Graubündens Bodenschätze und Gespräch mit Urs A. Furrer

Werbung
Bündner
Wald
Jahrgang 67 | Oktober 2014
Geologie
BUWA1405_001 1
03.10.14 10:52
Inhalt
Geologie
Editorial.................................................. 4
Das Ende des Lüschersees.......................... 44
4800 Millionen Jahre Bündner Wald............ 5
Von einem, der auszog, um von den
Erdbeben, Massenbewegungen
Steinen zu lernen...................................... 48
und Schutzwald........................................ 10
Keine Vergiftung unserer Böden durch
Die Alpen – gestapelte Gesteinsdecken...... 14
Erdgasförderung........................................ 53
Graubündens Bodenschätze unter
Protokoll der SELVA-
der Lupe................................................... 19
Generalversammlung 2014........................ 55
Kristalle und Mineralien aus
Böschungsstabilisierungssysteme erneut
Graubünden.............................................. 26
auf dem Prüfstand..................................... 61
Radon in Graubünden............................... 29
Vorschau «Bündner Wald»
Geothermie in Graubünden....................... 33
Dezember 2014......................................... 63
Geologieausstellung im Bündner
Naturmuseum........................................... 40
Titelbild: Trittsiegel von Prosauropoden am
Piz dal Diavel.
(Bild: Schweizerischer Nationalpark / Hans Lozza)
Bild Inhaltsverzeichnis: Längs- und Querschnitte
eines Korallenstocks vom Murtersattel.
(Bild: Schweizerischer Nationalpark / Hans Lozza)
Bündner Wald 5 /2014 3
BUWA1405_003 3
01.10.14 08:41
4800 Millionen
Jahre Bündner Wald
Die Fotosynthese verwandelte die Erde einst in ein Kühlhaus. (Bild: M. Weidmann)
Wenn man in geologischen Zeiträumen
unfassbare viertausendsechshundert Millionen Jahre zurückblickt in die Zeit, als
das Weltall die Erde gebar, blickt man auch
zurück zu den Anfängen des Lebens, denn
dieses ist mit der Entwicklung der Erde untrennbar verknüpft.
Im Folgenden blicken wir zurück zum fundamentalen Anfang des Bündner Walds,
zur «Erfindung» der Fotosynthese. Danach
werfen wir einen Blick in die Zukunft – zum
unausweichlichen, definitiven Ende des
Bündner Walds, das die Erdwissenschaften
schon heute recht klar voraussagen können.
Treibhauseffekt und Fotosynthese
Vor rund vier Milliarden Jahren bestand die
Gashülle der Erde aus Gasen, welche die
Vulkane in den Himmel husteten: Wasserdampf, CO2, Schwefelwasserstoff sowie
Spuren von Stickstoff, Wasserstoff, Kohlenstoffmonoxid, Helium, Methan und Ammoniak (freien Sauerstoff gab es damals noch
nicht). Diese Gashülle erzeugte einen natürlichen Treibhauseffekt, welcher die Erdoberfläche bereits damals so stark erwärmte,
dass das Wasser in flüssiger Form vorlag.
Damit schuf der Treibhauseffekt eine fundamentale Voraussetzung für die Entstehung
und Entwicklung des Lebens – die Sonne
allein hätte die Erde nicht über den Gefrierpunkt hinaus zu erwärmen vermocht.
Vor rund 3,8 Milliarden Jahren «erfanden»
Mikroorganismen die Fotosynthese, bei der
als Abfallprodukt Sauerstoff entsteht. Diese
biologische Innovation breitete sich in den
Ozeanen während Jahrmillionen so stark
aus, dass es vor rund 2,4 Milliarden Jahren
zur «Grossen Sauerstoff-Katastrophe» kam:
Von diesem Zeitpunkt an trat Sauerstoff in
Flüssen, Meeren und in der Atmosphäre in
freier Form (O2) auf.
Warum bezeichnet man diese
Entwicklung als «Katastrophe»?
Einerseits deshalb, weil freier Sauerstoff
für die anaeroben Lebewesen, die damals
die Erde bevölkerten, tödlich war. Aus ihrer Sicht war die Freisetzung von Sauerstoff
nichts anderes als eine globale Umweltverschmutzung, die ihr Massenaussterben zur
Folge hatte.
Andererseits war es deshalb eine Kata­
strophe, weil der Entzug von CO2 aus der
Atmosphäre und die gleichzeitige Freisetzung von Sauerstoff in die Atmosphäre
den wärmenden Treibhauseffekt zunehmend abschwächten. So begann vor rund
2,3 Milliarden Jahren eine globale Eiszeit,
welche vermutlich mehrere Hundert Millionen Jahre dauerte. Sie war so intensiv, dass
die Ozeane vollständig zufroren – die Erde
erschien aus der Ferne betrachtet wie ein
überdimensionaler Schneeball.
Bündner Wald 5 /2014 5
BUWA1405_005 5
01.10.14 08:48
Dieser durch die Entwicklung des Lebens
ausgelöste Beinahe-Kollaps des Treibhauseffekts vor 2,3 Milliarden Jahren ist kein
Einzelfall. Mehrmals liessen weitere umwälzende Entwicklungen den Treibhauseffekt
einbrechen und die Kälte sich ausbreiten.
Zum Beispiel damals, als vor rund 700 Millionen Jahren die ersten mehrzelligen Pflanzen entstanden. Oder damals, als sich vor
rund 400 Millionen Jahren aus den Wasserpflanzen die ersten einfachen Landpflanzen
entwickelten.
Karbon, Kohle, Kälte
Und auch damals im Karbon-Zeitalter (vor
355 bis 300 Millionen Jahren), als es zu einer gewaltigen Ausbreitung der Biosphäre
auf dem Festland kam; damals, als sich die
riesigen Wälder des Karbons entwickelten,
kam die Kälte. Denn zu dieser Zeit wurde
in riesigen Kohlelagerstätten dermassen viel
organischer Kohlenstoff gespeichert, dass
die CO2-Konzentration in der Atmosphäre
auf niedrige Werte absank, und die Wirksamkeit des Treibhauseffekts nachliess. In
der Folge kam es zu einer ausgedehnten
Vereisung der damaligen Südkontinente
Australien, Indien, Antarktis, Afrika und
Südamerika.
Essenz dieses Rückblicks in die letzten 3,8
Milliarden Jahre: Mit der Fotosynthese kam
der Sauerstoff, eine globale Umweltverschmutzung, ein Massenaussterben
eine globale Eiszeit. Beinahe wurden die
Lebewesen, die Fotosynthese betrieben, ein
Opfer der Veränderungen, die sie auslösten. Evolutiv nachfolgende Lebensformen
entdeckten das Abfallprodukt Sauerstoff als
Rohstoff, mit dem sich gut leben lässt. Wir
gehören auch zu diesen Lebensformen. Wir
atmen den Sauerstoff ein, atmen CO2 als
Abfallprodukt aus, und sind dem Bündner
Wald dankbar, dass er als «Grüne Lunge»
aus dem CO2 wieder Sauerstoff produziert.
