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Lorenzer Kommentargottesdienste
zu Ereignissen der Zeit
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Sonntag, 16. Juni 2013, 11.30 Uhr
St. Lorenzkirche – Nürnberg
Bratwurst für die Welt
Ernährung in
Verantwortung
Kommentare:
Dipl. Oec. throph. Katja Wittmann
Verbraucherzentrale Nürnberg
Dr. Jürgen Bergmann
Mission Eine Welt
Theologischer Kommentar und Leitung:
Pfarrer Bernd Reuther
Nürnberg – Lichtenhof
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www.lorenzkirche.de: Kommentargottesdienst
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Der Lorenzer KommentarGottesdienst eröffnete die Grillsaison:
Angesichts tausender Bratwürste, die auf dem Grill Farbe annehmen, aber
möglicherweise auch Krebs erregende Stoffe produzieren, wollte sich das
Team aus berufenem Mund erklären lassen, wie gesunde Ernährung
(dennoch) möglich ist.
Bei all dem sollte aber nicht übersehen werden, dass wir in den Ländern
der reichen Welt auch Verantwortung für die Menschen haben, die in
Ländern leben, in denen Fleisch zu den absoluten Luxusgütern gehört, die
allenfalls für den Export oder für die reiche Oberschicht hergestellt werden.
Die Kollekte wurde erbeten für die Aktion „CAPA - Kleinbauern
suchen neue Wege“
Stolz lässt der brasilianische Bauer Marcos die schwarze, saftige und
ertragreiche Erde durch seine Finger rieseln. Sein Lebensmotto: „Keine
Chemie mehr auf den Acker – Ich bin Biobauer.“ Zwar machen ihn seine elf
Hektar Land nicht reich, aber die Gesundheit seiner Familie und der
Menschen, die seine Produkte kaufen, sind ihm wichtiger. Noch vor
wenigen Jahren sah sein Hof ganz anders aus. Damals ließ er sich auf
einen Knebelvertrag mit einem großen Agrarkonzern ein. Er baute auf 20
Hektar Land Soja, Tabak und Weizen an.
Wie viele andere Kleinbauern hatte er den Versprechungen von Regierung
und Agrarkonzernen geglaubt, dass Hochertragssorten, Dünger und
Pestizide die Lösung für ausgelaugte Böden sind. Ein Experiment, das
seine Böden verseuchte. Das die Gesundheit derer, die seine Produkte
aßen, ruinierte und durch das er seine Familie kaum noch ernähren konnte.
Doch er gab nicht auf und fing noch einmal von vorne an.
Von CAPA, dem Zentrum für die Unterstützung der Kleinbauern, einem
Programm der Evangelischen Kirche Lutherischen Bekenntnisses in
Brasilien, bekam er Unterstützung, einen Kleinkredit, Beratung in
ökologischem Landanbau sowie in Verarbeitung und Vermarktung der
Produkte.
Spendenkonto:
Mission EineWelt
Stichwort: "CAPA - Kleinbauern suchen neue Wege"
Konto 10 10 11 111
Evang. Kreditgenossenschaft (BLZ 520 604 10)
ViSdP: Wolfram Steckbeck, Laufamholzstr.1, 90482 Nürnberg – Die einzelnen Beiträge geben die Meinung der
Kommentatoren wieder – nicht die der Kirchengemeinde St. Lorenz oder des Lorenzer Kommentarteams.
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Kommentar von Katja Wittmann, Dipl. Oecotrophologin:
Zu diesem Thema fallen mir als Ernährungswissenschaftlerin und tätig
in der Verbraucherzentrale auf Anhieb sehr viele Dinge ein:
Bratwurst:
- Nürnberger Rostbratwurst
- Sommer und Grillen mit Freunden
- Fettig
- Massentierhaltung
Für die Welt:
- Gerechte Verteilung
- Kein Hunger
Ernährung
- Kohlehydrate, Fett, Protein, Vitamine, Ballaststoffe, Mineralstoffe,
Spurenelemente usw.
