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AKTUELL VOLKSWIRTSCHAFTLEHRE
AUSGABE 2004 /2005
ZUSAMMENFASSUNG
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I
Zusammenfassung VWL
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IUR I
INHALTSVERZEICHNIS
KAPITEL 1
WOMIT BESCHÄFTIGT SICH DIE VOLKSWIRTSCHAFTSLEHRE? ...................................1
KAPITEL 2
DIE PREISBILDUNG ..............................................................................................6
KAPITEL 3
DIE MARKTWIRTSCHAFT .....................................................................................22
KAPITEL 4
DIE ERFASSUNG DER GESAMTEN WIRTSCHAFTSLEISTUNG: ...................................31
DIE VOLKSWIRTSCHAFTLICHE GESAMTRECHNUNG (VGR)
KAPITEL 5
DAS KONJUNKTURPHÄNOMEN: ...........................................................................43
KURZFRISTIGE BETRACHTUNGEN DER WIRTSCHAFTLICHEN ENTWICKLUNG
KAPITEL 6
KONJUNKTURPOLITIK .........................................................................................51
KAPITEL 7
WACHSTUM: .....................................................................................................65
LANGFRISTIGE BETRACHTUNG DER WIRTSCHAFTLICHEN ENTWICKLUNG
KAPITEL 8
STRUKTURWANDEL ALS CHARAKTERISTIKUM WIRTSCHAFTLICHER ENTWICKLUNG ...75
KAPITEL 9
GELD, GELDPOLITIK UND DAS PROBLEM DER INFLATION .......................................81
KAPITEL 10
DAS PROBLEM DER ARBEITSLOSIGKEIT ..............................................................95
KAPITEL 11
DAS PROBLEM DER STAATSVERSCHULDUNG .....................................................100
KAPITEL 12
DAS PROBLEM DER SOZIALEN SICHERHEIT ........................................................105
II
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IUR I
KAPITEL 1 – WOMIT BESCHÄFTIGT SICH DIE VOLKSWIRTSCHAFTSLEHRE?
VWL beschäftigt sich mit vielen Gebieten, generell kann man aussagen:
„Die VWL beschäftigt sich mit dem Problem der Knappheit“.
Knappheit charakterisiert das Verhältnis zwischen den verfügbaren Mitteln und den
Bedürfnissen.
Von bestimmten Gütern wollen wir mehr, als wir haben, folglich versuchen wir durch Tausch
jene Güter zu erhalten, die uns mehr wert sind als das, was wir dafür hergeben müssen.
Es ist also nicht der Gegenstand, sondern der Ansatz, der die VWL von anderen
Sozialwissenschaften unterscheidet.
Knappheit und Tausch spielen in der VWL eine so grosse Rolle, dass man das gesamte
Gebiet oft als Lehre von „Entscheidungen bei Knappheit“ oder als die Lehre vom Tausch
bezeichnet.
BEDÜRFNISSE
Der Begriff Bedürfnis wird sehr weit gefasst, er umfasst einerseits die materiellen Bedürfnisse
und andererseits auch Dinge wie Wunsch nach Macht, Ansehen, Sicherheit, Schönheit, etc.
Deshalb sagen Ökonomen, dass die Bedürfnisse der Menschen unbegrenzt sind. Man ordnet
die Bedürfnisse in verschieden Schubladen ein; Maslow tut dies folgendermassen in der
Bedürfnispyramide:
Selbstverwirklichungsbedürfnisse
Wertschätzungsbedürfnisse
Soziale Bedürfnisse
Sicherheitsbedürfnisse
Grundbedürfnisse
Diese Bedürfnisse werden nicht nacheinander befriedigt, sondern der Mensch versucht,
möglichst viele Wünsche aus den verschiedenen Ebenen gleichzeitig zu befriedigen.
GÜTER
Güter sind mittel zur Bedürfnisbefriedigung und meist nur begrenzt verfügbar!
FREIE GÜTER: Sind von der Natur in solcher Menge zur Verfügung gestellt, dass sie gratis
sind. Beispiel: Luft.
Im Normalfall sind zu wenige Güter vorhanden, um alle Bedürfnisse zu befriedigen, welche
alsdann als WIRTSCHAFTLICHE GÜTER bezeichnet werden, denn sie werden – da sie
knapp sind – nachgefragt und erzielen einen Preis.
Güter, welche direkt der täglichen Bedürfnisbefriedigung dienen – also vom Menschen
verbraucht werden - bezeichnen wir als KONSUMGÜTER. Im Unterschied dazu nennt man
Güter, welche zur Herstellung der Konsumgüter notwendig sind INVESTITIONSGÜTER.
Beide Kategorien gehören zu der Kategorie der SACHGÜTER. Nebst den Sachgütern gibt es
noch DIENSTLEISTUNGEN welche vom Menschen nebst den Sachgütern zur Bedürfnisbefriedigung in Anspruch genommen werden.
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PRODUKTIONSFAKTOREN
Güter sind – in aller Regel – das Ergebnis eines Produktionsprozesses und dienen der
Bedürfnisbefriedigung.
Alle Mittel, die in der Produktion von Gütern eingesetzt werden, um ein Gut zu erzeugen,
nennt man PRODUKTIONSFAKTOREN:
Unter dem Produktionsfaktor ARBEIT verstehen wir jede produktive Tätigkeit des Menschen.
NATÜRLICHE RESSOURCEN benötigt man z.B. in der Form von Boden und Rohmaterial und
REALKAPITAL/KAPITAL in der Form von Maschinen, Anlagen und Gebäuden. Als vierten
Produktionsfaktor kann man das WISSEN betrachten, welchem in Form des Humankapitals
(Wissen, Können, Fähigkeiten und Fertigkeiten) und des technischen Fortschritts eine grosse
Bedeutung zukommt.
Damit etwas produziert werden kann, braucht es immer eine Kombination dieser vier
Produktionsfaktoren.
Mit ihrer Hilfe bäckt man den „Wohlstandskuchen“. Ihre Qualität & Quantität sind sehr
bedeutungsvoll für die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes.
ARBEITSTEILUNG, TAUSCH UND GELD
Ein einzelner Mensch ist nur ein Teil eines dichten Netzes, in welchem die Individuen die
Arbeit weitgehend aufgeteilt haben und sich somit auf gewisse Tätigkeiten spezialisiert haben.
Dies ist vorteilhaft, weil so jedes Individuum die Leistung erbringt, welche seinen Fähigkeiten
am ehesten entspricht. So bringt er für sich und für die Gruppe/Gesellschaft den grössten
Beitrag zum Wohlstand. Daraus ergibt sich die heutige Berufsteilung. Nicht nur die Menschen
sondern auch jede Unternehmung und die Natur machen sich die Vorteile der Spezialisierung
zu nutzen.
Arbeitsteilung und Spezialisierung entschärfen das Knappheitsproblem, weil sich dadurch die
Produktivität (=Leistung pro Stunde oder pro Arbeitskraft)) und damit das Gütervolumen
erhöhen lässt.
Der TAUSCH wird als notwendige Ergänzung der Arbeitsteilung betrachtet. Tausch ermöglicht
es einerseits beiden Tauschpartnern ihren Nutzen zu erhöhen andererseits ermöglicht der
Austausch von Gütern überhaupt erst die Arbeitsteilung. Was jemand eintauscht, ist ihm
offensichtlich weniger wert, als was er dafür erhält.
Damit der Tausch funktioniert, braucht es ein allgemein anerkanntes Zahlungsmittel, das
GELD, weil ansonsten der Tausch mit zu viel Aufwand verbunden wäre, weil man erst immer
jemanden finden müsste, der das besitzt, was man gern hätte, und gleichzeitig müsste der
Tauschpartner das wollen, was man selber besitzt. Das entfällt, wenn man Geld als
Verrechnungseinheit dazwischen schaltet. Geld erfüllt also die FUNKTION DES ZAHLUNGSMITTELS wodurch Zeit und Kosten eingespart werden können. Im Weiteren müsste in der
Tauschwirtschaft der Preis eines Gutes in Mengen des zu tauschenden Gutes berechnet
werden. Es gibt aber unzählige Güter welche getauscht werden könnten, was die Sache
extrem verkompliziert. Dank der FUNKTION ALS RECHNUNGSEINHEIT ermöglicht das Geld
ein transparentes System von direkt vergleichbaren Preisen.
Zudem lassen sich viele Güter nicht lagern und verlieren an Wert oder verderben gar. Geld ist
einfach und kostengünstig aufzubewahren und man kann es – sofern man es gerade nicht
benötigt – über einen Vermittler demjenigen zur Verfügung stellen, der dafür die höchste
Entschädigung (Zinsen) bietet. Geld erfüllt also auch die FUNKTION ALS
WERTAUFBEWAHRUNGMITTEL, etwa um den Konsum auf einen späteren Zeitpunkt zu
verschieben. Dadurch sinken auch die Wertaufbewahrungskosten.
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Alle diese drei Funktionen helfen die TRANSAKTIONSKOSTEN zu senken. Unter
Transaktionskosten versteht man all jene Kosten, die entstehen, wenn man ein
Tauschgeschäft abwickeln will.
Spezialisierung, verbunden mit einer weltweiten Arbeitsteilung, sich daraus ergebende
Tauschmöglichkeiten und das ideale Zahlungsmittel Geld haben zu einer enormen Steigerung
des Wohlstandes beigetragen.
DER ÖKONOMISCHE ENTSCHEID UND DIE OPPORTUNITÄTSKOSTEN
Arbeitsteilung, Tausch, Geld und die dadurch erreichte Wohlstandssteigerung entschärfen das
Knappheitsproblem zwar, lösen es aber nicht.
Bei der Bedürfnisbefriedigung müssen Menschen dauernd Entscheide treffen, uns interessiert
die Frage, WIE entschieden wird. Davon ausgehend, dass Menschen nicht rein zufällig
entscheiden, sondern ihrem Handeln gewisse Regeln zugrunde legen, nehmen wir an, dass
man unter verschiedenen Möglichkeiten jene wählt, die man für die beste hält, d.h., dass man
mit seinem Entscheid seinen Nutzen maximieren will und sich dementsprechend verhält.
Der „homo oeconomicus“ entscheidet also so, dass er in einer gegebenen Situation – unter
der Berücksichtigung seiner Mittel – jene Möglichkeit wählt, die seinen Nutzen maximiert.
Er kann dabei 2 Strategien anwenden, welche wir als Handeln nach dem ÖKONOMISCHEN
PRINZIP bezeichnen:
• Minimumprinzip = Er versucht seine Bedürfnisse mit möglichst geringem Einsatz an
Mitteln zu befriedigen.
• Maximumprinzip = Er versucht mit den gegebenen Mitteln eine möglichst hohe
Bedürfnisbefriedigung zu erreichen.
Der homo oeconomicus ist prinzipiell ungesättigt, verfolgt mehrere Ziele, versucht gleichzeitig
mehrere Bedürfnisse zu befriedigen und will deshalb vielerlei Güter besitzen. Je grösser seine
Besitzmenge eines bestimmten Gutes ist, umso geringer schätzt er eine zusätzliche Einheit.
Er nutzt jede Chance, sein Wohlergehen zu vermehren, er sucht überall aktiv und unermüdlich
seinen eigenen Vorteil. Wie das Wasser weicht er allen Hindernissen aus und sucht immer
den kürzesten Weg zum Ziel. Er bleibt „cool“, überlegt, kalkuliert und handelt zweckgerichtet.
Beim homo oeconomicus handelt es sich um ein Modell, das von individuellen
Persönlichkeitsmerkmalen absieht. Wie alle anderen Wissenschaften ist auch die VWL auf
Abstraktion und Verallgemeinerung angewiesen, um die Komplexität in den Griff
zubekommen. Deshalb erklärt der homo oeconomicus eben kein Individualverhalten, sondern
er soll ein Durchschnittsverhalten widerspiegeln, in welchem die wesentlichsten
Einflussfaktoren enthalten sind. Das Modell ist in gewissem Sinne gezielt unrealistisch.
Ein wichtiger Einflussfaktor ist das EIGENNÜTZIGE VERHALTEN, das bedeutete, dass der
Mensch sich in der Regel nach seinen eigenen Interessen orientiert (d.h. weder Heilige noch
Verbrecher sind). Der homo oeconomicus weiss, dass er nicht alleine lebt und nur in einer
Gesellschaft leben kann.
Es wäre also zu einfach, den homo oeconomicus als vollständig rationalen Egoisten und
blitzschnell maximierenden Automaten zu begreifen, bei dem nur das Geld zählt.
In erster Linie kommt es bei dem Modell „homo oeconomicus“ auf die Erklärungskraft und die
Prognosefähigkeit der Reaktionen von Menschen insgesamt auf Änderungen des Umfeldes
an und nicht so sehr auf die detailgetreue Wirklichkeitsnähe. Es dient als Arbeitshypothese.
Die RATIONALE ENTSCHEIDUNG des homo oeconomicus erfordert ein Abwägen von Vorund Nachteilen aller verschiedenen Möglichkeiten. Dieser Entscheid kostet zumindest den
Verzicht auf den Nutzen der nicht gewählten Alternative. Diesen Verzicht bezeichnen wir als
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OPPORTUNITÄTSKOSTEN. Da man immer verschiedene Möglichkeiten hat, beinhaltet jeder
Entscheid Opportunitätskosten.
Die wichtigste Erkenntnis aus dem Opportunitätskostenprinzip ist, dass nichts gratis ist.
Solche Opportunitätskosten-Überlegungen sind für wirtschaftliche Entschiede äusserst wichtig
weil sie der höchstmöglichen Bedürfnisbefriedigung bzw. Gewinnmaximierung dienen.
DIE AUFGABEN DER VWL
Eine erste Aufgabe der VWL besteht im BESCHREIBEN von wirtschaftlichen Vorgängen. Bei
jeder Aussage über die Wirtschaft stellt sich sogleich die Frage nach dem Warum. Damit sind
wir schon bei einer zweiten Aufgabe der VWL angelangt: sie muss wirtschaftliche Vorgänge
ERKLÄREN, also Ursachen von Fakten aufzeigen. Darüber hinaus hat die VWL die Aufgabe,
den zukünftigen Ablauf des Wirtschaftsgeschehens zu PROGNOSTIZIEREN.
Eine wissenschaftliche Prognose setzt nicht nur Kenntnisse der Zusammenhänge voraus,
sondern verlangt auch eine Schätzung der erwarteten Entwicklung der Einflussfaktoren, wie
z.B. der Güternachfrage, der Löhne, des technischen Fortschritts usw.
Die Erkenntnisse sollen dazu dienen, die wirtschaftliche Entwicklung in eine bestimmte
Richtung zu beeinflussen. Wie soll ein Problem gelöst werden? Welche Strategie wird
angewendet?
Fragen dieser Art sind zentral für die Wirtschaftspolitik, ohne Erklärungsmodelle würden sie
sich im luftleeren Raum bewegen.
ZIELE DER WIRTSCHAFTSPOLITIK
Welche Ziele sollen mit Hilfe volkswirtschaftlicher Erkenntnisse errecht werden?
Nach der Krise der 1930er-Jahre war die Rede vom magischen Dreieck, bestehend aus:
• Vollbeschäftigung
• Preisstabilität
• Aussenwirtschaftlichem Gleichgewicht
Diese drei Ziele sind im Laufe der Zeit um folgende Ziele ergänzt worden:
• Wirtschaftswachstum
• Gerechte Einkommens- und Vermögensverteilung
• Erhaltung und Verbesserung der Umweltqualität
Als magisch werden diese Ziel-Vielecke bezeichnet, weil es schwierig ist, all Ziele gleichzeitig
zu erreichen. Drei Zielbeziehungen können grundsätzlich unterschieden werden:
•
•
•
Zielharmonie = Das Anstreben des einen Zieles
fördert auch das Erreichen eines anderen (z.B.
Wirtschaftswachstum und Vollbeschäftigung).
Zielneutralität = In seltenen Fällen und meistens
nur für eine begrenzte Periode kann ein Ziel
angestrebt werden, ohne dass ein anderes Ziel
direkt tangiert wird (z.B. Preisstabilität und
Umweltqualität).
Zielkonkurrenz = Das Anstreben des einen
Zieles behindert – zumindest kurzfristig – das
Erreichen eines anderen Zieles (z.B.
Preisstabilität und Vollbeschäftigung).
Zielbeziehungen lassen sich aber längst nicht immer unbestritten festlegen. Je nach
wirtschaftlicher Situation ändern sich Schwerpunkte und es könne sogar weiter/ neue Ziele
formuliert werden. Momentan stehen zwei zentrale Fragen im Raum:
1. Wie können wir die Wettbewerbsfähigkeit der schweizerischen Wirtschaft stärken?
2. Wie können wir unsere Standortattraktivität gegenüber dem Ausland steigern?
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Analog zu den individuellen Zielsetzung sind auch die gesamtwirtschaftlichen Zielsetzungen
von Opportunitätskostenüberlegungen und Austauschbeziehungen – in der Fachsprache
„Trade offs“ genannt – geprägt und beeinflussen den Entschied zwischen den verfügbaren
Möglichkeiten: Ein bisschen weniger Arbeitslose gegen ein bisschen weniger Preisstabilität
oder mehr Wachstum gegen ein bisschen weniger Umweltqualität.
Die VWL hat die Aufgabe, wirtschaftliche Vorgänge zu beschreiben, zu erklären, zu
prognostizieren und zielgerichtet zu beeinflussen. Dabei spielen
Opportunitätskostenüberlegungen, Zielkonkurrenzen und Austauschbeziehungen (Trade off)
eine wichtige Rolle.
ANREIZE UND IHRE WIRKUNG
Um zu beeinflussen benötigt man geeignete Instrumente. Solche Instrumente sind die
Werkzeuge, welche den Wirtschaftspolitikern zur Verfügung stehen. Der wirtschaftspolitische
Werkzeugkasten bietet eine grosse Auswahl an; je nach Art des „Defektes“ sind andere
Werkzeuge zur „Reparatur“ geeignet.
(Bsp. aus dem Inventar des Werkzeugkastens: Mehrwertsteuer, internationale
Handelsabkommen, Zinspolitik, Arbeitslosenversicherung, Preisüberwachung, Kartellverbote,
Investitionsprogramme, etc.)
ABER: Der Mensch ist keine Maschine, er lässt sich nicht so einfach steuern. Erinnern wir uns
daran, dass der homo oeconomicus stets aktiv nach seinem eigenen Vorteil strebt, dass er
sehr erfinderisch dabei ist und Hindernissen ausweicht. Das macht ihn zwar gleichzeitig
extrem empfänglich für Anreize, aber seine Handlungsmöglichkeiten sind von einer kaum
erfassbaren Vielfalt.
Deshalb sind regulatorische Eingriffe oft von unerwünschten oder gar kontraproduktiven
Nebeneffekten begleitet (Bsp. als die Sackgebühr eingeführt wurde, Steuererhöhungen).
Mensch ist keine blosse Reiz-Reaktions-Maschine.
Das unermüdliche Streben des homo oeconomicus nach seinem eigenen Vorteil macht ihn
besonders empfänglich für Anreize. Allerdings sind politische Steuerungsversuche immer von
ungewissen Nebeneffekten begleitet.
Vermutlich verfolgen Sie persönlich gerade mehrere Ziele und wollen verschieden Bedürfnisse
befriedigen. Der Entscheid für Ihre jetzige Ausbildung war gleichzeitig ein Entscheid gegen
eine andere Ausbildung oder Tätigkeit. Solche Austauschbeziehungen („Trade offs“) prägen
die ökonomische Wahlhandlung.
Der homo oeconomicus stellt seinen Entscheid jederzeit zur Disposition. Anreize werden
durch Unterschiede gesetzt und Verhaltensänderungen durch Veränderungen dieser
Unterschiede ausgelöst. Grundsätzlich kann jede Einflussgrösse eine Revision eines
Entscheides bewirken, wenn die Veränderung nur genügend gross ist.
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KAPITEL 2 – DIE PREISBILDUNG
DIE NACHFRAGE: GRUNDLAGE DES KAUFENTSCHEIDES
Die nachgefragt Menge eines Gutes wird durch folgende Faktoren bestimmt:
• Der Preis ist für den Kaufentscheid wichtig
• Die Nutzenvorstellung, die man mit einem Gut verbindet
• Das Einkommen, welches einem finanzielle Grenzen setzt
• Die Erwartungen für die Zukunft
Die Nachfrage ist von einer Vielzahl von Einflussgrössen abhängig.
Die Wirkungen der einzelnen Einflussfaktoren können wir nur erkennen, wenn wir sie einzeln
betrachten. Wie arbeiten deshalb mit der Annahme, dass sich nur ein Faktor verändert und
alles andere gleich bleibt. Diese Annahme wird in der ökonomischen Analyse sehr häufig
benutzt, man verwendet dafür den lateinischen Ausdruck „ceteris paribus“.
Betrachten wir zunächst einen der wesentlichsten Einflussfaktoren: den Preis.
Die Frage, die wir uns stellen, lautete also: Wie verändert sich die nachgefragte Menge eines
Gutes, wenn sich der Preis dieses Gutes verändert?
Die Erfahrung zeigt, dass die nachgefragte Menge eines Gutes in der Regel mit sinkendem
Preis – ceteris paribus – zunimmt und umgekehrt mit steigendem Preis abnimmt.
Graphisch kann die Nachfrage in einem Preis-Mengen-Diagramm dargestellt werden.
Die Nachfragekurve zeigt, welche Menge die
Nachfrager zu unterschiedliche Preisen zu kaufen
bereit sind.
Bei P1 ist der Preis so hoch, dass es keine
Nachfrage nach dem Gut mehr gibt.
M1 zeigt die Menge des Gutes, die selbst dann
Überschritten wird, wenn man es geschenkt
Bekäme (=Sättigungsmenge).
Dieses Verhalten leuchtet wohl ein, dennoch wollen wir die Begründung dafür anschauen:
1. Sobald der Preis eines Gutes steigt, sind Sie versucht, dieses Gut durch andere zu
ersetzen (Substitutionseffekt). Zudem werden Sie gezwungen, ihre Ausgabenstruktur zu
überdenken, weil Sie bei steigenden Preisen aber gleich bleibendem Einkommen ein
wenig ärmer werden (Einkommenseffekt).
2. Je mehr man von einem Gut schon besitzt, desto weniger schätzt man eine zusätzliche
Einheit dieses Gutes. Diesen Nutzen, den die zuletzt konsumierte Einheit stiftet, nenn man
Grenznutzen. Da der Grenznutzen eines Gutes bei zunehmender Menge abnimmt, will der
Nachfrager immer weniger dafür bezahlen, je mehr er bereits davon besitzt. Man
bezeichnet diese Tatsache als das erste Gossensche Gesetz: Das Gesetz vom
abnehmenden Grenznutzen.
Der Nachfrager vergleicht also ständig den Preis eines Gutes mit dem Grenznutzen der
jeweiligen Einheit und konsumiert so viel (bzw. so lange) bis der Grenznutzen der letzten
Einheit gerade noch seinem Preis entspricht. Die Nachfragekurve ist deshalb nichts
anderes als die Grenznutzenkurve.
3. Der Preis zeigt immer das Tauschverhältnis von Gütereinheiten. Er gibt an, welche Menge
eines Gutes aufgegeben werden muss, um eine Einheit eines anderen Gutes zu erhalten
(Opportunitätskostenprinzip).
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Güter erhalten also ihren Preis, indem sie auf andere Güter bezogen werden man spricht
deshalb von relativen Preisen.
Solange pro aufgewendeter Geldeinheit der Grenznutzen einer Einheit eines Gutes höher
ist als der eines anderen, erhöht der homo oeconomicus den Grenznutzen durch
Umschichtung der Nachfrage von einem Gut auf ein anderes. Das Maximum ist dann
erreicht, wenn der Grenznutzen pro Geldeinheit in allen Verwendungsrichtungen gleich
gross ist. Dies ist die Aussage des zweiten Gossenschen Gesetzes: Das Gesetz vom
Ausgleich der Grenznutzen.
DIE VERSCHIEBUNG DER NACHFRAGEKURVE
Man unterscheidet zwischen Verschiebungen auf der Kurve und Verschiebungen der Kurve!
Wenn zum Beispiel Autos teurer geworden sind, könnte dies zu einer Rechtsverschiebung der
Nachfragekurve für Motorräder führen. Diese Begründung ist dann zutreffend, wenn man
davon ausgeht, dass Autos durch Motorräder ersetzt werden können.
Güter, mit denen man andere Güter ersetzen kann, nennt man Substitutionsgüter.
Unbestreitbar Substitutionsgüter sind etwa Butter und Margarine, Zucke und künstlicher
Süssstoff, Henniez und Valser.
Wie müssten sich die Preise von Sturzhelmen, Lederkombis und anderen Zubehören
verändert haben, um einen Rechtsverschiebung der Nachfragekurve von Motorrädern zu
bewirken?
Richtig, sie müssten gesunken sein. Bei den angeführten Beispielen handelt es sich um
Komplementärgüter. Als Komplementärgüter bezeichnet man also Güter, die sich ergänzen
und deshalb zusammengehören. Beispiele dafür sind Pfeife und Tabak, Autos und Reifen.
Verwechseln Sie keinesfalls einen Bewegung auf der Nachfragekurve mit einer Verschiebung
der Nachfragekurve. Eine Bewegung auf der Kurve stellt sich dann ein, wenn sich der Preis
verändert, alles andere aber gleich bleibt. Eine Verschiebung der Kurve ergibt sich hingegen,
wenn sich ein anderer Faktor (z.B. das Einkommen) verändert, welcher der Nachfragekurve
zugrunde liegt.
Gründe für einen Rechtsverschiebung:
● Höhere Nutzeneinschätzung
● Steigende Preise von Substitutionsgütern
● Sinkende Preise von Komplementärgütern
● Höheres Einkommen
● Erwartet Preissteigungen
Gründe für eine Linksverschiebung:
● Tiefere Nutzeneinschätzung
● Sinkende Preise von Substitutionsgütern
● Steigende Preise von Komplementärgütern
● Tieferes Einkommen
● Erwartete Preissenkungen
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DAS ANGEBOT: GRUNDLAGE DES VERKAUFENTSCHEIDES
Das Angebot eines Gutes wird durch folgende Faktoren bestimmt:
• Der Preis, welchen man für ein Gut erhält, ist für die Produktionsmenge entscheidend
• Die Kosten der Produktion
• Die Technologie, da sie die Kosten beeinflusst
• Der Staat, durch die Höhe der Steuerlast
WIE VERÄNDERT EIN PRODUZENT SEIN ANGEBOT, WENN SICH DER PREIS DIESES
GUTES VERÄNDERT?
Bevor wir uns dieser Frage stellen, müssen wir einige Vorfragen klären.
Für die Menge des Angebotes spielt – wie bereits festgehalten – der Verlauf der Kosten bei
steigender Produktion eine zentrale Rolle. Um den Kostenverlauf zu erklären, müssen wir
vorerst den Zusammenhang zwischen dem Produktionsergebnis (=Output) und den dafür
erforderlichen Produktionsfaktoren (=Input) ergründen: Wie verändert sich der Output, wenn
ein Inputfaktor – bei Konstanz aller übrigen Inputs – vergrössert wird?
Stellen wir uns einen Landwirt auf einem kleinen Hof ohne Angestellte vor. Seine Produktion
je Arbeitsstunde ist gering, da er viel Zeit für Arbeitswege braucht und auch nicht in allen
Arbeiten gleich geschickt ist. Die Produktionsleistung steigt, wenn er einen zusätzlichen
Arbeiter einstellt. Zu zweit können ihre Arbeit so aufteilen, dass jeder das tut, wofür er am
besten geeignet ist, und dass möglichst wenig Zeit mit Arbeitswegen und der Umstellung von
einer Arbeit auf die andere verloren geht. Die produzierte Menge pro Arbeitsstunde
(=Grenzertrag) steigt deshalb überproportional.
Wie entwickelt sich die Produktion, wenn er 2, 3, 4, … 100 Arbeiter beschäftigt?
Es ist klar, es ist nur eine Frage der Zeit, bis der zusätzliche Angestellte weniger zur
Produktionssteigerung beiträgt als der vorher eingestellte (der Grenzertrag sinkt).
Bei 100 Angestellten kann die Produktion sogar kleiner werden, weil sich die Arbeiter
gegenseitig auf den Füssen stehen.
Dieses Phänomen wird als Ertragsgesetz bezeichnet: Versucht man aus einem begrenzten
Stück Land zusätzliche Erträge durch den zusätzlichen Einsatz von Arbeitskräften zu erzielen,
sinkt der Produktionszuwachs ab einer bestimmten Einsatzmenge und kann sogar negativ
werden.
Ertragsgesetz:
Wird der Einsatz eines Produktionsfaktors bei Konstanz der Menge der übrigen Faktoren
erhöht, so nimmt der Output (Ertrag) zunächst mit steigenden, dann mit fallenden
Grenzerträgen zu, bis schliesslich der Output sinkt, der Grenzertrag also negativ wird.
Abnehmende Grenzerträge machen sich eigentlich auf jedem Gebiet bemerkbar.
Aus dem dargestellten Verlauf des Ertrages lassen sich Kosten ableiten.
Bevor auch nur die eine Einheit eines Gutes hergestellt ist, fallen bereits Kosten an (z.B.
Kapitalzinsen, Miete oder Pacht). Diese Kosten bezeichnet man als Fixkosten. Fix, weil sie
unabhängig von der produzierten Gütermenge anfallen. Diese Kosten sind in der Regel nur im
kurzfristigen Bereich fix. Langfristig können sie sich durchaus verändern, z.B. durch den
Ausbau der Produktionshalle.
Variable Kosten hängen hingegen unmittelbar von der Höhe der Produktionsmenge ab,
Beispiele dafür sind Löhne und Rohmaterialkosten.
Solange im Bereich steigender Grenzerträge produziert wird, wird der Zuwachs der
Totalkosten immer kleiner, die Totalkostenkurve wird also flacher.
Das heisst nichts anderes, als dass die Grenzkosten, die zusätzlichen Kosten je zusätzliche
Einheit, fallen.
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Mit dem Übergang zu abnehmenden Grenzerträgen, beim Wendepunkt der Totalkostenkurve,
beginnen die Grenzkosten zu steigen, die Totalkostenkurve wird steiler.
Steigende Grenzkosten korrespondieren also mit fallenden Grenzerträgen – und umgekehrt.
Wieviel Stück eines Produktes würden sie anbieten, wenn Sie einen Preis von Fr. 400.- für
jedes verkaufte Stück erhalten?
Solange die Stückkosten jedes zusätzlich produzierten Gutes – die Grenzkosten – unter Fr.
400.- liegen, werden Sie soviel verkaufen wollen wie nur möglich. Erst wenn die Grenzkosten
über Fr. 400.- zu stehen kommen, lohnt sich das Angebot nicht mehr.
Steigt der Preis, werden Sie ihre Produktion so lange ausdehnen, bis Ihre Grenzkosten wieder
dem höheren Marktpreis angepasst sind. Denn so lange, wie die zusätzlichen Kosten unter
dem Marktpreis sind, können Sie aus einer zusätzlich verkauften Einheit einen zusätzlichen
Gewinn erzielen.
Sinkt der Preis, bedeutet dies, dass Ihre Grenzkosten beim alten Produktionsniveau grösser
sind als der neue Preis, deshalb werden Sie die Produktion drosseln, bis Preis und
Grenzkosten wieder übereinstimmen.
Die Bedingung für die Gewinnmaximierung heisst also: Preis = Grenzkosten.
Aus den vorhergehenden Überlegungen folgt, dass die Angebotskurve dem steigenden Ast
der Grenzkostenkurve entspricht.
Die angebotene Menge eines Gutes
steigt in der Regel mit steigenden
Preisen und nimmt umgekehrt
bei sinkenden Preisen ab.
Die Angebotskurve zeigt, welche
Mengen die Anbieter zu unterSchiedlichen Preisen zu verkaufen
bereit sind.
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DIE VERSCHIEBUNG DER ANGEBOTSKURVE
Eine Verschiebung der Angebotskurve bedeutet, dass die Anbieter zum selben Preis mehr
(bei einer Rechtsverschiebung) oder weniger (bei einer Linksverschiebung) anbieten als
vorher.
Gründe für einen Rechtsverschiebung:
● Sinkende Faktorkosten (z.B. Zinsen)
● Fortschritte in den Produktionsverfahren
● Positive externe Einflussgrössen
(z.B. gut Weinernte infolge des schönen
Wetters)
● Staatliche, kostensenkende Massnahmen
(z.B. Zollreduktion)
● Erwartete Preissteigerungen
Gründe für eine Linksverschiebung:
● Steigende Faktorkosten (z.B. Löhne)
● Rückschritte in den Produktionsverfahren
● Negative externe Einflussgrössen
(z.B. Produktionsausfall infolge von
Streiks)
● Staatliche, kostensteigernde Massnahmen
(z.B. Steuererhöhungen)
● Erwartete Preissteigerungen
Verwechseln Sie keinesfalls eine Bewegung auf der Angebotskurve mit einer Verschiebung
der Angebotskurve. Eine Bewegung auf der Kurve stellt sich dann ein, wenn sich der Preis
verändert, alles andere aber gleich bleibt.
Eine Verschiebung der Kurve ergibt sich hingegen, wenn sich ein anderer Faktor (z.B. die
Rohstoffkosten) verändert, welcher der Angebotskurve zugrunde liegt.
DIE REAKTION AUF PREIS- UND EINKOMMENSÄNDERUNGEN
Wann sind die Einnahmen am höchsten, bei den „üblichen“ Preisen, bei Preiserhöhungen
oder bei Preissenkungen?
Das Ausmass der Reaktion einer abhängigen Variablen auf die Veränderung einer
unabhängigen Variablen nennt man Elastizität:
Die Elastizität setzt die prozentuale Veränderung einer Grösse (der abhängigen Variablen) ins
Verhältnis zur prozentualen Veränderung einer anderen Grösse (der unabhängigen
Variablen).
Veränderung der abhängigen Variablen in %
Elastizität = --------------------------------------------------------------------------Veränderung der unabhängigen Variablen in %
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Das Elastizitätskonzept ist ganz allgemein auf die Messung der Reaktion einer Grösse infolge
der Veränderung einer anderen Grösse ausgelegt. Es lässt sich auf die verschiedensten
Situationen anwenden, wir wollen im Folgenden drei spezielle Elastizitäten unter die Lupe
nehmen.
DIE REAKTION DES NACHFRAGERS AUF PREISÄNDERUNGEN
Die Preiselastizität der Nachfrage: Sie misst, die relative Änderung der nachgefragten Menge
infolge einer relativen Änderung des Preises:
Veränderung der nachgefragten Menge in %
Preiselastizität der Nachfrage = --------------------------------------------------------------------------Veränderung des Preises in %
Fall 1: Preiselastizität der Nachfrage grösser als Eins
Wir gehen von der folgenden Kurve aus:
Ein Ticket kostet im folgenden Beispiel
40 Fr. Nun berechnen wir die Elastizität
bei einer Preissenkung auf 30 Fr.
50 %
-------------- = - 2
- 25 %
Da die Nachfragekurve negativ geneigt ist,
muss auch die Preiselastizität negativ
sein.
Meistens lässt man allerdings das negative
Vorzeichen weg.
Ist die Elastizität grösser als 1, sprechen
wir von einer elastischen Nachfrage, weil
eine Preisänderung zu einer
überproportionalen Änderung der nachgefragten menge führt.
Das mit „+“ bezeichnet Rechteck, welches der Zunahme der Einnahmen des Fussballvereins
bzw. der Ausgaben der Zuschauer entspricht, ist grösser als das mit „-“ bezeichnete Rechteck,
welches die Abnahme der Einnahmen des Vereins bzw. der Ausgaben der Zuschauer
darstellt.
Fall 2: Preiselastizität der Nachfrage kleiner als Eins
Wir gehen von der folgenden Kurve aus:
Ein Ticket kostet im folgenden Beispiel
20 Fr. Nun berechnen wir die Elastizität bei
einer Preissenkung auf 10 Fr.
25 %
-------------- = - 0.5
- 50 %
Ist die Elastizität kleiner als 1, sprechen wir
von einer unelastischen Nachfrage, weil
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IUR I
eine Änderung des Preises zu einer unterproportionalen Änderung der nachgefragten
Menge führt.
Aus diesen zwei Fällen lässt sich die Erkenntnis ziehen, dass die Preiselastizität bei einer
linearen Nachfragekurve in jedem Punkt unterschiedlich ist. Eine lineare Nachfragekurve hat
zwar überall dieselbe Steigung, aber das Verhältnis von Preis zu Menge ist in jedem Punkt
unterschiedlich.
Nun führen wir noch zwei Extremfälle auf:
• Vollkommen unelastisch nennen wir die Nachfrage, wenn sie überhaupt nicht auf
Preisänderungen reagiert. In diesem Fall verläuft die Nachfragekurve parallel zur
Preisachse. Die Elastizität hat überall den Wert null.
• Das andere Extrem ist die vollkommen elastische Nachfrage. Bei ihr hat die Preiselastizität
den Wert unendlich. Die Nachfragekurve verläuft parallel zur Mengeachse
 WOVON IST DIE PREISELASTIZITÄT DER NACHFRAGE ABHÄNGIG?
1. Die Preiselastizität hängt von der Möglichkeit der Substitution dieses Gutes durch andere
Güter ab: Je mehr Substitute zur Verfügung stehen, desto höher ist die Preiselastizität der
Nachfrage.
2. Sie hängt entscheidend von der Wichtigkeit des Produktes ab: Je wichtiger
(lebensnotwendiger) ein Produkt ist, desto weniger kann und will man darauf verzichten,
desto geringer ist deshalb die Preiselastizität der Nachfrage.
3. Die Elastizität hängt auch vom Anteil der Ausgaben für dieses Gut am Haushaltsbudget
ab: Je geringer dieser Anteil, desto geringer die Preiselastizität.
4. Schliesslich ist der Zeitaspekt von zentraler Bedeutung: Je länger die betrachtete
Zeitperiode, desto höher ist die Preiselastizität der Nachfrage. Der Grund dafür ist, dass
die Suche nach möglichen Substituten eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt.
 WELCHE BEDEUTUNG HAT DIE PREISELASTIZITÄT DER NACHFRAGE?
Die Preiselastizität der Nachfrage ist ein zentraler Faktor für die Preispolitik der
Unternehmungen.
Den richtigen Preis zu setzen, bereitet den Entscheidungsträgern oft grosses Kopfzerbrechen.
Der Preis ist letztlich das Schlüsselinstrument: verlangt das Unternehmen zuviel, laufen die
Kunden weg, verlangt es zu wenig, werden Erträge verschenkt.
DIE REAKTION DES ANBIETERS AUF PREISÄNDERUNGEN
Die Preiselastizität des Angebots misst die relative Änderung der angebotenen Menge infolge
einer relativen Änderung des Preises:
Veränderung der angebotenen Menge in %
Preiselastizität der Angebots = --------------------------------------------------------------------------Veränderung des Preises in %
Bei gut haltbaren, lagerfähigen Produkten (z.B. Konserven) reagiert das Angebot auf
Preisänderungen elastisch (Preiselastizität des Angebots grösser als 1). Ebenso bei Gütern,
die bei Bedarf rasch in beliebiger Menge hergestellt werden können (z.B. Büroklammern).
Je weniger lagerfähig ein Produkt ist (z.B. Erdbeeren) und je weniger sich die Produktion
steuern lässt (z.B. Boden), desto unelastischer ist die Preiselastizität
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IUR I
Im kurzfristigen Fall (z.B. frische Fische an einem bestimmten Tag) kann das Angebot nur
schwer oder gar nicht variiert werden. Die Elastizität ist deshalb Null.
Im langfristigen Fall aber ist nicht nur eine Anpassung des Angebots möglich, sondern auch
der Eintritt oder Austritt von Anbietern. Je länger der Beobachtungszeitraum ist, desto höher
ist deshalb die Elastizität des Angebots.
DIE REAKTION DES NACHFRAGERS AUF EINKOMMENSÄNDERUNGEN
Die Einkommenselastizität der Nachfrage gibt an, um wie viel sich die Nachfrage nach einem
Gut prozentual ändert, wenn sich das Einkommen ändert.
Veränderung der nachgefragten Menge in %
Einkommenselastizität = --------------------------------------------------------------------------Veränderung des Einkommens in %
Dabei können wir grundsätzlich vier Fälle unterscheiden:
1. Einkommenselastizität gleich Null
Bewegt sich die Nachfrage auf Einkommensänderungen überhaupt nicht, dann ist die
Einkommenselastizität gleich Null. Die Nachfrage nach Salz oder nach Toilettenpapier
beispielsweise wird sich bei steigendem oder sinkendem Einkommen kaum verändern.
2. Einkommenselastizität zwischen Null und Eins
Bei „normalen“ Gütern ist die Einkommenselastizität positiv, aber kleiner oder gleich Eins.
Mit steigendem Einkommen steigt zwar auch die Nachfrage, doch bestenfalls im
Verhältnis zur Einkommenssteigerung, z.B. Nahrungsmittel, Bekleidung.
3. Einkommenselastizität grösser als Eins
Bei Luxusgütern ist die Einkommenselastizität grösser als Eins, d.h. die Nachfrage
verändert sich prozentual stärker als das Einkommen. Beispiele für solche Güter sind
Reisen, Schmuck, Gesundheitspflege, Unterhaltung.
4. Einkommenselastizität kleiner als Null
Schliesslich kommt es auch vor, dass mit steigendem Einkommen die Nachfrage nach
einem Gut zurückgeht. Solche Güter nennt man inferiore Güter. Paradebeispiel dafür
sind Grundnahrungsmittel wie Bohnen oder Kartoffeln.
So stark ein Unternehmer im Aufschwung profitieren kann, wenn die Einkommenselastizität
nach seinem Gut höher als Eins ist, so stark leidet er in einer Abschwungphase.
DAS ZUSAMMENWIRKEN VON ANGEBOT UND NACHFRAGE
Nun wollen wir Angebot und Nachfrage zusammenführen.
Das Marktangebot ergibt sich aus der Zusammenfassung aller Angebotskurven derjenigen,
die auf diesem Markt als Anbieter auftreten.
Die Marktnachfrage ist nichts anderes als eine Zusammenfassung aller Nachfragekurven
derjenigen, die auf diesem Markt als Nachfrager auftreten.
MODELL DER VOLLKOMMENEN KONKURRENZ
1. Die angebotenen Güter müssen völlig homogen sein, d.h. die Birnen von verschiedenen
Anbietern sind völlig gleich, sie lassen sich nicht voneinander unterscheiden.
2. Es gibt eine grosse Anzahl von Marktteilnehmern, sowohl auf der Anbieter- als auch auf
der Nachfragerseite. Der einzelne Marktteilnehmer kann mit seinem Verhalten das
Marktgeschehen nicht beeinflussen.
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IUR I
3. Ein freier Zutritt zum Markt ist gewährleistet. Es bestehen also keinerlei
Marktzutrittsbeschränkungen, weder durch administrative noch durch gesetzliche
Hemmnisse.
4. Die Marktteilnehmer sind bezüglich Preisen und Mengen der Güter vollständig informiert.
Die Anbieter können deshalb die identischen Güter nicht zu unterschiedlichen Preisen
verkaufen.
Sind diese 4 Bedingungen erfüllt, bewegen wir uns im Modell der vollkommenen Konkurrenz.
Auf dem Markt treffen zwei Gruppen mit völlig unterschiedlichen Interessenlagen aufeinander:
Die Konsumenten sind an tiefen Preisen interessiert, die Anbieter an möglichst hohen.
Um die Funktionsweise des Marktes zu
verstehen, gehen wir von der Annahme aus,
dass die Anbieter beim Preis P1 für 1kg
Birnen die Menge M2 anbieten.
Beim Preis P1 ist die nachgefragte Menge
M1 kleiner als die angebotene Menge M2.
Die Differenz ist ein Angebotsüberschuss.
