die andere vom linken Auge Die Ortsfrequenztheorie - Neurone reagieren stärker auf Streifenmuster mit Sinuswellengitter, die sich in Ortsfrequenz, Amplitude und Orientierungswinkel unterscheiden. - Jeder visuelle Stimulus lässt sich durch Schwankung der Lichtintensität entlang von Linien beschreiben, jede solcher Linien durch Kombination verschiedener Sinuswellengitter (Kombi bestimmbar durch Fourieranalyse) 7.5 Farbwahrnehmung - Achromatische Farben: Schwarz, Weiß und Grau. Schwarz entsteht durch Abwesenheit von Licht; Weiß entsteht durch Mischung gleicher Anteile intensiven Lichts unterschiedlicher Wellenlängen; Grau entsteht durch dasselbe Mischlicht geringerer Intensität - Chromatische Farben: bunt, wie Blau, Grün, Gelb; i. A. als Farben bezeichnet - Farbe von Objekten hängt davon ab, welche Anteile verschiedener Wellenlängen reflektiert werden 24 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung Dreifarben- und Gegenfarbentheorie - Trichromatische Theorie des Farbensehens von Young und Helmholtz: es gibt drei Arten von Zapfen, für kurz-, mittel- und langwelliges Licht. Farbe wird bestimmt durch relative Aktivität dieser drei Zapfentypen. Jede Farbe kann also durch verschiedene Kombinationen dreier Wellenlängen entstehen - Komplementär- oder Gegenfarbentheorie von Hering geht davon aus, dass es zwei Klassen von Zellen für Codierung von Farbe (rot/grün und blau/gelb) und eine Klasse zur Codierung von Helligkeit gibt. Begründung: Nachbilder - Mikrospektrophotometrie bestätigte Dreifarbensehentheorie - Integration beider Theorien: drei Zapfentypen sind durch Bipolarzellen verschaltet, die durch Inhibition und Exzitation gegenläufige Antworten auf blau und gelb bzw. rot und grün geben Farbkonstanz und die Retinex-Theorie - Farbkonstanz: bei Beleuchtungsänderung sehen wir die Farben als konstant, obwohl physikalisch eine andere Wellenlänge zum Auge kommt. - Retinex-Theorie: Farbe eines Objekts wird von spektraler Reflektanz bestimmt, also Verhältnis der Lichtanteile verschiedener Wellenlängen, die Oberfläche reflektiert Æ Farbe ist unabhängig von Beleuchtung (solange verschiedene Wellenlängen in Beleuchtung enthalten sind) - Duale Gegenzellen, die als Blobs (stiftartige Säulen) in den oberen Schichten des primären visuellen Cortex integriert sind, reagieren auf Kontrast zwischen von benachbarten Bereichen des Gesichtsfelds reflektieren Wellenlängen. Sie sind reich an Cytochromoxidase. Kapitel 8: Mechanismen der Wahrnehmung, des Bewusstseins und der Aufmerksamkeit 8.1 Die Organisation sensorischer Systeme Die hierarchische Organisation sensorischer Systeme - Ein sensorisches System folgt einer hierarchischen Rangordnung: Rezeptoren Æ Thalamus-Kerne Æ primärer sensorischer Cortex Æ sekundärer sensorischer Cortex Æ Assoziationscortex - Signale laufen von unten nach oben, Neurone in höherer Schicht reagieren spezifischer und komplexer auf Signale, geben diese nach mehreren Verarbeitungsschritten weiter - Läsionen in unteren Schichten führen zu komplettem Verlust der Wahrnehmung, Läsionen in höheren Schichten sind spezifischer und komplexer, z.B. Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte - Empfindung bezeichnet sensorisches Registrieren eines Reizes, Wahrnehmung bezeichnet höhere Prozesse der Integration, des Wiedererkennens und der Interpretation von Empfindungsmustern Unterteilung in funktionelle Einheiten - Die drei Cortexgebiete erfüllen in jedem sensorischen System einen anderen Teil der Wahrnehmungsanalyse, sie sind nicht funktionell homogen Parallele Verarbeitung - Die verschiedenen Ebenen der sensorischen Systeme sind parallel verschaltet, d.h. die Informationen fließen auf verschiedenen Wegen, überspringen dabei auch mal eine Ebene, und sind auch rückwärts gerichtet. - Bsp.: Parallelverarbeitung in Bahnen für bewusste und unbewusste Verhaltenssteuerung 25 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung Das derzeit gültige Modell der Organisation sensorischer Systeme - Das Bindungsproblem: Wie entsteht aus der parallelen Analyse in verschiedenen Ebenen und verschieden Gehirnbereichen eine vollständigen Wahrnehmung? Æ es gibt kein einzelnes Cortexareal, dass alle Info empfängt und diese dann zusammenfügt, sondern Wahrnehmung entsteht auskombinierter Aktivität vieler Cortexareale eines sensorischen Systems 8.2 Corticale Mechanismen des Sehens - Primärer visueller Cortex: liegt in posteriorer Region des Occipitallappens, bilateral in der Fissura longitudinalis - Sekundärer visueller Cortex: dazu gehört der prästriärer (peristriärer) Cortex, der den primären Cortex fast vollständig umgibt, und der Gyrus temporalis inferior im unteren Temporallappen - Assoziationscortex: liegt hauptsächlich auf dem posterioren parietalen Cortex, aber auch kleine Einzelgebiete in mehreren Teilen der Großhirnrinde Skotome und Ergänzungseffekt - Schädigung im primären visuellen Cortex führt zu einem Skotom, welches im kontralateralen Gesichtsfeld liegt - Um die Größe des Skotoms zu messen führt man eine perimetrische Bestimmung des Gesichtsfeldes durch (Punkte auf Bildschirm, von außen zur Mitte, wann verschwindet Punkt) - Im Bereich des Skotoms tritt der Ergänzungseffekt auf. Bsp.: Lashley sah Freund ohne Kopf während Migräneanfall) - Hemianopsie: Skotom, dass eine Hälfte des Gesichtsfeldes bedeckt Skotome und Blindsehen - Blindsehen bezeichnet das Phänomen, dass Menschen mit Skotomen auf visuelle Reize reagieren können, obwohl sie diese nicht bewusst wahrnehmen (z.B. greifen nach Gegenständen, Unterscheiden von Buchstaben oder der Orientierung einer Linie) Æ es muss noch parallele Verarbeitungsbahnen geben, die nicht über den primären visuellen Cortex laufen. - Eine solche Bahn: vom Colliculus superior über Pulvinar thalami zum prästriären Cortex Die Wahrnehmung von Scheinkonturen - Wir sehen Scheinkonturen, weil Neurone im prästriären Cortex und einige in der primären Sehrinde reagieren, als ob wirkliche Konturen da wären Funktionelle Unterteilung der Gebiete des sekundären und des assoziativen visuellen Cortex - Funktionell spezialisierte Gebiete setzen sich mit Einzelaspekten der Wahrnehmung wie Farbe, Form, Bewegung etc. auseinander - Bei Makaken: 30 Areale in der primären Sehrinde, 24 im prästriären Cortex, 7 im Assoziationscortex, zwischen letzteren über 300 Verknüpfungen - Ergebnisse bei Menschen (PET und fMRT) sind übereinstimmend in Bezug auf Lage, anatomische Eigenschaften und Funktion, jedes Gebiet ist aber etwa 4mal so groß Dorsal- und Ventralbahn - Dorsalbahn führt von primärer Sehrinde über dorsalen prästriären Cortex zum posterioren parietalen Cortex, Ventralbahn führt von primärer Sehrinde über ventralen prästriären Cortex zum Gyrus temporalis inferior - Ungerleider und Mishkin: „wo“-versus-„was“-Theorie: Dorsalbahn = räumliche Lokalisation, Ventralbahn = Objekterkennung. Æ unterschiedliche Art von Info. Beleg für Theorie: Schädigungen in entsprechenden Bereichen - Alternativerklärung von Goodale und Milner: „Verhaltenskontrolle“-versus-„bewusste Wahrnehmungs“-Theorie: Dorsalbahn = Steuerung von direkter Interaktion, Ventralbahn = bewusste visuelle Wahrnehmung Æ unterschiedlicher Zweck von Info. 26 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung - Bsp.: Patientin D.F.: kann Orientierung eines Schlitzes nicht angeben, aber eine Karte richtig reinstecken - Bsp.: Patientin A. T.: kann Größe von Objekten beschreiben und mit Fingern anzeigen, sie jedoch nicht greifen Prosopagnosie - Agnosie: Unfähigkeit, etwas zu erkennen. Visuelle Agnosie: Agnosie für visuelle Reize, Bsp.: Dr. P, der seine Frau mit einem Hut verwechselte - Prosopagnosie: Unfähigkeit, Gesichter zu erkennen. Einzelne Bestandteile werden erkannt, aber Gesicht als ganzes ist nicht von anderen zu unterscheiden. Typische Schädigung: bilaterale Schädigung des inferioren prästriären Cortex und angrenzende Gebiete des Gyrus temporalis inferior (Ergebnisse von MRI und Autopsien) Æ Beziehung zwischen Störung und Ventralbahn - Gibt es ein Areal, das auf Erkennen von Gesichtern spezialisiert ist? Æ Dagegen: bei manchen Patienten bezieht sich Prosopagnosie auch auf Häusern, Autos, Kühe etc., also auf Erkennung von bestimmten Objekten allgemein Æ Dafür: Patient C. K. hatte schwere visuelle Agnosie, aber keine Prosopagnosie Gesichter differenzieren, anderes aber nicht bei geschädigter Ventralbahn (Bsp.: Gemüsekopf), was auf spezifisches Gesichtsareal hindeutet Æ Makaken haben Neurone im Gyrus temporalis inferior, die nur auf Gesichter bestimmter Ausrichtung feuern - Prosopagnosie-Patienten können Gesichter erkennen, auch wenn ihnen das nicht bewusst ist (Beleg: Änderung der Hautleitfähigkeit bei bekannten Gesichtern) Æ Beleg für Existenz von intakter Dorsal-Bahn Zwischenbilanz - Themen: visuelle Ergänzung, Blindsehen, Scheinkonturen, funktionelle bereiche des visuellen Cortex, Dorsal- und Ventralbahn, die Fälle D. F. und A. T., Prosopagnosie - Drei Prinzipien der Informationsverarbeitung: hierarchische Organisation, funktionale Spezialisierung und parallele Verarbeitung 8.3 Das Hören - Das Auditive System nimmt Schall bei Frequenzen zwischen 20 und 20000 Hz wahr. - Physikalische Beschreibungsparameter: Amplitude, Frequenz, spektrale Zusammensetzung - subjektive Beschreibungsparameter: Lautstärke, Tonhöhe, Klangfarbe - Töne der Realität lassen sich in Sinuswellen (reine Töne) unterschiedlicher Frequenz und Amplitude zerlegen: Fourieranalyse Das Ohr - Schallwellen durchlaufen Gehörgang, setzen Trommelfell in Schwingungen, diese werden auf Gehörknöchelchen Hammer, Amboss und Steigbügel übertragen. Letzterer löst Schwingung des ovalen Fensters aus, diese überträgt sie auf Flüssigkeit der Cochlea (Schnecke). Durch deren Mitte läuft das Cortische Organ - Aufbau des Cortischen Organs: Rezeptoren des Hörsystems, die Haarzellen, sitzen in der Basilarmembran, die Tectorialmembran liegt auf ihnen - Durch Schwingungswellen werden die Membranen gegeneinander verschoben, Scherkräfte wirken auf Haarzellen und regen zu Transmitterfreisetzung an, welche APs am Hörnerven auslösen. - Über rundes Fenster werden die Schwingungen der Cochlea ins Ohr zurückgeleitet - Verschiedene Frequenzen stimulieren Haarzellen an verschiedenen Orten (hohe Frequenz Æ Aktivierung nahe des ovalen Fensters Æ tonotope Organisation der Cochlea, gilt auch für auditorischen Cortex 27 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung - Problem: Wie sortiert das auditorische System komplexe Reize, die sich jeweils aus unterschiedlichen Frequenzen zusammensetzten, z.B. viele Stimmen und Musik bei einer Party? - Bodengangsorgane sind Teil des Gleichgewichtssystems (vestibuläres System): es nimmt Richtung und Intensität von Kopfbewegungen wahr Vom Ohr zum primären auditorischen Cortex - Kein einzelner Hörnerv, sondern Netz von Hörnerven - Pfad: Hörnerv, ipsilaterale Nuclei cochleares, Nuclei olivares superiores auf gleicher Ebene, über Tractus lemniscus lateralis auf Colliculi inferiores (Vierhügelplatte), Corpora geniculata mediales im Thalamus, primärer auditorischer Cortex - Jedes Ohr sendet Signale in ipsilateralen und kontralateralen auditorischen Cortex Der primäre auditorische Cortex - Liegt in Fissura lateralis, umgeben vom sekundären auditorischen Cortex - Zwei Organisationsprinzipien: 1. funktionelle Säulen: vertikal untereinander liegende Neurone antworten auf denselben Frequenzbereich 2. tonotope Organisation: anteriorer Bereich der Hörrinde reagiert auf hohe Frequenz, posteriorer Bereich auf niedrige Frequenz - Sekundärer auditorischer Cortex reagiert auf komplexe Reize, nicht auf reine Töne Æ spricht für hierarchische Struktur Die Lokalisation von Geräuschen - Zuständig sind laterale und mediale obere Olivenkerne - Mediale obere Olivenkerne reagieren auf geringe Differenz der Ankunftszeiten von Signalen in beiden Ohren - Laterale obere Olivenkerne reagieren auf geringe Differenz der Amplituden von Signalen in beiden Ohren - Bsp. Schleiereule: Gesichtsschleier reflektiert hochfrequente Schallwellen, am rechten Ohr kommt Schall von oben besser an, am linken Ohr von unten. Differenz der Lautstärke zwischen links und rechts gibt Auskunft über horizontale Lage eines Objektes, aber auch (durch Vergleich mehrerer Frequenzen) Auskunft über vertikale Lage eines Objektes Die Auswirkungen von Schädigungen des auditorischen Cortex - Versuche mit Tieren: vollständigen Schädigung des auditorischen Cortex führt nicht zu komplettem Verlust der Hörfähigkeit. - bei bilateraler Schädigung können Affen innerhalb eines Halbfeldes nicht unterscheiden, aber zwischen beiden Halbfeldern - bei Menschen: bilaterale Läsion führt zu Worttaubheit. Alle Schallereignisse kurzer Dauer können nicht mehr identifiziert und in eine zeitliche Reihenfolge gebracht werden 8.4 Somatosensorik: Tastsinn und Schmerz - drei Systeme: 1. exterozeptives System 2. propriozeptives System 3. enterozeptives System - exterozeptives System unterteilt in Tastsinn (mechanische Reize), Temperatursinn (thermische Reize) und Schmerzsinn (nocizeptive Reize) Hautrezeptoren - es gibt verschiedene Hautrezeptoren, darunter freie Nervenendigungen, reagieren auf Temperaturveränderung und Schmerzreize, Pacini-Körperchen, liegen am tiefsten, zwiebelförmig, adaptieren rasch Æ registrieren plötzliche Mechanische Belastung der Haut, Merkel-Zellen adaptieren langsam, reagieren auf langsamen Druck, und RuffiniKörperchen adaptieren langsam, reagieren auf langsame Hautdehnung 28 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung - Andauernder Druck Haut, z.B. Kleidung, ist uns nicht mehr bewusst. Stereognosie: um ein Objekt durch Tasten zu identifizieren, bewegen wir es in den Händen Dermatome - Ein Dermatom bezeichnet einen Bereich des Körpers, der von den Hinterwurzeln eines Rückenmarksegments innerviert wird. Benachbarte Dermatome überlappen sich stark. Die zwei wichtigsten aufsteigenden somatosensorischen Bahnen - Mediales Lemniscussystem, auch Hinterstrangsystem, überträgt Info von Tastsinn und Propriozeption - Vorderseitenstrangsystem, auch anterolaterales System, überträgt Info von Schmerz- und Temperatursinn - Aufbau des medialen Lemniscussystems: Axone ziehen über Hinterwurzel ins Rückenmark, steigen ipsilateral in Hintersträngen auf, projizieren auf Neurone der Hinterstrangkerne in Medulla oblongata, deren Axone kreuzen auf kontralaterale Seite, steigen im Tractus lemniscus medialis zum Ventrobasalkern im Thalamus auf. - Ventrobasalkerne erhalten auch Info über Nervus trigeminus (Info von kontralateraler Seite des Gesichts) - Aufbau des Vorderseitenstrangsystem: Neurone