Kapitel: Biomechanik - dsv

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Biomechanische Aspekte des Skirennsports
Definition Biomechanik im Sport:
Die Biomechanik des Sports untersucht die sportlichen Bewegungen des Menschen
und die mechanischen Bedingungen dieser Bewegung. Merkmale und Eigenschaften
der Bewegung werden gemessen, quantitativ beschrieben, miteinander verglichen,
unter Anwendung mechanischer Gesetzmäßigkeiten modelliert (mathematische und
physikalische Modelle) mit dem Ziel, die sportliche Leistung aufgrund gesicherter
Erkenntnisse über ihre wesentlichen Komponenten zu verbessern. (Baumann 1989)
Betrachtet wird also unter anderem das Zusammenspiel von inneren und äußeren
Kräften. Die inneren Kräfte werden im Körper erzeugt, wirken zwischen den
Körperteilen und sind insbesondere
- Muskelkräfte (statisch, dynamisch (konzentrisch, exzentrisch)) sowie
- Kräfte die im aktiven und passiven Bewegungsapparat wirken
(Bindegewebswiderstand, Zug-, Druck-, Scherspannung).
Die Muskelkräfte unterliegen bestimmten Gesetzmäßigkeiten. Sie sind abhängig vom
Muskelquerschnitt, der Fähigkeit möglichst viele motorische Einheiten synchron zu
aktivieren (Intramuskuläre Koordination) (vgl. Trainingslehre), und dem
Zusammenspiel der an der Bewegung beteiligten Muskeln (Intermuskuläre
Koordination). Daneben spielen der betreffende Gelenkswinkel, die Gelenkswinkeländerung (Winkelgeschwindigkeit) und die Anspannungsdauer eine wichtige Rolle.
Die äußeren Kräfte wirken zwischen Sportler und Umwelt. Dazu gehören u.a.
- Schwerkraft
- Krafteinwirkung des Gegners bzw. Partners oder Gerätes
- Luftwiderstand und Auftrieb
- Reibung (Haft-, Gleit, Rollreibung).
Ziel ist das Zusammenspiel der verschiedenen Komponenten so zu variieren, dass
der gewünschte Effekt optimiert wird. Dies ist im alpinen Skirennlauf das Ziel einen
vorgegebenen Kurs möglichst schnell zu durchfahren. Andere Ziele wären etwa:
- energiesparendes Skifahren
- Erlernen von Tricks und Sprüngen (Freestyle)
- Erlernen von verschiedenen Schwungformen
- Energieoptimierung
Im Folgenden werden biomechanische Aspekte vor dem Hintergrund der Zielsetzung
im alpinen Skirennsport betrachtet.
Biomechanisch-physikalische Betrachtungsweise
Handlungsziele im alpinen Skirennlauf:
Im alpinen Skirennlauf ist es das Ziel, einen vorgegebenen Kurs in möglichst kurzer
Zeit zu durchfahren.
Daraus leiten sich für die Technikanalyse unmittelbar zwei Teilziele ab:
1. Wo und wie kann ich den Geschwindigkeitsverlust minimieren?
2. Wo und wie kann ich die Geschwindigkeit erhöhen, also beschleunigen?
Zur Identifizierung der biomechanischen Einflussgrößen in den verschiedenen
Situationen muss man zunächst unterschieden, ob es sich um eine Gleitphase
(Gerade) handelt, oder um eine Kurvenfahrt. Die Tabelle TM1 verdeutlicht die
verschiedenen Möglichkeiten und situationsbezogenen Aufgaben
Wo und wie kann ich die Geschwindigkeit erhöhen bzw. den
Geschwindigkeitsverlust minimieren?
Gleiten, Gerade
Reibung verringern Planstellen
Druckverteilung
Kurve
Minimiertes Driften
Druckverteilung optim.
Luftwiderstand
verringern
Wenig Angriffsfläche Wenig Angriffsfläche
bieten
bieten
Hangabtriebskraft
optimal nutzen
Falllinie
Möglichst lange und
steile Gleitphase kurzer Radius
Drehimpulserhaltung nutzen
KSP-Verlagerung z.
