DIE RADIODOKTOR-INFOMAPPE Ein Service von: ORF A-1040 Wien, Argentinierstraße 30a Tel.: (01) 50101/18381 Fax: (01) 50101/18806 Homepage: http://oe1.ORF.at Österreichische Apothekerkammer A-1091 Wien, Spitalgasse 31 Tel.: (01) 404 14-600 Fax: (01) 408 84 40 Homepage: www.apotheker.or.at Gesundheitsressort der Stadt Wien A-1082 Wien, Rathaus Homepage: www.wien.at RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 1 RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT Die Sendung Die Sendereihe „Der Radiodoktor“ ist seit 1990 das Flaggschiff der Gesundheitsberichterstattung von Ö1. Jeden Montag von 14.05 bis 14.40 Uhr werden interessante medizinische Themen in klarer informativer Form aufgearbeitet und Ö1Hörerinnen und -Hörer haben die Möglichkeit, telefonisch Fragen an das hochrangige Expertenteam im Studio zu stellen. Wir über uns Seit September 2004 moderieren Univ.-Prof. Dr. Manfred Götz, Univ.-Prof. Dr. Karin Gutiérrez-Lobos, Univ.-Prof. Dr. Markus Hengstschläger und Dr. Christoph Leprich die Sendung. Das Redaktionsteam besteht aus Mag. Nora Kirchschlager, Dr. Doris Simhofer, Uschi Mürling-Darrer, Dr. Michaela Steiner, Dr. Ronny Tekal-Teutscher und Dr. Christoph Leprich. Das Service Seit dem 3. Oktober 1994 gibt es das, die Sendereihe flankierende, Hörerservice, das auf größtes Interesse gestoßen ist. Unter der Wiener Telefonnummer 50 100 ist „Der Radiodoktor“ mit Kurzinformationen zur aktuellen Sendung die ganze Woche per Tonband abrufbar. Die zu jeder Sendung gestaltete Infomappe mit ausführlichen Hintergrundinformationen, Buchtipps und Anlaufstellen komplettiert das Service und stellt in der Fülle der behandelten Themen eigentlich bereits ein kleines Medizin-Lexikon für den Laien dar. Die Partner Ermöglicht wird die Radiodoktor-Serviceleiste durch unsere Partner: das Gesundheitsressort der Stadt Wien und die Österreichische Apothekerkammer. An dieser Stelle wollen wir uns ganz herzlich bei unseren Partnern für die Zusammenarbeit der letzten Jahre bedanken! Wir bitten um Verständnis, dass wir aus Gründen der besseren Lesbarkeit in dieser Infomappe zumeist auf die weiblichen Endungen, wie z.B. PatientInnen, ÄrztInnen etc. verzichtet haben. RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 2 AUTOIMMUNERKRANKUNGEN – WENN DER EIGENE KÖRPER ZUM FEIND WIRD Mit Univ.-Profin. Dr in. Karin Gutiérrez-Lobos 10. Jänner 2011, 14.05 Uhr, Ö1 Redaktion und Infomappe: Dr. Ronny Tekal-Teutscher RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 3 INHALTSVERZEICHNIS INHALTSVERZEICHNIS AUTOIMMUNERKRANKUNGEN – WENN DER EIGENE KÖRPER ZUM FEIND WIRD Es kann jedes Organ treffen 7 Der Wächter unseres Körpers: Das Immunsystem 7 Erste Barrieren Freundliche Bakterien als Tischgenossen Mannigfaltige Strategien der Schleimhaut gegen Eindringlinge 8 8 8 Die Protagonisten des Abwehrsystems Neutrophile Granulozyten B-Lymphozyten: Abwehrzellen mit erstaunlichem Gedächtnis T-Lymphozyten – die zelluläre Immunantwort Fresszellen tranchieren den Eindringling Das lymphatische System Antikörper - wie der Schlüssel ins Schloss 9 9 10 10 11 11 11 Immunsystem: Die vorderste Front Makrophagen als Lokalpolizei Die Botenstoffe: Zytokine und Chemokine 12 12 13 Angeborene und erworbene Abwehr Das angeborene Immunsystem Toll-like-Rezeptoren Eigene Strukturen erkennen: Das MHC-System Bestens gerüstet gegen Angreifer Kleines Zahlenspiel zum Immunsystem 13 13 14 14 15 16 Wenn Viren das Immunsystem lahm legen - HIV/AIDS Dendritische Zellen und T-Helferzellen im Visier 17 17 RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 4 INHALTSVERZEICHNIS Der Körper gibt nicht auf Wenn Blutzellen entarten - Die Leukämie Die Symptome der Leukämie Behandlungsstrategien 17 18 18 18 Autoimmunerkrankungen – wenn sich das Abwehrsystem gegen den Körper richtet Definition der Autoimmunerkrankungen „Echte“ Autoimmunerkrankungen Krankheiten mit autoimmunologischen Vorgängen 19 19 19 19 Lupus erythematodes: das Chamäleon unter den Krankheiten Schwierige Diagnostik Verdächtige Befunde 20 20 21 Autoimmunerkrankungen der Haut 22 Autoimmunerkrankungen: Komplizierte Diagnose Unklares Beschwerdebild 23 23 Neue Therapien bei Autoimmunerkrankungen Bahnbrechendes bei Rheumatoider Arthritis Immunmodulierend mit Biopharmazeutika eingreifen Mögliche Nebenwirkungen der neuen Substanzklassen 24 24 24 25 Die Rheumatoide Arthritis Starke Einschränkung der Lebensqualität Das Immunsystem richtet sich gegen den eigenen Körper Was läuft hier schief? Vielseitige Behandlungsansätze bei Rheumatoider Arthritis Neue Medikamente – effektiv, aber teuer 25 26 26 27 27 28 Allergien Schlüsselrolle IgE Die Symptome kommen im Blitztempo Zu viel Hygiene begünstigt Allergien Gründliche Diagnose bei Allergien 29 29 30 30 31 RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 5 INHALTSVERZEICHNIS Die beste Therapie ist die Vermeidung Tumorimmunologie Wenige Tumorzellen hat das Abwehrsystem im Griff Monoklonale Antikörper Tumorimpfung in Sicht? Allergie und Krebs Krebs: Hoffungsträger IgE? 31 32 32 33 33 34 34 BUCHTIPPS 35 QUELLEN UND LINKS 36 ANLAUFSTELLEN 38 STUDIOGÄSTE 39 RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 6 AUTOIMMUNERKRANKUNGEN AUTOIMMUNERKRANKUNGEN – WENN DER EIGENE KÖRPER ZUM FEIND WIRD Bei sogenannten Autoimmunerkrankungen missinterpretiert das Abwehrsystem körpereigene Strukturen als fremd und bekämpft sie. Es kommt zu Entzündungen, die den gesamten Organismus betreffen und schwerwiegend schädigen können. Es kann jedes Organ treffen Bei einer Vielzahl von Erkrankungen gibt es solche autoimmunologischen Prozesse, die sich in der Haut, den Gelenken oder im Gefäßsystem abspielen können. So umfasst der Überbegriff „Autoimmunerkrankungen“ dutzende unterschiedlicher Beschwerdebilder, bei denen Immunvorgänge eine Rolle spielen: Von der Multiplen Sklerose bis zur Rheumatoiden Arthritis, vom Morbus Crohn bis zum Diabetes mellitus Typ 1 - bei all diesen Krankheiten greift die Immunabwehr den eigenen Körper an. Doch bevor wir uns näher mit dieser Gruppe von Erkrankungen befassen, zuerst ein ausführlicher Blick auf das Faszinosum Immunsystem. DER WÄCHTER UNSERES KÖRPERS: DAS IMMUNSYSTEM Obwohl wir in unserer hochtechnisierten Welt, in der urbanen Umgebung, in den scheinbar keimfreien Büros und Geschäften, meist nicht daran denken: Der Mensch steht, wie alle anderen Organismen auf diesem Planeten auch, stets im Kampf mit seiner Umwelt, er muss sich Angriffen gegenüber behaupten, um zu überleben. Und dies keineswegs im metaphorischen Sinn gemeint. Bereits sehr früh in der Geschichte der Evolution entwickelten einfache mehrzellige Organismen Strategien, um sich gegen Krankheitserreger zu schützen. Diese uralten Abwehrmechanismen finden sich auch noch im Menschen von heute. Das Immunsystem, wie die Gesamtheit der für die Abwehr zuständigen Strukturen genannt wird, musste sich jedoch im Laufe der Zeit immer neue Strategien zurechtlegen, um krankmachenden Eindringlingen Paroli bieten zu können. Wie notwendig eine funktionierende Abwehr ist, wird dann ersichtlich, wenn dieses hocheffektive System zum Erliegen kommt. Wenn etwa im Zuge bestimmter RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 7 AUTOIMMUNERKRANKUNGEN Erkrankungen, wie Leukämien oder AIDS, der Organismus weitgehend schutzlos den Krankheitserregern und ihren verheerenden Wirkungen ausgeliefert ist. Auf der anderen Seite kann das Immunsystem auch unkontrolliert heftig reagieren, es kommt zu Fehlreaktionen, wie etwa bei Allergien oder Autoimmunerkrankungen. ERSTE BARRIEREN Als erste Verteidigungsposten des Körpers gelten Haut und Schleimhäute. Sie bilden die Grenze zwischen Innen- und Außenwelt, sie kommen als erste mit potentiell gefährlichen Eindringlingen in Kontakt. Es ist also nicht verwunderlich, dass sich in diesem Bereich auch ein Großteil des Abwehrsystems befindet. Die Haut dient, bereits von ihrer Beschaffenheit her, als Barriere gegen das Eindringen von Pathogenen, also krankmachenden Keimen. Dies bedeutet jedoch keinesfalls, dass die Haut keimfrei sein sollte. Im Gegenteil: Nur eine ausreichend mit der physiologischen Keimflora besiedelte Haut oder Schleimhaut bietet den erforderlichen Schutz. Freundliche Bakterien als Tischgenossen So lebt eine große Zahl an Mikroorganismen mit uns in Symbiose. Man kann sich diese als Tischgenossen vorstellen, wie Univ.