bilden direkt im Rückenmark Synapsen, projizieren auf Neurone 2ter Ordnung, deren Axone meist kontralateral im Vorderseitenstrang aufsteigen. umfasst drei Bahnen: Tractus spinothalamicus (projiziert auf Ventrobasalkerne), Tractus spinoreticularis (projiziert auf Formatio reticularis, dann zu Nuclei ventrales posterolateralis und intralaminares des Thalamus), Tractus spinotectalis (projiziert auf Tectum) - Läsionen von Ventrobasalkernen verringern Sensitivität der Haut für Berührungen, Temperaturveränderung und stechenden Schmerz - Läsionen der Nuclei ventrales posterolateralis und Nuclei intralaminares verringern chronischen Schmerz Corticale Gebiete der Somatosensorik - Somatosensorischer Homunculus: primärer somatosensorischer Cortex S-I ist somatotop organisiert, liegt im Gyrus postcentralis. Gleiches gilt für sekundären somatosensorischen Cortex S-II, der unterhalb von S-I liegt - S-I und S-II projizieren in Assoziationscortex des posterioren Parietallappens - S-I ist in Streifen organisiert: jeder Bereich für ein Körperteil hat 4 Streifen, die auf eine Art von Reiz reagieren. Außerdem in Säulen organisiert: Neuronen einer Säule reagieren auf dieselben Reize, haben rezeptives Feld im selben Körperteil. Rezeptive Felder auch hier unterteilt in antagonistische exzitatorische und inhibitorische Gebiete Auswirkungen von Schädigungen des primären somatosensorischen Cortex - Schädigung von S-I hat kaum Folgen Somatosensorische Agnosien - Asterognosie: Unfähigkeit, Objekte durch Tasten zu erkennen - Asomatognosie: Unfähigkeit, eigene Körperteile zu erkennen (Bsp.: Patient, der aus dem Bett fiel; Tante Betty) - Anosogosie: Leugnen der eigenen neurologischen Symptome - Kontralateraler Neglect: Ignorieren von Reizen, die kontralateral zur geschädigten Hemisphäre auftreten Die Paradoxien des Schmerzes - Anpassungswert: Schmerz ist wichtig, da er uns Signale darüber gibt, was man dem Körper zumuten kann. Bsp.: Miss C., die keinen Schmerz empfand, starb mit 29 Jahren - Fehlen corticaler Gebiete für Schmerzrepräsentation: es gibt kein bestimmtes Gebiet für Schmerzrepräsentation. Kurzer und chronischer Schmerz werden in anderen 29 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung Regionen repräsentiert. Am häufigsten aktiviertes Areal: anteriorer Gyrus cinguli, der aber vermutlich mehr die emotionale Reaktion auf Schmerz steuert - Absteigende Schmerzkontrolle: Schmerz kann durch kognitive und emotionale Faktoren gut unterdrückt werden (Bsp.: Fakire und so Freaks). Kontrollschrankentheorie: Signale in zentrifugalen Bahnen können Schmerzsignale im Rückenmark blockieren - Drei Hinweise für absteigende Bahnen: 1. Elektrische Stimulation des periaquäductalen Graus hat analgetische Wirkung, 2. PAG und andere Bereiche haben Rezeptoren für Morphium, also muss es ähnlichen, körpereigenen Stoff geben, 3. Nachweis von Endorphinen - Basbaum und Fields: absteigendes System zur Schmerzkontrolle: Signale aus PAG erregen Neurone im Nucleus raphé, deren Axone erregen Interneurone im Rückenmark, welche Schmerzsignale hemmen Phantomschmerz - Amputierte fühlen Schmerzen im amputierten Körperglied, die sehr real sind. - Behandlungsversuch: Zerstörung der Nervenbahnen, die zwischen Stumpf und Cortexgebiet, dass für amputiertes Glied zuständig war, verlaufen Æ führt nur zu zeitweiliger Verbesserung, d.h. Schmerz entsteht im Cortex selbst 8.5 Die chemischen Sinne: Geruch und Geschmack - Olfaktorisches System reagiert auf chemische Substanzen, die ans Riechepithel gelangen, gustatorisches System reagiert auf chemische Substanzen, die in den Speichel gelangen - Aroma von Nahrung entsteht durch beide System gleichermaßen - Pheromone sind chemische Stoffe, die Sozialverhalten vieler Tiere stark beeinflussen. Bsp.: Murphy und Schneider: sexuelles und aggressives Verhalten von Goldhamstern - Hinweise auf ebensolche Steuerung beim Menschen: große olfaktorische Sensitivität von Frauen in Ovulationsphase, Synchronisation von Menstruationszyklen, Bestimmung des Geschlechts an Achselhöhlen- oder Atemgeruch - Tiere entwickeln Geschmacksaversion und bevorzugen Aromen, die in der Muttermilch vorhanden waren Der Geruchssinn - Es gibt eine Vielzahl von Rezeptortypen, die für jeweils eine Substanz spezifisch sind. Bisher wurden mehr als 1000 Rezeptorproteine identifiziert, in jeder Rezeptorzelle gibt es nur ein Protein. - Olfaktorische Rezeptoren sind in Riechschleimhaut im oberen Teil der Nase eingebettet. Ihre Axone durchqueren die Siebbeinplatte und münden in den Bulbus olfactorius (Riechkolben, III. Hirnnerv), der über Tractus olfactorius in den medialen Temporallappen, vor allem auf Amygdala und Cortex piriformis projiziert. - Von dort zwei Bahnen: einmal diffus aufs limbische System (emotionale Reaktion auf Geruchsreize), andere über Nuclei medialis dorsalis des Thalamus zu orbitofrontalem Cortex, direkt unter Augenhöhlen (bewusste Geruchswahrnehmung) Der Geschmackssinn - Geschmacksknospen: Gruppe von 50 Geschmacksrezeptoren in Mundhöhle und Zunge, dort häufig in Nähe von Zungenpapillen; haben keine eigenen Axone, ein Neuron erhält Signale von vielen Rezeptoren - 4 Geschmacksrichtungen: süß, sauer, bitter, salzig Æ Komponententheorie, einigermaßen bestätigt. Aber: auch gegenläufige Hinweise - Info läuft über Nervus facialis (VII.), Nervus glossopharyngeus (IX.) und Nervus vagus (X.) zu Nucleus solitarius in Medulla oblongata, die dann auf Nucleus ventralis posteriomedialis im Thalamus projiziert - Primärer gustatorischer Cortex liegt bei Gesichtsbereich des somatosensorischen Homunculus, sekundärer gustatorischer Cortex liegt in der Fissura lateralis 30 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung - Nervenbahnen verlaufen hauptsächlich ipsilateral Einflüsse von Hirnschäden auf die chemischen Sinne - Anosmie: Unfähigkeit, Gerüche wahrnehmen zu können, entsteht durch Erschütterung des Kopfes Æ Verschiebung des Gehirns, wodurch olfaktorische Nerven an Siebbeinplatte durchtrennt werden - Ageusie: Unfähigkeit, Geschmack wahrnehmen zu können; kommt selten vor wegen Weiterleitung in drei Bahnen; Verletzung des Ohrs führt zu Ageusie in anterioren 2/3 der Zunge, weil Nervus facialis durchs Mittelohr verläuft 8.6 Selektive Aufmerksamkeit - Zwei Arten: 1. Top-down-Prozesse haben Ursprung in Entscheidungssystemen des Assoziationscortex des Frontallappens, führen durch zentrifugale Fasern zu sensorischen Arealen (z. B. Suche einer Person in Menschenmenge) 2. Bottom-up-Prozesse sind reflexartige Reaktionen, z. B. ausgelöst durch Bewegung in Peripherie des Gesichtsfeldes - Change blindness: zwei Bilder mit geändertem Detail werden in kurzem Wechsel (0,1 sek) gezeigt, Veränderung wird aber erst spät erkannt, weil Aufmerksamkeit auf anderen Teil der Szene gerichtet wird, nur dieser Teil wird im Gedächtnis gespeichert. Zwischen den Bildern muss kurzes Intervall (80ms) sein, damit Speicherung im Gedächtnis nötig wird. - Desimone und Moran: untersuchten Aktivität von Neuronen der Ventralbahn im prästriären Affencortex. Aufgabe: Affen sollten Aufmerksamkeit auf bestimmten farbigen Balken richten, dabei stieg Aktivität von für diese Farbe zuständigen Neuronen, und sank Aktivität von für andere Farbe zuständigen Neuronen. - Ähnliche Ergebnisse für Versuch mit Dorsalbahn und Bewegungsempfindlichen Neuronen - Selektive Aufmerksamkeit ist Resultat vom Konkurrieren sensorischer Signale um Zugang zu Schaltkreisen, die Bewusstsein steuern - Cocktail-Party-Phänomen: obwohl wir auf einer Party in ein Gespräch vertieft sind und die Inhalte anderer Gespräche nicht mitkriegen, hören wir, wenn woanders unser Name fällt Kapitel 9: Das sensomotorische System 9.1 Die drei Prinzipien, nach denen das sensomotorische System funktioniert Das sensomotorische System ist hierarchisch organisiert - Kennzeichen: Parallele Verschaltung, funktionelle Untergliederung, hierarchische Organisation - Hauptrichtung des Infoflusses: abwärts gerichtet Motorische Aktivitäten werden durch sensorische Informationen gesteuert - Sensorisches Feedback: Kontrolle über Effektivität der Handlungen, wichtig für weitere Steuerung der Handlung (Bsp.: G. O., konnte keine Tasse mehr halten ohne visuelle Kontrolle) - Rückkopplung betrifft untere Ebenen, bleibt unbewusst Lernen verändert die sensomotorische Kontrolle - motorisches Lernen: erst jeder Verhaltensanteil unter bewusster Kontrolle, später als zusammenhängendes motorisches Programm organisiert, gesteuert von unteren Ebenen (Bsp.: schwimmen, Klavier spielen, Schreibmaschine schreiben) 31 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung Ein Funktionsmodell des sensomotorischen Systems - Assoziationscortex Æ sekundärer motorischer Cortex Æ primärer motorischer Cortex Æ motorische Kerne im Hirnstamm Æ motorische Schaltkreise im Rückenmark Æ Muskel 9.2 Der sensomotorische Assoziationscortex - Zwei Hauptgebiete: posteriorer parietaler Assoziationscortex und dorsolateraler präfrontaler Assoziationscortex mit jeweils sieben verschiedenen Arealen mit unterschiedlichen Funktionen Der posteriore parietale Assoziationscortex - Bestimmt Position der zu bewegenden Körperteile durch Input aus visuellem, auditorischem und somatosensorischem System - Projiziert zum dorsolateralen präfrontalen Assoziationscortex, zum sekundären motorischen Cortex und in das frontale Augenfeld - Läsion führt zu Apraxie (Unfähigkeit zu willentlichen Bewegungen, die unbewusst ausgeführt werden können; unilaterale Schädigung des linken posterioren Parietallappens, Symptome bilateral), zu konstruktiver Apraxie (Objekt kann nicht aus Bestandteilen zusammengesetzt werden; unilaterale Schädigung des rechten posterioren Parietallappens; Symptome bilateral) oder zu Kontralateralem Neglect (Ignorieren der kontralateralen Hälfte der Welt; Bsp.: Frau isst nur halben Teller; große Läsion des rechten posterioren Parietallappens) Der dorsolaterale präfrontale Assoziationscortex - Input vom posterioren Parietalcortex, projiziert auf sekundären und primären motorischen Cortex - Neurone im Affenhirn feuern hier besonders stark, kurz vor und während willentlicher Bewegung. Außerdem starke Reaktion räumliche Lage und Form von Reizen Æ wahrscheinlich ist dieser Assoziationscortex verantwortlich für Einleitung willentlicher Bewegung, basierend auf Info vom posterioren parietalen Cortex 9.3 Der sekundäre motorische Cortex - Besteht aus vier Teilen: supplementär-motorisches Areal und prämotorischer Cortex liegen zwischen primärem motorischen Cortex und dorsolateralem präfrontalem Cortex, zwei motorische Areale auf dem Gyrus cinguli, unterhalb des supplementär-motorischen Areals - Anatomische Ähnlichkeit: alle senden und empfangen Axone an/aus dem primären motorischen Cortex, alle stehen reziprok in Verbindung, alle senden Axone in motorische Netzwerke des Hirnstamms - Funktionale Ähnlichkeit: elektrische Reizung verursacht komplexe Bewegung in entsprechenden Körperteilen, Neurone zeigen Aktivität vor und während willentlicher Bewegung, Bewegung einer Körperseite = Aktivität in beiden Hemisphären - PET Studien: Aktivität in verschiedenen Arealen, wenn Probanden sich Bewegung vorstellten oder diese planten - Unterschied zwischen einfacher und komplexer Bewegung: gesteigerte Aktivität in gleichem Areal - Hypothetischer Unterschied: supplementär-motorisches Areal zuständig für selbst erzeugte Bewegung, prämotorischer Cortex für extern ausgelöste Bewegung ÆHinweise aus PET-Studie: Hand im Takt zu Metronom oder ohne Metronom bewegen 9.4 Der primäre motorische Cortex - Liegt auf Gyrus praecentralis des Frontallappens, vor Sylvischer Furche - Kartiert von Penfield und Boldrey 1937: motorischer Homunculus ist somatotop organisiert 32 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung - Areal für Hand +Finger und Mund ist besonders groß jedes Areal erhält Feedback vom somatosensorischen Cortex von Rezeptoren in Muskeln und Gelenken; Ausnahme (beim Affen): Hand-Areal erhält Signal von Haut, nicht aber Muskeln und Gelenken Æ vermutlich um Stereognosie zu erleichtern Läsion führt zu Astereognosie, Verlust der Einzelbewegung von Fingern und Verminderung von Geschwindigkeit, Präzision und Kraft der Bewegung 9.5 Kleinhirn und Basalganglien Das Kleinhirn - 10% der Gehirnmasse, aber mehr als 50% der Neurone - Info von primärem und sekundärem motorischen Cortex, Info über absteigende motorische Signale aus motorischen Kernen des Hirnstamms und Feedback von motorischer Aktivität über somatosensorische und vestibuläre Systeme - Aufgaben: erlernen motorischer Abläufe und Feinabstimmung von Bewegung, vermutlich gleiches auch für kognitive Reaktionen und Feinabstimmung - Läsionen: Verheerende Folgen für Bewegung in jeder Hinsicht Die Basalganglien - Ebenfalls modulatorische Funktion; neuronale Schleifen, Eingänge aus Cortex, senden über Thalamus zurück in motorischen Cortex; zusätzlich kognitive Funktion - Belege: Versuche mit Ratten: Basalganglien haben Effekt auf Assoziationslernen; Parkinsonpatienten mit entsprechender Läsion können kein Puzzle lösen, trotz eine Taste Lösung zeigen würde 9.6 Absteigende motorische Bahnen Die dorsolateralen Bahnen: der laterale Corticospinaltrakt und der Corticorubrospinaltrakt - Tractus corticospinalis lateralis: Axone der Betzschen Zellen (Riesenpyramidenzellen) im primären motorischen Cortex wechseln in Pyramidenkreuzung der Medulla oblongata auf kontralaterale Seite, enden im dorsolateralen Bereich des Rückenmarks. Aktivieren Motoneurone auf Beinmuskeln oder Interneurone Æ Motoneurone auf Handgelenke, Hände, Finger, Zehen - Tractus corticorubrospinalis: vom primären motorischen Cortex zu Synapsen im Nucleus ruber, dann Seitenwechsel nach kontralateral; einige Axone enden in motorischen Hirnnervenkernen, führen dort zu Gesichtsmuskeln; andere weiter zu dorsolateralem Bereich des Rückenmarks, Interneurone Æ Motoneurone auf distalen Gliedmaßen Die ventromedialen Bahnen: der anteriore Corticospinaltrakt und der Corticobulbospinaltrakt - Tractus corticospinalis anterior: direkte Bahn, Axone ipsilateral zu ventromedialem Bereich des Rückenmarks, bilden unterwegs beidseitig Seitenäste zwecks Innervierung von Interneuronenschaltkreisen in Rückenmarkssegmenten, von dort Projektion auf Motoneurone von Rumpf und proximalen Gliedmaßen - Tractus corticobulbospinalis: indirekte Bahn, interagiert mit Strukturen des Hirnstamms: 1. Tectum (auditorische + visuelle Info über räumliche Lage), 2. Nucleus vestibularis (Gleichgewichtsinfo von Vestibularkanälen des Innenohrs), 3. Formatio reticularis (Motorische Programme für komplexe arttypische