Kurvenmittelpunkt
(Wellental)
KSP-Verlagerung zum
Kurvenmittelpunkt
(Beibehaltung des
Radius)
Tab. TM1 Möglichkeiten der Einflussnahme auf die Geschwindigkeit
Geradeausfahrt in der Falllinie, Schussfahrt
Hier wirken als äußere Kräfte die Gewichtskraft von Mensch und Material, sowie der
Luftwiderstand und die Reibung (und in geringem Maße der Auftrieb). Der zur
Oberfläche parallele Teil der Gewichtskraft wirkt dabei als Hangabtriebskraft
beschleunigend und die anderen Kräfte abbremsend.
Beschleunigende Gesamtkraft:
FGes = FH − FR − FL
Hangabtriebskraft:
FH = FG ⋅ sin(α ) = m ⋅ g ⋅ sin(α )
Reibungskraft :
FR = FG ⋅ µ ⋅ cos(α ) = m ⋅ g ⋅ µ ⋅ cos(α )
Luftwiderstandskraft :
FL = cw ⋅ A ⋅
ρ
2
⋅ v2
Abb. BM1 Kräfte am Skifahrer
Mit:
α : Hangneigung
v : Geschwindigkeit
m : Masse
g : Erdbeschleunigung
•
•
•
•
A : Querschnittsfläche im Wind
ρ : Luftdichte
c w : Luftwiderstandsbeiwert
µ : Gleitreibungskoeffizient
Die gesamte beschleunigende Kraft ergibt sich demnach aus der
Hangabtriebskraft minus der Reibungskraft und der Luftwiderstandskraft.
Die Hangabtriebskraft errechnet sich aus dem Produkt der Gewichtskraft
m ⋅ g und der Hangneigung.
Die Reibungskraft ergibt sich aus dem Produkt der Gewichtskraft, dem
Gleitreibungskoeffizienten und der Hangneigung.
Der Luftwiderstand errechnet sich aus dem Produkt des
Luftwiderstandsbeiwerts, der im Wind stehenden Körperoberfläche, der
Luftdichte und der Geschwindigkeit im Quadrat.
Betrachtet man die Einflussgrößen der verschiedenen beschleunigenden oder
bremsenden Kräfte wird klar, wo durch skitechnische Fähigkeiten optimierend
eingegriffen werden muss, um schnell zu sein.
Hangabtriebskraft: FH = m ⋅ g ⋅ sin(α )
Daraus folgt:
• Je steiler das Gelände (Neigungswinkel α ), desto höher die Hangabtriebskraft.
• Eine größere Masse des Systems Ski und Skirennläufer wirkt sich positiv auf
die Hangabtriebskraft aus.
Schrägfahrt:
Hier wird die Hangabtriebskraft in die zwei Komponenten Vortriebskraft und Querkraft
senkrecht zur Fahrlinie aufgeteilt.
Abb. BM2 Kräfte in der Schrägfahrt
Vortriebskraft als beschleunigender Anteil der Hangabtriebskraft:
FV = m ⋅ g ⋅ sin(α ) ⋅ cos( β )
Querkraft: FQ = m ⋅ g ⋅ sin(α ) ⋅ sin( β )
Die Querkraft verschwindet, wenn in der Falllinie gefahren wird ( β = 0 ) und wird
umso größer, je schräger zum Hang gefahren wird. Analog dazu ergibt sich für die
Vortriebskraft eine Vergrößerung, je näher an der Falllinie gefahren wird.
Der Einfluss des Schrägfahrwinkels β führt zum Phänomen der Brachistochrone:
Zwischen zwei in verschiedener Höhe gelegenen Punkten P1 und P2 ist eine
Verbindungskurve derart zu bestimmen, dass die Zeit, die ein Teilchen unter dem
Einfluss der Schwerkraft bei Vernachlässigung der Reibung braucht, um von P1 zu
P2 zu gelangen, minimal wird (Johann Bernoulli, 1696).
Als Lösung dieses Problems ergibt sich eine sog. „umgestülpte Zykloide“ (siehe Abb.
BM Brachistochrone). Eine Animation der Brachistochrone findet man unter
http://home.ural.ru/%7Eiagsoft/BrachJ2.html. Durch Klicken auf das
Koordinatensystem kann man den Punkt P2 bestimmen. Durch Schieben an der
rechten Leiste lässt sich die Anfangsgeschwindigkeit regulieren und durch Drücken
der Taste „a“ die Animation starten.
