Elternfra geb ö ge n zrrr er gänzen den Entwicklungsbeurteilung bei den kinderärztlichen Vorsorgeuntersuchungen U6 bis U9 EEE U6_U9 Manual Franz Petermann 'Thorsten Macha SwErs TEST SERVICES lnhalt Zusammenfassung..... Einleitung 6 Grundlagen der EEE U6-U9 3. 1 Historische Ansätze . 3.2 Weitere Vorüberlegungen 3.3 Aussagebereiche ... 3.4 Elteminformationen . 3.5 Erhebungszeitpunkte . . . 8 l0 11 l1 12 Konstruktion T4 4. 4.3 Item- und Skalenkennwerte 4.4 Gütekriterien t4 l5 l6 l6 Itemkataloge t7 Handhabuns 6.1 Protokollierung 6.2 Auswertung .... 6.3 Interpretation . .. 6.4 Indikation 6.5 Fallbeispiele ..... 22 22 22 Normen 7. I Itemschwierigkeiten 7.2 Skalenwerte ..... 31 31 Literatur JO I Stichprobe 4.2 Alterszeilraum bei der Datenerhebung 6 8 4,1 25 zo 34 I Zusammenfassung Die Elternfragebögen zur ergänzenden Entwicklungsbeurteilung bei den kinderärztlichen Vorsorgeuntersuchungen U6 bis U9 (EEE U6-U9) stützen sich auf die Eltemauskunft, um altersgemäß zu erwartende Verhaltensweisen eines Kindes abzubilden. Hierdurch wird es möglich, neben dem klinischen Eindruck aus der Untersuchungssituation auch die Alltagserfahrungen der Hauptbezugspersonen in die Einschätzung des Entwicklungsstandes einzubeziehen. Die EEE U6-U9 stellen für die Untersuchungen U6 bis U9 sowie zusätzlich fir den Alterszeitraum am Ende des dritten Lebensjahres (zwischen U7 und U8) spezifische Zusammenstellungen kindlicher Fertigkeiten zusammen, deren Erwerb jeweils für das entsprechende Lebensalter zu erwarten ist. Das Verfahren gliedert sich in die Bereiche ,,lebenspraktische Fertigkeiten" und ,,sozial-emotionale Entwicklung", die durch jeweils ca. I I bis l9 Fragen erhoben werden. Die Bearbeitung kann durch den begleitenden Elternteil nach der Vorsorgeuntersuchung innerhalb weniger Minuten im Wartezimmer erfolgen, für die Auswertung benötigt das Praxisfachpersonal weniger als zwei Minuten. Die individuellen Ergebniswerte werden zu aktuellen Altersnormen in Beziehung gesetzt, so dass neben dem persönlichen Eindruck des Arztes eine zusätzliche, ökonomisch zu erschließende Informationsquelle weiteres diagnostisches Vorgehen begründen helfen kann. 2 Einleitung Im Jahr 2000 konnte nach mehr als fünfähriger Konstruktionszeit der,,Allgemeine Entwicklungstest für Kinder von 6 Monaten bis 6 Jahre" (ET 6-6; Petermann & Stein, 2000) fertig gestellt werden. Seitdern hat das Verfahren besonders in die Diagnostik der Frühörderung, in Gesundheitsämtern, Kinderzentren sowie kinderärztliche Praxen Eingang, Akzeptanz und rasche Verbreitung gefunden. Der ET 6-6 bildet die Dimensionen der Körpermotorik und Handmotorik, der Kognitiven Entwicklung und Sprachentwicklung sowie der Sozialentwicklung und emotionalen Entwicklung ab. Es können somit mit dem ET 6-6 umfassende, differenzierende Entwicklungsprofile erstellt werden, auf deren Grundlage sich weiterführende Diagnostik begründen lässt sowie Fördermaßnahmen und Entwicklungsprognosen abgeleitet werden können. Dabei ist es gelungen, den zeitlichen Untersuchungsaufwand je nach Alter des Kindes auf zwischen l0 und 60 Minuten (für unauffüllige Kinder) zu begrenzen, wodurch der ET 6-6 für einen allgemeinen Entwicklungstest sehr ökonornisch ist. Dennoch ist der Untersuchungsaufwand für die Erstellung eines vollständigen Entwicklungsprofils nicht in allen Situationen zu leisten, in denen entwicklungsbezogene