-Prof. Dr. Hannes Stockinger vom Zentrum für Pathophysiologie, Infektiologie und Immunologie von der Medizinischen Universität Wien erklärt. Diese „Commensals“ haben wichtige Funktionen in unserem Körper, da sie die Oberflächen besetzen und diese für Pathogene, also krankmachende Keime, praktisch nicht zugänglich machen. So gibt es in und an unserem Körper in etwa 500 unterschiedliche Arten von Bakterien. Ein geringerer Teil befindet sich auf der, für die Mikroorganismen etwas unwirtlicheren Haut, der Rest lebt im Bereich der Schleimhäute, die günstigen Lebensbedingungen bieten. Eine wesentliche Rolle kommt hier den Darmbakterien zu, der sogenannten Darmflora. Mannigfaltige Strategien der Schleimhaut gegen Eindringlinge Die Schleimhaut, wie sie etwa im gesamten Verdauungstrakt - vom Mund bis zum Darmausgang - zu finden ist, übernimmt auch eine wichtige Abwehrfunktion: Denn wie der Name schon sagt, produzieren die Epithelzellen einen Schleim, durch den Krankheitserreger auf ihrem Weg in den Körper behindert werden können. Einerseits hat dieser Schleim die Funktion, die Nährstoffe, die wir aufnehmen, zu „schmieren“. Andererseits dient er auch dazu, Mikroorganismen zu umhüllen, sodass sich diese nicht anheften können. Zusätzlich regeneriert sich die Schleimhaut ständig. RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 8 AUTOIMMUNERKRANKUNGEN Setzt sich ein Mikroorganismus nun auf die äußerste Schicht, so „schlittert“ dieser durch die Regeneration ab. Eine andere Art von Oberflächenzellen ist mit feinen Flimmerhärchen ausgestattet, wie zum Beispiel in den Luftwegen. Diese transportieren die körperfremden Stoffe wieder zurück nach oben - Schleim und damit auch pathogene Keime werden auf diese Weise aus dem Körper gebracht. Bei Rauchern sind die Flimmerepithelien oft geschädigt, sodass dieser Schutzmechanismus versagt. Die Haut sondert auch verschiedene Abwehrstoffe ab, wie Säuren oder Enzyme, die für bestimmte Keime schädlich sind. So sorgen etwa das saure Milieu in der Scheide oder auch die starke Magensäure für eine entsprechende Barriere. Auch Speichel und Tränenflüssigkeit beinhalten gewisse antibakterielle Enzyme, wie etwa das Lysozym. Dieses ist in der Lage, Bakterienwände aufzuspalten, und die Keime somit zu zerstören. Auch Proteasen, Enzyme, die verschiedene Proteine von Bakterien auflösen können, finden sich hier in besonderem Ausmaß. Generell sind derartige Substanzen in allen Körperflüssigkeiten, die über eine Schleimhaut freigesetzt werden, also auch in der Lunge oder im oberen Gastrointestinaltrakt, zu finden. Werden diese physikalischen und chemischen Hauptbarrieren von den Keimen durchdrungen, so tritt das in Aktion, was wir als das „Immunsystem“ bezeichnen. DIE PROTAGONISTEN DES ABWEHRSYSTEMS Das Abwehrsystem des Körpers funktioniert überaus komplex. Dies ermöglicht eine entsprechende Regulierung, die einerseits zu einer ausreichend heftigen Reaktion auf einen eindringenden Krankheitserreger führt, auf der anderen Seite letztlich jedoch auch wieder gebremst werden muss, um Schäden am eigenen Körper zu vermeiden. Das Immunsystem muss zudem sehr spezifisch reagieren. Je nachdem, ob der Körper von Bakterien - wie etwa Streptokokken bei Scharlach - oder von Viren - bei Röteln, Schnupfen oder Grippe - heimgesucht wird, reagiert auch die körpereigene Abwehr unterschiedlich. Verschiedenste Zellen und Entzündungsfaktoren treten auf den Plan. Nachfolgend eine kleine Übersicht über die Protagonisten des Immunsystems: Eine wichtige Rolle bei der Abwehr spielen die Leukozyten, die weißen Blutkörperchen. Sie lassen sich in verschiedene Gruppen unterteilen und jede dieser Untergruppen hat eine bestimmte Funktion im Immunsystem. Neutrophile Granulozyten RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 9 AUTOIMMUNERKRANKUNGEN Die neutrophilen Granulozyten sind in der Lage, bestimmte Eindringlinge zu erkennen. Sie stürzen sich gewissermaßen auf den als Feind identifizierten Keim und fressen ihn gleichermaßen auf. Man erkennt mit bloßem Auge, dass diese weißen Abwehrzellen an der Arbeit sind: An der betroffen Stelle bildet sich Eiter. Vor allem im Rahmen bakterieller Infekte findet sich im Blut eine deutlich erhöhte Zahl dieser weißen Blutzellen. B-Lymphozyten: Abwehrzellen mit erstaunlichem Gedächtnis Eine weitere wichtige Gruppe der weißen Blutkörperchen sind die Lymphozyten. Man unterscheidet T- und B-Lymphozyten, daneben noch die so genannten natürlichen Killer-Zellen. B- und T-Lymphozyten sind für die voraussehende (oder erworbene) Immunabwehr verantwortlich. Jeder einzelne Lymphozyt besitzt eine hochspezifische Erkennungsstruktur, einen sogenannten Antigenrezeptor. Diese Antigenrezeptoren werden nach dem Zufallsgeneratorprinzip in unendlicher Vielzahl praktisch gegen alle möglichen Stoffe auf der Welt gebildet, also gegen alle nur erdenklichen Krankheitserreger. Durch diesen Zufallsgeneratorprozess werden sie sozusagen voraussehend vorgefertigt und auf Lager gelegt. Dringt ein Pathogen in unseren Körper ein, wird der entsprechende Lymphozyt mit dem spezifischen Antigenrezeptor aus dem Lager geholt; der Lymphozyt beginnt zu wachsen und bildet Eigenschaften aus, um das Pathogen zu zerstören. Die B-Lymphozyten, auch B-Zellen genannt, reifen im Knochenmark heran. Gewissermaßen gehen sie dort in die Schule, denn sie erlernen im Knochenmark Antigene (also Fremdstrukturen) zu erkennen und darauf entsprechend mit der Bildung von Antikörpern zu reagieren. Die B-Zellen besitzen eine starke Merkfähigkeit. Und immer wenn sie nun diesem speziellen Fremdkörper bzw. diesem Antigen im späteren Leben begegnen, so können sie rasch mit der Produktion von Antikörpern reagieren. Die B-Zelle wandelt sich im Zuge der Antikörperproduktion in eine so genannte Plasmazelle. Diese vermag in relativ kurzer Zeit sehr große Mengen dieser spezifischen Antikörper zu bilden. Antikörper sind die löslichen Formen der Antigenrezeptoren, die in der Lage sind, in sämtliche Bereiche des Körpers vorzudringen, um dort mit feindlichen Antigenen zu reagieren und die Erreger zu zerstören. Da die Abwehr durch die im Blutserum gelösten Stoffe erfolgt, spricht man auch von der humoralen Immunantwort. T-Lymphozyten – die zelluläre Immunantwort Die zweite große Gruppe der Lymphozyten wird als T-Lymphozyten oder T-Zellen bezeichnet. Diese erwerben in der Thymusdrüse, die sich hinter dem Brustbein befindet, RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 10 AUTOIMMUNERKRANKUNGEN im Säuglings- und Kleinkindesalter die größte Ausbildung hat und sich später zurückbildet, die Fähigkeit körperfremde Eiweiße zu erkennen. Die T-Zellen sind für die zelluläre Immunantwort zuständig, denn sie können entartete, körpereigene Zellen attackieren. Sie sind wichtig für die Zerstörung von virusbefallenen Zellen, aber auch von Tumoren und tumorartigen Strukturen. Die T-Zellen werden aktiviert, wenn ihnen von anderen Zellen Fremdsubstanzen präsentiert werden. Etwa von den so genannten dendritischen Zellen. Diese werden z.B. aus Monozyten gebildet und haben ihren Namen aufgrund der ausläuferartigen Strukturen an ihrer Oberfläche. Die dendritischen Zellen vermögen Fremdsubstanzen zu erkennen, aufzunehmen und an ihrer Oberfläche zu „präsentieren“. Die T-Zellen wiederum reagieren auf diesen Reiz mit der Ausschüttung von Botenstoffen, so genannten Zytokinen. In diesem Fall werden Interleukine ausgeschüttet, die wiederum eine Reihe von Mechanismen in Gang setzen, die zu einer Zerstörung der angreifenden Fremdstrukturen führen. Fresszellen tranchieren den Eindringling Weitere Akteure im Abwehrsystem sind die Monozyten. Auch sie gehören zur Gruppe der weißen Blutkörperchen, halten sich jedoch nur kurz in der Blutbahn auf, um dann ins Gewebe zu wandern und sich in Makrophagen, auch Fresszellen genannt, zu verwandeln. Sie umfließen die fremden Strukturen, nehmen sie auf, zerlegen sie in ihre Bestandteile und präsentieren die fremdartigen Eiweiße an ihrer Oberfläche. Diese werden wiederum von den T- und B-Zellen erkannt. Das lymphatische System Die immunologischen Vorgänge spielen sich in erster Linie im lymphatischen System ab - quasi eine Sammelstelle, wo sich nun die für die Abwehr zuständigen Zellen finden. Klassisches Beispiel sind die Tonsillen, die Rachenmandeln, die sich im Fall einer bakteriellen Entzündung mit weißen Eiterbelägen präsentieren können. Generell ist die Immunantwort jedoch auf mehrere Orte aufgeteilt. Denn im lymphatischen System, etwa in den Lymphknoten, ist eine Vielzahl von Bund T-Lymphozyten vorhanden. Die Fremdsubstanzen werden von den dendritischen Zellen aus dem infizierten Gewebe dort hingebracht und den Lymphozyten präsentiert, wodurch eine entsprechende Immunantwort ausgelöst wird. Antikörper - wie der Schlüssel ins Schloss Die Bildung von Antikörpern ist Aufgabe der voraussehenden Immunabwehr. Diese auch als Immunglobuline bezeichneten Eiweiße, die von den B-Zellen gebildet werden, passen wie ein Schlüssel in das Schloss des Antigens, das sich auf einem Fremdstoff, RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 11 AUTOIMMUNERKRANKUNGEN etwa einem Erreger, befindet. Beim Kontakt zwischen Antikörper und Antigen wird die humorale Immunantwort ausgelöst: Der Eindringling wird direkt über den Antikörper oder indirekt unter Hinzutreten anderer Zellen des Abwehrsystems, sowie auch durch die Aktivierung des Komplementsystems zerstört. Es gibt unterschiedliche Klassen von Antikörpern, die auch bei der Diagnose von Infektionserkrankungen Aussagen über Art und Verlauf geben können. So wird das Immunglobulin M, kurz IgM, im Rahmen der akuten Infektionsphase gebildet. Das Immunglobulin G oder IgG findet sich meist erst nach einigen Wochen im Blut. Es zeigt eine durchgemachte Infektion, oder auch die Reaktion auf eine Impfung an. Das IgG bleibt über einen langen Zeitraum im Blutplasma bestehen, oft Jahre bis Jahrzehnte. So kann festgestellt werden, ob eine Infektion durchgemacht wurde oder eine ausreichende Immunität gegen eine bestimmte Erkrankung vorliegt. Im Rahmen moderner Therapien werden gentechnologisch erzeugte Antikörper, so genannte therapeutische monoklonale Antikörper bei bestimmten Erkrankungen, wie etwa rheumatoider Arthritis oder Krebs, eingesetzt. IMMUNSYSTEM: DIE VORDERSTE FRONT Das Immun- oder Abwehrsystem ist eine entwicklungsgeschichtlich unterschiedlich alte und hochkomplexe Struktur. Seine Aufgabe ist es, zwischen „eigen“ und „fremd“, „gefährlich“ und „harmlos“ zu unterscheiden und entsprechend zu reagieren. Gelangt ein Erreger durch die ersten Barrieren der Haut, wird das Immunsystem aktiviert. Makrophagen als Lokalpolizei Dabei gibt es vor allem zwei erste zelluläre Abwehrkomponenten: Zum einen Makrophagen. Univ.-Prof. Dr. Hannes Stockinger vom Zentrum für Pathophysiologie, Infektiologie und Immunologie der Med Uni Wien bezeichnet diese Zellen auf gut Wienerisch als eine Art ‚Grätzlpolizisten‘. „Kommen diese Makrophagen mit einem Krankheitserreger in Kontakt, so beginnen sie mit ihrem „Walkie-Talkie“ Alarm zu schlagen und andere Immunzellen zum Ort des Geschehens zu dirigieren.