Abb. BM3 Brachistrochrone: [http://home.ural.ru/%7Eiagsoft/BrachJ2.html]
Fährt ein Skirennläufer entlang dieser Kurve ist er schneller am zweiten Punkt und
die Geschwindigkeit am zweiten Punkt ist (bei reibungsfreier Rechnung) in beiden
Fällen gleich groß. Durch vermehrtes Ausnützen der Hangabtriebskraft mit weniger
Schrägfahrt wird er höher beschleunigt, erreicht damit schneller eine höhere
Geschwindigkeit und gleicht dadurch die Nachteile eines weiteren Weges mehr als
aus.
Reibungskraft: FR = m ⋅ g ⋅ µ ⋅ cos(α )
•
•
•
Gleitreibungszahl µ muss minimiert werden! Eine höhere Masse erhöht zwar
die Reibungskraft. Die für den Vortrieb relevante Differenz
FH − FR = m ⋅ g ⋅ (sin(α ) − µ ⋅ cos(α )) wird aber mit größerer Masse auch größer.
Versuche haben weiters gezeigt, dass die Gleitreibungszahl bei größerer
Masse nicht unbedingt erhöht wird – vermutlich durch die beschleunigte
Bildung des Wasserfilms. Eine Verringerung der Reibung geschieht also am
effektivsten über eine Minimierung der Gleitreibungszahl.
Die Verringerung der Reibung geschieht durch eine optimale Skipräparation
Verringerung der Reibung durch skispezifische Handlungsweisen (vgl.
Techniktraining- Reibung minimieren)
⇒ Eine Mindestneigung ist nötig, damit die Hangabtriebskraft die Reibungskraft
übertrifft und den Skirennsportler zum Bewegen bringt. Diese hängt von der
Gleitreibungszahl µ ab und liegt bei mindestens 2% Hangneigung.
Luftwiderstandskraft: FL = c w ⋅ A ⋅
•
•
•
ρ
2
⋅ v2
Die im Wind stehende Körperoberfläche A muss verkleinert werden.
Minimierung des Widerstandsbeiwertes cw durch Optimierung der Ausrüstung
(Anzug, Helm, Schuhe, Ski, etc.)
Minimierung des Widerstandsbeiwertes cw durch Optimierung der
Körperhaltung
Abb. BM 4 aerodynamische Position im Windkanal
Wellenbahn
Eine Besonderheit der Schussfahrt ist die Wellenfahrt. Hier wird die Hangneigung
mal größer, dann wieder kleiner, usw. Im Gegensatz zu einem Körper im Zustand der
Ruhe oder der gleichförmigen Translation wirken in der Wellenbahn Trägheitskräfte,
die den Skifahrer in der Senke zusammendrücken bzw. auf der Kuppe zu einer
Entlastung führen. Der Belastung in der Senke muss der Skifahrer muskulär
entgegenwirken, die Entlastung auf der Kuppe kann im Extremfall zum
Abheben/Fliegen führen. Um die Trägheitskräfte zu minimieren kann der Skifahrer
versuchen die Auslenkung des Körperschwerpunkts möglichst gering zu halten
indem er sich in die Senke streckt und über die Kuppe beugt (schluckt). Die
Streckung geht jedoch unter Umständen auf Kosten der Aerodynamik. Es muss also
situativ entschieden werden, ob die aerodynamisch günstigere Position beibehalten
wird und ggf. ein Abheben auf der Kuppe erfolgt oder auf Kosten der Aerodynamik
das Abheben vermieden wird. Weiterhin kann der Effekt der Drehimpulserhaltung am
Durchfahren der Wellenbahn deutlich gemacht werden.
Drehimpulserhaltung
Das Durchfahren eines Wellentals (Senke) kann vom Skirennsportler zur aktiven
Beschleunigung seines Körperschwerpunktes ausgenützt werden. Physikalischer
Hintergrund ist der Drehimpulserhaltungssatz:
Drehimpulserhaltungssatz:
L = Ι ⋅ ω = const.
mit
Ι = m ⋅ r 2 : Massenträgheitsmoment (eines Massenpunktes)
ω = v r : Winkelgeschwindigkeit
m : Masse
r : momentaner Radius
v : momentane Geschwindigkeit
Damit ergibt sich mit L 2 = L1 für die Geschwindigkeit: v2 =
r1
v1
r2
⇒ v2 f v1 , falls r2 p r1
Um diesen Effekt beim Durchfahren einer Wellenbahn zu nutzen, muss der
Skirennfahrer durch Verlagerung des Körperschwerpunktes zum Kurvenmittelpunkt
hin den Radius verringern. Dies benötigt allerdings ein aktives angepasstes Strecken
der Beine, das durch muskuläre Kräfte erzeugt werden muss.