Bewegung) 4. motorische Kerne der Hirnnerven zur Kontrolle von Gesichtsmuskeln) Vergleich der beiden dorsolateralen mit den beiden ventromedialen motorischen Bahnen - Gleich: jeweils eine Bahn steigt direkt ins Rückenmark, die andere ist mit Nervenzellen im Hirnstamm verschaltet, diese senden dann ins Rückenmark - Unterschiede: 1. Ventromediale Trakte sind diffus, dorsolaterale Trakte dagegen nur kontralateral, ein Segment, oft Ende direkt an Motoneuron 2. Ventromediale Trakte 33 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung - innervieren proximale Muskeln von Rumpf und Gliedmaßen, dorsolaterale Trakte enden auf Motoneuronen von distalen Muskeln Lawrence und Kuypers (1968): 1. lateraler Corticospinaltrakt in Pyramidenkreuzung bei Affen getrennt. Ergebnis: normal laufen, stehen, klettern, keine unabhängige Fingerbewegung, konnten Essen nicht mehr los lassen 2. zusätzlich Corticorubrospinaltrakt durchtrennt: Arme hingen schlaff herunter, konnten nur aus Schulter bewegt werden; oder alternativ: ventromediale Trakte durchtrennt: konnten nicht mehr Laufen oder Sitzen, Schultern nicht mehr kontrollieren, wohl aber Hand und Ellenbogen 9.7 Sensomotorische Schaltkreise im Rückenmark Muskeln - Motorische Einheit: ein Motoneuron und alle von ihm innervierten Skelettmuskelfasern - Aufbau eines Muskels: viele fadenförmige Muskelfasern, von fester Membran umschlossen, über Sehne mit Knochen verbunden. Motoneuronen geben Acetylcholin an neuromuskulären Endplatten frei, aktivieren Rezeptoren in motorischer Endplatte jeder Muskelfaser, Kontraktion - Motorischer Pool: alle Motoneurone eines Muskels - Schnelle Muskelfasern sind schlecht vaskuliert, daher blassrot; langsame Muskelfasern sind gut vaskuliert, daher dunkelrot - Zwei Kategorien von Muskeln: Beuger (Flexoren) und Strecker (Extensoren) Bsp.: Bizeps und Trizeps - Synergistische Muskeln rufen bei Kontraktion die gleiche Bewegung hervor, antagonistische Muskeln arbeiten gegeneinander - Isometrische Kontraktion erhöht Spannung zwischen zwei Knochen, Muskellänge bleibt dabei gleich, isotonische Kontraktion zieht Knochen zusammen, Muskel verkürzt sich, Muskeltonus = Zugkraft bleibt gleich Muskelrezeptororgane - Golgi-Sehnenorgane liegen in Sehnen, reagieren auf Anstieg der Muskelspannung, gebe diese Info an ZNS und haben Schutzfunktion - Muskelspindeln liegen im Muskelgewebe, reagieren auf Veränderung der Muskellänge; haben eigene intrafusale Muskelfaser, innerviert vom eigenen intrafusalen Motoneuron, damit Spannung der Spindel und damit Dehnungssensitivität aufrechterhalten wird, wenn sich der extrafusale Muskel verkürzt Der Dehnungsreflex - Patellarsehnenreflex: Streckung des Oberschenkelmuskels führt, angeregt von afferenten Spindelneuronen, zu kompensatorischer Muskelkontraktion - Funktion von Dehnungsreflexen: Körperposition gegen äußere Kräfte aufrechtzuerhalten Der Schutzreflex - Nicht monosynaptisch, reagiert auf Schmerzreize bereits nach 1,6 ms über Interneurone Reziproke Innervation - Antagonistische Muskeln sind Reziprok innerviert, was bedeutet, das der eine erschlafft, wenn der andere kontrahiert wird. Ein sensorischer Input (z.B. Schmerzreiz) stimuliert im Rückenmark exzitatorische und inhibitorische Interneurone. Bewegung entsteht durch Anpassung der relativen Cokontraktion antagonistischer Muskeln Rekurrente Hemmung - Inhibitorische Neurone hemmen genau die Motoneurone, von denen sie Input erhalten, um ihnen eine Pause zu gönnen. Renshaw-Zellen vermitteln die rekurrente Hemmung Gehen: ein komplexer sensomotorischer Reflex - Laufen wird durch neuronale Schaltkreise im Rückenmark kontrolliert. Sehr komplexe Angelegenheit, man kann nicht einmal Roboter bauen, der so gut läuft wie ein Mensch 34 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung 9.8 Zentrale sensomotorische Programme - Theorie: alle Stufen des sensomotorischen Systems haben Aktivitätsmuster einprogrammiert, durch Kombination solcher Programme entstehen komplexe Bewegungsmuster. Assoziationskortex trifft Entscheidung zu Handlung, aktiviert in jeder Stufe bestimmte Programme, die dann völlig eigenständig ablaufen, ohne Kontrolle von oben Zentrale motorische Programme können sich ohne Übung entwickeln - Bsp.: Mäuse ohne Vorderbeine, die Schulterbewegungen wie beim Putzen ausführen, und dabei die Augen schließen, wenn normalerweise Pfoten diese berührt hätten Zentrale motorische Programme können durch Übung entstehen - Response chunking: Übung vereinigt Kontrolle von einzelnen Verhaltenselementen in langen Sequenzen. (Bsp.: tippen. Erst jeder Buchstabe bewusst, dann aber Gewöhnung an Wörter, also bestimmte Abfolge von Buchstaben) - Verlagerung der Kontrolle auf untere Hierarchieebenen: Vorteile: höhere Ebenen können sich mit anderen Dingen beschäftigen (Bsp.: Pianist interpretiert ein Stück); Geschwindigkeitssteigerung Æ mehrere untergeordnete Schaltkreise agieren gleichzeitig Funktionelle bildgebende Verfahren und motorisches Lernen - PET-Studie von Jenkins e al. 1994: Gehirnaktivität bei lernen von Tastendrücke in bestimmter Reihenfolge - Befunde: 1. posteriorer parietaler Cortex aktiver bei neu gelerntem als bei Hochgeübtem (Integration von sensorischen Reizen, größere Aufmerksamkeitszuwendung) 2. dorsolateraler präfrontaler Cortex aktiv bei neu gelerntem (bewusste Kontrolle) 3. supplementär-motorisches Areal aktiver bei Hochgeübtem (Verhalten unabhängig von sensorischen Reizen), kontralateraler prämotorischer Cortex aktiver bei neu gelerntem (Verhaltenskontrolle durch sensorische Reize) (Æ Areale des sekundären motorischen Cortex reagieren unterschiedlich) 4. primären motorischen und somatosensorischen Cortices immer gleich aktiviert (motorische Elemente vergleichbar in beiden Versuchsbedingungen) 5. Basalganglien immer gleich aktiviert (Vermutung jedoch, dass unterschiedliche Neuronen innerhalb aktiviert waren) 6. Kleinhirn immer bilateral aktiviert, aber stärker bei neu erlerntem (Cerebellum hat herausragende Rolle beim motorischen Lernen Kapitel 10: Die Biopsychologie des Essens und Trinkens Teil 1: Hunger, Essen und Regulation des Körpergewichts 10.1 Verdauung und Energiestoffwechsel - Verdauung: Prozess, bei dem im gastrointestinalem Trakt der enzymatische Abbau von Nahrung und Getränken und die Resorption der Abbauprodukte in den Körper stattfindet - Drei Formen von Energiezufuhr: Lipide, Aminosäuren, Glucose - Körper speichert Energie in Form von Fetten (hauptsächlich), Glycogen und Proteinen - Energiestoffwechsel: cephalische Phase (Vorbereitung auf Essen), resorptive Phase (aus Nahrung resorbierte Energie deckt Bedarf), Fastenphase (ungespeicherte Energie aus Nahrung ist weg, Körper greift auf Reserven zurück) - Hormone der Bauchspeicheldrüse (Pankreas) regulieren Energiefluss: Insulin und Glucagon 35 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung - Insulin in 1. Phase senkt Nährstoffe im Blut (vor allem Glucagon) wegen erwarteter Nahrungszufuhr, Insulin in 2. Phase minimiert Anstieg von Nährstoffen im Blut durch Förderung von Verbrauch und Speicherung Glucagon in 3. Phase: Glucose kann nur bei viel Insulin für Körperzellen verbraucht werden, steht jetzt nur Gehirn zur Verfügung; Förderung von Glucogenese; Förderung der Freisetzung freier Fettsäuren aus Fettgewebe als Hauptenergiequelle 10.2 Theorien zum Essverhalten: Sollwert versus Anreiz Die Sollwert-Hypothese - Geht davon aus, dass der Körper einen Energiesollwert hat, der nach der Nahrungszufuhr erreicht ist. - Durch Energieverbrauch entfernt sich der Energieanteil vom Sollwert, worüber ein Fühlermechanismus in Form eines negativen Feedback-Systems Auskunft gibt. - Wir bekommen Hunger, und nehmen neue Nahrung auf, bis wir den Sollwert wieder erreicht haben, also gesättigt sind (Effektormechanismus) Glucostatische und lipostatische Sollwerttheorien von Hunger und Essen - glucostatische Theorie: Sollwert orientiert sich am Blutzuckerspiegel (Kurzzeitsystem, für Beginn und Ende von Mahlzeiten verantwortlich) - lipostatische Theorie: Sollwert orientiert sich am Körperfett (Langzeitsystem) Probleme mit den Sollwerttheorien von Hunger und Essen - Evolution der Säuger funktioniert nicht mit Sollwerttheorie, da nur unregelmäßig Essen verfügbar war - Vorraussagen über Essverhalten nicht bestätigt: trotz Übergewicht essen Menschen; in Fastenphase ist Blutzuckerspiegel konstant; Kalorienreiches Getränk vor Mahlzeit reduziert nicht den Umfang der Mahlzeit - Einfluss von Geschmack (Nachtisch, obwohl schon pappsatt), Lernen, sozialer Einfluss (mehr essen in Gesellschaft) Die Anreiztheorie - Alternativtheorie: durch erwartete angenehme Effekte der Nahrung werden Menschen zum essen verleitet - Vorhandensein oder Erwartung guter Nahrung lassen uns hungrig werden, Grad des Hungers wird bestimmt von Zusammenspiel aller Faktoren, die Anreizwert bestimmen 10.3 Faktoren, die darüber entscheiden, was, wann und wie viel wir essen Faktoren, die darüber entscheiden, was wir essen - Alle Menschen essen gerne süß, fettig und salzig; bitter dagegen nicht (ist Hinweis auf giftige Inhaltsstoffe) - Erlernte Geschmackspräferenzen und Aversionen: - Ratten lernen Aversion gegen schädliche Nahrungsmittel, bevorzugen Stoff der in Muttermilch war, lernen in sozialem Umfeld eher, was gesund für sie ist - Kulturelle Bedingtheit von Geschmackspräferenzen - Lernen, Vitamine und Mineralstoffe zu sich zu nehmen: - bei Natriummangel sofort zwingend Vorliebe für Kochsalz - bei Mangel an anderen wichtigen Vitaminen: langsames Lernen durch Erleben positiver Effekte dieser Nahrung - durch Vielfalt der Nahrung und Nahrungsmittel ohne Nährstoffe aber mit Geschmacksverstärker können wir diese natürliche Fähigkeit nicht nutzen Faktoren, die beeinflussen, wann wir essen - Wir haben bestimmte Gewohnheiten, wie oft wir wie viel essen 36 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung - Hunger vor einer Mahlzeit: Zufuhr von Nahrung bringt Homöostase durcheinander. Körper wirkt dem entgegen, indem er Insulin ausschüttet, Blutzuckerspiegel senkt, sobald sich Mahlzeit ankündigt (z.B. durch gewohnte Zeit) - Klassische Konditionierung des Hungers: Ratten mit Licht-Reiz auf Futter konditioniert, nach 11 Tagen Testphase: Sie fressen auf diesen Reiz hin, obwohl ohnehin ständig Futter verfügbar Faktoren, die beeinflussen, wie viel wir essen - Sättigungssignale: bestimmt von Menge und Energiedichte der Nahrung (Kalorien pro Volumeneinheit) - Scheinessen: Mäuse mit Sonde, durch die Nahrung sofort rausfällt; entweder bekannte oder unbekannte Kost, von unbekannter wird mehr gefressen Æ Konsum ist nicht abhängig von Energiebedarf, sondern von Erfahrung mit Wirkung der Nahrung - Appetitanreger: kleine Häppchen vergrößern Hunger, typisch für cephalische Phase - Soziale Einflüsse: in Gesellschaft isst man mehr - Sensorisch-spezifische Sättigung: Cafeteriakost erhöht Nahrungsaufnahme und somit Körpergewicht. Anreiz gerade verzehrter Nahrung nimmt drastisch ab, Anreiz anderer Nahrungsmittel jedoch nicht ganz so viel. Hauptanreiz ist Geschmack. Konsequenzen: Förderung abwechslungsreichen Nahrungskonsums Æ keine Mangelerscheinung; erhöhter Konsum bei vielfältigem Angebot 10.4 Ansätze der Physiologie zur Erforschung von Hunger und Sättigung Bedeutung des Blutzuckerspiegels für Hunger und Sättigung - Bei Ratten nimmt Blutzuckerspiegel kurz vor erwarteter Nahrung (10min) um 8%ab, hervorgerufen durch Insulinausschüttung. Aber: bei unerwarteter Nahrung passiert das nicht, trotzdem wird gefressen; bei Ausbleiben der Nahrung steigt er wieder auf normales Niveau Æ gegen Sollwerthypothese - Experimente zeigen: Blutzuckerspiegel hat Einfluss auf Nahrungsaufnahme, ist aber nicht primärer Auslöser dafür Der Mythos hypothalamischer Hunger- und Sättigungszentren - Läsion des VHM-Sättigungszentrums (ventromedialer Hypothalamus) bei Ratten löst Hyperphagie aus, die in einer dynamischen (Gewichtszunahme) und statischen Phase (Gewichtstabilisierung) abläuft - Läsion des LH-Fresszentrums (lateraler Hypothalamus) bei Ratten löst Aphagie aus, die mit Adipsie einhergeht - Neubewertung: Hypothalamus ist für Regulation von Energiestoffwechsel statt von Essverhalten zuständig. - Läsion es VHM löst Blutzuckerspiegelanstieg aus, Lipogenese wird gefördert und Lipolyse vermindert; Ratten müssen viel fressen, damit akuter Energiebedarf gedeckt werden kann - Effekte von VHM-Läsionen fallen zurück auf gleichzeitige Schädigung des paraventriculären Nucleus - LH-Läsionen führen zu allgemeinem Mangel an Reaktion auf sensorische Reize, nicht nur auf Essen und Trinken Æ kein Grund für Annahme von Fresszentrum Bedeutung des Verdauungstrakts bei der Sättigung - Versuch von Cannon und Washburn (1912): letzterer schluckte Ballon, dadurch wurde Magenkontraktion registriert Æ Magenkontraktion geht mit Hungergefühl einher. Folgerung: Gastrointestinaltrakt ist für Hunger/Sättigungsgefühl verantwortlich - Aber: Patienten mit fehlendem Magen und nur Zwölffingerdarm (Duodenum) haben auch Hunger - Andere Untersuchung: Signal kommt doch aus Magen, aber via Blutstrom, und nicht durch Nährstoffe, sondern andere Substanzen 37 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung Die Rolle von Peptiden bei Hunger und Sättigung - Peptide sind kurze Aminosäureketten, können Hormone oder Neurotransmitter sein. - Nahrung im Magen löst Freisetzung von Peptiden aus, diese binden an Rezeptoren im Gehirn und anderen Organe (Bsp.: Cholecystokinin (CKK)) - Ebenso gibt es Peptide, die Nahrungsaufnahme fördern (z.B. Neuropeptid Y und Galanin) 10.5 Regulation des Körpergewichts: Sollwert als fester Bezugspunkt oder dynamische „Regelungspunkte“ Annahmen der Sollwerttheorien über Körpergewicht und Essverhalten - Variabilität des Körpergewichts: Nach Sollwerttheorie sollte man immer essen, wenn man Hunger hat, um konstante, optimales Gewicht zu halten. Stimmt allerdings nicht mit Realität überein: Übergewicht kann man nur vermeiden, wenn man Antrieb zu essen widersteht - Bezugspunkte und Gesundheit: verschiedene Belege für Nachteile von ad-libitum-essen: 1. Okinawa-Studie: Japaner auf bestimmter Insel haben 20% weniger Kalorienzufuhr als Bevölkerungsdurchschnitt, sind aber gesünder. 