“ Denn Informationsübertragung stellt einen wesentlichen Charakterzug des Abwehrsystems dar. Nur durch die korrekte Koordinierung der verschiedenen bei der Abwehr beteiligten Zellen kann das Immunsystem angemessen auf Eindringlinge reagieren. Die Makrophagen, oft als erste am Einsatzort, alarmieren in der Folge andere weiße Blutkörperchen, die neutrophilen Granulozyten, die in das betroffene Gewebe einwandern, um die Krankheitserreger zu zerstören. Die Kommunikation ist also das Um und Auf einer gelungenen Abwehr. RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 12 AUTOIMMUNERKRANKUNGEN Die Botenstoffe: Zytokine und Chemokine Um andere Zellen anzulocken, schütten Makrophagen zwei Botenstoffe aus: Chemokine und Zytokine. Ein Chemokin ist ein chemischer Lockstoff, mehr oder weniger ein Duftstoff. „Und über diesen Duftstoff wissen die anderen Immunzellen, wo sie hin wandern müssen“, so Hannes Stockinger. „Zytokine sind Substanzen, die von diesen Zellen ausgeschüttet werden, damit sich andere Zellen differenzieren, verändern und zu Effektorzellen reifen, um eben effizient einen Krankheitserreger anzugreifen und zu zerstören.“ Die Ausschüttung von Zytokinen und Chemokinen bewirkt auch, dass sich die Blutgefäße am Ort des Geschehens verändern, sodass sie für andere Immunzellen, speziell eben Makrophagen und neutrophile Granulozyten, durchlässig werden. Eine solche Abwehr gegen Keime erkennen die Betroffenen daran, dass ihr Körper reagiert: Dass es im Zuge des Kampfes gegen die Eindringlinge zu Entzündungszeichen kommt - wie Rötung, Schwellung oder eine höhere Temperatur in dem betroffenen Bereich - ist von der Körperabwehr durchaus beabsichtigt. Denn all diese Reaktionen begünstigen die Wirkung des Abwehrsystems. Von der verbesserten Durchblutung, bis zur höheren „Betriebstemperatur“, die für die Abwehrzellen optimal ist. Dazu gehört auch das Rinnen der Nase, ein Räuspern oder Husten. Selbst der Entzündungsschmerz ist erwünscht, da er daran erinnert, eine beeinträchtigte Körperstelle zu schonen. Diese erste Entzündungsreaktion ist angeboren und für das Individuum überlebensnotwendig. Parallel dazu bereitet der Körper jedoch schon eine weitere Strategie vor: So beginnt er damit, Antikörper zu produzieren, um zu einem späteren Zeitpunkt gegen denselben Eindringling gerüstet zu sein - um im Falle einer nochmaligen Infektion gezielt und rasch reagieren zu können. ANGEBORENE UND ERWORBENE ABWEHR Mikroorganismen entwickeln immer neue Strategien, um dem Immunsystem zu entkommen. So muss sich auch unsere Abwehr stets an die neuen Gegebenheiten anpassen. Das angeborene Immunsystem Das angeborene Immunsystem ist für die Abwehr des Großteils der Infektionen bereits relativ effektiv - es ist in der Akutsituation meist ausreichend. Da das voraussehende Immunsystem, also die T-Zell-Antwort und die Bildung entsprechender Antikörper, mindestens eine Woche benötigt, um effektiv arbeiten zu können, ist diese angeborene Abwehr von großer Bedeutung. Mitunter würde der RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 13 AUTOIMMUNERKRANKUNGEN Organismus diese erste Woche nicht überleben. Beim ersten Kontakt dauert der Kampf mit den Erregern länger, als bei möglichen Folgeinfektionen. Denn kommt der Körper ein zweites Mal mit dem gleichen Keim in Kontakt, so ist das Abwehrsystem bereits gerüstet und die Immunantwort geht rasch vor sich. Diese voraussehende Immunantwort besitzt eine Art Gedächtnis. Es werden so genannte Gedächtnis-Zellen gebildet, die teilweise ein Leben lang im Körper verbleiben und sich bei nochmaligem Kontakt mit dem gleichen Erreger rasch vermehren. Toll-like-Rezeptoren Im Zusammenspiel zwischen der angeborenen und voraussehenden Abwehr spielen die so genannten „Toll-like-Rezeptoren“ eine wichtige Rolle. Als ein Oberflächenbestandteil der Zellen des angeborenen Abwehrsystems des Körpers, erkennen sie bestimmte Strukturen auf den Krankheitserregern. Somit kann zwischen „eigen“ und „fremd“ unterschieden und die voraussehende Immunantwort - die Bildung von Antikörpern gegen einen bestimmten Angreifer - eingeleitet werden. Erst Mitte der 1990er Jahre wurde dieser Rezeptortyp entdeckt. Parallel mit der Erkennung über diese Toll-like-Rezeptoren geben auch dendritische Zellen oder antigenpräsentierende Zellen die notwendige Information über die Angreifer an andere Immunzellen weiter. Eine große Rolle dabei spielen die so genannten Langerhans-Zellen. Diese dendritischen Gebilde sitzen, wie ein Wächter im Gewebe der Haut, in der Epidermis, und überziehen netzwerkartig die Oberfläche des Körpers. Gleichzeitig mit der ersten Abwehr durch die Makrophagen beginnen sich die Langerhans-Zellen zu aktivieren. Dazu wandern sie in den nächsten Lymphknoten. Während dieser Wanderung verarbeiten sie für die B- und für die T-Zellen den Eindringling, um sie ihnen im Lymphknoten auf „molekularen Tellern“, den MHC-Molekülen, zu präsentieren. Eigene Strukturen erkennen: Das MHC-System Die Unterscheidung zwischen fremd und eigen, harmlos oder gefährlich, ist für das Immunsystem nicht immer einfach und unterliegt äußerst komplexen Mechanismen. So kann es vorkommen, dass die Abwehr überschießend reagiert oder gar eigene Strukturen angreift. Zwei Zelltypen sind für den Schutz des zellulären Raums verantwortlich: Die natürlichen Killerzellen und die hochspezifischen zytotoxischen T-Zellen. Der Code für die Erkennung und für den Schutz der körpereigenen Strukturen ist das so genannte MHC-System. MHC (Major Histocompatibility Complex) steht für eine Gruppe von Genen, die für die Produktion bestimmter Proteine zuständig sind. Diese dienen als Erkennungsmerkmale für das Abwehrsystem. Die beim Menschen auch als HLA-System (Humanes Leukozytenantigen-System) bezeichneten Antigene an den eigenen Zellen lassen das Immunsystem erkennen: Hier RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 14 AUTOIMMUNERKRANKUNGEN handelt es sich um eine zum Körper gehörige Struktur. Die T-Zellen werden im kindlichen Thymus darauf geschult, diese eigenen Zellen zu erkennen und zu tolerieren. Dieses System ist in der heutigen Medizin von großer Bedeutung, wenn es etwa darum geht, im Rahmen einer Nieren- oder Knochenmarktransplantation einen kompatiblen Spender zu finden. Denn als körperfremd erkannte HLA-Merkmale werden vom Immunsystem angegriffen, ein verpflanztes Organ wird abgestoßen. Das MHC-System, speziell das MHC-Klasse 1-System, ist auch für die Identifizierung eigener, jedoch veränderter Körperzellen wichtig. Beispielsweise kann ein Virus eine körpereigene Zelle befallen und sich in das Genom einnisten. Nun beginnt es diese befallene Zielzelle auf Virusproduktion umzuprogrammieren. Damit ist sie eine potentiell gefährliche Zelle in unserem Körper und muss vom Immunsystem zerstört werden. „Es ist völlig egal, welche Zelle das ist und wie wichtig diese Zelle ist. Diese Zelle muss zerstört werden“, so der Immunologe Hannes Stockinger. Um körpereigene Zellen zu zerstören, gibt es in unserem Organismus zwei Zelltypen - die bereits erwähnten natürlichen Killerzellen und die zytotoxischen T-Zellen. Der Code für beide ist das MHC-Klasse 1-System. Bestens gerüstet gegen Angreifer Das angeborene Immunsystem, diese erste effektive Antwort auf einen Erreger, verändert sich nicht. Sie ist in jedem Menschen, von der Geburt bis zum Tod, in derselben Form vorhanden. Dazu zählen die Haut als Barriere, die Makrophagen u nd Granulozyten, die die Eindringlinge eliminieren können, die dendritischen Zellen und auch das so genannte Komplementsystem. Dieses besteht aus einer Reihe im Blutplasma gelösten Proteinen, die sich an die Oberfläche der Krankheitserreger haften. Die Eiweiße können diese Keime einerseits direkt zerstören oder sie für die Abwehrzellen des Körpers leichter erkennbar machen und diesen die Bekämpfung erleichtern. Im Gegensatz zum angeborenen Abwehrsystem steht die voraussehende oder auch adaptive Immunantwort des Körpers. Dieses System hat, wie Hannes Stockinger erklärt, die Fähigkeit, praktisch „alles auf dieser Welt zu erkennen. Diese Erkennungsvielfalt wird durch einen Mechanismus von Genrekombination erreicht, das heißt, es werden hier kleine Genstückchen miteinander vermischt und ausgetauscht. Durch einen ausgeklügelten Mechanismus kann mehr oder weniger eine unendliche Vielfalt an Erkennungsstrukturen, die wir als Antigenrezeptoren bezeichnen, hergestellt werden.“ Diese Unendlichkeit ist aber in einem Individuum beschränkt. Schließlich kann ein Mensch nicht aus unendlich vielen Zellen bestehen. Vielmehr handelt es sich um eine Größenordnung von rund 10 hoch 14, also hundert Billionen Zellen. RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 15 AUTOIMMUNERKRANKUNGEN Kleines Zahlenspiel zum Immunsystem Von diesen 10 hoch 14 Körperzellen sind natürlich nicht alles Immunzellen, sondern nur in etwa 10 hoch 12. Und von diesen sind wiederum nur rund 10 hoch 11 Zellen Lymphozyten, also T- und B-Zellen, mit den entsprechenden Antigenrezeptoren. Fast alle dieser unterschiedlichen Zellen exprimieren unterschiedliche Antigenrezeptoren. Hannes Stockinger: „Man schätzt, pro einer Spezifität gibt es vielleicht 100 Zellen in unserem Körper. Das bedeutet, jeder von uns hat ein Spezifitätsbouquet von in etwa 10 hoch 9.