Eine klassische Win-win-Situation.
Der natürliche Treibhauseffekt hat glücklicherweise alle umwälzenden Veränderungen des Lebens auf der Erde «überlebt» und
ist noch heute aktiv. Ohne seine wärmende
Wirkung würde die globale Mitteltemperatur statt plus 15 minus 18 Grad Celsius
betragen. Die Tatsache, dass die «Lebensform Mensch» mit dem Abfallprodukt CO2
den Treibhauseffekt zurzeit verstärkt, ist
ein spannender Kontrast zur Tatsache, dass
andere Lebensformen in der Vergangenheit
den Treibhauseffekt beinahe zum Erliegen
brachten, indem sie der Atmosphäre CO2
entzogen.
Die Wiedergeburt der Gletscher
Wenn wir nun den Blick in die geologisch
ferne Zukunft wenden, wird das bisschen
menschgemachte CO2 irrelevant. Wilfried
Haeberli, Professor am Geographischen Institut der Universität Zürich, schreibt 2004:
«Das System Erde wird rund 50 000 Jahre
brauchen, um den Einfluss des im 20. und
Landpflanzen des Karbons. (Bild: aus Meyers
Konversations-Lexikon, 1885-1890)
6
BUWA1405_006 6
01.10.14 08:48
21. Jahrhundert anthropogen verstärkten
Treibhauseffekts auszubalancieren.»
Das heisst: Bereits in geologisch sehr kurzer
Zeit geht das Klima wieder den gewohnten
eiszeitlichen Gang, den es vor rund 2,7 Millionen Jahren eingeschlagen hat. Wilfried
Haeberli: «Innerhalb der nächsten Million
Jahre ist mit mehreren Kaltzeiten von der Dimension und Charakteristik jungpleistozäner
Glaziale zu rechnen.» In geologischer Bälde
werden also die wiederauferstandenen Gletscher die Nachkommen der heutigen Bündner Bäume aus den Bergen vertreiben, so
wie sie es in den letzten Millionen Jahren mit
den Vorfahren der heutigen Bäume taten.
Langfristig werden die Gletscher aber definitiv aussterben. Und langfristig werden
die Nachkommen der Bündner Bäume unter
etwas ganz anderem leiden als unter eiszeitlicher Kälte. Peter Ward, Professor für Paläontologie an der University of Washington
in Seattle: «Der langfristige – und finale –
Rückgang an atmosphärischem CO2 hat bereits begonnen. Der gegenwärtige Anstieg
durch das Verheizen fossiler Brennstoffe ist
ein bedeutungsloser Zacken in einer Kurve,
die gnadenlos abwärts verläuft.»
Gnadenlos weniger CO2. Und: Gnadenlos
heisser. Dies sind die zentralen Probleme,
die geologisch langfristig auf den Bündner
Wald und die Bündner Gletscher zukommen. Weshalb?
Die Sonne: Ende allen Lebens
Die Sonne wird immer grösser, immer strahlender. Seit ihrer Geburt vor viereinhalb
Milliarden Jahren hat sich ihre Energie-Einstrahlung auf die Erde um einen Drittel erhöht. Diese Zunahme wird auch in Zukunft
anhalten. Mit einschneidenden Folgen: Auf
der Erde wird es immer wärmer. Gestein
verwittert zunehmend rascher. Dieser Verwitterungsprozess entzieht der Atmosphäre
zunehmend rascher CO2. Die Fotosynthese
verschärft diesen Prozess.
In rund 800 bis 1000 Millionen Jahren ist
Endzeit. Nicht nur für den Bündner Wald,
sondern für alle Pflanzen auf diesem Planeten. Entweder deshalb, weil es dann in
der Atmosphäre nicht mehr genug CO2
für die Fotosynthese geben wird. Oder
deshalb, weil die globale Oberflächentemperatur über der für höhere Lebensformen
kritischen Grenze von dreissig Grad Celsius
liegen wird. Die Pflanzen werden also entweder an CO2-Mangel zugrunde gehen, an
Hitze oder an beidem. Ohne Pflanzen wird
es keinen Sauerstoff mehr geben und auch
keine Biomasse. Mit den Pflanzen werden
also auch die Tiere zugrunde gehen.
ANZEIGE
Schrift 7
Absatz 9
li/re 3 mm
STIHL MotoMix –
der schadstoffarme
Kraftstoff für 2-Taktund 4-MIX Motoren
STIHL MS 461 Die neue Kraft für Forst- und Landwirtschaft
Volle Power für die Holzernte. Mit der STIHL MS 461 haben
Sie den perfekten Partner für extreme Belastungen an Ihrer
Seite. Neben dem geringen Leistungsgewicht punktet das
Nachfolgemodell der MS 460 insbesondere mit einem neuem Antriebskonzept. Die STIHL MS 461 ist ab Fr. 1‘695.-im Fachhandel erhältlich - lassen Sie sich von Ihrem Fachhändler beraten und legen Sie los.
STIHL VERTRIEBS AG
8617 Mönchaltorf
[email protected]
www.stihl.ch
Bündner Wald 5 /2014 7
MUSTERVORLAGE.indd 55
BUWA1405_007 7
30.04.2014 07:57:15
01.10.14 08:48
Heute ist die Sonne Leben spendende Energie-
Fossilien sind in Gesteinen gespeicherte Erinnerun-
quelle für die Fotosynthese. In ferner Zukunft
gen an vergangene Lebensformen. Wenn die
wird sie allem Leben auf der Erde ein Ende setzen.
Sonne in ferner Zukunft die Erdkruste aufschmilzt,
(Bild: NASA Goddard Space Flight Center)
wird sie all diese Erinnerungen löschen.
Im Bild ein Ausbruch des Ätna im Jahr 2011.
Die einfachen Eukaryonten (Lebewesen mit
Zellkern) sind hitzeresistenter und können
bei einer globalen Mitteltemperatur von 45
Grad Celsius noch überleben. In etwa 1,2 bis
1,3 Milliarden Jahren wird dieser Wert überschritten; dann werden auch sie aussterben.
In etwa 1,6 Milliarden Jahren ist dann auch
für die letzten, zähesten Lebensformen, die
sich am Grunde der Ozeane eine Überlebensnische einrichten konnten, Endzeit.
Denn dann wird die Temperatur einen globalen Mittelwert von sechzig bis siebzig
Grad Celsius erreichen. Die Ozeane werden
zu verdunsten beginnen. Die Luftfeuchtigkeit wird ansteigen. Je grösser die Menge
an Wasserdampf in der Atmosphäre, desto
heisser ist es, und desto schneller verdunsten
die Ozeane. So lange, bis sie ausgetrocknet
sind. Nun wird die Oberflächentemperatur
rund 250 Grad Celsius betragen.