Bei diesem Preis übersteigen also die Verkaufswünsche die Kaufwünsche bei weitem.
Die Anbieter finden nicht die gewünschte
Anzahl von Kunden. Die Folge ist, dass sie
auf ihren Birnen sitzen bleiben. Deshalb
werden sie die Preise senken.
Da die Anbieter beim Preis P2 bloss die
Menge M1 anbieten, können die Konsumenten
nicht soviel kaufen, wie sie beim Preis P2 gerne möchten (nämlich die Menge M2). Die
Verkäufer bieten zu diesem Preis nur die Menge M1 an. Die Differenz ist ein Nachfrageüberschuss. Die Nachfrager werden sich bei dieser Situation die Birnen „aus den Händen reissen“
und den Verkäufern höhere Preise bieten. So wird der Preis und dadurch auch die
angebotene Menge wieder steigen.
Sowohl bei P1 und P2 entsteht somit eine Situation, in der die angebotene Menge nicht der
nachgefragten Menge entspricht.
Nur im Schnittpunkt von Angebots- und Nachfragekurve ist diese Bedingung erfüllt. Als
Ergebnis des Preismechanismus ergibt sich der Preis P3 und die Menge M3. Der Schnittpunkt
von Angebots- und Nachfragekurve wird deshalb als Marktgleichgewicht bezeichnet.
Hier gehen alle Pläne in Erfüllung: Die von den Nachfragern gewünschte Kaufmenge
entspricht der von den Anbietern gewünschten Verkaufsmenge.
Das Entscheidende am Gleichgewichtskonzept ist die Tendenz zum Marktgleichgewicht. Dank
dieser Tendenz lassen sich Vorhersagen über künftige Preis- und Mengenentwicklungen
treffen.
Die Bedingungen der vollkommenen Konkurrenz sind tatsächlich in Wirklichkeit selten erfüllt.
Die grundsätzliche Funktionsweise des Marktmechanismus weicht aber bei nur teilweisem
Vorliegen der einen oder anderen Bedingung nicht wesentlich von den Modellaussagen der
vollkommenen Konkurrenz ab.
Je weniger die Bedingungen allerdings erfüllt sind, desto weniger können auch die Vorteile
des Marktes zum Tragen kommen.
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IUR I
Bei der Analyse der Auswirkungen eines Ereignisses auf das Marktgleichgewicht ist gemäss
folgenden 3 Schritten vorzugehen:
Vorgehen bei der Analyse von Marktveränderungen:
1. Entscheiden Sie, ob das Ereignis die Nachfragekurve, die Angebotskurve oder allenfalls
beider Kurven verschiebt.
2. Entscheiden Sie, in welcher Richtung sich die entsprechende Kurve verschiebt.
3. Untersuchen Sie die Wirkungen der Verschiebungen im Diagramm auf den
Gleichgewichtspreis und die Gleichgewichtsmenge.
ANWENDUNGSBEISPIELE
BEISPIEL 1
Was passiert auf dem Markt für Mountainbikes, wenn die Nachfrage aufgrund von höheren
Wertschätzungen der Konsumenten, ceteris paribus, steigt?
Wenn die Nachfrage steigt, verschiebt sich
die Nachfragkurve nach rechts und es
entsteht kurzfristig ein Nachfrageüberschuss.
Deshalb werden die Anbieter sowohl die Preise
als auch ihre Produktionsmenge erhöhen.
BEISPIEL 2
Wovon hängt es ab, ob durch eine 20%-ige Steuererhöhung auf Benzin der Benzinverbrauch
wenig oder stark zurückgeht? Wer trägt die Steuer?
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IUR I
Durch die Steuererhöhung (S) verschiebt sich die Angebotskurve nach links. Natürlich ist die
Reaktion der Benzinnachfrager auf die Erhöhung des Benzinpreises entscheidend.
Ist ihre Preiselastizität hoch, dann sind sie bereit auf Substitute, wie z.B. auf Elektroautos, auf
Velos oder auf die eigenen Füsse umzusteigen.
Ist hingegen ihre Preiselastizität der Nachfrager klein, werden sie trotz des höheren
Benzinpreises ihren Verbrauch nur geringfügig einschränken.
Durch die Steuer steigt der Preis von P1 auf P2. Der Preis, der den Anbietern nach Abzug der
Steuern übrig bleibt, sinkt von P1 auf P3. Die der elastischen Nachfrage tragen die Anbieter
den grössten Teil der Steuerlast; bei der unelastischen Nachfrage kann die Steuer zum
grössten Teil auf die Nachfrager überwälzt werden.
(Auch die Elastizität des Angebots ist für die Steuerüberwälzung entscheidend:
Die Steuerüberwälzung ist umso grösser, je preiselastischer das Angebot ist.)
BEISPIEL 3
Um den Bauern ein höheres Einkommen zu ermöglichen, garantiert der Staat den Bauern
Mindestpreise. Was sind die Folgen?
Der staatliche Mindestpreis ist selbstverständlich
höher als der Gleichgewichtspreis.
Als Folge davon entsteht ein Angebotsüberschuss.
Wie kann der Staat auf diesen Angebotsüberschuss reagieren?
1. Er kauft den Angebotsüberschuss (Menge A-B),
verkauft ihn zu Billigstpreisen auf ausländischen
Märkten, verschenkt oder vernichtet ihn
notfalls. (Der Steuerzahler bezahlt im Endeffekt)
2. Der Staat zahlt Preissubventionen (C-D).
Staat zahlt Bauern Mindestpreis, verlangt aber
von Konsumenten den Preis, zu dem die
Milchmenge abgesetzt werden kann.
Differenz Konsumentenpreis (E) – Mindestpreis
bezahlt der Steuerzahler.
3. Der Staat führt eine Milchkontingentierung ein.
Bauern dürfen nur so viel produzieren, wie die Konsumente zum Mindestpreis zu kaufen
bereit sind (Menge A). Dadurch wird, je nach Preiselastizität der Nachfrage, das
ursprüngliche Ziel Einkommenserhöhung verfehlt. Belastet wird der Milchkonsument.
BEISPIEL 4
Adam Smith, der Vater der Volkswirtschaftslehre hat in seinem Buch „Wohlstand der
Nationen“, das „Wasser-Diamanten-Paradoxon“ festgehalten, aber niemals ganz lösen
können. Helfen Sie dem Altmeister auf die Sprünge:
„Nichts ist nützlicher als Wasser, und doch lässt sich damit kaum etwas kaufen oder
eintauschen. Dagegen besitzt ein Diamant kaum einen Gebrauchswert, doch kann man oft im
Tausch dafür eine Menge anderer Güter bekommen“
Warum ist also Wasser so billig und sind Diamanten so teuer?
Weil Diamanten knapp sind und Wasser reichlich vorhanden ist, werden sie jetzt antworten.
Das ist auch richtig, aber die Nutzenvorstellungen sind doch mitentscheidend für den Preis,
und der Nutzen von Wasser ist doch sehr viel höher als der von Diamanten.
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IUR I
Was antworten Sie darauf?
Der Gesamtnutzen des Wassers bestimmt weder den Preis noch die Nachfrage. Lediglich der
Grenznutzen ist entscheidend. Wenn nämlich der Preis – wie Sie wissen – über dem
Grenznutzen liegt, kann diese letzte Mengeneinheit nicht verkauft werden. Deshalb muss der
Preis soweit sinken, bis er den Grenznutzen der letzten Wassereinheit erreicht.
KOSTEN- UND GEWINNTHEORIE
Nun wollen wir den Zusammenhang zwischen Kosten und Gewinn veranschaulichen und
zugleich vertiefen.
Solange im Bereich steigender Grenzerträge produziert wird, wird die Totalkostenkurve
flacher. Das wiederum bedeutet, dass die Grenzkosten fallen. Auch die totalen
Durchschnittskosten oder totalen Stückkosten (=Totale Kosten pro hergestellte Einheit) fallen.
Beim Wendepunkt der Totalkostenkurve beginnen die Grenzkosten zu steigen, die
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IUR I
Totalkostenkurve wird steiler. Die totale Durchschnittskostenkurve sinkt solange weiter, als der
letzte Kostenzuwachs kleiner ist als der Durchschnitt aller vorherigen. Wenn die Grenzkosten
grösser werden als die Durchschnittskosten, beginnen auch diese zu steigen.
Liegt der Preis gerade beim Minimum der Durchschnittskosten, entsteht weder Gewinn noch
Verlust. Man bezeichnet diesen Punkt deshalb als Gewinnschwelle oder Break-even-point.
Die Kurve der variablen Durchschnittskosten verläuft weiter unter der totalen
Durchschnittskostenkurve, weil bei ihr ja die fixen Kosten nicht enthalten sind. Liegt der Preis
zwischen dem Minimum der variablen Durchschnittskosten und dem Minimum der totalen
Durchschnittskostenkurve, macht der Anbieter zwar einen Verlust, den er aber minimiert, weil
der Preis dazu beiträgt, einen Teil der fixen Kosten zu decken. Liegt der Preis allerdings unter
dem Minimum der variablen Kosten, wird der Unternehmer auf ein Angebot verzichten, weil
dieser Preis nicht einmal die variablen Stückkosten deckt. Deshalb wird das Minimum der
variablen Kosten als Betriebsminimum bezeichnet.
PREISBILDUNG BEIM MONOPOL
WIE VERÄNDERT SICH DIE PREISBILDUNG, WENN IS IM EXTREMFALL NUR EINEN
ANBIETER – EIN ANGEBOTSMONOPOL – GIBT?
In Bezug auf die Kostenkurve gibt es keinen Unterschied zu den bisherigen Ausführungen.
Anders sieht es jedoch auf der Absatzseite aus.
Bei vollkommener Konkurrenz hat die einzelne Unternehmung keinerlei Möglichkeiten, die
Marktsituation zu beeinflussen. Sie hat keinen Einfluss auf den Preis. Der Erlös einer
zusätzlich verkauften Einheit (= Grenzerlös) ist konstant und entspricht dem Preis. Deshalb
haben wir das Optimum bei vollkommener Konkurrenz auch dort festgelegt, wo die
Grenzkosten gleich hoch sind wie der Preis.
Der Monopolist aber kann die Marktsituation sehr wohl beeinflussen: Dehnt er sein Angebot
aus, so muss er die Preise senken, weil er sonst auf einem Teil seiner Ware sitzen bleibt.
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IUR I
Der Erlös einer zusätzlich verkauften Einheit (= Grenzerlös) ist also nicht gleich dem Preis,
weil er die bisher abgesetzte Menge in Zukunft ebenfalls zum tieferen Preis verkaufen muss.
Die Folge ist, dass der Grenzerlös beim Monopolisten geringer ist als der Preis.
Folgendes Zahlenbeispiel soll dies verdeutlichen:
Nachgefragte
Menge
0
1
2
3
4
5
6
Preis
Gesamterlös
Grenzerlös
500
450
400
350
300
250
200
0
450
800
1050
1200
1250
1200
--450
350
250
150
50
- 50
Welches Verhalten ist für den Monopolisten gewinnmaximierend?
Solange der Grenzerlöse über den Grenzkosten liegt, lohnt sich ein zusätzlicher Verkauft. Erst
wenn der zusätzliche Erlös gleich hoch ist wie die zusätzlichen Kosten, kann er seinen
Gewinn nicht mehr steigern.
Die Bedingung für die Gewinnmaximierung des Monopolisten lautet deshalb:
Grenzerlös = Grenzkosten.
Halten wir diese Zusammenhänge grafisch fest, dann zeigt sich, dass der Monopolist die
optimale Menge (Schnittpunkt der Grenzkostenkurve mit der Grenzerlöskurve) zu dem Preis
verkaufen kann, wie er sich auf der Nachfragekurve ergibt. In Erinnerung an A. Cournot, dem
Schöpfer der Monopolpreistheorie, wird dieser Punkt Cournotscher Punkt genannt.
WELCHES SIND DIE UTNERSCHIEDE DER PREISBILDUNG BEIM MONOPOL UND IM
VERGLEICH ZUR VOLLKOMMENEN KONKURRENZ?
Um beider Situationen vergleiche zu können, müssen wir von gleichen Kostenstrukturen
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IUR I
ausgehen. Wir nehmen also an, dass die zusammengefasste Grenzkostenkurve der Anbieter
bei vollständiger Konkurrenz der Grenzkostenkurve des Monopolisten entspricht.
Bei vollständiger Konkurrenz würde der Preis P1 und die Menge M1 dem Marktgleichgewicht
entsprechen. Bei diesem Preis und dieser Menge schneiden sich die Nachfrage- und
Angebotskurve (die Angebotskurve entspricht ja der Grenzkostenkurve).
Das Gleichgewicht im Monopol (z.B. wenn sich alle Anbieter zu einer grossen Unternehmung
zusammenschliessen würden) wird aber durch den Schnittpunkt der Grenzerlöskurve mit der
Grenzkostenkurve bestimmt. Dadurch ergibt sich der Preis P2 und die Menge M2. Bei
vollkommener Konkurrenz wird also eine grössere Menge zu einem niedrigeren Preis auf dem
Markt umgesetzt als bei der Monopolsituation.
Was für Monopole gilt, gilt auch für Kartelle:
Die Einkommensumverteilung ändert sich zu Gunsten der Kartell – Unternehmung und zu
Lasten der Konsumenten.
DIE REALITÄT: EINE VIELZAHL VON MARKTFORMEN
Während die Analyse der Preisbildung bei den bisher gesehenen beiden Marktformen relativ
einfach war, ist sie bei vielen anderen Marktformen viel komplizierter und in einigen Fällen
überhaupt nicht möglich.
Dabei hat das wirtschaftliche Leben eine Vielzahl von Marktformen entstehen lassen, deren
Grenzen untereinander teilweise fliessend sind.
Folgend nun ein Überblick über die wichtigsten Marktformen ohne aber auf das Verhalten von
Anbietern und Nachfragern bei diesen unterschiedlichen Marktbedingungen einzugehen.
Eine erste Abweichung von den Bedingungen der vollkommenen Konkurrenz bezieht sich auf
die Anzahl von Anbietern und Nachfragern. Dieses Kriterium ist für die Einteilung von
Marktformen denn auch das am häufigsten verwendete.
Gestützt auf dieses Kriterium ergibt sich folgender Überblick:
Nachfrager
Viele
Wenige
Viele
Polypol
(Vollkommene Konkurrenz)
Nachfrageoligopol
Einer
Nachfragemonopol
Anbieter
Wenige
Angebotsoligopol
Zweiseitiges
(bilaterales) Oligopol
Nachfragemonopol
und Angebotsoligopol
Einer
Angebotsmonopol
Angebotsmonopol
und
Nachfrageoligopol
Zweiseitiges
(bilaterales) Monopol
Reine Monopole sind genau so selten zu finden wie die vollkommene Konkurrenz. Meist sind
es Monopole der öffentlichen Hand.
Eine sehr häufig vorkommende Marktform ist das (Angebots-)Oligopol. Beispiele für diese
Marktform sind Automobile bestimmter Klassen, Zigaretten, Schokolade, Mineralöl,
Waschmittel, Computer.
Eine weitere Abweichung von den Bedingungen der vollkommenen Konkurrenz, die Ihnen
möglicherweise beim Birnen-Beispiel auch durch den Kopf gegangen ist, bezieht sich auf die
getroffene Annahme der homogenen Güter. Bei der überwiegenden Mehrzahl der Güter
besteht durchaus die Möglichkeit von Produktdifferenzierung, der Abgrenzung des eigenen
Produktes von denjenigen der Konkurrenz. Der Wettbewerb unter den Marktkonkurrenten
wandelt sich vom Preis- zum Differenzierungswettbewerb.
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IUR I
Es gibt nur ein Unternehmen, dass Coca Cola herstellt, dennoch betrachten die Nachfrager
die verschiedenen Getränkemarken in einem bestimmten Ausmass als Substitute.
Der Coca-Cola Produzent ist aber insofern monopolistisch, als er durch sein differenziertes
Produkt einen begrenzten „monopolistischen“ Spielraum hat, des es ihm erlaubt, seinen
eigenen Preis zu setzen (wie beim Monopol); er muss den Marktpreis also nicht passiv (wie
bei vollkommener Konkurrenz) akzeptieren. Andererseits steht Coca-Cola hinsichtlich Preis
und Produkt mit anderen Getränkeanbietern im Wettbewerb um die Kunden (wie bei der
Konkurrenz). Deshalb sind die Grenzen für die eigene Preisfestsetzung doch recht eng.
Da ein solcher Markt durch Elemente des Monopols als auch der Konkurrenz gekennzeichnet
ist, wird für diese Marktform der Begriff der monopolistischen Konkurrenz verwendet. Die
monopolistische Konkurrenz ist wahrscheinliche die vorherrschende Marktform.
In den Marktformen kommt auch die Dynamik der Wirtschaft zum Vorschein. Kommt ein
neues Produkt auf den Markt, tritt diese Unternehmung vorerst als Monopolist auf und
erweitert die Wahlmöglichkeit der Haushalte, die darüber entscheiden, ob dieses neue
Produkt zum Erfolg oder zum Flop wird. Die Konkurrenz der Unternehmungen um die
Nachfrage der Haushalte wird jedenfalls verstärkt.
Trifft das Produkt die Bedürfnisse der Nachfrager, werden bald neuen Unternehmer mit
ähnlichen Produkten auf den Markt kommen – es entsteht eine monopolistische Konkurrenz,
die Preise der neuen Produkte und die der Substitutionsgüter als auch die Gewinne des
Pionierunternehmens sinken. Einzelne Unternehmungen, vor allem diejenigen, die nach wie
vor „alte“ Produkte anbieten, erleiden Verluste und verschwinden vom Markt.
Unter den verbleibenden Unternehmungen herrscht aufgrund des grossen Wettbewerbs ein
Rationalisierungsdruck. Als Folge davon, kann sich die Marktform des Oligopols bilden, bei
welcher nur wenige Anbieter um Marktanteile kämpfen und mit laufend neuen Angeboten die
Mitbewerber auszuboten versuchen.
Diese Überlegungen zeigen, dass der innovative Unternehmer in der Dynamik der Wirtschaft
eine Schlüsselrolle einnimmt, indem er ständig nach neuen Produkten und kostengünstigen
Produktionsmethoden sucht.
Zur Freude der Haushalte: Sinkende Preise steigern ihr Realeinkommen und neue Produkte
erhöhen ihre Wahlmöglichkeiten.
Die Bedingungen der vollkommenen Konkurrenz und des Monopols sind in Wirklichkeit selten
erfüllt. Die am häufigsten anzutreffenden Marktformen sind das Oligopol und die
monopolistische Konkurrenz. Innovative Unternehmer sind die Schlüsselfaktoren für die
Dynamik der Wirtschaft und des Wettbewerbs.
Die grundsätzliche Funktionsweise des Preismechanismus weicht aber bei nur teilweisem
Vorliegen der einen oder anderen Bedingung nicht wesentlich von den Modellaussagen der
vollkommenen Konkurrenz ab. Je weniger die Bedingungen allerdings erfüllt sind, desto
weniger können auch die Vorteile des Marktes zum Tragen kommen.
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IUR I
KAPITEL 3 – DIE MARKTWIRTSCHAFT
WIE FUNTIONIERT DIE MARKTWIRTSCHAFT?
Man muss sich darüber im Klaren sein, wie genau die drei zentralen Fragen in einer VW
entschieden wird:
• Was soll produziert werden?
• Wie soll produziert werden?
• Für wen soll produziert werden?
Das Wirtschaftssystem ist jeweils der Versuch einer Gemeinschaft, auf diese Frage eine
Antwort zu geben. Auf den Märkten werden die drei zentralen Probleme der wirtschaftlichen
Ordnung gelöst.
Der Markt ist ein Verfahren, bei dem durch das Zusammenwirken von Anbietern und
Nachfragern Entscheidungen über den Preis und die Menge von Gütern und
Produktionsfaktoren getroffen werden.
MARKT- UND PREISFUNKTIONEN
• In einer Marktwirtschaft sorgt der Preismechanismus dafür, dass die Anbieter diejenigen
Güter herstellen, welche die Konsumenten wünschen. Preise sind somit wichtige
Informationsträger, die dem Anbieter signalisieren, ob es sich lohnt und wie viel es sich
lohnt, von einem bestimmten Gut herzustellen. Preise zeigen also, in welcher
Verwendungsrichtung die Mittel den höchsten Nutzen bzw. Ertrag bringen.
• Preise übernehmen aber auch eine wichtige Steuerungs- oder Allokationsfunktion. Dies
bezeichnet die Zuweisung der verfügbaren Mittel an die Herstellung bestimmter Güter. Mit
der Allokation der Mittel wird darüber entschieden, welche Güter in welchen Verfahren und
mit welchen Produktionsmitteln wo und wann hergestellt werden. Der Markt- und
Preismechanismus löst dieses Allokationsproblem in der Weise, dass die knappen Mittel
(Produktionsfaktoren) dorthin gelenkt werden, wo die Verwendung am dringendsten ist.
Relativ hohe Preise zeigen hohe Knappheit an, deshalb werden die zur Produktion dieser
Güter benötigten Technologien entwickelt, die Produktionsmittel umgelenkt und letztlich die
Knappheit entschärft. Diese Mechanismen verbürgen die grosse Dynamik und
Leistungsfähigkeit des marktwirtschaftlichen Systems. Weil der homo oeconomicus stets
um den bestmöglichen Einsatz seiner Mittel bemüht ist, zeichnet sich dich Marktwirtschaft
über einen hohen Grad an Effizienz aus.
Die Marktwirtschaft sorgt für die effiziente Allokation der Ressourcen: Die vorhandenen
Mittel werden in ihrer produktivsten Verwendung eingesetzt, so dass das Gesamtprodukt
maximiert wird; es kann durch keine Umverteilung gesteigert werden.
• In der Marktwirtschaft wird auch die sehr wichtige Funktion der Koordination vom Marktund Preismechanismus übernommen. Der Preis- und Marktmechanismus koordiniert die
Pläne von Millionen Individuen, ohne dass Institutionen mit grosser Bürokratie benötigt
werden, die enorme Mittel verschlingen.
Darüber WAS produziert wird, entscheiden also die Frankenstimmen der Konsumenten. WIE
Güter produziert werden, entscheidet das Markt- und Preissystem.
Für WEN die Güter produziert werden, wird auf den Märkten für Produktionsfaktoren
entschieden. Angebot und Nachfrage auf diesen Märkten bestimmen die Löhne, die Zinsen
und die Gewinne. Sie sind verantwortlich für die Höhe der Einkommen und bestimmen somit
die Kaufkraft der einzelnen Nachfrage an den Gütermärkten.
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DAS MARKTERGEBNIS
Der marktwirtschaftliche Anreizmechanismus führt unablässig zur Suche nach neuen
Produkten, besseren Technologien, neuen Ressourcen und nach Wegen zur effizienteren
Nutzung von bestehenden Ressourcen.
Daraus folgt, dass nicht nur die Verkäufer einen Gewinn erwirtschaften, sonder dass auch der
Nutzen der Käufer erhöht wird.
Ein System, das von selbst relative Knappheiten und Überschüsse anzeigt und eine
„unsichtbare Hand“, welche die Handlungen der Individuen derart lenkt, dass der Nutzen aller
maximiert wird. Diese Metapher von der unsichtbaren Hand geht auf ADAM SMITH zurück.
Vereinfacht wiedergegeben, lautet sie:
Die „unsichtbare Hand“ von Adam Smith:
Jedes Individuum wird bei der Verfolgung seines eigenen Vorteils von einer unsichtbaren
Hand geleitet, die gewährleistet, dass das grösstmögliche Wohl aller erreicht wird, obwohl
keiner der Handelnden dies bezweckt:
Um einen optimalen Gewinn zu erzielen, bietet jeder Produzent das an, was der Konsument
kaufen will; durch den Kauf steigert der Konsument wiederum seinen eigenen Nutzen. Die
Maximierung des Eigennutzens maximiert so auch das gesellschaftliche Wohl.
Dieses gesellschaftliche Optimum ist eine unbeabsichtigte Folge der individuellen
Handlungen, die durch den Marktmechanismus – die unsichtbare Hand – aufeinander
abgestimmt werden. Die relevanten Informationen dazu liefert das Preissystem, indes es
relative Knappheiten und Überschüsse signalisiert.
EXKURS:
„IRRATIONALE BÖRSE?“
Die Fehlleistungen am Markt sind eklatant!!!
Nokia: Gestern, heute und morgen die gleiche Firma, obwohl der Aktienkurs fällt und steigt
wie noch nie. Wenn das nicht irrational ist!
Eben gerade nicht. Darin besteht das grosse Andererseits, das leider nur von wenigen
verstanden wird: Der Marktmechanismus ist ein Prozess, bei dem der Fehler Prinzip ist. Jeder
am Markt zustande gekommene Kurs birgt den Irrtum in sich. Er erweist sich im nächsten
Moment als falsch.
Der Allokationsprozess über die Finanzmärkte ist auf totale Dynamik angelegt. Das
immanente dauernde Überprüfen der millionenfachen individuellen Positionen führt zu
Gleichgewichtszuständen, welche die gegenwärtige, aggregierte Meinung zu so
verschiedenen Sachverhalten wie der amerikanischen Geldpolitik, den Aussichten in der Gentechnik und der Befindlichkeit des Herrn Schremp von DaimlerChrysler wiedergeben.
Wenn hingegen der Wissensstand, die Meinungen und die Gefühle weit auseinander liegen
und erst noch durcheinander gewirbelt werden, dann erschallt der „Casino-Vorwurf“.
Dafür dass das Kapital am richtigen Ort platziert wird, sorgt weltweit die Kraft und die Macht
des Marktmechanismus. Die intellektuelle Nichtbewältigung der Allokationsfrage ist
bekanntermassen die Hauptschwäche kollektivistischer Anschauungen.
MARKTVERSAGEN
Die Koordination und Allokation durch den Marktmechanismus kann unter bestimmten
Bedingungen unvollkommen sein und zu gesellschaftlich unerwünschten Nebeneffekten
führen. Diese Fälle werden als Marktversagen bezeichnet.
Einige Beispiele, in denen der raffinierte Allokationsmechanismus des Marktes versagt, wollen
wir nun betrachten.
• MARKTVERSAGEN BEI WETTBEWERBSBESCHRÄNKUNGEN
Der vollkommene Wettbewerb setzt eine so grosse Zahl von Anbietern voraus, dass kein
Unternehmen den Preis eines Gutes beeinflussen kann. Eine Möglichkeit dem
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IUR I
unbequemen Leistungswettbewerb auszuweichen, ist die Beschränkung des Wettbewerbs.
Ständig sind deshalb Tendenzen zur Einschränkung oder Aufhebung des Wettbewerbs am
Werk. Auch hier zeigt sich die Findigkeit des homo oeconomicus:
So werden durch Zölle, Einfuhrkontingente, Monopole usw. zahlreiche
Wettbewerbseinschränkungen erstellt.
Dadurch werden künstliche Knappheiten geschaffen, die es den Anbietern ermöglichen,
überdurchschnittliche Profite zu erzielen. Die Einschränkung des Wettbewerbs ist oft der
einfachere Weg sich Gewinne zu sichern als durch die Steigerung der eigenen Leistungsfähigkeit. Der Ökonom spricht in diesen Fällen von „rent seeking“ – von der Suche nach
unverdientem Einkommen – mit beträchtlicher Verschwendung von Ressourcen als dessen
Folge.
• MARKTVERSAGEN BEI ÖFFENTLICHEN GÜTERN
Ein weiterer Fall von Marktversagen liegt dann vor, wenn es Güter gibt, die von privater
Seite nicht angeboten werden, obwohl eine kaufkräftige Nachfrage vorhanden ist. Gibt es
Güter, die ohne den Staat nicht produziert werden würden?
Für den Anreiz, ein Gut privat zu produzieren und zu verkaufen, muss es möglich sein, das
Recht auf den Konsum dieses Gutes auf bestimmte Personen zu beschränken.
Funktioniert dieses Ausschlussprinzip nicht, sind die einzelnen Nachfrager nicht bereit,
dafür einen Preis zu bezahlen. Deshalb finden sich für solche Güter auch keine Anbieter.
Wenn die Nutzung eines Gutes durch ein Individuum die Nutzung durch jemand anderen
nicht beeinträchtigt (Nicht-Rivalität im Konsum), ist ebenfalls niemand bereit, für dieses Gut
einen Preis zu bezahlen.
Funktioniert bei einem Gut sowohl das Ausschlussprinzip als auch die Rivalität im Konsum
nicht, spricht man von öffentlichen oder Kollektivgütern. Die einzelnen Nachfrager
können sich bei öffentlichen Gütern wie Trittbrettfahrer verhalten.
Beispiele für öffentliche Güter: öffentliche Sicherheit, Landesverteidigung,
Strassenbeleuchtung, Stadtparks…
Auch die Umwelt hat in vielen Bereichen den Charakter eines öffentlichen Gutes.
Weil bei öffentlichen Gütern alle die „freerider-Haltung“ wählen, kommt es gar nicht zur
Nachfrage und damit zur Produktion solcher Güter.
Der Markt versagt offensichtlich: Güter, deren Produktion alle besser stellen würde, werden
nicht produziert; der Markt sorgt nicht dafür, dass die entsprechenden Bedürfnisse
befriedigt werden.
• MARKTVERSAGEN BEI EXTERNEN EFFEKTEN
Marktversagen tritt auch dann auf, wenn nicht alle Koste, die bei der Produktion anfallen,
vom Verursacher getragen werden. Weil diese Kosten auf Aussenstehende überwälzt
werden, spricht man in solchen Fällen von externen Kosten.
Verursacht die Produktion oder der Konsum externe Kosten, versagt der Markt: Solche
Güter werden in zu grosser Menge hergestellt oder konsumiert, weil in die Kalkulation und
Nutzenoptimierung zu tiefe Kosten eingehen.
Umgekehrt gibt es auch Fälle, wo die Produktion eines Gutes externen Nutzen stiftet.
Private Gärten beispielsweise absorbieren Abgase, oder die sanfte Renovierung eines alten
Hauses verschönert das Dorfbild und erfreut alle Betrachter.
Weil auch hier das Ausschlussprinzip nicht funktioniert, ist niemand bereit, einen dem
Nutzen entsprechenden Preis zu zahlen. Die Konsequenz daraus ist, dass zu wenig Güter
mit externem Nutzen produziert werden.
Aufgrund externer Effekte kann der Marktmechanismus die optimale Allokation der
Produktionsfaktoren nicht gewährleisten, weil sie sich nicht in den Kosten bzw. in den
Preisen widerspiegeln.
• MEKRTVERSAGEN BEI ASSYMETRISCHER INFORMATION
Im Modell der vollkommenen Konkurrenz verfügen sämtliche Marktteilnehmer über eine
lückenlose Information bezügliche qualitativer Eigenschaften der Produkte, der Nutzen und
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IUR I
des Verhaltens der Tauschpartner. In der Realität haben die Marktteilnehmer aber oft
Informationsdefizite, die zu einem Marktversagen führen.
„Frau Doktor, muss ich Sie wegen meiner Knieverletzung nochmals konsultieren?“
„Herr Garagist, braucht mein Auto tatsächlich einen neuen Auspuff?“
Hier haben die Befragten den Anreiz, Ihnen jene Antwort zu geben, die ihnen zusätzliche
Einkommen ermöglicht. Für Sie ist es so oder so schwierig, die Antwort zu prüfen, weil die
Informationen sehr ungleich – eben asymmetrisch – verteilt sind.
Hat ein Tauschpartner die Möglichkeit und den Anreiz Kosten auf den anderen
Tauschpartner zu überwälzen, liegt ein moral-hazard Problem vor (moralisches Risiko).
Solche Probleme ergeben sich insbesondere bei Versicherungsverträgen. Die Prämien für
die Versicherung müssen das durchschnittliche Risiko abdecken. Versicherungsnehmer mit
tiefem Risiko subventionieren deshalb solche mit hohem Risiko. Die Versicherung hat so
genau jene Kunden, die sie eigentlich nicht möchte, nämlich jene, die eine hohe
Wahrscheinlichkeit eines Schadenfalls aufweisen (denn jene die keinen Schadenfall
erwarten, werden sich auch nicht versichern). Deshalb wird die Versicherung die Prämien
erhöhen müssen, was wiederum zu Kündigungen von „guten“ Kunden mit tiefem Risiko
führt. Dieses Problem bezeichnet man mit adverse selection (falsche Auslese), weil nicht
die „guten“ Teilnehmer im Markt verbleiben, sondern gerade die „schlechten“.
In allen Fällen, bei denen die eine Vertragspartei mehr weiss als die andere, findet eine
falsche Auslese (adverse selection) unter den Marktteilnehmern statt und erzeugt
ineffiziente Ergebnisse.
DIE ROLLE DES STAATES: FESTLEGEN VON SPIELREGELN
In den Fällen wo Markversagen auftritt, ist der Ruf nach dem Staat nahe liegend. Die wohl
wichtigste Aufgabe des Staates ist aber die Schaffung von Voraussetzungen, ohne die eine
Marktwirtschaft überhaupt nicht funktionieren kann.
SCHAFFUNG VON VORAUSSETZUNGEN ZUR FUNKTION DER MARKTWIRTSCHAFT
Folgende Voraussetzungen müssen zum funktionieren der Marktwirtschaft erfüllt sein:
• Privateigentum an möglichst allen Gütern muss gewährleistet sein
• Marktwirtschaft entsteht nur, wenn Vertragsfreiheit und Rechtssicherheit besteht.
• Auf den Märkten darf es keine Zutrittsbeschränkungen geben. Diese Bedingungen erlauben
eine möglichst hohe Anzahl von Anbietern (und Nachfragern), die echten Wettbewerb
garantieren und sich durch Preisreduktionen solange zu unterbieten versuchen, bis der
Marktpreis den Grenzkosten entspricht.
• Eng verbunden mit offenen Märkten ist die Aufgabe des Staates zur Sicherung des Wettbewerbs. Kartelle müssen verboten und ungerechtfertigte Monopole verhindert werden.
Mit den Voraussetzungen 3. und 4. haben wir bereits die zweite Rolle des Staates in der
Marktwirtschaft tangiert:
VERHINDERN VON MARKTVERSAGEN
• Um ein Marktversagen aufgrund von Wettbewerbsbeschränkungen zu verhindern, gilt es für
offene Märkte zu sorgen und Wettbewerbshindernisse aller Art abzubauen.
• Damit die Gesellschaft auch in den Genuss von öffentlichen Gütern kommt, muss der Staat
sie bereitstellen oder zumindest an ihrer Bereitstellung mitwirken.
• Auch bei externen Effekten muss der Staat eingreifen, um ein unerwünschtes
Marktergebnis zu verhindern. Üblicherweise geschieht dies direkt durch Verbote und
Normen.
Durch die Internalisierung externer Effekte können sich die Marktfunktionen entfalten,
wodurch ein effizienter Umgang mit knappen Ressourcen sichergestellt wird.
• Dem Marktversagen bei asymmetrischer Information wird mit verschiedenen Massnahmen
begegnet: Mit Standesrichtlinien und Zulassungsbedingungen für bestimmte Berufsgruppen
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IUR I
(mit der Gefahr von „rent seeking“), Konsumenten- und Arbeitnehmerschutz, staatliche
Informationen, Versicherungspflicht, Selbstbehaltsklauseln, Bonus-Malus-Systemen,
zwingende ärztliche Untersuchungen, Gruppenbildung in der Versicherung nach Beruf oder
Alter usw.
GEWÄHRLEISTUNG EINER GERECHTEN EINKOMMENS- UND
VERMÖGENSVERTEILUNG
Beim Marktversagen haben wir uns auf die Mängel in der Steuerung durch die „Unsichtbare
Hand“ konzentriert. Aber selbst wenn der Marktmechanismus in vollkommener Weise
funktionieren würde, würden ihn viele als nicht ideal beurteilen. Denn die Marktwirtschaft
belohnt nur den, der im Wettbewerb zu bestehen vermag. Der Marktmechanismus verteilt die
Einkommen einzig nach Leistungskriterien.
Deshalb muss die Marktwirtschaft um die soziale Komponente ergänzt werden, die zu einer
Umverteilung der Einkommen führt. Als Hauptinstrumente zur Umverteilung stehen die Sozialtransfers und staatliche Versicherungssysteme sowie die progressiven Einkommenssteuern
zur Verfügung.
Das Ausbalancieren zwischen Allokationseffizienz und Verteilungsgerechtigkeit ist eine
Herausforderung für die Wirtschaftspolitik.
Urteile über die Gerechtigkeit gründen immer auf subjektiven Werturteilen.
FÖRDERUNG DER WIRTSCHAFTLICHEN STABILITÄT
Marktwirtschaften werden immer wieder von Perioden hoher Inflation oder hoher
Arbeitslosigkeit heimgesucht, welche das Bedürfnis nach einer Stabilisierungspolitik des
Staates wecken, andererseits sich auch die Grenzen einer solchen Politik sichtbar geworden.
STAATSVERSAGEN
Was tut der Staat eigentlich in der Realität?
Im Laufe der 1960er-Jahre erlebten die meisten Industrieländer einen Schub von staatlichen
Eingriffen, im Besonderen bei den Sozialausgaben.
Mit der Erdölkrise 1973 wuchs der Ruf nach Protektionismus (= Schutz der eigenen Wirtschaft
vor ausländischer Konkurrenz), bedrohte Unternehmen suchten Hilfe beim Staat und erhielten
sie in Form von Subventionen, der Kündigungsschutz wurde ausgebaut und die
Sozialausgaben erhöht. „Mehr Staat“ war die Antwort auf die Rezession. Ende der 1970erJahre drehte aber der Wind: Schlankheitskuren für den Wohlfahrtsstaat usw.
„Mehr Markt“ war und ist auch heute noch ein Trend.
Allerdings kamen zu Beginn des neuen Jahrtausend Machenschaften wie Bilanzfälschungen,
Korruption, etc. ans Tageslicht, welche auch dem Ruf nach „mehr Staats“ wieder Auftrieb
verliehen haben.
Darin kommt ein der Marktwirtschaft eigentümliches Dilemma zum Vorschein. Einerseits lässt
die Lehre vom Marktversagen, das Verhindern von sozialen Ungleichgewichten und die
Förderung der Stabilität den Ruf nach „mehr Staat“ laut werden, andererseits erweist sich die
Tätigkeit des Staates oft als nicht geeignet, die jeweiligen Probleme zu lösen, oder schafft
sogar neue Probleme. Diese Fälle werden mit Staatsversagen bezeichnet.
Was als Staatsversagen bezeichnet wird, hängt davon ab, welche Leistungen von der Politik
erwartet werden. Aus der Sicht der Neuen Politischen Ökonomie (in Amerika als „public
choice“ bekannt) entstehen durch die Staatstätigkeit insbesondere folgende Probleme, welche
zu einer Verschlechterung der Funktionsfähigkeit der Marktwirtschaft führen können:
• Politisch motivierte Entscheidungen
In einer Demokratie entsteht die Gefahr, dass nur Massnahmen ergriffen werden, die
kurzfristig populär sind und den einflussreichen und gut organisierten Interessengruppen
dienen. Die Eingriffe in den Markt können zwar für gewisse Interessengruppen Vorteile
schaffen, der Allgemeinheit aber schaden – indem sie die Voraussetzungen für „rent
seeking“ schaffen.
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IUR I
• Regulierungskosten
Wird ein Regulierungsbedarf festgestellt, muss ein Instrumentarium für die Markteingriffe
ausgewählt werden. Es entsteht Informationsbedarf, deren Beschaffung mit Kosten
verbunden ist. Zusätzlich versuchen die betroffenen Stellen ihren Informationsvorsprung zu
ihren Gunsten auszunützen. Auch die Durchführung und Kontrolle der Markteingriffe
erfordern einen gewissen Verwaltungsapparat und verursachen damit Kosten.
• Verzerrung der Allokationseffizienz
Das eigennützige Verhalten jedes Einzelnen ermöglicht eine effiziente Allokation der
Ressourcen: Die relativen Knappheiten widerspiegeln sich in den Preisverhältnissen und
werden so in den Entscheidungen berücksichtigt.
Im politischen Prozess aber bezahlt z.B. eine Branche, die durch Importbeschränkungen
geschützt wird, keinen Preis, mit dem die Verlierer entschädigt werden könnten. Durch die
Importbeschränkungen ergeben sich Änderungen der relativen Preise, entsprechende
Anreize und Gewinnmöglichkeiten für die geschützte Branche, zu Lasten der Konsumenten
– es kommt eben zu einer Verzerrung der Allokationseffizienz.
Damit die Marktwirtschaft ihre Rolle erfüllen kann, muss der Staat die notwendigen
Voraussetzungen schaffen und Marktversagen verhindern. Allerdings bergen staatliche
Eingriffe die Gefahr in sich, dass Marktversagen durch Staatsversagen ersetzt wird.
DIE WIRTSCHAFTSORDNUNG DER SCHWEIZ
GRUNDLAGE: VERFASSUNG UND GESETZE
Die Schweizerische Wirtschaftsordnung scheint gemäss der Verfassung auf dem Fundament
des Liberalismus zu stehen, dessen beherrschende Idee die Forderung nach individueller
Selbständigkeit und Freiheit ist.
Diverse Verfassungsartikel und darauf abgestützte Gesetze erlauben es aber, von den
marktwirtschaftlichen Grundprinzipien abzugehen und die gewährten Freiheitsrechte
einzuschränken.
Bereits in der Bundesverfassung selber sind „harte“ Einschränkungen der Marktwirtschaft
vorgesehen. Weil sich aber zugleich die Interpretation der Verfassung vielfach von ihrem
Wortlaut entfernte, kam es zu einer Vielzahl von Staatseingriffen.
Marktzutrittsbeschränkungen und Kartelle sind in der Schweiz häufige Vertreter solcher
Einschränkungen. Unter Kartellen versteht man die Zusammenarbeit rechtlich selbständiger
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IUR I
Unternehmungen mit dem Zweck, ihr Verhalten so zu koordinieren, dass sie auf dem Markt
eine dominierende Stellung einnehmen können.
DER RUF NACH MARKTWIRTSCHAFTLICHER ERNEUERUNG
Spätestens nach dem 6.Dezember 1992, als das Volk den EWR-Vertrag ablehnte, ist die
Revitalisierung bzw. die marktwirtschaftliche Erneuerung der Schweizer Wirtschaft in aller
Munde.
In der Schweiz wurde man sich zusehends bewusster, dass traditionelle Standortvorteile
verloren gehen und dass ein ordnungspolitischer Handlungsbedarf bestand.
Ziel der marktwirtschaftlichen Erneuerungen ist es, die Konkurrenzfähigkeit des
Wirtschaftsstandortes Schweiz zu verstärken. Das Trainingsprogramm für die „Fitnesskur von
Mutter Helvetia“ enthält folgende Stossrichtungen:
1. Wettbewerbsintensive Märkte: Die Schaffung wirksamer Wettbewerbs und dessen
Schutz ist eine Kernaufgabe des Staates in einer Marktwirtschaft. Zum Programm der
marktwirtschaftlichen Erneuerung gehören u.a.
 Das Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen: Wettbewerb bei
Auftragsvergabe durch staatliche Behörden.
 Das Bundesgesetz über Kartelle
 Das Binnenmarktgesetz
2. Liberalisierungen im öffentlichen Versorgungsbereich: Die Schweiz ist im Allgemeinen
im Rückstand gegenüber der EU in Sachen Liberalisierung im Versorgungsbereich, in der
Telekommunikation, beim Elektrizitätsmarkt oder im öffentlichen Verkehr.
3. Internationale Öffnung: Die wichtigsten Elemente der schweizerischen
Aussenwirtschaftspolitik sind die Abkommen im Rahmen der WTO sowie die bilateralen
Abkommen mit der EU.
4. Öffentliche Finanzen: Um die öffentlichen Finanzen zu sanieren, sind eine Beschränkung
des Ausgabenwachstums sowie Steuerreformen notwendig.