diagnostische Fragestellungen formuliert werden. Gerade im Rahmen der kinderärztlichen Vorsorgeuntersuchungen muss l.räufig schnell geklärt werden, wodurch auffüllige Verhaltensweisen eines Kindes begründet sind. den Eltemfragebögen zur ergänzenden Entwicklungsbeurleilung zu den Zeitpunkten der kinderärztlichen Vorsorgeuntersuchungen U6 bis U9 (EEE U6-U9) möchten wir dem Kinderarzt eine Explorationshilfe zur Entwicklungsbeurteilung an die Hand geben. Die EEE U6-U9 können in standardisierter Form den Prozess unterstützen, situativ bedingte auffiillige Verhaltensweisen eines Kindes in der Untersuchungssituation von Entwicklungsaufliilligkeiten zu unterscheiden. Mit Die hier vorliegenden Elternfragebögen basieren auf den Arbeiten zum ET 6-6. Für sämtliche Items dieser Fragebögen wurden im Zuge der Normierung des ET 6-6 bereits ,,Normen" erhoben. Gleichwohl kann bei den Itemzusammenstellungen fiir die EEE U6-U9 durchaus von Neukonstruktionen gesprochen werden, und zwar aus folgenden Gründen: o die Normieruns des ET 6-6 wurde zunächst an 950 Kindern realisiert. Die Normen der EEE U6U9 gehen aufdie Befragung von Eltem insgesamt weiterer 588 Kinder zurück; die Altersgruppen der EEE U6-U9 decken sich nicht mit den Altersgruppen des ET 6-6; die Gliederung des Altersbereichs (Anpassung der Altersgruppen an die Zeitpunkte der Vorsorgeuntersuchungen) stellt ein wesentliches Konstruktionsmerkmal der EEE U6-U9 dar, wodurch die hier vorgelegten Item- und Skalen-Kennwerte Neuberechnungen darstellen, der Bereich ,,Lebenspraktische Fertigkeiten" fand keinen Eingang in die Endversion des ET 6-6, und zwar aus folgenden Überlegungen: es ist mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass ein Kin( welches aufgrund motorischer oder kognitiver Beeinträchtigungen Probleme im Bereich alltäglicher Verrichtungen zeigt, bereits bei der unmittelbaren, standardisierten Testung auffüllig wird. lm Zuge der Testökonomie wurde also im ET 6-6 aufdie Erhebung dieser häufig redundanten Informationen verzichtet. Bei den ,,lebenspraktischen Fertigkeiten" der EEE U6-U9 handelt es sich also um ein neues Instrument. der ,,sozial-emotionale Bereich" der EEE U6-U9 setzt sich ausschließlich aus bereits veröffentlichten Items des ET 6-6 zusammen. Hierfür wurden die ltems aus den Dimensionen der Sozialentwicklung und der emotionalen Entwicklung des ET 6-6 neu gruppiert und somit dteser Verhaltensbereich einer Elternbefragung zugänglich gemacht. Die EEE U6-U9 entsprechen dem Wunsch von Kinderärzten, parallel zu den Vorsorgeuntersuchungen in standardisierter Form und auf ökonomische Weise Infomationen aus dem Lebensumfeld des Kindes erheben zu können. Häufig liefern die medizinischen Untersuchungen allein keinen klaren Aufschluss darüber, ob Entwicklungsaufl?illigkeiten vorliegen. Mangelnde Kooperation eines Kindes bei der Vorsorgeuntersuchung kann zum Beispiel aufrein situative Faktoren zurückzuführen sein (der Untersucher oder das Kind haben einen ,,schlechten Tag"), sie kann aber ebenso gut ein erlerntes Verhaltensmuster sein, mit dem ein zum Beispiel kognitiv beeinträchtigtes Kind aufindividuelle Überforderungen reagiefi. Mit den EEE U6-U9 kann bei solchen Kindem, bei denen die durchgeführlen medizinischen Untersuchungen keinen klaren Ausschluss über Entwicklungsauffiilligkeiten erlauben, das Elternwissen für die Entwicklungseinschätzung genutzt werden. Die Fragebögen können vom begleitenden Elternteil eines Kindes innerhalb weniger Minuten im Wartezimmer ausgefüllt werden, die Auswertung kann vom Praxisfachpersonal durchgeführt werden und nimmt weniger als zwei Minuten in Anspruch. Somit wird dem Untersucher ein rascher Überblick über eine große Zahl von Basis- und Folgesymptomen vieler Entwicklungsbeeinträchtigungen ermöglicht und gleichzeitig der Untersuchungsaufwand gering gehalten. 