Theaterpädagogik Grundlagen des szenischen Spiels „Kinder sind schüchtern, haben plötzlich Spielhemmungen, halten das Gefühl des Beobachtet-Seins nicht aus, können nicht Augenkontakt halten.“ Bearbeitung der Aufgabenstellung Bearbeitung durch Mag. Wolfgang Rohm Matr. Nr. 8003452 Ottensheim, 6. Juni 2011 Inhaltsverzeichnis Aufgabenstellung 2..................................................................................................................... 4 Kinder sind schüchtern, haben plötzlich Spielhemmungen, halten das Gefühl des BeobachtetSeins nicht aus, können nicht Augenkontakt halten. ................................................................. 6 1. Bedürfnisse ......................................................................................................................... 7 A) die Liebe ................................................................................................................... 8 B) die rechtliche Anerkennung ..................................................................................... 9 C) die soziale Wertschätzung ..................................................................................... 10 2. soziale Angst ..................................................................................................................... 11 3. Schüchterne Verhaltensweisen ........................................................................................ 14 4. Grundlagen der Theaterpädagogik .................................................................................. 15 5. Die Reduktion sozialer Ängste .......................................................................................... 17 mögliche theaterpädagogische Interventionen ............................................................... 19 persönlicher Kommentar ......................................................................................................... 23 Literatur .................................................................................................................................... 24 W. Rohm, 2011. Grundlagen szenischen Spiels – Aufgabenstellung 2 2 W. Rohm, 2011. Grundlagen szenischen Spiels – Aufgabenstellung 2 3 AUFGABENSTELLUNG Durch welche Übungen können folgende mögliche auftretende Probleme beim Spiel/Rollenspiel gelöst werden? Bearbeite eines von den sechs Statements unter Beachtung nachstehender Punkte: • Theoretische Untermauerung • Spielauswahl (3 – 5) • Persönlicher Kommentar 1. Die Kinder sind aufgeregt, laut, überdreht, „kämpfen“ um die Rolle und machen Unsinn, wenn sie nicht dran kommen. 2. Kinder sind schüchtern, haben plötzlich Spielhemmungen, halten das Gefühl des Beobachtet-Seins nicht aus, können nicht Augenkontakt halten. 3. Kinder können Rollen nicht ausreichend mit Gestik und Mimik darstellen, Rolle „kommt nicht rüber“ 4. Kindern fällt mitten im Spiel kein Text ein – Spielblockaden. 5. Es wird im Spiel nicht auf einander eingegangen. Jeder spielt ohne Kooperation oder Interaktion vor sich her. 6. Es drängen sich immer die selben Kinder zum Spiel und zur Übernahme einer Rolle, manche Kinder wollen nur mit bestimmten Personen spielen. W. Rohm, 2011. Grundlagen szenischen Spiels – Aufgabenstellung 2 4 W. Rohm, 2011. Grundlagen szenischen Spiels – Aufgabenstellung 2 5 KINDER SIND SCHÜCHTERN, HABEN PLÖTZLICH SPIELHEMMUNGEN, HALTEN DAS GEFÜHL DES BEOBACHTET-SEINS NICHT AUS, KÖNNEN NICHT AUGENKONTAKT HALTEN. Der öffentliche Auftritt ist oft peinlich und mit einer Art Scham behaftet, die eintritt, bevor es noch etwas zu schämen gibt. Das Versagen wird antizipiert und die Reaktion des Schämens wird vorweggenommen. Dahinter steht die Angst zu versagen und die Angst vor Zurückweisung, die Angst vor dem Liebesentzug und schließlich die Angst davor, alleine zu bleiben. Versagen birgt stets ein Gefühl der Entwertung in sich sowie die Sorge um die soziale Einschätzung der eigenen Person und um die Veränderung dieser Einschätzung ins Negative. Es ist die Angst nicht zu entsprechen und damit einhergehend die Angst vor der sozialen Ablehnung, die Angst geächtet und nicht geliebt zu werden (Rost 2005, S. 355). Den Hintergrund dieser Ängste bildet das Grundbedürfnis nach Sozialkontakten, nach Annahme und Zuwendung und nach Anerkennung. Schüchterne Zurückhaltung in den Sozialkontakten kann ein Ausdruck ebensolcher Ängste sein. Damit einher gehen kann auch, dass diese Kinder selbst noch das Gefühl des Beobachtet-Werdens als kaum auszuhalten empfinden. Der direkte Kontakt wird vermieden und der Augenkontakt, als unmittelbare Verbindung vom eigenen Inneren zum Inneren der Interaktionspartner kann nicht gehalten werden. Hinsichtlich des Phänomens selbst lassen sich verschiedene Abstufungen beobachten. Zunächst gibt es durchaus Kinder, die eher zurückhaltend sind, als höflich und zuvorkommend erscheinen, die lediglich über eine geringe Anzahl an Sozialkontakten verfügen und im Großen und Ganzen eher ruhig auftreten. Diese Kinder verfügen im Allgemeinen zwar über eine gewisse Zurückhaltung, aber noch über keine ausgeprägte Hemmung, sich auf einer Bühne (Schauspiel, Schule oder anderswo) zu zeigen. Werden sie aufgefordert zu spielen, dann ist es dieser Gruppe von Kindern im Allgemeinen kein Problem, auch aufzutreten. Anders gelagert ist der Fall, wenn es sich um ein Kind handelt, das als in sich gekehrt erscheint und unter seinen subjektiv erlebten Schwierigkeiten, soziale Kontakte aktiv knüpfen zu können, leidet. Dieses entspricht dann auch am deutlichsten unserem Bild des „schüchternen Kindes“. Dabei handelt es sich um solche Kinder, denen einerseits das Knüpfen von Sozialkontakten ausgesprochen schwer fällt, ja bisweilen geradezu unmöglich wird, und denen andererseits insbesondere verbale Anforderungen besondere W. Rohm, 2011. Grundlagen szenischen Spiels – Aufgabenstellung 2 6 Schwierigkeiten zu bereiten scheinen. Die extreme Ausprägung dieser Schüchternheit findet sich schließlich in Form der Sozialphobie, also in der krankhaft übersteigerten Angst vor der Begegnung mit anderen Menschen. Hinsichtlich des Auftretens von als „schüchtern“ kategorisierte Verhaltensweisen sind insbesondere zwei gesondert zu betrachtende Typen zu differenzieren, die zwar nach außen hin mitunter als ident erscheinen, aber dennoch völlig unterschiedliche Ursachen aufweisen und denen daher, will man nicht lediglich auf der Symptomebene verbleiben, auch auf unterschiedlicher Weise zu begegnen ist. a) Kinder, die auf Grund von Belastungserlebnissen Stressreaktionen zeigen und die dann versuchen, diese Situation durch Rückzug zu bewältigen. b) Kinder, die vor einer bestimmten Situation Angst erleben und aus dieser Angst heraus den Rückzug in die Schüchternheit antreten. Während die erste Situation eher zu plötzlichen und meist unvorhersehbaren Spiel- und Textblockaden führt, ist es die zweite Situation, in der es zu Hemmungen kommt, obwohl keine Spiel- und Textblockaden vorhanden sind. Hier soll vor allem die zweite Bedingung unter folgendem Dreischritt untersucht werden: Bedürfnisse – Angst vor Nichterfüllung – schüchternes Verhalten. 