Kurvenfahrt
Dynamisches Gleichgewicht, Fliehkraft
r
FZ = m ⋅ v2 / r
r r r
R = Fz + FG
Abb. BM 5 Kräfte in der Kurve
r
FG = m ⋅ g
Hier kommt als zusätzliche Kraft die Zentrifugalkraft (oder auch Fliehkraft genannt)
als neue Trägheitskraft ins Spiel. Sie wirkt radial nach außen (senkrecht zur
Bewegungsrichtung in der Bewegungsebene) und versucht den Sportler
kurvenauswärts zu bewegen. Ihr muss man widerstehen, um auf der Kurvenbahn zu
bleiben.
Kurvenfahrten mit taillierten Ski – Skimodelle:
Skimodelle sind Miniaturen mit zwei Ski, welche über ein
starres Parallelogramm verbunden sind und die
grundlegende Erklärungsmodelle über das
Bedingungsgefüge zum Kurvenfahren liefern. Die
beispielsweise von Zehetmayer (1989) vorgestellten
Modelle können auf einer schiefen Ebene mehrere
Schwünge hintereinander ausführen, ohne dass
Streckkräfte von innen wirken. Durch die unterschiedliche
Position von Skimittelpunkt als Drehpunkt und dem
Schwerpunkt als Kraftangriffspunkt ergibt sich ein
Drehmoment um die Längsachse. Dieses lässt das
Gesamtsystem langsam um die Kurve driften. Gleichzeitig
erzeugt die Taillierung der Ski eine Querkraft längs dieser
Abb. BM6 Skimodell
Taillierung, die bewirkt, dass sich die Ski entlang dieser
Taillierung bewegen. Fährt das Skimodell entlang dieser
Taillierung wird durch das Einwirken der Hangabtriebskraft die Fliehkraft erhöht. Der
Schwerpunkt des Modells wird nach außen gedrückt, angehoben und das
Parallelogramm kippt schließlich auf die neue Kante. Es fährt eine Kurve in die neue
Richtung und der Vorgang wiederholt sich. Dies bedeutet, dass das System SkiSportler von äußeren Kräften gedreht werden kann. Innere Kräften wirken zunächst
hier nur exzentrisch. Durch den Einsatz von weiteren inneren Kräften kann man die
Situation zum Kurvenfahren positiv für sich gestalten.
Dynamisches Gleichgewicht:
Beim Geradeausfahren bleibt man im Gleichgewicht, wenn die Hangabtriebskraft
zwischen kurveninneren und kurvenäußeren Ski zeigt. Um beim Kurvenfahren das
dynamische Gleichgewicht zu erhalten, muss der Sportler versuchen, die aus
Hangabtriebskraft (minus Luftwiderstand und Reibung) und Fliehkraft resultierende
Kraft innerhalb seiner Unterstützungsfläche (d.h. zwischen den beiden Skiern) zu
halten oder zu bringen. Ein Beispiel hierfür ist das Einnehmen einer extremen
Kurvenlage nach dem Schwungwechsel im SL. Hier wird erst im Laufe des
Schwungs ein stabiles Kräftegleichgewicht erzeugt!
Ist die resultierende Kraft außerhalb der Unterstützungsfläche entsteht ein
Kippmoment, welches entsprechend der Abweichung nach innen, oder nach außen
wirkt. Wird dieses auf Dauer zu hoch, verliert der Sportler sein Gleichgewicht und
stürzt. Eine offenere Beinstellung vergrößert die Unterstützungsfläche und führt damit
zu einer größeren Stabilität.
Fliehkraft:
Die Fliehkraft (Zentrifugalkraft) berechnet sich aus der Masse der Sportlers samt
Ausrüstung, der momentanen Fahrgeschwindigkeit und dem momentanen Radius
als:
FZ = m ⋅ v 2 / r mit
m : Masse des Sportlers samt Ausrüstung,
v : momentane Geschwindigkeit und
r : momentaner Radius.