2. Experimente mit Affen und Mäusen: Nahrungsrestriktion führt zu Verbesserung der Gesundheit und Langlebigkeit; Ergebnisse unabhängig von Gewichtsabnahme - Regulation des Körpergewichts durch Änderungen der Effizienz der Nahrungsverwertung: wenn das Gewicht sinkt, verwertet der Körper die ihm zugeführte Energie effizienter, daher sinkt Effekt einer Diät mit der Zeit. Gegenteil gilt für Gewichtszunahme. Dies heißt auch diätinduzierte Thermogenese. Außerdem gibt es große individuelle Unterschiede im Grundumsatz. Sollwerte und feste Bezugspunkte bei der Gewichtskontrolle - Bezugspunktmodell ist einfacher als Sollwertmodell und kann experimentelle Befunde erklären - Gewicht schwankt um einen Bezugspunkt, bei dem Faktoren, die Gewicht beeinflussen, im Gleichgewicht liegen. Wenn längerfristige Veränderungen eines Faktors eintreten, setzt sich ein neuer Bezugspunkt, auf dem das Gewicht dann konstant bleibt - Faktoren: verfügbare Nahrungsmenge, Anreiz der Nahrung, aufgenommene Energiemenge, Menge an Körperfett, verbrauchte Energiemenge, Stärke des Sättigungssignals - Befunde: 1. Körpergewicht bleibt meist konstant Æ kann genauso gut durch Bezugspunkttheorie erklärt werden 2. Körpergewicht kann sich auch dauerhaft verändern Æ kann nur durch Bezugspunkttheorie erklärt werden 3. Veränderte Nahrungsaufnahme führt zu Stoffwechselveränderung Æ wirkt lediglich gegen weiter Gewichtsveränderung, nicht aber Rückkehr zu Ursprungsgewicht Æ besser erklärbar durch Bezugspunkttheorie 4. starker Gewichtsverlust und anschließende Rückkehr zu Essgewohnheiten führt zu Rückkehr des Ursprungsgewichts Æ kann genauso gut mit Bezugspunktheorie erklärt werden Teil 2: Durst, Trinken und Flüssigkeitshaushalt 10.6 Regulierung der körpereigenen Flüssigkeitsreserven Intrazelluläres und extrazelluläres Flüssigkeitskompartiment - 2/3 der Körperflüssigkeit ist intrazellulär, 1/3 extrazellulär, verteilt auf interstitielle Flüssigkeit, Blut und Cerebrospinalflüssigkeit 38 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung - beides sind isotonische Lösungen, d.h. haben gleiche osmotische Konzentration. Ist diese unterschiedlich, entsteht osmotischer Druck, Wasser von hypotonischer Lösung diffundiert zwecks Ausgleich zu hypertonischer Lösung Die Nieren: Regulation des Wassergehalts und der Natriumkonzentration - Natriumchlorid ist wichtigstes osmotisches Teilchen - Nieren sondern Natrium und Wasser, das wir zu viel aufnehmen, aus: Blut kommt durch Nierenarterie in Nieren, Nephrone (Knäuel aus Kapillaren und Nierentubuli) sortieren Überschuss aus, Blut verlässt Niere durch Nierenarterie, Überschuss wird durch Harnleiter ins Harnblase geleitet und dort ausgeschieden - Andere Arten von Wasserverlust: Schwitzen, Respiration, Defäkation, Evaporation durch die Haut 10.7 Deprivationsinduziertes Trinken: zelluläre Dehydrierung und Hypovolämie Zelluläre Dehydrierung und Durst - Salz im Essen macht Durst: Natrium sammelt sich in Extrazellulärflüssigkeit, macht diese hypertonisch, Wasser diffundiert aus Zellen Æ intrazelluläre Dehydrierung - Osmorezeptoren: Zellen, die diese zelluläre Dehydrierung registrieren; sie liegen in der Lamina terminalis (Schichtartige Struktur im anterior gelegenen Boden des III. Ventrikels) und im Nucleus supraopticus des Hypothalamus. (Tierversuch: Injektion von Kochsalzlösung in Aorta carotis - 2 Wirkungsmechanismen von Osmorezeptoren: 1. direkt: neuronale Schaltkreise vermitteln Durstgefühl; 2. indirekt: antidiuretisches Hormon (ADH/Vasopressin) wird aus Hypophysenhinterlappen freigesetzt Hypovolämie und Durst - Verringerung des Blutvolumens - Bei Versuchstieren: entweder Blutabnehmen oder Einsatz von Kolloiden (wirken wie Schwämme) Æ beides ändert Osmolarität nicht - Herznahe Baro- und Pressorezeptoren registrieren Hypovolämie Æ beeinflussen Nieren indirekt durch ADH-Freisetzung, Volumensensoren der Niere registrieren Hypovolämie Æ beeinflussen Nieren direkt Wirkungen des antidiuretischen Hormons - ADH vermindert Urinproduktion in Nieren und erhöht Reninausschüttung aus Nieren - Renin im Blut fördert Bildung von Peptidhormon Angiotensin II, diese veranlasst durch Vasokonstriktion Blutdruckerhöhung und Freisetzung von Aldosteron uns Nebennierenrinde - Aldosteron holt Natrium zurück in die Niere, die sonst durch Urin verloren gingen Angiotensin II und Trinken - Nieren produzieren Substanz, die zum Trinken veranlasst: Dipsogen (Angiotensin II) - Wirkort von Angiotensin II: Subfornicalorgan (SFO) ist Struktur der Lamina terminalis Trinken aufgrund natürlich auftretender Wasserdefizite - Natürlicher Wassermangel verringert intra- und extrazelluläres Flüssigkeitsvolumen - Tierversuche: normale Wasserzufuhr eliminiert intrazelluläres Flüssigkeitsvolumen, reduziert Trinken um 75%; Kochsalzlösung eliminiert extrazelluläre Flüssigkeitszufuhr, reduziert Trinken um 15% 10.8 Spontanes Trinken: Trinken ohne Wassermangel - Normalerweise trinken wir ohne akutes Flüssigkeitsdefizit: spontanes Trinken. Trinken scheint also von Anreizeigenschaften, z.B. angenehmer Geschmack oder pharmakologische Wirkung, angeregt zu sein. Geschmack - Bsp.: gib Ratten Wasser mit Saccharin bzw. mit Chinin (Zu-/ Abnahme des Trinkens) 39 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung Feste Nahrung - Wasser ist wichtig für Verdauung und Metabolisierung der Nahrung, besonders bei proteinreicher Nahrung Æ Ratten trinken viel beim Fressen Lernen - Menschen und Ratten lernen, bei erwartetem Wassermangel viel zu trinken 10.9 Trinken und Durststillen - Sollwerttheorie kann Ende von Trinken nicht erklären: 1. Erreichen des Sollwerts keine Begründung für Ende, wenn keine Notwendigkeit für Beginn des Trinkvorgangs; 2. Trinkvorgang endet, bevor Wasser aus Magen-Darm-Trakt resorbiert wurde; 3. Tiere trinken mehr als nötig, wenn schmackhafte Flüssigkeit frei zugänglich ist Scheintrinken - Trinken nach Deprivationsphase ist proportional zur Zeit ohne Wasser, obwohl Wasser den Körper sofort wieder verlässt - Wasserinjektion in Magen oder Blut verringert Menge des getrunkenen Wassers nach Deprivation nur um 30% Trinken und sensorisch-spezifisches Durststillen - Saccharin elation effect: Ratten trinken mehr von Saccharin-haltigem Wasser, wenn dieses lange nicht zur Verfügung stand - Ratten trinken mehr, wenn größere Auswahl an leckeren Drinks vorhanden - Exzessives Trinken: gib Ratten uneingeschränkt Wasser sowie jede Minute ein Futterpellet: sie trinken 10 x soviel wie bei normaler Futtergabe mit gleicher Menge = schemainduzierte Poydipsie Teil 3: Störungen des Essverhaltens 10.10 Fettleibigkeit - Fettleibigkeit ist ein um sich greifendes Problem vor allem in den Industriestaaten - Evolutionär bedingte Verhaltensweise (immer essen wenn was da ist) passt nicht mehr, da es keinen Nahrungsmangel mehr gibt - Diese wird noch verstärkt durch kulturelle Praktiken (bestimmte Essenszeiten, reichhaltiges Essen, mehrere Gänge) - Wie kommt es zu Adipositas? Æ Übergewichtige Menschen haben stärkere cephalische Insulinreaktion, stärkeres absinken des Blutzuckerspiegels und hohe anschließende Nahrungsaufnahme) - Dauerhaftes Abnehmen geht nur durch dauerhafte Veränderung des Lebensstils - Körperliche Bewegung hilft nicht besonders beim Abnehmen, Ruheumsatz dagegen verbraucht 80% der aufgenommenen Energie Mutierte übergewichtige Mäuse - Spontane genetische Mutation: ob/ob-Mäuse fressen mehr, verwandeln Kalorien effektiver zu Fett, verwerten Fettkalorien effektiver Leptin: ein negatives Rückkopplungssignal aus dem Fett - Fehlendes Protein Leptin ist verantwortlich für dicke ob-Mäuse; Leptin wird in Fettzellen exprimiert, Leptingehalt im Blut korreliert positiv mit Fettdepots, Injektion von Leptin führt zu Reduktion von Fressen und Körperfett, Rezeptoren im Gehirn für Leptin Insulin: ein weiteres Feedback-Signal der Adipositas - Gleiches wie für Leptin gilt auch für Insulin Leptin bei der Behandlung des menschlichen Übergewichts - Befunde von ob-Mäusen gelten nicht für den Menschen, deren Produktion und Zirkulation von Leptin ist normal. Zusätzliche Injektion führt nicht zu Reduktion von Nahrungsaufnahme und Körperfett. 40 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung - Aktuelle Forschung: vielleicht Problem mit Leptin-Rezeptoren? 10.11 Anorexia nervosa - Patienten esse so wenig, dass Gesundheit darunter leidet, finden sich trotzdem dick - 50% der Anorektiker haben Heißhungerattacken, danach folgt Kompensation - Bulimia nervosa: periodischer Zyklus von Fasten, Heißhungerattacken und Kompensation ohne Dünnsein - Beginn oft strikte Schlankheitsdiät, es gibt keine wirksame Behandlung - Einerseits zeigen Anorektiker stärkere Insulinreaktion als normal in cephalischer Phase, intensive Beschäftigung mit Essen, andererseits selten Hunger, Angst vor Zunahme, Krankheitsgefühl nach Mahlzeit - Kardinalfrage: Warum kann mit dem Beginn des Verhungerns eintretender Hungertrieb kein Essverhalten auslösen? Kapitel 11: Hormone und Sexualität „Ein Mann ist ein Mann, und eine Frau ist eine Frau“ - Männlichkeit und Weiblichkeit sind keine sich ausschließenden Kategorien 11.1 Das neuroendokrine System Drüsen - Exokrine Drüsen: chemische Substanzen werden durch Gänge zum Zielort geleitet, z. B. Schweißdrüsen - Endokrine Drüsen: Hormone werden ins Kreislaufsystem geschüttet, z.B. Thyreoidea (Schilddrüse), Pankreas (Bauchspeicheldrüse), Nebennieren Hormone - Drei Kategorien: 1. Aminosäurenderivat-Hormone werden aus Aminosäurenmolekül synthetisiert (z.B. Adrenalin aus Tyrosin) 2. Peptid- und Proteinhormone sind Aminosäurenketten, kurze = Peptid, lange = Protein 3. Steroidhormone werden aus Cholesterin (Fettstoff) synthetisiert. Sie sind klein und fettlöslich, können daher durch die Membran und nicht nur an Rezeptoren wirken. Wichtig für Sexualentwicklung und verhalten Die Gonaden (Keimdrüsen) - Gonaden: Hoden und Ovarien; Hauptfunktion: Produktion von Sperma bzw. Eizellen - Nach Kopulation verbinden sich Sperma und Eizelle zu Zygote - Geschlecht wird durch Geschlechtschromosom des Spermiums bestimmt Die Steroidhormone der Keimdrüsen - Androgene (Testosteron) und Östrogene (Östradiol) sowie Gestagene (Progesteron) - Hauptfunktion der Nebennierenrinde ist Regulierung des Salz- und Zuckerhaushalts des Blutes, aber sie schüttet auch Androgene, Östrogene und Gestagene aus Die Hormone der Hypophyse - Übergeordnete Drüse des neuroendokrinen Systems, schüttet glandotrope Hormone aus (z.B. Gonadotropine) - Besteht aus Hypophysenhinterlappen (Neurohypophyse, für Hormonausschüttung), Hypophysenstiel, Hypophysenhinterlappen (Adenohypophyse) Schwankungen des weiblichen und des männlichen Geschlechtshormonspiegels - Hormonausschüttung bei Frauen unterliegt Menstruationszyklus (28 Tage), bei Männern dagegen circadiane Schwankung, die allerdings wesentlich geringer ist - Transplantationsexperimente bei Ratten: unterschiedliches Muster nicht bedingt durch männliche/weibliche Hypophyse 41 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung Neuronale Steuerung der Hypophyse - Hypophyse wird durch den darüber liegenden Hypothalamus gesteuert Steuerung des Hypophysenvorder- und Hinterlappens durch den Hypothalamus - Steuerung des Hinterlappens: Vasopressin und Oxytocin werden in paraventriculären und supraoptischen Nuclei des Hypothalamus gebildet, von dort über Axone zum Hinterlappen gebracht und gespeichert - Steuerung des Vorderlappens: durch Pfortadersystem von Hypothalamus und Hypophyse werden Hormone vom Hypothalamus zum Vorderlappen transportiert Die Entdeckung der hypothalamischen Releasing-Hormone - Thyreotropin-Releasing-Hormon des Hypothalamus steuert ThyreotropinAusschüttung aus Hypophyse, was wiederum zu Hormonausschüttung aus Thyreoidea bewirkt - Identifiziert durch Schally und Guilleman, bei Schafen und Schweinen - Gonadotropin-Releasing-Hormon stimuliert Ausschüttung des Follikel-stimulierenden Hormons (FSH) und luteinisierenden Hormons (LH) Die Rückkopplung im neuroendokrinen System - Es gibt einerseits eine negative Rückkopplung, aber auch positive Rückkopplung z.B. bei Ovulation Pulsatile Hormonausschüttung - Hormone werden im Laufe des Tages in Schüben ausgeschüttet, daher unterscheidet sich die Hormonkonzentration im Kreislauf stark innerhalb eines Tages Zusammenfassendes Schema zur neuroendokrinen Regulation der Keimdrüsenhormone 11.2 Hormone und Sexualentwicklung Fetale Hormone und die Entwicklung der Fortpflanzungsorgane - Gonaden: 6 Wochen nach Befruchtung Primordialgonaden, bestehend aus Medulla und Cortex. Y-Chromosom synthetisiert H-Y-Antigen, welches die Medulla zu einem Hoden wachsen lässt. Ist H-Y-Antigen nicht vorhanden, entwickelt sich der Cortex zu einem Eierstock - Innere Geschlechtskanäle: alle Feten haben Wolffsche Gänge (männliche Geschlechtskanäle) und Müllersche Gänge (weibliche Geschlechtskanäle). Im 3. Monat schütten Hoden Testosteron aus (stimuliert Wolffsche Gänge) und Müllersche inhibierendes Hormon (Rückbildung der Müllerschen Gänge, Absenkung der Hoden in Scrotum). Wenn kein Hoden da ist, entwickeln sich Müllersche Gänge - Gonadektomie: Ovarektomie bzw. Orchidektomie - Äußere Geschlechtsorgane: Genitalien entwickeln sich ab 2. Monat aus dem selben Vorläuferorgan; ebenfalls gesteuert durch An-/Abwesenheit von Testosteron Die cerebrale Entwicklung der Geschlechtsunterschiede - Männer und Frauen haben Unterschiede im Aufbau und in der Funktion bestimmter Gehirnstrukturen, Bedeutung ist aber noch ungeklärt - Perinatale Androgene und die Differenzierung des Gehirns: Gonadektomie bei neugeborenen Ratten, anschließend Transplantation Æ keine Gonaden = weiblicher Zyklus, Hoden = männlicher Zyklus, Ovarien = kein Einfluss - Aromatisierung und Gehirndifferenzierung: Aromatisierung ist Umwandlung von Testosteron in Östradiol. Maskulinisierung des Gehirns erfolgt durch aromatisiertes Östradiol. Beweis: Dihydrotestosteron lässt sich nicht in Östradiol umwandeln, hat keinen Einfluss auf Gehirn. Bei Ratten hindert Alphafetoprotein Eintritt von normalem Östradiol ins Gehirn, und somit Maskulinisierung; Testosteron ist jedoch immun, wandelt sich dann erst im Gehirn um. Bei Primaten hat plazentare Schranke gleichen Effekt 42 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung Perinatale Hormone und Verhaltensentwicklung - Rattenweibchen bekommen perinatal Testosteron Æ maskulinisierender Einfluss. Zusätzlich noch Progesteron und Östradiol Æ defeminisierender Einfluss - Rattenmännchen werden direkt kastriert (perinataler Testosteronentzug), bekommen später Testosteron Æ demaskulinisierender Einfluss. Zusätzlich (später) Progesteron und Östradiol Æ feminisierender Einfluss - Prozeptive Verhaltensweisen (Partnersuche und so) sind noch nicht so gut untersucht, aber Hinweise, dass Testosteron männliches Verhalten (z.B. Aggressivität) fördert und weibliches (z.B. Brutpflege) mindert Hormone und die Entwicklung der sekundären Geschlechtsmerkmale in der Pubertät - Sekundäre Geschlechtsmerkmale entwickeln sich erst in der Pubertät - Hypophysenvorderlappen