1. BEDÜRFNISSE Das Leben des Menschen wird bestimmt durch mehr oder weniger bewusst gelebte Bedürfnisse. Die bekannteste Darstellung dazu bildet die Bedürfnispyramide von Abraham Maslow (1987), die von den physiologischen Grundbedürfnissen bis hin zum Bedürfnis auf Selbstverwirklichung reicht und einen hierarchischen Aufbau aufweist. Die Theorie Maslows besagt, dass stets erst die unteren Bedürfnisse befriedigt werden müssen, ehe sich höhere zu Wort melden können. So plausibel und einleuchtend diese Theorie auch ist, so deutlich ist ihr entgegen zu halten, dass sie empirisch nicht belegt ist und in Teilen auch gar nicht belegt werden kann, womit die Wissenschaftlichkeit der dort getroffenen Aussagen in Frage zu stellen ist. Im Zusammenhang mit der (Selbst-)darstellung in öffentlichen Szenen scheint vor allem das Bedürfnis nach Anerkennung im Vordergrund zu stehen. Dabei handelt es sich um ein breit gefächertes Grundbedürfnis des Menschen, das die wesentlichen Elemente des sozialen Zusammenlebens umfasst. Der Theorie von Axel Honneth (1994) folgend, lässt sich dieses Bedürfnis nach Anerkennung in drei Teilbereiche zerlegen, in denen Anerkennung möglich ist: • Die Anerkennung durch Liebe • Die rechtliche Anerkennung durch Gleichstellung W. Rohm, 2011. Grundlagen szenischen Spiels – Aufgabenstellung 2 7 • Die Anerkennung der Leistungen, Fähigkeiten und persönlichen Eigenschaften. Alle drei Formen zeigen grundlegende Auswirkungen auf das, wie Honneth dies bezeichnet, „Selbstverhältnis“ und bilden so die Basis dessen, wie ein Mensch in öffentlichen Situationen handelt. A) DIE LIEBE Honneth versteht unter dieser Form der Anerkennung alle Beziehungen, die nach den Mustern der erotischen Zweierbeziehungen, Freundschaften und Eltern-Kind-Beziehungen aus starken emotionalen Gefühlsbindungen zwischen wenigen Personen bestehen. Die Basis dieser Form der Anerkennung bildet die affektive Zustimmung zur Person als Person. Als Grundmuster dient dabei die zunächst symbiotische Beziehung zwischen Mutter und Kind, die eine totale beidseitige Abhängigkeit mit sich bringt. Im Rahmen des Ablöseprozesses lernt das Kind, dass es auf die liebevolle Zuwendung durch eine andere Person angewiesen ist, die unabhängig von ihm selbst als Wesen mit eigenen Ansprüchen existiert. Die Liebe im Erwachsenenalter stellt dann ein Wiederaufleben dieses ursprünglichen Verschmelzungserlebnisses dar. Eine solche kann allerdings nur dann entstehen, wenn der Partner als eine unabhängige Person anerkannt wird. Liebe ist gekennzeichnet durch starke emotionale Zuwendung und durch Unterstützung von Selbständigkeit durch die andere Person. Die Anerkennung erfolgt in Form eines bedingungslosen Schätzens des Menschen, unabhängig von dessen individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten. Die Erfahrung von Liebe stellt eine unabdingbare Voraussetzung dar, um überhaupt am öffentlichen Leben teilnehmen zu können. Liebe, als Form sozialer Anerkennung, wirkt sich unmittelbar auf das Selbstvertrauen aus. Ein Mangel an solcher emotionaler Zuwendung in Form von Vernachlässigung oder Misshandlung stellt einen Angriff auf dieses dar und wirkt sich in weiterer Folge auf das eigene Verhalten sowohl in Beziehungen und Begegnungen aus. Ein Mangel an Selbstvertrauen schwächt das von Alfred Adler (1927/1966) so bezeichnete Gemeinschaftsgefühl und baut im Gegenzug dazu das Gefühl von Minderwertigkeit auf, das sich im pathologischen Fall, bis zum Minderwertigkeitskomplex zu steigern vermag. Der Mensch wird, so die Theorie Adlers, ohnehin schon als Mängelwesen geboren und ist auf die Zuwendung durch andere Menschen existentiell angewiesen. Nach außen hin wird dieser Überhang an Minderwertigkeit gegenüber dem Gemeinschaftsgefühl zum einen durch aggressive Handlungen sichtbar und zum anderen durch Zurückgezogenheit, Zaghaftigkeit und Angst. W. Rohm, 2011. Grundlagen szenischen Spiels – Aufgabenstellung 2 8 B) DIE RECHTLICHE ANERKENNUNG In traditionalen Gesellschaften ist die Anerkennung als Rechtsperson an die soziale Wertschätzung eines Menschen auf Grund der ihm zukommenden sozialen Rolle und der Zugehörigkeit zu einer sozialen Statusgruppe gebunden. Es entstehen asymmetrische, hierarchische Anerkennungsverhältnisse. Zu beobachten ist ein solches Verhältnis recht deutlich in Ländern wie beispielsweise in Saudi-Arabien, wo Frauen dafür bestraft werden, ein Auto auf öffentlichem Grund gelenkt zu haben, oder bis zum Jahr 1974 in der Schweiz, wo bis zu diesem Zeitpunkt Frauen das Wahlrecht versagt geblieben war. Frauen und Männer verfügen in derartigen Gesellschaften über unterschiedliche, im Regelfall auch religiös untermauerte Rollen und dem zu Folge auch über verschiedene Zugänge zur rechtlichen Anerkennung. Wenn auch nicht so krass wie in Saudi-Arabien, aber dennoch mit massiven Auswirkungen auf die Lebensgestaltung ist auch in einem Staat der vorgeblichen Moderne, wie dies etwa Österreich darstellt, immer noch eine deutliche Trennung zwischen Frauen und Männern hinsichtlich der sozialen Rollen und dem damit verbundenen Status zu beobachten. Noch deutlicher ist dieser Unterschied in Organisationen mit expliziter Hierarchie zu sehen: Krankenhäuser oder Schulen zum Beispiel. Während den Statushöheren dort offensichtlich mehr Rechte zugestanden werden, wird von den Statusniedrigeren erwartet, dass diese sich der vorgegebenen Hierarchie und Ordnung selbstverständlich unterwerfen. Dabei sind es nicht alleine die kodifizierten Normen, die da wirksam werden, sondern durchaus auch und in einem kaum zu unterschätzenden Ausmaß, die informellen, insbesondere Gruppennormen. Eine Schulklasse umfasst eine zu hohe Anzahl an Schülerinnen und Schüler, als dass sich dort nicht von selbst Normen und Hierarchien etablieren. Dabei entstehen Machtgefälle, die sich auch auf das Verhalten und darauf, wer was tun darf und was nicht tun darf, auswirken. Wenn auch die kodifizierte Gleichstellung durchaus vorhanden ist, so wirkt die informelle Ungleichstellung offenbar in einem stärkeren Ausmaß und überlagert die kodifizierte Form der rechtlichen Anerkennung. Was der Eine tun darf, ist dem Anderen noch lange nicht gestattet. Die vollständige rechtliche Anerkennung beruht auf dem Prinzip der Gleichheit unter Loslösung von der sozialen Rolle. Die Anerkennung erfolgt aufgrund von allgemeinen Eigenschaften, die eine Person zur Person machen. Die Verhältnisse sind im Idealfall symmetrisch. Der Mangel an rechtlicher Anerkennung wirkt sich insbesondere auf die Selbstachtung aus, die erst der vollen Achtung des Menschen als vollberechtigter Mensch entwachsen kann. Die innere Freiheit des Anders-seins kann erst dort zur vollen Entfaltung kommen, wo die äußere Freiheit nicht durch normative