“ Anders ausgedrückt: Jeder von uns hat die Fähigkeit, rund eine Milliarde unterschiedlicher Pathogene zu erkennen. Das Immunsystem sieht gewissermaßen Krankheitserreger schon voraus. Die entsprechenden auf die pathogenen Keime abgestimmten Waffen sind bereits lagernd, wenn auch nur in einer geringen Anzahl. Dringt also in unseren Körper ein Krankheitserreger ein, so beginnen diese 10 bis 100 Zellen, die diesen Krankheitserreger erkennen, zu wachsen, zu proliferieren, um dann in einer entsprechend großen Zahl den Krankheitserreger zerstören zu können. Sind die Mikroorganismen zerstört, so müssen auch diese Zellen sich selbst zerstören: Apoptose nennt man diesen so genannten programmierten Zelltod. „Ansonsten würden wir letztendlich, wenn wir 60 oder 70 Jahre alt sind, nur aus T - und B-Zellen bestehen, die wir im Laufe der Zeit in unserem Körper anzüchten“, so der Immunologe Hannes Stockinger. Es bleibt jedoch eine kleine Zellpopulation über, die Gedächtniszellen, die für eben diesen Krankheitserreger geschärft sind. Dies ist auch das Prinzip der Impfung. Dabei wird versucht, durch die Simulierung einer Krankheit - der Erreger wird in abgeschwächter oder auch abgetöteter Form verabreicht - einen so genannten „Immune-Response“ auszulösen, also gegen einen Krankheitserreger geschärfte Gedächtniszellen in unserem Körper heranzuzüchten. Damit ein neu geborener Mensch nicht schutzlos den Krankheitserregern ausgeliefert ist, bekommt er bereits eine Art immunologisches „Start-Paket“ mit ins Leben. Babys sind dabei durch zweierlei Mechanismen einer natürlichen passiven Immunisierung durch Gabe von Antikörpern über die Mutter geschützt. Einerseits wird bereits das Ungeborene über die Plazenta mit Antikörpern versorgt. Das Kind beginnt also sein Dasein mit den gleichen Antikörpern und damit dem gleichen Schutzrepertoire, wie die Mutter. Später gibt die Mutter dem Säugling weiterhin Antikörper über die Muttermilch, die reich an Antikörpern - allen voran der Klasse IgA - und anderen Schutzsubstanzen ist. RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 16 AUTOIMMUNERKRANKUNGEN WENN VIREN DAS IMMUNSYSTEM LAHM LEGEN HIV/AIDS Antikörper bildet das Immunsystem eine Zeit lang auch, nachdem das HI-Virus, das Humane Immundefizienz-Virus in den menschlichen Körper eingedrungen ist. In diesem Fall reicht diese Maßnahme aber nicht aus, um die Gefahr zu dämmen. Das HIVirus befällt eine spezielle Art von Immunzellen und führt, wenn diese Zellen auf eine bestimmte Anzahl absinken, zu AIDS - englisch „Acquired immunodeficiency syndrome“, zu deutsch „erworbenes Immundefektsyndrom“. Neben AIDS kennt die Medizin noch eine Reihe weiterer Immundefekte (angeborene oder erworbene), also die eingeschränkte Fähigkeit des Immunsystems, sich gegen Pathogene zur Wehr zu setzen. Kennzeichnend für sie alle ist, dass Abwehrzellen und/oder Antikörper Zielscheibe eines Krankheitserregers sind. Dendritische Zellen und T-Helferzellen im Visier Das HI-Virus befällt zwei verschiedene Zelltypen, die entscheidend sind für die adaptive Immunantwort. Zum einen die dendritischen Zellen, welche durch ihre Fähigkeit, im Körper umherzuwandern, das Virus verteilen. Hauptziel des HI-Virus sind die T-Helferzellen, jene Zellen, deren Aufgabe es ist, andere Zellen bei ihrer Arbeit zu unterstützen, zum Beispiel die Makrophagen oder die B-Zellen bei der Antikörperproduktion. „Es ist völlig egal, welche Zelle es ist in unserem Körper, die von einem Virus befallen ist. Jede Zelle, die von einem Virus befallen ist, ist potentiell gefährlich, weil sie ja jetzt Viren produziert, und muss zerstört werden“, so Univ.-Prof. Dr. Hannes Stockinger vom Zentrum für Pathophysiologie, Infektiologie und Immunologie der Medizinischen Universität Wien. Mit anderen Worten: Es bleibt den zytotoxischen T-Zellen, den Schwesterzellen der THelferzellen, nichts mehr anderes übrig, als ihre eigenen Schwestern, die THelferzellen, zu zerstören. Der Körper gibt nicht auf Zwar werden T-Helferzellen vom HI-Virus ab seinem Eintreten in den menschlichen Körper kontinuierlich zerstört, dennoch gelingt es dem Körper einige Jahre lang, diese durch die Produktion von neuen Zellen zum größten Teil zu ersetzen, sodass Infizierte in der Regel auch lange keine gravierenden körperlichen Symptome aufweisen. Bleibt eine HIV-Infektion unbehandelt, sinkt die Zahl der T-Helferzellen aber kontinuierlich ab. Unterschreiten diese Zellen den Grenzwert von 200 pro Mikroliter, treten schwere Infektionen auf, die als „AIDS defining events“ bezeichnet werden. RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 17 AUTOIMMUNERKRANKUNGEN Sehr oft handelt es sich dabei um eine so genannte Pneumozystis-Pneumonie, eine schwere Form von Lungenentzündung oder eine Zytomegalie, das ist eine Infektion mit für gesunde Menschen harmlosen Zytomegalie-Viren. Auch Tumoren sind eine häufige Folge eines durch AIDS geschwächten Immunsystems. WENN BLUTZELLEN ENTARTEN - DIE LEUKÄMIE In seiner Funktion stark beeinträchtigt wird das Immunsystem auch bei der Leukämie. Hier ist es aber kein von außen einwirkendes Pathogen, dass dem Immunsystem schadet. Bei der akuten Leukämie kommt es dazu, dass das Knochenmark Leukämiezellen im Übermaß produziert und es dadurch zu einer verminderten Produktion von roten Blutkörperchen, sowie von Blutplättchen, also von Thrombozyten, kommt, aber auch zu einer verminderten Produktion von funktionstüchtigen Leukozyten - hier insbesondere von neutrophilen Granulozyten. Die Symptome der Leukämie Die zunehmende Beeinträchtigung des Knochenmarks bei der Produktion normaler Zellen führt schließlich zu den typischen Symptomen der akuten Leukämie. Durch die starke Einschränkung in der Produktion von roten Blutkörperchen weisen Betroffene Symptome einer Blutarmut auf. Sie sind müde, schwindlig und neigen zu Kopfschmerzen. Aufgrund der verringerten Produktion von Blutplättchen, die für die Blutgerinnung mitverantwortlich sind, neigen die Patientinnen und Patienten wiederum zu Blutungsneigung. Schließlich sind Menschen mit Leukämie häufig von Infektionen, in erster Linie von bakteriellen, betroffen. Der Grund: die verminderte Produktion von funktionstüchtigen weißen Blutkörperchen. Behandlungsstrategien Mehrere Chemotherapiezyklen sollen verhindern, dass das Knochenmark weiterhin bösartige Leukämiezellen bildet. Im Idealfall haben die Betroffenen im Anschluss an die Behandlung wieder ein normales Blutbild und somit ein funktionierendes Immunsystem. Bei besonders bösartigen Leukämieformen besteht auch die Möglichkeit einer Knochenmarktransplantation. RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 18 AUTOIMMUNERKRANKUNGEN AUTOIMMUNERKRANKUNGEN – WENN SICH DAS ABWEHRSYSTEM GEGEN DEN KÖRPER RICHTET So sinnvoll und überlebensnotwendig die Aufgabe des Immunsystems zur Bekämpfung von Infektionen auch ist, so kann sich gerade diese Effizienz dramatisch auswirken, wenn Strukturen des eigenen Körpers als fremd missinterpretiert und bekämpft werden. Obwohl die Ursache für solche fatalen Fehlentscheidungen des Abwehrsystems noch nicht geklärt ist, dürften genetische Faktoren eine wesentliche Rolle bei den autoaggressiven Prozessen spielen. Es kommt zu Entzündungen, die den gesamten Organismus betreffen und schwerwiegend schädigen können. Definition der Autoimmunerkrankungen Bei einer Vielzahl von Erkrankungen gibt es solche autoimmunologischen Prozesse, die sich in der Haut, den Gelenken oder im Gefäßsystem abspielen können. So umfasst der Überbegriff „Autoimmunerkrankungen“ dutzende unterschiedliche Beschwerdebilder, bei denen Immunvorgänge eine Rolle spielen: Von der Multiplen Sklerose bis zur Rheumatoiden Arthritis, vom Morbus Crohn bis zur Zöliakie, von der Gefäßkrankheit des Morbus Wegener bis zum Diabetes mellitus Typ 1 - bei all diesen Krankheiten greift die Immunabwehr den eigenen Körper an. „Echte“ Autoimmunerkrankungen Der Begriff Autoimmunerkrankung wird von der medizinischen Disziplin Immunologie zunehmend enger gefasst, wie der Immunologe Univ.-Prof. Dr. Gerhard Zlabinger von der Österreichischen Gesellschaft für Allergologie und Immunologie erklärt. Bei der neuromuskulären Erkrankung Myasthenia gravis, dem Goodpasture Syndrom, das die Nieren und die Lunge betrifft oder dem Schilddrüsenleiden Morbus Basedow richtet sich das Abwehrsystem tatsächlich gegen körpereigne Strukturen. Ohne erkennbare Ursache werden Antikörper gegen Strukturen des Körpers gebildet und daraufhin kommt es zu einer Reaktion bestimmter Abwehrzellen, nämlich der T-Zellen, die das körpereigene Gewebe dann zerstören. Krankheiten mit autoimmunologischen Vorgängen Bei vielen anderen Erkrankungen aus dieser Gruppe dürften erst auf der Basis bereits vorgeschädigter Organe Autoantikörper gebildet werden. So ist die Ursache nicht primär in der Antikörperbildung zu sehen, sondern in einer Dysregulation, die über Gewebsschädigungen zu einer Immunreaktion führt, die zusätzlich das Krankheitsbild verstärkt. Man spricht daher in diesen Fällen von „Erkrankungen unter Beteiligung immunologischer Mechanismen“. Auch im Rahmen einer Infektion kann es zur Bildung von gegen den eigenen Organismus gerichteten Antikörpern kommen. RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 19 AUTOIMMUNERKRANKUNGEN In der klinischen Praxis haben derartige Unterscheidungen jedoch kaum eine Relevanz. Allerdings kann versucht werden, bei Vorliegen einer primär entstandenen Autoimmunerkrankung, wie bei Myasthenia gravis, gezielt die Autoantikörper aus dem Körper zu entfernen. Dieser Vorgang wird als therapeutische Plasmapherese bezeichnet und stellt eine Art der Blutwäsche dar, bei der die Antikörper über selektive Membranen herausgefiltert werden. Quelle: Deutsche Gesellschaft für Autoimmun-Erkrankungen e.V. http://www.autoimmun.org/erkrankungen_von_a_bis_z.php LUPUS ERYTHEMATODES: DAS CHAMÄLEON UNTER DEN KRANKHEITEN Der systemische Lupus erythematodes gehört zu den Kollagenosen, also Erkrankungen, die das Bindegewebe betreffen. Vor allem Frauen im jüngeren Erwachsenenalter sind betroffen. Systemisch bedeutet dabei, dass der ganze Körper in Mitleidenschaft gezogen ist. Die Symptomatik ist dabei so unterschiedlich, wie die Organe, die er befallen kann. Gerade weil er sich so mannigfaltig äußern kann und verschiedenste Krankheiten „nachahmen“ kann, wird er auch als das Chamäleon unter den Krankheiten bezeichnet. Es gibt jedoch auch Formen, die sich nur auf die Haut beschränken. Schwierige Diagnostik Die Diagnostik ist aufgrund der mannigfaltigen