EINFLUSSMÖGLICHEITEN VON INTERESSENVERBÄNDEN
Die Schweiz wird häufig als Verbandsdemokratie bezeichnet. In dieser Bezeichnung kommt
die Tatsache zum Ausdruck, dass sich wirtschaftliche Akteure mit gleichen Interessen zu
Verbänden zusammenschliessen, um dadurch wirtschaftspolitische Macht zu entfalten.
Wichtige Verbände sind Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, economiesuisse (Verband
Schweizer Unternehmer), daneben gibt es aber noch eine Vielzahl von Verbänden, die sich
aufgrund anderer Anliegen zusammenschliessen (Stiftung für Konsumentenschutz,
Vermieterverband, Mieterinnen- und Mieterverband, etc.).
Den Verbänden kommt viel Macht zu, weil ihnen in frühen Phasen des politischen Prozesses
Einflussmöglichkeiten geboten werden. Zur Vorbereitung für neue Gesetze oder
Verfassungsartikel werden regelmässig Expertenkommissionen gebildet, in denen Vertreter
der verschiedenen Verbände ihre Sachkenntnisse und ihre Interessen einbringen. Regierung
und Verwaltung setzen bei ihrer Arbeit auf die Kooperation mit den Verbänden.
Bevor die Expertenberichte an die Behörden und an das Parlament gehen, werden sie dem so
genannten Vernehmlassungsverfahren unterworfen, in welchem sämtliche Interessierten ihre
Meinung zum Ausdruck bringen können. Diese Meinungsäusserungen beeinflussen den
endgültigen Gesetzestext umso wirkungsvoller, je grösser die Finanzkraft und die
Referendumsdrohung (in Abhängigkeit der Mitgliederzahl) der Interessengruppen sind.
Auch im Parlament nehmen die Verbände ihre Interessen wahr, indem sie entweder im
Rahmen einer Partei selbst Einsitz nehmen im Parlament, oder indem sie mit Parteien
zusammenarbeiten und sie finanziell unterstützen.
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IUR I
Die Interessenverbände beeinflussen durch Webung und Information auch die öffentliche
Meinung und damit das Abstimmungs- und Wahlverhalten der Bürgen. Wichtige Waffen sind
dabei die direkten Volksrechte Referendum und Initiative.
Allerdings lassen sich nicht alle Interessen gleich leicht organisieren. Die Leistungen von
Konsumentenverbänden haben beispielsweise den Charakter von öffentlichen Gütern.
Andererseits lassen sich schlagkräftige Interessengruppen bilden, wo handfeste
wirtschaftliche Anliegen der einzelnen Mitglieder gefördert werden können.
EXKURS:
„SCHACH“ … BEIM JASSEN
„Der Staat ist ineffizient!“ Man muss aber zur Kenntnis nehmen, dass in der Wirtschaft, In
Unternehmungen einerseits und im Staat, in der Politik andererseits zwei verschiedene Spiele
gespielt werden.
Damit alle Interessen eingebracht werden können, damit Ausgleich mögliche wird, sind die
staatlichen Institutionen und Entscheidungsprozesse anders ausgestaltet worden, als dies in
Unternehmungen typischerweise der Fall ist.
Im Spiel „Staat“ kann und darf nicht zu viel Effizienz erwartet werden!
Wo das Spiel „Unternehmung“ gespielt wird geht es um Effizienz, und es herrscht (im Rahmen
unerlässlicher Gesetze und staatlicher Auflagen) Freiheit. Und es macht keinen Sinn, dieser
Freiheit in jeder nur denkbaren Hinsicht einzuschränken und damit ausserdem effizientes
Verhalten zu verunmöglichen.
Für die Gesellschaft stellt sich immer wieder neu die Frage, welche Bereiche sie dem Spiel
„Staat“ und damit den Zielen Fairness, Ausgleich und Gerechtigkeit unterstellen will und in
welchen Bereichen das Spiel „Wirtschaft“ mit den Zielen Effizienz und Freiheit gespielt werden
soll.
EXKURS:
VOM „HOMO SOVIETICUS“ ZUM „HOMO OECONOMICUS“
In einem historischen Experiment wird ein halber Kontinent auf eine neue Wirtschaftsordnung
umgestellt.
DIE ZENTRALE PLANWIRTSCHAFT IM MODELL
• Eigentumsordnung: Eine wesentliche These des Kommunismus ist, dass in einer
kapitalistischen Wirtschaft der Mensch vom Menschen ausgebeutet wird, deshalb befindet
sich das Eigentum an Produktionsmitteln grundsätzlich in der Hand der Gesellschaft als
ganzes.
• Koordinationsmechanismus: Wir Wirtschaft wird zentral geplant und koordiniert. Eine
staatliche Plankommission stellt Gesamtpläne und Teilpläne auf und legt die Preise fest.
In einem ersten Schritt wird festgelegt, welche Produkte in welchen Mengen hergestellt
werden sollen. Der zweite Schritt besteht in der Erstellung von Bilanzen für jedes
gewünschte Endprodukt, auf welcher auf der einen Seite das Produktionsziel und auf der
anderen Seite die notwendigen Inputs festgehalten werden.
Die Zuteilung der produzierten Güter an die Konsumenten erfolgt durch mengenmässige
Rationierung (Verteilungspläne und Verbrauchspläne).
• Zentrale Preisfestsetzung: Die Preise werden auf dem Verwaltungsweg berechnet und
von den Behörden verbindlich festgelegt.
Je nach Wichtigkeit der Güter werden sie mit Zuschlägen versehen, damit die relativen
Knappheiten berücksichtigt werden können.
• Anreizmechanismus: Als Leistungsanreize dienen Orden und Auszeichnungen; werden
die Produktionspläne verfehlt, drohen Strafen.
• Ordnungsfunktion des Staates: Der Staat ist in jeder Hinsicht dominant. Er ist
Eigentümer der Produktionsmittel und fällt die Investitions- und Produktionsentscheidungen.
Auch der Aussenhandel ist Monopol des Staates.
GRÜNDE FÜR DAS VERSAGEN DER PLANWIRTSCHAFTEN
Vor allem aus der Sicht der Produzenten war die Planwirtschaft negativ. Das führte dazu, dass
der Schwarzmarkt blühte.
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IUR I
Das Versagen dieses Systems liegt in den prinzipiell falsch gesetzten Anreizen. Die
Wirtschaftsakteure werden systematisch davon abgehalten, ihr Wissen um MarktUngleichgewichte, Versorgungsengpässe und Gewinnchancen zu nutzen. Zudem werden sie
systematisch dazu verleitet, falsche Informationen an die Planungsbehörde zu übermitteln.
Planwirtschaft und politischer Totalitarismus gehen Hand in Hand; mehr noch: Sie bedingen
sich gegenseitig.
VORAUSSETZUNGEN DES SYSTEMWECHSELS
Gut sieben Jahre nach den Anfängen des Umbruchs lässt sich ermessen, wie schwierig, fragil
und krisenanfällig der Übergang zum Markt in Tat und Wahrheit ist. Art und Ursachen der
Rückschläge spiegeln dabei die ganze Vielfalt des Transformationsprozesses.
Zu den Voraussetzungen eines Systemwechsels gehören:
• Die Absage an ideologische Grundwerte
• Die Einführung und Absicherung des privaten Eigentums
• Die Freigabe der Preise und die Privatisierung der Unternehmungen
• Die Errichtung eines funktionierenden Kapital- und Arbeitsmarktes
• Die Liberalisierung des Aussenhandels
• Die Einführung der Konvertibilität (=freie Tauschbarkeit) der Währung
• Die Schaffung einer neuen Rechtsordnung
• Die Reform des Bildungswesens und des Verwaltungsapparates
• Der Abbau des Subventionierungssystems
Für die sozialistischen Unternehmungen bringt die neue Ordnung eine totale Veränderung
der wirtschaftlichen Bedingungen mit sich. Deshalb treten fehlende Erfahrung und Wissen
umso mehr zum Vorschein.
Die Sanktionierung des Marktes ist unerbittlich, er trennt ohne Sentimentalität die Spreu
vom Weizen, nicht nur mit Blick auf die Produkte, sondern auch auf ganze Volkswirtschaften.
Die niedrige Produktivität der Wirtschaft lässt ihnen gegen die internationale Konkurrenz keine
grosse Chance, und alle Versuche, diese Produktivität zu steigern, erhöhen zuerst die
Arbeitslosigkeit und vermindern dadurch die Einkommen.
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IUR I
KAPITEL 4 – DIE ERFASSUNG DER GESAMTEN WIRTSCHAFTSLEISTUNG:
DIE VOLKSWIRTSCHAFTLICHE GESAMTRECHNUNG (VGR)
DER EINFACHE WIRTSCHAFTSKREISLAUF
Hauptziel der Makroökonomie darin, einen Überblick über die Gesamtwirtschaft zu vermitteln.
Dazu vereinfachen wir die Volkswirtschaft zu einer einfachen Volkswirtschaft, in der es nur
Haushalte und Unternehmungen gibt.
Der einfache Wirtschaftskreislauf zerteilt sich in zwei Kreisläufe: einen Güterkreislauf und
einen Geldkreislauf.
An diesem einfachen Kreislauf sieht man, dass die Unternehmungen die volkswirtschaftliche
Leistung erstellen (Produktion), das Einkommen daraus an die Haushalte weiterleiten
(Einkommensverteilung) und die Haushalte ihrerseits das erhaltene Einkommen dazu
verwenden, die Produktion der Unternehmungen zu kaufen (Verwendung).
Man kann die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit also aus drei Blickwinkeln erfassen:
Die Wirklichkeit ist jedoch um einiges komplexer als dies der einfache Kreislauf zum Ausdruck
bringt. Um dieser Komplexität Rechnung zu tragen wollen wir im Folgenden diese drei
Blickwinkel einzeln analysieren und auf die schweizerische „Wirklichkeit“ anwenden.
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Zusammenfassung VWL
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IUR I
Das Ziel der VGR ist es, die Leistung einer Volkswirtschaft zu erfassen, um den Unternehmen,
den Arbeitnehmern, den Konsumenten, den Politikern und Wissenschaftlern die für ihre
Tätigkeit notwendigen Informationen zu liefern.
DIE ANALYSE DER PRODUKTIONSSEITE
Bei der Produktionsseite steht folgende Frage im Zentrum des Interesses: Wer hat die
Leistung erbracht?
Was aber bedeutet Leistung im Sinne der Volkswirtschaftslehre?
WIE MESSEN WIR DIE LEISTUNG EINER UNTERNEHMUNG?
In der BWL dient als Massstab der Umsatz und der Gewinn. Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist
der Gewinn alleine kein guter Massstab, weil die Unternehmung noch andere Leistungen
erbringt, so bezahlt sie beispielsweise Löhne an ihre Mitarbeiter, was für die VW von zentraler
Bedeutung ist (siehe Verteilungsrechnung).
Der Umsatz überzeichnet die Leistung, weil er Werte enthält, die nicht von der betreffenden
Unternehmung geschaffen wurden. Um Mehrfachzählungen zu vermeiden, müssen wir alle
Güter, die von anderen Unternehmungen eingekauft und im Produktionsprozess eingesetzt
werden, vom Umsatz subtrahieren. Diese Leistungen, welche nicht vom betreffenden
Unternehmen erstellt wurden, bezeichnen wir als Vorleistungen.
Vorleistungen sind alle nicht dauerhaften Produktionsmittel, die von anderen Produzenten
bezogen werden.
Dazu zählen Sachgüter wir Roh- und Hilfsstoffe, Energie, Halbfabrikate und Handelswaren
ebenso wie Dienstleistungen (z.B. Transportleistungen, Beratungshonorare, etc.).
Nicht dazu gehören Käufe von Investitionsgütern, da es sich dabei nicht um eine Aufwands-,
sondern eine Vermögenserhöhung handelt (welche von der Bilanz erfasst wird).
Die VW interessiert sich primär weder für den Umsatz noch für den Gewinn, sondern für die
Leistungen, die von den verschiednen Produzenten NEU erbracht wurden. Es geht um den
Wert, welcher den Vorleistungen durch die Produktion und den anschliessenden Absatz
hinzugefügt wurden. Deshalb bezeichnen wir diese Grösse mit dem Begriff Wertschöpfung:
Wertschöpfung ist die selbst erbrachte Leistung eines Unternehmens, also die Differenz
zwischen den umgesetzten Leistungen eines Produzenten und den von ihm übernommenen
Leistungen (Vorleistungen).
In den selbst erbrachten Leistungen sind nicht nur die Güter enthalten, die ein Unternehmen
verkauft, sondern auch Güter die es für sich selber produziert, oder die es ins Lager legt.
Selbst erbrachte Leistungen entsprechen somit der Summe aller Verkäufe, den Wert der
Bestandesveränderung des Lagers und den Wert der selbsterstellten Anlagen.
Bei der oben beschriebenen Wertschöpfung handelt es sich genau genommen um die
Bruttowertschöpfung, weil in ihr auch die Abschreibungen enthalten sind, die dazu dienen, die
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IUR I
in der laufenden Produktion abgenützten Investitionsgüter zu ersetzen. Die
Bruttowertschöpfung abzüglich der Abschreibungen ergibt die Nettowertschöpfung.
Man bewertet die Leistungen zu Marktpreisen um zu der Wertschöpfung zu gelangen, in der
revidierten VGR (revidiert im Jahre 2003 um internationalen Standards anzupassen) bewertet
man die erbrachten Leistungen aber zu Herstellungspreisen. Darin sind die Subventionen
enthalten, jedoch nicht die Gütersteuern.
Um von den Herstellungspreisen zu den Markpreisen zu gelangen, müssen deshalb die
Gütersteuern addiert und die Subventionen subtrahiert werden.
Übersicht:
Bruttowertschöpfung einer Unternehmung
Begriff
Produktionswert
Definition
Wert aller Verkäufe + Wert der Bestandesveränderungen an Fertigprodukten
+ Wert der selbsterstellten Anlagen, bewertet zu Herstellungspreisen.
+ Gütersteuern
- Gütersubventionen
- Vorleistungen
Indirekte Steuern (z.B. Mehrwertsteuern, Tabaksteuer, Alkoholsteuer).
= Bruttowertschöpfung
Der erarbeitet Mehrwert.
- Abschreibungen
Wertminderungen des Anlagevermögens durch Verschleiss und Alterung.
= Nettowertschöpfung
Mehrwert, den man maximal verbrauche könnte, ohne die Vermögenssubstanz einer Unternehmung zu gefährden.
Produktionsbeiträge des Staates.
Alle von einer Unternehmung bezogenen und für die Produktion verbrauchten
Güter und Dienstleistungen.
Wer- ausser den Unternehmungen, produziert in einer VW auch noch etwas, erbringt also
eine Wertschöpfung?
DIE INSTITIONELLEN SEKTOREN DER VGR
Man ist auf Abstraktion angewiesen, um die Komplexität der gesamten Wirtschaft erfassen zu
können. Man fasst all diejenigen zu einem Sektor zusammen, welche mehrheitlich dieselbe
Tätigkeit ausüben. Die VGR unterscheidet folgende Sektoren:
• Nicht-finanzielle Kapitalgesellschaften: Dieser Sektor umfasst alle Kapitalgesellschaften,
deren Haupttätigkeit in der Produktion von Waren und nicht-finanziellen Dienstleistungen
liegt. Er umfasst Branchen wie die Chemie, die Maschinenindustrie oder die Bauwirtschaft.
• Finanzielle Kapitalgesellschaften: Alle Kapitalgesellschaften, welche eine finanzielle
Mittlertätigkeit übernehmen, gehören zu diesem Sektor. Es sind das Banken, die
Nationalbank, Versicherungsgesellschaften, die Anlagefonds, die Pensionskassen und die
Leasinggesellschaften.
• Staat: Der Sektor Staat umfasst den Bund, die Kantone, die Gemeinden und die
Sozialversicherungen. Das gemeinsame Merkmal dieser Einheit ist die Produktion von
Waren und Dienstleistungen (z.B. Bildung, Sicherheit, Gesundheit), die zum grössten Teil
über obligatorische Abgaben der anderen Sektoren finanziert werden (Steuern,
Sozialbeiträge, usw.).
• Private Haushalte: Alle natürlichen Personen werden diesem Sektore zugeordnet. Dazu
gehören auch die Einzelunternehmungen.
• Private Organisationen ohne Erwerbszweck (POoE): Dieser Sektor vereint alle
Einheiten mit eigener Rechtspersönlichkeit, die Waren und Dienstleistungen ohne
Erwerbszweck produzieren. Dazu gehören die Gewerkschaften, Verbraucherverbände,
Parteien, Kirchen, Hilfswerke, usw.
• Übrige Welt: Die „übrige Welt“ ist streng genommen kein Sektor, sondern fasst die übrigen
Länder zusammen, mit welchen die inländischen Sektoren durch wirtschaftliche
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IUR I
Transaktionen verbunden sind. Aus der Schweiz fliessen viele Leistungen ins Ausland bzw.
stammen von dort.
Gemäss oben beschriebenem Verfahren müssen wir nun die Summe aller Wertschöpfungen
aller Sektoren bilden, um die Leistungsfähigkeit einer VW zu erhalten.
Wie misst man die Wertschöpfung im Sektor Private Haushalte?
In privaten Haushalten werden eine Menge von Leistungen erbracht. Weil dabei aber keine
Markttranksaktionen stattfinden, finden diese Leistungen auch keine Berücksichtigung in der
VGR (Hausarbeit zum Nulltarif).
Mit der Einführung der neuen VGR werden aber dem Sektor „Private Haushalte“ auch
Einzelunternehmer und Selbständige zugerechnet, welche in der alten VGR zum Sektor
„Unternehmungen“ zählte. Ebenfalls der Produktion der privaten Haushalte zugerechnet
werden die Produkte der Landwirtschaft, welche die Bauernfamilien selbst verbrauchen und
die Eigennutzung von Einfamilienhäusern und Eigentumswohnungen.
Wie misst man die Wertschöpfung beim Staat und bei den POoE?
Es ist schwierig, diese Leistungen zu bewerten. Denn wie bei den privaten Haushalten haben
staatliche Leistungen in den meisten Fällen keinen Marktpreis, ihre Finanzierung findet eben
nicht über den Verkauf, sondern über Steuern statt.
Man wendet hier einen statistischen Trick an: Im Gegensatz zum Sektor private Haushalte
kennt man in der öffentlichen Verwaltung nämlich den Aufwand (insbesondere die Löhne), der
für die Leistungserstellung erforderlich war. Man nimmt deshalb an, dass die
Bruttowertschöpfung der Summe aller Aufwände abzüglich der Vorleistungsseinkäufe
entspricht.
Auf dieselbe Weise wird auch die Wertschöpfung bei den POoE berechnet.
Wie beziehen wie das Ausland in unsere Wertschöpfungsberechnung mit ein?
Bei der Produktionsseite bereitet die Berücksichtigung des Auslandes überhaupt keine
Probleme, denn die Exporte sind selbstverständlich im Bruttoproduktionswert enthalten. Die
importierten Vorleistungen werden, wie alle anderen Vorleistungen auch, vom
Bruttoproduktionswert abgezogen, um die Bruttowertschöpfung zu erhalten.
Um die gesamtwirtschaftliche Wertschöpfung zu erhalten, addieren wir die Wertschöpfung der
Kapitalgesellschaften, des Staates, der POoE sowie die Wertschöpfung der
Einzelunternehmen und Selbständigen aus dem Sektor „Private Haushalte“. Daraus ergibt
sich folgende Definition des BIP:
Das Bruttoinlandprodukt (BIP) ist die Gesamtheit aller im Laufe eines Jahres im Inland
erbrachten Wertschöpfungen von Unternehmen, Staat und POoE.
Begriff
Bruttoproduktionswert
2001
Definition
in Mio Fr.
788 123 Wert aller Verkäufe + Wert der Bestandesänderungen an
Fertigprodukten + Wert der selbsterstellten Anlagen aller
Unternehmungen, der öffentlichen Haushalte, der Sozialversicherungen und der POoE im Inland, bewertet zu
Herstellungspreisen.
Indirekte Steuern (z.B. Mehrwertsteuer, Tabaksteuer,
Alkoholsteuer).
+ Gütersteuern
+ 29 474
- Gütersubventionen
- Vorleistungen
- 4 018 Produktionsbeiträge des Staates.
- 390 767 Alle bezogenen und für die Produktion verbrauchten Güter und
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IUR I
= Bruttoinlandprodukt
(BIP)
= 422 811 Dienstleistungen.
- Abschreibungen
- 75 990
= Nettoinlandprodukt
(NIP)
= 346 821 und Alterung.
Summe aller Bruttowertschöpfungen von Unternehmungen,
Staat und POoE im Inland. (Inklusive nicht abzugsfähige
Mehrwertsteuer und Nettoeinfuhrabgaben.)
Wertminderungen des Anlagevermögens durch Verschleiss
Wertschöpfung, die man maximal verbrauchen könnte, ohne
die Vermögenssubstanz der Volkswirtschaft zu gefährden.
Nun haben wir das theoretische Fundament erarbeitet. Betrachten wir folgend die Wirklichkeit:
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IUR I
DIE ANALYSE DER EINKOMMENSSEITE
Wertschöpfung und Einkommen sind die beiden Seiten derselben Medaille. Jeder Franken
Wertschöpfung ist irgendwo für irgendjemanden ein Franken Einkommen. Es interessiert also,
wie diese Wertschöpfung verteilt wird.
WIE WERDEN DIE ERZIELTEN EINKOMMEN VERTEILT?
Unter diesem Punkt wird die Bezahlung der Produktionsfaktoren (Löhne und Gehälter,
Gewinne, Vermögensrenditen) beleuchtet. Wir möchten also wissen, wie gross der Anteil der
verschienen Arten von Entschädigungen an die Produktionsfaktoren ist.
Erläuterungen zu den einzelnen Anteilen der Einkommensseite:
• Arbeitnehmerentgelt
Speziell interessant ist die Lohnquote (Arbeitnehmerentgelt) und ihre Entwicklung. Um
diesen „Einkommenskuchen“ dreht sich der Verteilungskampf zwischen Arbeitgebern und
Arbeitnehmern.
• Nettobetriebsüberschuss
Im Nettobetriebsüberschuss sind die m Produktionsprozess entstandenen Einkommen aus
Unternehmertätigkeit und Vermögen enthalten. (z.B. Zinsen, Dividenden, unverteilte
Gewinne, Einkommen aus Grund und Boden).
• Abschreibungen
Die Abschreibungen entsprechen den Wertminderungen, welchen das Anlagevermögen
durch Verschleiss im Produktionsprozess und Alterung unterliegt. Diese Abschreibungen
werden von den Unternehmungen zurückbehalten, um die notwendigen Ersatzinvestitionen
tätigen zu können.
• Produktionssteuern und Importabgaben abzüglich Subventionen
Produktionssteuern und Importabgaben sind Zwangsabgaben, welche der Staat auf den
produzierten Waren und DL erhebt. Diese Einkommen des Staates sind im Arbeitnehmerentgeld und im Nettobetriebsüberschuss nicht enthalten, zählen aber ebenfalls zum BIP.
(Die direkten Steuern hingegen sind im Arbeitnehmerentgelt und im
Nettobetriebsüberschuss enthalten.)
Die Subventionen andererseits sind in den Einkommen aus unselbständiger Arbeit
und/oder im Nettobetriebsüberschuss enthalten. Weil sie aber keiner Wertschöpfung
entsprechen, sind sie nicht Bestandteil des BIP und werden deshalb subtrahiert.
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IUR I
EXKURS:
PERSONELLE VERMÖGENS- UND EINKOMMENSVERTEILUNG
Schweiz
Die VGR gibt Auskunft über die funktionale Verteilung der Wertschöpfung (d.h. gemässe der
Verteilung des Einkommens auf die Produktionsfaktoren). Für Informationen über die
personelle Verteilung müssen andere Statistiken herangezogen werden.
Die Verteilung der Reineinkommen und der Reinvermögen und der entsprechenden Steuern
auf die Steuerpflichtigen wird mit der so genannten Lorenzkurve dargestellt. Horizontal sind
die steuerpflichtigen natürlichen Personen nach Einkommen bzw. Vermögen angeordnet (in
%); vertikal zugeordnet ist der prozentuale Einkommens- oder Vermögensanteil, der auf den
jeweiligen Anteil der Steuerpflichtigen entfällt.
Der „Durchhang der Kurven ist ein Mass für die Einseitigkeit der Verteilung.
Verteilung des Vermögens im Jahre 1997:
• An der Lorenzkurve lässt sich z.B. ablesen, dass 90% der Steuerpflichtigen zusammen nur
über ca. 30% der Reinvermögen verfügen und weniger als 10% an die Summer der
Vermögenssteuern beitragen.
• Gut 30% der Steuerpflichtigen weisen kein Vermögen aus, während 3% über eine Million
und mehr verfügt.
• Diese 3% der Vermögendsten besitzen rund 50% des Gesamtvermögens.
Betrachtet man die Einkommensverteilung, dann man folgendes festhalten:
• Die unteren 50% der Steuerpflichtigen verfügen über rund 28% der Reineinkommen und
bezahlen etwa 8% der Einkommenssteuern (komplementär dazu verfügen die oberen 50%
der Steuerpflichtigen über mehr als 72% der Reineinkommen und bezahlen etwa 92% der
Einkommenssteuern).
• Je die Hälfte der Einkommen entfällt auf ca. 73% Steuerpflichtige mit niedrigeren und gut
27% Steuerpflichtige mit höherem Einkommen, wobei die beiden Gruppen die
Einkommenssteuer etwa im Verhältnis von 20% zu 80% aufbringen.
Welt
40% der Weltbevölkerung sind von bitterer Armut bedrängt, sie müssen von ca. 3,1% des
Welteinkommens „leben“, während die 20% Reichsten 86% des Welteinkommens erhalten.
DIE ANALYSE DER VERWENDUNGSSEITE
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Zusammenfassung VWL
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IUR I
Die Einkommen werden nicht nur irgendwo erarbeitet, an irgend jemanden verteil, sondern sie
werden auch irgendwie verwendet.
WIE WERDEN DIE ERZIELTEN EINKOMMEN VERWENDET?
Grundsätzlich können Einkommen zum Konsum oder für Investitionen verwendet werden.
Es kann auch gespart werden, aber:
Diese Ersparnisse werden an diejenigen ausgeliehen, die zu wenig eigene Mittel erarbeitet
haben, um ihre Investitionen zu finanzieren. Das heisst, dass schlussendlich immer soviel
investiert wird, wie gespart wird. Falls Sparen und Investieren nicht gleich gross sind, treten
Mechanismen auf, die wieder auf ein Gleichgewicht zwischen Sparen und Investieren
hinwirken. Einzelne Sektoren (z.B. die privaten Haushalte) können also sehr wohl mehr
sparen als sie investieren, während andere Sektoren (z.B. die Unternehmungen) mehr
investieren, als dass sie zu sparen in der Lage sind. Gesamtwirtschaftlich aber sind Sparen
und Investieren – rückblickend – immer ausgeglichen.
Nehmen wir an, die Haushalte sparen mehr, als die Unternehmen investieren wollen. Das
bedeutet, dass die Unternehmungen ihr geplantes Angebot an Konsumgütern nicht verkaufen
können. Deshalb erzielen die Unternehmungen einen kleinere Gewinn, was ein Sinken ihrer
Ersparnisse zur Folge hat. Weil sie nicht ihr ganzes Angebot verkaufen können, nehmen ihre
Lager zu; dieser Lageraufbau entspricht einer ungeplanten Investition. Als Folge der tieferen
Nachfrage entstehen auch tiefere Einkommen (z.B. infolge von Entlassungen); mit
abnehmendem Einkommen sinken auch die Sparmöglichkeiten. Diese Prozesse führen
letztlich dazu, dass die Lücke zwischen Ersparnis und Investitionen geschlossen wird.
Sie sehen an diesem Beispiel, dass Sparsamkeit nicht immer etwas Gutes ist.
Wenn in wirtschaftlich schwierigen Zeiten alle sparen, kann dies für die VW verheerende
Folgen haben. Der Versuch mehr zu sparen, kann damit enden, dass die tatsächlichen
volkswirtschaftlichen Ersparnisse zurückgehen. Dieses Phänomen wird als Sparparadoxon
bezeichnet: „Mit steigender Ersparnis wird die Investitionstätigkeit der Unternehmungen
gebremst. Dadurch sinkt das Volkseinkommen, worauf auch der Konsum und die Ersparnis
vermindert werden.“
Die grundsätzlichen Verwendungsmöglichkeiten von Einkommen:
• Konsum der privaten Haushalte und der POoE
Privater Konsum im volkswirtschaftlichen Sinn sind alle Käufe von Güter und DL der
privaten Haushalte und der POoE.
• Konsum des Staates
Wir stehen bei der Verwendungsseite vor dem gleichen Problem wie bei der
Entstehungsrechnung von der Aufwandseite her. Weil die DL des Staates nicht verkauft
werden, können sie auch niemandem zugeordnet werden. Deshalb arbeitet die VGR mit
der Fiktion des Eigenkonsums des Staates. Zum Konsum des Staates gehören alle
unentgeltlich abgegebenen DL dieses Sektors, bewertete zu Herstellungskosten. D.h., dass
z.B. die Ausgaben für das Militär, Schulen, Polizei und Feuerwehr mit dem Staatskonsum
gleichgesetzt werden – statistische gesehen, konsumiert der Staat die Leistungen dieser
Institutionen selbst. Nicht alle Staatsausgaben zählen aber zum Konsum des Staates.
Staatliche Transferzahlungen (z.B. Arbeitslosenunterstützung) zählen nicht zum
Staatskonsum, da sie keine staatliche Produktionsleistung widerspiegeln.
• Bruttoinvestitionen
Ein Teil der Wertschöpfung wird von den Unternehmungen und vom Staat in
Produktionsanlagen, in die Lager und in öffentliche Einrichtungen investiert. Bei den
Bruttoinvestitionen handelt es sich um alle jene Güter, die entweder von Produzenten
gekauft werden, um mehr als ein Jahr im Produktionsprozess eingesetzt zu werden oder
um Vorratsveränderungen. Zu den Bruttoinvestitionen gehören z.B. Bauten, Ausrüstungen,
aber auch in den Läden liegen gebliebene Videorecorder, Konserven oder Bücher. Die
Bruttoinvestitionen lassen sich folgendermassen gliedern.
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IUR I
Bauinvestitionen sind Ausgaben zur Erstellung und zum (wertsteigernden) Erhalt von
Gebäuden, Tief- und Hochbauten.
Ausrüstungsinvestitionen sind Ausgaben für Geräte, Maschinen, Einrichtungen und
Software.
Vorratsveränderungen entsprechen der Differenz zwischen dem Wert der Lagerzugänge
abzüglich der Lagerausgänge bei den Unternehmungen.
• Nettoexporte
Im Konsum und den Investitionen der genannten Sektoren sind einerseits die Importe von
Waren und DL aus dem Ausland enthalten, andererseits fehlen die Exporte. Da die Importe
zum Einkommen des Auslandes und nicht des Inlandes werden, müssen wie diese
subtrahieren, die Exporte aber addiere, um die Leistung des Inlandes zu erhalten.
Von der Verwendungsseite her lässt sich das BIP folgendermassen berechnen:
Privater Konsum + Staatlicher Konsum + Bruttoinvestitionen + Nettoexporte = BIP
(Dies entspricht der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage!)
WELCHE ERKENNTNISSE LASESN SICH AUS DER VERWENDUNGSSEITE ZIEHEN?
• Eine wichtige Strukturgrösse die sich aus der Verwendungsseite ergibt, ist die
Investitionsquote (Investitionen in % des BIP), die für das Wirtschaftswachstum eine
entscheidende Rolle spielt. Je höher die Investitionsquote ist, desto grösser sind die
Wachstumsmöglichkeiten in Zukunft. Der Anteil der Bruttoinvestitionen ist in der CH rund
3% höher als in der EU.
• Die Konsumquote (Konsum in % des BIP) von 61% belegt, dass weniger als 2/3 der in der
Schweiz hergestellten Waren und DL unmittelbar von den privaten Haushalten und den
POoE konsumiert wird.
• Zwischen Investitionen und Konsum besteht ein „Trade off“. Erhöht eine VW die
Investitionen, wird sie in Zukunft mehr Güter produzieren und konsumieren können. Dieses
Wachstum ist aber nicht gratis zu haben. Um den künftigen Konsum steigern zu können,
muss in der Gegenwart auf Konsum zu Gunsten von Investitionen verzichtet werden
können.
• Die Export- und Importquote (Exporte bzw. Importe in % des BIP) belegen die hohe
Verflechtung der schweizerischen VW mit dem Ausland. Die Exportquote beträgt 45%, die
Importquote 40%.
ZUSAMMENFASSUNG – ÜBERBLICK ÜBER DIE PRODUKTIONS-, EINKOMMENS- UND
VERWENDUNGSSEITE DES BRUTTOINLANDPRODUKTES DER SCHWEIZ
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Zusammenfassung VWL
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IUR I
DER ERWEITERTE WIRTSCHAFTSKREISLAUF
Dient dazu, ein genaueres Bild der gesamtwirtschaftlichen Vorgänge zu erhalten. Bei der
Interpretation der Abbildung 4.11 ist folgendes zu beachten:
• Die Abbildung zeigt nur die Geldströme, die aus Güter- und Faktormärkten resultieren.
• Der Sektor Ausland wird nur summarisch erfasst. Um die Wirklichkeit korrekter abzubilden,
müsste man zwischen Güter-, Kapital- und Faktorströmen sowie Kapitaltransfers (einseitige
Transaktionen) unterscheiden.
• Der Bereich Vermögensveränderung ist kein Sektor, sondern widerspiegelt eine
buchhalterische Trennung, die das Erfassen von Ersparnisbildung und –verwendung bzw.
der Investitionstätigkeit erlaubt.
• Die punktierten Pfeile sind keine Transaktionen, sondern stellen den Übertrag von Salden
dar.
• Die Abschreibungen sind ein fiktiver Strom in dem Sinne, dass kein Geld fliesst. Hier ist nur
ihr geldwerter Gegenstrom (Nettoinvestitionen = Bruttoinvestitionen abzüglich
Abschreibungen) dargestellt.
GRENZEN DER VOLKSWIRTSCHAFTLICHEN GESAMTRECHNUNG
Die Messung der volkswirtschaftlichen Tätigkeit mit Hilfe der VGR gelingt nur mit einiger
Ungenauigkeit.
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Zusammenfassung VWL
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IUR I
• Unzureichende Erfassung der Daten
Es werden nämlich nur legale Leistungen erfasst. Schwarzarbeit und Drogenhandel
existieren in den offiziellen Statistiken nicht, weil diese Leistungen erbracht werden, ohne
darauf Steuern zu zahlen. Sie bleiben der VGR auf der Entstehungsseite verborgen (auf
der Verwendungsseite kommen sie im Konsum zum Vorschein). Für das Ausmass der
Schattenwirtschaft ist die Höhe der Steuerbelastung, die Güte staatlicher Institutionen und
die Regulierungen des Arbeitsmarktes entscheidend.
• Die VGR erfasst nur monetäre Flüsse
Deshalb werden auch die legalen Leistungen nicht umfassend erfasst. Angenommen sie
kaufen in einer Metzgerei einen eine Kalbsbraten. Im Verständnis der VGR werden Sie
diesen Kalbsbraten roh konsumieren. Das Zubereiten des Kalbsbratens wird nicht erfasst,
weil es eine Eigenleistung wie alle Haus- oder Do-it-yourself-Arbeiten ist. Nur wenn Sie
diesen Kalbsbraten in einem Restaurant geniessen, findet die Leistung des Kochens
Eingang in die VGR.
• Die VGR ist kein Messinstrument für Wohlfahrt oder Lebensqualität
So werden die sozialen oder externen Kosten nicht erfasst. Denken Sie dabei an die
Umweltverschmutzung, die unsere Lebensqualität beeinträchtigt. Es werden eben nur
quantitativ messbare Leistungen erfasst, die qualitativen Aspekte des Wirtschaftens werden
in der VGR vernachlässigt. Mit dem BIP wird unsere Leistungsfähigkeit in der Produktion
von offiziell käuflichen Gütern und DL gemessen, nicht aber unsere Lebensqualität. So
steigt das BIP z.B. auf Grund eines Autounfalls (wegen Reparaturen, etc.) obwohl dies
sicher nicht zur Steigerung der Lebensqualität der Insassen beiträgt.
• Problematische Bewertung von Leistungen
Bei den erfassten Leistungen stellt sich zudem die Frage nach der richtigen Bewertung. Sie
kennen dieses Problem bereits bei den staatlichen Leistungen, die mit ihren Kosten
bewertet werden. Eine Erhöhung der Beamtenlöhne z.B. bedeutet somit unmittelbar im
selben Umfang eine Steigerung ihrer Leistungen, wodurch die Zweifelhaftigkeit der
Bewertung deutlich wird.
• Aufgepasst bei internationalen Vergleichen
Bei internationalen Vergleichen darf nicht vergessen werden, dass man dabei eine
einheitliche Währung anwenden muss. Alleine Wechselkursschwankungen können grosse
Veränderungen in den Ranglisten auslösen. Zudem kann man mit der gleichen Summe
Geld in verschiedenen Länder unterschiedlich viel kaufen.
Die VGR ist nicht in der Lage, sämtliche wertschöpfende Leistungen vollständig zu erfassen
und „richtig“ zu bewerten. Das BIP ist zudem kein geeigneter Massstab zur Messung der
Lebensqualität.
EXKURS:
„SIND REICHE MENSCHEN GLÜCKLICHER?“
Häufig wird angenommen, die Reichen seien nicht glücklicher. Diese Vorstellung beruht auf
einem Vorurteil. Glück hängt wesentlich von den wirtschaftlichen Bedingungen ab.
Personen, die in Ländern mit einem tiefen Durchschnittseinkommen leben, betrachten sich
selbst als deutlich weniger glücklich als solche, die in reichen Ländern leben. Der positive
Zusammenhang zwischen Einkommen und Zufriedenheit gilt vor allem für die ärmsten Länder
der Welt. Wenn einmal ein höheres Durchschnittseinkommen erreicht ist, schwächt sich der
Zusammenhang ab. Das Glücksempfinden in der CH unterscheidet sich kaum von
demjenigen der Menschen in Puerto Rico, Südkorea oder Taiwan, die zwar auch wesentlich
weniger verdienen als jene in der CH, aber eben doch ein gewisses Einkommensniveau
erreicht haben.
Untersuchungen von Einkommensunterschieden innerhalb eines Landes bestätigen, dass
Bezüger höheren Einkommen sich selbst als zufriedener bezeichnen als solche mit geringeren
Einkommen. Der Einfluss des Geldes darf allerdings nicht überschätzt werden. Ein höheres
Einkommen macht nur dann glücklicher, wenn man im Vergleich zu Kollegen, Nachbarn, etc.
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IUR I
mehr verdient, denn das bringt sozialen Status. Die Menschen gewöhnen sich relativ rasch an
eine höheres Einkommensniveau, dieses wird nach kurzer Zeit als selbstverständlich
betrachtet. Die Freude an materiellen Dingen ist von sehr kurzer Dauer.
Was macht den Menschen glücklich?
Gemäss einer Umfrage macht Sex am meisten glücklich, gefolgt von Freunden treffen, Essen,
Relaxen. Dies sind alles Tätigkeiten, die nicht unmittelbar an den materiellen Wohlstand
gekoppelt sind. Sie drohen gar mit steigendem Einkommen unter die Räder zukommen, weil
die Opportunitätskosten der freien Zeit mit steigendem Einkommen höher werden.
ANHANG:
BIP, NATIONALEINKOMMEN UND VOLKSEINKOMMEN DER KANTONE
VOM BIP ZUM NATIONALEINKOMMEN
Das BIP zeigt die Wertschöpfung, welche bei der Produktion von Waren und DL entstanden
ist. Dabei geht man vom so genannten Inlandsprinzip aus. Das BIP erfasst also die Summe
der Wertschöpfungen im Inland – massgebend ist der inländische Entstehungsort.
„Wieviel Einkommen erzielen die in der Schweiz wohnhaften Personen?“
Darauf gibt das BIP keine geeignete Antwort, denn im BIP sind die Zinsen, die uns auf
Anlagen im Ausland gutgeschrieben werden, nicht enthalten. Ebenso bleiben im BIP die
Einkommen unberücksichtigt, welche die Personen beziehen, die in der Schweiz wohnen,
aber im Ausland arbeiten. Andererseits sind im BIP auch Einkommen enthalten, welche an im
Ausland Wohnhafte ausbezahlt werden: Zinsen auf Anlagen in der Schweiz und Löhne von
ausländischen Grenzgängern.
Das Nationaleinkommen gibt Antwort auf die Frage der Höhe des Einkommens von in der
Schweiz wohnhaften Personen. Es beruht auf dem Inländerprinzip – massgebend ist also der
inländische Wohnsitz.
Wie man vom BIP zu Nationaleinkommen (ersetzt das ehemalige BSP) gelangt:
(in Mio. Franken, 2001)
BIP
422,8
Kapital- und Arbeitseinkommen an das Ausland
- 66,5
+
Kapital- und Arbeitseinkommen aus dem Ausland
+ 89,8
=
Bruttonationaleinkommen (BNE)
446,3
Abschreibungen
- 76,0
=
Nettonationaleinkommen
370,3
CH verfügt über ein grosses Nettovermögen im Ausland, das jährlich hohe Erträge abwirft,
deshalb ist das BNE deutlich grösser als das BIP!
DAS VOLKSEINKOMMEN DER KANTONE
Zur Zeit ist es noch nicht möglich, das BIP auf Kantonsebene zu berechnen. Ein Vergleich der
wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Kantone ist zur Zeit nur über das Einkommen möglich.
Das so genannte Volkseinkommen setzt sich aus drei Komponenten zusammen: Dem
Einkommen der Haushalte (umfasst das Arbeitnehmereinkommen, das Geschäftseinkommen
der Selbständigen und das Vermögens- und Mietzinseinkommen inklusive direkte Steuern und
Sozialversicherungsbeiträge), dem Einkommen der Kapitalgesellschaften (unverteilte
Gewinne und direkte Steuern) und dem Vermögens- und Erwerbseinkommen des Staates und
der Sozialversicherungen.
Der hohe Anteil der Einkommen von Kapitalgesellschaften in Basel und Zug ist darauf zurückzuführen, dass dort eine stattliche Anzahl von Grossunternehmen ihren Sitz hat.
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IUR I
KAPITEL 5 – DAS KONJUNKTURPHÄNOMEN:
KURZFRISTIGE BETRACHTUNGEN DER WIRTSCHAFTLICHEN ENTWICKLUNG
DAS ERSCHEINUNGSBILD DER KONJUNKTUR
Schwankungen im Auslastungsgrad des Produktionspotenzials nennt man
Konjunkturschwankungen.
Das Produktionspotenzial gibt an, wie viele Güter und DL produziert werden könnten, wenn
die vorhandenen Produktionsfaktoren voll ausgelastet werden. Unter ausgelastetem
Produktionspotenzial versteht man eine Normalauslastung von zirka 85%.
Konjunkturforscher haben seit jeher versucht, gewisse Gesetzmässigkeiten in der zeitlichen
Abfolge zu erkennen und diese in einem Muster eines typischen Konjunkturzyklus
einzufangen. Danach zerfällt ein solcher Zyklus in eine Phase des Abschwungs, der durch ein
Nachlassen der wirtschaftlichen Aktivität gekennzeichnet ist. Es braucht weniger
Produktionsfaktoren, die Nachfrage geht zurück, die Gewinnerwartungen der Unternehmen
schwinden, die Produktion wird gedrosselt und als Folge davon werden Arbeitskräfte
freigesetzt. Nimmt dieser Abschwung eine gewisse Intensität an, spricht man von einer
Rezession (Rezession = Eine Abnahme des BIP in mindestens zwei aufeinander folgenden
Quartalen). Gelingt es nicht, diesen Abschwung zu bremsen, und fällt die Konjunktur in ein
tiefes Tal, welches durch hohe Arbeitslosigkeit, sinkende Löhne, tiefe Zinsen, ganz allgemein
von einer depressiven Stimmung gekennzeichnet ist, so spricht man – demzufolge – von einer
Depression.