Einschränkungen beschnitten wird. Das gilt für die Gleichbehandlung von Mann und Frau ebenso wie für die Behandlung von Menschen W. Rohm, 2011. Grundlagen szenischen Spiels – Aufgabenstellung 2 9 unterschiedlicher Herkunft wie auch für Szenen des Mikrokosmos einer Theaterbühne. Das gleiche Recht für alle am Spiel Beteiligten stellt überhaupt erst das volle Teilnahmevermögen sicher. Der Ausschluss von Rechten bewirkt ein mehr oder weniger massiv wirkendes Gefühl der „Entrechtung“. Auf der Seite der Gemeinschaft im Kleinen oder der Gesellschaft im Großen bewirkt die Unterstellung, dass eine Person nicht über die gleiche Rechtsfähigkeit verfügt wie andere Personen, dass die Interaktionspartner sich schließlich als ungleichwertig empfinden. Ein Prozess der Exklusion ist in Gang gesetzt, an dessen Ende der vollständige Ausschluss und die Aberkennung des Existenzrechtes als Mensch stehen. C) DIE SOZIALE WERTSCHÄTZUNG Diese Form der Anerkennung steht auf der Basis der sozialen Wertschätzung auf Grund von Besonderheiten des Menschen. Individuelle Fähigkeiten, Fertigkeiten oder Eigenschaften sind es, worauf hier das Augenmerk gelegt wird. In diesem Fall muss die Anerkennung erarbeitet werden und erfolgt im Wesentlichen auf Grund von Leistungen und durch vor der Umwelt wahrgenommene Eigenschaften, welche als gesellschaftlich wertvoll erachtet werden. Schule an sich wäre prädestiniert dafür, als Ort dieser Form der Anerkennung zu fungieren. Selektionsmechanismen und Defizitorientierung stehen der Nutzung dieser Chance allerdings entgegen. Prüfungen, insbesondere schriftliche Tests und Schularbeiten werden im Regelfall nach der Anzahl der Fehler beurteilt. Das heißt, dass die Lehrperson sich auf die Suche nach den gesetzten Fehlern macht und nicht nach dem, was richtig ist. Das Falsche erregt die Aufmerksamkeit, das zu Korrigierende, das Defizit, das abgebaut werden muss. Das Gegenstück zur Anerkennung durch soziale Wertschätzung findet sich in der Beleidigung und Entwürdigung des Menschen. Leistungen, Fähigkeiten, Fertigkeiten oder Eigenschaften werden als minderwertig angesehen und beurteilt und es kommt zu einer sozialen Entwertung der Person. Schule als Ort, an dem es explizit zu Bewertungen von Leistungen kommt, bildet daher auch einen wesentlichen Ort der Entwertung und der Demütigung des Menschen. Die soziale Wertschätzung zeigt seine unmittelbaren Auswirkungen auf den Selbstwert des Menschen. Branden (2005, S. 18) bezeichnet das Vertrauen auf den eigenen Verstand und das Wissen, dass man es wert ist, glücklich zu sein als die „Essenz“ des Selbstwertgefühls. Je höher dieses Selbstwertgefühl im Menschen dosiert ist, desto stärker ist der Drang in ihm, sich selbst zum Ausdruck zu bringen (ebd. S. 20). Ein geringer Selbstwert hindert den Menschen am Ausdruckshandeln, macht ihn unsicher und schwächt ihn schließlich in seinem sozialen Verhalten und in seiner sozialen Position. Menschen mit hohem Selbstwert betrachten Andere nicht als eine Bedrohung und sind daher viel mehr dazu in der Lage, sich selbst und ihre Anliegen zum Ausdruck zu bringen. Das hat unmittelbare Auswirkungen auf W. Rohm, 2011. Grundlagen szenischen Spiels – Aufgabenstellung 2 10 das Verhalten in unterschiedlichen Szenen, sei es im theatralen Spiel, sei es im schulischen oder auch im alltäglichen Auftritt. 2. SOZIALE ANGST Kinder, die schüchtern, zurückhaltend, leise und im Hintergrund agieren, sind oft betroffen von Angst, die sich auf ihre Mitmenschen bezieht, eine Angst, die Folge des mangelhaft entwickelten Selbstgefühls infolge fehlender oder defizitärer Anerkennung ist. Sie beinhaltet Angst vor Menschen und bestimmten Situationen, vor dem Verhalten anderer Menschen (beobachtet werden, ausgelacht zu werden), Angst vor dem eigenen Verhalten (z. B. in Gesellschaft aufzufallen), Angst vor den eigenen Gefühlen und Gedanken und die Angst, anderen die eigenen Gefühle und Gedanken mitteilen zu müssen. Die Angst der Kinder mit schüchternen Verhaltensweisen hat viele Gesichter und bringt, ja nötigt mitunter Menschen dazu, bestimmte Situationen und Begegnungen zu meiden. Grundsätzlich kann ja das Verhalten von Menschen unterschieden werden in Annährungsund Vermeidungsverhalten. Das mag äußerlich mitunter völlig ident aussehen und ist dennoch vom Motiv her betrachtet, das zur Handlung führt, sehr unterschiedlich. Nehmen wir zum Beispiel das Lösen einer Gleichung im Rahmen der Mathematikhausübung. Von einem Annäherungsverhalten ist zu sprechen, wenn diese Tätigkeit aus Interesse an der Sache heraus in Angriff genommen wird. Ein Vermeidungsverhalten liegt dem gegenüber dann vor, wenn negativen Konsequenzen (schlechte Noten, schimpfende Eltern, Hausarrest) ins Haus stehen, aus dem Weg gegangen wird. Man kann ein Glas Bier trinken, weil es schmeckt, oder man ein Glas Bier trinken, um sich nicht mit anderen Problemen befassen zu müssen. Die Liste der Möglichkeiten, dass auf Grund unterschiedlicher Motive gleich erscheinende Verhaltensweisen gesetzt werden, kann ins Unendliche fortgesetzt werden. Schüchtern erscheinendes Verhalten ist also zuerst dahingehend zu differenzieren, ob es sich um ein Annäherungsverhalten oder um ein Vermeidungsverhalten handelt, wobei davon auszugehen ist, dass es sich in der Mehrzahl der Fälle um ein Vermeiden von angstbesetzten Situationen handelt (Schwäbisch; Siems. 1974. S. 38). Im darstellenden Spiel kann von Annäherungsverhalten dann gesprochen werden, wenn etwa ein Kind aus Höflichkeit einem anderen den Vortritt lässt, aber keineswegs dann, wenn das eigene Spiel- und Handlungsinteresse in den Hintergrund gedrängt wird, um damit einer Angst auszuweichen. Das Problem der Vermeidungshaltung besteht nicht in der Vermeidung an sich, sondern darin, dass es sich mit der Zeit zu einem starren und unbeweglichen Muster verfestigt, an dem mehr und mehr festgehalten werden „muss“, um sich nicht unbeliebt zu machen. Darüber hinaus wird die Fassade der Ruhe und Unauffälligkeit, insbesondere bei länger andauernden Sozialkontakten mit der Zeit unglaubwürdig. Das Kind erscheint dann in den Augen der Anderen als nicht mehr „echt“. Und oft steht hinter dem freundlichen Gesicht eines Kindes nichts Anderes als die Vermeidung angstmachender Situationen. W. Rohm, 2011. Grundlagen szenischen Spiels – Aufgabenstellung 2 11 Menschen, die Angst davor haben, von anderen verletzt, angegriffen oder abgelehnt zu werden, beginnen verschiedene Rollen zu spielen. In einer Schulklasse kann dies Verschiedenes sein: der Klassenkasper, der Held, der Sündenbock, der Draufgänger, der Macho, der Chef, die Schöne, das Biest, ... Unzählige Möglichkeiten tun sich da auf. Dahinter steht die Notwendigkeit, sich mittels Masken und Rollenspiel vor Verletzungen, Ablehnungen und letztlich auch vor der eigenen Angst zu schützen. Verschiedene Überlebensstrategien also, um den Alltag zu überstehen. Vermeidungsstrategien können dabei hilfreich