In etwa dreieinhalb bis sechs Milliarden
Jahren wird es an der Erdoberfläche voraussichtlich über tausend Grad Celsius heiss
sein – so heiss, dass die steinerne Haut der
Erde zu schmelzen beginnt und Lava-Ozeane entstehen. Die Erde wird sich durch diese
infernalische Hitze nicht aus der Ruhe brin-
(Quelle: Wikipedia)
gen lassen – denn schon heute sind 99 Prozent des Erdinnern heisser als 1000 Grad.
Fazit
Vor rund 3,8 Milliarden Jahren «erfanden» Mikroorganismen die Fotosynthese.
Vor rund 300 Millionen Jahren brachte die
Evolution die Samenpflanzen hervor – und
damit die ersten Vorfahren des Bündner
Walds. Vor 270 Millionen Jahren entstanden
die Nadelbäume, und vor rund 100 Millionen Jahren entwickelten sich die Laubbäume. Davon ausgehend, dass in rund 800 bis
1000 Millionen Jahren definitiv Endzeit ist
für die Pflanzen, ergibt sich eine Zeitspanne von rund 4800 Millionen Jahren Bündner
Wald.
Ein unfassbarer, unwirklicher, philosophischer Zeitraum. Ein 4800 Millionen Jahre
alter Baum hätte einen Durchmesser von
9600 Kilometern, davon ausgehend, dass
jeder Jahresring ein Millimeter breit ist. Im
Vergleich dazu wäre ein Baum, der das Alter
der Cheopspyramide repräsentiert, gerade
mal 9,4 Meter dick.
8
BUWA1405_008 8
01.10.14 08:48
Doch nicht die Zeit zählt, sondern der extreme Wandel, welcher während dieser
4800 Millionen Jahre stattfindet. Das Wissen
um diesen Wandel ermöglicht eine atemberaubende Gesamtschau auf die Entwicklung
des Bündner Walds. Die Tatsache, dass wir
Menschen zurzeit eine «langfristig nachhaltige Nutzung des Walds» anstreben, zeigt,
wie unerwartet facettenreich dieser Wandel
ist, wenn man von der Milliarden-Jahre-Gesamtschau ins Detail hineinzoomt.
Quellen:
– Christine Bounama, Werner von Bloh,
Siegfried Franck: Das Ende des
Raumschiffs Erde. Spektrum der Wissenschaft, Oktober 2004
–P
eter Ward: Gaia’s böse Schwester.
Spektrum der Wissenschaft,
November 2009
– Wilfried Haeberli: Eishaus + 106a. Zu Klima und Erdoberfläche im Zürcher Weinland während der kommenden Million
Jahre. April 2004
– Schutzgemeinschaft Deutscher Wald:
Waldwissen.
– Wikipedia
Markus Weidmann
Dipl. Natw. ETH (Geologe)
Büro für erdwissenschaftliche
Öffentlichkeitsarbeit, Chur
[email protected]
ANZEIGE
Bündner Wald 5 /2014 9
BUWA1405_009 9
01.10.14 08:48
Graubündens Bodenschätze
unter der Lupe
Bodenschätze bilden die Basis unserer Gesellschaft: Alles, was nicht kultiviert oder
gezüchtet werden kann, muss aus der Erde
abgebaut werden. Welche Bodenschätze
gibt es im Kanton Graubünden und welche
werden genutzt? Wie wird bei der Rohstoffgewinnung in Graubünden Rücksicht
auf die Umwelt genommen und werden
sogar Rohstoffe aus Abfällen zurückgewonnen? Nebst der Industrie sind auch der
Tourismus und das Kunstgewerbe auf Bodenschatzsuche.
Was sind Bodenschätze?
Bodenschätze sind mineralische Rohstoffe,
die Grundlage unseres täglichen Lebens sind.
Beispiele reichen von Beton über Salz, Kalk
in Zahnpasta bis zu Kupfer in Mobiltelefonen oder Autos. Als mineralische Rohstoffe
werden Minerale oder Gesteine (Mineralgemische) verstanden, die aus dem Untergrund
gewonnen und aufbereitet werden.
Oft werden vier Gruppen von mineralischen
Rohstoffen unterschieden: Metalle, Industrieminerale, Energierohstoffe sowie Steine
und Erden. Metalle können in elementarer
Form auftreten, häufiger jedoch werden sie
aus metallhaltigen Gesteinen, sogenannten
Erzen, gewonnen. Industrieminerale lassen
sich mit nur wenig technischer Aufbereitung
direkt nutzen; Salz und Gips sind Beispiele.
Energierohstoffe umfassen Erdgas, Erdöl
oder Kohle. Die mengenmässig wichtigste
Gruppe, die Steine und Erden, bezeichnen
Rohstoffe aus Lockergesteinen (z. B. Sand,
Kies) oder Festgesteinen (z. B. Schotter, Ton
oder Kalk) und sind vor allem für die Bauindustrie von Bedeutung.
Mineralische Rohstoffe sind in menschlichen
Zeiträumen nicht erneuerbar. Sie bilden sich
im Laufe der Erdgeschichte durch geologische Prozesse und erneuern sich über geologische Zeiträume, also über Jahrmillionen.
Die Geologie bestimmt das Angebot
Um Rohstoffe zu fördern, müssen zwei Bedingungen gegeben sein: Einerseits muss
der Rohstoff in der Natur vorkommen
und andererseits technisch erreichbar und
rentabel abbaubar sein. Vorkommen mineralischer Rohstoffe sind generell stark
an die regionale Geologie gebunden. Die
Gesteinsvielfalt in Graubünden ist gross,
da während der Alpenbildung verschiedene Gesteine zusammengepresst wurden.
Im Vergleich zu anderen Weltregionen, wo
über hunderte Kilometer dasselbe Gestein
den Untergrund bilden kann, sind die Gesteinspakete in den Alpen komplex gelagert, verfaltet und in kleinräumige Stücke
zerbrochen. Deshalb gibt es in Graubünden
zwar viele Rohstoff-Vorkommen, jedoch
nicht alle verfügen über die nötige Menge,
Konzentration oder Qualität, um zu rentieren.
Der Staat regelt die Nutzung
Mit Ausnahme der Steine und Erden, die
dem Grundeigentum zugeschrieben werden, sind mineralische Bodenschätze öffentlich und deren Nutzungsrechte liegen
bei den Kantonen. Lediglich Graubünden
überträgt diese Rechte den Gemeinden.