3 Grundlagen der EEE U6-Ug 3.1 HistorischeAnsätze Die beiden wichtigsten Klassifikationssysteme psychischer Störungen ICD- 10 und DSM-IV-TR (Saß, Wittchen, Zaudig, & Houben, 2003) erfassen aufverschiedene Weise einander ähnliche Formen psychischer Auflälligkeiten des Kindesalters (vg1. Petermann, Döpfner, Lehmkuhl & Scheithauer, 2002, S. 32ff). In der für den deutschen Sprachraum relevanteren ICD-10 sind unter den Kennungen F8 und F9 solche Störungen zusammengefasst, die typischerweise im Kindes- oder Jugendalter beginnen, prinzipiell sindjedoch auch die übrigen Störungskategorien des ICD-10 bei Kindem und Jugendlich änzutieffen. Tabelle I gibt eine Übersicht über die Entwicklungs- und Verhaltensstörungen mit Beginn in der Kindheit und Jugendzeit. Tabelle 1. ICD- 10-Klassifikation der Störungen mit Beginn in der Kindheit Bezeichnung F8 F80 F81 Entwicklungsstörungen umschriebene Entwicklungsstörungen des Sprechens und der Sprache: Artikulationsstörung, expressive und rezeptive Sprachstörung, Landau-Kleffner-Syndrom, sonstige und n.n.b.* Entwicklungsstörungen des Sprechens und der Sprache. umschriebene Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten: Lese- und Rechtschreibstön.rng, isolierte Rechtschreibstörung, Rechenstörung, kombinierte Störung schulischer Fertigkeiten, sonstige und n.n.b.* Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten. F82 umschriebene Entwicklungsstörung der motorischen F83 kombinierte umschriebene Entwicklungsstörungen F84 tiefgreifende Entwicklungsstörungen: Funktionen frühkindlicher Autismus, atypischer Autismus, Rett-Syndrom, sonstige desinteglative Störung des Kindesalters, überaktive Störung mit Intelligenzminderung und Bewegungssteleotypren, Aspelger- F88 F88 F9 F90 F91 Syndrom, sorstige und n.n.b.* tiefgreifende Entwicklungsstörungen sonstige Entwicklungsstörungen n.n.b.* Entwicklungsstörung Yerhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend hyperkinetische Störungen: einfache Aktjvitäts- und Aufmerksamkeitsstörung, hyperkinetische Störullg des Sozialverhaltens, sonstige und n.n.b.x hyperkinetische Störung. Störungen des Soziälyerhaltens (SSV): auf den familiären Rahmen beschränkte SSY SSV bei fehlenden sozialen Bindungen, SSV bei vorhandenen sozialen Bindungen, SSV mit oppositionellem, aufsässigem Verhalten, sonstige und n.n.b. * SSV F92 kombinierte Störungen des Sozialverhaltens und der Emotionen: SSV nit depressiver Störung, sonstige und n.n.b.* kombinierte SSV F93 emotionale Störungen des Kindesalters: emotionale Störung mit Trennungsangst des Kindesalters, phobische emotionale Störung des Kindesalters, Störung mit sozialer Angstlichkeit des Kindesalters, emotionale Störung mit Geschwisterrivalität des Kindesalters, sonstige und n.n.b.* emotionale Störungen des Kindesalters. F94 Störungen sozialer Funktionen mit Beginn in der Kindheit und Jugend: elektiver Mgtismus, reaktive Bindungsstörung des Kindesalters, Bindungsstörung des Kindesalters mit Enthemmung, sonstige und [.n.b.