Beschwerden naturgemäß schwierig. Oft liegen sehr unspezifische Symptome vor. Müdigkeit, Abgeschlagenheit und Gewichtsverlust können am Beginn stehen. Missempfindungen des Bewegungsapparates sind ebenso möglich. Manchmal kann eine Rötung an den Wangen und an der Nase, die so genannte „Wolfsröte“ (Lupus ist die lateinische Bezeichnung für Wolf) einen Hinweis auf das Vorliegen der Erkrankung geben. Andere Formen des Lupus zeigen sich ebenfalls an der Haut. Oft verschlimmern sich die Hauterscheinungen durch Sonnenbestrahlung. Die meisten Betroffenen leiden zudem an Gelenksbeschwerden durch Entzündungen in diesen Bereichen. Gefährlich wird die Erkrankung durch den Befall der kleinen Blutgefäße und der Nierenkörperchen, also den kleinen Funktionseinheiten der Niere. Dieses Organ gilt, gemeinsam mit der Lunge, als das „Sorgenkind“ der Patientinnen und Patienten, die an Lupus leiden. Auch das zentrale Nervensystem kann befallen werden. RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 20 AUTOIMMUNERKRANKUNGEN Verdächtige Befunde Diagnostiziert wird ein Lupus erythematodes über die vorliegenden klinischen Symptome, das Beschwerdebild, sowie das Vorliegen antinukleärer Antikörper - vor allem Antikörper, die gegen die doppelsträngige DNA gerichtet sind. Als Marker-Antikörper gelten die Anti-SM-Antikörper, die gegen die Kernsubstanz und bestimmte Eiweiße gerichtet und für den Lupus erythematodes sehr spezifisch sind. Kombiniert mit dem Vorliegen einer entsprechenden Symptomatik, sowie Zeichen einer Gelenksentzündung oder einer Nierenstörung mit entsprechenden Harnsedimenten lässt sich der Verdacht erhärten. Nach den Kriterien der ACR (American College of Rheumatology), früher ARAKriterien, müssen vier der folgenden elf Punkte erfüllt sein: (nach W. Graninger) Schmetterlingserythem Diskoider Lupus (scheibenförmig erhabenes Exanthem/Hautausschlag) Fotosensibilität (Lichtempfindlichkeit) Gewebsdefekte an Mund und Nase Gelenksentzündung an zwei oder mehr Gelenken Lungenfell- oder Herzbeutelentzündung Nierenbeteiligung mit Proteinen im Harn Neurologische Veränderungen Veränderungen im Blutbefund: Bestimmte Form der Anämie, verminderte Anzahl an Blutplättchen und/oder weißen Blutkörperchen Immunologische Befunde: Autoantikörper gegen körpereigene DNS Antinukleäre (gegen Bestandteile des Zellkerns gerichtete) Antikörper Quellen: ACR-Kriterien - American College of Rheumatology http://www.rheumatology.org/ Univ.- Prof. Dr. Winfried Graninger – ACR Kriterien http://www.netdoktor.at/krankheiten/fakta/lupus_erythematodes.shtml Rheumatologie und Klinische Immunologie der Charité Berlin http://rheumatologie.charite.de/index/Category5/787.html;jsessionid=a8ef_feg_anf RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 21 AUTOIMMUNERKRANKUNGEN AUTOIMMUNERKRANKUNGEN DER HAUT Da die Haut ein Organ darstellt, das wichtige immunologische Aufgaben wahrnimmt, manifestieren sich eine Reihe von Autoimmunerkrankungen in diesem Bereich: Neben dem Lupus erythematodes, der viele Hautsymptome verursachen kann, zählen die Sklerodermie oder die Dermatomyositis ebenfalls zu dieser Gruppe. Auch bei der Weißfleckenkrankheit Vitiligo oder beim kreisrunden Haarausfall, der Alopecia areata, spielen autoimmunologische Prozesse eine große Rolle. Auf der Haut äußert sich etwa der Lupus erythematodes durch eine deutliche Sonnenempfindlichkeit, sowie die typischen „Schmetterlingserytheme“ im Gesicht. Der so genannte Hautlupus (CDLE) stellt eine mildere Form dieser Erkrankung dar. Bei der Sklerodermie sind neben Gelenks- und Muskelschmerzen auch eine auffallend glatte und straffe Haut zu finden. Man spricht in diesem Zusammenhang auch vom „Tabaksbeutelmund“ oder dem „Madonnenfinger“. Schluckbeschwerden können ebenfalls auftreten. Die Dermatomyositis äußert sich wiederum durch Muskelschwäche - die Betroffenen können mitunter die Arme kaum heben. Dazu gesellen sich muskelkaterartige Schmerzen, sowie livide, also blau-lila Hautveränderungen an den lichtexponierten Stellen, etwa den Augenlidern. Die Schuppenflächte, Psoriasis, hat starke autoimmunologische Komponenten, gilt jedoch nicht als Autoimmunerkrankung im engeren Sinn, wie Univ.-Prof. Dr. Beatrix Volc-Platzer von der Dermatologischen Abteilung des Sozialmedizinischen Zentrums Ost - Donauspital erläutert. Das Fach Dermatologie ist bei der Diagnose und Therapie von Autoimmunerkrankungen zumindest mitbeteiligt, vor allem wenn sich ein Großteil der Symptomatik an der Haut abspielt. Quelle: Leitfaden der Autoimmundiagnostik der ÖGAM und EASI European Autoimmunity Standardisation Initiative http://www.easi-network.com/ RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 22 AUTOIMMUNERKRANKUNGEN AUTOIMMUNERKRANKUNGEN: KOMPLIZIERTE DIAGNOSE Die Diagnose von Autoimmunerkrankungen ist oft schwierig. Neben dem Beschwerdebild werden auch die klinische Untersuchung und erst in dritter Instanz Laborwerte und bildgebende Verfahren in die Diagnostik einbezogen. Neben der Bestimmung von Entzündungsparametern und anderen gängigen Laborwerten müssen hier spezielle Untersuchungen durchgeführt werden, etwa Immunfloureszenztests zur Bestimmung von ANA (antinukleäre Antikörper), also Antikörper, die gegen Kernbestandteile der eigenen Zellen gerichtet sind. Alleine das Vorliegen von erhöhten ANA-Werten, zum Beispiel bei einem Lupus erythematodes, ist jedoch noch nicht aussagekräftig und eine zu rasche Diagnosestellung kann die Betroffenen in Panik versetzen, so Univ.-Prof. Dr. Hans-Peter Brezinschek von der Klinischen Abteilung für Rheumatologie der Medizinischen Universität Graz. Daher bedarf es bei entsprechendem Verdacht weiterer, sehr spezifischer Untersuchungen. Und selbst diese können einen klinischen Verdacht zwar erhärten, nicht jedoch alleine bestätigen. Bei Verdacht auf eine Rheumatoide Arthritis kann auch die Bestimmung des Rheumafaktors hilfreich sein. Doch auch dieser Wert ist nicht immer zu finden, beziehungsweise kann er im Rahmen anderer Erkrankungen erhöht sein. Unklares Beschwerdebild Bei Verdacht auf eine solche Erkrankung empfiehlt es sich daher, rasch einen Experten für diesen Bereich auszusuchen. Denn Diagnose und Behandlung erfordern viel Fachkenntnis und Erfahrung. Da Hausärztinnen und Hausärzte oft erste Anlaufstellen sind, hat die Österreichische Gesellschaft für Allgemeinmedizin (ÖGAM) gemeinsam mit der European Autoimmunity Standardisation Initiative (EASI) vor einem Jahr einen Leitfaden erstellt, der als Hilfestellung in der Praxis dienen soll. Quelle: Leitfaden der Autoimmundiagnostik der ÖGAM und EASI European Autoimmunity Standardisation Initiative http://www.easi-network.com/ RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 23 AUTOIMMUNERKRANKUNGEN NEUE THERAPIEN BEI AUTOIMMUNERKRANKUNGEN Galt früher die Gabe von Substanzen wie etwa Kortison, die eine überschießende Immunreaktion unterdrücken, als einzige Behandlungsoption, so setzt man nun auch auf gentechnologisch hergestellten Biopharmazeutika. Diese greifen modulierend direkt an den einzelnen Schnittstellen des Abwehrprozesses ein. Bahnbrechendes bei Rheumatoider Arthritis Besonders effektiv sind diese Substanzen bei der Rheumatoiden Arthritis. Expertinnen und Experten sprechen in diesem Fall von einer therapeutischen Revolution, da am Beginn des 21. Jahrhunderts nicht nur eine Verlangsamung der Gelenkszerstörung, sondern auch ein Stillstand des Krankheitsgeschehens bewirkt werden kann. Schließlich mussten Ärzte Ende der 1990er Jahre die Patientinnen und Patienten noch vertrösten. „Außer Topfenumschläge und Methotrexat hatten wir nicht allzu viel anzubieten“, erläutert der Rheumatologe Univ.-Prof. Dr. Hans-Peter Brezinschek von der Klinischen Abteilung für Rheumatologie der Medizinischen Universität Graz. Er bezeichnet die Fortschritte bei dieser entzündlichen Gelenkserkrankung als Quantensprung: „Heute sind wir der klinischen Remission schon sehr nahe.“ Immunmodulierend mit Biopharmazeutika eingreifen Als Basis wird zwar nach wie vor Methotrexat eingesetzt. Nun kommen jedoch auch Immunmodulatoren als Beisubstanzen zum Einsatz, wie etwa Levlunomid. Als besonders effektiv haben sich Medikamente erwiesen, die gezielt gegen den Entzündungsstoff TNF-alpha gerichtet sind. Dieser dürfte bei der Rheumatoiden Arthritis eine Schlüsselrolle spielen. Antikörper gegen diesen Entzündungsmediator, wie Infliximab, Adalumimab, der Rezeptorantagonist Etanercept oder das jüngst zugelassene Certolizumab haben das Behandlungsspektrum in den letzten Jahren deutlich erweitert. Als therapeutische Alternative zu TNF-alpha-Blockern gibt es Hemmer der KoStimulation der T-Zell-Lymphozyten, wie z.B. Abatacept. Diese Substanz ist für Patienten geeignet, die nicht oder nicht ausreichend auf die Behandlung mit TNF alpha Blockern reagieren. Neu ist auch der Interleukin 6 Rezeptor Antagonist Tocilizumab. Dazu kommen noch jene Medikamente, die die Lymphozyten direkt beeinflussen, wie der B-Zell depletierende Antikörper Rituximab. Zudem gehen die Rheumatologen heute wesentlich aggressiver vor. Das Motto heißt: möglichst früh in den Entzündungsprozess eingreifen. RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 24 AUTOIMMUNERKRANKUNGEN Mögliche Nebenwirkungen der neuen Substanzklassen TNF Blocker sind seit 10 bis 15 Jahren etabliert und werden, so der Rheumatologe Hans-Peter Brezinschek, im Wesentlichen auch gut vertragen. Vorsicht ist jedoch bei Personen geboten, die möglicherweise eine Tuberkulose haben. Diese infektiöse Lungenerkrankung muss zuvor ausgeschlossen werden, um Komplikationen zu vermeiden. Bezüglich der jüngsten Innovationen, der Interleukin 6 Antagonisten, gibt es noch keine Langzeitergebnisse. Es könnte, wie der Hans-Peter Brezinschek warnt, eventuell zu Problemen beim Fettstoffwechsel bzw. bei den weißen Blutkörperchen