- Genuss
- Gesundheit
In Verantwortung:
- meine Ernährung geht nicht nur mich etwas an
- Welthunger
- Klimafreundliche Ernährung
- Lebensmittelverschwendung
- Fairer Handel
Wie ernähre ich mich vernünftig – Was tut mir gut?
Viel Stoff für zehn Minuten. Daher habe ich einfach mal geschaut, was
andere zu diesem weiten Thema sagen:
„Man soll dem Leib viel Gutes bieten, damit die Seele Lust hat darin zu
wohnen, sagte die mittelalterliche Mystikerin Theresa v. Avila; Winston
Churchill griff dies später zur
ungesunden Ernährungsstiles auf.
Rechtfertigung
seines
reichlich
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Aber was tut denn gut und wie viel tut gut?
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung hat für eine vollwertige
Ernährung zehn Regeln herausgegeben:
• vielseitig essen
• reichlich Getreideprodukte und Kartoffeln
• Gemüse und Obst – „Nimm 5 am Tag“
• Täglich Milch und Milchprodukte; ein- bis zweimal in der Woche
Fisch; Fleisch, Wurstwaren sowie Eier in Maßen
• Wenig Fett und fettreiche Lebensmittel
• Zucker und Salz in Maßen
• Reichlich Flüssigkeit
• Schmackhaft und schonend zubereitet
• Sich Zeit nehmen und genießen
• Auf das Gewicht achten und in Bewegung bleiben
Ich möchte heute nur ein paar dieser Regeln zum Thema dieses
Gottesdienstes näher betrachten.
Vielseitig essen:
Nutzen Sie die Vielfalt, die wir heutzutage vorfinden, aber mit Bedacht.
Die Supermärkte sind voll. Im Schnitt finden wir 10.000 Lebensmittel
in den Regalen. Da kommt dem guten alten Einkaufszettel wieder eine
wichtige Bedeutung zu. Lassen Sie sich nicht zu Unnötigem verführen.
Auch das ist Verantwortung. Hier sind die Großpackungen ein gutes
Beispiel. Nicht alle Großpackungen sind automatisch günstiger als die
kleinere Variante. Achten Sie auf die Angabe des Grundpreises. Es
lohnt sich außerdem nicht der Kauf einer Großpackung, wenn ein Teil
später im Müll landet. Und leider werden uns Verbraucher in
Deutschland 61 % der Lebensmittelabfälle zugeschrieben. Es ist klar,
dass mit weniger wegwerfen andere nicht satter werden. Doch je mehr
wir verschwenden, desto höher sind die Nachfrage am Weltmarkt und
damit die Preise weltweit. Darunter leiden vor allem die Menschen in
Entwicklungsländern.
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Und noch ein kleiner Tipp: Gehen Sie nicht mit Hunger einkaufen. Ist
es Ihnen nicht auch schon so gegangen. Sie sind hungrig einkaufen
gegangen und haben sich danach gewundert, was denn da so alles im
Einkaufswagen gelandet ist?
Gemüse und Obst – „Nimm 5 am Tag“
Zwei Portionen Obst und drei Portionen Gemüse am Tag; dabei ist eine
Portion die Menge, die in die eigene Handfläche passt. Gemüse und
Obst sind ideale Fitmacher, sie sind energiearm, reich an Vitaminen,
Mineral- und Ballaststoffen sowie an sekundären Pflanzenstoffen. Sie
sind vielseitig verwendbar und ideal für zwischendurch. Und sie sind in
großer Auswahl erhältlich. Kaufen Sie diese dann auch noch à la
Saison ein, schonen Sie Ihren Geldbeutel und tun gleichzeitig etwas für
die Umwelt. Erste Wahl sollte Gemüse und Obst aus der Region und
frisch vom Feld sein. Was nicht weit transportiert werden musste und
vor Ort ausreifen konnte, schmeckt einfach besser. Haben Sie schon
einmal eine Erdbeere an Weihnachten aus Südafrika gegessen? Wie
schmeckt im Vergleich dazu eine fränkische Erdbeere im Sommer?
Und: Wer die Landwirtschaft vor der eigenen Tür unterstützt, trägt
auch zum Erhalt der Landschaft und Wirtschaft in seiner Region bei.
Auch viele Supermärkte bieten inzwischen regionale Produkte an.