* Störungen sozialer Funktionen des Kindesalters Tabelle 1. Fortsetzung Bezeichnung Ticstörungen: vorübergehende Ticstörung, chronische motorische oder vokale Ticstörung, kombinierte motorische oder vokale Ticstörung (Tourette-Syndrom), sonstige und n.n.b.* Ticstörungen. sonstige Verhaltens- oder emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend: Enuresis, Enkopresis, Fütterstörung im Kindesalter, Pica im Kindesalter, stereotype Bewegungsstörungen, Stottern (Stammeln), Poltern, sonstige und n.n.b.* Verhaltens- oder emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend. n.n.b.* psychische Störung * n.n.b.: nicht läher bezeichnete Neben den in den Klassifikationssystemen erfassten psychischen Störungen sind jedoch eine \)eitere Vielzahl psychischer Auf.fdlligkeitez bei Kindern beobachtbar, die verschiedene Autoren in zum Teil recht unterschiedlicher Art und Weise beschreiben. Besonders augenfüllig werden solche Aufi?illigkeiten dann, wenn aus ihnen schul- oder lernbezogene Probleme resultieren. Es werden aber neben den unter die Entwicklungsstörungen aufgenommenen Störungen schulischer Fertigkeiten weitere phänomenologisch orientierte Konzepte diskutiert, wie zum Beispiel die Lernstörungen; andere Ansätze sind eher ätiologisch orientiert, wie zu Beispiel die Teilleistungsschwächen oder Teilleistungsstörungen (vgl. Esser & Wischkon, 2002, S. 410) oder das aus der Heilpädagogik bekaffrte Konzept der sensorischen Integrationsstörung (Ayres, 2002). Kennzeichnend für diese Ansätze sind im Allgemeinen unzureichende Prdzision und nosologische Einordnung. Diese Probleme spiegeln sich in der historischen Rückschau besonders durch die immer wieder wechselnden Vorstelluneen zu diesen Aufftilliekeiten. Ernen Uberblick hrstorisch bedeutsamer Störungskonzepte liefert Tabelle 2 (vgl. a. Burgmayer, 1999). Tabelle 2. Historisch bedeutsame StörunsskonzeDte Kürzel Beschreibung POS Psychoorganisches Syndrom (verwandt: fhirn-]organisches Psychosyndrom, endokrines Psychosyndrom; Bleuler, 1911): Bleuler (1983, S. 203ff) ging von einer diffusen, langsam lortschreitenden Hirnschädigung aus, die ein einheitliches psychopathologisches Erscheinungsbild aufweist (Störung von Gedächtnis, Auffassung, Orientierung, Denken, Affektivität). Das POS wird bezogen auf den Erwachsenenbereich häufig mit Demenz assoziiert, während die Bezeichnung ,,frühkindliches POS" in einem neueren Verständnis auf die Entstehung einer Störung in frühkindlicher Zeit hinweist, die sich in verschiedenen Symptomen manifestieren kann (vergl. Ruf-Bächtigeq 1995, S. 60. Bleuler selbst verwandte den Begriff später synonym zur MCD (Bleuler, 1983, S. 2201). MCD Minimale cerebrale Dysfunktion (verwandt: minimal brain damage, frühkindlich exogenes Psychosyndrom; Oxford International Study Group on Child Neurology, 1962): begrenzte Lern- oder Verhaltensstörungen bei ansonsten unauff?illiger Intelligenz, die mit Funktionsabweichungen des ZNS zusammenhängen. Die Bezeichnung ,,minimal" so11 darauf deuten, dass bei u. U. durchaus bestehenden neurologischen ,,soft signs" die neurologische Symptomatik jedoch als geringfligig anzusehen ist (vgl. Michaelis & Niemann, 1999, S. 104f1). Als pdmäre Symptome gelten Konzentrationsschwäche, Gedächtnisstörungen, zentrale Störung der Steuerung und