kommen. Die progressive Leukenzephalopathie ist als seltene, jedoch schwerwiegende, mitunter sogar tödliche Nebenwirkung bei der Verwendung von Rituximab zu nennen. Quellen: Deutsche Gesellschaft für Autoimmun-Erkrankungen e.V. http://www.autoimmun.org/erkrankungen_von_a_bis_z.php Rheumatologie und Klinische Immunologie der Charité Berlin http://rheumatologie.charite.de/index/Category5/787.html;jsessionid=a8ef_feg_anf Nun wollen wir das bereits erwähnte Erkrankungsbild der Rheumatoiden Arthritis noch genauer betrachten. DIE RHEUMATOIDE ARTHRITIS Wenn es in den Gliedern reißt und zwickt, wenn die Gelenke schmerzen oder die Hüfte wieder einmal unangenehm den Wetterumschwung prognostiziert, so spricht der Volksmund vom „Rheuma“. Tatsächlich umfasst dieser Begriff rund 400 unterschiedliche Erkrankungen. Eine sehr unangenehme chronische Erkrankung des rheumatischen Formenkreises ist durch eine Fehlsteuerung des Immunsystems verursacht: Die rheumatoide Arthritis, auch als chronische Polyarthritis bezeichnet. Dabei erkennt das Abwehrsystem die eigenen Strukturen als fremd und bekämpft sie mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln. Es kommt zu einer Entzündungsreaktion, vorwiegend in den Gelenken, ohne dass eine augenscheinliche Infektion, ein Erreger, diesen Prozess erforderlich gemacht hätte. Der Körper greift sich selbst an, man spricht von einer Autoimmunerkrankung. Rund 80.000 Österreicher sind von rheumatoider Arthritis betroffen. Eine Erkrankung, die für die Betroffenen mit einem meist starken Leidensdruck verbunden ist. Dabei kommt es zur Schwellung und Schmerzhaftigkeit der Gelenke, vor allem der kleinen RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 25 AUTOIMMUNERKRANKUNGEN Fingergelenke. Was diese Erkrankung im besonderen Maße auszeichnet, ist der Umstand, dass die Entzündungsphänomene zu einer Zerstörung der Gelenksstrukturen führen können. Starke Einschränkung der Lebensqualität „Die Konsequenz ist in vielen Fällen Invalidität“, so der Rheumatologe Univ.-Prof. Dr. Josef Smolen, vom Zentrum für Diagnostik und Therapie rheumatischer Erkrankungen des Krankenhaus Hietzing im 13. Wiener Gemeindebezirk. Eine weitere Konsequenz, dies gilt jedoch für viele chronisch-entzündliche Erkrankungen, ist die Verringerung der Lebenserwartung. „Wir wissen, dass eine nicht hinreichend behandelte Population von Patientinnen und Patienten mit einer rheumatoiden Arthritis oder chronischen Polyarthritis eine um bis zu zehn Jahre verringerte Lebenserwartung hat“, so Josef Smolen. Neben den Schmerzen und Schwellungen ist es vor allem die Steifigkeit der Gelenke, die den Betroffenen Probleme bereitet. Darüber hinaus fühlen sich die Patientinnen und Patienten oft sehr abgeschlagen und müde. Gelegentlich kommt es auch zum Auftreten von Fieber. In sehr schweren Fällen kann es im Rahmen einer unbehandelten rheumatoide Arthritis zu Krankheitserscheinungen außerhalb des Bewegungs- und Stützapparates kommen, wie zum Beispiel zu Gefäßentzündungen oder zu Lungenveränderungen. Wie bei vielen anderen entzündlichen Erkrankungen liegen die Ursachen noch weitgehend im Dunkeln. Dennoch ist die Rolle des Immunsystems bei der Entstehung der rheumatoiden Arthritis evident. Das Immunsystem richtet sich gegen den eigenen Körper Wie auch andere entzündliche Erkrankungen gilt die rheumatoide Arthritis, so Josef Smolen, als eine Autoimmunerkrankung. Also eine Krankheit, bei der sich das Abwehrsystem des Organismus gegen körpereigene Strukturen richtet. So können bei den Patientinnen und Patienten sehr häufig Auto-Antikörper nachweisen werden, also Antikörper, die gegen körpereigene Eiweißmoleküle gerichtet sind. Der bekannteste davon ist der so genannte Rheumafaktor - ein Antikörper, der sich selbst gegen andere Antikörper wendet. Auf diese Weise kann er Immunkomplexe bilden, wodurch die Entzündungsphänomene verstärkt werden. Es gibt aber auch eine ganze Reihe anderer, erst in den letzten zehn bis zwanzig Jahren entdeckter Antikörper. Dadurch konnte einerseits ein besserer Einblick in die Krankheitsentstehung gewonnen werden, diese Antikörper lassen sich andererseits aber auch diagnostisch verwenden. So gilt der Nachweis bestimmter Autoantikörper, also RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 26 AUTOIMMUNERKRANKUNGEN Antikörper gegen körpereigene Strukturen, als Teil der genauen Diagnose und Klassifizierung einer rheumatoiden Arthritis. Dennoch, so gibt Josef Smolen zu bedenken, kenne man nach wie vor nur einzelne Schritte, lediglich kleine Momentaufnahmen der Krankheitsentstehung, an deren Ende die Entzündung steht. Die Entzündung bewirkt eine verstärkte Produktion von Botenstoffen. Der wesentlichste ist der Tumornekrose-Faktor alpha (TNF-alpha). Auch Interleukin 1 und vor allem Interleukin 6 sind hier zu nennen. „Heute haben wir genau gegen diese Moleküle gerichtete Therapien, die hocheffizient bei der rheumatoiden Arthritis sind. Das heißt, wir wissen nicht nur aus dem Reagenzglas, dass diese Moleküle eine Bedeutung haben könnten, sondern wir haben die Bedeutung auch dadurch massiv untermauert, dass das Zielstrukturen der Therapie sind, und zwar sehr erfolgreiche Therapiestrukturen“, berichtet Josef Smolen über die aktuellen Forschungsergebnisse. Was läuft hier schief? Warum derartige Botenstoffe, die die Entzündung anheizen, in den Zellen produziert werden, was hier „schief“ läuft, ist im Detail noch nicht bekannt. Man nimmt jedoch an, dass regulatorische T-Lymphozyten, deren Aufgabe es wäre, das Immunsystem entsprechend in Zaum zu halten, zu schwach agieren. So könnte es, nach Interaktion mit einem für die Wissenschaftler noch unbekannten Fremdagens, zu einer Aktivierung des Immunsystems und damit der B-Lymphozyten kommen, die Antikörper und auch Auto-Antikörper produzieren. Auch Makrophagen, die Fresszellen, werden aktiv und schütten ihrerseits wieder Entzündungsbotenstoffe aus. Letztlich können aus Makrophagen auch Knochenfresszellen, Osteoklasten entstehen. Diese sind verantwortlich für die Destruktion des gelenknahen Knochens. Darüber hinaus führt die Entzündung, wie jede andere chronische Entzündung auch, zu einer Osteoporose fern des Gelenks und zu einer generalisierten Aktivierung der Knochenabbauvorgänge. Josef Smolen gibt sich hinsichtlich der Therapie zuversichtlich: „Das heißt, beherrschen wir die Entzündung, beherrschen wir nicht nur die Erkrankung, beherrschen wir nicht nur das Risiko einer frühzeitigen Mortalität, sondern beherrschen auch das Risiko einer Osteoporose.“ Vielseitige Behandlungsansätze bei Rheumatoider Arthritis Die Behandlung der rheumatoiden Arthritis richtet sich nach dem individuellen Krankheitsbild. Die wesentlichen Stützpfeiler sind neben der medikamentösen Behandlung vor allem physikalische Therapien, Krankengymnastik und Ergotherapie. RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 27 AUTOIMMUNERKRANKUNGEN Auch eine begleitende psychologische und soziale Unterstützung kann, aufgrund einer stark eingeschränkten Lebensqualität, angezeigt sein. Als Medikamente werden Schmerzmittel und entzündungshemmende Substanzen, wie Kortison, eingesetzt. Sie wirken symptomatisch, das heißt, sie lindern die Beschwerden, greifen jedoch nicht in den Krankheitsprozess ein. Da es bei einer Langzeitgabe von Kortison-Präparaten zu einer Reihe unerwünschter Nebenwirkungen kommen kann, ist man bemüht, diese Therapie eher kurz durchzuführen. Eine Behandlung mit langwirksamen Antirheumatika, früher als Basistherapie bezeichnet, soll die rheumatoide Arthritis an ihrem Fortschreiten hindern. So wird etwa Sulfasalazin nach wie vor sehr häufig eingesetzt. Von den so genannten synthetischen oder chemischen Basistherapeutika steht heute Methotrexat im Vordergrund. Dieses Medikament wird in der Krebstherapie in sehr hohen Dosen eingesetzt. Bei entzündlichen Erkrankungen, insbesondere bei der rheumatoiden Arthritis, wird es einmal wöchentlich, in niedrigen Dosen verwendet und gilt als hocheffizient. Neue Medikamente – effektiv, aber teuer Schließlich kamen, wie zuvor bereits erwähnt, in den letzten Jahren mit gentechnologisch hergestellten biologischen Substanzen, so genannten therapeutischen Biologika, neue Substanzen auf den Markt, die nun auch in Kombination mit den anderen Mitteln zur Anwendung kommen und den Betroffenen neue Hoffnung geben sollen. Josef Smolen dazu: „Wir haben mittlerweile neun Biologika zugelassen. Fünf davon sind gegen den Tumornekrosefaktor Alpha (abgekürzt TNF) gerichtet, eins gegen den Interleukin 6-Rezeptor, eins gegen die T-Zell Costimulationsmoleküle, und last, but not least, ein gegen B-Zellen gerichtetes.