Fleisch, Wurstwaren in Maßen:
300-600 g Fleisch und Wurst in der Woche sind ausreichend für einen
Erwachsenen. Diese Menge reicht, um alle lebensnotwendigen
Aminosäuren im richtigen Verhältnis aufzunehmen. Das sind etwa 3
Portionen Fleisch mit 150 g und 3 Portionen Wurst mit 30 g in der
Woche. 150 g Fleisch ist etwa ein Schnitzel in der Größe meiner
Handfläche. Die Produktion von Fleisch, Wurst und anderen tierischen
Lebensmitteln ist besonders energieaufwendig und klimabelastend. Bei
der Produktion von einem Kilogramm Rindfleisch werden mehr als 13
Kilogramm Treibhausgase freigesetzt. Im Vergleich dazu: Ein
Kilogramm Obst verursacht ein halbes Kilogramm Treibhausgase.
Gemüse sogar nur 150 g. Hierzu noch eine anderes Zahlenbeispiel: Es
sind durchschnittlich sieben Kalorien in Form von pflanzlichen
Futtermitteln notwendig, um eine Kalorie tierischer Lebensmittel zu
erzeugen.
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Dazu ein Zitat von Tanja Dräger de Teran, WWF-Referentin
Klimaschutz und Ernährung:
„Wer in der Mittagspause statt Schinkenbrötchen oder Hamburger, die
Pasta mit Tomatensauce oder Ratatouille wählt, betreibt aktiven
Klimaschutz.“
Genießen Sie Ihren Sonntagsbraten oder Ihren Grillabend mit
Bratwurst und Steak – achten sie dabei auf Qualität – weniger ist hier
mehr. Schöpfen Sie an den anderen Tagen aus der Vielfalt des
Gemüsegartens.
Hierzu noch ein Zitat von Jonathan Safran Foer, Autor von „Tiere
essen“:
„Nur sehr wenige können sich vorstellen, Vegetarier zu sein. Aber fast
jeder kann sich vorstellen, weniger Fleisch zu essen.“
Wenig Fett und fettreiche Lebensmittel
Vor allem fettreiche Milchprodukte wie Butter, Sahne oder
Hartkäsesorten belasten die Klimabilanz – und oftmals auch den
eigenen Körper. Zur Herstellung dieser Produkte ist eine große Menge
Milch erforderlich. Für ein Kilogramm Butter werden zum Beispiel 25
Liter Milch benötigt.
Zucker und Salz in Maßen.
Naschen ist erlaubt! Eine Portion am Tag. Wie wäre es denn als
Nachtisch bei einem Grillabend mit Grillbanane auf Orangenragout mit
Bananen und Orangen aus dem Fairen Handel?
Die Grillzeit ist eine schöne Zeit. Und vielleicht halten bei Ihnen ja auch
Maiskolben, mariniertes Gemüse wie Zucchini, Champignons und Co.,
Tomaten-Käse-Päckchen, Baguette mit Kräuteraufstrich, bunte Salate,
gefüllte Kartoffeln, Tzatziki und natürlich Tomate mit Mozzarella
Einzug.
Und wenn davon etwas übrig bleiben sollte, gibt es am nächsten Tag
einen feinen Gemüseauflauf.
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Kommentar von Dr. Jürgen Bergmann:
Hunger – ein verteilungspolitisches Problem
Immer noch sterben täglich rund 24 000 Menschen an den Folgen von
Hunger und Unterernährung; Kinder sind besonders betroffen. Und: Kriege
und Naturkatastrophen sind nur für etwa 10% der hungernden Menschen
verantwortlich; 90% hungern chronisch aufgrund struktureller Armut.