Sie wird größer bei zunehmender Geschwindigkeit und abnehmendem Radius. Im
Skirennlauf treten beim RS oder SG Fliehkräfte bis zum über dreifachen des
Körpergewichts auf (Tabelle BM1). Auf die daraus folgenden Belastungen wird später
eingegangen.
Tabelle BM1: Radialbeschleunigung und Bodenreaktionskräfte im
Skirennlauf (Huber/ Waibel/ Spitzenpfeil ICSS 2007)
Mittelwert (Max)
a [g]
F [N]
SG Männer [95 kg]
1,1 (2,5)
1516 (2456)
SG Frauen [75 kg]
1,2 (2,6)
1314 (2347)
RS Männer [85 kg]
1,3 (2,8)
1565 (2837)
RS Frauen [70 kg]
1,3 (3,1)
1319 (2668)
Reibungsminimierung beim Kurvenfahren: FR = m ⋅ g ⋅ µ ⋅ cos(α )
Neben den schon beim Geradeausfahren beschriebenen Aspekten kommt beim
Kurvenfahren das Minimieren von Driftanteilen hinzu. Erreicht wird dies durch die
situationsangepasste Biegung moderner taillierter Ski.
Taillierung und Radius
Die Taillierung und der Radius eines Skis sind folgendermaßen definiert:
H
S
W
L
Abb. BM7 Taillierung am Ski
Taillierung: sc =
Radius: r =
S + H − 2W
und
4
L² cos Θ
L² cos Θ
=
.
2( S + H − 2W )
8 ⋅ sc
Mit:
S = Breite Skispitze
H = Breite Skiende;
W = Breite Skimitte;
L = Skilänge;
Θ = Kantwinkel
Dies bedeutet für den Radius eines Skis, dass er kleiner wird, je
• größer der Aufkantwinkel,
• kürzer die Ski bei gleicher Taillierung
• größer die Taillierung bei gleicher Skilänge
Veränderung des Radius:
Für den Skirennläufer von Interesse sind die Möglichkeiten, die er zur Veränderung
der Radien zur Verfügung hat:
•
•
•
Vergrößerung des Aufkantwinkels
Verstärkung des Drucks
– durch Heben und Senken des Körperschwerpunkts
– durch Ausnutzen der äußeren Kräfte
– Verstärkung der äußeren Kräfte durch „Gegenhalten“
Erzeugung eines zusätzlichen Biegemoments
– durch Gewichtsverlagerung Vor- Rück
Kantwinkel:
Als Kantwinkel wird der Winkel zwischen Schneeoberfläche und Ski bezeichnet:
Aufkantwinkel = 0°
Aufkantwinkel = 10°
Aufkantwinkel = 45°
Aufkantwinkel = 45°
Hangneigung = 20°
Abb. BM8 Aufkantwinkel
Ein zusätzliches Aufkanten der Ski ermöglicht eine stärkere Durchbiegung und damit
eine Verringerung der Radien über die ursprüngliche Taillierung hinaus (Vgl Abb.
TM5: Taillierung, Kantwinkel, Radius).
Dies ist aber nicht beliebig möglich, sondern der Kantwinkel muss im Einklang mit
Geschwindigkeit und Körperschwerpunktslage so gewählt werden, dass die
Resultierende in der Unterstützungsfläche bleibt. Bewegungsbeispiele, sind das
Kniekippen/ Unterschenkelkippen oder auch das Kippen der Beine gegen den
Oberkörper in der Hüfte. Begrenzt wird diese Handlungsmöglichkeit, wenn der
Skischuh den Schnee berührt.
Für die zusätzliche Durchbiegung ist aber ein entsprechender Druck erforderlich.
Dieser entsteht entweder aus den Fliehkräften, es werden die äußeren Kräfte
ausgenutzt, oder er kann aber auch willentlich durch eigene Bewegungen gestaltet
werden.
Verstärkung des Drucks:
Durch das Beugen und Strecken der Sprung-, Knie- und Hüftgelenke kann der
Sportler seinen Körperschwerpunkt heben und senken. Durch das Hoch- und
Tiefgehen variiert der Sportler die Belastung auf die Ski. Zur weiteren Durchbiegung
ist ein erhöhter Druck auf die Ski nötig.