schüttet Wachstumshormon aus, das auf Knochen- und Muskelgewebe wirkt - Gonadotrope und adrenocorticotrope Hormone (ACTH) bewirken Reifung der Genitalien - Unterschied beruht darauf, dass Männer höheren Androgenspiegel und Frauen höheren Östrogenspiegel haben - Androstendion ist jedoch Androgen der Nebennierenrinde, das für weibliches Schamhaar zuständig ist Drei außergewöhnliche Fälle menschlicher Sexualentwicklung - Fall 1: äußerlich Frau, genetisch aber Mann, mit inneren Hoden, keinen Eierstöcken, unterentwickelter Gebärmutter und Vagina. Grund: testikuläre Feminisierung durch Unempfindlichkeit des Körpergewebes für Androgene - Fall 2: androgenitales Syndrom: Mangel an Cortisol führt zu übermäßiger Produktion von Androgenen; kaum Wirkung auf Männer, bei Frauen aber abnorme Bildung der äußeren Geschlechtsorgane (innere meist normal); kurz nach Geburt kann man zu Frau umoperieren. Man behandelt weiter durch Gabe von Cortisol, kann aber nie sagen, ob Kind in Pubertät zu Mann oder zu Frau wird - Fall 3: bei männlichen eineiigen Zwillingen wurde bei einem Ablatio penis durchgeführt; daher zu Mädel umoperiert Æ Entwicklung ging aber in natürliche Richtung, später wieder umoperiert Æ lebt jetzt als Mann 11.3 Auswirkungen der Keimdrüsenhormone auf Erwachsene Männliches Sexualverhalten und Testosteron - Bremer (1959) untersuchte 157 Fälle von Orchidektomie bei norwegischen Sexualstraftätern: etwa 50% völlig asexuell; andere nur Erektionsfähigkeitsverlust, aber sexuelles Interesse; andere weiterhin Geschlechtsverkehr, nur weniger. Weitere Auswirkungen: weniger Behaarung, Fett an Hüfte und Brust, weichere Haut, weniger Körperkraft - Symptome der Orchidektomie verschuldet durch Mangel an Testosteron Æ therapeutische Wirkung von Ersatzinjektion - Aber: Testosteronspiegel korreliert nicht mit sexueller Aktivität - Bei Ratten wirkt Dihydrotestosteron nicht, bei Primaten schon Keimdrüsenhormone und weibliches Sexualverhalten - Bei Ratten: 4 Tage-Zyklus: 2 Tage hohe Östrogenausschüttung, Ovulation, hohe Progesteronausschüttung Æ Östrus: 12-18 Stunden dauernde Periode, Weibchen ist fertil, rezeptive, prozeptiv und sexuell attraktiv Æweibliches Sexualverhalten steht unter hormoneller Kontrolle - Achtung: bei Frauen ist dies anders, Menstruationszyklus hat nichts mit Sexualverhalten zu tun 43 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung - Hinweise, dass bei Frauen Sexualverhalten von Androgenen gesteuert wird (Rhesusaffen, Ersatzinjektion nach Ovarektomie; Messungen von Testosteron- und Östradiolspiegel bei sexueller Bereitschaft; Klinische Studie mit Ersatzinjektion nach OP) Anabolikamissbrauch - Anabole Steroide haben wachstumsfördernde Wirkung - Wissenschaftliche Untersuchungen, ob künstlich synthetisierte Anabolika tatsächlich Muskeln und Körperkraft vergrößern, haben widersprüchliche Ergebnisse - Problem: in Studien geringere Dosis und kein Training - Nebenwirkungen: Beim Mann: verminderte Ausschüttung von Gonadotropin Æ Hodenschwund und Sterilität; Brustentwicklung. Bei Frau: Ausbleiben der Menstruationsblutung, Haarwuchs, Sterilität, Vergrößerung der Klitoris etc. Außerdem: Muskelschmerzen, blutiger Urin, Akne, Übelkeit, Depressionen etc. - Mäuseexperiment: höhere Sterblichkeit - 2 Erkenntnisse: Testosteronhaltige Medikamente führen zu Menschen mit normalem Testosteronspiegel nicht zu erhöhter sexueller Aktivität; Hormone wirken immer auf den Körper, nicht nur in kritischen Phasen 11.4 Hypothalamus und Sexualverhalten Strukturelle Unterschiede des Hypothalamus von Männern und Frauen - bei Ratten: Unterschied in medialer präoptischer Region des Hypothalamus: der sexualdimorphe Nucleus ist bei Männchen größer als bei Weibchen. Unterschied entsteht durch aromatisiertes Östradiol in ersten Lebenstagen - Größe korreliert mit Testosteronspiegel und Sexualverhalten, Läsion hat aber keinen Einfluss auf beides - Bei Menschen: Kerne in präoptischer und anteriorer Region des Hypothalamus bei Männern sind größer als bei Frauen Hypothalamus und männliches Sexualverhalten - Bilaterale Läsionen der medialen präoptischen Region reduzieren männliches Sexualverhalten, männliche Ratten würden gern, können aber nicht mehr kopulieren - In diesem Bereich viele Rezeptoren für Galanin - Entscheidende Nervenbahn führt ins laterale Tegmentum des Mittelhirns, Durchtrennung löscht Sexualverhalten Hypothalamus und weibliches Sexualverhalten - Nucleus ventromedialis (NVM) des Hypothalamus: Reizung fördert Sexualverhalten, Läsion löscht Lordoseverhalten (bei Reizung) - Östradiolinjektion führt zu Anstieg der Progesteronrezeptoren im NVM, anschließende Progesteroninjektion führt zu Östrus - Entscheidende Nervenbahn führt zum periaquäductalen Grau des Mittelhirns 11.5 Sexuelle Präferenz, Hormone und Gehirn Sexuelle Präferenz und Gene - Studien mit Zwillingen zeigen, dass Gene sexuelle Präferenz z. T. bestimmen: Eineiige Homos haben zu 52% (M)/48 % (W) Homo Zwilling, zweieiige Homos haben zu 22%(M)/16%(W) Homo Zwilling Sexuelle Präferenz und Hormone - Hormonspiegel bei Homosexuellen sind genauso wie bei Heterosexuellen - Bei Tieren führt perinatale Testosteronbehandlung bei Weibchen und Kastration bei Männchen zu Präferenz des eigenen Geschlechts 44 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung - Diäthylstilbestrol (synthetisches Östrogen) in Schwangerschaft führt bei Töchtern zu Hingezogenheit zu Frauen, nicht aber Homosexualität Æ leichter Hinweis auf Einfluss von Hormonen, insgesamt aber Erfahrung für Menschen sehr wichtig Wodurch wird die Entwicklung der sexuellen Anziehung ausgelöst? - Erste sexuelle Anziehung mit 10 Jahren, also vor Geschlechtsreife. Eventuell ausgelöst, durch Nebennierenrindenhormone Haben Homosexuelle und Heterosexuelle unterschiedliche Gehirne? - Oft liegt Struktur des Gehirns männlicher Homosexueller zwischen der weiblicher und männlicher Heterosexueller - LeVay: dritter interstitieller Nucleus des anterioren Hypothalamus ist bei HeteroMännern doppelt so groß wie bei Hetero-Frauen und Homo-Männern Æ Vorsicht: bisher nicht repliziert, Ursache-Wirkung ungeklärt, außerdem Homo-Männer fast alle an Aids gestorben Kapitel 12: Schlaf, Traum und circadiane Rhythmen 12.1 Physiologie und Verhalten während des Schlafs Drei psychophysiologische Standardmessungen für Veränderungen im Schlaf - Im Schlaflabor misst man EEG, EMG und EOG; die erste Nacht heißt Adaptionsnacht Die vier Stadien des Schlaf-EEGs - Übergang zum Schlaf: vereinzelte Alpha-Wellen (Frequenz von 8-12 Hz - Schlafstadium 1: hohe Frequenz, niedrige Amplitude (ähnlich aktiver Wachzustand, aber langsamer) - Schlafstadium 2: niedrigere Frequenz, höhere Amplitude (unterbrochen von K-Komplex und Schlafspindeln) - Schlafstadium 3: zunehmend Delta-Wellen (Frequenz von 1-2 Hz) - Schlafstadium 4: nur noch Delta-Wellen - Schlafstadien werden im Verlauf der Nacht mehrmals durchlaufen (ein Durchlauf etwa 90 Min); Im Intitialstadium keine Veränderung von Muskeltonus und Augenbewegung, in weiter Schlafstadien 1 Verlust des Muskeltonus und REM (paradoxer Schlaf) - Slow-wave-sleep (SWS): Schlafstadien 2-4; auch NREM-Phasen genannt 12.2 REM-Schlaf und Traum - Kleitman (1953): Entdeckung des Zusammenhangs von REM-Schlaf und Träumen - Dement (1978): Aufwecken in REM-Phase führt zu deutlicher Erinnerung an Traum Überprüfung einiger allgemeiner Vorstellungen über das Träumen - äußere Reize werden in den Traum miteinbezogen (Bsp.: schlafenden Probanden mit Wasser besprühen - Träume laufen in Echtzeit ab (Bsp.: Probanden aufwecken und fragen, wie lange Traum gedauert hat) - Wer nicht träumt, hat genauso viel REM-Schlaf wie andere auch, kann aber nicht über Träume berichten - Peniserektionen treten genauso bei nicht sexuellen Träumen auf wie bei sexuellen - Somnambulismus (Schlafwandeln) und Sprechen tritt nicht in REM-Phase, sondern in Schlafstadium 4 auf Traumdeutung - Freud wollte durch Deutung der manifesten Träumen zur Bedeutung der latenten Träumen kommen, um so die psychischen Probleme offen zu legen und lösen zu können 45 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung - Zeitgemäße Alternative: Aktivationssynthese-Theorie von Hobson (1989): Information, die beim Träumen an den Cortex geliefert wird, ist zufällig, Trauminhalt ist Versuch des Cortex, einen Sinn darin zu finden Luzide Träume - In luziden Träumen ist sich der Schlafende bewusst, dass er sich im Traum befindet, er kann den Traumverlauf beeinflussen - Durch leichten elektrischen Schlag bei Eintritt in REM-Phase kann man Schlafendem bewusst machen, dass Traum stattfindet - Regelmäßige luzide Träumer können VL durch verabredetes Signal, z. B. bestimmte Augen- oder Armbewegung, mitteilen, dass sie gerade träumen und dies wissen 12.3 Warum schlafen wir? Restaurative und circadiane Theorien - Restaurative Theorien gehen davon aus, dass der Wachzustand die Homöostase stört, und der Schlaf benötigt wird, um sie wieder herzustellen - Circadiane Theorien dagegen glauben, dass Schlaf in Evolution entstanden ist, um uns in Zeiten der Gefahr (Nachts) ruhig und inaktiv zu halten und uns so zu schützen - Letzter haben sich bewährt: z.B. ist Vorhersage der restaurativen Theorie, dass Tiere je nach Energieverbrauch mehr schlafen müssen, falsch; Vorhersage der circadianen theorie, dass Gefahr entscheidet, passt besser (z.B. Zebra, Löwen nach Jagd) 12.4 Circadiane Schlafzyklen - Fast jeder physiologische und biochemische Prozess bei Tieren folgt einem circadianem Zyklus, was bedeutet, dass Zyklus etwa eine Tag dauert - Zeitgeber sind Hinweisreize aus der Umwelt, die helfen, einen solchen Rhythmus zu etablieren. Wichtigster Zeitgeber sind Hell- und Dunkelperioden. Freilaufende circadiane Schlaf-Wach-Zyklen - Circadiane Rhythmen werden beibehalten, wenn keine Zeitgeber vorhanden sind, z.B. im Labor ohne Beleuchtungsänderung. Dann nennt man sie freilaufende Rhythmen oder freilaufende Periode - Ratten: Schlaf-Wach-Rhythmus wird auch nach 24-stündigem Schlafentzug im Wesentlichen eingehalten Æ spricht gegen restaurative Theorie - Mensch: Korrelation zwischen Dauer der Wachperiode und Dauer der anschließenden Schlafperiode ist negativ Æ wir sind auf Rhythmus von 24 stunden eingestellt - Normalerweise läuft Schlaf-Wach-Zyklus synchron mit Temperaturzyklus, unter Laborbedingungen (freilaufender Schlaf-Wach-Zyklus) driften sie jedoch manchmal auseinander: Desynchronisation Æ es muss mehr als ein circadianer Zeitgeber existieren Jetlag und Schichtarbeit - Störung der Rhythmik hat Störung in Schlafdauer, Schlafverlauf, Müdigkeitserscheinungen, allgemeines Unbehagen und Defizite in Tests von körperlichen und geistigen Funktionen zur Folge - Hilfe bei Jetlag: intensives Licht oder körperliche Anstrengung hilft bei Flug nach Ost (verkürzter Zyklus) - Hilfe bei Schichtarbeit: Schichten sollten immer später am Tag beginnen Æ Verlängerung des Zyklus erleichtert die Anpassung 12.5 Auswirkungen des Schlafentzugs - Vorhersagen der circadianen Theorie: keine Mangelerscheinung durch Schlafentzug außer Einschlaftendenz; Zunahme der Schläfrigkeit in Perioden am größten, in denen Proband normalerweise schläft; nach Schlafentzug keinen oder wenig Kompensationsschlaf 46 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung Zwei klassische Schlafentzugsexperimente - Kleitmans klassisches Schlafentzugsexperiment: Proband arbeitet im Labor, lernt, usw. Ergebnisse: Müdigkeit kommt immer in Phasen (besonders früh morgens), tagsüber geht’s ihm gut, außer Probleme, nicht einzuschlafen zwischendurch (besonders im Sitzen) - Der Fall Randy Gardner: wollte Weltrekord im Wachsein aufstellen von 260 Stunden. Schlaf nach dieser Zeit: 1. Nacht 14 Stunden, danach ganz normal 8 Stunden Schlafdeprivationsexperimente am Menschen - 3 Kategorien: Studien mit partieller Deprivation (weniger als 5 in 24 Stunden; Studien mit kurzfristiger völliger Deprivation (zwischen 24 und 48 Stunden); Studien mit Langzeitdeprivation (für mehr als 48 Stunden) - 4 Messinstrumente: physiologische Messungen, Stimmungsmaße, Messungen kognitiver Funktionen; motorische Leistungstests - es wurden kaum negative Auswirkungen gefunden - Defizite bei stimmungs- und einfachen kognitiven Leistungstests, nicht aber bei komplexen Leistungstests - Keine Eindeutigen Beziehungen zwischen Dauer der Schlafdeprivation und der Größe des Leistungsdefizits - Mikroschlafperioden können nach 2, 3 Deprivationstagen kaum vermieden werden Schlafdeprivationsexperimente an Labortieren - Karussellapparat: 2 Ratten auf drehbarer Plattform, wenn Versuchsratte schläft (EEG), dreht sich Plattform, so dass sie aufwacht und ins Wasser fällt. Nach wenigen Tage stirbt Versuchsratte, Jochkontrollratte geht es gut - Interpretation: Übertragung auf Mensch fragwürdig, da bei Menschenexperimenten nicht bestätigt. Eventuell Tod auf Belastung durch Drehung der Scheibe und kalte Bäder zurückzuführen, Verletzungen weisen darauf hin REM-Schlafentzug - Zwei Auswirkungen: Tendenz, in REM-Schlaf zu fallen, wird größer; in ersten drei Nächten nach Rem-Schafentzug größerer Anteil von REM-Schlaf als normalerweise - Drei Theorien zur Funktion des REM-Schlafs: Erhaltung der individuellen, geistigseelischen Gesundheit, Erhaltung des normalen Antriebsniveaus, Verarbeitung von Gedächtnisinhalten - Trizyklische Antidepressiva blockieren REM-Schlaf, haben aber keine negativen Begleiterscheinungen, warum weiß man nicht Interpretation der Auswirkungen von Schlafdeprivation: die besondere restaurative Funktion des slow-wave-sleeps - Stress bewirkt unregelmäßigen Schlaf, so dass circadiane Rhythmen durcheinander kommen. Vermeintliche negative Folgen von Schlafdeprivation können somit vielleicht eher auf Stress und Störungen der circadianen Periodik zurückgeführt werden. - Verschlechterte Leistungsfähigkeit nach Schlafdeprivation ist vielleicht bedingt durch Mikroschlafperioden, nicht durch generelle Einbußung der Leistungsfähigkeit Erhöhung der Effizienz des Schlafs - Wird die Schlafdauer langfristig verkürzt, erhöht sich die Effizienz des Schlafes: schnelleres Einschlafen, weniger Aufwachen zwischendurch, höherer Anteil an slowwave-sleep - Slow-wave-sleep scheint besonders restaurative Funktion zu haben; geht einher mit Erniedrigung der Körpertemperatur 12.6 Integration von restaurativen und circadianen Schlaftheorien - Die Theorien schließen sich nicht notwendig aus, sondern überlagern sich möglicherweise 47 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung 12.7 Neuronale Grundlagen des Schlafs - Cerveau-isolé-Präparation: Hirnstamm wird zwischen Colliculi inferiores und Colliculi