Dabei ist der Hunger in der Welt heute weniger ein agrar-technisches als
ein verteilungspolitisches Problem. Die Nahrungsmittel reichen rein
rechnerisch für 12 Mrd. Menschen. Trotzdem hungern 870 Mio. Menschen,
davon leben 95% in Entwicklungsländern und davon über zwei Drittel auf
dem Land. Es ist die individuelle Kaufkraft, die bestimmt wie
Nahrungsmittel verwendet werden: als Tierfutter, für Agrosprit oder als
Nahrung
Prof. Robert T. Watson, Direktor des Weltagrarberichts und 2008
Chefwissenschaftler des britischen Ministeriums für Umwelt, Ernährung und
Landwirtschaft gibt uns einen Ausblick: “Wenn wir darauf bestehen, weiter
zu machen wie bisher, lässt sich die Bevölkerung der Welt in den nächsten
50 Jahren nicht ernähren. Die Umweltzerstörung wird zunehmen und die
Kluft zwischen Reich und Arm wird größer werden. Wir haben die
Möglichkeit, jetzt unsere geistigen Möglichkeiten aufzubieten, um einer
solchen Zukunft zu entgehen. Andernfalls steht uns eine Welt bevor, in der
keiner von uns leben will.”
Sie haben vom Weltagrarbericht noch nichts gehört – und das, obwohl der
bereits seit 2008 vorliegt? Das könnte mit seiner Geschichte zusammen
hängen. Der Weltagrarbericht wurde zwar von renommierten
Organisationen wie der Weltbank initiiert und von über 500
WissenschaftlerInnen aller Kontinente und Fachrichtungen in vier Jahren
zusammengetragen, dazu von einem Aufsichtsrat bestehend aus
VertreterInnen aus Regierungen und Zivilgesellschaft begleitet. Der Bericht
wurde jedoch erst von 58 Staaten unterzeichnet. Deutschland gehört nicht
dazu.
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Kernaussagen des Weltagrarberichts
Bereits beim Blick auf die Kernaussagen wird die Sprengkraft des
Weltagrarberichts deutlich:
1. „Es ist genug für alle da“ – In Kalorien ausgedrückt produzieren
Landwirte heute weltweit etwa ein Drittel mehr, als für die ausreichende
Versorgung aller Menschen notwendig wäre.
2. Häufig stellen Wissenschaft und Industrie Produktionsverfahren zur
Verfügung, die in bestimmten Zusammenhängen zu positiven Resultaten
geführt haben. Diese Verfahren gehen jedoch nicht von den regional oft
sehr spezifischen Problemstellungen aus. Deshalb: Gemeinschaftliche
Innovation anstelle von aufgezwungenen Technologien, die oft nur
einigen wenigen Großkonzernen nutzen.
3. Gentechnik
wird
in
absehbarer
Zeit
für
Kleinbauern
in
Entwicklungsländern und bei der Bekämpfung des Hungers keine
entscheidende Rolle spielen, da sie besonders kapital- und
forschungsintensiv ist.
4. Wissenschaft, Bäuerinnen und Bauern müssen gemeinsam forschen;
ohne die Wertschätzung bäuerlichen Wissens gibt es keine
praxisrelevanten Lösungen.
5. Teure und ökologisch fragwürdige Betriebsmittel wie Pestizide oder
Gentechnik bringen mittel- und langfristig mehr Probleme statt
Lösungsansätze.
6. Landwirtschaft muss ökologischer werden, ihre vielfältigen Leistungen
müssen gefördert und anerkannt werden.
7. Kleinbauern und bäuerliche Betriebe sind der Schlüssel zur sicheren
Welternährung. Der Hunger muss vor Ort überwunden werden.
Landwirtschaft am Scheideweg
Angesichts einer wachsenden Weltbevölkerung sind die Anforderungen an
eine zukunftsfähige Landwirtschaft vielfältig: eine wachsende Anzahl von
Menschen muss ausreichend mit gesunden Lebensmitteln versorgt werden,
gleichzeitig müssen Landschaft, Böden, Gewässer geschützt sowie die
biologische Vielfalt erhalten werden. Weiterhin müssen weltweit
Arbeitsplätze geschaffen und soziale Strukturen auf dem Land stabilisiert
werden.
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Jahrzehntelang setzten die Industrienationen auf eine hoch intensivierte,
globalisierte
Landwirtschaft
mit
Großbetrieben,
kapitalintensiver
Bewirtschaftung und Exportorientierung. Sie förderten dieses Modell
weltweit durch Handelsvereinbarungen und Liberalisierungen des Marktes.