Dies ist durch zwei Aktionen möglich:
1. Hebens des Körperschwerpunktes: Druckerhöhung bei Beginn der Bewegung
bis Erreichen der maximalen Hebegeschwindigkeit oder
2. Senken des Körperschwerpunktes: Druckerhöhung bei Abbremsen der
Senkgeschwindigkeit.
Erzeugung eines zusätzlichen Biegemoments
Durch Bewegungen entlang der Skilängsachse lässt sich die Taillierung auf
verschieden Arten verändern (vgl Abb. TM6).
•
•
durch Gewichtsverlagerung nach hinten nimmt der Druck am Skiende zu: Die
Durchbiegung des hinteren Skiteils wird verstärkt und damit der Radius des
Skis im hinteren Teil verkürzt.
durch Gewichtsverlagerung nach vorne nimmt der Druck im vorderen Teil der
Ski zu: Die Durchbiegung des vorderen Skiteils wird verstärkt und der Griff der
Kante im diesem Bereich wird erhöht
Eine Verlagerung der Belastung nach vorne erleichtert dem Ski das Einfahren in die
Kurve. Durch die leichte Verlagerung nach hinten kann der Radius nochmals verkürzt
werden, um der Situation angepasst die Qualität der Schwungsteuerung zu
optimieren. Gleichzeitig wird damit auch das dynamische Potential moderner
Carving-Ski ausgenutzt.
Wenn die Belastung hinten bleibt, wird die Steuerbarkeit des Skis bei der Initiierung
des nächsten Schwungs erschwert. Deshalb sollte im Schwungwechsel der Körper
wieder in eine neutrale Position und darüber hinaus bewegt werden.
„geschnittener Schwung“: variable Verfügbarkeit aller Möglichkeiten der
Radiusveränderung
Dargestellt ist der Verlauf einer Fahrt durch einen Super-G. Der Start des in der
Grafik dargestellten Kurses befindet sich unten links, das Ziel wird nach 14 Toren
erreicht.
Ziel
Start
Abb. BM9: Fahrline einer Fahrt im Super-G
Von derselben Fahrt dargestellt der gemessene Verlauf der Geschwindigkeit
(schwarz), der momentanen Radien (rot) und der momentanen Krümmung (blau) bei
der Kurvenfahrt:
Abb. BM10: Radius (rot), Krümmung (blau) und Geschwindigkeit (schwarz) einer SG
Fahrt
Man erkennt, dass eine Kurvenfahrt beim Skifahren in den meisten Fällen keine
Hintereinanderreihung von konstanten Radien (d.h. Kreisbahnen) ist, sondern dass
sich die Radien zu jedem Zeitpunkt ändern. Beim Umkanten ist der Radius unendlich
groß (Geradeausfahrt die rote Kurve in der Grafik geht gegen Unendlich und
verschwindet am oberen Bildrand), er wird im Schwungverlauf kleiner bis Erreichen
eines oder mehrerer Minima und wird dann wieder größer bis zum nächsten
Kantenwechsel.
Dies verlangt vom Skirennsportler, dass er, um seine Rutsch- und Driftanteile klein
zu halten, auch permanent den Radius seiner Ski anpassen muss. Dies wird ihm
besser gelingen, je mehr „Auswahl“ und je variabler er über die verschiedenen
Möglichkeiten der Radiusveränderung verfügen kann. (siehe Bewegungslernen)
Optimierung der Druckverteilung innen/ außen:
Um bei der Kurvenfahrt die Reibung zu minimieren ist es außerdem wichtig, die
auftretenden Kräfte auf eine möglichst große Fläche zu verteilen. Da der gekantete
Ski nur eine relativ geringe Auflagefläche entlang der Kante bietet, ist es
situationsangepasst von Vorteil die auftretenden Kräfte auf beide Ski zu verteilen.
Die gleiche Kraft auf eine größere Fläche verteilt, bedeutet geringeren Druck und
damit eine geringere Eindringtiefe (und damit Reibung) in den Schnee/ Untergrund.
Luftwiderstand verringern: FL = c w ⋅ A ⋅
ρ
2
⋅ v2
Es gelten die gleichen physikalischen Voraussetzungen wie bei der Geradeausfahrt.
D.h. dass auch hier die im Wind stehende Körperoberfläche verkleinert werden soll.