Ist dieses Tal überwunden, folgt eine Phase der Hoffnung, in der die Zukunftserwartungen
wieder positiver sind, die Gewinnerwartungen der Unternehmer steigen, die
Konsumfreudigkeit der Haushalte zunimmt, die Investitionen steigen, vermehrt Arbeitskräfte
eingestellt werden und die Nachfrage und die Produktion wieder zunehmen.
Volkswirtschaftlich ausgedrückt heisst diese Phase Aufschwung. Auf Grund der hohen
Nachfrage könne im Laufe des Aufschwungs in verschiedene Branchen Engpässe auftreten,
die zu weiteren Investitionen, zu Preiserhöhungen, zu steigenden Zinsen und zu einem
Mangel an qualitativ und quantitativ erforderlichen Arbeitskräfte führen. Diese Phase des
Konjunkturzyklus bezeichnet man als Boom oder Hochkonjunktur.
Stagniert auf Grund er hohe Preise die Nachfrage und wird die Investitionsneigung infolge der
steigenden Faktorpreise (Löhne und Zinsen) rückläufig, geht der Boom in den Abschwung
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Zusammenfassung VWL
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IUR I
über, womit wir wieder beim Ausgangspunkt unserer Analyse des Konjunkturzyklus angelangt
wären.
Den Höhepunkt des Zyklus bezeichnet man als oberen Wendepunkt, den Tiefstand als
unteren Wendepunkt.
Die einzelnen Phasen sind allerdings nicht so klar definiert, als dass man sie exakt
voneinander unterscheiden könnte; die Grenzen zwischen den einzelnen Konjunkturphasen
sind vielmehr fliessend.
Mit der konkreten Messung des Produktionspotenzials sind erhebliche statistische Probleme
verbunden, deshalb:
In der Praxis wird der Konjunkturverlauf anhand der Wachstumsrate des realen BIP
gemessen.
Real bedeutet, dass Steigerungen des BIP, welche nur auf Preiserhöhungen zurückzuführen
sind, korrigiert werden. Würde beispielsweise bei verdoppelten Preisen die gleiche Menge
produziert, käme es zu einer Verdoppelung des BIP. Das BIP zu laufenden Preisen
(=nominelles BIP) wird deshalb durch die Berücksichtigung der Preisentwicklung auf die
Preisbasis eines bestimmten Jahres umgerechnet (=reales BIP).
In früheren Konjunkturzyklen war die Differenz zwischen den niedrigsten und den höchsten
Wachstumsraten um einiges grösser, als dies heute der Fall ist. Die Konjunkturschwankungen
sind also kleiner – aber deshalb nicht unangenehmer – geworden. In den Zeiten des starken
Wirtschaftswachstums konnten sich konjunkturelle Störungen wegen den vorherrschenden
Wachstumskräften gar nicht richtig entfalten, beziehungsweise sie liessen sich rasch
überwinden. In Zeiten, in denen sich das Wirtschaftswachstum verlangsamt, steigt die
Krisenanfälligkeit, und die Widerstandsfähigkeit gegen Konjunktureinbrüche sinkt.
Dies zeigte sich in den 1990er-Jahren vor allem auf dem Arbeitsmarkt. Ein vergleichsweise
geringer Einbruch bei den Zuwachsraten des BIP wirkte sich dramatisch auf die Beschäftigung
aus.
Die Konjunktur ist im Wesentlichen geblieben, was sie schon immer war: ein Phänomen des
ständigen Auf und Ab der wirtschaftlichen Tätigkeit.
KONJUNKTURINDIKATOREN
Es gibt mehrer Massstäbe um die jeweilige Wirtschaftslage zu beschreiben. Diese Massstäbe
nennt man Konjunkturindikatoren.
Konjunkturindikatoren dienen als „Anzeiger“ für den Gesundheitszustand einer VW.
Der Hauptindikator sind die Veränderungsraten des realen BIP. Es bieten sich aber noch
einen Menge weiterer Indikatoren an, beispielsweise:
• die Preisentwicklung
Nachhinkend
• die Bestellungseingänge
Vorauseilend
• die Entwicklung der Auftragsbestände
• das Investitionsverhalten
Gleichlaufend
• die Lohnentwicklung
Nachhinkend
• die Entwicklung der Arbeitslosigkeit
Nachhinkend
• die Veränderung der Geldmenge
Vorauseilend
• die Wechselkursentwicklung
• der Verlauf des Konsums
Gleichlaufend
• die Konsumentenstimmung
• die Entwicklung der Exporte
Gleichlaufend
• die Entwicklung der Zinsen
Nachhinkend
• die Anzahl offener Stellen
Vorauseilend
• das Sparverhalten
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IUR I
Bei der Analyse der Indikatoren stellt man fest, dass gewisse Indikatoren mit der Konjunktur
zeitlich Gleichlaufen, andere der Konjunktur nachhinken und wieder andere ihr vorauseilen.
Weil die vorauseilenden Indikatoren anzeigen, wie der Verlauf der Konjunktur in absehbarer
Zeit sein könnte, werden sie speziell zu Prognosezwecken eingesetzt. Der
Konjunkturbarometer KOF / ETH ist in der Schweiz die wohl bekannteste Darstellung
vorauseilender Indikatoren.
Der Konjunkturbarometer enthält:
• Bestellungseingang Industrie
• Auftragsbestand Industrie
• Auftragsbestand Bauwirtschaft
• Erwarteter Rohstoff- und Halbfabrikateinkauf
• Beurteilung finanzielle Lage der Haushalte
• Beurteilung der Lagerbestände im Grosshandel
Zur Interpretation des Barometers:
Ähnlich wie bei einem Index ist nicht das Niveau des Barometers, sondern die Tendenz
entscheidend. Negative Werte sind deshalb nicht gleichbedeutend mit einem Signal für eine
negative Wachstumsrate, sondern lediglich für eine Wachstumsverlangsamung.
Der Barometer weist auf das BIP einen Vorlauf von ca. 6 bis 9 Monate auf.
Die Indikatoren unterscheiden sich aber nicht nur in der zeitlichen Abfolge vom Verlauf des
BIP sondern ebenso in ihrer Intensität. So sind z.B. die Schwankungen des privaten
Konsums deutlich kleiner als die des BIP. Umgekehrt verhalten sich z.B. die Investitionen, ihre
Ausschläge sind bedeutend stärker als diejenigen des BIP. Dieses unterschiedliche Verhalten
hängt mit der Reagibilität der Nachfrage nach den entsprechenden Produkten und DL im
Konjunkturverlauf zusammen. Die Messgrösse für die Stärke der Reaktion auf Einkommensveränderungen ist die Einkommenselastizität.
Der private Konsum macht die Schwankungen des BIP nur beschränkt mit, weil darin Güter
enthalten sind, die lebenswichtig sind und deshalb nicht auf sie verzichtet werden kann.
Die Investitionen verändern sich sehr stark, sie tragen somit wesentlich zu
Konjunkturschwankungen bei. Wenn die Zukunftserwartungen schlecht eingeschätzt werden,
wird zuerst auf Investitionen verzichtet, beziehungsweise sie werden hinausgeschoben. Erst
wenn die Nachfrage wieder anzieht und die Lager schrumpfen, werden die Investitionen
überproportional gesteigert.
Diese unterschiedliche Reagibilität der Nachfrage nach bestimmten Produkten und
Dienstleistungen bringt es mit sich, dass ganze Branchen von Konjunkturveränderungen unterschiedliche getroffen werden.
Branchen, in denen vorwiegend Investitionsgüter hergestellt werden, erfahren eine Rezession
viel stärker als beispielsweise das Gesundheitswesen. Die Bauwirtschaft und die
Maschinenindustrie sind Musterbeispiele für besonders Leidtragende der letzten Rezession.
Es erstaunt auch nicht, dass unsere Exportwirtschaft empfindlich auf
Konjunkturschwankungen reagiert, entfällt doch mehr als ein Drittel unserer gesamten
Produktexporte auf Investitionsgüter.
Die Branchenzusammensetzung ist deshalb mitentscheidend für die unterschiedliche
Konjunkturempflindlichkeit von ganzen Regionen und Ländern.
WARUM GIBT ES KONJUNKTURSCHWANKUNGEN?
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IUR I
Will die Wirtschaft die negativen Effekte von Konjunkturschwankungen bekämpfen, muss
zunächst geklärt werden, worauf sie zurückzuführen sind.
GESAMTANGEBOT UND GESAMTNACHFRAGE
Die Gesamtnachfragekurve erfasst die Beziehung zwischen der Gesamtmenge an
nachgefragten Gütern und dem gesamtwirtschaftlichen Preisniveau. Die
Gesamtnachfragekurve zeigt die Menge von Gütern, welche Unternehmen, Haushalte und
Staat zu unterschiedlichen Preisen zu kaufen bereit sind. Die Gesamtnachfrage umfasst den
privaten und öffentlichen Konsum, alle Investitionen und die Nettoexporte (die Verwendungsseite des BIP). Sinkt das Preisniveau, ist das Geld im Portemonnaie mehr wert, die
Konsumenten fühlen sich wohlhabender und die kaufen entsprechend mehr; deshalb hat die
Gesamtnachfragekurve eine negative Steigung.
Ebenso könne wir eine Gesamtangebotskurve zeichnen, welche die Beziehung der
Gesamtmenge an angebotenen Gütern und dem gesamtwirtschaftlichen Preisniveau erfasst.
Die Gesamtangebotskurve zeigt die Menge von Gütern, welche Unternehmen zu
unterschiedlichen Preisen produzieren und verkaufen möchten (die Produktionsseite des BIP).
Sinkt das Preisniveau für die angebotenen Güter, reagieren die Unternehmen mit kleinerer
Produktion und weniger Beschäftigung; deshalb hat die Gesamtangebotskurve eine positive
Steigung.
Verschieben sich die Gesamtnachfrage- oder/und die
Gesamtangebotskurve kommt es zu Veränderungen
in der Produktion und damit zu
Konjunkturschwankungen.
URSACHEN FÜR KONJUNKTURSCHWANKUNGEN
Eine Veränderung des Preisniveaus bewirkt also eine Bewegung auf der Gesamtangebotsbzw. der Gesamtnachfragekurve. Angebot und Nachfrage von vielen Gütern sind jedoch
zusätzlich zum Preis von vielen anderen Einflussfaktoren abhängig, Beispiele dafür sind:
• Die Nationalbank erhöht die Geldmenge. Vie sinkende Zinsen führt dies zu einer erhöhten
Nachfrage nach Konsum- und Investitionsgütern – die Gesamtnachfragekurve verschiebt
sich nach rechts. Die monetären Konjunkturtheorien erkennen in der Veränderung der
Geldmenge die entscheidende Ursache für Konjunkturschwankungen.
• Neue Technologien senken die Produktionskosten – die Gesamtangebotskurve verschiebt
sich deshalb nach rechts. Durch eine Naturkatastrophe werden Produktionskapazitäten
vernichtet – die Gesamtangebotskurve verschiebt sich deshalb nach links. Die Theorie
realer Konjunkturzyklen erklärt Konjunkturschwankungen ausschliesslich mit
Schwankungen der Gesamtangebotskurve, welche auf reale Veränderungen (insbesondere
technologische Schocks) zurückzuführen sind.
• Eine pessimistische Welle erfasst die Bevölkerung und führt zu erhöhten Sparanstrengungen und Einschränkung im Konsum – die Gesamtnachfragekurve verschiebt sich nach
links. Die psychologischen Konjunkturtheorien identifizieren sich gegenseitig ablösende
pessimistische oder optimistische Wellen als Hauptgrund für Konjunkturschwankungen.
• Auf Grund der bevorstehenden Wahlen versuche die Politiker durch Ausgabenerhöhungen
und Steuersenkungen Wähler zu gewinnen – die Gesamtnachfragekurve und die Gesamtangebotskurve verschieben sich nach rechts. Politische Konjunkturmodelle untersuchen
den Zusammenhang zwischen Wahl- und Konjunkturzyklen.
Das war nur eine Auswahl von Beispielen, welche zu Konjunkturschwankungen führen
können. „Die Konjunkturtheorie“ gibt es nicht. Jeder Erklärungssatz wird deshalb von der
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IUR I
jeweiligen Situation geprägt, in welcher er entwickelt wurde. Die Konjunkturtheorien stellen
auch nicht Gegensätze dar, sondern sie setzen andere Schwerpunkte.
Zudem haben Veränderungen einer Grösse auch Veränderungen anderer Grössen zur Folge:
Im volkswirtschaftlichen Kreislauf sind alle Grössen miteinander vernetzt. Konjunkturschwankungen können durch verschiedene Impulse ausgelöst werden, welche Veränderungen von
volkswirtschaftlichen Grössen bewirken, die miteinander verbunden sind.
In einer Marktwirtschaft werden die Aktivitäten von individuellen Entscheidungen getragen.
Diese Entscheidungen werden unter dem Einfluss einer Vielzahl von Impulsen gefällt, die
unaufhörlich auf uns einwirken und unser Handeln bestimmen. Ein komplexes Zusammenspiel
aller wirtschaftlichen Entscheidungen und der dadurch ausgelösten Aktivitäten führ zu
Veränderungen an den verschiedenen Märkten und damit letztlich zu
Konjunkturschwankungen.
KONJUNKTURELLE VERSTÄRKER
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Zusammenfassung VWL
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IUR I
Die durch solche Impulse ausgelösten Schwankungen haben die Tendenz, sich aus eigener
Kraft zu beschleunigen. Diese Selbstbeschleunigung ist auf verschiedene Verstärker
zurückzuführen. Erwartungen spielen immer eine entscheidende Rolle, weil Entscheidungen
immer zukunftsgerichtet sind. Auch wenn die psychischen Faktoren nicht von jedermann als
eigentliche Ursache von Konjunkturschwankungen erachtet werden, sind sie doch als
psychologische Verstärker anerkannt. Dass die Investitionen ein überdurchschnittliches Mass
von Schwingungsintensität aufweisen, haben wir bereits gesehen.
Investitionen bewirken zwei Effekte:
1. Einmal lösen sie einen Kapazitätseffekt aus, es werden Kapazitäten geschaffen, die das
Potenzialwachstum mitbestimmen.
2. Im Zuge der Herstellung dieser Kapazitäten entsteht aber auch ein Einkommenseffekt,
d.h. es entstehen Einkommen, die in Nachfrage umgesetzt werden und somit die
Potenzialauslastung mitbestimmen.
Es liegt nun auf der Hand, dass der Relation von Kapazitäts- und Einkommenseffekt eine
zentrale Rolle zukommt. Nur wenn Kapazitäts- und Einkommenseffekt identisch sind, gerät die
Konjunktur nicht in Schwingungen. Ist der Kapazitätseffekt grösser als der Einkommenseffekt,
bleiben Kapazitäten unausgelastet. Die Folge wird ein Kapazitätsabbau sein, d.h. die
Investitionen werden zurückgehen. Ist der Kapazitätseffekt kleiner als der Einkommenseffekt,
werden Kapazitäten überbeansprucht mit der Folge, dass es zu einem Kapazitätsaufbau, d.h.
zu einer Beschleunigung der Investitionstätigkeit kommt. Wie ausgeprägt diese
Schwankungen sind, hängt von den folgenden Bedingungen ab:
Die Multiplikatortheorie
Welche gesamtwirtschaftlichen Einkommenswirkungen entstehen, wenn dank einer Investition
eine Nachfrage von Fr. 500'000.- ausgelöst wird? Die einkommen nehmen gesamthaft um
mehr als Fr. 500'000.- zu, weil die Bezüger dieser Einkommen, ob Arbeitnehmer in Form von
Lohn oder Unternehmer in Form von Gewinn, eine Teil davon wieder ausgeben und damit
zusätzliche Einkommen auslösen. Die Stärke dieses Prozesses ist vom Anteil der Einkommen
abhängig, welcher wieder ausgegeben wird, also nicht gespart wird. In der Fachsprache nennt
man das die Grenzneigung zum Konsum. Eine Erhöhung der Nachfrage wirkt also
multiplikativ, weil ein Einkommenseffekt erzeugt wird, der bedeutend grösser ist als die
ursprüngliche Nachfrageerhöhung. Deshalb bezeichnet man diese Erkenntnis als
Multiplikatortheorie. Ein Beispiel dazu:
Nehmen wir an, der Staat löse eine zusätzliche Investition von 100. Mio. aus und die
Grenzneigung zum Konsum sei 0,8 oder 80%.
Der Multiplikator berechnet sich wie folgt:
1 / (1 – Grenzneigung zum Konsum).
In unserem Fall beträgt er 5, der gesamte Einkommenseffekt ist fünfmal grösser als die
ursprüngliche Investition. Die Wirkung des Multiplikators wird immer kleiner und verpufft
schliesslich.
In der genau gleichen Weise kann eine Nachfrageerhöhung um 100 Mio. multiplikative
Beschäftigungswirkungen auslösen. Denn auch auf dem Arbeitsmarkt kann die Summer der
gesamthaft geschaffenen Arbeitsplätze grösser sein als die unmittelbar entstandenen.
Ebenso wie die Einkommen oder die Beschäftigung bei einer Erhöhung der Nachfrage um ein
vielfaches zunehmen, nehmen sie bei einer Verringerung der Nachfrage um ein Vielfaches ab.
Die Multiplikatortheorie besagt, dass Veränderungen in der Nachfrage überproportionale
Veränderungen der Einkommen und der Beschäftigung auslösen.
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IUR I
Die Akzeleratortheorie
Wieviel Investitionen werden durch die Veränderung der Nachfrage ausgelöst? Wir wollen
auch diese Frage mit Hilfe eines Beispiels beantworten: Dazu treffen wir folgende Annahme:
Eine Unternehmung in der Teigwaren hergestellt werden, verfügt über einen voll
ausgelasteten Maschinenpark im Wert von Fr. 600'000.-. Die periodischen Abschreibungen
betragen 10%; in diesem Umfang werden entsprechende Ersatzinvestitionen vorgenommen.
In der 2.Periode steigt die Nachfrage nach Teigwaren dieser Unternehmung um 10%, in der
3,Periode bliebt sie konstant.
Das Zahlenbeispiel zeigt, dass Veränderungen in der Nachfrage viel grössere („akzelerierte“)
Veränderungen der Investitionen hervorrufen. In der 2.Periode erhöht sich die Nachfrage um
10%, weshalb 10% mehr Produktionskapazitäten geschaffen werden müssen. Als Folge
davon steigen die Investitionen sprunghaft um 100% an. Diesen produktionstechnischen
Beschleunigungseffekt nennt man Akzeleratortheorie. In der 3.Periode zeigt das Beispiel, wie
der Akzelerator zu einem Umkippen der Investitionen führt, auch wenn die Nachfrage konstant
bleibt. Der Akzelerator erklärt die überproportionale Reaktion der Investitionen auf
Nachfrageänderungen nun auf eindrückliche Weise.
Die Akzeleratortheorie besagt, dass Veränderungen in der Nachfrage überproportionale
Veränderungen der Investitionen auslösen.
Der Akzelerator wirkt sich weniger stark aus, wenn leerstehende Kapazitäten oder
ausreichende Lager vorhanden sind. Zudem ist es denkbar, dass bei pessimistischen
Erwartungen trotz Nachfrageerhöhung zunächst keine Neuinvestitionen getätigt werden,
andererseits kann Optimismus zu Neuinvestitionen führen, auch wenn sich die Nachfrage
zunächst nicht erhöht.
Der Multiplikator- und der Akzeleratoreffekt verstärken sich gegenseitig. Allein diese beiden
Effekte könne die Konjunktur in Schwingungen versetzen.
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Konjunkturschwankungen lassen sich aus einem komplexen Zusammenspiel von Impulsen
und Verstärkern erklären. Konjunkturschwankungen sind für eine Marktwirtschaft ein typisches
Phänomen, da eine Vielzahl von individuellen Entscheidungen in einer arbeitsteiligen und
international verflochtenen Volkswirtschaft schwer voraussehbare Reaktionen aller
Wirtschaftssubjekte hervorrufen.
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KAPITEL 6 – KONJUNKTURPOLITIK
Es herrschen unterschiedliche Auffassungen darüber, welches die geeigneten Massnahmen
sind, um Konjunkturschwankungen möglichst zu vermeiden. Die Gründe dafür sind nicht nur
sachbezogene Differenzen über ökonomische Problemstellungen, sondern auch ideologische
Unterschiede, denen andere Wertvorstellungen zugrunde liegen.
DIE KLASSISCHE KONZEPTION
GRUNDÜBERLEGUNGEN
Bis zum Ausbruch der Weltwirtschaftskrise anfangs der 1930er-Jahre war folgende Meinung
vorherrschend: Störungen werden durch den Preis- und Marktmechanismus von selbst
überwunden und die Wirtschaft findet ohne Unterstützung den Weg zum Gleichgewicht.
Solche Störungen lassen sich zwar nicht abwenden, aber durch die Selbstheilungskräfte der
Marktwirtschaft werden sie überwunden!
Nach Ansicht der sogenannten Klassiker gibt es keine gesamtwirtschaftliche Überproduktion,
da sich das Güterangebot seine Nachfrage selber schaffe. Denn aus jeder Produktion
resultiere Einkommen, welches zu Nachfrage werde. Ein Konsumrückgang infolge einer
erhöhten Sparanstrengung beispielsweise löse durch den Anstieg des Kapitalangebots einen
Zinsrückgang aus und bewirke deswegen zusätzliche Investitionen (Zinsmechanismus). An
die Stelle der Konsumnachfrage trete dann eben die Investitionsnachfrage. Denkbar seien
zwar Absatzkrisen bei gewissen Produkten, die aber eine Übernachfrage nach anderen
Produkten impliziere. Der Preismechanismus führe automatisch wieder zum Gleichgewicht
zurück.
Gemässe den Klassikern hängt die Produktionsmenge nicht vom Preisniveau ab, sondern von
der Arbeitsmenge, vom Realkapital der Technologie. Nach ihrer Meinung ist der Arbeitsmarkt
immer in einem Gleichgewicht. Weil es keine frei verfügbaren Arbeitskräfte gibt, kann auch bei
steigendem Preisniveau die Produktion nicht erhöht werden. Dies bedeutet, dass die
Gesamtangebotskurve senkrecht verläuft. Daraus ergeben sich wichtige Konsequenzen:
Vermindert sich die Gesamtnachfrage (Verschiebung der Gesamtnachfragekurve nach links),
vermindert sich kurzfristig die Produktion von Punkt A nach Punkt B. Da bei Punkt B die
Produktion aber unter ihrem möglichen Niveau liegt, führen sinkende Preise von Punkt B zu
Punkt C. So hat die ursprünglich gesunkene Gesamtnachfrage zwar zu Preissenkungen, nicht
aber zu Veränderung der Produktion geführt. Die senkrechte Gesamtangebotskurve impliziert
somit, dass die Angebotspreise auf Veränderungen der Nachfrage sehr flexibel reagieren.
Preisveränderungen haben also keinen Einfluss auf die angegebenen Menge (unelastische
Angebotskurve).
KONSEQUENZEN FÜR DIE WIRTSCHAFTSPOLITIK
Staatliche Massnahmen zur Unterstützung der Nachfrage haben keine realen Effekte.
Staatliche Eingriffe werden deshalb abgelehnt. Der Staat hat sich darauf zu beschränken, ein
reibungsloses Funktionieren der Marktwirtschaft sicherzustellen, indem er für optimale
Rahmenbedingungen sorgt (Nachtwächterstaat). Staatliche Eingriffe behindern die
marktwirtschaftlichen Kräfte nur.
Jedes Angebot schafft sich die entsprechende Nachfrage! Bei einem funktionierenden Preisund Zinsmechanismus kann es keine dauerhaften Ungleichgewichte geben. Der Staat hat sich
deshalb auf eine „Nachtwächterfunktion“ zu beschränken.
Preise reagieren auf Veränderungen der Nachfrage
sehr flexibel (senkrechte Gesamtangebotskurve).
Veränderungen der Nachfrage lösen deshalb nur
Preisschwankungen aus.
Entscheidend für die Höhe des BIP ist das Angebot.
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DIE KEYNESIANISCHE KONZEPTION
HINTERGRUND DER ENTSTEHUNG
Während der Massenarbeitslosigkeit der 1930er-Jahre häuften sich die Zweifel an den
Selbstheilungskräften der Marktwirtschaft. J.M. Keynes wollte beweisen, dass unter
bestimmten Bedingungen ein Gleichgewicht auf den Gütermärkten mit Arbeitslosigkeit
bestehen kann, dass ein marktwirtschaftliches System nicht aus sich heraus Kräfte freisetzt,
um Vollbeschäftigung zu erreichen, und dass solche Instabilitäten durchaus korrigierbar sind.
GRUNDÜBERLEGUNGEN
Aus dem Wirtschaftskreislauf geht hervor, dass im Idealfall Angebot und Nachfrage gleich
gross sind. Dieser Zusammenhang wird aber durch Zu- und Abflüsse durchbrochen.
Die Abflüsse sind dadurch bedingt, dass die Verbraucher nicht alles ausgeben, was sie
verdienen, also sparen, ihre Ausgaben auch für Importe verwenden, und dass der Staat
Steuern erhebt. Die Zuflüsse kommen zustande, wenn die Unternehme exportieren und
zusätzliche Maschinen anschaffen (investieren), und wenn der Staat Ausgaben tätigt. Da die
Zu- und Abflüsse normalerweise nicht gleich gross sind, entspricht das gesamtwirtschaftliche
Angebot nicht zwangsläufig der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage, so dass es zu
Gleichgewichtsstörungen kommt. Zur Veranschaulichung dient das Bild einer Badewanne:
Fliesst mehr zu als ab = Überschwemmung, fliesst mehr ab als zu = Trockenheit.
Sind die Zuflüsse grösser als die Abflüsse wird die Wirtschaft überschwemmt, es entsteht
Inflation. Umgekehrt besteht Arbeitslosigkeit, wenn mehr Ab- als Zufliesst.
Somit ist die Nachfrage massgebend für die Produktion und damit auch für die Höhe des BIP.
Nach Keynes bestimmt nicht das Angebot die Nachfrage, sonder die Nachfrage bestimmt das
Angebot.
Das klingt logisch, war für die damalige Zeit aber eine Umkehr des bisher Gültigen. Bis dahin
glaubte man den Klassikern, gemäss welchen jedes Angebot eine gleich grosse Nachfrage
schaffen würde.
Ist die gesamte Nachfrage kleiner als die Vollbeschäftigungsproduktion, so besteht eine
Nachfragelücke. Die Unternehmer reagieren darauf mit Drosselung der Produktion. Keynes
bestritt als nicht die Tendenz zu Gleichgewicht auf dem Gütermarkt. Nach ihm ist es aber nicht
auszuschliessen, dass bei diesem Gleichgewicht die Zahl der Arbeitssuchenden grösser ist
als die zur Produktion erforderlichen Arbeitskräfte.
Da im Gleichgewicht die Unternehmenserwartungen erfüllt sind, sehen die Unternehmer
keinen Grund ihre Investitions- oder Produktionsentscheidungen zu ändern, Keynes nannte
dies „Gleichgewicht bei Unterbeschäftigung“. Dieses Problem wird gemäss Keynes nicht von
selbst (durch die marktwirtschaftlichen Kräfte) beseitigt. Denn die Preise sind nach Ansicht der
Keynesianer in kurzer Frist relativ starr, weil Preisänderungen auch Kosten verursachen (neue
Preisschilder, Kataloge, etc.) Man nennt diese Kosten „menu costs“ (Speisekarten-Kosten).
Zudem bezweifelte Keynes die Wirksamkeit des Lohnmechanismus, weil die Löhne nach
unten infolge von staatlichen Eingriffen, wegen den Gewerkschaften und anderen Gründen,
relativ starr seien. Er äusserte auch grundsätzliche Bedenken am Zinsmechanismus. Eine
unzureichende Investitionstätigkeit sein nicht auf das Zinsniveau, sondern auf die schlechten
Erfolgserwartungen zurückzuführen.
Die Situation der ausbleibenden Investitionen trotz tiefen Zinsen bezeichnete Keynes als
Investitionsfalle. Eine Erhöhung der Geldmenge kann in der Investitionsfalle also keine
belebende Wirkung entfalten. Eine zweite Begründung für die „monetäre Impotenz“ ist gemäss
Keynes die Liquiditätsfalle. Sie tritt ein, wenn zusätzliches Geld nicht in Obligationen angelegt
wird, weil die Renditen aufgrund der tiefen Zinssätze uninteressant sind. Das zusätzliche Geld
wird liquid gehalten, wodurch die Zinsen nicht weiter sinken und zusätzliche Investitionen
ausbleiben.
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Im Gegensatz zu den Klassikern basiert der keynesianische Ansatz auf unflexiblen Preisen,
Löhnen und Zinssätzen. Deshalb verläuft die Gesamtangebotskurve flach bzw. nur leicht
aufwärts. Sinkt die Nachfrage, sinkt das Produktionsniveau von M1 nach M2, die Preise
sinken und es entsteht Arbeitslosigkeit.
KONSEQUENZEN FÜR DIE WIRTSCHAFTSPOLITIK
Um Vollbeschäftigung zu erreichen, muss die Nachfrage gesteigert werden.
Erinnern wir uns daran, wie sich die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zusammensetzt:
Privater Konsum + Export + Investitionen + Staatskonsum = gesamtwirtschaftliche Nachfrage
Der Private Konsum ist in erster Linie abhängig vom Volkseinkommen, andererseits bestimmt
der private Konsum zu einem wesentlichen Teil die Höhe des Volkseinkommens, es besteht
eine gegenseitige Abhängigkeit. Der Statt kann auf den privaten Konsum insofern indirekt
Einfluss nehmen, als er durch seine Steuerpolitik das verfügbare Einkommen mitbestimmt.
Der Exportwirtschaft kann durch staatliche Unterstützung bzw. steuerliche Entlastungen unter
die Arme gegriffen werden, zudem nützt eine künstliche Tiefhaltung der eigenen Währung der
Exportwirtschaft.
Was die Investitionen der Unternehmer betrifft, führen nach Keynes tiefe Zinsen nicht zum
Aufschwung, weil für sie vor allem die Zukunftserwartungen entscheidend sind. Indirekt kann
der Staat versuchen, die privaten Investitionen durch Zuschüsse oder steuerliche
Entlastungen anzukurbeln.
Bleiben die staatlichen Investitionen und der Staatskonsum: Bei ihnen liegt der ideale
Ansatzpunkt, weil sie direkt von Staat bestimmt werden können. Die Keynesianer sehen
deshalb in Ausgabenerhöhungen das geeignetste Mittel zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit.
Zudem empfehlen sie in Krisenzeiten Steuersenkungen, um das frei verfügbare Einkommen
zu erhöhen und damit den privaten Konsum, die Exporte und auch die
Unternehmerinvestitionen zu stimulieren.
Ausgabenerhöhungen und Steuersenkungen führen zu Budgetdefiziten. In der Boomphase
plädieren sie andererseits für eine Senkung der Staatsausgaben und eine Erhöhung der
Steuern, d.h. für einen Budgetüberschuss.
Das Schwergewicht der Konjunktursteuerung liegt also bei der Finanzpolitik. In konjunkturellen
Abschwüngen muss der Staat seine Ausgaben erhöhen, im Aufschwung kürzen. Da dies der
Konjunkturentwicklung entgegenläuft, wurde dafür der Ausdruck antizyklische Finanzpolitik
geprägt. Durch diese Feinsteuerung sollte es gelingen, die unangenehmen
Konjunkturschwankungen zu glätten.
Weil die Selbstheilungskräfte der Marktwirtschaft nicht funktionieren, muss der Staat eine
antizyklische Finanzpolitik betreiben, d.h. in Krisenzeiten seine Ausgaben erhöhen, die
Steuern senken und ein Budgetdefizit in Kauf nehmen; in der Hochkonjunktur muss er die
Ausgaben senken, die Steuern erhöhen und einen Budgetüberschuss erzielen. So stabilisiert
der Staat durch die Steuerung der Nachfrage die konjunkturelle Lage.
Zusätzlichen Aufwind erhält die antizyklische Finanzpolitik durch die konjunkturellen
Verstärker (Multiplikatortheorie + Akzeleratortheorie).
Eine Erhöhung der Staatsausgaben bewirkt, dass gewisse Leute ein Einkommen erhalten,
das sie sonst nicht bekommen hätten. Weil ein Teil dieses Zusatzeinkommens ausgegeben
wird, kommt dieses Geld wieder anderen Leute zugute. Auch die werden einen Teil davon
wieder ausgeben, und insgesamt steigt deshalb das Einkommen um ein Vielfaches der
zusätzlichen Staatsausgaben an. Eine Steuersenkung hat selbstverständlich die gleichen
Auswirkungen.
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ZUSAMMENFASSUNG – KEYNESIANISCHE KONZEPTION
Die Preise sind kurzfristig nur wenig flexibel
(flache Angebotskurve).
Veränderungen der Nachfrage bewirken
deshalb grosse Schwankungen des BIP.
Entscheidend für die Höhe des BIP ist die
Nachfrage und nicht das Angebot.
Zentrales Problem:
Konjunkturelle Arbeitslosigkeit
Therapie:
Der Staat muss intervenieren, um das Nachfragedefizit zu füllen.
1. Erhöhung der Staatsausgaben (schafft Nachfrage)
2. Senkung der staatlichen Einnahmen (verbessert die Erwartungen
der Unternehmungen und fördert den Konsum)
Infolge 1. und 2. entstehen Defizite im Staatshaushalt
3. Finanzierung der Defizite durch Anleihen
(Brachliegende Spargelder werden kreislaufmässig „reaktiviert“)
Kennzeichen:
1. Antizyklische Intervention = Feinsteuerung = abwechselndes
Bremsen und Gasgeben
2. Konzentration auf die Finanzpolitik
(Geldpolitik wird zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit als wenig
geeignet betrachtet)
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EINWÄNDE GEGEN DIE KONJUNTKTURPOLITK VON KEYNES
Obwohl das Keynesianische Gedanken gut durchaus logisch erscheint, ergeben sich in der
praktischen Umsetzung dennoch einige Probleme:
• Entscheidungs- und Wirkungsverzögerungen (Time Lags) treten auf: schon die Diagnose
kann aufgrund der Verzögerung der statistischen Daten nicht die aktuelle Lage erfassen.
Bis dann endlich Massnahmen ausgearbeitet und beschlossen werden, und bis zu deren
Einführung und Wirkung vergeht weitere Zeit. Weil sich inzwischen die konjunkturelle
Situation verändert haben kann, besteht die Gefahr, dass die Therapie prozyklisch
antizyklisch wirkt, d.h. dass die konjunkturelle Phase verstärkt statt gebremst wird. Stellen
Sie sich zudem den Kampf im Parlament vor, wo und für was Geld ausgegeben wird, etc.
• Der Rückweg stellt ein Problem dar: Steuererleichterungen und Ausgabenerhöhungen
lassen sich noch relativ leicht beschliessen. Aber im Aufschwung Steuererhöhungen und
Ausgabenkürzungen durchzubringen, ist eine schwere und wenig populäre Aufgabe.
• Wenn es nicht gelingt, in der Hochkonjunktur Überschüsse zu realisieren entstehen
Probleme bei der Finanzierung der Defizite. Werden sie mittels Anleihen im Inland
finanziert, erhöht sich das Zinsniveau. Durch den Zinsanstieg werden aber insbesondere
Unternehmerinvestitionen verdrängt, weshalb ein Aufschwung nicht zustande kommen
kann. Diese Verdrängung wird als crowding-out-Effekt bezeichnet. Die Stärke des
crowding-out-Effektes hängt von der Wirkung der Fiskalpolitik auf die Zinsen und der
Zinselastizität der privaten Investitionen ab. Wird das Defizit nicht durch Anleihen, sondern
durch die Nationalbank finanziert, vergrössert sich die Geldmenge, und es werden
Inflationsgefahren geschürt. (CH Staat kann nicht direkt bei SNB Geld aufnehmen!!!)
• Ein weiterer Einwand stellt die Theorie der rationalen Erwartungen dar. Diese Theorie geht
davon aus, dass staatliche Eingriffe wirkungslos sind, weil die Wirtschaftsteilnehmern sie
durchschauen und sich nicht in die Irre führen lassen. Sie passen sich der veränderten
Situation an, so dass die Wirkung der Eingriffe verpufft. Das heisst also, die
Wirtschaftssubjekte rechnen mit einem Anstieg der Steuern als Reaktion auf die höheren
Ausgaben des Staates. Durch den Steueranstieg wird das zukünftig verfügbare Einkommen
vermindert und dies führt schon heute zu einem Anstieg der Ersparnisse. Dadurch kann
aber der erhoffte Konjunkturaufschwung schon im Keime erstickt werden, und es können
negative Multiplikatoreffekte auftreten.
• Staatliche Ankurbelungsprogramme sind mit der Gefahr der „Strukturerhaltungs-Falle“
behaftet. Werden die knappen finanziellen Mittel in ineffiziente Projekte und Branchen
gesteckt, lösen sie nur ein kurzes Strohfeuer aus, verzerren marktwirtschaftliche
Anreizstrukturen und zementieren überholte Strukturen.
WIRKT DIE SCHWEIZERISCHE FINANZPOLITIK ANTIZYKLISCH?
Aus den bisherigen Überlegungen neigen wir dazu, ein Budgetdefizit mit einer expansiven
(ankurbelnden) Finanzpolitik gleichzusetzen. Diese Interpretation ist allerdings falsch.
Budgetverschlechterungen stellen sich im Laufe einer Rezession nämlich automatisch ein:
Die Steuereinnahmen sinken und die Ausgaben (vor allem die Arbeitslosenunterstützung)
steigen. Diese „automatischen Stabilisatoren“ sorgen für eine Stabilisierung der Konjunktur:
In Boomzeiten entsteht ein Überschuss, in Rezessionsjahren ein Defizit – ohne eine aktive
Veränderung der Finanzpolitik.
Wir können also nicht einfach auf das Budget schauen, um zu beurteilen, ob die Finanzpolitik
restriktiv (bremsend) oder expansiv (beschleunigend) wirkt. Für die Beurteilung der
Finanzpolitik müssen die konjunkturellen Gründe für die Schwankungen des Budgets
eliminiert werden. Dazu wird das BIP geschätzt, wie es bei einer Normalauslastung der
Kapazitäten ausgefallen wäre. Ein Vergleich mit dem tatsächlichen BIP ergibt die Outputlücke,
mit deren Hilfe ein Einnahmeausfälle und Mehrausgaben des Staates im Vergleich zur
Normalauslastung berechnet werden können. So kann das Defizit in eine konjunkturelle
Komponente und den Rest, eine strukturelle Komponente unterteilt werden.
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Das strukturelle Defizit dient somit zur Beurteilung der Finanzpolitik. Die Veränderung des
strukturellen Saldos in Prozent des BIP ergibt den Fiskalimpuls: Eine Erhöhung des
strukturellen Defizits bedeutet einen positiven Fiskalimpuls und somit eine expansive
Finanzpolitik Schaut man den Fiskalimpuls im Vergleich mit dem tatsächlichen BIP der letzten
Jahre an, so sieht man, dass der Fiskalimpuls zwischen 1993 und 2000 mehrheitliche
restriktiv wirkte. Die Anstrengungen zur Sanierung der Staatsfinanzen erfolgten also – aus
konjunkturpolitischer Sicht – zu früh und trugen dazu bei, die Erholung zu verzögern. Für den
Zeitraum 2000 bis 2003 ergibt sich ein leicht positiver Fiskalimpuls.
ERFOLGREICHE INVESTITIONSPROGRAMME
1997 hat das Parlament zuletzt auf die Lehre von Keynes im Sinne eines
Ankurbelungsprogramms Rückgriff genommen: ein 481 Millionen schweres Investitionsprogramm mit Schwerpunkt Bauwirtschaft wurde lanciert. Im Jahr 2001 folgte der
Schlussbericht zu diesem Investitionsprogramm des SECO.
Zwar wurden in der Bauwirtschaft zusätzliche Aufträge in der Höhe von 2,5 Mrd. Franken
ausgelöst, aber der BIP-Gewinn lag bei lediglich 0,14% und das Arbeitsvolumen erhöhte sich
nur sehr geringfügig. Ein Grund dafür liegt darin, dass die erhöhte Nachfrage zu über 70%
durch Importe befriedigt wurde.
Auch löste das Zückerchen des Staates einen Mitnahmeeffekt aus: Vorab private Investitionen
wären auch ohne staatliche Vergünstigungen getätigt worden. Immerhin hatte die
Konjunkturspritze laut SECO keine prozyklische Wirkung.
Die Gründe dafür, dass die Schweizer Wirtschaft 1997 aus der konjunkturellen Schwäche
herausfand, seien jedoch nicht beim Investitionsprogramm zu suchen.
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DIE MONETARISTSCHE KONZEPTION
HINTERGRUND DER ENTSTEHUNG
Nach dem Zweiten Weltkrieg entstand ein ungeheurer Nachhol- und Wiederaufbaubedarf der
darniederliegenden Volkswirtschaften. Wächst aber die Nachfrage stärker also das
Produktionspotenzial, besteht die Gefahr einer Erhöhung der Preise. Ein Anstieg des
Preisniveaus (Inflation) war denn auch das vorherrschende Problem der Nachkriegsjahre.
Gegenüber inflationären Entwicklungen war aber die keynesianische Finanzpolitik machtlos.
Mit der Veränderung der Problemlage war auch eine andere Konjunkturpolitik gefordert.
GRUNDÜBERLEGUNGEN
Milton Friedman begründete die monetaristische Schule, die sich in erster Linie mit der Rolle
des Geldes und dem Inflationsproblem auseinandersetzte. Ein Nachfrageüberhang wie er
damals vorlag, könne nur entstehen, wenn im Verhältnis zu den vorhandenen Gütern zu viel
Geld gebe argumentieren die Monetaristen.
Die Hypothese der Monetaristen mündet grundsätzlich gesagt darin, dass Veränderungen der
Geldmenge im Wesentlichen für Konjunkturschwankungen verantwortliche sind.
Für die Bestimmung des Geldwertes ist allein entscheidend, wie viele Güter man für eine
bestimmte Geldmenge kaufen kann. Diese Beziehung zwischen Geld und Gütern wollen wir
an einem stark vereinfachten Beispiel anschauen:
• Im ersten Jahr werden in einem Land 1000 Stück Güter produziert und es gibt in diesem
Land 1000 Banknoten à Fr. 10.-. Der Preis für ein Stück ist also 10 Fr.
• Die Geldmenge (1000 Noten zu Fr. 10.- = Fr. 10'000.-) ist gleich gross wie die Gütermenge
(1000 Stück zu Fr. 10.- = Fr. 10'000.-)
• Im zweiten Jahr druckt der Staat weitere 1000 Banknoten à Fr. 10.-. Der durchschnittliche
Preis pro Stück steigt auf 20 Fr. pro Stück, sodass die Geldmenge wieder gleich gross ist
wie die Gütermenge (je Fr. 20'000.-)
• Im dritten Jahr wird die Produktion der Güter dank höherer Effizienz auf 2000 Stück
gesteigert. Der Preis pro Stück sinkt als Folge wieder auf Fr. 10.-, Geld- und Gütermenge
sind wieder ausgeglichen (je Fr. 20'000.-)
• Im vierten Jahr geben die Konsumenten die Hälfte der Banknoten nicht aus, 1000 Noten
kommen also nicht in Umlauf. Damit halbiert sich die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes,
was dasselbe bewirkt wie eine Reduktion der Geldmenge: der durchschnittliche Preis pro
Stück wird fallen und zwar auf Fr. 5.-.
Es ist also nicht nur wichtig wie viel Geld physisch vorhanden ist, sondern auch wie schnell
dieses Geld durch Tauschaktionen von Hand zu Hand geht.