An welchem Ort Rohstoffe abgebaut werden können, wird durch den kantonalen
Richtplan festgelegt. Dieser strebt bei Materialabbau und -­
verwertung aus volkswirtschaftlichen und umweltrelevanten
Gründen eine möglichst regionale Selbstversorgung an (Richtplan Kanton Graubünden
2009 ). Vor allem Steine und Erden sind als
Baurohstoffe für die Talschaften von grosser
wirtschaftlicher Bedeutung und gleichzeitig als «Massenrohstoffe mit beschränkter
Wertschöpfung» auf kurze Transportdistanzen angewiesen. Soweit Graubündens
elf Re­gionen geeignete Ressourcen aufweiBündner Wald 5 /2014 19
04_Mineralische_Rohstoffe_in_GR.indd 19
03.10.14 08:32
sen, sollen diese Potenziale langfristig für
den Abbau sichergestellt werden (Richtplan
Kanton Graubünden 2009 ).
Umwelt, Gewässer, Natur- und Heimatschutzgesetz auf Bundesebene setzen weitere Rahmenbedingungen zur Standortwahl
von Abbaustellen.
heute nationale, kantonale und kommunale
Schutzobjekte sowie raumplanerische Interessen in der Projektplanung berücksichtigt
werden. Ziel der nachhaltigen Planung eines Abbaustandortes sind Lösungen, die
von allen Interessengruppen getragen werden können (Bärtschi 2010 ).
Nutzungskonflikte
Die Eröffnung neuer Abbaustandorte verläuft selten reibungslos. Durch die Ansprüche, die verschiedene Interessengruppen
wie Abbauunternehmen, Landwirtschaft,
Umweltschutzverbände, Gemeinde oder
Anwohner an einen Standort stellen, entstehen oftmals Nutzungskonflikte. Konflikte
mit Waldnutzungen sind ein Beispiel.
Während Abbauvorhaben noch vor einigen
Jahrzehnten ohne grosse Einschränkungen
durchgeführt werden konnten, müssen
Wie nutzt Graubünden seine
Bodenschätze?
Schon seit der Steinzeit werden in Graubünden Bodenschätze genutzt. Während
früher nebst Bausteinen auch Erze gewonnen wurden, spielen heute Steine und Erden die wichtigste Rolle. Kies und Sand
(rund 1 Mio. m3 pro Jahr) sowie Kalk und
Mergel für die Zementproduktion (ca. 0.65
Mio. m3 pro Jahr) sind klare Spitzenreiter.
Gut 50 000 m3 Festgestein werden jährlich
als Naturwerkstein, Schotter, Splitt oder für
Aktuelle Abbaustellen von Fest- und Lockergesteinen sowie bedeutendere historische Erzabbaustellen im
Kanton Graubünden. (Grafik: Schweizerische Geotechnische Kommission SGTK, 2014)
20
04_Mineralische_Rohstoffe_in_GR.indd 20
03.10.14 08:32
spezielle Zwecke verwendet. Rund 20 000 m3
Lehm werden pro Jahr für die Ziegel- und
Backsteinproduktion gefördert (Richtplan
Kanton Graubünden 2009 ). Energierohstoffe sowie Industrieminerale werden in Graubünden derzeit nicht abgebaut.
Kies wie Sand am Meer
Als wichtigster Zulieferer der Bauwirtschaft
zählt die Sand-, Kies- und Betonbranche zu
den existenzsichernden Bereichen der Volkswirtschaft. Die weitaus grösste Menge an
Kies und Sand wird zur Herstellung von Beton verwendet.
Weiter werden Sand und Kies sowie aus
Grobkies gebrochener Splitt als Untergrund
für Strassen und Wege eingesetzt. Rund
80 % gehen in den Tiefbau, 20 % in den
Hochbau (VBBK 2014).
Die Hauptabbaugebiete für Kies und Sand
liegen im Churer Rheintal und den jeweiligen Hauptzuflussarmen, Vorder- und Hinterrhein. Es wird aber auch in Mittelbünden,
beispielsweise am Furnabach im Prättigau
an der Landquart bei Schiers, an der Albula
sowie bei Maladers und Salouf abgebaut.
Im Engadin befinden sich Abbaustellen bei
Pontresina und Zernez (Dariz et al. 2010 ).
Kies und Sand werden in Graubünden grösstenteils im Trockenabbau gewonnen. Die
meisten Gruben bauen Kies und Sand in
nacheiszeitlichen Fluss- oder Bachablagerungen in der Talsohle oder in Bachschuttkegeln
ab. Nassabbau erfolgt aus Schwemmabla-
ANZEIGE
Vertrauen Sie dem Original!
Nutzen Sie unsere jahrelange Erfahrung im Einsatz von
Traktionswinden bei Vollerntern und Forwardern.
Neu ab August:
Forwarder 1510E mit Traktionswinde und 450 Metern Seilkapazität
Ihr Spezialist für die vollmechanisierte Holzernte am Hang!
Volktrans GmbH
Neulöserweg 5
7205 Zizers
Tel: 079 246 52 16
Mail: [email protected]
www.volktrans.ch
Bündner Wald 5 /2014 21
04_Mineralische_Rohstoffe_in_GR.indd 21
03.10.14 08:32
Ein Schwimmbagger fördert bei Untervaz Kies aus einer Tiefe von 4 – 6 m. (Bild: Christian Ludwig, 2014)
gerungen von Stauseen sowie eiszeitlichen
Schotterterrassen mittels Schwimmbaggern
(R. Kündig et al. 1997 ).
30 bis 40 % der Bauabfälle werden heute
zu Recyclingbeton aufbereitet und tragen
so zu einem effizienteren Rohstoffkreislauf
bei. Die begrenzten Kies- und Sandvor­räte
können so bis zu einem gewissen Grad geschont werden. Zurzeit nicht verwertbare
Stoffe müssen deponiert werden. Analog
zur Rohstoff-Versorgung strebt der Richtplan eine regionale Autarkie an: Die elf Regionen Graubündens haben für gut erreichbare Deponiestandorte – meist ehemalige
Abbaustellen – zu sorgen.
Sack Zement !
Zement ist der wichtigste Baustoff unserer Gesellschaft: Bei der Energieproduktion
(Wasserkraftwerke), der Mobilität (Infrastrukturen des Strassen- und Schienennetzes ) sowie im Hochbau ist Zement allgegenwärtig. Die geologischen Voraussetzungen
ermöglichen es der Schweiz, ihren Bedarf
an Zement selber zu decken, denn die natürlichen Hauptbestandteile Kalkstein und
Mergel gehören zu den Rohstoffen, die
hierzulande reichlich vorhanden sind. Auch
Graubünden verfügt über gut bemessene
Vorkommen dieser Rohstoffe.
Mitte des 20. Jahrhunderts stieg mit dem
Bau von Wasserkraftwerken der Bedarf an
Zement in Graubünden erheblich an. Während Zement bis dahin via Bahn aus dem
Unterland angeliefert wurde, konnte Ende
der 50er-Jahre der Grundstein für ein Zementwerk im eigenen Kanton gelegt werden. Untervaz bot sich dabei aus geologischer wie aus verkehrstechnischer Sicht als
geeigneter Standort an. Die Abbaugebiete
am Fusse des Calanda verfügen heute über
Rohstoffreserven für die nächsten 30 Jahre
(Holcim 2010 ).