Analoges gilt für die Minimierung des Widerstandsbeiwertes cw durch Optimierung
der Ausrüstung (Anzug, Helm, Schuhe, Ski, etc.) und durch Optimierung der
Körperhaltung
Hangabtriebskraft optimal nützen: FH = m ⋅ g ⋅ sin(α )
Wie bei der Schrägfahrt beschrieben gilt
auch hier das Phänomen der
Brachistochrone: In der Kurvenfahrt
bedeutet dies für den Skirennläufer
möglichst lang höhere Anteile der
Hangabtriebskraft vortriebswirksam zu
nützen, also eine gebogene Fahrlinie
(„Zykloide“) ab dem Passieren des Tores
aus der Falllinie heraus zum nächsten
Schwungansatz. Vgl. Abschnitt TechnikMethodik.
Vgl. Abb. TM9: passive Beschleunigung
Aktive Beschleunigung – Drehimpulserhaltungssatz:
Passive Beschleunigung
Aktive Beschleunigung
Zusätzlicher
Impuls
Wie beim Durchfahren eines Wellentals
(Senke) kann vom Skirennsportler auch
die Kurvenfahrt zur aktiven
Beschleunigung seines
Körperschwerpunktes ausgenützt werden.
Physikalischer Hintergrund ist wieder der
Drehimpulserhaltungssatz L = Ι ⋅ ω = const.
(siehe Wellental).
Um diesen Effekt beim Kurvenfahren zu
nutzen, muss der Skirennfahrer durch
Verlagerung des Körperschwerpunktes
zum Kurvenmittelpunkt hin den Radius
verringern. Dies benötigt allerdings
Verschiebearbeit, die durch muskuläre
Kräfte erzeugt werden muss.
„Schiffschaukel“
Quelle: Pernitsch 99
Vgl. Abb. TM10 Schiffschaukelprinzip
Eine Beispielsrechnung veranschaulicht die Höhe der zusätzlichen Kräfte und des
zusätzlichen Energiebedarfs:
m
km
Im Riesenslalom bei einer Geschwindigkeit von v1 = 20 = 72
und einem Radius
s
h
von r1 = 30m bewegt der Skirennläufer seinen Körperschwerpunkt 20cm in Richtung
r
Kurvenmittelpunkt. Dies bewirkt mit v2 = 1 v1 eine Geschwindigkeitserhöhung von
r2
0,5km / h . Die dafür notwendige zusätzliche Arbeit entspricht einem Sprung mit einer
Sprunghöhe von 27cm [Mittelwert Sprunghöhen der Athleten im Jahr 2006 43,1cm ,
bzw. 30,4cm Damen]. Es ist zu beachten, dass es sich dabei um eine zusätzliche
Arbeit handelt, die einem Sprung mit Zusatzlast entsprechen würde.
Belastung und Beanspruchung:
Kraft in Abhängigkeit von Geschwindigkeit und Radius
Der Skirennfahrer ist beim Kurvenfahren Fliehkräften ausgesetzt, denen er
widerstehen muss, um auf der Kurvenbahn zu bleiben. Können diese Kräfte in
Spitzen beim Rennlauf das drei- bis vierfache des Körpergewichtes ausmachen, so
ergeben sich selbst im Durchschnitt Kurvenkräfte, die das Doppelte des
Körpergewichtes ausmachen.
Nimmt man eine bestimmte Kraft (Maximalkraft) als Maximum an, so ergibt sich je
nach gefahrener Geschwindigkeit ein bestimmtes Minimum an Radius, den der
Sportler noch bewältigen kann. Oder man überlegt, welche Geschwindigkeit bei
verschiedenen Radien mit der vorgegebenen Kraft gefahren werden kann:
FZ = m ⋅ v 2 / r
⇒
r = m ⋅ v 2 / FZ
⇒
v = FZ ⋅ r / m
Tab. BM2: Minimaler Radius bei verschiedenen Geschwindigkeiten
(Masse 80kg und Maximalkraft FZ = 3000 N
r [m]
1,9
3,3
5,1
7,4
10,1
13,2
16,7
20,6
Tab. BM3: Maximale Geschwindigkeit bei verschiedenen Radien
(Masse 80kg und Maximalkraft FZ = 3000 N
v [km/h]
r [m]
5
49,3
10
69,7
15
85,4
20
98,6
Diese Zusammenhänge sind bei der Wahl des Geländes, der Kurssetzung und bei
der erwarteten Performance der Athleten zu berücksichtigen. Um in anspruchsvollem
Gelände bei drehender Kurssetzung und entsprechender Geschwindigkeit erfolgreich
zu sein, sind, so zeigen obige Berechnungen, enorme athletische Voraussetzungen
nötig. Ist der Sportler der Belastung nicht mehr gewachsen, d.h. übersteigt die
Belastung seine Kraftfähigkeiten, wird er seinen engen Radius aufgeben und auf
einen größeren Radius wechseln. Im umgekehrten Fall, d.h. die Fliehkräfte sind noch
nicht so groß wie seine Kraftfähigkeiten, kann der Sportler seinen Kantwinkel mit
entsprechender Innenlage vergrößern und damit seinen Radius weiter verkürzen.