Diesen Zusammenhang von Gütermenge, Geldmenge, Umlaufgeschwindigkeit und
Preisniveau können wir nun in eine Formel (Quantitätsgleichung des Geldes) fassen:
Geldmenge x Umlaufgeschwindigkeit
=
Gütermenge x Preisniveau
Gemäss Monetaristen ist Inflation die Folge von steigender Geldmenge oder/und erhöhter
Umlaufsgeschwindigkeit bei weniger stark wachsender, konstanter oder schrumpfender
Geldmenge.
Die Grundüberlegungen, welche den Monetarismus prägen lauten deshalb:
Zwischen dem Wachstum der Geldmenge und jenem des BIP besteht eine stabile Beziehung.
Verändert sich die Geldmenge, reagieren mit einer Verzögerung von einigen Monaten
Produktion und Beschäftigung – allerdings nur vorübergehend. Langfristig beeinflussen
Geldmengenveränderungen nur das Preisniveau. Steigt die Geldmenge (multipliziert mit der
Umlaufsgeschwindigkeit) schneller als die Gütermenge, entsteht Inflation.
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Nur wenn Geldmenge (multipliziert mit der Umlaufsgeschwindigkeit) und Gütermenge sich
gleichmässig entwickeln, bliebt auch der Geldwert stabil.
Wenden wir die Quantitätsgleichung des Geldes auf die schweizerische Wirklichkeit an:
Im Jahr 1990 betrug die Geldmenge M1 111,5 Mrd. Das Bruttoinlandprodukt der
schweizerischen VW belief sich auf 314 Mrd. Daraus lässt sich eine Umlaufsgeschwindigkeit
des Geldes von 2,82 errechnen. Die Quantitätsgleichung des Geldes präsentierte sich also
folgendermassen:
Geldmenge 111,5 Mrd. x Umlaufsgeschwindigkeit 2,82 = BIP 314 Mrd. x Preisniveau 1
Im Jahr 1991 sank das reale Bruttoinlandprodukt auf 311,6 Mrd. (-0,8%) und die Geldmenge
erhöhte sich auf 113,7 Mrd. (+2%). Daraus lässt sich ableiten, dass das Preisniveau gestiegen
oder die Umlaufsgeschwindigkeit gesunken sein muss. Tatsächlich erhöhte sich das
Preisniveau in einem für die Schweiz ungewöhnlich hohem Ausmass von 5,9%, so dass die
Umlaufgeschwindigkeit leicht zunahm:
Geldmenge 113,7 Mrd. x Umlaufsgeschwindigkeit 2,902 = BIP 311,6 Mrd. x Preisniveau 1,059
Monetaristen betonen die Vorrangigkeit der Geldmenge für die Höhe der Gesamtnachfrage:
„Was zählt, ist Geld!“
Antizyklische Finanzpolitik lehnen sie ab. Ein Grund dafür zeigt sich im Verlauf der
Gesamtangebotskurve. Da Preise und Löhne auf Veränderungen flexibel reagieren, ist die
Gesamtangebotskurve dementsprechend steil. Für die Monetaristen wirken sich deshalb
Änderungen der Gesamtnachfrage vor allem auf die Preise aus.
KONESEQUENZEN FÜR DIE WIRTSCHAFTSPOLITK
Da nach monetaristischer Ansicht eine stabile Beziehung zwischen Geldmenge und
Entwicklung des BIP besteht und ein stärkeres Wachstum der Geldmenge als der
Gütermenge ein Anstieg der Preise bewirkt, stellten die Monetaristen folgende Regel auf:
Um eine inflationsfreie Entwicklung der Wirtschaft zu ermöglichen, muss dafür gesorgt
werden, dass die Geldmenge sich im Gleichschritt mit dem Produktionspotenzial entwickelt.
Die Zentralbanken sollen sich also darauf konzentrieren, über eine strikte Kontrolle der
Geldmenge die Entwicklung des BIP zu stabilisieren, und damit den besten Schutz gegen
Inflation zu gewährleisten. Diese Regel impliziert auch, dass die Monetaristen den Einsatz der
Geldpolitik zur Ankurbelung der Konjunktur ablehnen.
Im Zentrum der monetaristischen Konjunkturpolitik steht also die Wachstumsrate der
Geldmenge. Für die Überwachung und Steuerung der Geldmenge ist die Nationalbank
zuständig. Damit wechselt im Vergleich mit der keynesianischen Konzeption auch die
Verantwortlichkeit für die Konjunkturpolitik von der Regierung zum Direktorium der
Nationalbank.
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ZUSAMMENFASSUNG – MONETARISTISCHE KONZEPTION
Entscheidend für die Gesamtnachfrage ist das Geld.
Die Preise sind flexibel (steile Angebotskurve).
Veränderungen der Geldmenge bewirken grosse
Preisschwankungen. Deshalb ist der Entwicklung der
Geldmenge grosse Bedeutung zuzumessen.
Therapie:
Primär muss die Notenbank intervenieren und für ein Gleichgewicht
zwischen Geldmengen- und realem Wachstum sorgen.
Kennzeichen:
1.
2.
Konzentration auf die Geldmengensteuerung der Notenbank
(Finanzpolitik wird als ungeeignetes Instrument der
Stabilisierungspolitik betrachtet)
Keine antizyklische Politik. Absage an das Konzept der
Feinsteuerung
Mittelfristige Verfestigungspolitik:
a) Geldmengenzuwachs
Geldmenge
Produktionspotenzial
Die Geldmenge ist auf das Wachstum
des Produktionspotenzials auszurichten.
b) Konjunkturneutraler Finanzhaushalt. Auch die Finanzpolitik soll
langfristig ausgerichtet werden.
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EINWÄNDE GEGEN DIE MONETARISTISCHEN KONZEPTION
Friedman und seine Anhänger haben die VWL in der Tat verändert.
Es wirt anerkannt, dass keine bedeutende Inflation ohne schnelles Geldmengenwachstum
stattfindet, und zu schnelles Geldmengenwachstum verursacht eine Inflation. Jede Politik, die
die Wachstumsrate des Geldes entschlossen niedrig hält, wird letztendlich eine niedrige
Inflationsrate erreichen. Unproblematisch ist aber auch die monetaristische Konzeption nicht:
• Zur Bekämpfung einer Inflation befürworten die Monetaristen eine strikte Kontrolle des
Geldmengenwachstums. Dabei treten deutliche Zielkonflikte zum Vorschein: Wird die
Geldmenge zu stark eingeschränkt, erhöht sich die Gefahr einer Rezession. Die Geldpolitik
unternimmt eine Gratwanderung. Der Vorwurf an die Monetaristen lautet deshalb, sie seien
Inflationsfanatiker, die mit einer harten Geldpolitik stur das Ziel der Preisstabilität verfolgen,
selbst dann, wenn dadurch viele Menschen ihre Arbeitsplätze verlören.
• Die Umlaufsgeschwindigkeit ist die Zahl, die angibt, wie oft die Geldmenge pro Jahr zur
Abwicklung von Güter- und Dienstleistungskäufen umgeschlagen wird. Weil die
Monetaristen die Umlaufsgeschwindigkeit als wenig veränderlich betrachten, sind sie der
Ansicht, dass man über die Kontrolle der Geldmenge auch das BIP kontrollieren kann.
Tatsächlich ist die Umlaufsgeschwindigkeit nicht konstant. Vielmehr hängt sie von den
Zinssätzen, der Höhe der Einkommen, vom Zahlungssystem, von den
Finanzierungsmöglichkeiten und anderen Faktoren ab.
• Erschwerend für den Erfolg der monetaristischen Politik wirken zudem die vielen
finanztechnischen Innovationen einerseits und die gewaltig zunehmenden
grenzüberschreitenden Finanzströme andererseits.
• Erfahrungsgemäss ist es auch aus politischen Gründen schwierig, eine auf das
Produktionspotenzial ausgerichtete Geldmengepolitik zu verfolgen. Denn unter der Last von
stagnierender Produktion und drohender Arbeitslosigkeit steigt der Druck auf die
Nationalbank mittels Lockerung der Geldmengezügel die Zinsen zu senken.
DIE ANGEBOTSORIENTIERTE KONZEPTION
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HINTERGRUND DER ENTSTEHUNG
In den 1970er-Jahren änderte sich die wirtschaftliche Problemlage erneut. 1973 – in Zuge des
Ölpreisschocks – traten Arbeitslosigkeit und Inflation gleichzeitig in einem sehr hohen Mass
auf, was eine neue Situation darstellte.
Da durch eine Steigerung der Staatsausgaben die Inflation zusätzliche angeheizt würde, kam
das keynesianische Rezept nicht in Frage. Da durch eine Reduktion der Geldmenge die
Arbeitslosigkeit erhöht würde, kam auch das monetaristische Rezept nicht in Frage.
Eine Konstellation, in der die Wirtschaft stagniert und die Inflation trotzdem wächst, wird mit
dem Begriff Stagflation gekennzeichnet.
Stagflation ist das zentrale Problem, mit dem sich die Angebotsökonomen auseinandersetzen.
GRUNDÜBERLEGUNGEN
Die Angebotsökonomen orten grosse Anreizeffekte im Steuersystem. Gemäss ihrer Ansicht
haben Steueränderungen grosse Auswirkungen auf das Sparen, das Investieren, das
Arbeitsangebot und die Steuereinnahmen. Zu den radikalen Angebotsökonomen gehört Arthur
Laffer. In seiner Kurve – der Laffer-Kurve – setzte er die Steuereinnahmen mit dem Steuersatz
in Beziehung. Die Kurve zeigt, dass die gesamten Steuereinnahmen bei steigendem
Steuersatz zunächst zunehmen und ab einem gewissen Punkt abnehmen.
Die Begründung dafür lautet wie folgt:
Beträgt der Steuersatz Null (Punkt 1 auf der
Kurve), sind logischerweise die
Steuereinnahmen auch Null. Beträgt der
Steuersatz 100%, müssen die gesamten
Einkommen an den Staat abgeliefert werden;
deshalb wird bei diesem Steuersatz nicht
gearbeitet, womit sowohl das Einkommen als
auch die Steuereinnahmen Null betragen
(Punkt 2). Steigt der Steuersatz ausgehend
von Null, werden die Steuereinnahmen zuerst
ebenfalls ansteigen, aber wie lange? Ab einem
gewissen Steuersatz (Punkt 3) beginnen die
Steuereinnahmen wieder zu sinken, weil ab
dieser Steuerhöhe der Anreiz, Einkommen zu erzielen, abnimmt (also die Opportunitätskosten
des Arbeitens übermässig steigen, Schwarzarbeit blüht, Steuerhinterziehungen zunehmen
und in Steuerparadiese abgewandert wird.
Die Angebotsökonomen behaupteten im Jahre 1981, dass sich die amerikanischen Wirtschaft
rechts von Punkt 3 befinde. Dies bedeutet, dass die Steuereinnahmen ansteigen –
aufgrund der Senkung des Steuersatzes. Reagan senkte in der Folge die Steuersätze
zwischen 1981 und 1983 in einem dreistufigen Prozess um 30%. Nachträglich können wir
festhalten, dass die Behauptung von 1981, für die es keine Beweise gab, falsch gewesen zu
sein scheint; das Staatsdefizit der USA stieg auf neue Rekordhöhen an.
Die schnelle Erholung der Rezession der Jahre 1983/1984 stützt jedoch gewisse
Behauptungen der angebotsorientierten Volkswirtschaftler.
Die Angebotsökonomen verleihen der Bedeutung von Anreizen in einer Marktwirtschaft neues
Gewicht und stellen diese in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen.
Sie argumentieren, dass die zunehmenden staatlichen Regulierungen einerseits die
Produktivität von Investitionen reduziere und andererseits die hohen Einkommenssteuern das
Sparen unattraktiv mache und damit die Finanzierung von Investitionen erschwere. Beide
Effekte zusammen bewirken eine Investitionsschwäche der Unternehmer.
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Zusammenfassung VWL
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KONSEQUENZEN FÜR DIE WIRTSCHAFTSPOLITIK
Die gemässigten Vertreter sind der Ansicht, man müsse die Angebotsbedingungen
verbessern, indem Gewinne, Eigenkapitalquote und Investitionstätigkeit der Unternehmen
gesteigert werden. Die etwas radikaleren Vertreter sehen die Ursache für die Schwäche vor
allem beim Staat. Angebotspolitik heisst dann radikaler Abbau des staatlichen Einflusses auf
die Wirtschaft.
Schaffung von Anreizen durch Steuersenkungen, Deregulierungen, Privatisierungen, Abbau
von Subventionen, Erweiterung der freien Handlungsspielräume, Verbesserung der
Rahmenbedingungen für die wirtschaftliche Tätigkeit, weniger Staat und mehr Markt – so
lautet die Therapie der Angebotsökonomen.
In der Schweiz dominieren diese Themen zur Zeit die Diskussion. Die Zahl jener wächst,
welche sich für Deregulierungen und angebotsseitige Entkrustungen einsetzen. Gleichzeitig,
im Schlepptau der Arbeitslosigkeit, erfahren aber auch die Anhänger von Keynes eine
Renaissance. Sie werfen den Angebotsökonomen blinden Marktglauben vor und befürchten
einen Sozialabbau.
Steuersenkungen – ein wichtiges Element der angebotsseitig orientierten Schule – steigern
den Einsatz der Produktionsfaktoren und verschieben die Gesamtangebotskurve nach rechts.
Da die Angebotsökonomen von einer relativ steilen Gesamtangebotskurve ausgehen, führt die
Verschiebung zu einer grossen Erhöhung der Produktion. Zudem führen Steuersenkungen
auch zu einer Rechtsverschiebung der Gesamtnachfragekurve. So führen Steuersenkungen
zu einer Erhöhung des BIP (von M1 auf M2) und einem Anstieg der Beschäftigung.
Angebotsorientierte Politik ist dann am effektivsten, wenn sich die Wirtschaft nach dem
klassischen Modell verhält: flexible Preise, Löhnen und Zinsen.
EINWÄNDE GEGEN DIE ANGEBOTSORIENTIERTE KONZEPTION
Auch hier stellen sich verschiedene Probleme bei der praktischen Umsetzung:
• Bei der Durchsetzung des Revitalisierungsprogramms in der Schweiz zeigen sich politische
Schwierigkeiten: Ein Abbau von staatlichen Regulierungen gefährdet immer auch die
Besitzstände von betroffenen Interessengruppen, die sich entsprechend zur Wehr setzen.
• Es stellt sich aber auch die Frage, wie stark und wie schnell die vorgeschlagenen Politiken
wirken, das heisst, ob sie das zukünftige Wachstum im erhofften Masse und in der erhofften
Zeit fördern. Man wirft den Angebotsökonomen vor, dass sie die Selbstheilungskräfte der
Wirtschaft überschätzen. Selbst wenn die Marktwirtschaft grundsätzlich stabil sei, dauere
der Anpassungsprozess viel zu lange. Deshalb müsse die Wirtschaftspolitik zügig auf
Störungen reagieren.
• Unter der Annahme, dass die angebotsorientierte Konzeption wirksam ist, stellt sich zudem
die Frage, wie weit man gehen kann, um Anreize für die Erhöhung des Wachstums zu
schaffen. Steuererleichterungen fordern Ausgabenkürzungen, es drohen deshalb massive
Verteilungskonflikte. Die angebotsorientiert Konzeption vernachlässigt soziopolitische
Zusammenhänge.
• Von den Kritikern werden Widersprüche in der Finanzpolitik der Angebotsökonomen
ausgemacht. Gleichzeitiger Steuerabbau und eine Verminderung der Staatsschulden lasse
sich nur in Ausnahmefällen erreichen, weil eben der Verlauf der Laffer-Kurve nicht bekannt
sei.
ZUSAMMENFASSUNG – ANGEBOTSORIENTIERTE KONZEPTION
62
Zusammenfassung VWL
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IUR I
Die Angebotskurve ist steil.
Eine Erhöhung des Gesamtangebots hat eine grosse
Wirkung auf das BIP.
Eine alleinige Nachfrageerhöhung würde vor allem zu
Preissteigerungen führen.
Diagnose:
1. Kosteninflation, die zum Teil nicht auf die Preise überwälzt werden kann:
Verschlechterung der Ertragserwartungen; Kostenwachstum
→Produktivitätswachstum wegen übersetzten Lohnforderungen, einem
übersetzten Ausbau der Sozialleistungen und überproportional
wachsenden Steuern.
2. Ungebührliche Einschränkungen der freien Handlungsspielräume der
Unternehmer (Erhöhung der Staatsquote, Reglementierung und
Bürokratisierung des Wirtschaftslebens).
3. Zuviel Interventionismus des Staates (Unsicher Erwartungen
Therapie:
1. Deregulierung, Abbau der Staatsquote, Reprivatisierung, Erweiterung der
freien Handlungsspielräume der Unternehmer, Aktive Wettbewerbspolitik.
2. Entlastung der Unternehmer vom Kostendruck durch Steuersenkungen,
eine marktorientierte Lohnbildung und die Beachtung der Grenzen des
Wohlfahrtsstaates.
3. Verbesserung der übrigen Rahmenbedingungen der unternehmerischen
Tätigkeit.
4. Verstetigende Geld- und Finanzpolitik.
WER HAT RECHT?
63
Zusammenfassung VWL
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IUR I
LANGFRISTIG ODER KURZFRISTIG?
Ökonomen sind bezüglich der richtigen Konjunkturpolitik unterschiedlicher Meinung. Es gibt
aber auch Erkenntnisse, die von den meisten Ökonomen heute unterschrieben würden:
• Langfristig hängt das Wirtschaftswachstum von der Qualität und Quantität der
Produktionsfaktoren ab.
Über einen längeren Zeitraum betrachtet sind Löhne, Zinse und Preise flexibel. Die
Gesamtangebotskurve verläuft senkrecht. Änderungen in der Gesamtnachfrage
beeinflussen nur das Preisniveau. Eine Veränderung des Preisniveaus hat langfristig
keinen Einfluss auf die das Wachstum bestimmende Arbeit, Kapital, Wissen und die
natürlichen Ressourcen. Die wichtigste Erkenntnis daraus ist, dass langfristig die staatliche
Wirtschaftspolitik das BIP nur durch eine Verbesserung der Produktionskapazitäten – die
Angebotsbedingungen – erhöhen kann. Veränderungen in der Geldmenge beeinflussen
langfristig nur die Höhe der Inflationsrate.
• Kurzfristig wird das BIP auch durch die Gesamtnachfrage beeinflusst.
Kurzfristig sind die Preise und Löhne nicht völlig flexibel und können sich deshalb nicht
unverzüglich an die veränderte Nachfrage anpassen. Die Gesamtangebotskurve verläuft
nicht senkrecht. Änderungen in der Gesamtnachfrage beeinflussen deshalb die
Produktionshöhe. Alle Faktoren, welche sich auf die Gesamtnachfrage auswirken, haben
Effekte auf die Schwankungen des BIP. Geld- und finanzpolitische Massnahmen haben
deshalb Auswirkungen auf den Verlauf der Konjunktur.
Auch wenn viele Unterschiede durch die Unterschiede im Zeitraum bereinigt werden, bleiben
Meinungsverschiedenheiten bestehen.
Die wichtigste offene Frage bleibt deshalb:
SOLL DIE WIRTSCHAFTSPOLITIK VERSUCHEN, KONJUNKTURSCHWANKUNGEN ZU
STABILISIEREN?
Dem Erfolg einer aktiven Wirtschaftspolitik stehen verschiedene Hindernisse im Wege:
Die zeitlichen Verzögerungen, der schwierigen Rückweg, rationale Erwartungen,
Unsicherheiten über die zukünftige Erwartungen, Unsicherheiten über die zukünftige
Entwicklung usw. Aufgrund dieser Einwände fordern gewisse Ökonomen denn auch eine
passive Wirtschaftspolitik, die sich an festen Regeln orientiert (konstantes
Geldmengenwachstum, ausgeglichenes Budget).
Auch wenn sich die Ökonomen darüber streiten, ob und inwieweit antizyklische Finanz- und
Geldpolitik wirken können, darf nicht übersehen werden, dass es keinen seriösen Ökonomen
gibt, der eine prozyklische Wirtschaftspolitik befürwortet. Einig sind sich die meisten
Ökonomen auch darin, dass die staatliche Finanzpolitik, wenn auch nicht antizyklisch, so doch
zu verstetigen ist. Das gilt insbesondere für die staatlichen Investitionsausgaben.
Die in diesem Kapitel dargestellten Lehrmeinungen zur Konjunkturpolitik in ihrer
„ursprünglichen“ Form werden heute von kaum jemandem mehr vertreten. Aber sie haben den
Gange der Wissenschaft und der wirtschaftspolitischen Praxis entscheidend geprägt und
feiern immer wieder Auferstehung, so z.B. im „Neuen Keynesianismus“ oder in der „Neuen
Klassischen Makroökonomie“, die ohne die Tradition ihrer Vorgänger in ihrer heutigen Form
nicht denkbar wären.
Im Laufe der Entwicklung wissenschaftlicher Lehrmeinungen ergaben sich gewisse
Konvergenzen. So übernahm der „moderne“ Keynesianismus die monetäre Erklärung des
Inflationsprozesses und akzeptierte die Theorie der rationalen Erwartungen. Umgekehrt haben
Monetaristen von einer allzu strikten Regelbindung der Geldpolitik Abstand genommen. Die
praktische Geldpolitik der Zentralbanken nimmt heute vermehrt Rücksicht auf die
Konjunkturlage und die Situation am Arbeitsmarkt.
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Zusammenfassung VWL
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IUR I
KAPITEL 7 – WACHSTUM:
LANGFRISTIGE BETRACHTUNG DER WIRTSCHAFTLICHEN ENTWICKLUNG
ERSCHEINUNGSBILD UND BEGRÜNDUNG DES WIRTSCHATLICHEN WACHSTUMS
Die Wachstumstheorie und Wachstumspolitik beschäftigt sich mit der langfristigen
Entwicklung der Wirtschaft, unabhängig von kurz- oder mittelfristigen Störungen oder
wirtschaftlichen Aktivitäten.
Ein Blick auf das Wachstum der schweizerischen Volkswirtschaft seit 1950 zeigt, dass dabei
drei Phasen unterschieden werden können. Nach Ende des zweiten Weltkrieges erlebte die
Schweiz während 25 Jahren einen Trend mit hohen und zugleich konstanten Wachstumsraten
von 4,6% pro Jahr. In den 1970er-Jahren folgte ein kurzer Einbruch des BIP (Ursachen:
Erdölkrise: Verzehnfachung des Erdölpreises zwischen 73 und 79, Zusammenbruch des
Systems der fixen Wechselkurse, wachsende Staatsverschuldung, Ost-West-Spannungen,
Nord-Süd-Konflikt, usw.). Von 1970 bis 1990 bewegten wir uns auf einem relativ
bescheidenen Wachstumspfad mit durchschnittlichen jährlichen Wachstumsraten von 1,7%.
Von 1990 bis 2000 stagnierte das wirtschaftliche Wachstum beinahe.
Warum werden tiefe Wachstumsraten als unerwünscht klassifiziert?
• Ein starkes Wachstum wird begrüsst, weil durch die Produktion von mehr Gütern und DL
die Menschen ihre Bedürfnisse besser befriedigen können. (Besonders in Ländern, in
welchen es um die Deckung elementarer Bedürfnisse geht)
• Eine wachsende Wirtschaft erhöht die Nachfrage nach Arbeitskräften und senkt die
Arbeitslosigkeit. Da Wachstum in der Regel mit einer Zunahme der Arbeitsproduktivität
verbunden ist, muss die Wachstumsrate des BIP allerdings diejenige der
Arbeitsproduktivität übersteigen, damit es zu neuen Arbeitsplätzen kommt.
• Eine Erhöhung der Freizeit ohne Einbusse beim Einkommen ist nur in einer wachsenden
Wirtschaft, das heisst bei wachsender Arbeitsproduktivität, möglich.
• Wirtschaftliches Wachstum erleichtert die Lösung sozialpolitischer Probleme. Was einer
Gruppe zusätzlich gegeben werden soll, muss nicht einer anderen weggenommen werden.
Hohe Wachstumsraten erlauben dem Staat die Erfüllung seiner Aufgaben, ohne dass er die
Steuersätze erhöhen muss. Sie tragen deshalb zu einer Konfliktmilderung zwischen Staat
und Privaten als auch innerhalb des privaten Sektors bei.
DIE BESTIMMUNGSFAKTOREN DES WIRTSCHAFTLICHEN WACHSTUMS
Die Kenntnis der Bestimmungsfaktoren ist noch keineswegs vollständig. Unbestritten ist, dass
die Produktionsmöglichkeiten einer VW von der Menge und der Produktivität der
Produktionsfaktoren abhängen. Wirtschaftliches Wachstum kann also sowohl durch eine
mengenmässige Vermehrung der Produktionsfaktoren als auch durch eine qualitative
Verbesserung und damit einen erhöhten Produktivität erreicht werden.
♦ Natürliche Ressourcen: Quelle des Wachstums einzelner Länder
Natürliche Ressourcen wie Erdöl sind verantwortlich für den Reichtum einzelner Länder
(Kuwait, Saudi Arabien). Aber sie sind keine Bedingung für ein hohes BIP (Bsp. Schweiz).
Die Entdeckung neuer Ressourcenvorkommen kann ebenso wie eine Erhöhung der
Ressourcenproduktivität (sinkender Einsatz von Ressourcen pro produzierte Einheit) zu
einer Beschleunigung des Wachstums führen.
♦ Arbeit: Ein wachstumslimitierender Faktor?
Offensichtlich bestimmt das Bevölkerungswachstum den Lebensstandard eines Landes mit.
Mit steigender Zahl von Erwerbstätigen lässt sich auch ein höheres BIP erarbeiten.
Allerdings sind für den Wohlstand die pro Kopf verfügbaren Waren und DL – also das BIP
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IUR I
pro Kopf – entscheidend. Ein starker Anstieg der Bevölkerung kann aber das BIP pro Kopf
schmälern, weil die übrigen Produktionsfaktoren auf eine grössere Anzahl Arbeitskräfte
verteilt werden muss. Eine starke Bevölkerungszunahme limitiert oft die
Wachstumschancen und verkleinert das BIP pro Kopf.
Andererseits kann das wirtschaftliche Wachstum auch durch einen Mangel an Arbeitskräften – insbesondere von gut qualifizierten – begrenzt werden. Der Mangel an
Arbeitskräften ist üblicherweise kein Wachstumsproblem, weil dieser Mangel nur bei Hochkonjunktur auftritt und sich bei einer Konjunkturabkühlung von selbst auflöst. Zum
Wachstumsengpass kann es dann kommen, wenn der Mangel an Arbeitskräften auf das
Bevölkerungswachstum und nicht auf die Konjunktur zurückzuführen ist.
In der CH ist ab 2010 mit einer Abnahme der Erwerbsbevölkerung zu rechnen. Diese Enge
am Arbeitsmarkt kann sich negativ auf die internationale Wettebewerbsfähigkeit auswirken
und die Attraktivität des Standortes Schweiz leidet. Zudem erschwert das dadurch limitierte
Wachstum die Finanzierung der Sozialversicherungen. So kann es also durchaus ein, dass
die Wachstumschancen einer hoch entwickelten VW durch einen Mangel an Arbeitskräften
eingeschränkt wird.
♦ Realkapital: Ohne Investitionen kein Wachstum
Der Produktionsfaktor Realkapital umfasst eine Vielzahl von materiellen Gütern, die sich für
die Produktion weiterer Güter einsetzen lassen. Mit mehr Realkapital kann ein höheres BIP
erzeugt werden, die Produktion und die Einkommen pro Kopf steigen. Der
Produktionsfaktor Kapital lässt sich durch Investitionen vergrössern, allerdings tragen nur
die Nettoinvestitionen (=Bruttoinvestitionen - Abschreibungen) zur Erhöhung des
Kapitalstocks bei. Für die Finanzierung von Investitionen ist Sparen (=Konsumverzicht)
notwendig. Dass die Investitionsquote (Investitionen in % des BIP) und damit auch die
Sparquote für die Entwicklung des wirtschaftlichen Wachstums von zentraler Bedeutung ist,
bestätigen auch empirische Analysen.
♦ Wissen: Der Erfolgsfaktor des 21. Jahrhunderts
Nicht nur die Investitionsquote, sondern auch die Effizienz der Investitionen ist für das Mass
des wirtschaftlichen Wachstums mitentscheidend. Der Produktionsfaktor Wissen umfasst
im wesentlichen den Ausbildungs- und Qualifikationsgrad (das Humankapital) und den
technischen Fortschritt; er bestimmt weitgehend die Produktivität der Investitionen.
Der Produktionsfaktor Wissen ist hauptverantwortlich dafür, dass ein stetiger Strom von
Erfindungen zu einer ungeheuren Ausweitung der Produktionsmöglichkeiten geführt hat.
Die Erstellung neuer Güter (Produktinnovationen) tragen wesentlich zur Hebung des
Wohlstandes bei. Die Anwendung neuer Produktionsverfahren (Prozessinnovationen)
steigert die Kapital- und Arbeitsproduktivität. Es besteht eine enge Beziehung zwischen der
BIP-Entwicklung und der Arbeitsproduktivität.
Die neue Wachstumstheorie stellt das Wissen ins Zentrum ihrer Untersuchungen. Neueste
Studien ermitteln eine enge Korrelation zwischen der Ausbildung (als Mass für das
Humankapital) und dem Einkommenswachstum. Die Vertreter der neuen
Wachstumstheorie betonen die Wichtigkeit von Investitionen in die Förderung des
Humankapitals und in die Forschung und Entwicklung. Denn Bildung lohnt sich für die
gesamte VW. Die Akkumulation von Humankapital durch einzelne Personen erzeugt
nämlich positive externe Effekte, von denen die ganze VW profitiert.
Drei wissensbezogene Indikatoren korrelieren in erheblichem Masse mit den
Wachstumsraten: Bildung, offene Handelspolitik und die Verfügbarkeit einer
Kommunikationsinfrastruktur (Fernsprechdichte). Weniger Handelsbeschränkungen
ermöglichen es, im Ausland vorhandenes Wissen zu erschliessen, der Bildungsstand steht
für die Fähigkeit, Wissen zu nutzen, und die Fernsprechdienste für die Fähigkeit, auf
nützliche Informationen zuzugreifen.
♦ Weitere Bestimmungsfaktoren des Wachstums
Auf der Suche nach den Quellen des wirtschaftlichen Wachstums belegen neue Ansätze,
dass länderspezifische Charakteristika als dominierende Determinanten zu betrachten sind.
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Zusammenfassung VWL
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IUR I
Diese Einsicht hat zu einer Reihe von Arbeiten geführt, in denen die Rahmenbedingungen
mittels verschiedener Variablen hinsichtlich ihrer Bedeutung für das Wachstum untersucht
werden.
Empirische Forschungen haben zudem ergeben, dass die Geographie und die Politik das
Wachstum am besten erklären können. Je weiter ein Land vom Äquator entfernt, desto
besser sind seine Wachstumschancen; tropische Hitze und wirtschaftlicher Erfolg scheinen
sich nicht zu vertragen. Zudem bewirkt die Demokratie ein günstiges Wachstumsklima.
Wirtschaftliches Wachstum kann durch eine quantitative Steigerung oder eine qualitative
Verbesserung der Produktionsfaktoren Arbeit, natürliche Ressourcen, Realkapital oder
Wissen erreicht werden. Dabei kommt dem Produktionsfaktor Wissen eine wachsende
Bedeutung zu.
EXKURS:
KANADA – MAGNET FÜR DIE BESTQUALIFIZIERTEN DIESER WELT
Kanada gilt als Modell dafür, wie man durch eine „offene“ Einwanderungspolitik hoch
qualifizierte Arbeitskräfte ins Land holt. Kanada setzt dabei auf Arbeitskräfte mit einer hohen
Grundqualifikation, welche flexible und transferierbare Fähigkeiten und Kenntnisse mitbringen.
Damit die potenziellen Zuwanderer möglichst schnell auf ihrem Berufsgebiet tätig werden
können, anerkennt Kanada die im Herkunftsland erworbenen Grade, Diplome,
Berufsabschlüsse und andere Zeugnisse beschleunigt.
Branchen, denen qualifizierte Arbeitskräfte fehlen, können von der Regierung eine „kollektive“
Anzahl von Arbeitsbewilligungen erhalten. Temporäre Arbeitskräfte könne innerhalb weniger
Monate aus Ländern wie Indien oder Pakistan nach Kanada geholt werden.
Kanada fördert zudem die Integration, denn Integration fördert die Produktivität.
Durch diese Strategie will Kanada zum Magneten für die Bestqualifizierten der Welt werden.
ANSATZPUNKTE FÜR DIE WIRTSCHAFTSPOLITIK
Der Wohlstand einer VW hängt also von den Produktionsfaktoren bzw. davon ab, wie viel
Güter und DL produziert werden können. Grundsätzlich kann eine VW auf zwei Arten
wachsen:
Entweder es werden mehr Arbeitsstunden geleistet oder die Produktion pro Arbeitsstunde –
die Produktivität – wird erhöht.
• Erhöhung der Anzahl Arbeitsstunden:
Die Anzahl Arbeitsstunden kann gesteigert werden, indem jede Person länger arbeitet oder
wenn die Anzahl der Erwerbstätigen erhöht werden kann.
Die Anzahl der Erwerbstätigen wiederum wird durch folgende Faktoren bestimmt:
♦ Zuwanderung: Die Zuwanderung von Arbeitskräften aus dem Ausland beeinflusst die
Höhe des Wachstumspotentials. Die Ausgestaltung der Ausländerpolitik ist entscheidend
für die Höhe der Zuwanderung. Weltweit hat ein „Wettkampf um Talente“ eingesetzt.
♦ Geburtenüberschuss: Durch eine Erhöhung der Fertilitätsrate kann das Potential von
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IUR I
Erwerbstätigen gesteigert werden. Man muss deshalb versuchen, die Opportunitätskosten des Kinderkriegens gering zu halten, Familien steuerlich zu begünstigen, usw.
♦ Erwerbsquote: Die Anzahl der Arbeitsstunden kann auch erhöht werden, wenn es
gelingt, mehr Personen in den Arbeitsprozess zu integrieren. Eine Erhöhung des
Pensionierungsalters oder vermehrte steuerliche Anreize für Altersarbeit können
beispielsweise zu einer Steigerung der Erwerbsquote beitragen.
• Erhöhung der Arbeitsproduktivität:
Die Arbeitsproduktivität (die Menge von Waren und DL, die eine Person in einer
bestimmten Zeit herstelle kann) nimmt bei Bestimmung des Wachstums eine Schlüsselrolle
ein. Eine steigende Produktivität ermöglicht mehr Konsum, höhere Einkommen oder mehr
Freizeit. Die Arbeitsproduktivität hat im Wesentlichen drei Bestimmungsfaktoren, nämlich
die Ausstattung mit Sachkapital, mit Humankapital und die verwendete Technologie.
♦ Sachkapital: Die Produktion pro Stunde steigt, wenn ein Arbeiter mehr Kapitalgüter zur
Verfügung hat, denn die Ausrüstung der Arbeitskräfte mit Sachkapital ist
mitentscheidend für die Leistung pro Arbeitsstunde. Eine Erhöhung der Investitionsquote
kann einer VW zu höherer Arbeitsproduktivität verhelfen.
♦ Humankapital: Die Produktivität hängt zweitens von den Fähigkeiten der Arbeitskräfte
ab. Je besser die Ausbildung, desto höher ist die Produktivität. Deshalb steigen dank
höherer Produktivität in gut funktionierenden Arbeitsmärkten auch die Löhne. Zur
Steigerung des Humankapitals sind Investitionen in die Aus- und Weiterbildung
notwendig.
♦ Technik: Drittens führt der Einsatz von fortgeschrittenen Technologien zu höherer
Produktivität. Technologie ist das Wissen, auf welche Art Arbeit und Kapital kombiniert
werden können, um Güter und DL zu produzieren. Technischer Fortschritt, das heisst die
Entwicklung neuer Technologien steigert das Wachstum ebenfalls.
FÜNF WIRTSCHAFTSPOLITISCHE BEREICHE
Aus diesen Bestimmungsfaktore für das Wachstum lassen sich fünf Wirtschaftspolitische
Bereiche unterscheiden, von denen ein wesentlicher Einfluss auf das Wachstumspotential
ausgeht:
1. Die Wettbewerbspolitik: Intensiver Wettbewerb im Inland erhöht die Effizienz und schafft
Anreize für Innovationen.
2. Die Aussenwirtschaftspolitik: Wirtschaftlich offene Länder wachsen nachweisbar stärker
als Länder, welche sich von den Auslandmärkten abschotten. Die wichtigsten Elemente in
der schweizerischen Aussenwirtschaftspolitik sind Abkommen im Rahmen der WTO sowie
die bilateralen Abkommen mit der EU.
3. Die Bildungspolitik: Die Produktivität und die Innovationsfähigkeit hängen sehr eng mit
dem Ausbildungsstand der Beschäftigten zusammen. Handlungsbedarf in der
Bildungspolitik ist angezeigt, denn bei vielen Bildungsindikatoren liegt die Schweiz leicht
unter dem internationalen Durchschnitt.
4. Die Innovationspolitik: Die Schaffung und Verbreitung von Technologien gehört zu den
Kernpunkten jeder Diskussion über das Wachstum. Deshalb muss eine hohe Qualität der
Forschung erhalten, bzw. gefördert werden. Zudem ist der Transfer der Technologien und
des Wissens von den Bildungsinstitutionen zu den Unternehmen zu erleichtern.
5. Die Finanzpolitik: Die Lage der Staatsfinanzen aber auch die Art der Verwendung sowie
die Finanzierung der staatlichen Ausgaben haben eine wesentlichen Einfluss auf as
wirtschaftliche Wachstum.
Grundsätzlich kann eine VW auf zwei Arten wachsen: Entweder durch eine Erhöhung der
Arbeitsstunden oder durch eine Erhöhung der Produktivität (Produktion pro Arbeitsstunde).
Die Wettbewerbs-, die Aussenwirtschafts-, die Bildungs-, die Innovations- und die
Finanzpolitik lösen wesentliche Impulse auf das Wachstum aus.
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IUR I
QUALITATIVES WACHSTUM UND NACHHALTIGE ENTWICKLUNG
GRENZEN DES WACHSTUMS
In den letzten 40 Jahren hat sich die Weltbevölkerung mehr als verdoppelt, gemäss UNOSchätzungen wird sie bis 2050 auf rund 9 Mrd. steigen. Wie ist das mit dem Fakt vereinbar,
dass schlussendlich nur ein begrenzter Vorrat von natürlichen Ressourcen vorhanden ist?
In einer Marktwirtschaft spiegelt sich die Knappheit bekanntlich in den Preisen. Je knapper die
Vorräte bestimmter natürlicher Ressourcen in der Welt werden, desto stärker werden die
Preise dieser Ressourcen steigen und Anreize zur Substitution, zu sparsamerem Gebrauch
und zum Recycling aussenden. Gegenwärtig weist die Preisentwicklung der natürlichen
Ressourcen nicht auf zunehmende Knappheit hin, sind die realen Preise doch stabil oder
sinken gar. Wie stark die Preise in Zukunft steigen werden, ist insbesondere vom technischen
Fortschritt abhängig, durch den es ermöglicht werden kann, nicht regenerierbare durch
regenerierbare Ressourcen zu ersetzen.
Die wachsende Bevölkerung und die zunehmende Produktionstätigkeit setzen immer mehr
Kohlendioxyd und andere Treibhausgase in die Atmosphäre. Zudem betreiben wir Raubbau
an den Wäldern, speziell den Regenwäldern. Wie lange können wir so weitermachen bis es
zum ökologischen Kollaps kommt?
Freie Märkte schützen die Umwelt nur unzureichend, weil externe Effekte ein Markversagen
bewirken!
NULL-WACHSTUM
Würde es nützen, wenn wir gänzlich auf wirtschaftliches Wachstum verzichten würden?
Die Ökonomen lehnen ein Null-Wachstum aus verschiedenen Gründen ab. Denn der
Grundbedarf für die zunehmende Bevölkerung kann nur durch Wachstum gedeckt werden.
Noch heute können breite Schichten der Bevölkerung ihre Grundbedürfnisse nicht befriedigen.
Zudem würden auch bei einem Null-Wachstum zu viele natürliche Ressourcen verbraucht und
zu viele Abfälle an die Umwelt abgegeben; nur anhaltendes Wirtschaftswachstum setze die
erforderlichen finanziellen Mittel frei, um erfolgreich die Umwelt schützen zu können.
Aber das quantitative Wirtschaftswachstum mit seiner zentralen Zielsetzung der Steigerung
der Pro-Kopf-Versorgung mit materiellen Gütern und DL – unter Ausblendung der Natur – hat
ausgedient. Wirtschaftswachstum und Umweltverbrauch müssen entkoppelt werden.
QUALITATIVES WACHSTUM
Wenn trotz positivem Wirtschaftswachstum der Umweltverbrauch auf einem bestimmten
Niveau stabilisiert wird, spricht man üblicherweise von qualitativem Wachstum. Angestrebt
wird eine Stabilisierung der Umweltbelastung bzw. des Umweltverbrauchs und nicht etwa eine
Stabilisierung der Umweltqualität. Diese wird trotzt stabilisierter Belastung in aller Regel
weiterhin verschlechtert.
NACHHALTIGE ENTWICKLUNG
1987: Weltkommission für Umwelt und Entwicklung der UNO erstellte Bericht
Das Hauptthema dieses Berichts ist die Nachhaltige Entwicklung (sustainable development),
das folgendermassen definiert wird:
„Nachhaltige Entwicklung ist die Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt,
ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen
können.“
Das Hauptziel Nachhaltiger Entwicklung ist die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse, eine
zentrale Leitlinie ist Wohlstand für alle. Betont wird, dass das BIP nicht die alleinige Zielgrösse
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Zusammenfassung VWL
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IUR I
sein kann, weil es ausserökonomische Bedürfnisse ausblendet. Der Bericht sieht aber
trotzdem in einer umfassenden Wachstumsstrategie den Durchbruch zur Nachhaltigen
Entwicklung.
Zu Beginn des 21. Jhrd. erfüllen wir nicht einmal die erste Bedingung dieser Definition.
LEBEN AUF ZU GROSSEM FUSS
Bei einer Studie darüber, wie eine den Grundsätzen der Nachhaltigkeit verpflichtete Schweiz
aussehen müsste. Es zeigt sich, dass wir auf 5,6 mal zu grossem fuss leben. Damit wir die
Ziele der Nachhaltigkeit im Jahre 2050 erfüllen würden, müssten wir zum Beispiel die CO2Emissionen um 74%, den Verbrauch von Primärenergie um 50% und den Wasserverbrauch
um 30% reduzieren.
Verschieden Bundesämter überwachen den Weg der Schweiz zur Nachhaltigen Entwicklung
mittels eines Indikatorensystems. Die Indikatore zeigen, dass die Schweiz nicht in Richtung
Nachhaltige Entwicklung steuert.
INSTRUMENTE ZUR FÖRDERUNG DER NACHHALTIGEN ENTWICKLUNG
Ausgangspunkt ist die Analyse des Umweltproblems.
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Zusammenfassung VWL
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IUR I
Demzufolge Hauptgrund liegt darin, dass bei der Produktion und im Konsum Kosten anfallen,
die nicht vom Verursacher getragen werden müssen. Umweltschäden werden eben – in vielen
Fällen – nicht dem Verursacher belastet, sondern die Gesellschaft muss dafür aufkommen.
Weil diese Kosten auf Aussenstehende überwälzt werden, spricht man dabei von externen
Kosten. Wenn externe Kosten auftreten, versagt der Marktmechanismus; von diesen Gütern
wird „zuviel“ produziert und konsumiert, weil sie gemessen an den gesamten Kosten
(betriebswirtschaftliche und externe Kosten) zu „billig“ produziert und verkauft werden.