sein, um gegen das Gefühl, nicht akzeptiert zu werden, anzukämpfen. Ihnen wohnt allerdings auch der Nachteil inne, dass die ursprüngliche Angst nicht reduziert wird und im Unterbewusstsein ungehindert weiter wirkt. Der Mensch entfernt sich immer weiter von sich selbst und gelangt schließlich zu einer mehr oder weniger starken Selbst-Entfremdung. EXKURS: BESTRAFUNG Soziale Angst wird dort erzeugt, wo mittels Bestrafung in die Entwicklung eines Menschen eingegriffen wird. Das kann formell in der Erziehung, in der Schule oder vor Gericht geschehen, und das geschieht jedenfalls informell immer wieder in Gruppen durch Entrechtung und Exklusion, also durch einen Mangel an rechtlicher Anerkennung. Negative Konsequenzen in Form einer Bestrafung erzeugen Angst und ziehen ein Vermeidungsverhalten nach sich, zumindest so lange, wie der Bestrafungsreiz wirksam ist. Damit kann zwar für eine gewisse Zeit ein bestimmtes, auch sozial unerwünschtes Verhalten unterdrückt werden, aber eine echte Umorientierung und Haltungsveränderung findet nicht statt. Im Gegenteil: Erzeugt wird eine De-Formierung des Menschen mittels Angst. Angst wiederum erzeugt Schuldgefühle, die lediglich dazu führen, dass die angstauslösenden Bereiche nach und nach aus dem Leben des Menschen ausgeklammert werden. Die bevorzugte Methode dafür ist die Verdrängung. Der Entstehung neurotischer Strukturen wird Tür und Tor geöffnet. Der Bestrafung folgt beim Kind kaum eine Verhaltensveränderung, sondern ein stetig steigender Mangel an Erfolgszuversicht und ein Unterschätzen der eigenen Leistungsfähigkeit – ein wesentliches Kennzeichen der sogenannten schüchternen Kinder. Der Charakter der Strafe besteht grundsätzlich in einer Form der Machtausübung und des Machterweises. Der/Die Bestrafende zeigt durch die Bestrafung an, wer hier das Sagen hat – mehr eigentlich nicht. Bei dem bestraften Kind sind bestenfalls kurzfristige Verhaltensadaptionen zu beobachten. Langfristig werden sich eher negative Folgewirkungen einstellen. Strafen sind für die Erzielung einer Verhaltensveränderung eher unwirksam, ja bisweilen durchaus kontraproduktiv und sind, im Gegenteil, in der Lage, das negative W. Rohm, 2011. Grundlagen szenischen Spiels – Aufgabenstellung 2 12 Verhalten sogar noch zu verstärken. Was durch Bestrafung allerdings erreicht werden kann, ist eine kurzfristige Bekämpfung der eigenen Ohnmacht des/der Bestrafenden. In Gruppensituationen, wie dies auch im Rahmen einer Theaterarbeit mit einer Kindergruppe der Fall ist, kommen immer wieder verschiedene Formen der Verhaltenssanktionierung zum Einsatz. Diese bestehen in Kommentaren sowohl durch den Spielleiter/die Spielleiterin oder auch den Mitspielerinnen und Mitspielern. Negative Rückmeldungen ohne Wertschätzung haben dabei den Charakter und die Auswirkungen von Bestrafungen. Die äußere Form der Bestrafung kann recht unterschiedlich sein. Die Palette reicht von der körperlichen Züchtigung über Zwang zu Handlungen oder Unterlassungen, Liebesentzug bis hin zu Anklagen in der Form: „Du bist ein schlimmes Kind!“. Alltägliche Bestrafungshandlungen auf verschiedenen Ebenen zeigen sich beispielsweise durch verletzen, auslachen, anklagen, ironisieren, herabsetzen, drohen, gehässig kritisieren, anschreien, ausschimpfen, beleidigen, triumphierend provozieren, jammern und klagen, Vorwürfe machen, ein leidendes Gesicht machen, sich zurückziehen. … Subtiler erfolgen Bestrafungen etwa durch die Unterdrückung der forschenden Neugier eines Kindes durch „Schutzmaßnahmen“, wenn beispielsweise einem Kind die Entdeckungsreise ins Reich des Unbekannten verwehrt wird. Immer dann, wenn das Kind an der freien Entfaltung gehindert wird, indem die Regungen des Kindes unterdrückt werden oder notwendige Ressourcen nicht zur Verfügung gestellt werden, geschieht eine Weichenstellung in Richtung der Entwicklung von sozialen Ängsten. Besonders groß ist diese Gefahr dort, wo Kinder einer übergroßen Form der Behütung ausgesetzt sind, die es verhindern will, dass diese Entdeckungen machen, aber auch, dass sie manchmal stolpern, scheitern, Frustrationen erleiden oder sich weh tun. Die Mauern der familialen Schutzzone erweisen sich dann als so mächtig, dass sie zum stahlharten Käfig werden können. Dem Kind wird das schrittweise Verlassen dieses Käfigs verwehrt oder zumindest wesentlich erschwert. Es reagiert mit Rückzug und Anpassung oder mit anderen Schutzmechanismen. Wenn Kinder vermittelt wird, dass sie anders sein müssen, um akzeptiert zu werden (braver, netter, freundlicher, gefälliger, …), dann werden sie versuchen, die Situation so weit als möglich zu beherrschen. Der Rückzug hinter die Maske der Schüchternheit ist dabei nur ein Mittel unter anderen. Ein anderes besteht darin, die Mitmenschen zu manipulieren, sich in den Vordergrund zu schieben, oder auch durch besitzergreifendes Verhalten. Das sind dann diejenigen Kinder, die sich vordrängen, vorausgehen wollen und ganz generell die Nähe und Aufmerksamkeit der signifikanten Erwachsenen suchen, um von diesen Bestätigung zu erhalten. Eine Form der subtilen „Bestrafung“ besteht auch darin, das Kind Fehlanforderungen auszusetzen. Das kann zum Einen geschehen durch Überforderung, gepaart mit darauf folgenden negativen Rückmeldungen durch die Umwelt. Das kann aber auch geschehen durch alle Kinder über einen Kamm scherende Standardisierungen, wie sie etwa dem Schulwesen immanent sind. Solche „Leistungsstandards“, die für alle Schülerinnen und W. Rohm, 2011. Grundlagen szenischen Spiels – Aufgabenstellung 2 13 Schüler in der gleichen Weise gelten, sind dazu geeignet, einerseits die freie Entwicklung des Kindes zu verhindern und andererseits dem Wachstum von Fehlanforderungen beständig Nahrung zu geben. In der Arbeit mit Kindern einer Theatergruppe erscheint es daher als unumgänglich, die Anforderungen aus dem Spiel mit den Möglichkeiten des Kindes zu justieren. 3. SCHÜCHTERNE VERHALTENSWEISEN „Da gibt es Schüler, die die Antwort wissen und die auf den Lehrer einen guten Eindruck machen wollen, aber irgendetwas sorgt dafür, dass sie trotzdem stumm bleiben. Sie werden am Handeln gehindert, weil der Wärter ihrem Inneren eingibt: ‘Du machst Dich lächerlich; man wird dich auslachen; dies ist nicht der richtige Ort dafür; ich werde dir nicht die Freiheit lassen, spontan zu handeln; lass deine Hand unten, melde dich nicht freiwillig, tanze nicht, singe nicht, mach dich nicht bemerkbar; in Sicherheit bist du nur, wenn man dich nicht sieht und nicht hört.’ Und der Gefangene in ihm beschließt, sich nicht auf die gefährliche Freiheit eines spontanen Lebens einzulassen; er fügt sich brav.