Das Zementwerk Untervaz produziert rund
800 000 Tonnen Zement pro Jahr (Holcim
2010 ). Zu Beginn wurde der Zement vorwiegend in Graubünden abgesetzt, heute
bleibt noch rund ein Fünftel im Kanton.
Steinreiches Graubünden
Nebst den Rohstoffen für die Zementproduktion werden in Graubünden weitere
Festgesteine in knapp 20 Steinbrüchen abgebaut (siehe Karte). Das Gestein dient zur
22
04_Mineralische_Rohstoffe_in_GR.indd 22
03.10.14 08:32
Hauptsache zweierlei Anwendungen: Zum
einen werden Festgesteine als Naturstein
für die direkte Verwendung an Bauwerken
oder für die Bildhauerei, zum anderen als
Ausgangsmaterial für die mechanische Zerkleinerung zur Herstellung unterschiedlicher
Gesteinskörnungen (Splitt und Schotter)
verwendet.
Als Natursteine werden verschiedene Gneise, aber auch Serpentinite aus Steinbrüchen
ganz Graubündens gewonnen. Der Bedarf
schwankt regional stark; einige SteinbruchBetriebe versuchen ihre Produkte auch international abzusetzen. Weltweite Bekanntheit erlangte der Valser Quarzit durch den
Bau der Therme in Vals. Namhafte Architekten haben diesen Stein seither weltweit
an Bauwerken eingesetzt. Das variantenreiche, grünlich-graue Gestein, bei dem es
sich geologisch gesehen um einen Gneis
Schotterbett der Rhätischen Bahn bei Chur
bestehend aus zwei verschiedenen regionalen
Gesteinstypen. (Bild: Schweizerische Geotechnische
Kommission SGTK, 2014)
handelt, ist auch in Bern auf dem Bundessowie als Gesteinsparkett auf dem Zürcher
Sechseläutenplatz verlegt. Serpentinite
werden heute im Puschlav sowie im Raum
Disentis als besonders dekorative Natursteine in der Architektur oder für den Ofenbau
abgebaut.
In Graubünden sind Stützmauern aus Naturstein allgegenwärtig. Um dem Wildwuchs
unterschiedlicher Stützmauertypen Einhalt
zu gebieten und eine qualitativ hochstehende Baukultur zu wahren, werden die
Gesteine möglichst nahe ihres Einsatzortes
gewonnen und stammen aus passenden
geologischen Formationen mit besonderem Augenmerk auf die Farbgebung (Figi,
H., 2010 ). Eine gelungene Umsetzung findet man beispielsweise entlang des Marmorerasees, wo die Stützmauern die lokale
Geologie mit Serpentinit und Grünschiefer
widerspiegeln.
Splitt und Schotter werden hauptsächlich
für den Bau von Schienen- und Strassennetz verwendet. Die Rhätische Bahn bezieht ihren Schotter aus Steinbrüchen, die in
möglichst kurzer Transportdistanz zu ihrem
Schienennetz liegen, so z. B. aus dem Puschlav, dem Engadin sowie Mittelbünden.
Festgesteine für spezielle Anwendungen
werden im unterirdischen Steinbruch von
Felsberg sowie im Steinbruch Crastatscha
in Zernez gewonnen. Die dort abgebauten
Gesteine werden gesamthaft respektive
teilweise für die Herstellung von feuerfesten Dämmstoffen (Steinwolle) in Flums verwendet.
Ziegelein, Ziegelein an der Wand...
Anfang des 20. Jahrhunderts wurde im Kanton Graubünden in acht Ziegeleien Lehm
abgebaut und zu Ziegeleierzeugnissen verarbeitet ( SGTK, 1907 ). Das schweizweite
Verschwinden von Tonabbaustellen und deBündner Wald 5 /2014 23
04_Mineralische_Rohstoffe_in_GR.indd 23
03.10.14 08:32
ren verarbeitenden Ziegeleien machte auch
vor Graubünden nicht halt. So ist heute nur
noch eine Abbaustelle mit Ziegelei in Landquart in Betrieb. Seit 1863 werden dort für
die Region Backsteine und Dachziegel aus
Ton, Lehm und Mergel der nahe gelegenen Grube hergestellt. Die vollständig abgebauten Grubenbereiche werden zur Deponierung von sauberem Aushub­
material
verwendet und anschliessend rekultiviert
(Ziegelei Landquart 2014 ).
Inserat
Nach der Nutzung ist vor der Nutzung
Im Gegensatz zu Verkehrswegen sind Abbaustellen zeitlich begrenzte Eingriffe in die
Landschaft. Nach Stilllegung werden sie mit
Florinett AG 2014 (10.01.2014)
sauberem Aushubmaterial, das in grossen
Mengen anfällt, verfüllt und rekultiviert.
Das ursprüngliche Landschaftsbild wird
dabei wieder hergestellt. Rekultivierungen
können zudem einen Beitrag zur Schaffung
vielfältiger Lebensräume und so zur Förderung der Biodiversität leisten.
Aber auch andere Nutzungsformen sind
denkbar: Für den stillgelegten Steinbruch
Calinis in Felsberg sieht ein Konzept vor,
Solarpanelen in die terrassierte Landschaft
zu integrieren und damit jährlich mehr als
1 Mio. kWh erneuerbare Energie zu produzieren.
Geologie als Tourismus-Rohstoff
Bodenschätze lassen sich auch touristisch
nutzen. Die Tektonikarena Sardona macht
ANZEIGE
Mit Hand und Herz am Holz
Florinett AG
Forstunternehmung
Tel. 081 407 15 58
BERGHOLZ-ZENTRUM
7482 BERGÜN/BRAVUOGN
Bergholz-Zentrum
Florinett AG Sägerei
Tel. 081 407 11 74
Tonewood Switzerland
Florinett AG Instrumentenholz
Tel. 081 407 21 34
www.florinett-holz.ch | www.tonewood.ch
Unser Unternehmen ist FSC zertifiziert: für eine verantwortungsvolle Waldwirtschaft!
24
04_Mineralische_Rohstoffe_in_GR.indd 24
03.10.14 08:32
sich dabei die Glarner Überschiebung, eine
UNESCO-geschützte geologische Gleitfläche, zu Nutze, um die Region touristisch zu
fördern. Gesteinslehrpfade an geologisch
attraktiven Standorten oder Goldwaschkurse im Vorderrheintal nutzen die lokalen
Eigenheiten der Gesteine und locken viele
Besucher an. Zahlreiche Bergbau-Museen,
darunter das wohl Höchstgelegene der
Schweiz auf der Alp Taspin im Schams,
profitieren heute von längst stillgelegten
Bergwerken mit ihren wechselvollen Geschichten und leisten einen Beitrag für den
Tourismus, eine der tragenden Säulen der
Bündner Volkswirtschaft.