Weil die Umwelt über weite Bereiche ein öffentliches Gut ist, das von jedermann gratis
beansprucht werden kann, wird es von allen genutzt und übernutzt.
WIE KANN EINE NACHHALTIGE ENTWICKLUNG GEFÖRDERT WERDEN?
1. Gebote und Verbote
Gebote und Verbote sind der populärste Weg, externe Kosten zu verhindern. Der Staat kann
Auflagen machen, Grenzwerte festsetzen, Bewilligungspflicht einführen und mit Umweltverträglichkeitsprüfungen bedingen oder gewisse Dinge gänzlich verbieten.
Solche polizeiliche Massnahmen sind wirksam und insofern gerecht, als die Gebote und
Verbote von allen eingehalten werden müssen. Sie haben aber auch Nachteile: Das Einhalten
von Verboten und Geboten muss mit einem beträchtlichen Aufwand überwacht werden. Sie
bieten keinen Anreiz, sich ökologiegerecht zu verhalten.
2. Selbstregulierungen
Unternehmungen und Branchenverbände auferlegen sich selbst Standards, Kontrollen und
Zielvorgaben für die Verringerung der Umweltverschmutzung und schliessen mit den
Behörden entsprechende Verträge ab. Der Vorteil dieser Selbstregulierungen liegt darin, dass
die Unternehmungen diejenigen Informationen über Technologien und Emissionen besitzen,
welche die Regierung zum Erlass wirksamer Richtlinien bräuchte.
Selbstregulierungen kommen deshalb weniger teuer als Vorschriften, für welche sich die
Behörde zuerst die notwendigen Informationen beschaffen muss.
Warum tun die Unternehmen dies? Zuvorkommen von staatlichen Regulierungen, Ansehen in
der Öffentlichkeit, selbständige Wahl des kostengünstigsten Weges oder Minimierung des
ökologischen Risikos.
3. Internalisierung externe Kosten
Wenn die Verursacher für die von ihnen zu verantwortenden Schäden aufkommen müssen,
spricht man von Internalisierung externer Kosten.
Die Umweltgüter bekommen einen Preis, dies wirkt sich auf die Kosten aus. Die Verursacher
bemühen sich dann aus eigenem Interesse, die Umweltbelastung gering zu halten. Zur
Internalisierung externer Kosten sind verschiedene Instrumente möglich:
a) Einrichten von Eigentums-, Nutzungs- und Klagerechten
Externe Effekte treten dann auf, wenn für Güter keine Eigentums-, Nutzungs- und Klagerechte
definiert sind. Denn um die Kosten verursachergerecht abrechnen zu können, muss nicht nur
das, was den Schaden verursacht, jemandem gehören, sondern auch das, was geschädigt
wird, muss jemandem gehören bzw. dieser jemand muss ein Nutzungs- und Klagerecht
geltend machen können – was eben bei Umweltgütern nicht der Fall ist. Das Recht auf
gesunde Luft, sauberes Wasser, intakte Landschaft usw. muss geltend gemacht werden
können. So erhalten die Schädiger Anreize, Schädigungen von ihrer Seite zu vermeiden.
Dank klar geregelten Eigentumsrechten kann es gemäss dem Coase-Theorem durch
freiwillige Verhandlungen zwischen den betroffenen Parteien zu einer Abschwächung externer
Effekte kommen.
So wird die Unvollkommenheit des Marktsystems durch klar definierte Eigentumsrechte – aber
ohne direkte Staatseingriffe – ausgebügelt. Voraussetzung dazu ist eine geringe Zahl der
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Zusammenfassung VWL
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IUR I
Betroffenen (kleine Transaktionskosten). Zudem müssten Gewinner und Verlierer der
externen Effekte eindeutig bestimmt werden können. Das Coase-Theorem verdeutlicht, dass
für das Funktionieren des ökonomischen Prozesses ein verlässliches Rechtssystem vorliegen
muss, welches für alle knappen Güter durchsetzbare Eigentumsrechte definieren und verteilen
sollte.
b) Besteuerung
Um externe Kosten zu verringern, kann man umweltbelastende Aktivitäten mit einer
besonderen Steuer belegen. Die Wirkung lässt sich anhand eines einfachen Schaubildes
demonstrieren:
Sind wir nicht verpflichtet, für Umweltschäden aufzukommen, werden wir unsere Tätigkeiten
soweit ausdehnen, wie sie uns Gewinn oder Nutzen bereiten, d.h. soweit, wie unser
Grenznutzen noch positiv ist = Punkt B.
Gesamtwirtschaftlich sinnvoll wären aber diese verschmutzenden Tätigkeiten nur bis zum
Punkt A. Denn bis dahin ist der anfallende Nutzen noch höher als die Grenzkosten der
Umweltverschmutzung. Deshalb müssen die umweltbelastenden Tätigkeiten in Höhe von
Punkt X besteuert werden. Niemand hätte mehr Interesse daran, Tätigkeiten auszuüben, die
eine höhere Schadstoffbelastung als bei Punkt A mit sich bringen, weil ab diesem Punkt die
abzuführende Steuer höher ausfällt als der zu erzielende Grenznutzen. Die Steuer reduziert
die Schadstoffemissionen auf das volkswirtschaftlich erwünschte Mass.
Eine Besteuerung nach dem Verursacherprinzip setzt voraus, dass die Grenznutzen der
Umweltbelastung bekannt sind, dass die externen Kosten erfasst, in Geld bewertet und den
einzelnen Schädigern angelastet werden können. Da diese Bewertung oft nur mit grossen
Schwierigkeiten verbunden ist, kann man auch die zulässige Verschmutzung festlegen, und
die Belastungen erhöhen, bis das erwünschte Mass der Umweltverschmutzung erreicht wird.
c) Lenkungsabgaben
Durch Lenkungsabgaben kann dem Problem der Kostenbestimmung ausgewichen werden,
indem eben von festgelegten Grenzwerten für Schadstoffe ausgegangen und diese mit einer
Abgabe belegt werden, mit dem Ziel, eine Verhaltensänderung zu bewirken, welche die
gewünschte Schadstoffreduktion zustande bringt. Wieviel jeder Einzelne seine
Verschmutzung senkt, bleibt ihm selber überlassen. Der Anreiz wird aber – je nach
Abgabesatz – gross sein, derartige Kosten zu verhindern oder zumindest zu vermindern.
Grundsätzlich sollen Lenkungsabgaben die Wirtschaft in eine umweltfreundlichere Richtung
lenken und nicht etwa dem Staat höhere Einnahmen verschaffen. Deshalb ist darauf zu
achten, dass Lenkungsabgaben vollumfänglich an die Wirtschaftssubjekte zurückbezahlt
werden. Die Rückgabe an die Bevölkerung bewirkt, dass diejenigen, welche die Umwelt
überdurchschnittlich verschmutzen, weniger erhalten, als sie bezahlen. Diejenigen, die sich
umweltgerecht verhalten, werden belohnt, indem sie mehr, als sie bezahlen.
d) Umweltzertifikate
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Beim Konzept der Umweltzertifikate (oder Emissionszertifikate) schafft der Staat Nutzungsrechte an der Natur. Er verteilt die gesamte zulässige Umweltbelastung auf Zertifikate
(Belastungsrechte). Wie die Umwelt belastet, muss sich dafür das Recht kaufen. Die
Zertifikate können auch versteigert oder vom Staat gratis abgegeben werden.
Wer Umweltschutzmassnahmen einleitet, braucht weniger Zertifikate und kann sie an
jemanden verkaufen, der solche Verschmutzungsrechte benötigt. Wer die Umwelt belastet,
muss also bereit sein, dafür zu bezahlen; wer die Umwelt schützt, erhält dafür eine materielle
Entschädigung.
Vor allem diejenigen, die mit relativ billigen Massnahmen eine Reduktion der Umweltbelastung
erreichen können, werden durch die Zertifikate veranlasst, diese Massnahmen auch
durchzuführen. Entwerten sich die Zertifikate mit der Zeit, so kann der Umweltstandard
kontinuierlich erhöht werden. Der Handel mit Emissionszertifikaten ist sowohl im CO2-Gesetz
der Schweiz als auch in den Vereinbarungen der UNO-Klimakonferenz vorgesehen.
WELCHE INSTRUMENTE SIND ÜBERLEGEN?
Die Nachhaltige Entwicklung verlangt eine optimale Mischung der angesprochenen
Instrumente. Es muss ermittelt werden, wo Gebote und Verbote am besten funktionieren, und
wie sie durch Instrumente zur Internalisierung externer Kosten und durch Selbstregulierungen
ergänzt werden können. Die Auswahl muss so geschehen, dass die effektivsten und für die
Gesellschaft kostengünstigsten Massnahmen getroffen werden.
Die bis jetzt stiefmütterlich eingesetzten Instrumente zur Internalisierung externer Kosten
sollten aber ein grösseres Gewicht erhalten, weil bei ihnen die Kosten für die Unternehmer
und den Staat geringe sind, weil sie Innovationen fördern, weil sie Anreize zur Vermeidung
von Umweltbelastungen auslösen und trotzdem die Freiheit des Einzelnen weniger
einschränken als polizeiliche Massnahmen.
Umweltabgaben lösen eine Strukturwandel aus, damit eine „Schockwirkung“ vermieden wird,
sollten sie stufenweise eingeführt werden; der Wirtschaft muss eine gewisse Zeit eingeräumt
werden, um die optimale Lösung zu planen. Weil viele Umweltprobleme zudem einen globalen
Charakter haben, sollten Umweltabgaben entsprechend global konzipiert werden.
Zur Förderung einer Nachhaltigen Entwicklung sollten die externen Kosten internalisiert
werden. Dazu bieten sich z.B. Lenkungsabgaben, die Besteuerung von externen Kosten, die
Einführung von Umweltzertifikaten oder das Definieren von Eigentums-, Nutzungs- und
Klagerachten an.
EXKURS:
„KLIMASCHUTZ WOHIN?“
2
• CO -Gesetz in der Schweiz: Es schreib vor, dass der Ausstoss von Kohlendioxid bis 2010
gegenüber dem Stichjahr 1990 um insgesamt 10% gesenkt werden muss. Das Gesetz
bietet Anreize für eine freiwillige Zielerreichung. Genügt dies nicht, kann frühestens ab 2004
eine Lenkungsabgabe eingeführt werden. Unternehmen, die sich verpflichten, ihren CO2Ausstoss auf ein bestimmtes Mass zu reduzieren, können von der Abgabe befreit werden.
• UNO-Weltklimagipfel: Die Industrieländer verpflichten sich, ihre Schadstoffemission bis
2012 um 5,2% unter den Stand von 1990 zu senken. Auffällig ist, dass die Umsetzung des
Kyoto-Protokoll beschlossen wurde, obwohl die USA die Zusage verweigerte. Damit es
allerdings soweit kam, musst den Industrieländern eine Reihe von Möglichkeiten
zugestanden werden, um schmerzhafte Einsparungen umgehen zu können. Nach
Berechnungen von Umweltschutzverbänden ginge der Ausstoss von Kohlendioxid lediglich
um 1,8% zurück, wenn alle Staaten ihre „Freibeträge“ wahrnähmen. Die USA erschweren
den Klimaschutzprozess sehr. Die internationalen Fortschritte seit 1992 auf dem Weg zu
einer nachhaltigen Entwicklung sind ernüchternd.
• „UBS Alternative Climate“: Erstmals wagte sich eine Bank mit rein marktwirtschaftlichen
Grundsätzen auf das noch unsichere Terrain des Klimaschutzes vor. Hierbei beteiligen sich
73
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IUR I
Unternehmen über einen Fonds an Klimaschutzprojekten im Ausland und erzielen damit
nicht nur Rendite, sonder erhalten auch wertvolle CO2-Zertifikate, die gehandelt werden
können. Die Treibhausgasemissionen werden dadurch dort reduziert, wo die Wirkung am
grössten ist.
EXKURS:
„ÖKOLOGISCHE WIRTSCHAFTSPOLITIK – DIE SICHT DER NEUEN POLITISCHEN
ÖKONOMIE“
Trotz einer Mammutkonferenz in Rio de Janeiro 1992, steigen die Treibhausgasemissionen
weiter und die Abholzung der Wälder sowie die Zerstörung der Arten schreitet voran, nicht mal
ein generelles Reduktionsziel für Treibhausgase konnte festgelegt werden.
Aus der Sicht der Neuen Politischen Ökonomie hat in repräsentativen Demokratien eine
ökologisch orientierte Wirtschaftspolitik aus folgenden Gründen nur wenig
Realisierungschancen:
• Die Umweltqualität hat den Charakter eines öffentlichen Gutes. Für Wähler besteht wenig
Anreiz, die Stimme zugunsten eines solchen Massnahmenkataloges abzugeben.
• Politiker wollen primär wieder gewählt werden, deshalb sind die Durchsetzungschancen
einer ökologischen Wirtschaftspolitik ebenfalls gering. Sie gerät nämlich in Widerspruch zur
Präferenz von wiederwahlorientierten Politikern, die jene Massnahmen bevorzugen, die
einen unmittelbaren und deutlich spürbaren Nutzen und erst viel später wirksame Kosten
verursachen. Zudem entscheiden sich Politiker oft für eine ineffiziente
Instrumentenkombination. Weil das Kriterium sofortiger Nutenzurechnung und erst später
sichtbarer Kosten Vordergrund steht, werden eher Gebote und Verbote gewählt anstelle
von Umweltzertifikaten oder Lenkungsabgaben, weil diese für die Wiederwahl eher
schädlich sind.
• Auch die direkt betroffenen Interessengruppen ziehen Auflagen und Verbote andere
ökologischen Instrumente vor. Dabei müssen nämlich nur Verschmutzungen vermieden
werden, welche bestimmte Emissionsgrenzen übersteigen. Die restlichen Emissionen,
deren Umfang die Grenzwerte nicht erreichen, bleiben kostenlos. Dies wird begünstigt von
der asymmetrischen Informationsverteilung zwischen den Unternehmen und dem Staat. Da
zudem Verstösse gegen Auflagen nur unzureichend kontrolliert und geahndet werden
können, lassen sich die Umweltschutzkosten in Grenzen halten.
• Staatliche Umweltbehörden besitzen ein vitales Interesse an umweltpolitischen
Massnahmen, die arbeits- und ressourcenintensiv sind, dadurch können sie rasch wachsen
und Mitarbeiter einstellen. Ganz anders als bei Ökosteuern oder Lenkungsabgaben besteht
bei Auflagen und Subventionen ein vergleichsweise hoher Regelungsbedarf, der zu einem
Machtzuwachs beiträgt, was durchaus mit dem Präferenzen der Bürokratie übereinstimmt.
• Welche Möglichkeiten zur Überwindung der aufgezeigten Hindernisse gibt es?
• In kleinen und überschaubaren Einheiten können die Kosten und der Nutzen von Umweltproblemen bzw. Umweltmassnahmen besser lokalisiert und den Betroffenen zugerechnet
werden.
• Mit Hilfe von direkten Volksabstimmungen können die aufgezeigten Hindernisse besser
überwunden werden als in repräsentativen Demokratien.
• Umweltbewusste Produzenten sollten in effizienter Weise gestärkt werden. Bei Abgaben
sollte deshalb die Verwendung der Mittel zu Gunsten umweltpolitischer Projekte festgelegt
werden.
• Zu prüfen ist die Errichtung einer autonomen Umweltzentrale, die für Einzelbereiche der
Bereitstellung dieses öffentlichen Gutes unabhängig von Wahlterminen und
Gruppeninteressen verantwortlich wäre.
74
Zusammenfassung VWL
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IUR I
KAPITEL 8 – STRUKTURWANDEL ALS CHARAKTERISTIKUM WIRTSCHAFTLICHER
ENTWICKLUNG
KOMPLEXITÄT DES STRUKTURWANDELS
Jede wirtschaftliche Entwicklung ist mit einer Veränderung der einzelnen Teile zueinander und
deren Bedeutung an der ganzen Volkswirtschaft verbunden. Diese Veränderung im Gefüge
einer Volkswirtschaft nennt man Strukturwandel.
Strukturwandel lässt sich an folgenden Grössen beobachten:
• Demografische Struktur
• Produktionsstruktur
• Einkommensstruktur
• Beschäftigungsstruktur
• Regionale Wirtschaftsstruktur
• Unternehmungsstruktur
• Am Grad der Internationalisierung der Produktion
• Struktur des internationalen Handels
Strukturwandel bewirkt in vielen Teilen der VW Veränderungen, diejenigen in der Produktionsund Beschäftigungsstruktur stehen dabei aber im Zentrum des wirtschaftspolitischen
Interesses.
KONJUNKTUR-, STRUKTUR- ODER WACHSTUMSKRISE?
Die Diskussion in schwierigen Zeiten ist in zwei Lager geteilt: Die einen sehen den Kern der
wirtschaftlichen Probleme vor allem in einer konjunkturellen Schwäche, die anderen machen
grundlegende Struktur- und Wachstumsprobleme dafür verantwortlich. Unterschiede in der
Diagnose sind wichtig, da jeweils auch andere Therapien angewendet werden.
Konjunkturschwankungen sind dadurch gekennzeichnet, dass es sich bei ihnen um
periodische Bewegungen der wirtschaftlichen Aktivität handelt, kurzfristige und versible
Verschiebung im Rahmen eines Konjunkturzyklus.
ein Strukturwandel ist durch eine dauerhafte Veränderung gekennzeichnet, er trägt keine
Kräfte in sich, die wieder zum ursprünglichen Zustand zurückführen! Er ändert die Grundlagen
und Rahmenbedingungen, wovon einzelne Unternehmen, Branchen, Regionen oder gar
Länder betroffen sind, die Veränderungen sind irreversibel
Konjunktur- und Strukturprobleme lassen sich nicht sauber trennen, was genau vorliegt ist
schwer erkennbar. Oft überlagern und verstärken sich die beiden gegenseitig.
Zwischen den beiden herrscht eine Interdependenz:
Während ein Wachstumsprozess in der Regel mit einem Strukturwandel verbunden ist,
können durch Strukturwandel selber Wachstumsimpulse auf breiter Front ausgelöst werden.
Ein Strukturwandel kann somit einerseits Folge der wirtschaftlichen Entwicklung sein,
andererseits kann er auch die Voraussetzung für die Weiterentwicklung der Wirtschaft bilden.
Veränderungen können Katalysatoren für das Wachstum einer VW darstellen.
URSACHEN DES STRUKTURWANDELS
1949: J. Fourastié, Evolutionstheorie:
Zu Beginn der Industrialisierung eines Landes sind etwa 80% der Bevölkerung in der
Landwirtschaft tätig, 10% in der Industrie und 10% im Dienstleistungssektor; im Verlauf der
Industrialisierung wächst der Beschäftigungsanteil im sekundären Sektor weitgehend zu
Lasten des primären; im „Zustand der reifen Wirtschaft“ aber beschäftigt der
Dienstleistungssektor gegen 80% aller Erwerbstätigen, während in den anderen beiden
Sektoren nur je 10% tätig sind. (Es stimmte mit der Wirklichkeit ziemlich überein).
75
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IUR I
STRUKTURWANDEL ALS FOLGE DER NACHFRAGEDYNAMIK
Mit steigendem Einkommen sinkt der Anteil der Ausgaben für Nahrungsmittel, eine
Sättigungsgrenze wird erreicht, davon betroffen ist der Landwirtschaftssektor. Auch die
Nachfrage nach Konsumgütern stösst mit zunehmendem Versorgungsgrad an eine
mengenmässige Sättigungsgrenze, die Nachfrage stagniert. Eine zunehmende Marktsättigung
für einzelne Produkte oder ganze Branchen bei steigendem Einkommen zeichnet sich ab.
Dagegen expandiert die Nachfrage nach Dienstleistungen mit zunehmenden Einkommen.
Dienstleistungen weisen also im Gegensatz zu Nahrungsmitteln und anderen Konsumgütern
eine hohe Einkommenselastizität aus.
STRUKTURWANDEL ALS FOLGE DER ANGEBOTSDYNAMIK
In Landwirtschaft und Industrie konnte die Arbeitsproduktivität durch technischen Fortschritt
massive gesteigert werden, es werden weniger Arbeitskräfte gebraucht um dieselbe Menge zu
produzieren. Steigerungen der Arbeitsproduktivität im Dienstleistungsbereich scheint begrenz
zu sein, doch hat auch hier der Einsatz neuer Technologien zur Aufholjagd angesetzt, allen
voran der Bankensektor.
Mengenmässige stagnierende Nachfrage und höhere Arbeitsproduktivität verschärfen die
Tendenz zur Überproduktion. Als Konsequenz muss die Produktion eingeschränkt werden und
Arbeitsplätze gehen verloren.
Fourastié sah die unterschiedliche Entwicklung der Nachfrage und der Arbeitsproduktivität in
den Sektoren und Branchen als Hauptbegründung für seine Prognosen.
Der technische Fortschritt ist auch heute ein wichtiger Motor des Strukturwandels. Der
weltweite Informationsfluss erlaubt Aktivitäten in unterschiedlichen Weltregionen zu planen
und zu koordinieren. Produktion kann weltweit geplant werden, industrielle Fertigung wird
mobiler, gute Qualität kann überall hergestellt werden. Die sinkenden Kosten der Internationalisierung ermöglichen die Wahl des günstigsten Standortes für jede Komponente des
Produktes. Auch die ständigen Bemühungen der Unternehmer durch neue Produkte, neue
Marketingmethoden oder neue Organisations- und Produktionsprozesse einen Vorsprung im
Konkurrenzkampf zu erhalten, beschleunigen den Strukturwandel von der Angebotsseite her.
STRUKTURWANDEL ALS FOLGE VON VERÄNDERUNGEN IN DEN
RAHMENBEDINGUNGEN
Die Internationalisierung und Globalisierung konnte rasch zunehmen, da sich immer mehr
Länder den internationalen Märkten öffnen (Ostblock-Staaten, China, Indien). Innert kürzester
Zeit drangen fast 50% des internationalen Arbeitskräftepotenzials auf den Weltmarkt; so erlebt
der Welthandel jährlich zweistellige Zuwachsraten.
Beachtliche Zuwachsraten erreichen auch die ausländischen Direktinvestitionen (Kauf oder
Aufbau von Tochtergesellschaften, Filialen, Beteiligungen) und grenzüberschreitende
Kooperationen. 1980 betrugen sie 57 Mrd, 1990 schon 150 Mrd. und im Jahr 2000 gar 1300
Mrd. Dies ist ein Indiz für eine zügig voranschreitende Globalisierung. Die multinationalen
Unternehmungen leisten einen bedeutenden Beitrag zur Vernetzung nationaler
Volkswirtschaften. Sie fördern auch eine integrierte Weltproduktion, in welcher Länder oder
Regionen zu spezialisierten Produktionsstandorten für einen bestimmten Ausschnitt eines
Industriezweiges werden. Die internationale Arbeitsteilung wird durch sinkende
Transportkosten erleichtert.
Besondere Impulse vermitteln zudem die Bestrebungen im Rahmen der WTO und die
regionalen Integrationsbemühungen (APEC, NAFTA, Binnenmarktprogramm der EU…).
Neben diesen Veränderungen in den internationalen Rahmenbedingungen nimmt die
nationale und regionale Wirtschaftspolitik eine wichtige Rolle im Strukturwandlungsprozess
ein. Bestimmte Strukturen werden geschützt, andere bewusst verändert.
Zu den wesentlichsten Ursachen eines Strukturwandels gehören die Nachfrage- und
Angebotsdynamik sowie die Veränderung in den Rahmenbedingungen.
76
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IUR I
EXKURS:
DIE WÜRSTCHENPARABEL
Die Produktivitätssteigerung im Sektor X kann in diesem Sektor natürlich einen
Arbeitsplatzabbau nach sich ziehen. Doch die Schlussfolgerung, dieses Produktivitätswachstum gehe zu Lasten der Beschäftigung in der VW insgesamt, steht auf einem völlig
anderen Blatt.
WIE ZEIGT SICH DER STRUKTURWANDEL IN DER SCHWEIZ?
DER SEKTORALE STRUKTURWANDEL
• Periode 1950 bis 1970: zeichnete sich durch ein aussergewöhnlich starkes
Wirtschaftswachstum aus. BIP wuchs durchschnittlich 4,6%, Zahl der Erwerbstätigen nahm
jährlich um 1,4% zu, die Arbeitsproduktivität wuchs mit einer Rate von 3,3%. Sektoral
musste einzig die Landwirtschaft eine Stagnation der Wertschöpfung und einen Abbau der
Erwerbstätigen hinnehmen.
• Periode 1970 bis 1990: Erdölpreisschock liess Wachstum einbrechen. Wertschöpfung
stagniert in der Industrie, in der Landwirtschaft war sie gar rückläufig. Gewinner des
Strukturwandels waren der Dienstleistungssektor und das Baugewerbe, Verlierer die
Industrie und die Landwirtschaft.
• Periode 1990 bis 2002: Das Wachstum stagnierte oder war sehr schwach, die statistisch
ausgewiesene Arbeitslosigkeit stieg auf Höchststände, die Verlagerung der Erwerbstätigkeit
in den dritten Sektor hat auch seit 1990 eines Fortsetzung erfahren.
Zwischen Wertschöpfung, Erwerbstätigen und Arbeitsproduktivität besteht ein
Zusammenhang:
♦ Die Wertschöpfung in der Landwirtschaft ist in den letzten 30 Jahren zwar gestiegen, da
sich die Produktivität aber sehr stark erhöht hat, lässt sich die landwirtschaftliche
Produktion mit weniger als der Hälfte der Erwerbstätigen herstellen.
♦ Ebenfall mit weniger Erwerbstätigen als 1960 wird die Wertschöpfung in der Industrie
erarbeitet, da sich die Produktivität mehr als verdoppelt hat kann mit weniger
Erwerbstätigen 70% mehr hergestellt werden.
♦ Im DL-Sektor war das Wachstum der Wertschöpfung am stärksten, während dasjenige der
Produktivität gleichzeitig am schwächsten war, weshalb heute viel mehr Leute da arbeiten.
DER BRANCHENMÄSSIGE STRUKTURWANDEL
Veränderungen sind logischerweise auch innerhalb der einzelnen Sektoren auszumachen. Die
Periode 1990 bis 2002 war von einem starken Strukturwandel auf Branchenebene begleitet.
Die grössten Zuwachsraten der Wertschöpfung erzielten die Pharma, die Chemie und die
Informatik/Telekommunikation. Dem grössten Schrumpfungsprozess unterlagen
Textil/Bekleidung und die Bauwirtschaft.
Der Strukturwandel zeigt sich auch bei den Erwerbstätigen. Die längerfristigen Aussichten
lassen sich einerseits aufgrund des Nachfragepotentials ableiten, andererseits spielt für die
Prognose die Wettbewerbsfähigkeit der jeweiligen Unternehmen einer Branche eine wichtige
Rolle.
STRUKTURWANDEL ALS HERAUSFORDERUNG FÜR UNTENEHMEN, STAAT UND GESELLSCHAFT
Der branchenmässige und sektorale Strukturwandel in der Schweiz wir stark von den
Veränderungen im internationalen Umfeld mitgeprägt. Die Öffnung nationaler Märkte, die
WTO und regionale Integrationsbemühungen eröffnen Chancen für Markterweiterungen,
welche allerdings Strukturanpassungen voraussetzen. Importe aus den neuen
Industrieländern sind die Voraussetzung für Exporte aus den alten Industrieländern. Der
Wohlstand der Schweiz ist auf das engste mit dem Ausland verknüpft, deshalb kommt wohl
nur eine Strategie in Betracht: „Dabeisein im Globalisierungsprozess!“
STRUKTURPOLITISCHE HANDLUNGSALTERNATIVEN FÜR DEN STAAT
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IUR I
Obwohl die Bewältigung des Strukturwandels primär Aufgabe der Unternehme ist, wird auch
die Politik gefordert. Dabei kann die Strukturpolitik des Staates grundsätzlich darauf
ausgerichtet werden, einen Strukturwandel abzuschwächen (Strukturerhaltung), zu
erleichtern (Strukturanpassung) oder gar in eine gewisse Richtung zu steuern
(Strukturgestaltung).
Kritiker sagen bei Strukturerhaltungspolitik werde die Problemlösung nur aufgeschoben,
falsche Anreize gesetzt und volkswirtschaftliche Kosten verursacht. Strukturerhaltung
bedeutet für sie die Verteidigung des Vergangenen, statt die Zukunft ins Visier zu nehmen.
Bei Strukturgestaltungspolitik muss der Staat Entscheiden, welche Branchen gute
Zukunftsaussichten haben, die ist mit zwei Problemen verbunden:
Erstens verfügt der Staat über weniger Informationen als die Wirtschaft, welche Aktivitäten
Zukunftspotential enthalten. Zweitens besteht eine gewisse Gewöhnungsgefahr an die
staatlichen Krücken, die in der Praxis – einmal gewährt – oft schwierig zu beseitigen sind.
Unbestritten ist die Aufgabe des Staates, den erforderlichen Spielraum für den Wandel der
Strukturen zu schaffen.
ERFOLGSFAKTOREN FÜR DIE BEWÄLTIGUNG DES STRUKTURWANDELS
Erfolgsfaktor
Herausforderung für die
Herausforderung für den Staat
Unternehmen
„Wandel als Chance Im Umfeld des rasanten
Einige staatliche Regelungen
erkennen –
Wandels gerät die
behindern die InnovationsfähigInnovationsfähigkeit
Wettbewerbsfähigkeit unserer keit (Bauvorschriften, lange
erhöhen“
Unternehmen in Gefahr, sie
Bewilligungsverfahren, etc). Auch
besteht aus zwei Pfeilern: der als Hindernis werden die
eine ist die Leistungsfähigkeit, Steuerbelastung und die
der andere die
Schwierigkeiten bei der
Innovationsfähigkeit (Fähigkeit Kapitalbeschaffung –
neue Ideen zu entwickeln, zu
insbesondere beim Risikokapital
realisieren und auf den Markt
– genannt. Zudem ist dir direkte
zu bringen). Fehlt die
Demokratie nur zum Preis
Innovationsfähigkeit, steigt die langsamer
Gefahr zu spät zu kommen,
Korrekturmechanismen zu
die Reaktionszeit muss erhöht haben, die Kehrseite der
werden.
politischen Stabilität ist die
mangelnde Anpassungsfähigkeit.
„Stärkung der
Globaler Wettbewerb und
Grundsätzlich muss der Staat für
Leistungsfähigkeit –
Strukturwandel führen zu
mehr Wettbewerb sorgen –
Förderung des
anhaltendem Preis- und
insbesondere in der
Wettbewerbs und
Kostendruck. Unternehmen
reglementierten und mit vielen
der Standortqualität“ müssen ständig nach kostenSchranken behafteten
günstigen Produktions- und
Binnenmarktwirtschaft. Je billiger
effizienten
es ist, Produktionsstandorte
Vermarktungsmethoden
international zu verlagern, desto
suchen. Mehr Wettbewerb
deutlicher treten nationale
steigert die effiziente Nutzung Unterschiede in den
von Ressourcen. Der Zwang
Rahmenbedingungen hervor und
zur Herstellung von
desto grösser wird der
wertschöpfungsintensiven
Wettbewerb der Standorte. Denn
Produkten und DL steigt.
die mobilen Produktionsfaktoren
wandern dorthin, wo ihr Ertrag
am höchsten ist.
„Bildung und
Zu den Hindernissen der
Im Zuge der Globalisierung, des
78
Zusammenfassung VWL
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IUR I
Wissen“
Innovationsfähigkeit gehört der
Mangel an qualifiziertem
Personal, Zwang zur raschen
Anpassung verlangt eine
permanente Änderung des
Qualifikationsprofils. Der
intelligente Umgang mit
Wissen in Unternehmen wird
als Form des lebenslangen
Lernens immer wichtiger.
technischen und wirtschaftlichen
Wandels fallen Arbeitsplätze von
Ungelernte kontinuierlich weg.
Bildung und Wissen werden zur
Schlüsselgrösse für die
erfolgreiche Bewältigung der
Zukunft.
Die Erhöhung der Innovationsfähigkeit, die Förderung des Wettbewerbs, die Verbesserung
der Standortqualität sowie Anpassungen und Verbesserungen im Bildungssystem sind
wichtige Erfolgsfaktoren zur Bewältigung des Strukturwandels, die im Kontrast zu gewissen
Verhaltensmustern und Werten stehen.
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IUR I
EXKURS:
„NEHMEN UNS DIE BILLIGLOHNLÄNDER DIE ARBEITSPLÄTZE WEG?“
Mit dem Argument der Abwanderung in Niedriglohnländer werden immer wieder deutliche
Forderungen nach Lohnsenkungen auf breiter Ebene vorgetragen.
Nehmen uns die Billiglohnländer also die Arbeitsplätze weg?
Wirtschaftlicher Wettbewerb beruht immer auf Unterschieden in der Ausstattung mit
Produktionsfaktoren. Niedrige Löhne allein bewirken keine Wettbewerbsvorteile, ausser in
Wirtschaftszweigen, wo praktisch ohne Kapital und Know-how produziert werden kann. Eine
Abwanderungsgefahr besteht deshalb überall dort, wo mit einheitlicher Technologie
standardisierte Güter hergestellt werden, und sich die Konkurrenzfähigkeit ausschliesslich auf
den Lohn reduziert.
Selbst eine Lohnsenkung um 30% ist bedeutungslos, wenn es weltweit Millionen von
Menschen gibt, die zu einem Bruchteil unserer Löhne arbeiten. Hohe Lohnkosten gefährden
keine Arbeitsplätze, soweit sie Folge von hoher Arbeitsproduktivität sind.
Hohe Löhne und hohe Wettbewerbsfähigkeit stehen nicht im Widerspruch zueinander, sonder
gehen Hand in Hand.
Künstlich reduziert Löhne reduzieren die Anreize, lange Ausbildungswerge in Kauf zu nehmen
und höhere Qualifikationen anzustreben.
Soll das traditionell hohe Lohnniveau in der Schweiz bestehen bleiben, muss dem verstärkten
Wettbewerbsdruck offensiv begegnet werden: Mit einer Strategie der Kompetenzen, der
Innovationsfähigkeit und einer Verbesserung der staatlichen Rahmenbedingungen, welche
uns ermöglichen, einen Produktivitätsvorsprung zu halten und immer wieder neu zu erringen.
In einem Artikel der Wirtschaftszeigung Cash wurde festgehalten, dass die Schweiz mehr
Waren und DL in die Billiglohnländer exportiert als sie von diesen Ländern importiert. Um dem
Ausland zu erlauben, seine Schulden gegenüber der Schweiz nicht weiter zu erhöhen,
müssten so viele Güter und DL zusätzlich importiert werden, dass damit im Ausland
mindestens 250 000 Leute beschäftigt werden könnten.
80
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IUR I
KAPITEL 9 – GELD, GELDPOLITIK UND DAS PROBLEM DER INFLATION
WAS IST GELD?
Geld im engeren Sinne ist alles, womit wie jederzeit bezahlen können. Dazu gehören das
Bargeld, die Sichtguthaben und die Einlagen auf Transaktionskonti des Publikums bei Banken
und Post.
Der Löwenanteil des Zahlungsverkehrs läuft ab, ohne dass Bargeld die Hände wechselt.
Bankguthaben, die sofort verfügbar sind (Kontokorrentguthaben) und Guthaben auf
Postcheckkonten sind auch Geld, so genanntes BUCHGELD. Es erfüllt die Funktionen des
Geldes sogar noch besser als Bargeld. Die Guthaben auf solchen Konten bei Banken und
Post werden Sichtguthaben oder Giroguthaben genannt, weil sie jederzeit (auf Sicht)
verfügbar sind.
Die Guthaben auf Lohn-, Spar-, Depositen- und Einlagekonti nennt man
TRANSAKTIONSKONTI, sofern sie auch für den Zahlungsverkehr genutzt werden können.
Auch sie gehören zum Geld.
Anders sieht es aus bei Einlagen auf Spar-, Depositen- und Einlagekonti, die der
Wertaufbewahrung dienen (also für den Zahlungsverkehr ungeeignet sind) und
Termineinlagen. Sie sind zeitlich gebunden und nicht jederzeit verfügbar.
Die Geldbestände der Bank scheiden aber aus. Erstens weil die Zielsetzung der Geldtheorie
die Erklärung der Veränderung des Preisniveaus, die Produktion, die Beschäftigung etc.
beinhaltet. Deshalb sind die Geldbestände des Bankensektors relativ unbedeutsam, da sie
selber kaum eine Güternachfrage entfalten. Zweitens werden auf diese Weise Doppelzählung
vermieden. Wenn jemand 1000.- auf sein Konto einzahlt, findet lediglich ein Tausch von
Bargeld zu Buchgeld statt.
Zur Geldmenge gehören alle Geldbestände des Publikums (Haushalte, Unternehmungen und
Staat).
• Die so definierte Geldmenge im engeren Sinne (siehe oben) wird auch als Geldmenge M1
bezeichnet. Für diese Definition ist die Zahlungsmittelfunktion des Geldes als
Abgrenzungskriterium massgebend.
• Addieren wir zu M1 die Spareinlagen (Einlagen auf Spar-, Einlagen- und Depositenkonti,
die der Wertaufbewahrung dienen), gelangen wir zur Geldmenge M2.
• Betonen wir die Wertaufbewahrungsfunktion des Geldes noch stärker und bilden eine
umfassende Geldmenge, die alle potentiellen Zahlungsmittel enthält, als auch die für eine
gewisse Zeit gewisse Zeit gebundenen Einlagen (Termineinlagen), erhalten wir die
Geldmenge M3.
Bei der Definition der M-Geldmengen nehmen wir den Blickwinkel des Publikums ein. Nehmen
wie die Sicht der SNB ein, erhalten wir die Notenbankgeldmenge:
• Die Summe der Banknoten im Publikum und bei den Banken sowie die Sichteinlagen der
Banken bei der SNB ergeben die Notenbankgeldmenge.
Das Verhältnis zwischen dem Bargeld und den Sichtguthaben/Transaktionsguthaben beträgt
in der Schweiz etwa 1:4. Der bargeldlose Zahlungsverkehr ist also wesentlich wichtiger als die
Zahlungen mit Noten und Münzen
Kann man auch zuviel Geld haben? Ja, weil nur wenige Menschen Freude am Besitz von
Geld haben, die meisten wollen materielle Dinge und nicht Geld besitzen.
81
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IUR I
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Zusammenfassung VWL
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IUR I
EXKURS:
„ABSCHIED VOM BARGELD?“
Im Laufe der Zeit fand ein Abstraktionsprozess statt. Während Gold- oder Silbermünzen noch
einen eigentlichen Wert hatten, besitzen die heutigen Münzen und Noten keinen eigentlichen
Materialwert mehr. Ihnen werden durch Bedruckung Wert-Informationen vom Herausgeber
zugewiesen. Sie können problemlos durch elektronische Zahlungssysteme, Kredit- oder
Chipkarten ersetzt werden. Damit konnte die Effizienz des Zahlungsverkehrs massiv
gesteigert werden. Elektronische Verarbeitung trat an Stelle von manueller Verarbeitung,
daraus resultierte für die Kunden einfachere Transportierbarkeit und Zinsgewinn weil die
Abwicklungszeit von Zahlungen praktisch verschwindet. Die Echtzeit-Abwicklung erlaubt es
den Banken, denselben Geldbetrag mehrmals während eines Tages zu verwenden.
Umlaufgeschwindigkeit hat sich massiv erhöht.
EXKURS:
„WIE DENKEN DIE SCHWEIZER IN GELDFRAGEN?“
In der CH gibt es 4 Geldtypen, die fast gleich stark vertreten sind:
• Safe Player: legt Wert auf finanzielle Sicherheit und Sparen, Geld wichtiges Ziel im Leben,
eher vermögend, sieht sich sehr kompetent im Umgang mit Geld, negative Sicht zu
Börsen/Aktien/Glücksspiel, Frau/Mann ausgeglichen, Kantonal- oder Raiffeisenbanken.
• Risk Seeker: positive Sicht zu Aktien, bereit für Geldvermehrung Risiken einzugehen, Geld
wichtiges Ziel, überdurchschnittliches Einkommen/Vermögen, deutlich mehr Männer als
Frauen, Präferenz für Grossbanken CS oder UBS.
• Open Book: gibt gerne Auskunft über seine finanziellen Verhältnisse, ansonsten Geld eher
unwichtig, negativ zu Börsen/Aktien/Glücksspiel, Einkommen tief, wenig bis kein Vermögen,
weit mehr Frauen als Männer, oft Kunde der Post.
• Money Dummy: ist der Schweizer Durchschnitt, finanzielle Sicherheit wichtig aber auch
nicht zu wichtig, Mittelfeld bezüglich Einkommen/Vermögen, Frau/Mann ausgeglichen,
präferiert keine bestimmte Hausbank, gibt nicht gerne Auskunft über seine Finanzen.
WIE ENTSTEHT GELD, WIE WIRD GELD VERNICHTET?
Banknoten zählen erst dann zur Geldmenge, wenn sie über den Schalter der SNB zu den
Banken gelangen (Notenbankgeldmenge) oder zum Publikum (Geldmenge M1).
Geld entsteht aus einem Tauschgeschäft, an den eine inländische Bank beteiligt ist.
Bei diesen Tauschgeschäften wird etwas, das Nichtgeld ist, gegen Geld eingetauscht.
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IUR I
1. Die Nationalbank kauf von einer Geschäftsbank eine Million Dollars.
Die Geschäftsbank überweist der SNB die eine Million Dollars, die Nichtgeld sind, und bekommt den
Gegenwert in Sfr. auf ihrem Girokonto gutgeschrieben. Die Sichtguthaben der Bank steigen, das bedeutet
einen Anstieg der Notenbankgeldmenge. Die M-Geldmengen bleiben unverändert.
2. Die Nationalbank gewährt einer Geschäftsbank einen Kredit gegen Wertschriften als Pfand.
Die Geschäftsbank tritt an die SNB eine Sicherheit ab (Nichtgeld) und erhält dafür Geld in der Form von
Sichtguthaben. Auch in diesem Fall steigt deshalb die Notenbankgeldmenge, die M-Geldmengen bleiben
unverändert. Transaktionen zwischen der Nationalbank und den Banken wirken sich auf die M-Geldmengen
nicht aus, weil sie den Bereich des Publikums nicht berühren.
3. Eine Bank kauft Obligationen der Firma Leiterli.
Die Bank erhält Wertschriften (Nichtgeld) und der Firma Leiterli wird der Betrag auf ihrem Bankkonto
gutgeschrieben. Die M-Geldmengen steigen an.
4. Eine Bank kauft von einer Gemeinde eine Liegenschaft.
Die Gemeinde übergibt das Eigentum an der Liegenschaft (Nichtgeld) und erhält dafür eine entsprechende
Gutschrift auf dem Bankkonto. Die M-Geldmengen steigen.
5. Eine Bank gewährt einen Hypothekarkredit.
Die Bank schreibt den Betrag ihrem Kunden gut. Als Sicherheit erhält sie das Pfandrecht an der
Liegenschaft (Nichtgeld). Die M-Geldmengen steigen.
6. Eine Festgeldanlage läuft ab.
Die längerfristige Schuld der Bank wird in eine jederzeit verfügbare Schuld umgewandelt. M1 und M2
steigen, M3 bleibt unverändert.
Kehren wir die oben beschriebenen Transaktionen um, wir Geld vernichtet.
Nun ist klar, warum man Geld auch als Forderungen an Banken definieren kann, oder
weshalb man Banken auch als Unternehmungen bezeichnet, mit deren Schulden andere
Leute ihre Schulden bezahlen können. Ist keine inländische Bank an einer solchen
Tauchaktion beteiligt, entsteht auch kein Geld, es wechselt nur den Besitzer. Nichtgeld in Geld
umwandeln (monetisieren) nennt man auch Monetisierungsfunktion.