“ (Zimbardo, 1994, S. 16) Schüchtern erscheinende Kinder leiden unter Situationen, in denen sie sich exponieren und selbst präsentieren sollen. Das geschieht besonders häufig in der Schule und zwar insbesondere in Prüfungssituationen. Durch die explizite Ankündigung der Bewertung der Äußerungen des Kindes, wird die Situation dieser Kinder noch zusätzlich verschärft. Dabei wird in derartigen Situationen von den Kindern erwartet, dass sie sich so in Szene setzen, dass die Bewertung durch die Lehrerinnen und Lehrer positiv ausfällt. Der Vergleich zum Theater liegt auf der Hand. Da wie dort ist zentraler Bestandteil der Situation das Gesehenwerden. Die Präsenz auf der Bühne ist der Präsenz in der Schule nicht unähnlich, wenn Augen einen anstarren und Erwartungen gesetzt werden und jede Lebensäußerung einer Bewertung unterliegt. In der Schule sind es die Noten, im Theater ist es die Kritik durch das Publikum. Das Schweigen des Schüchternen im Unterricht ist dann vergleichbar mit dem Schauspieler, der seinen Text nicht aufsagt, ja sogar bewusst verweigert, obwohl er ihn kennt. Sie sind Gefangene ihrer selbst. Schüchterne inszenieren durch die Verweigerung ihre Unauffälligkeit und Nichtanwesenheit. Kinder, die unter Schüchternheit leiden, weisen eine reduzierte Wahrnehmung ihrer eigenen Fähigkeiten und Kompetenzen auf. Sie fühlen sich den anderen Kindern gegenüber unterlegen und unterschätzen dabei ihr eigenes Leistungsvermögen. Also wollen sie auch nicht auffallen und ziehen sich zurück. Sie haben Angst, den Erwartungen, die an sie herangetragen werden, nicht zu entsprechen. Dabei beeinträchtigen diese Kinder das Ideal des „lebendigen Spiels“ im Theater ebenso wie das Ideal des „guten und lebendigen Unterrichts“ in der Schule, mit dem Effekt, dass auf Seiten der Spielleiterinnen und Spielleiter/Lehrerinnen und Lehrer Unmut, Ärger oder auch Hilflosigkeit erzeugt wird und mitunter auch die eigene Eitelkeit als „guter“ Spielleiter/Lehrer gekränkt wird. Diese Kinder W. Rohm, 2011. Grundlagen szenischen Spiels – Aufgabenstellung 2 14 entsprechen dann in der Tat nicht den Erwartungen und bestätigen durch ihr Verhalten schließlich ihre eigene Selbsterwartung, nicht entsprechen zu können. Eine Spirale der sich selbst erfüllenden Prophezeiung ist in Gang gesetzt und dreht sich immer weiter nach unten. Mitunter wird diesen Kindern dann auch ein Mangel an Interesse und an Motivation zum Vorwurf gemacht. Schüchterne Kinder verhalten sich ruhig und unauffällig. Es sind Kinder, die im Wesentlichen keine Probleme bereiten und die insbesondere dort besonders positiv hervorgehoben werden, wo das Leben und die Energie der anderen Kinder in aggressives Handeln umschlagen. Unsere Aufmerksamkeit wird angezogen durch das Bewegte, durch das Laute, durch das Verhalten, das sich in den Vordergrund drängt. Das Unbewegte und Ruhige bleibt daneben oft unbeachtet und unberücksichtigt. Viele Kunststücke der Illusion und Zauberei leben geradezu von diesem Effekt. Für die „schüchternen“ Kinder bringt dies zunächst den vordergründig durchaus erwünschten Effekt mit sich, unauffällig und im Hintergrund zu bleiben. Andererseits wird aber gerade dadurch die Angst und das Leiden, das damit verbunden ist, weiter prolongiert. 4. GRUNDLAGEN DER THEATERPÄDAGOGIK Was unter dem Begriff der „Pädagogik“ zu verstehen ist, mag noch den meisten Menschen irgendwie klar sein. Etwas mit Erziehung der Kinder muss es sein; und eine Wissenschaft, wegen dem –agogik am Ende des Wortes. Was das Ziel von Erziehung hingegen ist, darüber gehen die Meinungen schon wieder auseinander. Gehorsam, Unterordnung, brav-sein, keine Drogen nehmen und ähnliches mehr lässt sich hören, befragt man Menschen aus dem Volk. Adorno (1971) erklärte die „Mündigkeit“ des Menschen zum Ziel der Erziehung und damit auch zu dem, worum es in der Pädagogik gehen soll und muss. Theaterpädagogik ist dann eine Form der Erziehung zur Mündigkeit vermittels theatraler Mittel und Methoden. Knitsch (2007) definiert Theaterpädagogik als eine Form der Kommunikation in ästhetischer Formgebung und spricht in weiterer Folge auch von „ästhetischer Kommunikation“ (S. 13). Diese Art der Kommunikation eröffnet einen direkten Zugang zur persönlichen Lebenswelt der jeweiligen Spielerinnen und Spieler. Wie auch andere künstlerische Medien erfüllt das Spiel eine Brückenfunktion vom Spielleiter zur Spielerin/zum Spieler und von diesem wiederum zurück zum Spielleiter sowie zu den Mitspielerinnen und –spielern. Kunst, und in besonderer Weise die Spiel-Kunst, übt darüber hinaus eine Mittlerfunktion zwischen der Phantasie und der Realität aus. Durch das und im künstlerischen Schaffen wird das Erhandelte durch den Schaffenden auch kognitiv verständlich, wodurch eine Übertragung in den Alltag des Schaffenden möglich wird. W. Rohm, 2011. Grundlagen szenischen Spiels – Aufgabenstellung 2 15 Die ästhetische Form der Verfremdung, wie sie im Rahmen allen Kunstschaffens stattfindet, bringt es mit sich, dass die Spieler/Maler/Bildhauer aus ihrer kognitiven und habituellen Erstarrung herausgeholt und ihnen im Rahmen des Schaffensprozesses Alternativen zu bisher gelebten und erfahrenen Mustern des Denkens und Handelns angeboten werden. Der Patient heilt und das Kind erzieht sich schließlich selbst und der Erzieher/die Erzieherin tritt nach und nach in den Hintergrund – wesentliche Schritte in Richtung Mündigkeit werden so gesetzt. Darüber hinaus bringt das Spiel den nicht unangenehmen Nebeneffekt der Erfahrung von Glück und von Spaß mit sich selbst und mit Anderen. Es setzt den Spieler buchstäblich in Bewegung, oft in ungewohnte und neue Bewegung, und verführt diesen so zum Handeln. Die ästhetische Kommunikation des Spiels reicht aber über die Erfahrungen des Einzelnen mit sich selbst hinaus. Vom Ich zum Du zum Wir. Der Einzelne ist nicht nur Individuum, sondern stets auch Spiegelbild der Gesellschaft wie auch der gesellschaftlichen Unterdrückung in der er lebt. Theaterpädagogik ist daher immer auch politisch zu betrachten. Im Spiel erfolgt die Kontaktaufnahme zunächst vom Ich zum Du und vom Du schließlich zum Wir der Gesellschaft und zum Empfinden der Gruppenzugehörigkeit. Die Ausdrucksfähigkeit von Menschen stellt das Handwerkszeug für den sozialen Alltag dar. Der Zugewinn an Sprache, Gestik, Mimik stellt damit auch einen Zuwachs an Fähigkeiten dar, sich im Alltag in der Kommunikation und in der Begegnung mit anderen Menschen zu behaupten. Theaterpädagogik ist ressourcenorientiert. Das bedeutet, dass die bereits vorhandenen Fähigkeiten der Spielerinnen und Spieler genutzt und entwickelt werden. Diese stellen tragende Säulen des Ich zur Selbst-Seelenheilung dar. In der Theaterpädagogik werden die schon vorhandenen Stärken genutzt, um das schöpferische Ich der Spielerinnen und Spieler zu inspirieren. Das Theater ermöglicht es, die schöpferische Kraft zu aktivieren und einen heilenden Reinigungsprozess für die Seele in Gang zu setzen. Indem die Spielerinnen und Spieler dem Spiel ihren Lauf lassen, gelangen sie zu Erlebnisse, die, in sinnhafter Verknüpfung zu anderen Erlebnissen zu Erkenntnissen verdichtet werden. Diese lagern sich im Gedächtnis ab, sedimentieren und bilden den Bodensatz für neue Erkenntnisse (Berger; Luckmann 1969/1980). Theater ermöglicht darüber hinaus, die eigenen Fähigkeiten und Ressourcen zu entdecken, zu aktivieren und zur Entfaltung zu bringen. Das ermöglicht auch, andere als die bisher gewohnten und eingefahrenen Denkschienen zu verlassen und neue, ungewohnte und bisher nicht eingeschlagene Richtungen des Denkens und Handelns zu versuchen. Theater als Denk-, Handlungs- und Erfahrungsexperiment. Im geschützten und vertrauensvoll geleiteten Bereich des Spiels kann es Kindern schließlich möglich werden, ihr eigenes Verhältnis zu sich selbst zu modifizieren und so zu neuen Lebensäußerungen zu gelangen. W. Rohm, 2011. Grundlagen szenischen Spiels – Aufgabenstellung 2 16 Der Notwendigkeit der Schüchternheit kann so nach und nach der Boden abgegraben werden, indem Neues erfahren und erlernt wird. 5. DIE REDUKTION SOZIALER ÄNGSTE Ganz generell ist festzuhalten, dass Angst nicht nur negativ und das Leben behindernd ist, sondern durchaus auch über eine notwendige Schutzfunktion verfügt. Ohne Angst im Leben würden wir uns wahrscheinlich ständig irgendwelchen Gefahren aussetzen und unser Leben wäre dann vermutlich von eher kurzer Dauer. Es geht also in Wirklichkeit nicht um ein Auslöschen der Angst, sondern um ein Beherrschen dieser und um einen bewussten Umgang damit. Und es ist auch nicht die Angst vor bestimmten Situationen, die uns das Leben schwer macht, sondern die Angst davor, dass Angst bei Begegnungen mit bestimmten Menschen aufkommen wird. Ziel der Bemühungen sollte es also nicht sein, die Angst an sich zu verlieren, sondern die Angst vor der Angst zu reduzieren (Schwäbisch; Siems. 1974, S. 49). Was lässt sich nun also darüber sagen, wie man Kindern dabei helfen kann, ihre sozialen Ängste in den Griff zu bekommen und schließlich so weit als möglich zu überwinden? Schwäbisch und Siems (1974) halten dazu grundlegend fest: „Ganz allgemein kann man sagen, daß sich soziale Angst in einer akzeptierenden Umwelt verringert, in der der Einzelne nicht ständig unter dem Druck steht, sich durch Leistung zu bestätigen, und in der er nicht fürchten muß, sich für ‘falsches’ Verhalten zu genieren, schämen und entschuldigen zu müssen.“ (S. 47) Was das für den schulischen Alltag bedeuten kann und muss, lässt sich nur erahnen, ist dieser doch in einem sehr hohen Ausmaß davon geprägt, dass Kinder sich ständig durch Leistungen bestätigen müssen, wobei die Furcht vor negativen Bewertungen allgegenwärtig ist. Schule, so ließe sich hier sagen, ist potentiell gut dazu geeignet, soziale Ängste zu schüren. Für den theaterpädagogischen Prozess stellt sich die Herausforderung, zu allererst ein Klima der Akzeptanz und der Freiheit zu schaffen. Das bedeutet, dass dem theatralen Handeln die Freiheit der Entfaltung zu eröffnen und dem Handeln der Akteure ein hohes Maß an Akzeptanz entgegen zu bringen ist. Das forschende Tun in der Erschaffung von Szenen kann ein brauchbares Mittel darstellen, um den vergangenen Frustrationserfahrungen wirksam entgegen zu treten. Das Spiel ohne Leistungsdruck und die explizite Erlaubnis zum (fröhlichen) Scheitern sind notwendige Vorbedingungen dafür, dass Ängste auch bei schüchternen Kindern abgebaut werden können. Dann kann das Experiment mit neuen Verhaltensweisen beginnen. Ist ein solches Klima der Akzeptanz geschaffen, wird es nach und nach möglich, die eine oder andere Verhaltensweise auszuprobieren, zu verändern, einzuüben und zu spüren, wie es ist, wenn es anders ist. Das sind die Ingredienzien für eine echte Verhaltensveränderung, aber W. Rohm, 2011. Grundlagen szenischen Spiels – Aufgabenstellung 2 17 auch, dafür, es schüchternen Kindern überhaupt erst zu ermöglichen, aus sich selbst heraus zu treten und sich in neue, bisher verwehrt gebliebene Bereiche hinein zu bewegen – es zuzulassen, gesehen und beobachtet zu werden. Für den Spielleiter erscheint es daher als ratsam, den Kindern die Freiheit zu eröffnen, gerade nicht seinen Erwartungen zu entsprechen, sie aber andererseits auch nicht durch „Ermutigungen“ oder anderen Techniken dazu zu drängen. Die im Spiel mögliche Selbstannahme und Akzeptanz bildet die Voraussetzung für persönliche Weiterentwicklungen. Der Mut zum Selbst wächst und die Angst, nicht zu entsprechen, kann schrumpfen. Vielleicht steht am Ende des Prozesses ein völlig verändertes Kind oder auch ein Kind, das weiterhin sehr ruhig ist – aber ruhig aus einer inneren Sicherheit heraus und nicht aus Angst vor den Konsequenzen ruhig gestellt. Damit sind wir im Zentrum der Theaterpädagogik an sich angelangt. Rellstab (2000, S. 45) postuliert dazu: „Theaterpädagogik will auf spielerische Weise Wertvolles zum Blühen und Missstände zum Verschwinden bringen und will Veränderung, Entwicklung.“ Und Jürgen Weintz hält im Vorwort zu Augusto Boal (1999, S. 9 f.) fest, dass es darum geht, dass der Mensch Befreiung aus seiner Unterdrückung erlebt und durch die Verwandlung eines passiven, erleidenden und erduldenden Objekts zu einem handelnden Subjekt im Schonraum der Bühne geführt wird. Dabei geht es nicht nur um Formen der äußeren Unterdrückung, sondern insbesondere auch der inneren, internalisierten. Es geht, wie Weintz weiter ausführt, um nicht weniger als die „Befreiung des Ich“. ( ebd. S. 8) Die Reduktion sozialer Ängste funktioniert letztlich nur durch die Erfahrung von angstmachenden Situationen, in denen das befürchtete Ereignis (Herabwürdigung, Verletzung, Ablehnung) nicht eingetreten ist. Auf diese Art und Weise kann das verletzte und „schüchterne“ Kind nach und nach aus dem Zimbardoschen inneren Gefängnis (siehe oben, Kapitel 3) heraus und ins Licht der Freiheit geführt werden. Die Angstreduktion geschieht ganz generell in kleinen Schritten. Ein Kind, das Angst vor Hunden hat, in einen Zwinger mit drei Rottweilern zu stecken, wäre nicht besonders hilfreich. Dort würde es zwar einer angstmachenden Situation begegnen und vielleicht auch die Erfahrung machen, dass es durch die Hunde nicht angegriffen wird, die Situation wäre aber dennoch eine Nummer zu groß und würde das Kind überfordern. Es gilt also, das Kind Schritt für Schritt in einer für das Kind ungefährlichen Dosis an die Bewältigung seiner Ängste, auch seiner sozialen Ängste heran zu führen. Zur Bewältigung sozialer Ängste muss zunächst bei der Selbstwahrnehmung angesetzt werden. Angst verdeckt das Fühlen des eigenen Körpers und das Empfinden für die eigenen Emotionen. Hier sollte demnach auch die Reise beginnen. Nach erfolgter Sensibilisierung der Selbstwahrnehmung kann auch die Sensibilität für Sozialkontakte durch verschiedene Übungen gefördert werden. Es erfolgt also ein Dreischritt: Selbstwahrnehmung – Wahrnehmung der Anderen – Aufbau von und Experimente mit Kontakten. Theaterpädagogische Methoden scheinen für eine solche Vorgehensweise in besonderer Weise geeignet zu sein. W. Rohm, 2011. Grundlagen szenischen Spiels – Aufgabenstellung 2 18 MÖGLICHE THEATERPÄDAGOGISCHE INTERVENTIONEN