Die Resultate – so der Weltagrarbericht – lassen angesichts von Hunger,
Lebensmittelskandalen und Klimawandel zu wünschen übrig.
Weiter wie bisher ist keine Option
Die Expertinnen und Experten des Weltagrarberichts stellen fest: Wir
brauchen eine agrarökologische Wende der Landwirtschaft, der
Lebensmittelproduktion und des Konsums. Eine multifunktionale, bäuerliche
und nachhaltige Landwirtschaft weist dabei den Weg in die Zukunft.
1. Effizienz-Revolution: Mehr Menschen sollen künftig gesund, gerecht und
nachhaltig ernährt und gleichzeitig die Treibhausgase drastisch reduziert
werden. Bislang wurde der wirtschaftliche Ertrag je Arbeitskraft
optimiert. Jetzt heißt es, mit den vor Ort verfügbaren Mitteln den
optimalen Ernährungsertrag je Fläche zu erzielen.
2. Solare Landwirtschaft und Vielfalt: Abkehr von fossilen Energien,
Vertrauen auf menschliche Kreativität und die Anpassungskraft der Natur
sind Schlüssel für eine systematische agrarökologische Intensivierung.
Industrielle Landwirtschaft und damit verbundene Systeme müssen
konsequent umgebaut werden.
3. Ernährungssouveränität: selbstbestimmt, ausreichend und gesund muss
Nahrung sein, wenn sie nachhaltig aus der Armut führen soll. Aber
Selbstversorgung und Eigenverantwortlichkeit können auch die
Ernährungssouveränität in einer von Überkonsum belasteten
industrialisierten Welt zurückerobern helfen.
4. Globale Zusammenarbeit und Beteiligung: Neben der Wiederherstellung
von regionalen Kreisläufen zwischen Verbrauchern und Herstellern lädt
der Weltagrarbericht zu Vernetzung und zivilgesellschaftlichem
Engagement ein.
Checkliste für nachhaltige Ernährung in der Einen Welt
Eine nachhaltige und global verantwortliche Ernährung dient vielleicht nicht
unserer Bequemlichkeit, fördert aber möglicherweise sogar unsere
Lebensqualität, wenn wir uns von folgender Einkaufs-Checkliste leiten
lassen:
10
•
•
•
•
•
•
Regionale Ware neu kennen lernen
Saisonalität der Produkte beachten
Was kann ich frisch erwerben?
Pflanzliche Lebensmittel vorziehen, Fleischkonsum reduzieren
Bio- und Fair Trade-Produkte – wenn möglich – kaufen.
Öko-soziale Wirkungen bedenken (Sozial- und Umweltstandards bei
der Produktion beachten)
Eine nachhaltige und global verantwortliche Ernährungsweise wie sie der
Weltagrarbericht fordert, stellt Anfragen mitten ins Herz unserer
Gesellschaft. Er artikuliert manches, was der „gesunde Menschenverstand“
schon immer zu wissen meinte, aber Sachzwänge, angebliches
Expertenwissen und Lobbyisten als unrealistisch abgetan hatten.
Tatsächlich
nötigt
er
der
industrialisierten
Welt
gewaltige
Umsetzungsaufgaben ab, macht deutlich, dass wir wesentlicher Teil des
Problems sind. Aber er zeigt auch die Chancen auf für eine auch künftig
noch lebenswerte Welt.
Theologischer Kommentar von Pfarrer Bernd Reuther:
4. Mose 11, 4b-6: Da fingen auch die Israeliten wieder an zu weinen
und sprachen: Wer wird uns Fleisch zu essen geben? Wir denken an
die Fische, die wir in Ägypten umsonst aßen, und an die Kürbisse, die
Melonen, den Lauch, die Zwiebeln und den Knoblauch. Nun aber ist
unsere Seele matt, denn unsere Augen sehen nichts als das Manna.
Da waren die Knechtschaft und die Sklavenarbeit und die
Unterdrückung in Ägypten endlich vorbei. Da waren sie nun knapp ein
Jahr durch die Wüste gewandert. Da war gas gelobte, das verheißene
Land nicht mehr fern. Aber: Die gegrillte Nilforelle – die gibt es jetzt
mal in meiner fränkischen Phantasie – getränkt in Knoblauchöl mit
feinen Kräutern und Gemüsen, die beherrscht das Denken des Volks.