Wie wir gesehen haben, kann nicht nur die SNB Geld schöpfen, sondern auch die
Geschäftsbanken!
Bankguthaben sind zwar keine gesetzlich anerkannten Zahlungsmittel (im Gegensatz zu
Bargeld), solange die entsprechende Bank aber genügend vertrauenswürdig ist, werden sie
wie Bargeld angenommen.
Woher hat die Bank das Geld, das sie einem leiht? Sie hat es selbst gemacht, per
Tastendruck (bei der Überweisung)! Sie kann das nicht unbegrenzt machen, weil man könnte
ja Bargeld abheben wollen, und Bargeld kann sie nicht selber machen. Die Bank muss also
aus eigenem Interesse sicherstellen, dass sie zahlungsfähig (d.h. über genügend
Notenbankgeld verfügt) ist. Daneben existieren gesetzliche Vorschriften um das
Sicherzustellen. Die Banken haben aber ein dauerndes Liquiditätsoptimierungsproblem, da sie
mehr Sichtschulden schöpfen, als sie Bargeld halten, denn Bargeldhaltung ist mit
Opportunitätskosten verbunden.
Dank des Geldschöpfungsmultiplikators können die Banken sehr wohl Geld schöpfen, das
ihm sind die Sichtguthaben doppelt so gross wie das Bargeld. Das funktioniert so:
Gelangt eine Geschäftsbank aus einem Tauschgeschäft mit der SNB in den Besitz von Fr.
2000.- Notenbankgeld, kann sie davon einen Kredit von beispielsweise Fr. 1600.- an jemand
anderen gewähren. Bereits ist für Fr. 1600.- neues Geld entstanden. Diese 1600.- Fr. werden
aber wieder auf einem Bankkonto landen, und diese Bank wird damit wieder einen Kredit
gewähren und so weiter und so weiter.
Eine Erhöhung der Notenbankgeldmenge hat eine multiplikative Wirkung, weil nur ein Teil
davon als Reserve gehalten wird und der Rest als Kredit verliehen wird. Dieser
Gelschöpfungsmultiplikatorprozess endet erst, wenn der Gesamtwert der Gelder die den
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IUR I
Reserven zufliessen, den ursprünglichen Anstieg der Notenbankgeldmenge kompensiert. Der
Geldschöpfungsmulitplikator kann deshalb folgendermassen berechnet werden:
1/Reservesatz
In unserem Beispiel beträgt der Reservesatz 20%, Multiplikator ist somit 5. Aus einer
Erhöhung der Notenbankgeldmenge von Fr. 2000.- entsteht eine Geldmengenerhöhung von
insgesamt Fr. 10000.-!
In der Realität kann allerdings nicht damit gerechnet werden, dass das Geld jeweils wieder im
vollen Umgang auf ein Bankkonto gelangt. Wollen die Individuen nicht nur Sichteinlagen bei
Banken, sondern auch etwas Bargeld halten, sagen wir 5%, dann verkleinert sich der
Multiplikator:
1
Multiplikator = --------------------(Herzli: PUNKT VOR STRICH!!!)
r + (1 - r) * c
r = Reservesatz
c = Bargeldsatz
Rechenbeispiele:
DIE ROLLE DER SCHWEIZERISCHEN NATIONALBANK
Gründung im Jahr 1906, Aktiengesellschaft, zu rund 2/3 im Besitz von Kantonen und
Kantonalbanken, unter Aufsicht des Bankenrat (politische Behörde), Geschäftsführung von
einem 3-köpfigen Direktorium (vom Bundesrat gewählt, aber in Geldpolitik autonom).
Sie hat das Notenmonopol, ihr Produkt ist also ganz speziell: Sie macht Schweizer Franken
und setzt diese durch Geschäfte mit den Banken in Umlauf. Sie macht Gewinne, auch denn
das nicht ihr Zweck ist. Eine weitere Besonderheit ist ihr öffentlicher Auftrag:
Hauptaufgabe der Nationalbank ist gemäss Bundesverfassung Art. 99:
„ Die SNB führ als unabhängige Zentralbank eine Geld- und Währungspolitik, die dem
Gesamtinteresse des Landes dient.“
Wie andere Unternehmen hat sie auch Mitarbeiter (rund 500), welche aber CH-Bürger und in
der CH wohnhaft sein müssen, und sie führt auch ein Erfolgsrechnung und eine Bilanz.
Nationalbankbilanz
• Aktivseite: Auf der Aktivseite unterscheidet sich die Bilanz der SNB von andere Bilanzen
durch den hohen Anteil des Goldes und der Devisen. Die SNB war bis 1954 verpflichtet von
Gesetzes wegen, ausstehende Banknoten auf Verlangen zu einem fixen Preis gegen Gold
einzutauschen. Dadurch konnte das Vertrauen in die „bunten Papiere“ geschaffen werden.
Bis zum Jahr 2000 besass die Nationalbank rund 2600 Tonnen Gold. Seit dem 1.Januar
2000 ist eine neue Währungsverfassung in Kraft, in welcher die Bindung des Frankens an
das Gold gänzlich aufgelöst wurde. Nun verkauft sie schrittweise ihr Gold. Die
Devisenbestände nehmen auch einen grossen Posten auf der Aktivseite ein, genauso wie
die Repo-Geschäfte (dazu später mehr).
• Passivseite: Auf der Passivseite springt sofort der Posten Notenumlauf ins Auge, die
Nationalbanken sind die einzigen Unternehmen die Noten auf der Passivseite ausweisen.
Das liegt daran, dass der Notenumlauf eine Schuld der Nationalbank spiegelt, früher
einlösbar gegen Gold, heute ist diese Schuld nur noch fiktiver Natur. Der zweite typische
Passivposten sind die Giroguthaben der Banken. Sie dienen in erster Linie als
Zahlungsmittel zwischen den Banken. Zudem sind sie für die Banken das Hauptinstrument
zur Steuerung ihrer Liquidität. (Notenumlauf und Giroguthaben der Banken bilden
zusammen die Notenbankgeldmenge).
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IUR I
Die gekauften Vermögenswerte, vorab Devisen und Wertschriften, bringen Zinserträge, die
der SNB Gewinne ermöglichen.
DIE INSTRUMENTE DER SNB ZUR KONTROLLE DER GELDMENGE
Den Notenumlauf kann die SNB insofern nicht direkt bestimmen, als sie ihn der
Bargeldhaltung und den Zahlungsgewohnheiten der Haushalte und Unternehmungen anpasst.
Liquiditätsbedürfnisse sind erfahrungsgemäss sehr hoch am Monatsende, Quartalsende, oder
Jahresende.
Deswegen erfolgt die tägliche Steuerung in zwei Schritten:
Im ersten Schritt werden die Veränderungen der Giroguthaben ohne Zutun der SNB möglichst
genau prognostiziert. Im zweiten Schritt werden die geldpolitischen Instrumente so eingesetzt,
dass sie wieder den gewünschten Stand erreichen.
Will die SNB die Versorgung mit Geld erhöhen, gewährt sie Kredite oder kauft Wertpapiere zu
attraktiven Konditionen. Das Geld schreibt sie den Girokonten der Banken gut, die Banken
gewähren daraufhin ihrerseits den Kunden mehr Kredite, der Geldschöpfungsmultiplikator
setzt sich in Gang.
Folgende geldpolitischen Instrumente setzt sie dabei ein:
• Lombardkredite
• In Notfällen können die Banken allfällige Liquiditätsengpässe auch mit Lombardkrediten
überbrücken. Beim Lombardkredit hinterlegen die Banken als Sicherheit bestimmte
Wertpapiere und erhalten dafür eine Kreditlimite. Der Zinssatz heisst Lombardsatz.
• Repo (Repurchase Agreement)
• Das am häufigsten eingesetzte Instrument zur Steuerung der Geldversorgung. Bei diesem
Geschäft kauf die Nationalbank von einer Bank Wertpapiere – die bezüglich der Liquidität,
der Art der Titel sowie der Schuldnerkategorie bestimmte Anforderungen erfüllen müssen –
und vereinbart, dass die Bank diese Wertpapiere nach einer bestimmten Zeit wieder zurück
kauft. Die Laufzeiten liegen zwischen einem Tag und wenigen Monaten. Während der
Laufzeit des Geschäftes verlangt die SNB einen Zinssatz, den Repo-Satz.
• Devisenwap
• Die SNB kauft von den Banken auch ausländische Währungen (Devisen). Als Devisenwap
bezeichnet man dieses Geschäft, wenn sie die Devisen gleichzeitig wieder verkauft auf
einen späteren Zeitpunkt hin. Der Swap ist wie der Repo eine Verbindung zwischen einem
Kassa- und einem Termingeschäft. Früher waren Devisenwaps sehr häufig, heute eher
spärlich. Die üblichen Swaplaufzeiten liegen zwischen einem und sechs Monaten.
Will sie die Geldmenge reduzieren, erhöht sie den Repo-Satz, zusätzlich könnte sie den
Lombardsatz erhöhen oder Devisen verkaufen. Dadurch reduzieren sich die Giroguthaben der
Banken, die deshalb in ihrer Kreditgewährung eingeschränkt werden: Das
Geldschöpfungspotenzial der Banken wird kleiner.
Nebst diesen Instrumente kann die SNB auch andere Vermögenswerte kaufen/verkaufen. Tut
sie das mit Wertschriften, nennt man das Offenmarktgeschäft.
Mindestreservevorschriften dienen nicht zur Steuerung der Geldmengen, aber sie sorgen
dafür, dass die Banken über genügend Liquidität verfügen.
FED = Federal Reserve System
Während die SNB Gold und Devisen monetisiert hat, verwandelt das FED vor allem die
Staatsschulden in Geld.
Die SNB setzt folgende geldpolitischen Instrumente ein:
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IUR I
• Repo-Geschäfte
• Devisenwaps
• Lombardkredite
Zur Sicherung der Liquidität im Bankensektor enthält das Nationalbankengesetz
Mindestreservevorschriften.
DIE GELDPOLITIK DER SNB UND IHRE WIRKUNGEN
Im Jahr 1973 war der Übergang von fixen zu flexiblen Wechselkursen, dadurch bekam die
SNB die Möglichkeit eine eigenständige Geldpolitik zu führen.
Auf den Jahreswechsel 1999/2000 hin hat die SNB die bedeutendste Änderung seit 1973
vorgenommen. Das neue Konzept beruht auf drei Pfeilern:
1. Inflationsziel: Das Hauptziel der SNB ist die Wahrung der Preisstabilität. Darunter versteht
man einen Anstieg des Landesindex der Konsumentenpreise um weniger als 2%! Auch die
Senkung des Preisniveaus (eine Deflation) will die SNB via Geldpolitik verhindern.
2. Inflationsprognose: Veränderungen in der Geldpolitik schlagen sich in der Wirtschaft nicht
unmittelbar, sondern verzögert nieder. Deshalb kann sich die SNB bei ihren geldpolitischen
Entscheiden nicht auf die aktuellen Inflationsraten stützen, sondern auf die
Inflationsprognosen für die folgenden drei Jahre. Gibt es dabei Abweichungen von der
Preisstabilität, müssen Anpassungen vorgenommen werden. Bei einem Preisanstieg von
mehr als 2% strafft sie die geldpolitischen Zügel, droht hingegen eine Rezession bei
sinkender Preistendenz, stellt sie der Wirtschaft mehr Geld zur Verfügung.
3. Zinszielband für den Libor-Satz: Zur Umsetzung ihrer Strategie steuert die SNB den
Zinssatz für Anlagen mit einer Laufzeit von drei Monaten: Den Libor-Satz (London
Interbank Offered Rate). Diesen Zinssatz verlangen grosse Banken untereinander für 3Monats-Anlagen in Schweizer Franken untereinander. Wird täglich in London fixiert. SNB
legt als Leitplanke ein Zielband mit einer Schwankungsbreite von einem Prozentpunkt für
den Zinssatz fest. Sie kann den Libor nicht direkt beeinflussen, seine Steuerung erfolgt
indirekt über Repo-Geschäfte, mit denen dem Markt Liquidität zugeführt oder abgezogen
wird.
LANGFRISTIGE WIRKUNGEN DER GELDPOLITIK
Langfristig wirkt sich die Geldpolitik vor allem auf das Preisniveau bzw. die Inflationsrate aus.
Diese These ist nach wie vor anerkannt und kann sich auf jahrelange empirische Analysen
stützen. Der grundlegende Zusammenhang zwischen Geldversorgung und Preisstabilität ist
also unbestritten. Der Ausgangspunkt für die Analyse der Geldpolitik besteht in der Einsicht,
dass die Produktionsmöglichkeiten einer Volkswirtschaft langfristig angebotsseitig bestimmt
sind, d.h. durch die Produktionsfaktoren. Langfristiges Wachstum und mehr Beschäftigung
könne daher nicht einfach durch eine Erhöhung der Geldmenge gekauft werden.
Eine einmalige Erhöhung des Geldangebots wird langfristig durch einen Anstieg des
Preisniveaus an das real konstante Angebot angepasst. Zwischen der Veränderung der
Geldmenge und der Wirkung auf das Preisniveau entstehen aber Wirkungsverzögerungen.
Die ersten Reaktionen setzen zwar unmittelbar ein, bis es sich aber die Preise niederschlägt
vergehen erfahrungsgemäss zwei bis drei Jahre.
KURZFRISTIGE WIRKUNGEN DER GELDPOLITIK
Über die kurzfristigen Wirkungen der Geldpolitik divergieren die Ansichten der Experten stark.
Die erhoffte Wirkungskette kann folgendermassen geschildert werden:
• Zinsen sinken: Durch eine expansive Geldpolitik steigt das Geldangebot, höheres Angebot
führt zu sinkenden Zinsen, das sich die Geldangebotskurve nach rechts verschiebt.
• Investitionen steigen: Höheres Geldangebot führt zu höherem Kreditspielraum, der durch
die tieferen Zinsen ausgenutzt wird: die Ausgaben für Investitionen steigen.
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IUR I
• Nettoexperte steigen: Zinssenkungen führen zu geringerer Nachfrage nach Schweizer
Franken, der sich deshalb abwertet. Dadurch werden die Exporte stimuliert und die Importe
schwächen sich ab, die Nettoexporte steigen (Export – Importe).
• BIP stiegt: Investitionssteigerungen und Exportanstieg erhöhen die Produktion und die
Einkommen. Mit steigendem Einkommen steigt der Konsum, Multiplikatorprozesse werden
ausgelöst und das BIP steigt.
Gegen diese Wirkungskette können folgende Einwände vorgebracht werden:
• Zinsen sinken nicht und die Investitionen steigen nicht. Grund dafür ist die Liquiditäts- und
Investitionsfalle. Auch wenn sie nicht zuschnappt ist mit einer Wirkungsverzögerung von ca.
2 Jahren zu rechnen. Wenn dann zudem die meisten Investitionsgüter importiert werden,
erhöht sich die Inlandnachfrage nicht.
• Sinkender Schweizer Franken bedeutet, dass wir für Importe mehr bezahlen müssen.
Konstante Importe bei tiefem Franken erhöhen die Importkosten, andererseits erhöht der
tiefe Franken auch die Nachfrage aus dem Ausland. Sinkt allerdings der Preis stärker als
die Exportmenge zunimmt, sinken auch die Exporterlöse. Kurzfristig sinken Die
Nettoexporte, erst langfristig nehmen sie zu. Diese Anpassungsmuster wird als J-Kurveneffekt bezeichnet, da graphisch gesehen die Nettoexporte zuerst sinken bis längerfristig die
Kurve im J erreich wird.
• Selbst wenn oben genannte Fälle nicht eintreten kann die Wirkung bescheiden sein,
nämlich wenn die Wirtschaftssubjekte ihren Konsum nicht oder nur geringfügig erhöhen und
demzufolge der Multiplikator entsprechend klein ausfällt. Warum sollte der Konsum nicht
steigen?
Theorie der rationalen Erwartungen: Wirtschaftssubjekte lassen sich nicht systematisch
täuschen, sondern bilden ihre Erwartung in voller Kenntnis der wirtschaftlichen Zusammenhänge. Unter dieser Annahme hat eine Erhöhung der Geldmenge auch kurzfristig nur eine
sehr bescheidene Auswirkung.
DIE ENTWICKLUNG VON GELDMENGE, ZINSEN, INFLATION UND BIP
1. Die Entwicklung des Zinszielbandes: 2000 veröffentlichte die SNB erstmals ein
Zinszielband für den Dreimonats-Libor. Als die Konjunktur anzog erhöhte sie ihr Zielband in
drei Schritten, als die Konjunktur abflachte senkte sie das Zinszielband auf einen
rekordtiefen Stand.
2. Die Entwicklung der Geldmenge und der kurzfristigen Zinsen: Herbst 1987 brach die
Finanzmärkte drastisch ein, die SNB leitete eine expansive Geldpolitik ein. Daraufhin stieg
die Inflation, worauf die SNB umschwenkte auf eine restriktive Geldpolitik die bis 1992
anhielt. Von 1993 bis 1999 stieg die Geldmenge M1 relativ stark an, M3 wuchs deutlich
weniger stark, weil Termineinlagen bei tiefen Zinsen nicht attraktiv sind. Die Geldmenge M1
und die kurzfristigen Zinsen entwickeln sich sehr Synchron.
3. Die Entwicklung der Zinsstruktur: Die kurzfristigen Zinsen entwickeln sich in enger
Abhängigkeit zur Geldmenge. Ein Anstieg der Geldmenge ist mit sinkenden Zinssätzen
verbunden und umgekehrt. Die langfristigen Zinsen werden stark vom erwarteten
Wirtschaftswachstum und der erwarteten Inflation beeinflusst. Normalerweise sind die
langfristigen Zinssätze höher als die kurzfristigen. Eine Situation, in der die kurzfristigen
Zinse höher sind als die langfristigen, wird als inverse Zinsstruktur bezeichnet.
4. Die Entwicklung der Geldmenge und der Inflation: Die expansive Geldpolitik als
Reaktion auf den Börsencrash von 1987 führte mit einer Verzögerung von drei Jahren zum
Anstieg der Inflation auf 5,9% im Jahre 1991. Der eingeleitet Bremsvorgang von 1989
zeigte erst nach drei Jahren seine Wirkung, 1992 begann die Inflation zu sinken. Seither ist
Inflation kein Thema mehr. In den Jahren 2001 und 2002 stiegen sogar die Ängste vor einer
drohenden Deflation. Als Fazit muss man sich merken: Die Geldmengenveränderungen
wirken verzögert auf die Inflation!
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5. Die Entwicklung der Geldmenge und des BIP: Nach dem Einbruch der Konjunktur zu
Beginn der neunziger Jahre dümpelte das BIP mehr oder weniger vor sich hin, mit
Ausnahme des Jahres 2003 (+3.2%), um sich danach wieder gegen null zu bewegen.
Die Geldpolitik kann nur kurzfristige Auswirkungen auf das BIP haben und zweitens wird das
BIP zusätzlich zur Geldmenge und den Zinsen von vielen anderen Faktoren mitbestimmt.
Das neue geldpolitische Konzept der SNB stützt sich auf drei Pfeiler ab:
• Preisstabilität (Preissteigerungen von höchstens 2%),
• Inflationsprognosen und
• Festlegung eines Zinszielbandes für den Dreimonats-Libor.
Langfristige Hoffnungen durch expansive Geldpolitik dauerhaftes Wachstum und
Beschäftigungsgewinne zu erzielen, dürften vergebens sein. Kurzfristig hingegen hat die
Geldpolitik reale Wirkungen auf die Wirtschaft.
DER LANDESINDEX DER KONSUMENTENPREISE: FIEBERMESSER DER INFLATION
Der Landesindex der Konsumentenpreise (LIK) misst die Preisveränderungen eines
repräsentativen Korbes von Waren und Dienstleistungen, die von Haushalten zu
Konsumzwecken gekauft werden. Steigt das Preisniveau, sinkt der Wert des Geldes. Ein
sinkender Geldwert bedeutet Inflation.
Für die Preise ist das Spiel von Angebot und Nachfrage verantwortlich. Steigt die Gesamtheit
der Preise, spricht man von Inflation. Zur Messung der Preisänderungen wird ein Korb von ca.
1050 Waren und Dienstleistungen benutzt. Die Konsequenzen eines Preisanstiegs sind
natürlich für die Konsumenten unterschiedlich, je nach dem ob es sich um ein Gut handelt,
das in seiner Ausgabenstruktur eine bedeutende Rolle einnimmt oder nicht. Deshalb werde
die Waren und DL im Korb so gewichtet, wie ihr Anteil am Haushaltsbudget ist. Steigen die
Wohnungsmieten um 10%, lässt das den LIK und die Inflation stark steigen, steigen hingegen
die Preise für Kartoffeln um 10%, erbost das zwar Kartoffelliebhaber, geht aber am LIK und an
der Inflation fast spurlos vorüber.
WAS DER LIK NICHT ENTHÄLT
Nicht alle Ausgaben eines Haushaltes fliessen in den LIK ein, insbesondere die direkten
Steuern, die Prämien für Sozialversicherungen, die Motorfahrzeugsteuer und
Haftpflichtversicherung ebenso wie die Krankenkassenprämien fehlen. Diese Ausgaben
machen aber ca. 37% aller Ausgaben eines Haushaltes aus. Der Grund ist, dass sich der LIK
am „Privaten Konsum“ der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung orientiert. (Deshalb werden
nicht die KK-Prämien gemessen, sondern Preise für Medikamente, Arzt- und Spitalkosten).
Der LIK stellt die Entwicklung der Preise der für die Konsumenten bedeutsamen Waren und
Dienstleistungen dar und nicht die Entwicklung der Lebenshaltungskosten. Deshalb werden
wichtige Teuerungseffekte im LIK nicht erfasst.
Das neue Indexsystem ist deshalb so aufgebaut, dass mit Hilfe von preisstatistischen
„Bausteinen“ unterschiedliche Indexkonzepte realisiert werden können.
MISST DER LIK DIE TEUERUNG RICHTIG?
Bis zur nächsten Revision des LIK ist der Warenkorb fix. Veränderungen der
Konsumgewohnheiten z.B. auf Grund neuer Güter können bis dahin nicht berücksichtigt
werden. Ebenso wird dem Substitutionseffekt (der Konsument reagiert auf einzelne
Preiserhöhungen indem er auf andere Güter umschwenkt) nicht Rechnung getragen werden,
und Qualitätssteigerungen als Ursache für Preissteigerungen werden auch nicht
berücksichtigt. Gemäss einer Expertengruppe weist der LIK die Teuerung in der CH um 0,5%
zu hoch aus.
Zudem erfährt der einzelne Konsument die Teuerung entsprechend des LIK nur, wenn seine
Konsumgewohnheiten dem Durchschnitt entsprechen, das ist aber lange nicht immer der Fall.
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Mängel des LIK führen zu einer Überzeichnung der Teuerung.
DIE BEDEUTUNG DES LIK
Dass ein hoher Unschärfebereich existiert, ist keineswegs belanglos, geht der
Konsumentenpreisindex doch in sämtliche wirtschaftlichen Entscheidungen ein.
Viele Posten des öffentlichen Budgets sind indexgebunden (z.B. Renten), vom Staat gesetzte
Preise/Löhne/Mieten/Verträge und Investitionsrechnungen in den Unternehmen beruhen auf
den Zahlen des LIK, 0,1% mehr oder weniger Teuerungsausgleich bedeuten rund 200 Mio.
mehr oder weniger in helvetischen Lohntüten. Die je nach Inflationsraten steigenden oder
sinkenden Zinsen können zudem zu gigantischen Korrekturen and der Wertpapierbörse
führen.
DER „RICHTIGE“ MASSSTAB FÜR DIE TEUERUNG: DIE KERNINFLATION
Ziel der Kerninflation ist es, die Preisentwicklung jener Güter zu erfassen, welche die
Nationalbank mit ihrer Geldpolitik auch beeinflussen kann. In der Regel werden Energieträger,
Nahrungsmittel und oft auch die indirekten Steuern, deren Preisentwicklung mit der Geldpolitik
eben nichts zu tun haben, zu Bestimmung der Kerninflation eliminiert.
URSACHEN UND FOLGEN EINER INFLATION
WELCHE INFLATIONSURSACHEN WERDEN UNTERSCHIEDEN?
Inflation lässt sich grundsätzlich durch drei theoretische Ansätze erklären:
1. Der monetaristische Ansatz
Die SNB erhöht die Geldmenge einfach so und verteilt das neu gedruckte Geld in der
Bevölkerung. Die Leute könnten mehr kaufen, der Anstieg der Güternachfrage würde zu
einem Anstieg des Preisniveaus führen, der Wert des Geldes würde sinken, es käme zur
Inflation, das Geschenk der SNB hätte sich in Luft aufgelöst. Eine längere und grössere
Inflation erfolgt nur dass, wenn die Geldmenge entsprechend stark wächst.
2. Die Nachfrageinflation
Bei der Nachfrageinflation werden Preissteigerungen durch einen Nachfrageüberschuss
nach Gütern oder DL erklärt. Eine Zunahme des Konsums, der Nachfrage nach
Investitionsgütern, der Nachfrage des Auslands oder der Staatausgaben können höhere
Preise auslösen. Dieser Inflationsprozess wird allerdings mit der Zeit zusammenbrechen,
wenn die SNB die Geldmenge nicht entsprechend ausweitet. Eine Erhöhung der
Geldmenge ist also auch Bedingung für einen lang anhaltenden Prozess der
Nachfrageinflation.
3. Die Angebotsinflation
Bei diesem Ansatz werden Preiserhöhungen auf steigende Kosten oder auf höhere
Gewinnsaufschläge zurückgeführt. Beim Kostendruckansatz werden erhöhte
Produktionskosten auf den Konsumenten überwälzt. Die Unternehmer versuchen die
Kosten
auf die Preise zu überwälzen, die Arbeitnehmer verlangen aufgrund der
steigenden Preise höhere Löhne: Die Lohn-Preis-Spirale setzt sich in Gang. Erhöhen sich
die Preise durch
Abgaben wie die MWSt. so werden auch hier höhere Löhne gefordert
aufgrund der höheren
Preise: Die Preis-Lohn-Spirale setzt sich in Gang.
Liegt der Ursprung für den Preisanstieg bei teuerer werdenden Importen, spricht man von
importierter Inflation.
WAS SIND DIE FOLGEN EINER INFLATION?
Es treten immer einige Probleme auf.
• Inflation führt zu ungerechten Einkommens- und Vermögensverteilungen
Hauptbenachteiligte sind die Gläubiger, da der Wert ihrer Forderungen mit zunehmender
Inflationsrate und Zeitdauer abnimmt. Ist der Zins auf dem Sparbuch kleiner als die
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Inflationsrate, wird der reale Wert der Ersparnisse kleiner. Die Wertaufbewahrungsfunktion
des Geldes leidet also unter der Inflation. Der Verlust der Gläubiger ist der Gewinn der
Schuldner. Zudem bewirkt die Inflation eine Umverteilung zwischen dem Geld- und
Sachvermögensbesitzern: Geld verliert im Gegensatz zu Sachvermögen real an Wert. Ein
weiterer Verteilungseffekt betrifft den Realwert der Steuerschulden. Die Inflation bringt den
Steuerzahler in höhere Steuerklassen, deshalb steigt der Realwert ihrer Steuerzahlung
bzw. das reale verfügbare Einkommen sinkt; man spricht in diesem Fall von kalter
Progression.
• Inflation verzerrt die Preissignale und führt zu einer ineffizienten Allokation der
Ressourcen
Je instabiler der Geldwert ist, desto mehr leidet auch die Funktion des Geldes als
Recheneinheit. Preisvergleiche führen in Zeiten von grossen Preisschwankungen zu
Fehlentscheidungen, die Märkte verlieren ihre Fähigkeit sich selbst zu regulieren, die
Allokationsfunktion quittiert ihren Dienst. Es kommt zu Marktverzerrungen und
Effizienzverlusten. Deshalb leiden unter einer hohen Inflation auch das Wachstum und der
Wohlstand einer Volkswirtschaft. In extremen Fällen der Inflation verliert das Geld sogar
seine Funktion als Zahlungsmittel. Dann wird entweder auf ausländische Währungen
zurückgegriffen oder reale Güter übernehmen die Funktion des Geldes.
Hauptursachen für Inflation sind eine übermässige Ausdehnung der Geldmenge, ein
Nachfrageüberschuss und steigende Produktionskosten. Inflation führt zu Einkommens- und
Vermögensumverteilungen, zu Markverzerrungen und Effizienzverlusten.
EXKURS:
„DIE PHILLIPSKURVE (PK), EINE ‚MENÜ-KARTE’ ZUR AUSWAHL VON INFLATION UND
ARBEITSLOSIGKEIT?“
Die keynesianische Phillips-Kurve
Die PK untersucht den Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Inflation. Man zog aus
ihr den Schluss, dass man es in der Wirtschaftspolitik mit einem trade-off, einer Austauschbeziehung zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit zu tun habe: Wolle man die Arbeitslosigkeit
reduzieren, so habe man eine höhere Inflation und Kauf zu nehmen; bekämpfe man die
Inflation, so sei der Preis dafür eine hohe Arbeitslosigkeit. Eine flache, negativ geneigte PK
gibt somit vor, dass Politiker zwischen verschiedene Kombinationen von Arbeitslosigkeit und
Inflation wählen können
Die monetaristische PK
Die monetaristische Gegenrevolution brachte die PK in die Senkrechte und widerlegte damit
jeglichen „Menü-Gedanken“: Aktive Geld- und Fiskalpolitik beeinflussen nur das Preisniveau,
nicht aber die Beschäftigung. Denn in den empirischen Analysen hat sein ein einfacher tradeoff zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit nicht bestätigt. Eine expansive Politik wurde als
Verschiebung der Kurve nach rechts gedeutet, wodurch die möglichen Kombinationen immer
unerfreulicher wurden.
Der Einfluss der rationalen Erwartungen
Nachdem die Marktteilnehmer Erfahrungen mit einer expansiven, inflationären
Wirtschaftspolitik gemacht hatten, bauen sie nach dieser Theorie die Inflationsprognosen in
ihre Erwartungen über die Preis- und Lohnentwicklung mit ein, so dass die PK eben nach
rechts wandert und Arbeitslosigkeit und Inflation gleichzeitig auftreten. Damit ist die
Ineffektivität der Politik – im Sinne der Theorie der rationalen Erwartungen – einmal mehr
bewiesen.
Kurz- oder langfristig?
Die PK widerspiegelt also die schon bekannten Auffassungsunterschiede zwischen der
keynesianischen und monetaristischen Theorie. Auch die Aufzeichnungen der historischen
Daten klärt nicht, welche Auffassung richtig ist. In der Abbildung sieht man, wie instabil die
empirische PK ist. Langfristig gibt es keine einfache Zielkonkurrenz zwischen Beschäftigung
und Preisstabilität, die langfristige PK ist steil oder senkrecht – wie sie die Monetaristen
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darstellten. Kurzfristig kann es aber zu einem trade-off zwischen Arbeitslosigkeit und Inflation
kommen – das erklärt den flachen Verlauf der keynesianischen PK.
DIE BEKÄMPFUNG DER INFLATION
Wo auch immer die Ursachen einer Inflation liegen, langfristig kann sie nur bestehen, wenn
sie von einer Ausweitung der Geldmenge begeleitet wird. Deshalb steht bei der Bekämpfung
der Inflation auch die Geldpolitik im Mittelpunkt. Wir Sie wissen, ist jede Handlung mit
Opportunitätskosten verbunden. Deshalb kann dieser Kampf mitunter recht schmerzlich sein.
Grundsätzlich bieten sich 2 Möglichkeiten der Inflationsbekämpfung an:
• Eine Verringerung der Güternachfrage oder
• Eine Erhöhung des Güterangebots
VERRINGERUNG DER GÜTERNACHFRAGE
Reduktion der Güternachfrage durch Fiskal- oder Geldpolitik. Inflation ist letztlich ein
monetäres Problem, eine restriktive Geldpolitik die Schlüsselgrösse, auf die wir uns hier
konzentrieren. Dabei ergeben sich folgende Probleme:
♦ Wirkungsverzögerung: Restriktive Geldpolitik treibt zuerst die Zinsen in die Höhe, kann
die eigene Währung stärken, was zunächst den Inflationsdruck erhöht. Bis das
geldpolitische Bremsmanöver sich in sinkende Preisen niederschlägt, vergehen in der Tat
bis zu drei Jahre. Beachtet man das nicht, läuft man Gefahr, die eigenen Impulse zu verstärken, sodass sich die restriktive Geldpolitik in einen noch restriktivere aufschaukelt.
♦ Rezessionsgefahr: Durch die angestrebte Drosselung der Gesamtnachfrage nimmt auch
die gesamtwirtschaftliche Aktivität ab, es kann zu starken Einbrüchen auf dem Arbeitsmarkt
kommen.
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♦ Indexmechanismen: Erschwerend in Kampf gegen die Inflation sind die
Indexmechanismen. Liegen die Ursachen der Inflation in realen Störungen (Rohstoffpreiserhöhungen) hat eine Lohnindexierung negative Auswirkungen, da sie weitere Rohstoffkosten-, Preis- und Lohnerhöhungen ausgelöst werden und eine Inflationsspirale in Gang
gesetzt wird. Auch eine automatische Anpassung der Mieten an Hypothekarzinserhöhungen oder an die Teuerung beispielsweise setzt die Kräfte des Marktes ausser Kraft
und kann demzufolge falsche Signale an die Marktteilnehmer aussenden.
♦ Regulierte Preise: Restriktive Geldpolitik hat nur Erfolg, wenn dadurch die Preise sinken.
Das setzt voraus, dass der Markt- und Preismechanismus funktioniert. Der LIK resultiert
aber zu 60% aus Preisen, die sich nicht frei auf dem Markt bilden. Dazu gehören direkt
regulierte Preise (ÖV, Gas, Elektrizität) und indirekt regulierte Preise (Milch und Milchprodukte, Fleisch). Und zu rund 20% besteht der LIK aus Preisen, welche durch Absprachen
und/oder eingeschränkte technische Normen entstehen.
ERHÖHUNG DER GÜTERANGEBOTS
In Inflationszeiten kann eine expansive Geld- und Fiskaltpolitik zur Ankurbelung des Angebots
nicht in Betracht gezogen werden, weil dadurch die Inflation noch mehr gesteigert wird. Eine
Möglichkeit die Inflation mittels Erhöhung des Güterangebots zu bekämpfen, verspricht die
Angebotsökonomie. Hiernach soll z.B. durch eine Senkung der Steuern ein positiver
Angebotsschock ausgelöst und dadurch dem Preisauftrieb ein Ende gesetzt werden.
Eine langfristig orientierte Stabilitätspolitik sollte sicherstellen, dass eine Wettbewerbspolitik
betrieben wird, die einen echten Preiswettbewerb zwischen den Anbietern garantiert, und
dass grosse Schwankungen in der Geldversorgung der Wirtschaft vermieden werden. Denn
nur dank der relativen Knappheit des Geldes im Verhältnis zu den Gütern und der Erwartung,
dass die Knappheit aufrechterhalten bliebt, ist es möglich, dass unser Geld real so viel mehr
wert ist, als seine Produktion kostet.
Die Senkung der Inflationsrate nicht gratis zu haben. Eine restriktive Geldpolitik bewirkt einen
Nachfragerückgang mit der Gefahr einer Rezession. Je weniger die Preise auf den
Nachfragerückgang reagieren (z.B. aufgrund von regulierten Preisen, Indexmechanismen
oder Kartellabsprachen), desto schmerzhafter und langwieriger ist der Prozess der
Inflationsbekämpfung.
DEFLATION UND DISINFLATION
Die Definition von Inflation besagt, dass die Preise steigen, wenn zuviel Geld im Umlauf ist
und Güter knapp sind. Umgekehrt kommt es zu Deflation, wenn das Geld knapp ist.
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Deflation ist das Gegenstück zur Inflation. Deflation bedeutet einen generellen Rückgang des
Preisniveaus über längere Zeit. Bei Deflation sinken die Preise, der Wert des Geldes steigt.
Hauptursache für Deflation liege in einem Überangebot an Gütern: Zu viele Industrien
produzieren zu viele Autos, Computerchips oder Chemie-Erzeugnisse; so kommt es in der
Deflation zu einem sich beschleunigenden Strudel, der die ganze Wirtschaft in die Depression
zieht. Die Umverteilungswirkungen gehen in diesem Fall zu Lasten der Schuldner und zu
Gunsten der Gläubiger. Und weil Sachwerte ständig billiger werden, kauft niemand mehr, als
unbedingt nötig. Bei der Therapiemöglichkeit – Erhöhung der Geldversorgung – ist der Erfolg
nicht garantiert. Die Zinsen mögen noch so tief sein, solange die Verbraucher und die
Unternehmer weitere Preissenkungen erwarten, werde sie weder konsumieren noch
investieren.
In vielen Analysen wird nicht genügend zwischen Deflation und Disinflation unterschieden.
Disinflation bezeichnet eine blosse Verlangsamung der Teuerung.
EXKURS:
„GEFORDERTE GELDPOLITIK“
Sicherung der Kaufkraftstabilität steht im Zentrum des Notenbankmandates. Bis in die 1970er
Jahre war die Meinung verbreitet, man müsse mit geld- und finanzpolitischer Feinsteuerung
der Gesamtnachfrage systematisch Beschäftigung und reales Wachstum fördern.
Demgegenüber steht die Position der „rationalen Erwartungen“ die der Geldpolitik jedwelche
Chance abspricht. Die Wahrheit liegt zwischen den beiden Extrempositionen.
Es mag auf den ersten Blick wünschbar erscheinen, der SNB die Aufgabe zuzuweisen,
Verzerrungen des Marktes frühzeitig zu bekämpfen, aber wer solches fordert setzt zwei
Sachen voraus: Erstens, dass Geldbehörden Aktien und Immobilien kompetenter bewerten
können als der Markt und zweitens, dass sie gegebenenfalls in der Lage wären, mit ihrem
Instrumentarium eine werdende Blase im Frühstadium zum Platzen zu bringen. Beide
Voraussetzungen sind nicht erfüllt.
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KAPITEL 10 – DAS PROBLEM DER ARBEITSLOSIGKEIT
DER ARBEITSMARKT
Arbeitsmarkt = Markt wie jeder andere, Angebot und Nachfrage treffen aufeinander.
Einige Besonderheiten des Arbeitsmarktes:
• Arbeit (als gehandeltes Produkt) hat eigenen Willen und ist sehr heterogen
• Arbeit für die Anbieter (die Arbeitnehmer) überlebenswichtig, einziges Einkommen
• Beziehung zwischen Anbieter und Nachfrager auf langfristiger vertraglicher Basis;
beeinflusst durch verschiedene Faktoren (Gewerkschaft, Gesetz, etc.)
• Nachfrage nach Arbeitskräften ist eine abgeleitete Nachfrage, weil sie von der Nachfrage
nach Waren und Dienstleistungen abhängt.
Klassisches Modell des Arbeitsmarktes
Der Verlauf der Angebotskurve kann damit begründet
werden, dass bei steigenden Löhnen die Opportunitätskosten der Freizeit steigen und deshalb mehr Arbeitsleistung angeboten wird. Die Arbeitsnachfrage hingegen
sinkt bei steigenden Löhnen, weil die Löhne höher werden
als der Beitrag zur betrieblichen Wertschöpfung, so dass
die Unternehmen ihre Arbeitsnachfrage reduzieren.
Im Punkt A1 stimmen angebotene und nachgefragte
Arbeitsstunden überein. Herrscht im Punkt A1 Arbeitslosigkeit, muss sie freiwillig sein. Der Punkt A stellt das
gesamte Arbeitsangebot (das Angebot der gesamten Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter) dar. Das heisst, dass
einige der Bevölkerung zwar arbeiten möchten, allerdings nur zu einem höheren Lohn. Die Arbeitslosen (A1-A2)
sind deshalb freiwillig arbeitslos: Der Lohn im Marktgleichgewicht ist zu niedrig, um alle Arbeitskräfte zu
motivieren, ihre Freizeit gegen Arbeit einzutauschen. Freiwillig arbeitslos sind nicht nur die Reichen, die es sich
leisten können, nicht zu arbeiten. Es können auch diejenige „freiwillig“ arbeitslos sein, die aus anderen Quellen
ein Einkommen erzielen (z.B. von den Eltern, vom Partner oder vom Staat).
Angenommen auf Grund einer Rezession reduzieren die Unternehmen die Nachfrage nach Arbeitskräften
(Verschiebung der Nachfragekurve nach links), dann sinkt das Lohnniveau von L1 auf L2 und es stellt sich ein
neues Gleichgewicht bei Punkt A2 ein. Bei A2 sind zusätzliche Arbeitskräfte nicht mehr bereit, zum angebotenen
Lohn zu arbeiten. Die freiwillige Arbeitslosigkeit steigt nun auf A2-A. Sind die Löhne allerdings unflexibel und
verharren auf dem Niveau L1, dann sinkt die Anzahl nachgefragter Arbeitskräfte auf A3. Dadurch entsteht eine
unfreiwillige Arbeitslosigkeit im Umfang A2-A3.
Wie kommt es zu starren Löhnen?
1. Institutionelle Faktoren: staatliche Mindestlöhne, Arbeitsmarktregulierungen wie
Kündigungs- und Sozialplanvorschriften oder flächendeckende GAV
2. Das „Insider-Outsider Modell“: Gemäss diesem Modell nutzen die „Insider“ (die Arbeitsplatzbesitzer, vertreten durch die Gewerkschaften) ihre Macht gegenüber der Firma in der
Weise aus, dass sie Lohnerhöhungen – aus durchaus rationalen Überlegungen – für sich
selbst durchsetzen, anstatt durch Lohnkürzungen den „Outsidern“ (Arbeitslose) eine
Chance auf einen Arbeitsplatz zu eröffnen. Weshalb durchkreuzen denn die Arbeitslosen
diese Strategie der „Insider“ nicht durch Lohnunterbietungen? Für die Unternehmen lohnt
es sich nicht, auf die Lohnunterbietungen einzugehen, weil sie in ihre Beschäftigten
investiert haben und weil die Entlassung und Neueinstellung mit Transaktionskosten
verbunden ist.
3. Die Effizienzlohntheorie: Lohnerhöhungen haben zwei Gesichter: Zum einen stellen sie
Kostensteigerungen dar, zum anderen wirken sie sich positiv auf die Leistungen der
Mitarbeiter und damit kostensenkend aus. Die Grundlage für die Effizienzlohntheorie ist,
dass die Produktivität eines Beschäftigten positiv vom gezahlten Lohn abhängt.
Unternehmen die gute Löhne bezahlen, haben die qualifiziertesten Bewerber, weniger
Kündigungen, etc. Richten sich jedoch allen Unternehmen daran aus, verschwinden die
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IUR I
relativen Vorteile von höheren Löhnen und es entsteht eine Lohnstarrheit auf einem
Teilarbeitsmarkt.
Bei flexiblen Löhnen gibt es im klassischen Arbeitsmarktmodell keine unfreiwillige Arbeitslosigkeit. Nur wenn die Löhne unflexibel sind und sich nicht – oder erst langfristig – den
Überschüssen und Knappheiten anpassen, kommt es zu unfreiwilliger Arbeitslosigkeit. Für die
Starrheit der Löhne gibt es mehrere Ursachen: Institutionelle Faktoren, das „Insider-OutsiderModell“ und die Effizienzlohntheorie.
TYPEN VON ARBEITSLOSIGKEIT
Saisonale und friktionale Arbeitslosigkeit sind kurzfristiger Natur. Auch die konjunkturelle
Arbeitslosigkeit ist temporär. Die strukturelle Arbeitslosigkeit zeigt sich in regional-, branchen-,
qualifikations-, geschlechts- oder altersspezifischen Unterschieden der Arbeitslosigkeit. Die
Sockelarbeitslosigkeit ist jenes Niveau der Arbeitslosigkeit, da in konjunkturneutralen Phasen
auftritt.