Rohstoffe für die Kunst
In der Viamala-Schlucht lässt sich die von
Wasser geschaffene Kunst am Stein eindrücklich erleben. Enorm ist die Vielfalt an
Farben und Formen, die der Bündner Untergrund bietet. Zahlreiche Kunstschaffende
lassen sich von Bündner Gesteinen inspirieren und verwenden diese als Grundlage
für ihre Werke. Beispielsweise zermahlt der
Künstler Urs Furrer auf der Suche nach ursprünglichen, natürlichen Farbpigmenten
Gesteine zu Pulver und komponiert dieses
zu stimmungsvollen Bildern.
Rohstoffe im Kreislauf
Die regionale Selbstversorgung mit mineralischen Rohstoffen verbunden mit möglichst
kurzen Transportdistanzen sowie der haushälterische Umgang mit Ressourcen sind
zukunftsweisende, im kantonalen Richtplan
verankerte Grundsätze. Die Karte mit der
Verteilung der Abbaustellen über den Kanton zeigt, dass Graubünden diese Grundsätze – sofern die erwähnten Rahmenbedingungen erlauben – auch in die Tat umsetzt.
Mit der Förderung von Recyclingbaustoffen als Ersatz für Kies und Sand wird zudem
eine Kreislaufwirtschaft angestrebt wie sie
auch vom Bund gefordert wird. Denn Recycling ermöglicht Wertschöpfung aus Abfall
durch die Gewinnung wichtiger Sekundärrohstoffe für die Produktion mit gleichzeitiger Schonung primärer Ressourcen. Zudem
tragen durch das Recycling von Rohstoffen
zahlreiche Unternehmen dazu bei, die Versorgungssicherheit der Wirtschaft zu erhöhen ( BAFU 2013 ).
Nach diesem Vorsatz wird auch die Auf­
be­reitungsanlage zur Rückgewinnung von
Me­tallen aus Haushaltskehricht in der kan­
tonalen Kehrichtverbrennungsanlage in
Trimmis betrieben. So können trotz fehlen­
der rentabler Erzabbaustellen im Kanton
Metalle als sekundäre Rohstoffe gewonnen
und wiederverwendet werden.
Die Referenzen zu diesem Artikel finden Sie
unter: http://bit.ly/1wLoxI7
Donat Fulda
Schweizerische Geotechnische
Kommission SGTK
ETH Zürich
www.sgtk.ch
Iwan Vitins
Schweizerische Geotechnische
Kommission SGTK
ETH Zürich
www.sgtk.ch
Roger Widmer
Schweizerische Geotechnische
Kommission SGTK
ETH Zürich
www.sgtk.ch
Bündner Wald 5 /2014 25
04_Mineralische_Rohstoffe_in_GR.indd 25
03.10.14 08:32
Von einem, der auszog,
um von den Steinen zu lernen
Urs A. Furrer nimmt den unterschiedlichen Duft der Steinpigmente wahr. (Bild: Heinz Erismann)
Der Künstler Urs A. Furrer stellt in seiner
Alp-­Werkstatt in Buchen im Prättigau Farbpigmente von einzigartiger Schönheit her.
Den Rohstoff dazu findet er in den Bündner
Bergen auf Schritt und Tritt. Sein Freund
Yves Schumacher will diesem Geheimnis
auf die Spur kommen und unterhält sich
mit ihm über das Wunder der mineralischen Pigmente.
Schumacher: Urs, man kennt dich hier als
Stein- und Farbenmann. Andere
sehen in dir einen Magier oder Alchemisten. Wer bist du?
Furrer: Ich bin nur Künstler, also Handwerker, und weder Magier noch Geologe. Aber
ich lasse mich von der Magie der Bündner
Gesteine verzaubern und banne ihre wundervolle Substanz auf die Leinwand. Dieser
Prozess geht bei mir selbstverständlich mit
einer geistigen Arbeit einher.
Mit Substanz meinst du wohl das Pigment. Jetzt musst du mir noch erklären,
was Pigmente genau sind.
Pigmente sind farbgebende Substanzen, die
sich unter anderem durch ihre chemische
Struktur, ihre Festkörpereigenschaften sowie durch ihre Kristallstruktur und die Teilchengrössen unterscheiden. Im Gegensatz
zu den Farbstoffen sind diese im Anwen-
dungsmedium nicht löslich. Aus Gesteinen
und Erden erzeuge ich sogenannte anorganische Pigmente. Organische Pigmente stammen hingegen aus dem Tier- oder
Pflanzenreich.
Wie bist du überhaupt auf die Idee
gekommen, Steine zu Pigmenten zu
pulverisieren?
Das war vor etwa 15 Jahren. Ich wollte die
Farbe von Bündner Schiefer mit Acrylfarben
mischen, mit denen ich mich damals noch
herumschlug. Aber die Farbmischungen
gingen immer wieder daneben, weil sie nie
an die Strahlkraft des echten Schiefers herankamen. Deshalb fing ich versuchsweise
an, Bündner Schiefer mit dem Hammer zu
zertrümmern und die Körner so lange zu
zerreiben und zu sieben, bis nur noch feinstes Steinmehl übrig blieb.
Verarbeitest du dazu Gesteine,
Steine oder Mineralien?
In erster Linie Gesteine, weil Steine ja nur
Bruchstücke davon sind. Gesteine bestehen
immer aus zahlreichen einzelnen Minera­
lien, die miteinander im Verbund stehen.
Die Zusammensetzung der Gesteine kann
geringfügig schwanken und Farbtonveränderungen bewirken. Es gibt aber Gesteine
wie beispielsweise den bei uns häufigen
48
BUWA1405_048 48
01.10.14 09:03
Calcit, dessen Weiss durch ein einziges Mineral geprägt ist.
Wodurch entsteht eigentlich die
Farbe des Gesteins?
Oh, das ist eine schwierige Frage, die du
besser einem Physiker stellst. Als Künstler
weiss ich nur so viel: Der Farbreiz selbst entsteht durch Absorption und Remission, das
heisst Streuung oder Reflexion bestimmter
Frequenzanteile des sichtbaren Lichts. Der
ganze Vorgang ist und bleibt für mich ein
Wunder der Natur.
Weiss man, wie viele Farbtöne im
Erdreich verborgen sind?
Grundsätzlich gibt es Gesteine in nahezu allen Farbtönen. Und jeder Farbton ist
einzigartig. Einzigartig ist auch die Farbenvielfalt in den Bündner Bergen. In meiner
Sammlung gibt es unter anderem Juliergelb, Puschlavgelb und Silvrettagelb. Und
die Grüntöne heissen bei mir Clemgiagrün,
Marmoreragrün, Natonsgrün oder Schamsgrün. Fast hätte ich die zauberhaften Rotund Rosatöne vergessen: Bärenrosa, Flixrot,
Klostersrot oder Rheinwaldrosa. Ich liebe
aber auch die unbunten Pigmente in den
zartesten Grautönen. Davon besitze ich
eine Palette mit rund 60 verschiedenen Pigmenten. Unter anderem gehört auch mein
gleissend weisses Schijenstrahlweiss dazu,
dessen Gesteine manchmal wie Reisszähne
aus Bündner Weiden blicken. Weisser geht
es nicht mehr . . .