Das Manna, einst Lebensretter in der Hungersnot können sie nicht
mehr sehen, der Anblick macht die Seele matt. Also wird geweint und
geklagt und gemurrt: Mose, der große Papa soll es richten. Fleisch
muss auf den Teller, oder Fisch, oder alles, nur kein Manna mehr.
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Essen, liebe Gemeinde, ist mit ganz vielen Emotionen verbunden.
Entwicklungsgeschichtlich alte Hirnteile funken SOS, wenn zu wenig
Nahrung vorhanden ist.
„Du bist, was du isst“. Selbst wenn mir das Kalbsbries auf
Finanzmannsart, also Bries in Blätterteig mit feinsten Trüffeln nicht
wirklich schmeckt, ich kann es mir leisten, einen enormen Preis dafür
zu zahlen, also bin ich wer.
Essen ist ein existentielles, ein mit ganz vielen, auch unbewussten
Emotionen besetztes Thema.
„Erst kommt das Fressen, dann die Moral.“
Schon Mose in der Wüste musste erleben, dass er die Lust auf die
Nilforelle nicht in den Griff bekommen konnte. Was sollte er auch
sagen: Jetzt seid doch mal bitte vernünftig? Wir haben doch ein großes
Ziel und das sogar fast vor Augen!
Jetzt seid doch mal bitte vernünftig!
Damit kommt man nicht gut an, vor allem nicht bei einer Masse von
Menschen (die massenpsychologischen Aspekte der Wüstenwanderung
sind eine eigene Betrachtung wert). Wenn es um Essen geht kommt
der Appell an die Vernunft erst recht nicht an. Ich weiß ja, wenn ich
etwa starkes Übergewicht habe, dass das nicht gesund ist. Die zarteste
Versuchung seit es Schokolade gibt auf dem Tisch … Ich möchte ja
gerne widerstehen, aber wir wissen alle, wie diese Schlacht meist
ausgeht.
Jetzt haben wir heute hier zwei Kommentare gehört, die – nach meiner
Wahrnehmung – aber genau in dieses Horn stoßen.
Seid doch vernünftig im Umgang mit dem Essen, damit es gut ist für
dich und für deinen Körper, so die Botschaft der Oecotrophologin Frau
Wittmann. Immer mehr Menschen in unserem reichen Teil der Erde
werden durch falsches Essen krank.
Seid doch vernünftig im Umgang mit dem Essen, weil dies gerade auch
eine Frage der weltweiten Gerechtigkeit und der Verantwortung für
alle Menschen auf dieser unserer einen Welt ist, so der Agrarökonom
Herr Bergmann. Es ist genug für alle da, auch 12 Milliarden Menschen
könnten satt werden.
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Und mein Appell an die Vernunft aus schöpfungstheologischer
Perspektive folgt dann auch noch.
Ich bin mir bewusst, dass solche Appelle an Vernunft und
Verantwortung sehr schwierig sind. Keiner von uns – ich beziehe
meine Vorredner einfach mal mit ein – möchte besserwisserisch den
Zeigefinger heben, oder den Menschen die Lust an etwas sehr
Schönem nehmen, denn Essen kann etwas sehr lustvolles sein.
Trotzdem glaube ich, dass wir an einem Punkt der Geschichte
angelangt sind, an dem es dringend geboten, den eigenen, wie auch
den gesellschaftlichen Umgang mit dem Thema Ernährung und
Produktion der Nahrung sehr kritisch und sehr vernunftgesteuert zu
analysieren.
Ich möchte hierzu gerade aus schöpfungstheologischer Perspektive
zwei weitere wichtige Themen und Felder mit dringendem
Handlungsbedarf benennen: Boden und Wasser.
Der Mensch ist nach der zweiten Schöpfungsgeschichte vom
Ackerboden, also vom fruchtbaren Boden genommen und durch diesen
und den Odem Gottes ein lebendiges Wesen geworden.