“ Diese Medikamente gelten vor allem in Kombination mit Methotrexat als sehr effizient. Sie sind jedoch auch sehr teuer. Bis zu 20.000 Euro müssen für eine solche Behandlung jährlich aufgebracht werden. Auf der anderen Seite gehen die internationalen Empfehlungen dahin, diese Medikamente einzusetzen, wenn andere Basistherapeutika versagt haben. Damit soll die Zerstörung der Gelenke und die daraus resultierende Invalidität reduziert werden. „Generell sollte man aber sagen, dass alle Biologika zu einer erhöhten Infektionsrate führen können im Vergleich mit Methotrexat. Es muss die Indikationsstellung daher natürlich sehr exakt geschehen. Diese Präparate sollten nicht bei Patienten eingesetzt werden, bei denen nur der Verdacht auf diese Erkrankung besteht, schon überhaupt nicht bei Patienten mit rheumatoider Arthritis, die bis dato keine Basistherapie, unter Hinzuziehung von niedrigen bis mittelhohen Dosen von Cortison erhalten haben“, gibt Josef Smolen zu bedenken. Alle diese Medikamente greifen auf unterschiedliche Weise, an verschiedenen Stellen des Entzündungsgeschehens ein. So wird es die große Herausforderung der Zukunft RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 28 AUTOIMMUNERKRANKUNGEN sein, festzustellen, wieso diese unterschiedlichen Wirkprinzipien zu oft ähnlichen klinischen Ergebnissen führen. Als noch größere Herausforderung sehen Rheumatologen, zu prognostizieren, wer auf welches Medikament besonders gut, und auf welches nicht ansprechen wird. Eine individualisierte, personalisierte Medizin als Medizin der Zukunft. ALLERGIEN Das Immunsystem trägt dafür Sorge, dass es den Organismus vor pathogenen, also krankmachenden, Erregern, schützt. Die Identifizierung von für den Körper gefährlichen Angreifern ist für das perfekte Funktionieren der Abwehr Grundvoraussetzung. Und ein gesundes Immunsystem kann üblicherweise zwischen „ungefährlichen“ und „bedrohlichen“ Angriffen unterscheiden. Manchmal kommt es jedoch dabei zu einer Fehlentscheidung, zu einer überschießenden Reaktion, in der das Abwehrsystem auch an sich harmlose Eindringlinge bekämpft. Diese inadäquate Antwort auf äußere Reize wird als allergische Reaktion bezeichnet und kann mitunter sogar lebensbedrohlich sein. Die Zahl der Allergikerinnen und Allergiker ist in den vergangenen Jahren dramatisch angestiegen. Waren vor einem halben Jahrhundert gerade einmal zwei Prozent der Bevölkerung an Allergien erkrankt, so sind mittlerweile 25 Prozent davon betroffen. „Eine Allergie ist eigentlich eine vollkommen unvernünftige Reaktion des Immunsystems, nämlich gegen Dinge, die vollkommen harmlos sind. Wenn wir hier Reaktionen gegen Baumpollen oder Hausstaubmilben haben, dies sind Dinge, die uns eigentlich nicht krank machen, wenn unser Immunsystem nicht unvernünftig reagieren würde“, so Univ.-Prof. Dr. Erika Jensen-Jarolim vom Institut für Pathophysiologie und Allergieforschung des Zentrums für Pathophysiologie, Infektiologie und Immunologie der Medizinischen Universität Wien. Schlüsselrolle IgE Im Rahmen einer allergischen Reaktion spielt eine bestimmte Klasse von Antikörpern, das Immunglobulin E, kurz IgE, eine besondere Rolle. Im Normalfall ist dieser Bestandteil des Abwehrsystems für den Schutz des Körpers vor Parasiten, wie etwa Würmern, zuständig. Diese IgE-Klasse ist in erhöhtem Ausmaß auch bei Personen zu finden, die an einer Allergie leiden. Diese IgE-Moleküle werden benötigt, um hocheffiziente Entzündungszellen, wie Mastzellen und die so genannten eosinophilen Granulozyten zu beladen, damit diese über die IgE-Moleküle Krankheitserreger besser erkennen können. Werden nun diese RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 29 AUTOIMMUNERKRANKUNGEN Abwehrzellen gegen harmlose Komponenten, wie Pollen oder Hausstaubmilben, „scharf gemacht“, werden sie für den eigenen Körper unangenehm, ja gefährlich. Gelangt ein an sich harmloses Antigen beim Einatmen etwa auf die Nasenschleimhaut, so trifft dieses auf die IgE-beladenen Zellen, wie die Mastzelle. „Diese Zellen beginnen sich dann auszuquetschen wie eine Zitrone, es werden lösliche Mediatoren, also Entzündungssubstanzen ausgeschüttet, und die führen rasch zu einer Entzündung im Gewebe“, so Erika Jensen-Jarolim. Die Symptome kommen im Blitztempo Die Reaktion erfolgt überaus rasch. Für einen Allergiker genügen oft schon die ersten wenigen Pollen im Frühling, schon beginnt die Nase zu rinnen. Dies ist typisch für die IgE-vermittelte Allergie. Innerhalb von Sekunden bis Minuten kommt es zu einer entzündlichen Reaktion der Schleimhäute oder des Organs, wo das Allergen eintritt. Grund für dieses rasche Auftreten der Symptome bei Allergikern ist die so genannte Sensibilisierung. Diese erfolgt oft unbemerkt nach dem ersten Kontakt mit einem körperfremden Stoff. Obwohl diese Allergene, etwa ein bestimmter Farbstoff oder Birkenpollen, keine Gefahr für den betroffenen Menschen darstellen, bereitet sich der Körper, wie bei jeder anderen Abwehrreaktion darauf vor, bei einem zweiten Kontakt rasch und effizient antworten zu können. Bei einem erneuten Kontakt mit dem auslösenden Stoff kann das Immunsystem bereits auf vorbereitete Antikörper zurückgreifen, die Reaktion erfolgt rasch und – wie die Allergiker aus leidvoller Erfahrung berichten können – auch überaus heftig. Und das Immunsystem hat ein hervorragendes Gedächtnis. Es kann sich noch nach Jahren an den ersten Kontakt mit einem bestimmten Agens erinnern. Über die IgE-Immunglobuline sind die Entzündungszellen potentiell bewaffnet. Gleich einer tickenden immunologischen Zeitbombe genügt ein geringer Anreiz von außen, um die Entzündungskaskade in Gang zu setzen. Warum eine solche Sensibilisierung überhaupt erfolgt, beginnen die Forscher langsam zu verstehen. Zu viel Hygiene begünstigt Allergien Mitunter könnten Umweltfaktoren eine Rolle spielen. Erika Jensen-Jarolim: „Allergene werden dadurch mitunter gefährlicher. So können sich Ozon oder Abgaspartikel an Pollen haften oder die Pollenkörner derart verändern, dass diese aggregieren und sich größere Klumpen bilden. Solchermaßen veränderte Pollen und andere Allergene haben ein erhöhtes Potential, zu sensibilisieren.“ Hohe hygienische Standards in den modernen Industriegesellschaften verhindern zudem in vielen Bereichen den Kontakt zu natürlichen Schmutzbakterien. Daraus resultiert die RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 30 AUTOIMMUNERKRANKUNGEN so genannte Hygienehypothese: Da unser Immunsystem zu wenig trainiert wird, richtet es sich mitunter plötzlich gegen harmlose Fremdsubstanzen. So wurde beobachtet, dass Kinder, die auf Bauernhöfen aufwachsen, die sehr früh mit einer Reihe potentiell allergener Substanzen in Kontakt kommen, ein geringeres Risiko aufweisen, im späteren Leben an einer Allergie zu erkranken. Gründliche Diagnose bei Allergien Diagnostisch können sich die Betroffenen, wie es heißt „austesten“ lassen. Eine Reihe von Tests gibt Aufschluss über die Art des allergischen Geschehens. Bei den sehr sensitiven Tests können im Patientenblut IgE gegen bestimmte Allergene gefunden werden. Die IgE Antikörper können einzelne Allergene hochspezifisch erkennen. Auch Hauttests beruhen darauf, dass die Immunglobuline der Klasse E bereits an den Zellen sitzen, die auch in die Haut gehen und dort ansässig sind. Mittlerweile kann die tatsächliche allergene Komponente einer natürlichen Allergenquelle in Reinform gentechnisch hergestellt werden. Damit lässt sich feststellen, gegen welchen Bestandteil, etwa eines Birkenpollenextrakts, eine Person allergisch reagiert. Durch den Einsatz dieser gentechnisch hergestellten Allergiemoleküle in neuartigen Testmethoden, wie den modernen Allergen-Chips, lässt sich mit nur einem Tropfen Patientenblut eine Vielzahl von Allergien diagnostizieren. Viele Faktoren können das Entstehen von Allergien begünstigen oder den Verlauf der Erkrankung beeinflussen. Dabei spielt, so Erika Jensen-Jarolim, auch die Art und Weise, wie man sich sensibilisiert, eine Rolle. Nicht immer ist klar, auf welche Substanz ein Mensch allergisch reagiert. Häufig leiden etwa von einer Pollenallergie Betroffene zusätzlich auch an einer Nahrungsmittelallergie. Neben ihren typischen Beschwerden während der Blüteperiode im Frühling verspüren sie oft auch Symptome, wenn sie bestimmte Nahrungsmittel essen. Dem liegt eine so genannte „Allergen-Gemeinschaft“ zwischen botanisch verwandten pflanzlichen Nahrungsmitteln und Pollen zu Grunde. Dieses Phänomen bezeichnet man als Kreuzallergie. Die beste Therapie ist die Vermeidung Die wichtigste therapeutische Maßnahme ist es, die auslösende Ursache zu meiden. Mag dies jedoch bei gewissen Nahrungsmittelallergien, wie etwa gegen Erdnüsse, im täglichen Leben noch funktionieren, so sieht dies bei Allergien gegen Gräserpollen, Hausstaubmilben, Tierhaare oder auch Latex etwas anders aus. Im Notfall gilt es, der durch die fehlgeleitete immunologische Reaktion entstandenen Entzündung rasch entgegenzuwirken, vor allem, wenn der Zustand lebensbedrohlich RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 31 AUTOIMMUNERKRANKUNGEN werden könnte. Bei einer Insektengiftallergie muss sofort gehandelt und die Entzündungskaskade medikamentös unterbrochen werden. Es besteht jedoch auch die Möglichkeit, dem Immunsystem beizubringen, dass es den als Feind erkannten Fremdstoff toleriert. Mit der spezifischen Immuntherapie oder Desensibilisierung steht eine tatsächlich ursächliche Behandlung zur Verfügung. Über eine Spritzen- oder Tablettenkur werden dem Patienten über eine längere Zeit hinweg geringe Mengen des Antigens verabreicht, bis das Immunsystem sich mit dem Fremdstoff abgefunden hat. In den kommenden Jahren soll eine echte Allergie-Impfung zur Verfügung stehen, bei der versucht wird, die speziellen Immunglobuline selbst zu neutralisieren. TUMORIMMUNOLOGIE Die Aufgabe des Immunsystems beschränkt sich nicht nur darauf, auf möglicherweise gefährliche Erreger von außen zu reagieren und diese über Entzündungsreaktionen unschädlich zu machen. Vielmehr ist es auch in der Lage zu überprüfen, ob körpereigene Zellen durch Veränderungen eine Gefahr für den Organismus sein könnten. Dies kann der Fall sein, wenn eine Zelle von einem Virus befallen ist oder sie sich den Kontrollmechanismen von außen entzieht – wie dies bei einer Krebserkrankung der Fall ist. Das Wachstum von Zellen in unserem Körper ist im Normalfall reguliert und unterliegt einer Reihe von Kontrollmechanismen. Es kann aber dazu kommen – sei es umweltbedingt oder durch genetische Defekte – dass eine Zelle für bestimmte Wachstumsfaktoren empfänglich wird, sodass sie beginnt, zu proliferieren, sich rascher zu teilen. Wenige Tumorzellen hat das Abwehrsystem im Griff Solche „entartete“ Zellen kommen immer wieder im Körper vor. Mit einer kleinen Anzahl kommt das Immunsystem gut zurecht. „Solche Tumorzellen verfügen über mehr Wachstumsfaktoren an der Oberfläche, oder sie haben ein anderes Oberflächenmuster. Dies ist eine Art Gefahrensignal für unser Immunsystem“, erklärt Univ.