Und was ist mit schwarzem oder
blauem Gestein?
Schwarzes Gestein findet man beispielsweise im Flussbett der Nolla bei Thusis. Es
handelt sich hierbei um Tonschiefer, das
Pyritheinschlüsse und weisse Adern hat.
Die schwarzen Bestandteile bestehen aus
Graphit. Um eine richtig tiefschwarze Farbe zu erzeugen, muss ich aber auf andere
Regionen oder auf organische Pigmente
ausweichen. Aus dem Wallis erhielt ich von
Roger Widmer, technischer Mitarbeiter der
Schweizerischen Geotechnischen Kommission, einen rabenschwarzen Anthrazitbrocken, den ich zu Pigment pulverisiert habe.
Dienlich sind mir auch Verkohlungsprodukte pflanzlicher oder tierischer Herkunft.
Zum Beispiel Beinschwarz oder Rebschwarz.
Gegenwärtig erzeuge ich ein abgrundtiefes
Schwarz aus unvollständig verbranntem Arvenholz aus dem Kalkbrand in S-charl.
Blaue Gesteine sind in den Bündner Bergen
ausgesprochen selten. Bisher habe ich nur in
der Val Ferrera in Gruoba oberhalb Schmelza, wo in alten Zeiten Kupfererz abgebaut
wurde, klitzekleine Bröckchen blauen Azurits gefunden. Diese Kleinstmengen reichen
für die Herstellung von Pigment aber bei
Weitem nicht aus.
So ist also die Farbvielfalt der Bündner
Gesteine auf bestimmte Mineralien
zurückzuführen?
Ja, natürlich. Der Absorptionsvorgang erklärt sich mit dem chemischen Aufbau des
betreffenden Gesteins. Die elektromagnetische Strahlung des Lichts wird durch gewisse
Atome im Inneren des Gesteins beeinflusst.
Farbgebend sind unter anderem Eisen,
Chrom, Kupfer, Titan oder Nickel. Wenn die
chemische Zusammensetzung des Gesteins
eines dieser Elemente enthält, spricht man
von selbstgefärbten oder idiochromatischen
Steinen. Im Gegensatz dazu stehen fremdgefärbte Gesteine, die man allochromatisch
nennt. Ihre Grundsubstanz ist theoretisch
farblos. Das Vorhandensein von Spurenelementen oder strukturelle Defekte können
eine selektive Absorption verursachen, und
deshalb haben sie eine Farbwirkung.
Bündner Wald 5 /2014 49
BUWA1405_049 49
01.10.14 09:03
1
2
50
3
BUWA1405_050 50
4
01.10.14 09:03
Legenden zu Seite 50
1) P
igment-Kassette von Urs A. Furrer
malinnädelchen erfolgt. In den Alpen vom
Calanda und in der Val Punteglias soll es
welche geben.
– an sich schon ein Kunstwerk.
2) Mystisches Graubünden – eine
Farbsymphonie aus zahlreichen
Gesteinsarten komponiert.
3) Radiolarit aus der Alp Flix oberhalb
von Sur verzaubert ein altes Heutuch.
4) Ein altes Nachthemd aus dem
Prättigau, durchtränkt mit einem
strahlend gelben KonglomeratPigment aus dem Domleschg.
( alle Bilder: zVg v. Urs A. Furrer)
Stimmt es, dass sich mineralische
Pigmente durch Erhitzung im Ofen
farblich verändern lassen?
Absolut. Das trifft namentlich auf Pigmente
auf der Basis von Eisenoxid zu. Diese Möglichkeit war schon den Steinzeitmenschen
bekannt, die die Höhle von Lascaux mit
grossartigen Bildern ausschmückten. Die
Pigmente fanden sie als Verwitterungsrückstände von Eisenverbindungen, die im Kalkmergel vorkommen. Auch die alten Meister
des Mittelalters erzeugten braune bis tiefrote Pigmente, indem sie den Ocker erhitzten.
In Zusammenarbeit mit einer Keramikerin
bin ich gegenwärtig am Experimentieren.
Im Brennofen, wo Temperaturen von über
1100 Grad Celsius herrschen, wandelt sich
die Farbe der mit meinen Pigmenten beschichteten Objekte auf jeweils unerwartete
und wundersame Weise.
In Graubünden gibt es sicherlich auch
farbige Schätze, die du noch aufstöbern
möchtest.
Ja, zum Beispiel Blauquarze, deren Färbung
durch die Lichtstreuung an feinsten Tur-
Dass du schöne, farbige Gesteine sammelst, verstehe ich gut. Warum nimmst
du dir aber die Mühe, damit Pigmente
herzustellen? Schliesslich können
Künstler heute alle Farben fixfertig in
Tuben kaufen.
Stelle doch mal Probeanstriche mit angerührten Farben aus Naturpigmenten gegenüber einer handelsüblichen Tubenfarbe !
Die Ausstrahlung von mineralischen Naturfarben ist mit industriellen Produkten nicht
zu vergleichen. Handelsfarben werden standardisiert. So will es der Markt.
Das leuchtet ein. Erkläre mir nun bitte
den Herstellungsprozess von Pigmenten
in deiner Alp-Werkstatt.
Der Prozess ist recht einfach. Zuerst zertrümmere ich die nach Hause geschleppten Gesteinsbrocken in einem Schredder.
Alsdann wird das Granulat in meiner Steinmühle solange gemahlen, bis nur noch
Steinmehl in einer Korngrösse von 63 Mikrometer und kleiner übrig bleibt.
Mit Farbpigmenten alleine bringt man
aber noch kein Bild zustande. Wie
geht man mit dem Steinpulver um?
Man nehme ein Bindemittel und rühre darin
das Pigment ein.
Welches Bindemittel empfiehlst du?
Die Antwort hängt ganz von der Maltechnik der Anwenderinnen und Anwender ab.
Grundsätzlich kommt jedes Bindemittel infrage. Ich selbst bevorzuge natürliche Medien wie Gummi arabicum oder Wasserglas.
Für Fresken greift auch Kasein sehr gut, das
bekanntlich aus Milch erzeugt wird. SelbstBündner Wald 5 /2014 51
BUWA1405_051 51
01.10.14 09:03
verständlich lassen sich mineralische Pigmente aber auch mit einem farblosen acrylischen Malmittel anrühren. Aber das ist nicht
nach meinem Gusto – Acrylfarben basieren
auf Kunststoffdispersionen und trocknen zu
einem regelrechten Plastikfilm.