superiores durchtrennt, wodurch Vorderhirn keinen Input mehr von aufsteigenden sensorischen Bahnen bekommt - Bremer 1936: nach solcher Präparation zeigt EEG des Vorderhirns kontinuierliche slowwave-sleep, der nur durch starke visuelle oder olfaktorische Reize gestört werden kann, was auch nur sehr kurz andauernd - Passive Schlaftheorie: Schlaf ist passive Konsequenz einer Abnahme sensorischer Reizung Die Schlaftheorie des retikulären Aktivierungssystems - Encephalé-isolé-Präparation: Gehirn wird durch Schnitt durch caudalen Hirnstamm von sensorischen Bahnen getrennt; keine Störungen wie beim Cerveau-isolé Schnitt, obwohl gleiche Bahnen, nur tiefer, verletzt werden - Æ Schlaf wird also durch Gebiet zwischen den beiden Schnittorten reguliert: durch das retikuläre Aktivierungssystem (RAS) der Formatio reticularis Æ aktuelle Theorie Drei wichtige Entdeckungen zur neuronalen Grundlage des Schlafs - Schlaf ist kein Zustand neuronaler Ruhe - Im Gehirn gibt es Schlaf fördernde Schaltkreise, z.B. haben Stimulation oder Läsion im Bereich von Pons und Medulla oblongata Einfluss auf Schlaf - Die verschiedenen Indikatoren (z.B. Peniserektion, langsame EEG-Wellen) sind den Schlafstadien nicht immer klar zuzuordnen Gehirnstrukturen im Zusammenhang mit Schlaf und Traum - Raphé-Kerne : sind serotonerg, Zerstörung führt zu 3-4 tägiger Insomnie bei Katzen; Schlafauslösung durch Raphé-Kerne jedoch nicht generalisierbar - basales Vorderhirn : Läsion führt zu Abnahme der Schlafdauer bei Katzen - caudale Formatio reticularis : - Steuerung der Aspekte des REM-Schlafs in vielen Teilgebieten, Koordinierung durch cholinerge Mechanismen - zwei REM-Schlaf hemmende Systeme: Locus coeruleus (noradrenerge Neurone) und dorsale Raphé-Kerne (serotonerge Neurone) - REM-Schlaf beruht auf Wechselwirkung zwischen exzitatorischen cholinergen Systemen und inhibitorischen noradrenergen und serotonergen Systemen 12.8 Neuronale und molekulare Mechanismen der circadianen Uhr Die circadiane Uhr im Nucleus suprachiasmaticus - Läsionen des Nucleus suprachiasmaticus heben verschiedene circadiane Rhythmen, darunter auch den Schlaf-Wach-Rhythmus, auf - Beleg: Ralph et al. 1990: beidseitige Kerne aus mutierten Hamstern mit 20-stündigem Rhythmus in normale Hamster implantiert, der Rhythmus sich dann auch auf 20-Stunden beschränkte - Wichtigster, jedoch nicht einziger innerer Zeitgeber Genetische Einflüsse auf circadiane Rhythmen - Erstes entdecktes Gen: „Tau“ bei Hamstern - Forschung im Moment: „clock“ bei Mäusen Triggerung der circadianen Uhr - Aktivierung von retinohypothalamischen Bahnen (Sehnerv projiziert im Chiasma opticum zum Nucleus suprachiasmaticus) beeinflusst Genexpression im Nucleus suprachiasmaticus 48 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung Die Rolle der Epiphyse - Epiphyse (Zwirbeldrüse) ist bei Vögeln, Reptilien, Amphibien und Fischen interner Zeitgeber durch Ausschüttung von Melatonin, bei Menschen uns Säugern ist Roller der Epiphyse jedoch ungeklärt. Zusammenfassung der an der Schlafsteuerung beteiligen Strukturen - Nucleus suprachiasmaticus, Raphé-Kerne, pontiner Anteil der caudalen Formatio reticularis, Locus coeruleus; Einfluss von Epiphyse und basalem Vorderhirn beim Menschen ungeklärt 12.9 Pharmakologische Einflüsse auf den Schlaf Hypnotika - Benzodiazepine (z.B. Valium) fördern Schläfrigkeit, verkürzen Einschlafzeit, selteneres Aufwachen in der Nacht, verlängern Gesamtschlafdauer Æ Behandlung sporadischer Schlafstörungen - Problem bei chronischer Anwendung: Toleranzentwicklung, Absetzen der chronischen Therapie verursacht Insomnie, psychische Abhängigkeit, stören normale Schlafmuster (reduzieren Stadium 1 und 4 zugunsten von 2) - 5-Hydroxy-Tryptophan (5-HTP)ist serotonerge Substanz (Raphé-Kerne), wirkt aber nur bei Ratten, nicht bei Menschen Antihypnotika - Stimulantien (Kokain, Amphetamine) und trizyklische Antidepressiva steigern Noradrenalin, Adrenalin und Dopamin durch erhöhte Ausschüttung oder Blockieren der Wiederaufnahme - Wichtigste Wirkung: Unterdrückung des REM-Schlafs - Problem mit Stimulantien: machen süchtig Melatonin - Wirkung ist nicht so eindeutig belegt. - Immerhin zwei Behandlungsmöglichkeiten: Gabe vor Zubettgehen fördert Einschlafen, wenn Insomnie mit Melatoninmangel vorliegt; Insomnie als Folge von fehlender Synchronisation von Hell-Dunkel-Wechsel (Blinde) 12.10 Schlafstörungen Insomnie - Iatrogener Ursprung: durch den Arzt entstanden; d.h. einmal Schlaftabletten verschrieben, Entwicklung von Toleranz und Entzugserscheinungen - Schlafapnoe: kurzzeitiger Atemstillstand, der zu Aufwachen führt und Schlaf unterbricht - Nächtliche Schüttelkrämpfe und ruhelose Beine Æ oft werden Benzodiazepine verschrieben, die meist nicht wirken Hypersomnie - Narkolepsie: wiederkehrende, 10-15 minütige Schlafattacken am Tag, die immer und überall vorkommen können. Behandlung. Einnahme von Stimulantien am Morgen REM-Schlafstörungen - Narkoleptiker fallen sofort in REM-Schlaf - Kataplexie: plötzlicher Muskeltonusverlust im Wachzustand, gesteuert vom Nucleus magnozellularis der Formatio reticularis Æ Eindringen von REM-Schlaf in Wachzustand. Behandlung: Trizyklische Antidepressiva, die REM-Schlaf unterdrücken - Läsion des Nucleus magnozellularis kann zu Verlust der üblichen Muskelerschlaffung führen, die einen am Ausführen der Träume hindert - Schlaflähmung oder hypnagoge Halluzination: Lähmung beim Einschlafen oder Aufwachen oder lebhafter traumartiger Wachzustand 49 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung 12.11 Auswirkungen von Langzeit-Verkürzungen der Schlafdauer Langzeit-Verkürzung der Nachtschlafdauer - Zwei Untersuchungen: - 1. 16 Probanden 60 Tage nur 5,5 Stunden Schlaf. Einzige Störung bei Stimmungs-, Gesundheits- und Leistungstests: leichte Schwäche bei akustischer Daueraufmerksamkeit - 2. 8 Probanden langsame Reduktion in 2-, 3-, 4-wöchigen Abständen um je 30 min. kürzeste Schlafdauer: 2x 5,5 Stunden, 4x 5 stunden, 2: 4,5 Stunden; bei allen Steigerung der Schlafeffizienz. Nach Experiment schliefen Probanden weiterhin 7-18 Stunden pro Woche weniger als zuvor ohne Müdigkeitserscheinungen Langzeit-Verkürzung der Schlafdauer durch Nickerchen - Kleinkinder haben polyphasische Schlafzyklen (Schlaf mehrmals innerhalb 24 Stunden), Erwachsene monophasische Schlafzyklen, aber oft polyphasische Schläfrigkeit - Nickerchen sind im Verhältnis Schlafdauer/Restaurative Eigenschaften viel effizienter - Experimente belegen Möglichkeit, alle 4 Stunden 15 min zu schlafen; nach 2 Wochen Eingewöhnung keine negative Wirkung dieser kurzen Schlafdauer Kapitel 13: Drogenabhängigkeit und Verstärkersysteme im Gehirn 13.1 Pharmakologische Grundlagen der Drogenwirkung - Psychoaktive Substanzen beeinflussen subjektives Erleben und Verhalten durch Wirkung auf ZNS Arten der Einnahme und Absorption - Orale Einnahme: Drogen lösen sich in Magensäften und werden im Verdauungstrakt ins Blut aufgenommen. Vorteile: Einfachheit, relative Sicherheit. Nachteile: Unvorhersagbarkeit - Injektion: medizinische Praxis, erfolgt subcutan, intramuskulär oder intravenös. Wirkung ist relativ schnell, stark und vorhersagbar, Substanz wird durch Blutkreislauf direkt ins Gehirn gebracht. - Inhalation: Droge wird durch Kapillarennetzwerk der Lunge resorbiert. Nachteile: Regulation der Dosis schwierig, Schädigung der Lunge - Absorption durch Schleimhäute: z.B. Kokain, schädigt Schleimhäute Wirkung im Zentralnervensystem - Blut-Hirn-Schranke erschwert Substanzen, ins ZNS des Gehirns zu kommen; Wirkung auf vielfältige Weise: auf neuronale Membranen, Bindung an bestimmte Rezeptoren, Beeinflussung von Synthese, Transport, Ausschüttung, Deaktivierung von Neurotransmittern, Beeinflussung der chemischen Reaktionskette der postsynaptischen Neuronen Metabolismus und Ausscheidung - Metabolismus: Enzyme in der Leber inaktivieren Drogen; diese verliefen meist Fähigkeit, Lipidmembranen zu durchdringen und so Blut-Hirn-Schranke zu passieren. Toleranz - Toleranz: gleiche Dosis der Substanz hat schwächere Wirkung bzw. höhere Dosis nötig für gleiche Wirkung - Kreuztoleranz: Toleranz gegenüber einer Droge bewirkt auch Toleranz gegenüber einer anderen Droge, die nach gleichem Mechanismus wirkt - Sensibilisierung: Empfindlichkeit bezüglich einer oder mehrer der Wirkungen einer Droge erhöht sich mit zunehmendem Konsum - Metabolische Toleranz entsteht, wenn adaptive Veränderungen dafür sorgen, dass nur noch ein Teil der Substanz am Wirkungsort ankommt, funktionelle Toleranz entsteht, wenn die von der Substanz betroffenen Wirkungsorte vermindert reaktionsfähig sind 50 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung Drogenentzug und physische Abhängigkeit - Entzugssymptome sind normalerweise der Drogenwirkung entgegengesetzt; treten sie auf, ist der Patient physisch abhängig - Theorie: funktionelle neuronale Veränderungen im Körper sind Grund für Entzugssymptome Was versteht man unter Sucht? - Süchtig ist jemand, der Drogen konsumiert, obwohl sie Gesundheit und soziale Integration schädigen, und mehrfach versucht hat aufzuhören. - Verantwortlich für Sucht ist nicht physische Abhängigkeit, sondern vielmehr psychische Abhängigkeit (wiederholter Konsum der Droge obwohl keine Entzugserscheinungen vorliegen) 13.2 Die Rolle des Lernens bei der Toleranz und den Entzugserscheinungen Kontingente Toleranz - Kontingente Toleranz entwickelt sich gegenüber Drogen, die unmittelbar mit bestimmter Erfahrung verknüpft sind - Vorher-Nachher-Ansatz: Versuch mit Ratten, Injektion von Alkohol alle zwei Tage, entweder vor oder nach konvulsiven Reizung der Amygdala. Am Ende Test: beide Injektion vor Reizung. Ergebnis: bei erster Gruppe Entwicklung von Toleranz, bei zweiter Gruppe nicht - Grundlegendes Phänomen: konnte bei verschiedenen Tieren mit verschiedenen Drogen nachgewiesen werden, sogar bei Aplysia auf synaptischer Ebene Konditionierte Toleranz - Konditionierte Toleranz entwickelt sich gegenüber Drogen, die mit bestimmter Situation verknüpft sind - Versuch: je 20 Kochsalz- bzw. Alkoholinjektion in abwechselnder Reihenfolge, entweder Alkohohl oder Kochsalz immer im Testraum. Am Ende: hyperthermische Wirkung des Alkohols in beiden Räumen getestet. Ergebnis: Toleranz nur, wenn Testinjektion in Raum, der mit Alkoholinjektion verbunden war. - Erklärt Gefahr einer Überdosis, wenn Droge in neuer Umgebung genommen wird (Belegt durch Rattenexperiment) - Konditionierte Kompensationsreaktion: konditionierte Reize (der Umgebung) lösen, wenn keine Droge genommen wird, eine der Drogenwirkung entgegengesetzte Reaktion aus Konditionierte Entzugserscheinungen - Konditionierte Entzugserscheinungen werden nur durch die Reize der Umgebung, in der Drogenkonsum normalerweise erfolgt, ausgelöst. - Versuch: Ratten mit Morphium und/oder Kochsalzinjektion in zwei verschiedenen Käfigen, drei Gruppen Neuere Überlegungen zur Konditionierbarkeit von Drogenwirkungen - Problem: konditionierte Toleranz sagt Kompensationsreaktion vorher, manchmal wird aber durch Umgebung ähnliche Wirkung hervorgerufen. Erklärung: nicht Droge ist unkonditionierter Reiz, sondern Wirkung der Droge im Körper; unkonditionierte Reaktion wird oft willkürlich festgelegt; stattdessen ist sie die kompensatorische Veränderung im Körper - Æ wenn man US und UR richtig identifiziert, kann man CR immer vorhersagen: CR sollte immer ähnlich UR sein 51 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung 13.3 Fünf häufig missbrauchte Drogen Tabak - Nikotin ist die psychoaktiv wirkende Substanz im Tabak, außerdem 4000 andere Stoffe = Teer - Entzugserscheinungen: Depressionen, Angst, Ruhelosigkeit, Reizbarkeit, Verstopfung, Schlaf- und Konzentrationsschwierigkeiten - 70% werden nach probieren abhängig, nur 20% derer, die es versuchen schaffen Absprung - Rauchersyndrom: Schmerzen in der Brust, Atemnot, Keuchen, Husten, Anfälligkeit für Erkrankungen der Atemwege, verschiedene Lungenkrankheiten, verschiedene Krebsarten, verschiedene kardiovaskuläre Erkrankungen - Buerger-Krankheit: chronisch-entzündliche Gefäßerkrankung,, Blutgefäße (vor allem Beine) ziehen sich zusammen, Amputation notwendig - Freie Radikale sind wahrscheinlich für Schädlichkeit des Tabaks verantwortlich (ungepaarte Elektronen, die biologische Moleküle durch Oxidation zerstören) Alkohol - 50% der tödlichen Verkehrsunfälle wegen Alkohol - Wirkung: Beeinträchtigung von Wahrnehmung, Kognition, Sprache, Motorik, Verlust der Selbstkontrolle, in hoher Dosis Bewusstlosigkeit oder Tod, führt zu Hypothermie, ist Diuretikum (erhöht Urinproduktion) - Erzeugt (funktionelle) Toleranz und physische Abhängigkeit - Schwerer Alkoholentzug: 3 Phasen: 1. nach 5-6 Std.: Tremorerscheinungen, Aufregung, Kopfweh, Übelkeit, Errechen, Darmkrämpfe, starkes Schwitzen….2. nach 15-30 Std.: Krämpfe; 3. nach 1-2 Tagen Delirium tremens: Halluzinationen, Wahnvorstellungen, Unruhe, Verwirrtheit, Herzrasen, Hyperthermie - Korsakow-Syndrom: Hirnschädigung, Erinnerungsverluste, sensorische und motorische Störungen, starke Demenz - Leberzirrhosen: narbige Schrumpfung, häufige Todesursache; außerdem: höheres Infarktrisiko, Mund- und Leberkrebs, Magengeschwüre, Pankreatitis, Gastritis - Fetales Alkoholsyndrom (FAS): geistige Retardierung, Koordinationsstörungen, schwacher Muskeltonus, geringes Geburtsgewicht, körperliche Deformationen - Wirkmechanismen: reduziert Kalziumeinstrom in Neurone, verstärkt inhibitorischen Neurotransmitter GABA, erhöht Anzahl der Bindungsstellen für Glutamat, stört secondmessenger System in Neuronen Marihuana - Getrocknete Blätter von Cannabis sativa, Wirkstoff ist Delta-9-THC - Wird seit Mittelalter vielfältig verwendet, seit 20. Jhd. Verteufelt und dann im Betäubungsmittelgesetz verboten - Wirkung ist schwer messbar; bei hohen Dosen psychologische Funktionsstörungen: KZG nimmt ab, Sprache verwaschen, sinnvolle Unterhaltung unmöglich, Heiterkeit, Intensivierung von Gefühlen Æ keine erhöhte Gewaltbereitschaft Ækeine verminderte Reaktionsfähigkeit, aber andere Einschätzung der Situation - Gefahr von Langzeitkonsum hauptsächlich Lungenschädigung, geringe Suchtgefahr - Möglichen, nicht belegte Auswirkungen: Senkung des Testosteronspiegels, geschwächtes Immunsystem, kardiovaskuläre Probleme, amotivationales Syndrom - Wirkmechanismus: THC bindet an Rezeptoren in Basalganglien, Hippocampus, Cerebellum und Neocortex Kokain und andere Stimulanzien - Stimulantien steigern die neuronale Aktivität und Betätigunsdrang allgemein - Kokain: aus Blättern des Cocastrauchs, wird Kokainhydrochlorid gemacht, wird geschnupft oder injiziert; in unreiner Form als Crack