Kraft in Abhängigkeit vom Kniewinkel
Ein wichtiger Faktor zur Beurteilung der momentanen Belastung ist der Kniewinkel.
Untersuchungen an Beinpressen ergeben eine sehr starke Abhängigkeit der
Maximalkraft vom Kniewinkel:
Abb. BM 11: Kraft in Abhängigkeit vom Kniewinkel
Aus der Abb. BM 11 geht hervor, dass die Kraft der Oberschenkestrecker bis ca.
140° Kniewinkel stetig ansteigt dann das Maximum üb erschreitet und bis zur vollen
Streckung wieder leicht abnimmt. Übersetzt in die Situation alpiner Skilauf bedeutet
dies, dass die Anstrengung mit kleiner werdendem Kniewinkel zunimmt. Als Beispiel
mag dies eine tiefe Hocke (Schussfahrt) im Gegensatz zum aufrechten Skifahren
verdeutlichen. In der Kurvenfahrt wird hier die unterschiedliche Beanspruchung von
Innenbein (kleiner Kniewinkel) zu Außenbein (größerer Kniewinkel) bei gleicher
äußerer Belastung deutlich.
Kraftausdauer
Ein Rennläufer muss die geforderten Kraftbelastungen über Zeiten von 40s bis 120s
(140s) erfüllen. „Mit Kraftausdauer bezeichnet man die
Ermüdungswiderstandfähigkeit der Muskulatur bei statischen und dynamischen
Krafteinsätzen“ (Zintl, 1990).
Die folgende Grafik zeigt, wie die Kraft bei maximaler Beanspruchung sehr schnell
nachlässt:
Abb. BM 12: Kraft in Abhängigkeit von der Zeit
Der Sportler besitzt schon nach einer Minute nur noch 30% seiner ursprünglichen
Maximalkraft. Im Skilauf ist die Belastung zwar selten maximal, doch selbst bei
submaximalen Belastungen stellt sich ein Abfall der zur Verfügung stehenden
Maximalkraft ein. Dementsprechend verringern sich seine Möglichkeiten der
Schwunggestaltung, d.h. er wird nicht mehr in der Lage sein, bei gleichem Tempo die
gleichen Radien zu durchfahren.
Die Höhe der Kraftausdauer wird im Wesentlichen geprägt von der Höhe der
Maximalkraft und der anaeroben Kapazität, welche maßgeblich von aeroben
Leistungsvoraussetzungen abhängt. Auf das Training der Kraftausdauer wird im
Kapitel Trainingslehre genauer eingegangen.
Literatur:
•
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Baumann W.: Grundlagen der Biomechanik. Hofmann, Schorndorf, 1989
Howe J.G.: Skiing mechanics. Laporte, Poudre, 1983
Zehetmayer H.: Versuche mit Skimodellen. In: Wissenschaftliche Zeitung für
Leibeserziehung und Sport, Bd.7, 1989
Pernitsch H.: Spezielle Bewegungslehre des alpinen Skirennlaufs: 1999,
http://spsport.at/download/Bewegungslehre%20Skirennlauf.pdf, 10.8.2006
Poo A., Semadeni R.: Biomechanik im Schneesport: In: Swiss Snowsports
1/2006
Zintl F.: Ausdauertraining. München, BLV 1990
Wolf, J.: Ein deterministisches Modell zur Leistungsdiagnose im alpinen
Skirennlauf. Köln: Sport und Buch Strauss, Ed. Sport 1993 (Arbeiten zur
angewandten Trainings- und Bewegungswissenschaft; 3)
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