-Prof. Dr. Erika Jensen-Jarolim vom Institut für Pathophysiologie und Allergieforschung des Zentrums für Pathophysiologie, Infektiologie und Immunologie der Medizinischen Universität Wien. Daher können solche einzelnen Tumorzellen, so sie in einer niedrigen Dichte vorhanden sind, vom Abwehrsystem ausgeschaltet werden. RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 32 AUTOIMMUNERKRANKUNGEN Vermehren sich diese Zellen jedoch, beginnen diese Tumorstammzellen zu wuchern und sich zu verteilen, so beginnt die Abwehr zu versagen. Zwar ist auch dann noch eine Immunreaktion im Körper vorhanden, diese ist aber leider nicht immer wirksam, da der Tumor ein sehr starkes Wachstumssignal hat. Zudem gibt es Faktoren aus der Entzündung, die den Tumorzellen helfen, selbst mehr Blutgefäße zu bilden und damit das eigene Wachstum zu unterstützen. Außerdem tarnt sich die maligne Zelle mit körpereigenen Proteinen, um vom Immunsystem nicht erkannt zu werden. Monoklonale Antikörper Auf die Erkennung der befallenen Zellen zielt die moderne Krebstherapie ab. Die heutigen „Blockbuster“ der immunologischen Tumortherapie stellen monoklonale Antikörper dar. Dabei handelt es sich um Immunglobuline, die man rekombinant, also künstlich erzeugt. Sie sind gegen ganz bestimmte Teile der Tumorzellmembran gerichtet. Werden sie in den Körper der Krebspatienten eingebracht, so können sie den Tumor hochspezifisch finden und in einem zweiten Schritt die Immunabwehr einleiten. So können Abwehrzellen, die durch diese Markierung den Tumor auch finden, ihre Funktion ausführen. Es gibt bereits eine Reihe von Medikamenten, die aus derartigen Antikörpern etwa gegen Brust- oder Darmkrebs bestehen. Die Immunglobuline, die zur Immuntherapie bei Krebs heute eingesetzt werden, gehören zur Immunglobulin G-Klasse. Eine andere therapeutische Möglichkeit könnte darin bestehen, die eingebrachten Antikörper mit einem Botenstoff, wie Zytokin zu versehen, der das Immunsystem weiter stimuliert und damit die Krebszellen zerstört. Tumorimpfung in Sicht? Da der Körper selbst auf Tumorzellen immunologisch reagiert, versucht man nun Strategien zu entwickeln, diese Immunantwort auszunutzen und zu stärken. Dies geschieht im Feld der Tumorvakzine, also der Tumorimpfungen. Durch diese Impfungen soll das körpereigene Immunsystem auf die Krebszellen sensibilisiert werden, um damit selbst mit den bösartigen Zellen zu Rande zu kommen. Erika Jensen-Jarolim, die seit über 20 Jahren in der Allergieforschung tätig ist, stieß oftmals auf die Frage, welche Rolle die bei einer Allergie erhöhten Immunglobuline der Klasse E beim Menschen spielen könnten. Einzelne Studien wiesen zudem darauf hin, dass es eine Verknüpfung zwischen diesen Antikörpern und einem Krebsgeschehen geben könnte. Ist dieses IgE, das den Allergikern so zu schaffen macht, vielleicht ein Heilmittel gegen Krebs? RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 33 AUTOIMMUNERKRANKUNGEN Allergie und Krebs „Es liegen Befunde vor, wonach Immunglobuline der Klasse E gegen Tumorantigene, also gegen Krebszellen vorkommen“, so Erika Jensen-Jarolim. „Diese IgE gegen Tumor-Antigene konnten sogar isoliert werden. Unter Laborbedingungen fand man heraus, dass diese tatsächlich die Funktion haben, Tumorzellen umzubringen.“ Diese Immunglobulinklasse E setzt sich sofort an die Effektorzellen, an die Mastzellen und an die eosinophilen Granulozyten. Diese dienen als perfekte Shuttlesysteme, um die IgE-Moleküle auch ins Gewebe und an den Tumor zu bringen. Der Rückschluss, dass Allergiker, die ja hohe IgE-Werte aufweisen, damit besser gegen Krebs geschützt sind, könne jedoch, so Erika Jensen-Jarolim, nicht gezogen werden. Dazu wären Studien mit sehr hohen Patientenzahlen nötig. Krebs: Hoffungsträger IgE? „Mein Ziel ist, aus diesem Zusammenhang zu lernen und immunologische Strategien zu entwickeln, wo wir IgE-Moleküle erzeugen, die gegen Tumor-Antigene gerichtet sind“, berichtet Erika Jensen-Jarolim. „Und das ist uns jetzt gelungen. In Zusammenarbeit mit internationalen anderen Gruppen haben wir z.B. IgE-Antikörper in der Hand, die Herceptin-Antikörper sind, also die eigentlich gegen den Brustkrebs gerichtet sind. Und mit diesen Antikörpern planen wir vergleichende Studien, um jetzt wirklich genau zu belegen, ob IgE besser als IgG ist.“ Die Hinweise, dass IgE effektiver, als die derzeit eingesetzte Klasse der IgG sind, mehren sich. Da sie viel fester an den Entzündungszellen haften, können diese Immunglobuline in weitaus kleineren Mengen wirken. Dies wäre auch von großem praktischem Nutzen. Denn die heutigen Immunglobulintherapien verursachen enorme Kosten. Viele Patienten bekommen diese Immunantikörper-Therapien daher, so die Forscherin, auch recht spät. Man geht davon aus, dass man im Vergleich zum gängigen IgG, mit weitaus geringeren Mengen an IgE auskommt, da sich die Klasse als weitaus wirksamer erweist. Wir bedanken uns bei Univ.-Prof. Dr. Hannes Stockinger für seine Hilfe bei der Erstellung dieser Infomappe! RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 34 BUCHTIPPS BUCHTIPPS Christine Schütt, Barbara Bröker Grundwissen Immunologie Spektrum Akademischer Verlag, 2. Auflage 2009 Oliver Schmetzer BASICS Immunologie Verlag Elsevier 2009 Mathias Manych, Georg E. Vogel Starkes Immunsystem: Wie es uns schützt - wie wir es unterstützen Verlag Trias 2010 Lutz Bannasch, Beate Junginger Die Körper-Geist-Seele-Formel: Ganzheitliche Heilung aus dem Immunsystem Verlag Gräfe & Unzer 2009 Mathias Schneider Lupus Erythematodes: Information für Erkrankte, Angehörige und Betreuende Verlag Steinkopff 2004 Daniela Loisl und Rudolf Puchner Diagnose Rheuma: Lebensqualität mit einer entzündlichen Gelenkerkrankung Verlag Springer Wien 2008 Jörn Klasen Autoimmun-Erkrankungen: Den Gegner im eigenen Körper besiegen Der neue Weg der Ganzheitsmedizin Verlag Trias (erscheint im April 2011) Oliver Witzke und Uwe Heemann Leben mit Kollagenosen und Vaskulitiden: Ein Ratgeber für Patienten Verlag Zuckschwerdt 2007 RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 35 QUELLEN UND LINKS QUELLEN UND LINKS Das Immunsystem – Infos auf medizininfo.de http://www.medizinfo.de/immunsystem/start.htm Das Immunsystem bei einer Infektion http://www.sportprogesundheit.de/index.php?id=915 Das Immunsystem – Viele Teile verteidigen uns http://www.3sat.de/nano/glossar/immunsystem.html Immunsystem und Krebs http://www.krebsinformationsdienst.de/themen/grundlagen/immunsystem.php Krebs missbraucht Immunsystem http://www.scinexx.de/wissen-aktuell-8021-2008-04-01.html Das Immunsystem - Infos auf wikipedia http://de.wikipedia.org/wiki/Immunsystem Allergien – Aufruhr im Immunsystem http://www.test.de/themen/gesundheit-kosmetik/special/Allergien-Aufruhr-imImmunsystem-1492877-2492877/ Welche Arzneimittel unterstützen das Immunsystem? http://www.aponet.de/arzneimittel/gegen/geschwaechtesImmunsystem/AM_Immunsyst emsteig_Heilpflanzen.html Ernährung und Immunsystem http://www.eufic.org/article/de/artid/ernahrung-immunsystem/ Rheumatoide Arthritis http://www.rheuma-online.at/rol/a-z/r/rheumatoide-arthritis.html Deutsche Gesellschaft für Autoimmun-Erkrankungen e.V. http://www.autoimmun.org/ RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 36 QUELLEN UND LINKS Rheuma – Gelenke unter Beschuss http://www.focus.de/gesundheit/ratgeber/gelenkschmerzen/symptome/rheuma/rheuma_ aid_8109.html Selbsthilfegruppen http://www.rheumaliga.at/selbsthilfegruppen.html Systemischer Lupus erythematodes (SLE) http://www.onmeda.de/krankheiten/systemischer_lupus_erythematodes.html http://www.netdoktor.at/krankheiten/fakta/lupus_erythematodes.shtml Neues Fachgebiet AllergoOnkologie http://www.medical-tribune.at/dynasite.cfm?dsmid=81099&dspaid=632731 Akute Leukämie http://www.netdoktor.at/krankheiten/fakta/akute_leukaemie.shtml HIV-Infektion und AIDS http://www.netdoktor.at/krankheiten/fakta/hiv_aids.shtml RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 37 ANLAUFSTELLEN ANLAUFSTELLEN Österreichische Rheumaliga Mahlerstraße 3/2/7 A-1010 Wien Tel.: +43/699/15541679 E-Mail: [email protected] Homepage: http://www.rheumaliga.at/ Selbsthilfegruppe Lupus Erythematodes Wien Nachbarschaftszentrum Gumpendorf Bürgerspitalgasse 4-6 A-1060 Wien Tel.: +43/650/810 03 73 E-Mail: [email protected] Homepage: http://www.nachbarschaftszentren.at/ Selbsthilfegruppe SLE Linz Fr. Herta Keplinger Jägerstätterstraße 58 A-4040 Linz Tel.: +43/732/91 81 41 oder Tel.: +43/664/36 35 308 E-Mail: [email protected] Lupus Erythematodes Selbsthilfegruppe Steiermark c/o Eva Maria Hübler Lazarettgasse 29 A-8020 Graz Tel.: +43/676/585 44 51 (Mo-Fr 17.00 - 20.00 Uhr) E-Mail: [email protected] Homepage: http://www.les-steiermark.at/ SHG für an Lupus Erythematodes Erkrankte Kärnten Evelin Radocha Tel.: +43/650/666 62 40 Homepage: http://www.selbsthilfe-kaernten.at RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 38 STUDIOGÄSTE STUDIOGÄSTE In der Sendung Radiodoktor - Medizin und Gesundheit vom 10. Jänner 2011 sprachen: Univ.-Prof.in Dr.in Beatrix Volc-Platzer Sozialmedizinisches Zentrum Ost - Donauspital Dermatologische Abteilung Langobrdenstraße 122 A-1220 Wien Tel.: +43/1/288 02/4100 E-Mail: [email protected] Homepage: http://www.wienkav.at/kav/dsp/ Univ.-Prof. Dr. Gerhard Zlabinger Österreichische Gesellschaft für Allergologie und Immunologie Institut für Immunologie Borschkegasse 8a A-1090 Wien Tel.: +43/1/4277/64 901 E-Mail: [email protected] Homepage: http://www.oegai.org Univ.-Prof. Dr. Hans-Peter Brezinschek Medizinische Universität Graz Klinische Abteilung für Rheumatologie Auenbruggerplatz 15 A-8036 Graz Tel.: +43/316/385/12 645 E-Mail: [email protected] Homepage: http://www.meduni-graz.at/rheumatologie/ RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 39