Kontrolle motorischer Abläufe, Beeinträchtigung von Strategie- und Symbolbildung, Sprachentwicklungsstörungen. Teilleistungsstörung (verwandt: Teilleistungsschwäche, Funktionsstörung): Leistungsdefizite einzelner Bereiche innerhalb eines größeren funktionellen Systems; umschdebene funktionelle Beeinträchtigungen, die isoliert nachgewiesen werden können, die ihre Bedeutung aber eher als fehlender (aber notwendiger) Teil im Zusammenspiel der Teilfunktionen bei komplexen Leistungen erhalten. Das frühkindliche psychoorganische Syndrom (POS) ist mit der Vorstellung verbunden, dass ein postuliertes ,,typisches" Erscheinungsbild auf hirnorganische Beeinträchtigungen (2.B. Schädigungen, Anlagestörungen, neurobiologische Störungen) zurückzuführen ist. Aus heutiger Sicht scheint es erstaunlich, dass die Vorstellung einer allgemeinen, diffusen Schädigung mil einer einheitlichen Symptomatlk sich über viele Jahrzehnte halten konnte. Die zunehmenden Kenntnisse über das funktionelle Wirken des Gehirns und die zunehmende Erkenntnis, dass spezifische Läsionen im Allgemeinen auch recht umschriebene Ausfülle nach sich ziehen, ließen das ursprüngliche Bleulersche Konzept nach und nach unplausibel erscheinen. Mit der Diskussion des Konzepts der ,,minimalen cerebralen Dysfunktion" (MCD) fand insofern etne Weiterentwicklung statt, als dass die Vorstellung einer globalen Schädigung allmählich von der Vorstellung umschriebener Funktionsstörungen mit umschriebenen Leistungsausl?illen abgelöst wurde. Die ursprüngliche Überzeugung eines nosologisch einheitlichen MCD-Syndroms konnte empirisch nicht gestützt werden, so konnten zum Beispiel keine ausreichend bedeutsamen statistischen Zusammenhänge zwischen den einzelnen MCD-Symptomen nachgewiesen werden (Routh & Roberts, 1972; Schmidt, 1992). Somit wurde sich bei der Erfassung von Entwicklungs- und Leistungsauffülligkeiten im Kindesalter zunehmend an umschriebenen Leistungsbereichen und Einzelsymptomen orientiert. Für die MCD wurden prä- und perinatale Schädigungen ebenso wie genetische Ursachen und neurobiologische Störungen als Ursachen angenommen (vergl. Heubrock & Petermann, 1998, S. 98ff). Die Diagnose,,MCD" allein ermöglicht aber weder eine Entwicklungsprognose noch lässt sich aus ihr eine therapeutische Strategie ableiten. Unter einer Teilleistungsstörung werden im Allgemeinen (ähnlich wie unter einer umschriebenen Entwicklungsstörung) Leistungsdefizite in begrenzten Funktionsbereichen bei ansonsten unauffülliger allgemeiner Intelligenz verstanden. Dabei weisen Kinder mit Teilleistungsstörungen keine Sinnesbeeinträchtigungen oder umschriebene neurologische Störungen auf Praktische Ferligkeiten erfordem in aller Regel das intakte Zusammenspiel mehrerer Teilleistungen, was also dazu führen kann, dass selbst bei sehr eng abgrenzbaren Leistungsbeeinträchtigungen ein deutliches Versagen in (wenigen) Leistungsbereichen vorliegt. Somit können Teilleistungsstörungen von grundlegenderen Störungen abgegrenzt werden, die sich in globaleren Ausfällen manifestieren (2.B. ,,allgemeine Entwicklungsverzögerung", ,,geistige Behinderung"). Das Teilleistungskonzept geht von in der Regel identifizierbaren und somit behandelbaren Funktionen aus. Es ist davon auszugehen, dass auch einige Lernstörungen, also Beeinträchtigungen in schulrelevanten Fertigkeitskomplexen, unter Anwendung des Teilleistungskonzepts beschrieben werden können. 