In deinem Gestell sehe ich über 250
Fläschchen mit verschiedenen Farbtönen.
Wie geht es nun weiter?
Mein Zentrum und Lebensraum ist der
Kanton Graubünden. Mein Ziel ist aber, bis
zu meinem Lebensende jeden Schweizer
Berg zu pulverisieren. Oder anders gesagt:
Ich suche so lange, bis ich alle Farben der
Schweiz auf meiner Palette habe. Im Augenblick verlasse ich zuweilen die Alpen
und spüre auch im Schweizer Mittelland
und in der Jurakette neue Steinfarben auf.
Du bist offenbar nicht nur Künstler, sondern auch Alchemist. Ich wünsche dir
noch viele spannende Farbentdeckungen.
Danke für das Gespräch !
Urs A. Furrer
[email protected] | www.art-depot.ch
Yves Schumacher
ys’c Communications GmbH
Renggerstrasse 3, CH-8038 Zürich
[email protected]
ANZEIGE
Fördern, heben,
spannen, sichern:
Umfangreiches Sortiment
für Wald und Forst.
Jakob AG, 3555 Trubschachen
Tel. 034 495 10 10, Fax 034 495 10 25
eMail: [email protected]
52
BUWA1405_052 52
01.10.14 09:03
Vorschau «Bündner Wald»
Dezember 2014
Bündner Wald und Klimawandel
Der Klimawandel beeinflusst das Ökosystem
Wald. Die globalen Auswirkungen schei­
nen skizziert. Doch was ist in den Bündner
Wäldern zu erwarten? Wie können wir uns
wappnen? Die WSL führte im Rheintal über
mehrere Jahre Untersuchungen zur The­
matik, die nun spannende Antworten lie­
fern. Die gesamte nächste Ausgabe nimmt
sich dieser Thematik an.
Redaktion: Sandro Krättli
Vorschau auf die nächsten Nummern:
Februar 2015:
Winter im Wald
Redaktion: Jörg Clavadetscher
April 2015:
Versammlungsnummer
St. Antönien
Redaktion: Sandro Krättli
Herausgegeben von Graubünden Wald, Amt für Wald und Naturgefahren Graubünden und der SELVA.
Verleger: Südostschweiz
Verlegerin: ©
Somedia (Südostschweiz
Presse und Print
Presse
AG, Südostschweiz
und Print AG), Print,
CH-7007
CH-7007
Chur Sekretariat: SELVA,
Chur Sekretariat: SELVA,
Urs Rutishauser,
Christophe­BTrüb,
ahnhofplatz 1,
­Bahnhofplatz
CH-7302
1, CH-7302
Landquart,
Landquart,
Telefon + 41
Telefon
(0) 81
+ 41
300
(0)22
8144,
300buendnerwald 22 44, buendnerwald Redaktoren: Jörg
Redaktoren: Jörg
Clava­detscher,
Clava­
@ selva-gr.ch
@ selva-gr.ch
detscher,
Revier
forestal
Revierdaforestal
Val Müstair,
da ValCH-7535
Müstair, CH-7535
Valchava,Valchava,
Telefon + 41
Telefon
(0) 81
+ 41
858(0)588121,
858
forestal-muestair 58 21, forestal-muestair Sandro Krättli,
@ bluewin.ch.
@ bluewin.ch.
TelefonSchiers,
81 300+ 41
24 11,
(0) 81
sandro.kraettli 300 24 11, @
sandro.kraettli wn.gr.ch.
Sandro
Krättli,
AWN GR, Sagastägstrasse
96, CH-7220
+ 41 (0)Telefon
AWN GR,
Sagastägstrasse
96, CH-7220 Schiers,
awn.gr.ch. Die
@ aRedaktion
Die
behält
Redaktion
sich vor,behält
Beiträge
sichinvor,
nicht
Beiträge
verlangter
in nicht
Formverlangter
ohne Rückfrage
Form ohne
zu ändern.
Rückfrage
Herstellung:
zu ändernSomedia
Druckvorstufe
Production,
(Satz,Postfach
Lithos, Belich508,
: Südostschweiz
CH-7007
(0) 81 255 Print,
51 11,Antonin
Fax + 41
(0) 81Druck: Südostschweiz
255 51 05. Erscheint sechsmal
Kasernenstrasse 1,
tung) Presse Chur,
und Print
Telefon
AG, + 41
Südostschweiz
Friberg
Presse und
jährlich.
Print AG,
Süd­ostschweiz
Auflage:
1700 Exemplare
Print, Postfach
Inserate: Somedia
508, Kasernenstrasse
Promotion,
1, CH-7007
Neudorfstrasse
Chur, Telefon
17, CH-7430
+ 41 (0)Thusis,
81 255Telefon
51 11,+ 41
Fax (0)
+ 4181(0)650
81 00 70,
Fax
255 + 41
52 89.
(0)Erscheint
81 650 00
sechsmal
74, [email protected]
jährlich. Auflage ­A1700
bonnementspreise: CHF
60.– (inkl. MwSt.
Exemplare Inserate: Südostschweiz
Publicitas
für Mitglieder
AG, Neudorfstrasse
Verein
17,
CH-7430 Thusis,
Graubünden
Wald)
Telefon
Abonnemente/Adressänderungen:
+ 41 (0) 81 650 00 70, Fax + 41
Aboservice,
(0) 81 650Postfach
00 74, [email protected]
508, Kasernenstrasse 1,­ACH-7007
bonnementspreise: Chur,
CHF
Telefon
60.–
+ 41
(für(0)
Mitglieder
81 255 54
Verein
54, abo Graubünden
Wald)
www.buendnerwald.ch
Abonnemente/Adressänderungen: Südostschweiz Presse und Print AG,
@ somedia.ch,
Für Inseratetexte
übernimmt
und Zustellservice,
die Redaktion
Kasernenstrasse
keine Verantwortung,
1, CH-7007auch
Chur,
50 50,nicht mit der Ansicht
Postfach
508, Abomuss
Telefon
die Meinung
+ 41 (0) 81
der255
Beiträge
www.buendnerwald.ch
der Redaktoren übereinstimmen. Autoren, die zu obenstehenden Themen publizieren möchten, sind herzlich eingeladen, ihre
Für
Vorschläge
Inseratetexte
der Redaktion
übernimmt
einzureichen.
die Redaktion keine Verantwortung, auch muss die Meinung der Beiträge nicht mit der Ansicht
der Redaktoren übereinstimmen. Autoren, die zu obenstehenden Themen publizieren möchten, sind herzlich eingeladen, ihre
Vorschläge der Redaktion einzureichen.
Swiss Climate
Klimaneutral
gedruckt
SC2014010602 • www.swissclimate.ch
Bündner Wald 5 /2014 63
BUWA1405_063 63
03.10.14 08:27
Herunterladen