geraucht 52 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung - Wirkung: Lokalanästhetikum, allgemeines Wohlbefinden: selbstsicher, wach, energisch, freundlich, extravertiert, gesprächig; geringes Bedürfnis nach Essen o. Schlaf - Kokssession: Koksorgie über mehrer Tage, Toleranz steigt laufend, es kann zu Kokainpsychose kommen (ähnlich wie Schizophrenie) - Gefahr: Bewusstseinsverlust, Tod durch Krampfanfall, Atemstillstand , Schlaganfall, Schädigung der Nasenschleimhäute - Hohes Suchtpotential, geringe Entzugserscheinungen; hemmt Wiederaufnahme der Katecholamine in präsynaptische Neurone, besonders Dopamin - Andere Stimulanzien: Amphetamine, z. B. Speed, Methamphetamin (Meth), Ecstasy - Gefahren noch unbekannt, außer Zerstörung von serotonergen Neuronen im ZNS Die Opiate Heroin und Morphium - Opium aus Samen des Schlafmohn hat mehrere Opiate: Morphium, Codein und Heroin - Unvergleichlich gute Analgetika (Schmerzmittel), aber hohes Suchtpotential - Bis ins 20. Jhd. Käuflich, seit 1929 im Betäubungsmittelgesetz eingeschränkt - Harrison Narcotics Act von 1914 verbot alles außer Heroin, das lange als Medikament benutzt wurde - Erst bei viel Konsum entwickelt sich Toleranz und physische Abhängigkeit, aber große Gefahr psychischer Abhängigkeit - Gesundheitsgefahr gering: Verstopfung, Pupillenverengung, unregelmäßige Menstruation, verringerte Libido - Entzugserscheinungen: Ruhelosigkeit, schwitzen, Kälteschauern, Gänsehaut, Beinkrämpfe, Schmerzen, Tremor, Muskelspasmen etc. Æ nicht so schlimm wie bei Delirium Tremens oder Barbituraten - Größte Risiken entstehen durch Illegalität, hohe Kosten, soziale Ächtung, verunreinigte Ware - Wirkung: Bindung an Rezeptoren für Endorphine (endogene Substanzen) Vergleich der Gesundheitsgefährdung durch Tabak, Alkohol, Marihuana, Kokain und Heroin - Häufigkeit des Missbrauchs: viel höher für Tabak und Alkohol als für Rest - Gesundheitsrisiken: meiner Meinung nach viel höher für Tabak und Alkohol als für andere, auf jeden Fall aber höher als für Marihuana Das Drogendilemma: Wie das richtige Maß finden? - Drogenbekämpfung sollte sich ändern: Reduzierung der Nachfrage durch Erziehung, Forschung, Sozialprogramme; Behandlung statt Verfolgung der Abhängigen; Gesetz zur Regelung des spezifischen Drogengebrauchs; größere Freiheit für Richter bei Urteilen; keine Werbung für Zigaretten/Alkohol; eventuell Legalisierung von Marihuana; Versuchskliniken, die kleine Mengen von Drogen ausgeben; Bsp. an Holland nehmen 13.4 Biopsychologische Theorien der Abhängigkeit Theorien der physischen Abhängigkeit - Theorie der physischen Abhängigkeit geht davon aus, dass Drogenabhängige durch Entzugserscheinungen dazu getrieben werden, Drogen weiter zu nehmen Æ Teufelskreis - Aber: entgiftete Süchtige fallen erstaunlich oft in Sucht zurück, sobald sie aus Klinik entlassen werden. - Erklärung mit konditionierten Entzugssymptomen. Problem: viele situationsbedingte Effekte sind ähnlich Drogenwirkung, nicht entgegengesetzt; frühere Süchtige suchen Hinweisreize gerne und gezielt auf auch ohne dass Droge genommen wird - Æ mit physischer Abhängigkeit können Rückfälle nicht erklärt werden Theorien der positiven Verstärkung - Theorie der positiven Verstärkung geht davon aus, dass nicht Vermeidung von unangenehmem Entzug, sondern vielmehr die erwartete positive Wirkung der Droge zu Rückfall führt 53 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung - Annahme: hoher Drogenkonsum führt zu Sensibilisierung gegenüber der angenehmen Wirkung der Droge Æ anschließend nicht mehr tatsächliches Wohlbefinden Verstärkungswert, sondern erwartetes Wohlbefinden, das mit Droge assoziiert wird 13.5 Verstärkersysteme im Gehirn - Olds und Milner (1954): Entdeckung der intracraniellen Selbstreizung: Hebel drücken, um Stromstöße im eigenen Hirn zu erreichen (in Regionen, die vermutlich für allgemein angenehme Reize wie Futter, Wasser, Sex zuständig sind Grundlegende Eigenschaften der intracraniellen Selbstreizung - Unterschiede zu natürlichen Verstärkern: Selbstreizung wird beendet, sobald Strom abgestellt ist (schnelle Extinction normalerweise nur, wenn Reiz unangenehm war); nach Trennung vom Hebel muss erst Priming stattfinden, damit Selbstreizung wieder aufgenommen wird - Dennoch: Schaltkreise, der intracraniellen Selbstreizung stellen Verstärkersysteme dar - Belege: Selbstreizung und passendes Zielobjekt führt zu natürlich motiviertem Verhalten (Fressen, Brutpflege…); erhöhte natürliche Motivation (z. B. Deprivation) steigert Selbstreizung; bei manchen Hirnregionen gleicht Selbstreizung natürlichem Hebeldrücken (langsame Extinction, kein Priming nötig etc.); geringfügige Unterschiede zwischen Situation (natürlich, Selbstreizung) führten zu qualitativen Unterschieden Das mesotelencephale Dopaminsystem und die intracranielle Selbstreizung - Mesotelencephales Dopaminsystem geht von Mittelhirn (genauer: Substantia nigra, ventrales Tegmentum) in verschiedene Regionen des Telencephalons (u. a. präfrontaler Neocortex, limbischer Cortex, Amygdala, Striatum, Nucleus accumbens) - Mapping-Experimente: Kartierung der Selbstreizungspunkte im Mittelhirn: die meisten Stellen liegen in Substantia nigra und ventralem Tegmentum, Punkte mit höchsten Reaktionsraten haben größte Dichte von dopaminergen Fasern - Cerebrale Dialyse: Proben von extrazellulärer Flüssigkeit während Experiment entnommen und analysiert: enthielten hohe Dopaminkonzentration - Dopaminagonist/-antagonist-Experimente: Amphetamine (Agonisten) in Nucleus accumbens erhöhen Selbstreizungsrate des lateralen Hypothalamus , Spiroperidol (Antagonisten) verringern Selbstreizungsrate der ventralen Tegmentumregion - Hirnläsionen: Läsionen des mesotelencephalen Dopaminsystems der ipsilateralen Seite (zur Elektrode) stören Selbstreizung, Läsionen der ipsilateralen Seite nicht Das mesotelencephale Dopaminsystem und natürlich motivierte Verhaltensweisen - Versuch: Ratten dürfen nach 20 min leckere Flüssigkeit trinken, mehrere Tage; Mikroanalyse: Dopaminkonzentration im Nucleus accumbens steigt - Gleicher Versuch, nur Zugang zu paarungsbereitem Weibchen; Elektrochemie: Dopaminkonzentration in extrazellulärer Flüssigkeit steigt - Bei Affen: Reaktion von dopaminergen Neuronen entweder, wenn Belohnung unangekündigt, oder nur auf konditionierten Reiz, nicht auf Belohnung selbst - Konzentration auf Konsumatorische Verhaltensweisen und Präparatorische Verhaltensweisen (Appetenzverhalten, instrumentelles oder antizipatorisches Verhalten) Æ Dopamin hat größere Rolle bei präparatorischem Verhalten 13.6 Neuronale Mechanismen der Abhängigkeit - Selbstapplikationsparadigma: Ratten können sich per Hebeldruck Drogen verabreichen; ihr Sucht-Verhalten gleicht dem des Menschen - Konditioniertes Platzpräferenz-Paradigma: Ratten kriegen Drogen in Testhälfte des Käfigs, im drogenfreien Zustand bevorzugen sie diese Hälfte 54 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung Nachweis der Beteiligung des mesotelencephalen Dopaminsystems an der Drogenabhängigkeit - Tiere verabreichen sich Morphium in ventrale Tegmentumregion, Nucleus accumbens und Septum - Mikroinjektionen in verschiedene Strukturen führen zu konditionierter Platzpräferenz - Nur süchtig machende Drogen verstärken Belohnungseffekte durch elektrische Reizung - Störungen des mesotelencephalen Dopaminsystems (Läsion oder Antagonist) reduzieren Wirkung von systemisch injizierten Drogen und verhindern konditionierte Platzpräferenz Æ es gibt noch mehr Experimente/Belege. Ziel der Forschung: selektive Dopaminantagonisten zu entwickeln, die positiv verstärkende Faktoren der Drogen reduzieren, ohne Antriebe für natürlich motiviertes Verhalten zu unterdrücken Kapitel 14: Gedächtnis und Amnesie 14.1 Die amnestischen Auswirkungen von bilateralen mediotemporalen Lobektomien Frühe Theorien zur Gedächtnisspeicherung - Karl Lashley: Suche nach Engramm (für Speicherung von Erinnerung verantwortliche Veränderung im Gehirn) erwies sich als ergebnislos, daher Annahme von Massenaktionsprinzip und Prinzip der Äquipotenz - Zwei Mechanismen: Kurzzeitgedächtnis und Langzeitgedächtnis, dazwischen Konsolidierung Bilaterale mediale temporale Lobektomie - Patient H. M.: bei bilateraler medialer Lobektomie wurden mediale Teiler beider Temporallappen einschließlich Hippocampus und Amygdala entfernt als Heilung gegen Epilepsie Æ dafür erfolgreich, jedoch andere Probleme H. M.s postoperative Gedächtnisstörung - H. M. litt unter leichter retrograder Amnesie (2 Jahre vor OP) und schwerer anterograder Amnesie: KZG ganz normal, aber keine Konsolidierung ins LZG möglich - Persönlichkeit, Intelligenz und Wahrnehmung völlig in Ordnung Neuropsychologische Untersuchung von H. M.s anterograder Amnesie - 7 standardisierte neuropsychologische Gedächtnistests: Digit-span + 1-Test, CorsiWürfel-Test (Æ H. M. hatte globale Amnesie, d.h. alle Sinnesmodalitäten betreffend), Übereinstimmungstests (verbal geht einigermaßen/ nonverbal gar nicht gut), Spiegelzeichnen , Rotary pusuit-Test, Gollin-Test (Bilderfragmente) Æ jeweils Verbesserung ohne Erinnerung an Tests), Tests zum Sprachverständnis, Pawlowsche Konditionierung (Spurenkonditionierung von Lidschlagreflex, funktionierte gut) H. M.s Beitrag zur Gedächtnisforschung - fünf Erkenntnisse: mediale Temporallappen sind wichtig für Gedächtnis; Forschung zu Rolle des Hippocampus und anderen Strukturen; Hinweise für Trennung von KZG und LZG; Hinweis für Konsolidierungs-Funktion des medialen Temporallappens (da sowohl KZG als auch LZG in Ordnung); Hinweis für Unterschied von deklarativem/explizitem Gedächtnis und prozeduralem/implizitem Gedächtnis Amnesie aufgrund von Schädigungen im medialen Temporallappen - Pawlowsche Konditionierung: verzögerte Konditionierung funktioniert problemlos, Spurenkonditionierung allerdings nicht. Lösung: verzögerte Konditionierung arbeitet mit implizitem Gedächtnis, Spurenkonditionierung mit explizitem Gedächtnis (welches bei einer solchen Schädigung nicht funktioniert) Semantisches und episodisches Gedächtnis bei Patienten mit medialer Temporallappen-Amnesie - Explizites Gedächtnis hat zwei Untertypen: semantisches Gedächtnis (allgemeine Fakten, Wissen) und episodisches Gedächtnis (Erfahrungen/Ereignisse des eigenen 55 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung Lebens) Æ vor allem episodisches Gedächtnis ist gestört bei medialer TemporallappenAmnesie Warum gibt es zwei Gedächtnissysteme, ein implizites und ein explizites? - Explizites Gedächtnis erlaubt Anwendung von gelerntem in anderen Situationen Æ Flexibilität - Repetition-priming-Tests untersuchen implizites Gedächtnis: liste mit Wörtern lesen, später Wörter aus Liste vervollständigen Æ können auch amnestische Patienten Der Fall R. B.: Auswirkungen einer selektiven Hippocampus-Läsion - Amnesie von R. B. wurde hervorgerufen durch Ischämie: zerstört wurde nur CA1Region in der Pyramidenzellschicht des Hippocampus; Amnesie nicht so schwerwiegend, aber vergleichbar wie bei H. M. 14.2 Die Amnesie des Korsakow-Syndroms - Geht auf Alkohol zurück, gekennzeichnet durch sensomotorische und motorische Störungen, starke Verwirrung, auffällige Persönlichkeitsveränderungen , Leber-, Magen/Darm- und Herzschäden - Läsion des medialen Diencephalons (medialer Thalamus und Hypothalamus), vereinzelte Schädigung von Neocortex und Cerebellum Æ Anterograde Amnesie für explizites (besonders episodisches) Gedächtnis und schwere retrograde Amnesie Schädigung des medialen Diencephalons und Korsakow-Amnesie - Erste Annahme, dass Schädigung der Mamillarkörper verantwortlich sei, war falsch; stattdessen: Schädigung der mediodorsalen Nuclei des Thalamus auf jeden Fall verantwortlich für Amnesie; insgesamt aber Schädigung von mehreren Strukturen bei Korsakow-Amnesie Mediale diencephale Amnesie: der Fall N.A. - Läsion des medialen Diencephalons durch Unfall: leichte retrograde Amnesie für 2 Wochen vor Unfall, starke anterograde Amnesie mit unbeabsichtigten, blitzlichtartigen Erinnerungen 14.3 Gedächtnisstörungen bei Schädigungen des präfrontalen Cortex - Keine Ausfälle bei Gedächtnistests, aber Probleme mit zeitlicher Abfolge von Ereignissen und mit Serien von Handlungen, bei denen einzelne Schritte behalten werden müssen - Korsakow-Patienten haben dies Probleme, H. M. und N. A. nicht 14.4 Die Amnesie bei der Alzheimer-Krankheit - Drei Arten von pathologischen Veränderungen im Gehirn: neuronale Degeneration, Neurofibrillen und Amyloidplaques, besonders häufig im temporalen, frontalen und parietalen Cortex und im basalen Vorderhirn - Anterograde und retrograde Amnesie im expliziten Gedächtnis sowie Störungen im KZG - Biochemie: Degeneration von Neuronen im basalen Vorderhirn (Nucleus basalis Meynert, diagonales Band von Broca, medialer Nucleus des Septums) führt zu Abnahme der cholinergen Aktivität im Gehirn (Acetylcholin-Mangel) - Versuch, mit Nootropika (Acetylcholinagonist) Gedächtnisleistung älterer Menschen zu verbessern - Acetylcholin-Mangel kann jedoch nicht einziger Grund für Amnesie sein, ebenso fehlen andere Neurotransmitter und medialer Temporallappen ist geschädigt 56 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung 14.5 Die Amnesie nach Gehirnerschütterungen - Posttraumatische Amnesie (PTA): Schläge auf den Kopf, die zu Gehirnerschütterung führen; häufigster Ursache von Amnesie - Ablauf: retrograde Amnesie für den Unfall, Koma, Verwirrung und anterograde Amnesie - Manchmal jedoch Gedächtnisinseln Elektroconvulsionsschock und verschiedene Ausprägungen von retrograder Amnesie - Elektrokonvulsionsschock (ECS) löst Krampfanfälle aus, Anwendung bei schweren Depressionen, Nebenwirkung: PTA - Versuch: Ratten, Tränke in Nische, danach ECS (10sek, 1min, 10 min 1 h, 3 h) Ergebnis: Konsolidierung des Lerninhalts dauert 10 min- 1h - Versuch: Menschen, Erinnerung an Fernsehshow Æ flacher Gradient der retrograden Amnesie: Erinnerung gelöscht für Shows der letzten drei Jahre, nicht aber davor - Theorie der Konsolidierung: Speicherung expliziter episodischer Erinnerungen, solange sie bestehen, im Hippocampus; bei ähnlicher Info Festigung dieser Strukturen 14.6 Neuroanatomie des Objekterkennungsgedächtnisses Affen als Tiermodell der Objekterkennungs-Amnesie: die Verzögerte Vergleichsaufgabe - Bei bilateralen medialen Temporallappenläsionen Störung der Verzögerten Vergleichsaufgabe (Affe soll Futter unter richtigem (neuem) Objekt entdecken); kann normal gelöst werden bei sehr kurzem Intervall (wenige Sekunden); gleiches Ergebnis bei Läsionen des medialen Diencephalons; gleiche Ergebnisse bei Menschen mit solchen Läsionen Frühe