3.2 WeitereVorüberlegungen Petermann und Stein (2000, S. l8f1) vertreten die Auffassung, dass ein intaktes Fertigkeitenprofil eines Kindes notwendigerweise das reibungslose Zusammenwirken verschiedener Basisfunktionen (,,Entwicklungsbahnen") voraussetzt. Dieses Zusammenwirken ist jedoch vielfültig störbar, so dass bereits ,,eine Abweichung auf (,,nur") einer Entwicklungsbahn sich aufder Verhaltensebene sehr deutlich äußern kann" (S. 20). Die Autoren verstehen unter Normalität - bezogen auf einen bestimmten Entwicklungsabschnitt - als ein typisches Muster von Basisfunktionen sowie einfachen und komplexen Fertigkeiten. Beeinträchtigungen auf der Ebene bereits einer Basisfunktion können in deutlich wirksame Beschränkungen bei der Ausbildung neuer Fertigkeiten münden (-primäre Symptome). Häufig werden so Veränderungen an mehreren Orten des Fertigkeitenprofils verursacht. Dies wird dann oft auch für den weniger geübten Beobachter im Bereich der Alltagsfertigkeiten beobachtbar Esser und Wyschkon (2002, S. 410) weisen bereits bei der Definition von Teilleistungsstörungen auf die häufig zu beobachtenden emotionalen Probleme der Kinder hin. Erklärtermaßen dürfen siejedoch nicht Ursache, sondern lediglich eine Folge dieser Störungen sein. Die psychischen Folgesymptome lese-/rechtschreibschwacher Kinder sind heute gut dokumentiert (vergl. Esser, Wyschkon & Schmidt, 10 2002; Petermann, 2003). So werden über die gesamte Entwicklungspanne Verhaltensprobleme beobachtet. Zunächst unspezifische sekundäre Aufflilligkeiten mündeten gehäuft in dissoziale Verhaltensweisen, so konnten zum Beispiel aggressives Verhalten, hyperkinetische Symptome, Schule schwänzen, lügen, weglaufen sowie Substanzabusus nachgewiesen werden. Michaelis und Niemann (1999, S. 105) legen ebenfalls einen Katalog von FolgestörLtngen (-sekundäre Symptome) umschriebener Beeinträchtigungen vor, zum Beispiel Hyperaktivität, visuomotorische Störungen, emotionale Labilität, geringe Frustrationstoleranz, Aulmerksamkeitsstörungen, mangelnde Motivatron, Probleme rm sozialen oder emotionalen Bereich, Ablenkungs- und Blockiermechanismen. Besonders solche Symptome werden von den Eltern als Entwicklungsprobleme wahrgenommen und veranlassen sie, Hilfe in Anspruch zu nehmen. 3.3 Aussagebereiche Die EEE U6-U9 stellen freine Symptom-Checkliste dar, sondern erfassen auf bestimmte Fertigkeiten bezogene Fehlentwicklungen. Die EEE U6-U9 beschreiben zum Beispiel bei einem sozial ängstlichen vierjährigen Kind keine Symptome von Furcht oder Vermeidung; das Kind wird vielmehr dadurch auffrillig, dass altersgemäße soziale Verhaltensweisen zu einem Zeitpunkt, an dem die meisten Kinder sie bereits ausgebildet haben, von den Eltern noch nicht berichtet werden. Die EEE U6-U9 erfassen o lebenspraktische Fertigkeiten und o den sozial-emotionalen Bereich. Beide Bereiche werden nach Entwicklungsauflälligkeiten überprüft, die aus der Alltagserfahrung heraus eingeschätzt werden können. Auf diese Weise erfolgt ein erster Schritt hin zur Objektivierung und somit werden Abweichungen diagnostiziert. Die EEE U6-U9 verstehen sich dabei als Instrument der allgemein orientierenden Entwicklungsdiagnostik, als einen Baustein zur Hypothesengenerie- rung. 3,4 Elterninformationen Der Rückgriff auf Elterninformationen stellt darüber hinaus eine besonders ökonomische