Pharmazeutische Chemie - Vedolizumab Vedolizumab (Entyvio®) Für die Behandlung der chronisch entzündlichen Darmerkrankungen Morbus Crohn und Colitis ulcerosa steht nun mit dem monoklonalen Antikörper Vedolizumab (Entyvio®) eine neue Therapieoption zur Verfügung. Das Fertigarzneimittel Entyvio® ist ein Pulver zur Herstellung einer Infusionslösung und indiziert zur Therapie Erwachsener, die entweder an Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa (jeweils mittelschwerer bis schwerer Verlauf) leiden und die auf eine konventionelle Therapie oder einen Tumornekrosefaktor-α-Antagonisten (TNFα-Antagonisten) nicht oder nicht mehr ausreichend ansprechen. In der empfohlenen Dosierung wird die i.v.-Infusion zur Einleitung der Therapie, nach zwei, nach sechs und dann alle acht Wochen gegeben (Fachinformation Entyvio® 2014). Vedolizumab ist ein humanisierter monoklonaler Antikörper (Endung: „-zumab“), der in Ovarialzellen des chinesischen Hamsters (CHO-Zellen) produziert wird. Vedolizumab ist vom Isotyp, d.h. hinsichtlich der konstanten Region der schweren Kette, ein IgG1-Antikörper. Das Epitop, gegen das sich Vedolizumab richtet und an das es spezifisch bindet, ist das α4β7-Integrin (Rezaie 2014). Ursächlich für die chronisch entzündlichen Darmerkrankungen Morbus Crohn und Colitis ulcerosa scheint eine zu starke Antwort des Immunsystems eines genetisch vorbelasteten Körpers auf bestimmte Umwelteinflüsse zu sein (Knights et al. 2013). Zahlreiche Arzneimittel werden zur Therapie eingesetzt. Patienten, die nicht auf das Mittel der Wahl - ein 5-Aminosalicylat wie Mesalazin - ansprechen, können Immunsuppressiva/-modulatoren wie z.B. Glucocorticoide, Azathioprin oder Methotrexat erhalten. Einen weiteren großen Fortschritt brachte die Einführung des monoklonalen TNFα-Antikörpers Infliximab (Remicade®) in 1998. Mit Adalimumab (Humira®) wurde in 2003 ein zweiter TNFα-Antagonist - allerdings zur Behandlung der rheumatoiden Arthritis - zugelassen. TNFα ist eines der wichtigsten proinflammatorischen Zytokine. Beim Morbus Crohn sowie bei der Colitis ulcerosa ist die Anzahl der TNFα-sezernierenden T-Zellen stark erhöht, so dass diese zielgerichteteten Wirkstoffe eine deutliche Therapieverbesserung darstellen. Dennoch ist es so, dass selbst bei der stärksten Kombinationstherapie bestehend aus einem Immunmodulator wie Methotrexat und einem Anti-TNFα-Medikament wie Infliximab eine vollständige steroidfreie Remission nur bei ca. 57% der Patienten erreicht werden kann (Colombel et al. 2010, Krishnareddy und Swaminath 2014). Wenn man sich den hohen Prozentsatz an Patienten ansieht, der nicht ausreichend auf die verfügbaren Therapien anspricht, so wird das Bedürfnis nach neuen Arzneistoffen/ neuen Targets für diese Erkrankungen deutlich. Ein solches neues Target sind die Adhäsionsmoleküle. Arzneistoffe, die sich gegen solche Zelloberflächen-Glykoproteine (Integrine) richten, beeinträchtigen die Migration bestimmter Leukozyten vom Blut zum Entzündungsherd. Für Morbus Crohn und Colitis ulcerosa spielt das Adhäsionsmolekül α4β7 eine wichtige Rolle. Dieses Integrin wird auf bestimmten Memory-T-Helferzellen exprimiert. Mit Hilfe des α4β7-Integrins docken diese T-Zellen spezifisch an das Adhäsionsmolekül MAdCAM1 (Mucosal addressin cellular adhesion molecule-1) an, welches fast ausschließlich auf der Oberfläche von Darmendothel-Zellen auftaucht. Über die Bindung von α4β7 an MAdCAM-1 können die T-Zellen ins Gewebe des Magen-Darm-Traktes migrieren, proinflammatorisch wirken und das für Morbus Crohn/ Colitis ulcerosa charakteristische Entzündungsgeschehen hervorrufen. Der erste monoklonale Antikörper mit einem ähnlichen Wirkmechanismus war Natalizumab (Tysabri®) Mitte 1 CA 31.8.2014 Pharmazeutische Chemie - Vedolizumab der 2000er Jahre, der zur Behandlung der Multiplen Sklerose eingesetzt wird. Natalizumab bindet an die α4-Untereinheit der Integrin-Dimere. Durch die Bindung ausschließlich an der α4-Unterinheit besitzt Natalizumab eine unspezifische Wirkung. Es wird nicht nur die α4β7-MAdCAM-1-Interaktion gehemmt, sondern Natalizumab hemmt zusätzlich noch weitere Interaktionen, an denen andere α4-Integrin-Dimere beteiligt sind. So hemmt es z.B. auch α4β1-Integrine, die an VCAM-1 (vascular cell adhesion molecule-1) bindet. Die Natalizumab wurde in 2005 in den USA vorübergehend vom Markt genommen. Die α4β1-VCAM-1-Interaktion ist notwendig, um T-Effektor-Zellen zu aktivieren, die das JC-Virus enthalten und eine Infektion des Gehirns mit diesem Virus verhindern. Natalizumab musste in 2005 in den USA vorübergehend vom Markt genommen werden, nachdem Patienten an einer progressiven multifokalen Leukenzephalopathie (PML) erkrankt waren, ausgelöst durch das JC-Virus. Somit war klar, dass α4β7-spezifische Therapien benötigt werden. Eine solche stellt Vedolizumab dar. Vedolizumab bindet spezifisch an das α4β7-Integrin im Darm. Damit stellt Vedolizumab die erste darmspezifische gegen ein Adhäsionsmolekül gerichtete Therapie dar. Vedolizumab bindet nicht an das α4β1-Integrin oder an sonstige die α4-Untereinheit enthaltenen Integrine außer an α4β7 (Fachinformation Entyvio® 2014, Krishnareddy und Swaminath 2014). Literatur: Colombel, J.F. et al. N Engl J Med 2010, 362, 1383 Fachinformation Entyvio® 2014, Takeda Pharma A/S Knights, D. et al. Gut 2013, 62, 1505 Krishnareddy, S. und Swaminath, A. World J Gastroenterol 2014, 20, 1139 Rezaie, A. Ann Gastroenterol 2014, 27, 179 2 CA 31.8.2014