Versuche an Affen mit medialen Temporallappenschäden und Objekterkennungs-Amnesie - Gedächtnisrelevante Strukturen im Affenhirn: Hippocampus, Amygdala, Riechhirn - Problem: liegt Hauptursache für Amnesie bei Läsion von Hippocampus oder Amygdala? Æwidersprüchliche Ergebnisse Ratten als Tiermodell der Objekterkennungs-Amnesie: noch einmal eine Verzögerte Vergleichsaufgabe - Vorteile von Ratten: Hippocampus leichter zugänglich, Riechhirn wird nicht geschädigt bei Läsion - Mumby-Box: 2 Türen, die nacheinander aufgehen für Verzögerte Vergleichsaufgabe - Æ Effekt von Läsion von medialem Temporallappen und mediodorsalen Nucleus des Thalamus auf Leistungen der Verzögerten Vergleichsaufgabe ist bei Ratten, Affen und Menschen vergleichbar Neuroanatomische Grundlagen der Gedächtnisdefizite in der Objekterkennung nach medialer Temporallappenektomie - Ergebnis des Vergleichenden Ansatzes: Läsion von Hippocampus und Amygdala ohne Riechhirn hat kaum Auswirkungen auf Verzögerte Vergleichsaufgabe - Läsionen von Riechhirn allein haben großen Effekt auf Verzögerte Vergleichsaufgabe bei Ratten und Affen Hirnschädigungen durch Ischämie und Gedächtnisdefizite in der Objekterkennung - Problem: bei Ischämie wird kleiner Teil des Hippocampus geschädigt, schwere Defizite in Verzögerter Vergleichsaufgabe, bei vollständiger Hippocampus-Läsion jedoch kaum Defizite in Verzögerter Vergleichsaufgabe - Versuch von Mumby: Ischämie bei Ratten herbeigeführt, danach entweder sofort Ektomie, 1 Woche später Ektomie oder keine Ektomie Æ nur letzten 2 Gruppen zeigen Defizite Æ anscheinend Hippocampus keine Rolle bei Defiziten in Verzögerter Vergleichsaufgabe nach Ischämie 57 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung 14.7 Hippocampus und Gedächtnis für räumliche Beziehungen Tests für das Raumgedächtnis bei Ratten - Morrissches Wasserlabyrinth - Radiales Labyrinth (Fähigkeit, nur Futterbestückte Arme zu wählen =Maß für Referenzgedächtnis; Fähigkeit, jeden Arm nur einmal pro Tag zu wählen = Maß für Arbeitsgedächtnis) Ortszellen - Pyramidenzellen im Hippocampus der Ratte sind Ortszellen: sie feuern nur dann, wenn sich die Ratte an bestimmten Platz im Raum befindet - NMDA-Rezeptoren spielen Rolle bei Entwicklung von Ortsfeldern Vergleichende Studien zur Rolle des Hippocampus für das Raumgedächtnis - Vogelarten, die viele Futterverstecke haben, besitzen großen Hippocampus - Schwierigkeit, Studien zwischen Primaten und anderen Spezies zu vergleichen, da mit ersteren Studien zum Raumgedächtnis am PC stattfinden und nicht in kontrollierter Testumgebung Theorien zur Gedächtnisfunktion des Hippocampus - O´Keefe und Nadel: Theorie der kognitiven Landkarten (Hippocampus erstellt allozentrische Landkarte der äußeren Welt) - Rudy und Sutherland: Theorie der konfiguralen Assoziation Langzeitspeicherung von Beziehungen zwischen Hinweisreizen - Whishaw, McKenna und Maaswinkel: Weg-Integrations-Theorie: Integration von Bewegungen des Individuums im Raum, daraus Weg-Berechnung; Versuch: Ratte klettert durch Loch auf Plattform, holt Futter, klettert wieder zurück Ækeine äußeren Hinweisreize vorhanden) 14.8 Gedächtnisstrukturen des Gehirns: eine Zusammenfassung Riechhirn - Entscheidende Rolle bei Bildung des expliziten LZG, jedoch nicht eigentlicher Sitz des Objekterkennungsgedächtnisses Hippocampus - Konsolidierung des LZG für räumliche Beziehungen, nicht jedoch Speicherung. Fragwürdig, ob noch andere Funktion Amygdala - Verantwortlich für Erinnerung an emotionale Bedeutung von Erfahrungen Inferotemporaler Cortex - Konsolidierung des LZG, nicht für Speicherung; dafür sind wahrscheinlich sekundärer Cortex und Assoziationscortex zuständig Cerebellum und Striatum - Cerebellum speichert Erinnerung an gelernte sensomotorische Fertigkeiten - Striatum Speicherung für feste Beziehungen zwischen Reizen und Reaktionen Präfrontaler Cortex - Spezifische Gedächtnisprobleme bei Läsion: Erinnerung an zeitliche Abfolge von Ereignissen und mehrteiligen Aufgaben, bei denen erinnert werden muss, was schon ausgeführt wurde - Im fMRT bei Erinnern verstreut Aktivität im präfrontalen Cortex, Läsion hat aber paradoxerweise kaum Auswirkung Mediodorsaler Nucleus des Thalamus - Bei Korsakow-Patienten immer geschädigt - Ausfälle in Verzögerter Vergleichsaufgabe - Gleicher Gedächtnisschaltkreis (gleiche Störung bei Läsion) wie medialer Temporallappen 58 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung Basales Vorderhirn - Funktion für Gedächtnis noch nicht verstanden; nur einige Strukturen, z.B. mediales Septum, diagonales Band von Broca und Nucleus basalis Meynert haben mnestische Funktion Kap.15: Neuronale Plastizität: Entwicklung, Lernen und Wiederherstellung nach Hirnschädigungen - Simple-systems approach (Ansatz der einfachen Systeme): 15.1 Phasen der Neuralentwicklung Induktion der Neuralplatte - 3 embryonale Zellschichten: Ektoderm, Mesoderm, Endoderm - Neuralplatte: kleiner Fleck ektodermalen Gewebes; 3. und 4. Woche Æ Neuralrinne ÆNeuralrohr (Zentralkanal und Hirnventrikel) - Vor Entwicklung der Neuralplatte: Zellen sind omnipotent - chemische Signale der Mesodermschicht verantwortlich für Entwicklung der Neuralplatte Neurale Proliferation - Sobald das Neuralrohr gebildet ist, beginnen die Zellen der verschiedenen Neuralrohrabschnitte in einer typischen Reihenfolge zu proliferieren Æ artspezifisches Muster der Anschwellungen und Faltungen des Gehirns - Ventrikularzone: Schicht mit den meisten Zellteilungen im Neuralrohr - Stammzellen: haben die Fähigkeit, sich zu verschiedenen Arten von reifen Zellen zu entwickeln; Ausbildung unterschiedlicher Arten von Nerven- oder Gliazellen Migration und Aggregation - Migration: Wanderung der Nervenzellen entlang eines Netzwerks von radialen Gliazellen - Neurone wandern aus der Ventrikularzone in die Intermediärzone Æ Subventrikularzone (Gliazellen oder Interneuronen) Æ Marginalzone - Neuralleiste: Struktur unmittelbar dorsal des Neuralrohrs; Entwicklung zu Neuronen und Gliazellen des PNS - Weg der Zellen wird offenbar vom Substrat bestimmt, durch das sie wandern; Reihe chemischer Substanzen, die Neuronen entweder anziehen oder abstoßen - Aggregation: Neurone passen sich in den Verband anderer Zellen im gleichen Areal ein, um dort die Strukturen des Nervensystems aufzubauen - neuronalen Zelladhäsionsmolekülen vermitteln Migration und Aggregation Axonales Wachstum und Synapsenbildung - Wachstumskegel - Chemoaffinitäts-Hypothese: Experiment: Durchtrennen der Sehnerven von Fröschen und Drehen des Augapfels um 180° Æ retinalen Ganglienzellen wachsen zum ursprünglichen Teil des Tectum opticum zurück - Hypothese: jede postsynaptische Oberfläche im Nervensystem trägt bestimmten chemischen Marker, der auswachsende Axone anzieht/abstößt - Wegweiserneuronen-Hypothese: Pionier-Wachstumszellen: Kontaktaufnahme mit neuronalen Zelladhäsionsmolekülen von Zellen entlang des Weges („Wegweiserneurone“) Æ Fasciculation: Tendenz auswachsender Neurone, der Route der Pionierzellen zu folgen - Hypothese vom Topographischen Gradienten 59 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung Neuronentod und Synapsenneuanordnung - Neuronentod: es werden etwa doppelt so viele Nervenzellen ausgebildet wie benötigt - Neurone sterben, weil es ihnen nicht gelingt, erfolgreich um Neurotrophine zu wetteifern - Nervenwachstumsfaktor - Apoptose: aktiv programmierter Zelltod - Nekrose: durch Schädigung von außen induzierter Zelltod - Synapsenneuanordnung: Zelltod führt zu einer massiven Neuanordnung von Synapsen; Selektivität der synaptischen Übertragung wird gesteigert, da sich der Output eines jeden Neurons auf eine kleinere Anzahl postsynaptischer Zellen konzentirert 15.2 Auswirkungen von Erfahrung auf die neuronale Entwicklung Frühe Untersuchungen zu Auswirkung von Erfahrung auf die neuronale Entwicklung - Frühe visuelle Deprivation: Defizite beim räumlichen Sehen und Mustererkennung - Abwechselungsreiche Umgebung: dickere Cortices mit stärkerer Dendritenentwicklung und mehr Synapsen pro Neuron Die Konkurrenz zwischen Erfahrung und neuronaler Entwicklung - Frühe monoculare Deprivation: Entwicklung der Sehfähigkeit des deprivierten Auges blockiert; Sehfähigkeit des anderen Auges nimmt zu - Verändertes Muster des synaptischen Inputs in Schicht IV des primären visuellen Cortex - Veränderung der Breite der Säulen - Bei Neugeborenen: jede Muskelzelle von mehreren Motoneuronen innerviert Æ alle bis auf ein Motoneuron werden eliminert Die Auswirkungen der Erfahrung auf die Entwicklung topographischer Karten in den sensorischen Cortices - Experimente zur Entwicklung topographischer Karten des auditorischen und des visuellen Systems: - retinalen Ganglienzellen von Frettchen bilden Synapsen im CGM statt CGL Æ Hörrinde retinotopisch ausgelegt - Blickfeld von Schleiereulen durch Prismen verschoben Æ entsprechende Veränderung der auditorischen räumlichen Karte im Tectum Mechanismen der Auswirkung von Erfahrung auf die neuronale Entwicklung - reguliert Expression von Genen für Synthese von Zelladhäsionsmolekülen - steuert Ausschüttung von Neurotrophinen - Auswirkung auf sich früh entwickelnde Neurotransmittersysteme 5.3 Die neuronalen Grundlagen von Lernen und Gedächtnis bei einfachen Systemen - Lernen: Induktion neuronaler Veränderungen aufgrund von Erfahrungen - Gedächtnis: Aufrechterhaltung und verhaltensrelevante Anwendung dieser Veränderungen Lernen beim Kiemenrückziehreflex von Aplysia - Nichtassoziatives Lernen: Verhaltensänderung, die aus dem wiederholten Erfahren eines einzelnen Stimulus bzw. mehrerer verschiedener Stimuli resultiert, die weder räumlich noch zeitlich korreliert sind ÆHabituation, Sensibilisierung, Präsynaptische Bahnung - Assoziatives Lernen: - Klassische Konditionierung: Versuchstier lernt eine Assoziation zwischen CS und US (CS = leichte Berührung des Siphons; US = starker Schwanzschock) - Differentielle klassische Konditionierung: klassische Konditionierung auf mit US gekoppelten CS+, nicht aber auf ungekoppelten CS- Sekundäre Botenstoffen und strukturellen Veränderungen: Second Messenger induzieren bleibende Veränderungen in neuronaler Struktur und Funktion (Bsp.: cAMP aktiviert 60 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung Proteinkinase A Æ Schließung von Kaliumkanäle in den Endknöpfen Verlängerung des Aktionspotentials Æ erhöhte Neurotransmitterfreisetzung Æ Kurzzeitbahnung) - Langzeit-Bahnung: wird bewirkt durch Proteinkinase C, erfordert, dass Second Messengers die Proteinbiosynthese in Zellkörpern des Neurons anregen Langzeitpotenzierung im Säugerhippocampus - Langzeitpotenzierung (LTP): lang anhaltende Bahnung synaptischer Übertragung nach Aktivierung einer Synapse durch intensive hochfrequente Stimulation des präsynaptischen Neurons - 3 Synapsensysteme im Hippocampus: 1. Körnerzellen im Gyrus dentatus, 2. CA3Pyramidenzellsynapse, 3. CA1-Pyramidenzellsynapse - Beziehung von LTP zu Lernen und Gedächtnis: Reverberation ist Grundlage für KZG, durch synaptische Veränderungen bewirkte Erleichterung der synaptischen Übertragung ist Grundlage für LZG - Hebbsche Regel: simultane Erregung von präsynaptischer und postsynaptischer Zelle ist physiologische Vorraussetzung für Lernen - Induktion der LTP: Antwort der NMDA-Rezeptoren hängt von 2 simultanen Ereignissen ab: Glutamatbindung und partielle Depolarisation - Aufrechterhaltung und Auswirkung der LTP: noch unklar, ob Aufrechterhaltung und Auswirkung der LTP prä- oder postsynaptische Phänomene sind 15.4 Neuronale Degeneration, Regeneration und Reorganisation Neuronale Degeneration - Axotomie - Anterograde Degeneration: Degeneration des distalen Segments - Retrograde Degeneration: Degeneration des proximalen Segments (Degenerative Veränderungen oder Regenerative Veränderungen) - Nach Schädigung des ZNS: Phagocytose: Astroglia vermehrt sich stark und resorbiert den größten Teil der Zelltrümmer - Nach Schädigung des PNS: Degenerierende Neurone werden teilweise von SchwannZellen phagocytiert - Anterograde transneuronale Degeneration und Retrograde transneuronale Degeneration Neuronale Regeneration - Neuronale Regeneration: Wiederauswachsen von geschädigten Neuronen, findet nur im PNS statt - 3 Muster der axonalen Regeneration im PNS: 1. Myelinscheiden intakt; 2. Enden liegen dicht beieinander; 3. Enden liegen weit voneinander ÆSchwann-Zellen produzieren neurotrophe Faktoren und Zelladhäsionsmoleküle - Kollaterales Aussprossen Neuronale Reorganisation - Primärer sensorischer Cortex 1. Schädigung der sensorischen Bahnen 2. Schädigung des Cortex selbst 3. Veränderung der sensorischen Erfahrung - Primärer motorischer Cortex 1. Schädigung von Motoneuronen 2. Erfahrung Æ langsame Veränderungen: Kompensation von Schädigungen im Nervensystem rasche Veränderungen: Gehirn auf veränderte Erfahrungen einstimmen 61 J.P.J. Pinel: Biopsychologie Zusammenfassung 15.5 Therapeutische Anwendungsmöglichkeiten der Neuroplastizität Förderung der funktionalen Regeneration nach Hirnschädigungen durch Rehabilitations-training - Ein sehr einförmiges wiederholtes Training der stets gleichen Bewegung ist einer konventionellen Physiotherapie therapeutisch überlegen! Förderung der funktionalen Regeneration nach Hirnschädigungen durch Gentechnik - Stammzellen, deren genetisches Material sich so verändern lässt, dass sie ein bestimmtes Neurotrophin ausschütten, wenn sie reif sind; Injektion ins Gehirn eines Patienten, wo sie ins Gewebe in der Umgebung der Injektionsstelle aufgenommen werden und dort ihr Neurotrophin produzieren - Injektion von Viren ins Gehirn, die derart genetisch verändert wurden, dass sie Neurotrophine produzieren→ infizieren an der Injektionsstelle Zellen des dort vorhandenen Nervengewebes, wobei sie ihr genetisches Material in diese Zellen einbringen Förderung der funktionalen Regeneration nach Hirnschädigungen durch Neurotransplantation - Gewebe transplantieren, um das körpereigene Gewebe des Patienten zur Regeneration anzuregen - Gewebe verpflanzen, das ins ZNS des Empfängers integriert wird und dort verletzte Zellen ersetzt Förderung der Regeneration im ZNS durch Neurotransplantation - Abschnitte myelinisierter Nervenfasern aus dem PNS ins ZNS verpflanzen Einfügen von Ersatzgewebe ins Gehirn durch Neurotransplantation - Verletztes Gewebe wird durch entsprechendes gesundes Gewebe ersetzt - Versuche, die Parkinson-Krankheit durch Transplantation Dopamin freisetzende Zellen in das Striatum des Empfängers zu behandeln - Autotransplantation: Transplantation von Gewebe aus einer Körperregion des Patienten in eine andere Körperregion desselben Patienten 62