Art der Informationsgewinnung dar. Der Elternauskunft kommt generell bei der Entwicklungsdiagnostik eine besondere Bedeutung zu, da viele (,,leichte") Aufftilligkeiten im Rahmen einer kurzzeitigen Untersuchungssituation nicht eindeutig feststellbar sind. Dabei sind die Befunde zur Zuverlässigkert elterlicher Angaben uneinheithch. Zwar ist unbestritten, dass Eltern viele Verhaltensphänomene ihres Kindes am unmittelbarsten erfahren. Dennoch muss die Validität der Auskünfte kritisch bewertet werden. Verschiedene Untersuchungen seit den 50er Jahren gelangen zu der Einschätzung, dass in Bezug auf das Alltagsverhalten von Kindern Eltern die genauesten Kenntnisse aufweisen (vergl. Rennen-AllhofI, Allhoff, Bowi & Laaser, I 993, S. 9). Diese Autoren nennen weiter Befunde (S. l5ff), die solche Merkmale identifizieren, die die Reliabilität und Validität der elterlichen Angaben beeinflussen. Dabei ist es von erheblichem Belang, welche Informationen )rre von v)enl iber wen erhoben werden sollen. So können Eltern gut beobachtbares (Alltags-)Verhalten zuverlässiger berichten als dieses Verhalten interpretieren. Dies gilt auch für die Erfassung psychopathologischer Merkmale, solange es sich um Verhalten und nicht um innerpsychische Prozesse wie Angste oder Depressionen handelt. Die Genauigkeit solcher Angaben steigt dabei mit dem Aktualitätsgrad weiter zurückliegende gesundheitsbezogene Ereignisse wie zum Beispiel Erkrankungen werden - mit Ausnahme einiger wichtiger Entwicklungseckdaten (2.B. Geburtsgewicht, erstes Laufen) von den Eltern wenig präzise angegeben. Dabei führen strukturierte Belragungen zu reliableren Aussagen als freie Schilderungen, und dies lt wieder insbesondere dann, wenn sich die Fragen auf spezifische Situationen beziehen. Sehr unetnheitlich stellen sich dagegen die Befunde im Zusammenhang mit ,,Eigenschaften" der Eltern dar. Längst nicht rn allen Studien konnte zum Beispiel ein hoher sozioökonomischer Status als Prädiktor fir zuverlässige Elternauskünfte nachgewiesen werden, auch sind Mütter im Vergleich zu Vätern nicht generell die zuverlässigere Infonnationsquelle. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass elterliche Angaben dann besonders valide sind wenn aktuell beobachtbares Verhalten beschrieben statt interpretiert wird und es mittels eines stntkturierten VerJährens mit präzise formulierten Items erhoben wird. Rennen-Allhoff et. al ( 1993, S. 19) weisen weiter darauf hin, dass das Verfahren ausreichend umfangreich sein sollte, um möglichst reliable Angaben zu erhalten, die Durchführung aber nicht zu aufwendig sein sollte, um nicht über geringe Compliance die Validität der Angaben zu geführden. Es ist jedoch immer zu prüfen, ob die Aussagen der Eltern zuverlässig sind: stets ist zu bedenken, ob die Eltern überhaupt zuverlässige Angaben machen können tnd wollen'. o Das Können ist zunächst einmal abhängig von ausreichendem Sprachverständnis. Dies bezieht sich auf das Beherschen der deutschen Sprache, ein ausreichendes Leseverständnis (dies sollte man nicht unterschätzen!) sowie die angemessene Einschätzung und Beurteilung einer vorgegebenen Beschreibung. Gerade in Bezug auf den letzten Punkt ist es dem Testentwickler möglich, durch einfache und präzise Formulierungen auf eine Erhöhung der Validität der Elternangabe hinzuwirken. Dennoch berichten Reur,en-Allhoff et al. ( 1993, S. 13) von elterlichen Tendenzen, ihre Kinder zu übcr- bzw. zu unterschätzen. Diese Tendenzen sind sicher nicht losgelöst von Kontextbedinguugen wie bestimmten Merkmalen der Eltern und Kinder sowie den erhobenen Fähigkeiten zu betrachten. Das Wollen kann durch unterschiedliche Motive beeinflusst sein. lm klinischen Bereich kann die gezielte ,,Unterschätzung" der Entwicklung eines Kindes durch die Eltem dazu dienen, eine Förderoder Therapiemaßnahme zu erreichen. Im Gegensrtz dazu können ..