BEVERIDGE- KURVE FÜR DIE SCHWEIZ: ERFASSUNG DER SOCKELARBEITSLOSIGKEIT
Entsprechen die offenen Stellen der Zahl der Arbeitslosen, herrscht gewissermassen Gleichgewicht auf dem
Arbeitsmarkt, wir befinden und dass auf der Geraden durch den Ursprung des Diagramms (auf der Winkelhalbierenden). Alle Punkte auf dieser Geraden entsprechen der Sockelarbeitslosigkeit (friktionelle + strukturelle
Arbeitslosigkeit). Wie entwickelt sich das Verhältnis der offenen Stellen zu den Arbeitslosen im
Konjunkturverlauf?
Bei einer konjunkturellen Überhitzung müsste die Zahl der offenen Stellen jene der Arbeitslosen deutlich übersteigen. Umgekehrt müsste es weit mehr Arbeitslose als offene Stellen geben, wenn sich die Wirtschaft in der
Rezession befindet. Die theoretische Beveridge-Kurve verläuft dementsprechend entlang einer Hyperbel von
links oben nach rechts unten. Punkte auf der Beveridge-Kurve unterhalb der Winkelhalbierenden stellen
Ungleichgewichte dar, in welchen Stellenmangel vorherrscht (konjunkturelle oder Wachstumsdefizit-Arbeitslosigkeit), Punkte oberhalb der Winkelhalbierenden dagegen kennzeichnen Ungleichgewichte mit Stellenüberhang.
Aus dem empirischen Verlauf der Beveridge Kurve kann man entnehmen, dass erstens in der
Schweiz vorwiegend ein Stellenmangel bestand und zweitens scheint sich die BeveridgeKurve nach oben verschoben zu haben, was gleichbedeutend ist mit einem Anstieg der
Sockelarbeitslosigkeit. Dieser Anstieg kann auf verschieden Ursachen zurückgeführt werden:
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IUR I
Schlechte Markttransparenz und somit eine Zunahme der friktionellen Komponente, auch der
strukturellen Komponente könnte man die Schuld zuweisen, oder der Sozialpolitik, weil sie
durch das gut ausgebaute Sozialsystem Entlassungen für die Arbeitgeber einfacher macht.
Die empirischen Daten müssen jedoch mit Vorsicht genossen werden, da es schwierig ist, die
Daten zu erfassen.
BEKÄMPFUNG DER ARBEITSLOSIGKEIT
Ansatzpunkte auf dem Gütermarkt
Die Nachfrage nach Gütern – und somit das Wachstum – ankurbeln.
♦ Stärkung der Wettbewerbskraft
Revitalisierung und Verbesserung der Rahmenbedingungen, Marktbefreiung von
Regulationen, weg mit regulatorischem Ballast.
♦ Erhöhung der Standortattraktivität
Politische und monetäre Stabilität, ungehinderter Marktzutritt, gut ausgebaute und
funktionierende Infrastruktur, sozialer Frieden, Rechtssicherheit, tiefe steuerliche Belastung
♦ Steigerung der Innovationskraft und der Produktivität
Durch Innovation und technischen Fortschritt die Produktivität hochhalten, damit wir
langfristig unser hohes Lohnniveau halten können. Hohe Produktivität rechtfertigt hohe
Löhne.
♦ Beschäftigungsprogramme
Staatliche Ausgabeerhöhungen zur Steigerung der Beschäftigten
Ansatzpunkte auf dem Arbeitsmarkt
♦ Flexibilität des Arbeitsmarktes
„Mehr Markt für den Arbeitsmarkt!“. Konkret bedeutet dies:
Lohnzahlung nach individueller Leistung, keine Minimallöhne
Volle Freizügigkeit gegenüber ausländischen Arbeitskräften
Liberale Entlassungspolitik senken die Opportunitätskosten von Einstellungen
♦ Bildungspolitik
Permanente Weiterbildung ist sehr zentral, Lebenslanges Lernen wird zur Notwendigkeit.
♦ Arbeitszeitverkürzungen
Kontroverses Thema, verursacht es Kosten führt es via Absatzprobleme zu noch mehr
Stellenabbau, verursacht es keine Kosten für die U muss der Arbeiter überproportionale
Lohnkürzungen in Kauf nehmen, daraus entstehen mehr Stellenwechsel und wieder
Kosten.
♦ Lohnsenkungen
Hohes Lohnniveau Hauptgrund für die abnehmende Wettbewerbsfähigkeit. Aber
Lohnsenkungen bedeuten auch Kaufkraftverlust, sinkende Gesamtnachfrage, was
wiederum die Arbeitslosigkeit erhöht.
♦ Ausländerpolitik
Arbeitskräftewanderungen als Bestandteil einer marktwirtschaftlichen Ordnung positiv. Je
stärker die Zuwanderer Substitute für die vorhandenen Arbeitskräfte sind, umso
bedrohlicher erscheinen sie; sind sie hingegen Komplemente, so helfen sie mit, die
Produktivität und damit auch die Entlöhnung der Einheimischen zu steigern. Durch das
Saisonnierprinzip sind jedoch vor allem unqualifizierte Arbeitskräfte angewandert, welche
meist als erste ihre Stelle wieder verlieren.
Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit kann direkt auf dem Arbeitsmarkt (Löhne, Arbeitszeit,
Bildung, Ausländerpolitik) oder indirekt auf dem Gütermarkt (Wettbewerbsfähigkeit,
Innovationskraft, Produktivität, Beschäftigungsprogramme) ansetzen.
EXKURS:
VORSICHT STATISTIK!
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IUR I
Arbeitslosenquote = Arbeitslosen in Prozent der Erwerbspersonen
Erwerbslosenquote = Erwerbslose in Prozent der Erwerbspersonen
Erwerbsquote = Erwerbspersonen in Prozent der Bevölkerung (15 – 64 Jahre)
Erwerbstätigenquote = Erwerbstätige in Prozent der Bevölkerung (15 – 64 Jahre)
Arbeitslose sind nicht gleich Stellensuchende, Erwerbstätige sind nicht gleich Beschäftigte,
Arbeitslose sind nicht gleich Erwerbslose
ARBEITSMARKTENTWICKLUNG IN DER SCHWEIZ
In den letzen 20 Jahren hat die CH drei Rezessionen erlebt. Von 1991 – 1993 war dies
verbunden mit einem extremen Anstieg der Arbeitslosen, mit einer Arbeitslosenquote von
5,7% (= 180 000 Personen, 1990 waren es 18 133!). Danach kamen einige Schwankungen,
das Wachstum des BIP schlug mit Verzögerung ein, 2001 sank die Zahl der Arbeitslosen nach
vorhergehenden Steigungen wieder auf 70 000. In den letzten Jahren hat sich die Lage doch
wieder markant verschlechtert.
Aufgrund der Abnahme der Erwerbspersonen ab ca. 2010 und der damit verbundenen Gefahr
einer Wohlfahrtseinbusse, stehen folgende Ansatzpunkt zur Diskussion: Familienpolitik,
Verlängerung der Lebensarbeitszeit, Ausländerpolitik…
Wie bilden sich Löhne?
Arbeitsmarkt gesteuert von Angebot und Nachfrage. Arbeitsnachfrage hängt also auch davon
ab, wie erfolgreich eine Unternehmung ihre Produkte am Markt verkaufen kann. Je höher die
Arbeitsproduktivität des Personals, desto besser die Chance eines Markterfolges. Der Erfolg
einer Unternehmung ist also eng mit dem Löhnen der Beschäftigten verknüpft. Unterschiede
in der Leistung – Arbeitsproduktivität – sind auch der Grund weshalb einige weniger verdienen
als andere. Manche Menschen mit aussergewöhnlichen Fähigkeiten und Talenten (Tiger
Woods, Madonna, etc) verdienen extrem viel ihres Talentes wegen.
Gerechtfertigte Managerlöhne?
Es gibt keine allgemein gültigen Massstab oder eine Definition für gerechte Löhne. Viele
unterschiedliche Gerechtigkeitskonzepte wie zum Beispiel: Leistungsgerechtigkeit,
Bedarfsgerechtigkeit, Verteilungsgerechtigkeit. Managerlöhne sind aber oftmals nicht das
Resultat eines funktionierenden Marktes. Auch wenn die Managerlöhne
Knappheitsverhältnisse darstellen und ihr Beitrag zum Unternehmungserfolg von zentraler
Bedeutung ist, sind einige Marktunvollkommenheiten zu beobachten. Zwischen Managern und
Eigentümern (Aktionären) besteht oft eine asymmetrische Informationsverteilung bezüglich
der Arbeitsproduktivität der Manager, was dazu führt, dass die Manager die Löhne zu ihren
Gunsten beeinflussen können. Sie bestimmen, welche Löhne für sie „marktüblich“ sind. Hohe
Transparenz ist eine wichtige Voraussetzung für einen funktionierenden Markt, ist aber im
Managermarkt oft nicht gegeben.
Forderung nach Mindestlöhnen
Anteil der „working poor“ in der Schweiz bei 7,5% ( = 250 000). Führt ein Mindestlohn dazu,
dass der Lohn höher liegt als die Arbeitsproduktivität des Mitarbeiters, kann die Durchsetzung
des Mindestlohnes zu Entlassungen, Preiserhöhungen oder gar zur Schliessung von
Betrieben führen.
Mindestlöhne bewirken und beschleunigen den Strukturwandel.
Ob Mindestlöhne zur Armutsbekämpfung dienen ist fragwürdig. Einerseits helfen sie nur
erwerbstätigen Armen (falls sie aufgrund des Mindestlohnes die Stelle nicht verlieren) und
andererseits sind sie für Familien oft zu gering, um der Armut zu entrinnen. Andererseits
erhalten Haushalte Mindestlöhne, die gar nicht als arm einzustufen sind.
Die Vermischung von Lohn- und Sozialpolitik ist verlockend, aber gefährlich.
Umverteilungsziele sollten deshalb mit direkter Subjekthilfe und nicht mit Markteingriffen
verfolgt werden.
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IUR I
Unterschiedliche Löhne sind in erster Linie auf Knappheitsverhältnisse und
Produktivitätsunterschiede zurückzuführen. Allerdings sind auch Marktunvollkommenheiten
(insbesondere bei Managerlöhnen) zu beobachten.
EXKURS:
„TRENDS AUF DEM ARBEITSMARKT“
1. Trend: Teilzeitstellen sind „en vogue“!
Massiv mehr Teilzeitstellen. Teilzeitarbeit entspricht vermehrt den Bedürfnissen von
Arbeitnehmern und Arbeitgebern.
2.Trend: Frauen im Vormarsch!
Die zusätzlichen Teilzeitstellen werden zumeist von Frauen besetzt. Im Jahr 2002 waren
44,7% der Erwerbstätigen Frauen. Vor allem Frauen zwischen 30 und 50 arbeiten heute
mehr als früher.
3. Trend: Nachfrage nach höheren Ausbildung hält an!
Gute Ausbildung ist nach wie vor gefragt, so beklagen viele Unternehmen einen
Überschuss an unqualifizierten und einen Mangel an qualifizierten Arbeitskräften.
4. Trend: Löhne immer flexibler!
Entlöhnungsprozesse werden immer vielfältiger, es werden vermehrt
Gehaltsnebenleistungen (Boni, Geschäftsautos, etc.) gewährt.
EXKURS:
„KILOWATTSTUNDEN STATT MENSCHEN ARBEITSLOS MACHEN!“
Industrieländer haben heute 2 Krisen:
Anhaltend hohe Arbeitslosigkeit und globale Umweltbelastung.
Seit kurzem wird unter dem Titel „ökologische Steuerreform“ ein Ansatz diskutiert, mit dem
beide Fliegen mit einem Schlag erledigt werden können. Im Zentrum steht eine langfristig
angelegte, schrittweise Verschiebung der Steuer- und Abgabenlasten vom Produktionsfaktor
Arbeit zum Faktor Umweltverbrauch. Es werden Steuern auf Energie- und Umweltverzehr
erhoben, während die Lohnnebenkosten gesenkt werden, ohne das die steuerliche Belastung
insgesamt verändert wird. Starke Verteuerung der Umwelt, spürbare Verbilligung der
Arbeitskräfte.
Die ökologische Steuerreform unterstützt auch den Strukturwandel hin zu energiesparendem
Verhalten.
Eine Ökologisierung des Steuersystems hätte gemässe einer Nationalfondsstudie fast nur
positive Auswirkungen. Nebst einer Schonung der Umwelt könnte die Einführung einer
Ökosteuer auch Arbeitsplätze schaffen, wenn auch nur in geringem Ausmass. Das von den
Gegnern am häufigsten ins Feld geführte Argument ist, dass bei einem Alleingang der
Schweiz eine Wettbewerbsverzehrung stattfinden würde. Doch werden auch die Verluste bei
einem Alleingang als gering eingeschätzt, den besonders betroffenen Branchen könnte
während einer Übergangszeit verringerte Steuersätze gewährt werden. Zudem habe die
Schweizer Industrie bei zu erwartenden langfristigen Energiepreissteigerungen den „Vorteil
des ersten Zuges“, wenn sie sich frühzeitig auf hohe Preise einstellt.
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IUR I
KAPITEL 11 – DAS PROBLEM DER STAATSVERSCHULDUNG
DIE ENTWICKLUNG DES STAATSANTEILS
Bereits sehr früh war bekannt, dass die Staatstätigkeit sich kontinuierlich ausdehnt. Dafür gibt
es verschiedene Gründe:
• Dem Staat fallen immer neue Aufgaben zu. Mitte letztes Jahrhundert Nachwächterstaat,
seither in vielen Bereichen neue Eingriffe des Staates (Sozial-, Wettbewerbs-, Stabilitätsund Strukturpolitik; Bildungs-, Gesundheits-, Energie-, Verkehrs-, Infrastruktur- und
Umweltsektor;…)
• Die öffentlichen Leistungen sind tendenziell einkommenselastischer als die privaten Güter.
Mit steigendem Einkommen werden deshalb nicht nur private Dienstleistungen vermehrt
nachgefragt, sondern auch – überproportional – Staatsleistungen.
• Die Neue Politische Ökonomie (Public choice) überträgt das Nutzen- Gewinnmaximierungsdenken auf die Politik. Da der Faktor Gewinn aber fehlt, tritt an seien Stelle die Entwicklung
der Ausgaben. Das Parkinsonsche Gesetz beschreibt den Tatbestand, dass der
öffentlichen Verwaltung ein ausgesprochen expansives Verhalten innewohnt, welches auf
Ausgaben und Budgetmaximierung ausgerichtet ist. Kombiniert man dieses Beharrungsund Expansionsverhalten mit der Ausgabenfreudigkeit der Parlamente, so entsteht eine
deutliche Tendenz zur Steigerung der Ausgaben.
Die Messung der Staatsaktivität geschieht an der Entwicklung der Ausgaben (CH innert 22
Jahren + 185%). Aussagekräftiger wird die Entwicklung der Ausgaben wenn wir sie in
Beziehung zum Wachstum (BIP) setzen. Dazu berücksichtigt man auch die Ausgaben der
Kantone und Gemeinden. Die Ausgaben wirken sich insofern auf die Einnahmen aus, als dass
sich die Fiskalquote ebenfalls erhöht hat (35 Rappen pro Franken gehen an den Staat!).
Fiskal- und Staatsquoten international zu vergleiche ist schwierig.
Im Jahr 2001 betrug die Fiskalquote 30%, unter Miteinbezug aller Abgaben mit
obligatorischem Charakter 42,4%.
Im Jahr 2002 betrug die Staatsquote unter Miteinbezug aller Abgaben mit obligatorischem
Charakter rund 55%.
Steigende Quoten erhöhen die Gefahr von Ineffizienten auf Grund steigender Umverteilung
und schmälern den Teil des Einkommens, über welchen man frei verfügen kann. Schweizer
können im Durchschnitt ab Mitte Jahr frei über ihr Einkommen verfügen – etwa 6 Monate
arbeiten sie für die Bezahlung der Beiträge an den Staat!
WOFÜR GIBT DER STAAT SEINE MITTEL AUS?
• Gliederung nach den Aufgaben des Staates: Am stärksten gestiegen ist der Anteil der
Ausgaben für die soziale Wohlfahrt, am stärksten abgenommen hat der Anteil für
Landesverteidigung. Der Ausgabenposten Finanzen und Steuern enthält die Schuldzinsen
und die Kantonsanteile an den Bundessteuern. 2003 musste der Staat rund 3,7 Mia
Schuldzinsen bezahlen (täglich gut 10 Mio.), das ist mehr als er für Bildung und Forschung
ausgab. Die Zinslast (Schuldzinsen in % der Gesamteinnahmen) lag 2003 bei 7,2 %.
• Gliederung nach Eigenbedarf und Übertragungen: Dem Bund verbleibt für seine
Zwecke (z.B. Verwaltung, Landesverteidigung, eidg. Hochschulen…) nur der kleinere Teil
seiner Mittel. 73% der Bundesausgaben werden für Übertragungen an Dritte verwendet.
Diese „Drehscheibenfunktion“ des Staates hat sich seit 1960 stark erhöht. Wichtigster
Empfänger von Bundesmitteln sind die öffentlichen Haushalte der Kantone und Gemeinden
und die öffentlichen Sozialversicherungen, gefolgt vom privaten Sektor (hauptsächlich
Landwirtschaft und Krankenkassen) und den öffentlichen Unternehmungen (z.B. SBB). Der
dominierende Teil diese Ausgaben sind Subventionen, die knapp 60% der gesamten
Bundesausgaben beanspruchen. Heute 7mal mehr Subventionen als 1970. Rund 42% aller
Subventionen entfallen auf die soziale Wohlfahrt, gefolgt vom Bereich öffentlicher Verkehr
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IUR I
(21%) und der Landwirtschaft (13%). Auf diese drei Bereiche konzentrieren sich 75% aller
Ausgaben.
WOHER KOMMEN DIE EINNAHMEN DES BUNDES?
1. Indirekte Steuern setzen bei der Belastung des Verbrauchs an und erbringen ca. 55%
aller Bundeseinnahmen. Am wichtigsten ist die MWSt., gefolgt von Stempelabgaben und
Mineralölsteuer.
2. Direkte Steuern sind die Abgaben auf Einkommen und Vermögen. Sie machen ca. 30%
aller Bundeseinnahmen aus und fast 60% aller Staatseinnahmen (Bund, Kantone &
Gemeinden). Nirgendwo in Europa ist der Anteil direkter Steuern so hoch wie in der CH.
3. Übrige Einnahmen stellen ca. 15% der Gesamteinnahmen dar. Es sind durch den Bund
erzielte Einnahmen durch die Erhebung von Gebühren und Beiträgen für bestimmte
staatliche Leistungen.
Den dominierenden Anteil an den Bundesausgaben nehmen die Sozialversicherungen ein.
Die wichtigste Einnahmequelle ist die Mehrwertsteuer. Der Bundeshaushalt ist ein eigentlicher
Transferhaushalt. Staats- und Fiskalquote haben in den 1990er-Jahren zugenommen.
EXKURS:
WWW.EFV.ADMIN.CH/D/FINANZEN/SUBVEN/INDEX.HTM
Link zu den Subventionen des Bundes.
Steuern = Zahlungen von uns an den Staat
Transfers = Geldflüsse von Staat an die Bevölkerung
Subventionen = „Förderbeiträge“ des Staates entweder an andere staatliche Körperschaften
(vom Bund an die Kantone) oder an private Institutionen oder Personen mit der Begründung,
dass dieses Personen/Institutionen förderungswürdige Dinge tun. Subventionierte Aktivitäten
bewirken positive externe Effekte für die Allgemeinheit. Leider sind jedoch die Definitionen von
„positiven Externalitäten“ und des „öffentlichen Interesses“ nicht nur schwammig, sondern
werden schnell zu „Geiseln“ der organisierten Sonderinteressen.
Sprich: Die aus der Politik winkenden Subventionen sind Einladungen für Sonderinteressen,
sich als nützlich für die Allgemeinheit darzustellen. Das ist die Nachfrageseite für
Subventionen.
Anbieter sind die Politiker, die wiedergewählt werden wollen und deshalb „ihren“ Regionen,
Verbänden und Wählergruppen etwas aus dem Staatssäckel zukommen lassen möchten. Von
Vorteil für beide ist die mangelnde Transparenz zum einen und die Tendenz zur politischen
Kartellierung zum anderen. Erstere begünstigt das Wegsehen der Steuerzahler, Letzteres
führt dazu, dass „Päckli“ für wechselseitige Begünstigungen geschnürt werden. Aufhorchen
lässt den weinkennenden Kolumnisten aber die Förderung des Absatzes von „Schweizer
Qualitätsweinen im Ausland sowie Marktforschung“ in Höhe von gegen 6 Mio. Franken pro
Jahr. Das ergibt einen Förderbeitrag von 5 bis 6 Franken pro Flasche!
Man beklagt in diesem Land bekanntlich die mangelnde Innovationskraft, die zu geringe Rate
von „Start-ups“ oder die ungenügende Risikobereitschaft. An Subventionsjägern hingegen
mangelt es nicht.
All diese verschenkten Millionen müssen zuerst von jemandem erwirtschaftet werden!!!
EXKURS:
„DER SCHWEIZERISCHE FINANZAUSGLEICH IST REFORMBEDÜRFTIG“
In einem föderalistischen Staat kommen dem Finanzausgleich wichtige Aufgaben zu. Erstens
müssen die verschiedenen öffentlichen Aufgaben sowie die Besteuerungskompetenzen dem
Bund, den Kantonen und Gemeinden zugeteilt werden. Zweitens muss der Finanzausgleich
für die Feinabstimmung der finanziellen Mittel zwischen den staatlichen Ebenen sorgen. Diese
Feinabstimmung enthält folgende drei Elemente:
• Bund erhebt gewisse Steuern (VST, Treibstoffzolleinnahmen,…) effizienter als die
Kantone. Teile dieser Steuern transferiert er an die Kantone (Kantonsanteile an
Bundeseinnahmen).
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IUR I
Bei kantonalen Leistungen, von welchen auch Bewohner anderer Kantonen profitieren,
werden Finanzhilfen gezahlt, damit Anreize bestehen, auch die Interessen anderer
Kantone zu berücksichtigen (z.B. Universitäten,…).
• Abgeltungen schliesslich sind Zahlungen, die der Bund den Kantonen ausrichtet, sofern
diese Aufgaben im Auftrag des Bundes erfüllen (z.B. Bau von Nationalstrassen…).
Zudem kommt dem Finanzausgleich die Aufgabe zu, die Einkommensunterschiede zwischen
den Kantonen/Gemeinden auszugleichen, die auf unterschiedlichen geographischen und
wirtschaftlichen Voraussetzungen der Kantone/Gemeinden basieren.
Ein optimales Transfersystem hat grundsätzlich 3 Funktionen zu erfüllen:
Allokationseffizienz: Die tatsächlich gewünschten öffentlichen Leistungen sollen erbracht
werden.
Kosteneffizienz: Die Leistungen sollen mit möglichst geringen Kosten erfüllt werden.
Umverteilungseffizienz: Es soll ein zielgerichteter Abbau der Einkommensunterschiede
zwischen den Kantonen/Gemeinden erfolgen.
•
Diese Kriterien sind heute schlecht erfüllt, deshalb der Ruf nach einer Reform. Es gibt drei
Stossrichtungen für Reformen:
1. Klare Trennung der beiden Ziele Allokationseffizienz und Umverteilungseffizienz
2. Ausbau des horizontalen Finanzausgleichs
3. Verbesserungen in der Ausgestaltung und der Ausrichtung der Finanzhilfen und
Abgeltungen
ENTWICKLUNG DER DEFIZITE UND DER VERSCHULDUNG
Bundeshaushalt ist stark von der konjunkturellen Entwicklung beeinflusst.
Konjunkturell bedingte Defizite sind unproblematisch, weil sie im Zuge des wirtschaftlichen
Aufschwungs von selbst wieder verschwinden. Als automatische Stabilisatoren ist ihre
Wirkung im Konjunkturverlauf sogar willkommen.
Weit problematischer sind die strukturellen Defizite, weil sie nicht einfach so wieder
verschwinden. Man kann sie deshalb auch als selbstverschuldete Defizite bezeichnen, die
sich nur durch Ausgabenkürzungen oder Steuererhöhungen beseitigen lassen.
Konjunkturelle Defizite sind auf rezessionsbedingt höhere Ausgaben und tiefere Einnahmen
zurückzuführen und wirken als automatische Stabilisatoren. Strukturelle Defizite weisen auf
eine dauerhafte Überlastung des Haushalts mit nicht finanzierten Ausgaben hin und lassen
sich nur durch Ausgabenkürzungen oder Steuererhöhungen beseitigen.
Die Entwicklung des Staatshaushaltes deutet auf eine steigende Verschuldung hin. Die
grossen Defizite der 1990er-Jahre konnten zwar eingedämmt werden, dennoch ist der
Staatshaushalt noch nicht ausgeglichen.
GEFAHREN UND GRENZEN DER STAATSVERSCHULDUNG
Schuldenquote CH = 50% (EU-Durchschnitt = 70%)
Schulden sind Kredite, das verlockende an Krediten ist, dass man Ausgaben tätigen kann,
ohne zeitgleich dafür zu bezahlen. Kredit ist eine Aufschiebung der Zahllast. Staat finanziert
eine Ausgabe entweder durch Steuererhöhungen oder er macht Defizite und finanziert es mit
Krediten. Unterschied Staatskredit zu Kredit von privatem: Der Staat verlagert die
Zahlungsverpflichtung auf zukünftige Generationen, während der Private für seinen Kredit
selber aufkommen muss. Jene, welche Staatskredite zurückbezahlen müssen, sind noch nicht
geboren.
Eine wachsende Staatsverschuldung birgt die Gefahr von steigenden Zinsen, der
Verdrängung privater Investitionen, steigender Inflation und Wachstumsabschwächung in sich.
Sie schmälert den Handlungsspielraum des Staates und kann einen Teufelskreis auslösen.
(Teufelskreis = Mit steigenden Schulden steigen auch die Zinsen, welche wieder mit neuen
Schulden beglichen werden müssen)
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IUR I
Für einen Staat wird es definitiv ernst, wenn er keine neuen Kredite mehr erhält, er ist faktisch
zahlungsunfähig und somit bankrott.
Obwohl es keine fixe Zahl für die Staatsverschuldung gibt, so gibt es einige Richtlinien für
eine akzeptable Staatsverschuldung:
1. Die Goldene Finanzierungsregel: Die Budgetdefizite sollten die Höhe der
Staatsinvestitionen nicht übersteigen.
Nicht nur unproblematisch, sondern durchaus gerechtfertigt sind Kredite zu
Investitionszwecken, weil diese zu wirtschaftlichem Wachstum und zu höheren Erträgen
führen. Andererseits sind Schulden problematisch, die zur Finanzierung von
Konsumausgaben dienen, wie etwa Sozial-, Personal- oder Rüstungsausgaben. Diese
Regel wird von den öffentlichen Haushalten in der Schweiz erfüllt.
2. Die Schuldenquote (Staatsschulden im Verhältnis zum BIP) sollte langfristig konstant
sein.
Um dies zu gewährleisten, darf die Zunahme der Verschuldung die Wachstumsrate der
VWL nicht übersteigen. Um den Schneeballeffekt der Zinsen zu verhindern, ist ein
ausgeglichener Primärhaushalt (Haushaltssaldo ohne Zinszahlungen) notwendig, dann
bleibt die Schuldenquote stabil. Da sich dies nicht erfüllen wird in den nächsten Jahren,
müssen in der Zukunft abstriche bei den Finanzplänen vorgenommen werden.
3. Die Ausgaben sollten im Gleichschritt mit dem Wirtschaftswachstum zunehmen.
In den letzten 20 Jahren lag die Zunahme der Ausgaben immer über dem Wachstum des
BIP, ein Gleichschritt ist auch hier nicht gewährleistet.
Die goldene Finanzierungsregel, eine langfristig konstante Schuldenquote und im Gleichschritt
mit dem BIP wachsende Ausgaben sind wichtige Richtlinien für eine akzeptable
Staatsverschuldung.
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IUR I
EXKURS:
„WIE HOCH SIT DIE OPTIMALE STAATSQUOTE?“
Die Senkung der Staatsquote ist ein viel verlangtes Ziel der Finanzpolitik. Man verspricht sich
davon hohe Standortattraktivität. Aber: Keine staatliche Leistung ist für die Standortattraktivität
genauso schlecht wie zu viele staatliche Eingriffe.
Die Standortattraktivität hängt vor allem von der steuerlichen Belastung und der Menge und
Qualität der staatlich bereitgestellten Leistungen ab und nur indirekt von der Staatsquote.
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KAPITEL 12 – DAS PROBLEM DER SOZIALEN SICHERHEIT
ZWECK DER SOZIALPOLITIK
Die Wohlfahrt eines Volkes ist nicht nur vom Umfang des Volkseinkommens abhängig,
sondern auch von dessen Verteilung. Das Ergebnis des Marktes kann dem
Gerechtigkeitsempfinden widersprechen. Nicht alle Menschen sind zudem in der Lage in der
vom Markt honorierten Art und Weise leistungsfähig zu sein. Staat muss durch Umverteilung
der Einkommen für eine gerechtere Verteilung sorgen.
Was ist eine gerechte Einkommensverteilung?
Ungerechtigkeit weil die Arbeit nach Leistung/Wertschöpfung und die Güter nach Kaufkraft
verteilt werden. Auf die Bedürfnisse der Arbeitnehmer oder Konsumenten wird keine
Rücksicht genommen. Dieses Urteil der Ungerechtigkeit impliziert eine Bedarfs- bzw.
Verteilgerechtigkeit. Die Bedarfsgerechtigkeit geht davon aus, dass ein Mensch ein Anrecht
auf ein gewisses Wohlstandsniveau hat. Die Verteilgerechtigkeit impliziert eine Nivellierung
der Einkommen.
Als Mittel der Umverteilung benutzt der Staat einerseits progressiv ausgestaltete
Einkommens- und Vermögenssteuern und andererseits als ebenfalls wichtiges Instrument
der Umverteilung sind die Sozialtransfers auf Grund der Sozialversicherungen.
Die Sozialversicherungen dienen grundsätzlich drei Zwecken:
1. Soziale Sicherheit: SV bringen eine Umverteilung von den Erwerbstätigen zu den Nichterwerbstätigen, indem der Einzelne durch Prämienzahlung einen Anspruch erwirbt, falls er
infolge Krankheit, Unfall, Arbeitslosigkeit oder anderer Gründe aus dem Erwerbsleben
ausscheidet (SV sind das Auffangnetz für Einkommensausfälle).
2. Risikoausgleich: Die SV befreien das Individuum davon, sich für alle Risikofälle
vorzubereiten und entsprechende Mittel auf die Seite zu legen, wozu es in den meisten
Fällen so oder so nicht in der Lage wäre (z.B. bei Invalidität).
3. Einkommensumverteilung: SV sind im Unterschied zu anderen Versicherungen
obligatorisch und ärmere Zahlen kleinere Beiträge als Reiche. Es sind also auch Leute
versichert die infolge ihrer Armut keine Prämien bezahlen können. „Sozial“ heisst immer,
dass die Gesellschaft dem Individuum unter die Arme greift.
SV sollen Menschen in wirtschaftlich und sozial schwierigen Lagen vor materieller Armut
schützen. Probleme bereitet jedoch gemeinhin das konkretisieren des Armutsbegriffes. Man
kann 3 Armutsdefinitionen unterscheiden:
•
•
•
Absolute Armut: Das Einkommen oder das Vermögen gestattet es nicht, sich mit dem
Lebensnotwendigen zu versorgen.
Relative Armut: Hier wird die Armut in Relation zum allgemeinen Lebensstandard gesetzt.
Arm ist beispielsweise, wer weniger als die Hälfte des durchschnittlichen Einkommens
bezieht.
Subjektive Armut: Dieses Konzept geht vom subjektiven Empfinden aus, arm zu sein. So
können sich Menschen mit einem unterdurchschnittlichen Einkommen als nicht arm
empfinden, weil sie z.B. weniger arbeiten und die Freizeit umso mehr geniessen, während
anderen Menschen ihr überdurchschnittliches Einkommen nicht ausreicht, um ihre
Bedürfnisse zu befriedigen, weshalb sie sich arm fühlen.
Welches Konzept als zutreffend und relevant angesehen wird, ist eine rein politische Frage.
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IUR I
SOZIALVERSICHERUNGEN IN DER SCHWEIZ
Der Aufbau des Sozialversicherungssystems wurde stark begünstigt durch die Zeit des
grossen Wirtschaftswachstums nach dem Weltkrieg. Für die verschiedenen Risikogruppen
wurden eigene Versicherungen geschaffen.
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IUR I
ENTWICKLUNG DER SOZIALAUSGABEN
Die Entwicklung ist geprägt von einem starken Wachstum der Ausgaben.
Die SV, welche der sozialen Sicherheit, dem Risikoausgleich und der
Einkommensumverteilung dienen, unterliegen einem dauernden und kräftigen Wachstum.
AHV, die Pensionskassen und die Krankenkassen sind bei weitem die wichtigsten Zweige des
sozialen Sicherungssystem sind (sie vereinen mehr als 70% der Einnahmen auf sich). Von
jedem Franken Wertschöpfung werden aus Gründen der Gerechtigkeit und der sozialen
Sicherheit rund 30 Rappen der individuellen Verfügungsgewalt entzogen.
HERAUSFORDERUNGEN FÜR DIE SOZIALPOLITIK
Das Hauptproblem liegt beim stets steigenden Mehrbedarf, entscheidend für die Sozialpolitik
sind aber insbesondere die zunehmende Alterung und der Rückgang des Anteils der
erwerbstätigen Personen ab dem Jahr 2015.
Im Jahr 2040 wird ein viertel der Gesamtbevölkerung in Rente sein. Die Anzahl Erwerbstätige
wird sich von heute rund 4 Millionen auf 3,7 Millionen im Jahr 2060 verringern. Die
demografische Entwicklung hat sehr einschneidend negative Auswirkungen auf die
Entwicklung unserer Sozialsysteme.
Wie entwickeln sich di einzelnen Zweige der Sozialversicherungen? Lässt sich unser
Sozialsystem noch finanzieren?
•
Berufliche Vorsorge: Die Einnahmen der BV liegen – bedingt durch das Finanzierungsverfahren – in der Aufbauphase über den Ausgaben. Der Kapitalzuwachs fiel im Jahr 2000
gegenüber den Vorjahren deutlich ab. Erstmals ist 2001 der Wert des akkumulierten
Finanzkapitals zurückgegangen, weil die Börsenkrise einen Wertverlust von 38 Milliarden
Franken ausgelöst hat.
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Zusammenfassung VWL
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IUR I
•
•
•
•
AHV: Die Finanzierung der AHV gerät durch die Bevölkerungsentwicklung zunehmend in
Gefahr. Die Alterslastquote d.h. das Verhältnis der über 64-jährigen zu den
20 – 64-jährigen, wird von 9,5:1 im Jahr 1948, auf heute 2,9:1 und bis ins Jahr 2040 auf
2:1 absinken, was speziell bei der über das Umlageverfahren finanzierten AHV Probleme
ergibt.
Krankenversicherung: Bis ins Jahr 2040 werden die Ausgaben für die KK real um zirka
40% steigen. Dazu tragen unter anderem die laufende Angebotserweiterung, die
medizinisch-technischen Fortschritte, der gesetzliche Leistungsausbau und auch die
Überalterung bei. Das ist nicht nur ein Problem für die Prämienzahler, sind auch für den
Staat.
Invalidenversicherung: Schreibt rote Zahlen, seit 1993. Die jährlichen Fehlbeträge
steigen bis zum Jahr 2010 auf eine Milliarde an. Nach dem Jahr 2010 dürfte die IV
allerdings das gröbste überstanden haben auf Grund der schrumpfenden aktiven
Bevölkerung.
Arbeitslosenversicherung: Der ALV kommt eine Sonderstellung zu, weil Einnahmen und
Ausgaben sehr stark von der Konjunkturlage abhängen. 1999 wechselte der
Rechnungssaldo vom Defizit zum Überschuss (nach dem ab dem Jahre 1990 Verluste
geschrieben wurden).
Ob sich unser Sozialsystem noch finanzieren lässt, hängt sehr stark von der Dynamik der
Wirtschaft ab. Mit Wachstum allein ist es nicht getan, es müssen auch der Prozentsatz der
Lohnabzüge erhöht, der Bundeszuschuss hinaufgesetzt und/oder die Leistungen gekürzt
werden. Da alle drei Massnahmen unattraktiv scheinen, wird der Ruf nach eine
Neuorientierung des Systems laut.
Wo liegen die Gefahren des Wohlfahrtsstaates?
Ein Grundgedanke jeder Versicherung ist es, den Einzelnen vor Risiken und den damit
zusammenhängenden Kosten zu schützen. Man addiert alle individuellen Schäden und legt
sie auf alle Beteiligten um, denn das Kollektiv sollte in der Lage sein, sämtliche Schäden zu
tragen. Der Einzelne haftet zwar nicht mehr für sich, umgekehrt allerdings haftet er für die
durchschnittlichen Schadensfälle der Gesellschaft, auf die er keinen Einfluss hat. (Von diesem
System profitieren aber auch solche, die eigentlich in der Lage wären, ihren Schaden selber
zu tragen).
Das Absichern von Kosten führt dazu, dass Anreize fehlen, die Kosten tief zu halten, weil das
Einzelverhalten auf die Prämienhöhe kaum Wirkung hat.
Weil aus zusätzlich beanspruchten Leistungen direkt keine zusätzlichen Beitragszahlungen
entstehen, besteht ein Anreiz, möglichst viele Leistungen zu beziehen, die Versicherung
bezahlt es ja…
Führt der Versicherungsschutz deswegen zu einer übermässigen Ausweitung der Schäden,
spricht man von einem „moral-hazard“-Problem. Es wird dadurch verschärft, dass durch die
staatliche Sozialpolitik zwischen Helfer und Bedürftigen eine Institution fällt, die eine
Anonymität zwischen diesen beiden Gruppen bewirkt.
Die beiden wichtigsten Kriterien zur Beurteilung von Systemen sozialer Sicherung sind die
ökonomische Effizienz und die Verteilungsgerechtigkeit. Eine Steuer oder Abgabe ist
danach effizient, wenn sie die Innovationskraft einer VW erhält und die Kapitalbildung fördert
oder zumindest nicht behindert. Von Verteilungsgerechtigkeit kann dann gesprochen werden,
wenn sich die Belastung an der Inanspruchnahme der Leistung oder an der finanziellen
Leistungsfähigkeit ausrichtet. Zwischen den beiden besteht oft ein Konflikt.
Die Bürger sind sich oft nicht über die Sozialpolitik (und auch über die Steuerpolitik) einig, weil
sie den Zielkonflikt zwischen Effizienz und Gerechtigkeit nicht erkennen oder diesen beiden
Zielen unterschiedliche Bedeutung zumessen.
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Vorschläge zur Neuorientierung des Systems der sozialen Sicherheit:
Neugestaltung der Leistungsseite:
• AHV
♦ Einführung einer steuerfreien Einheitsrente, die eine Grundsicherung im Alter
gewährleisten soll. Diese Einheitsrente liegt zwischen der heutigen Mindestrente und der
heutigen Maximalrente.
♦ Von der Bankenvereinigung stammt der Vorschlag, Rentnern mit einem Einkommen über
Fr. 100'000.- die AHV zu streichen.
♦ Flexibilisierung oder Erhöhung des Rentenalters.
♦ Privatisierung der AHV.
• Aufhebung des Obligatoriums der 2. Säule
Fakultativer Erwerb zusätzlicher Leistungen zur AHV – Einheitsrente bei freier Wahl der
Versicherungsform und der Versicherungshöhe gemäss den eigenen Ansprüchen.
• Privatisierung der Arbeitslosenversicherung
Auch hier gibt es Vorschläge einer Einheitsrente für Arbeitslose, darüber hinausgehende
Ansprüche müssten am privaten Versicherungsmarkt gedeckt werden.
• Obligatorische Versicherung des Existenzminimums
„Extremisten“ fordern gar eine Auszahlung aller bisher geleisteten Lohnabzüge.
Obligatorisch versichert soll nur noch das Existenzminimum werden, der Rest soll der
Selbstverantwortung überlassen werden.
Neugestaltung der Finanzierungsseite:
• Umstellung auf Kapitaldeckungsverfahren
Krise beim Umlageverfahren (auf Grund der demografischen Entwicklung) soll durch eine
Verstärkung bzw. durch Ersatz durch das Kapitaldeckungsverfahren entschärft werden.
Dafür wäre eine Akzentverlagerung von der ersten zur zweiten Säule notwendig oder eine
schrittweise Verlagerung vom Umlage- zum Kapitaldeckungsverfahren bei der
Finanzierung der AHV.
• Finanzierung über Mehrwertsteuer oder Einkommenssteuer
Künftige Aufgaben der Sozialversicherungen sollen vermehrt über die MWSt. oder über
Einkommenssteuern statt über Lohnprozente finanziert werden. So würden auch die
reichen Pensionierten ihre und die Renten ihrer Generation mitbezahlen.
1. Finanzierung aus Ökosteuern
Als alternative Finanzierungsquelle könnte zu einer Besteuerung des Energieverbrauchs
und/oder des CO2-Ausstosses übergegangen werden.
Das Konzept der negativen Einkommenssteuer
Dem Steuertarif wird unterhalb eines gewissen Einkommens ein negativer Steuersatz
angehängt, gemässe welchem die Betroffenen eine soziale Grundsicherung in Form einer
staatlichen Transferzahlung zufliesst. Die negative Einkommenssteuer hat z.B. gegenüber der
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Arbeitslosenversicherung den Vorteil, dass auch derjenige in den Genuss von Unterstützung
kommt, der eine Arbeit hat, bei der er aber ein gewisses Mindesteinkommen nicht erreicht.
Dadurch wird also ein gewisses Mindesteinkommen garantiert bei gleichzeitiger Beibehaltung
von Leistungsanreiz und Effizienz.
Gegen das Konzept der negativen Einkommenssteuer werden starke Einwände erhoben. So
wird die Finanzierung in Frage gestellt, hohe Grenzsteuersätze würden negative
Arbeitsanreize auslösen und bedeutende Philosophen betrachten dieses Konzepts als
„unfair“. Wenn allerdings eine negative Einkommenssteuer für den pensionierten Teil der
Bevölkerung eingeführt wird, entfallen diese Einwände.
EXKURS:
„GESAMTSCHAU DES FINANZIELLEN MEHRBEDARFS DER SOZIALVERSICHERUNGEN“
Absoluter Mehrbedarf im Jahr 2010 gegenüber 2000 wird auf über 26 Milliarden Franken
geschätzt, was einem Mehrbedarf von 31% entspricht. Durch den Anstieg der Einnahmen im
Rahmen des allgemeinen Wirtschaftswachstums werden 13 Milliarden Franken gedeckt. Die
restlichen 13 Mia Franken bleiben offen.
Der AHV und der IV stehen verschiedene Elemente zur Deckung des Mehrbedarfs zur
Verfügung. Nebst der Mehrwertsteuer wird bei der IV auch ein Kapitaltransfer von der EO
notwendig.
Bei der KK wird sich der Mehrbedarf vor allem auf die Prämien auswirken. Bei der beruflichen
Vorsorge werden die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge erhöht werden und bei der EO
wird der Beitragssatz im Jahr 2008 erhöht.
Ein wichtiges Element ist die Mehrwertsteuer. Für deren Erhöhung zu Gunsten der AHV und
IV ist folgender Zeitplan vorgesehen:
2005
1 Punkt
für die IV
2011
0.5 Punkt
für die AHV
2012
Kürzung um 0.4 Punkte für die IV
2015
1 Punkt
für die AHV
Trotz allen Bemühungen wird die langsam anwachsende Differenz von 2010 bis 2025
zwischen Finanzierungsbedarf und Einnahmen zu schliessen sein. Der grösste
Handlungsbedarf besteht indessen bei der AHV.
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