Fruchtbarer Boden – etwa 13-15% der festen Erdoberfläche haben
einen fruchtbaren Boden, Optimisten sprechen von ca. 20% - ist ein
Wunder des Lebens. Abermillionen von Kleinstorganismen bevölkern
eine Handvoll fruchtbarer Erde. Ein hochkomplexes und faszinierendes
und bis heute auch noch nicht in Gänze erforschtes Wunder.
Theologisch gesprochen: Fruchtbarer Boden ist ein ungeheuer
wertvolles Geschenk des Schöpfers. Ich spreche nun mal bewusst
polarisierend: Wir versiegeln ihn mit Teer und Gebäuden, wir laugen
ihn aus, wir zerstören seine Durchlässigkeit durch falsche
Bebauungstechniken
und
Anbaumethoden,
die
nur
auf
Ertragsmaximierung ausgelegt sind. All diese Behauptungen lassen
sich diskutieren und sie müssen diskutiert werden. Der größte
Sündenfall - in meinen Augen - bahnt sich aber weltweit gerade den
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Weg. Fruchtbarer Boden wird zum Spekulationsobjekt, wird zur
Anlage, die riesige Renditen verspricht. Ich habe keine Lösung, und es
liegt auch keine einfache auf der Hand, aber ich bin der festen
Überzeugung, dass hier eine gesellschaftliche Diskussion schon lange
an der Zeit ist und politisches Handeln notwendig werden wird. Es geht
mir nicht um die ideologische Alternative Privatbesitz –
Verstaatlichung. Generationen von Bauersfamilien haben fruchtbaren
Boden in ihrem Besitz gehabt, und das war gut so, denn sie hatten ein
ganz starkes Eigeninteresse daran, mit dem Boden als Basis Nahrung
zu erzeugen. Ob das auch das handlungsleitende Eigeninteresse
großer Konzerne ist, darüber muss man unbedingt diskutieren. Meine
Antwort ist: Fruchtbarer Boden gehört in den Besitz (klein-)bäuerlicher
Strukturen, wobei bei uns in Deutschland ein bäuerlicher
Familienbetrieb natürlich eine andere Struktur hat als in Westafrika
oder in Südostasien.
Ähnliches gilt auch für das Wasser. In einer Zeit der Überschwemmung
in unserem Land und der Solidarität mit den Flutopfern auf die
Wichtigkeit von Trinkwasser hinzuweisen ist nicht zynisch. Gerade die
Flutopfer erleben, wie wertvoll sauberes Wasser ist.
Gott sei Dank wird die Privatisierung von Wasserechten im EUParlament wieder neu diskutiert, was, das sei in Klammern angemerkt,
auch der Unterschriftenaktion, die stark über die neuen sozialen
Medien lief zu verdanken ist.
John Anthony Allan hat die Idee des virtuellen Wasserverbrauchs in
diese wichtige Diskussion über diese Lebensgrundlage eingebracht. Er
hat sich gefragt, welcher Wasserverbrauch steht hinter welchem
Produkt. So „verbraucht“ etwa ein Kilo Rindfleisch ehe es gekocht auf
dem Tisch liegt etwa 1600 Liter Wasser.
Es geht bei diesem Beispiel nicht darum, ihnen ein schlechtes
Gewissen zu machen, wenn sie Sonntagmittag die gekochte
Rinderbrust an Meerrettichsauce mit Kartoffeln aus regionalem Anbau
essen. Es geht mir um eine Kultur des kritischen Blicks auf den
verschwenderischen Umgang mit den lebenswichtigen Ressourcen für
die gesamt Menschheit. Wir erfüllen als Kirche gerade dann unseren
Auftrag, wenn wir die Partei derjenigen ergreifen, die rechtlos und
geschunden sind. Es ist dran, parteiisch zu sein, für die
Lebensgrundlagen Boden und Wasser.
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Und es ist dran, parteiisch zu sein für die Mitkreatur, die den Weg
schon gegangen ist, der Boden und Wasser gerade bevorsteht, den
Weg zur reinen Ware. Es müssen nicht mehr als 50 Millionen Schweine
im Jahr in Deutschland geschlachtet werden, weil der
Durchschnittsfleischverbrauch pro Kopf die 1,5 Kilo-Marke schon lange
überschritten hat. Hier ist weniger wirklich mehr.