A) DIE SELBSTWAHRNEHMUNG Bei allen Interventionen bei Kindern mit schüchternen Verhaltensweisen ist jedenfalls zu berücksichtigen, dass diese es ganz grundsätzlich vermeiden, in den Mittelpunkt gestellt zu werden. Sobald dies dennoch geschieht, ziehen sie sich zurück. Es ist also darauf zu achten, diesen Kindern eine zu hohe Dosis an Exposition zu ersparen und gleichzeitig die Selbstwahrnehmung und die Fähigkeit zur Kontaktaufnahme zu fördern. Ein häufiges in den Mittelpunkt stellen (beispielsweise durch häufiges Fragen) bewirkt bei diesen Kindern das genaue Gegenteil. Sie werden sich noch mehr zurück ziehen. Wirksamer ist dagegen, zunächst den Einzelkontakt zu suchen und eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen. Über diese Brücke kann es dem Kind dann ermöglicht werden, den Kontakt zu den Mitspielerinnen und Mitspielern aufzubauen. Wirksam sein können zunächst verschiedene körperliche Auf- und Anwärmübungen, in denen sich die Spielerinnen und Spieler auch selbst in der einen oder anderen Form wahrnehmen und erleben können. Meditationen und Entspannungsübungen sind für diese Zwecke gut geeignet. Eine andere, durchaus lustvolle Form der Übung zur Selbstwahrnehmung kann durch verschieden Schreiübungen erfolgen. Der Schrei erfolgt von innen nach außen und wenn Kinder in der Gruppe schreien können, dann kann dies auch den schüchternen Kindern gelingen. Wichtig dabei ist, das Kind keinem Leistungsdruck auszusetzen. So laut oder leise es seine Stimme erhebt, so ist es in Ordnung: Der Statiktest: Der Spielleiter zieht ein „Messgerät“ aus der Tasche (kann auch ein Handy sein) und erklärt, dass dies ein Messgerät ist, um die Tragfähigkeit der Statik des Gebäudes zu testen, damit dieses nicht auf Grund der Lautstärke und der dadurch erzeugten Schwingungen zum Einsturz gebracht wird. Das „Messgerät“ wird sichtbar in die Höhe gehalten. Dann werden die Kinder angewiesen, erst ganz leise zu sein und dann immer lauter zu werden, um schließlich die maximale Schreikraft zu erreichen. Unterstützt werden kann dies durch Armsignale. Ist der Arm des Spielleiters ganz unten, dann herrscht absolute Stille. Ist der Arm des Spielleiters ganz oben, dann herrscht maximale Lautstärke. Das lässt sich variieren und es kann eine richtige Lautstärkenchoreographie entstehen. Beobachtung: Dieses Spiel ist gut dazu geeignet, einen ersten Kontakt zwischen dem Spielleiter und der Gruppe herzustellen. Die Kinder „glauben“ auch, dass es sich bei dem Handy in der Tat um ein Messgerät handelt, oder hinterfragen es zumindest nicht, da der Spaßfaktor den Realitätsfaktor bei Weitem übersteigt. Aus der Beobachtung an Workshops mit Schulklassen ist auch festzustellen, dass dieses Spiel tatsächlich in den meisten Fällen auch insoferne funktioniert, als es auch gelingt, die ruhigen und unauffälligen Kinder zum Schreien zu bringen. Und hier stellt sich ein erster erwünschter Effekt ein – das schüchterne W. Rohm, 2011. Grundlagen szenischen Spiels – Aufgabenstellung 2 19 Kind schreit aus Leibeskräften und ist auch in der Lage, dieses Schreien selbst zu erleben, ohne dass dabei der Himmel einstürzt. Trommelfeuer: Der Spielleiter trommelt auf einem Gegenstand herum. Das kann eine Tischplatte, ein Sessel, ein Kochtopf oder natürlich auch eine echte Trommel sein. Wichtig ist dabei nur, dass das Trommeln auch gehört wird. Sobald der Spielleiter eine Trommelpause einlegt, beginnt das Trommelfeuer der Kinder. Diese erhalten die Aufgabe, sich nach Leibeskräften mit Zahlen anzuschreien. Beobachtung: Auch diese Übung ist durchaus geeignet, schüchterne Kinder aus ihrem Schneckenhaus heraus zu locken und ihnen die Erfahrung des Schreiens zu bieten. Durch die Aufforderung, sich anzuschreien, wird das aggressive Potential geweckt und gefördert. Durch die Aufforderung, dies mit Zahlen zu tun, fällt auch die Hemmung, dass dabei Grenzen der Beleidigung und der Peinlichkeit überschritten werden. Auch diese Übung enthält eine gehörige Portion des Lustfaktors. B) DIE WAHRNEHMUNG DES/DER ANDEREN Die Wahrnehmung des/der Anderen erfolgt im Regelfalle über das Sehen. Der Blickkontakt stellt dabei schüchterne Kinder vor besondere Herausforderungen. Dieser kann durch verschieden Spiele, in denen es nahezu zwangsläufig zu Blickkontakten kommt, gefördert werden. Der Kameramann/Die Kamerafrau und ihr Modell: Die Spielerinnen und Spieler finden sich paarweise zusammen. Ein Spieler/Eine Spielerin ist das Modell und der/die andere der Fotograf/die Fotografin, bzw. der Kameramann/die Kamerafrau. Das Modell setzt sich in eine Pose auf den Sessel. Der Spielpartner fotografiert oder filmt das Modell nun aus unterschiedlichen Entfernungen und Perspektiven. Dann Wechsel. Durch dieses Spiel wird einerseits die Wahrnehmung des Anderen gefördert und zum Anderen das Aushalten des Gesehen-Werdens geübt. Beide Übungsrichtungen stellen für schüchterne und zurückhaltende Kinder wichtige Bausteine für ihre Entwicklung dar. Grimassenmemory: Ein besonders lustiges Spiel, in dem insbesondere die Fähigkeit zur Mimik, aber auch der Wahrnehmung gefördert wird. Es ist angelehnt am normalen Memory-Kartenspiel. Zwei Spielerinnen/Spieler werden ausgewählt. Sie treten dann gegeneinander an. Die Gruppe teilt sich in Paare, wobei jedes Paar idente Grimassen vereinbart. Die erste Hürde besteht schon einmal darin, lustige Grimassen zu finden und dann auch noch mit seinem Partner/seiner Partnerin eine erkennbare Übereinstimmung zu finden. Die beiden Spielerinnen/Spieler müssen nun erraten, wer mit wem ein Paar bildet. Wer die meisten Paare gefunden hat, ist Sieger. W. Rohm, 2011. Grundlagen szenischen Spiels – Aufgabenstellung 2 20 C) KONTAKTAUFBAU Spots in movement: Diese Übung ist in besonderer Weise dazu geeignet, Kontakte zu den Mitspielerinnen und Mitspielern aufzunehmen. Die Kinder sind ständig in Bewegung. Auf Grund der Geschwindigkeit, in der die einzelnen Übungen ablaufen, kommen sie gar nicht dazu, sich nicht zu beteiligen. Die Spielerinnen und Spieler bewegen sich so lange durch den Raum, bis die Bewegung durch einen „Stopp“-Ruf des Spielleiters gestoppt wird. Die Kinder frieren in der momentanen Position ein und erhalten einen Auftrag, den sie während der folgenden goPhase zu erfüllen haben. Unterstützt kann dies auch durch Musik werden. Während die Musik spielt, bewegen sich die Kinder im gleichen Rhythmus durch den Raum. Sobald die Musik unterbrochen wird, folgt eine Stopp-Phase, während der die Kinder die ihnen gestellte Aufgabe zu erfüllen haben. Wichtig ist die Geschwindigkeit und dass die einzelnen Übungen nicht zur Langeweile führen. Es ist auch völlig unwichtig, ob die Aufgaben zur Gänze erfüllt werden. Mögliche Aufgaben: • • • • • • • • • Einander die Hände schütteln, Möglichst vielen Mitspielerinnen und Mitspielern auf die Schulter klopfen Alle vier Wände berühren, Möglichst vielen Mitspielerinnen und Mitspielern die Ferse berühren, ohne selbst an