Ü berschätzungen" leistung'beeinträchtigter Kinder zum Beispiel in Schuldgefühlen begründet sein, die daraus entstehen, dass Eltern sich 1ür die Fehlentwickluns ihrer Kinder verantwortlich fühlen. c 3.5 Erhebungszeitpunkte Die Bögen der EEE U6-U9 lehnen sich unmittelbar an die entsprechenden kinderärztlichen Vorsorgeuntersuchungen an. Dieser Umstand mag vorerst als Einschränkung ernpfunden werden, die Entscheidung hierzu begründet sich aber wie folgt: die EEE U6-U9 richten sich in erster Linie an Kinderärzte, die in der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle mit Fragestellungen der Entwicklungsdiagnostik dann konfrontiert sind wenn die Kinder zu den U-Untersuchungen vorstellig werden. Für die Untersuchungen U6 bis U9 sind dabei die in Tabelle 3 angegebenen Zeitfenster vorgesehen. Tabelle 3, Vorgeschriebene Untersuchungszeiträume für eirzelne Vorsorgeuntersuchungen Untersuchung U6 U7 3. LJ* U8 U9 Zeitintervall 10. bis 12. Lebersmonat 2l. brs 24. Lebensmonat 33. bis 36. Lebensmorat 43. bis 48. Lebensmonat 60. bis 64. Lebensmonat Anmerkung: *die Altersgruppe 3. LJ (Erde drittes Lebensjahr) korrespondiert mit keiner Vorsorgeuntersuchung, sondern stellt einen zusätzlich möglichen Erhebungszeitpunkt mit den EEE U6-U9 dar. l2 Tatsächlich ist es in der Untersuchungspraxis sogar üblich geworden, diese Intervalle weiter zu verringem und gleichzeitig zu verschieben: viele Pädiater bestellen die Kinder tendenziell um den Zeitpunkt des Endes des jeweiligen Untersuchungsintervalls ein, weiter werden die Kinder wesentlich häufiger kurz nach dem U-Intervall als zu Beginn des Zeitraums einbestellt. Im Grunde ist die Einengung des Untersuchungszeitraums auch sehr sinnvoll, da schon beträchtliche Entwicklungsdifferenzen zum Beispiel zwischen Kindern zu Beginn (43. Lebensmonat) und gegen Ende 148. Lebensmonat) des U8-Intervalls allein aufgrund des dazwischen liegenden halben Kalenderjahres zu erwarten sind. Um die Vergleichbarkeit von individuellen Testwerten (Itemlösungen, Summenwerten) mit den erhobenen Normwerten zu gewährleisten, sollten also Charakteristika der Zielpopulation dieses Verfahrens (,,Kinder zum Zeitpunkt der U-Untersuchungen") wie also gerade auch das Lebensalter sich auch in der Referenzpopulation wieder finden. Für die EEE U6-U9 bedeutet das, dass die Normierung auf das Ende der U-Untersuchungsintervalle bezogen vorgenommen wurde. Der daraus resultierende Nachteil der eingeschränkten Anwendungszeiträume wird durch die erheblich verbesserle Vergleichbarkeit von individuellen Test- und Normwerten mehr als kompensiert. Ztsätz\ch zu den vier,,echten" U-Zeitpunkten bieten die EEE U6-U9 einen zusätzlichen Fragebogen für den Alterszeitraum um das vollendete dritte Lebensjahr an. Somit kann der großen zeitlichen Lücke zwischen der U7 und der U8 durch einen möglichen weiteren Erhebungszeitpunkt begegnet werden. l3