Ich wünsche mir diese Diskurse in unserer Kirche und unserer
Gesellschaft:
Wie gehen wir um mit den natürlichen Ressourcen, ohne die kein
Mensch leben kann?
Wie gehen wir um mit unseren Mitgeschöpfen?
Und ich wünsche mir die Diskussion über eine Kultur des Essens, die
durchaus den Lustaspekt der Nahrung nicht aus dem Blick verliert –
gutes Essen ist eine Freude! –, eine Kultur, deren oberster Grundsatz
aber sein muss, dass nicht andere die Zeche für mein Essen zahlen!
Zum virtuellen Wasserverbrauch als Einstieg:
http://www.zeit.de/2009/30/Wasser-virtuell
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Pressespiegel:
Lorenzer Kommentargottesdienst
Was man guten Gewissens noch essen kann
Wenig Fleisch, nur bestimmten Fisch und viel mehr Gemüse - das bleibt ein
Ernährungsratschlag für Menschen, denen ihr ökologisches Gewissen und die
Solidarität mit Entwicklungsländern wichtig sind.
Weltlicher Rat an religiösem Ort: Im Lorenzer Kommentargottesdienst
schilderte eine Ernährungswissenschaftlerin der Nürnberger Verbraucherzentrale, wie „Ernährung in Verantwortung" aussehen kann. „300 bis 600
Gramm Fleisch oder Wurst in der Woche sind ausreichend für einen
Erwachsenen", sagte Katja Wittmann. Ein kleines Schnitzel wiegt etwa 150
Gramm. Im Moment allerdings verbraucht jeder Deutsche im Schnitt 1,6
Kilogramm Fleischwaren pro Woche. Die Herstellung sei jedoch besonders
energieaufwändig und damit Klima belastend, so Wittmann. Wer im Handel
nur größere Mengen bekomme, könne frisches Fleisch gut einfrieren.
Zurückhaltung gelte auch bei Butter, Sahne und Hartkäse, bei denen große
Mengen Milch für ein kleines Endprodukt verarbeitet werden müssen.
„Weniger davon ist mehr." Stattdessen solle man täglich fünf Hand voll Obst
und Gemüse essen. „Die erste Wahl sollte aus der Region und frisch vom Feld
sein." Fürs gesunde Leben empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung
ein- bis zweimal wöchentlich fetten Seefisch. Das MSC-Siegel weise
Verbrauchern den Weg zu Ware aus nicht überfischten Gebieten, erklärte die
Ernährungsberaterin. „Auch mit Hering sind Sie auf der sicheren Seite." Die
im Fisch enthaltenen Omega-3-Fettsäuren könne man sich in Form von
Nahrungsergänzungsmitteln, etwa Fischöl-Kapseln lieber sparen. „Diese
Tabletten sind nicht das wert, was sie kosten."
Beim Einkauf rät Katja Wittmann zur Skepsis vor Großpackungen. Sie seien
nicht immer günstiger. Und wer einen Teil davon am Ende wegwerfen muss,
treibe die Nachfrage und Preise auf dem Weltmarkt hoch. „Darunter leiden
dann die Menschen in Entwicklungsländern." Dass der Welthunger kein
Mengen-, sondern ein strukturelles Armuts- und Kaufkraftproblem ist, hatte
Jürgen Bergmann von „Mission Eine Welt" als Gastredner deutlich genug
ausgeführt.
isa/NZ 17.06.2013
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Lorenzer KommentarGottesdienste
zu Ereignissen der Zeit
Sonntag, 21.07.2013
Sonntag, 15.09.2013
Sonntag, 20.10.2013
Sonntag, 15.12.2013
Sonntag, 16.02.2014
jeweils um 11.30 Uhr in der St. Lorenzkirche.
Der besondere KommentarGottesdienst
am Buß- und Bettag, 20.11.2013 um 18:00 Uhr
mit dem Soziologen und Theologen
Dr. Jürgen Miksch
http://www.lorenzkirche.de
Î Gottesdienste Î Kommentargottesdienst
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