der Ferse berührt zu werden, Möglichst viele Autogramme der Mitspielerinnen und Mitspieler sammeln (Material bereitlegen!) Einen Mitspieler/einer Mitspielerin am Rücken kraulen Einem Mitspieler/einer Mitspielerin ein Loch in den Bauch reden Einen Mitspieler/eine Mitspielerin zum Lachen bringen … Der Vielfalt der möglichen Aufgaben sind keine Grenzen gesetzt. Darüber hinaus kann bei dieser Übung auch schon eine Annäherung an das geplante Thema vorgenommen werden. Bilder abnehmen: Förderung der Kommunikation, der Begegnung, des Kontakts und der Wahrnehmung – alles Ziele dieser recht einfachen aber sehr effektiven Übung. Darüber hinaus werden die Spielerinnen und Spieler zum Auf-einander-eingehen hingeführt. Schüchternheit wird hier automatisch und für die Betroffenen nahezu unmerklich überwunden. W. Rohm, 2011. Grundlagen szenischen Spiels – Aufgabenstellung 2 21 Zwei Spielerinnen/Spieler stehen einander gegenüber und geben sich die Hand wie bei einer Begrüßung. Dann friert eine Spielerin ihre Haltung ein und bleibt stehen, während die andere sich in eine andere Körperhaltung in Bezug zur ersten Spielerin begibt. Dann friert auch die zweite Spielerin ihre Haltung ein. Sobald die zweite Spielerin steht, bewegt sich wieder die erste usw. Variante: Einsatz einfacher Requisiten, z. B. ein Sessel (was verändert sich durch die Hereinnahme von Gegenständen?) Variante: Eine ganze Gruppe von Spielerinnen legen sternförmig je eine Hand zusammen. Die Spielerinnen zählen ab und dann beginnt die Nr. 1, gefolgt von 2, von 3 usw. Da nehm ich mir mit: Auch durch diese kleine Übung kann der Kontakt unter den Kindern gefördert werden. Darüber hinaus wird schon eine kleine Bühnensituation geschaffen, die es auch den Kindern mit schüchternen Verhaltensweisen ermöglicht, auf die Bühne zu treten und gesehen zu werden. Die Kinder stehen im Kreis. Am Boden liegt ein Teppich oder ein durch ein Seil abgegrenzter Bereich – die Bühne. Ein Spieler/eine Spielerin betritt die Bühne und sagt: „Ich bin … (z. B. ein Baum)“. Dann tritt der nächste Spieler/die nächste Spielerin hinzu und sagt: „Ich bin … (z. B. ein Hund)“ und positioniert sich zum Baum. Dann tritt der dritte Spieler hinzu und positioniert sich ebenfalls. Ist diese Szene arrangiert, dann verlässt der erste Spieler die Bühne und nimmt sich einen der beiden Mitspieler/Mitspielerinnen mit. Der verbliebene Spieler/Die verbliebene Spielerin wiederholt noch einmal, wer er/sie ist und zwei neue Spielerinnen und Spieler haben die Möglichkeit sich zu positionieren. Tun sich einige besonders hervor oder begeben sich einige überhaupt nicht auf die Bühne, dann kann eine Reihenfolge vereinbart werden. Das geht zwar auf Kosten der Kreativität, schafft aber die Möglichkeit, dass alle zum Zug kommen. Wollen Kinder hier dennoch nicht auf die Bühne, dann ist das zu akzeptieren. In der Akzeptanz der Verweigerung liegt auch die Chance darauf, dass das Kind bei der nächsten Runde dann doch auf die Bühne steigt. W. Rohm, 2011. Grundlagen szenischen Spiels – Aufgabenstellung 2 22 PERSÖNLICHER KOMMENTAR „Wenn Sie auf einer Party sind und sie dort niemanden kennen, fällt es Ihnen dann leicht, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten?“ – da würde ich gerne mit „ja“ antworten. Dem ist aber nicht so. Auch wenn es oft den Anschein macht, dass ich nicht von Schüchternheit betroffen wäre, ist dennoch das Gegenteil der Fall. Und es ist die Angst, dass mir nichts einfällt, was ich sagen könnte, es ist der Mangel an Fähigkeit zum small-talk und es ist die mächtige Angst vor der Ablehnung, die mich gleich von vorneherein davon abhält, zu scheitern – indem ich es erst gar nicht probiere. Es ist schon eine gute Portion erlernter Überwindung, die mir dazu verholfen hat, dass ich heute nicht ein Dasein in Einsamkeit friste, sondern sowohl in Beruf als auch privat durchaus Anerkennung gefunden habe und über intakte soziale Beziehungen verfüge. Das ist keineswegs selbstverständlich gewesen und bedurfte einigen Aufwandes. Dass ich da stets Berufe ausübte, in denen gerade kommunikative Kompetenzen gefragt waren und sind, kann wohl mit Alfred Adler als eine Form der Über-Kompensation gewertet werden. Immer wieder war und bin ich so gezwungen, in Szenen einzutreten, in denen Kommunikation mit Anderen notwendig und Improvisation durchaus gefragt ist. Szenisches Spiel eröffnet Räume. Und zwar gerade für diejenigen, denen der Sozialkontakt nicht leicht fällt. Das Spiel stellt neben dem Spaßfaktor immer auch einen geschützten Rahmen dar, innerhalb dessen die Kontaktaufnahme unauffällig und quasi nebenher geschieht. In diesem Rahmen mit anderen zu sprechen, sich anzusehen und überhaupt in Kontakt zu treten und diesen aufrecht zu erhalten, ist im Spiel wesentlich weniger gefährlich als in freier Wildbahn. Und neue Verhaltensweisen sind nur dort zu lernen, wo es für das Selbst relativ ungefährlich ist. Darüber hinaus besteht ja immer auch noch die Möglichkeit, sich nach dem Spiel wieder ins Gewohnte und Geschützte zurückzuziehen. Aber je mehr an neuen Erfahrungen gesammelt werden, desto lustvoller wird es, sich auf diesem neuen Terrain zu bewegen. Ich selbst erlebe das Spiel und das Auftreten in theatralen Szenen durchaus als Überwindung wie auch als Bereicherung, wobei der geschützte Rahmen der Ausbildung hier durchaus eine wesentliche Rolle spielt. Letztlich entspreche ich nur den Erwartungen, wenn ich springe, hüpfe, schreie oder auch in improvisierten Szenen keine zündende Idee habe. Das ist gut und befreit, auch weil ich andere, denen es vermutlich nicht viel anders ergeht, dabei beobachten kann. W. Rohm, 2011. Grundlagen szenischen Spiels – Aufgabenstellung 2 23 LITERATUR Adler, Alfred. 1927/1966. Menschenkenntnis. Frankfurt/Main: Fischer Adorno, Thodor W. 1971. Erziehung zur Mündigkeit. Frankfurt/Main: Suhrkamp Berger, Peter L.;Luckmann, Thomas. 1969/1980. Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie. Frankfurt/Main: Fischer Branden, Nathaniel. 2005. Die 6 Säulen des Selbstwertgefühls. Erfolgreich und zufrieden durch ein starkes Selbst. München: Piper Honneth, Axel. 1994. Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte. Frankfurt/Main: Suhrkamp Knitsch, Norbert. 2007. Theater der Stille. Theaterpädagogik in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Theorie, Übungen, Stücke für Therapie und Pädagogik. Leer: Wissenschaftlicher Autorenverlag. Maslow, Abraham. 1987. Motivation and Personality. New York Rellstab, Felix.2000. Handbuch Theaterspielen Bd. 4. Theaterpädagogik. Wädenswil: Stutz Rost, Wolfgang. 2005. Emotionen. Elixiere des Lebens. Berlin: Springer Schwäbisch, Lutz;Siems, Martin. 1974. Anleitung zum sozialen Lernen für Paare, Gruppen und Erzieher. Kommunikatins- und Verhaltenstraining. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Zimbardo, Philip G. 1994. Nicht so schüchtern. So helfen Sie sich selbst aus Ihrer Verlegenheit. München: mvg W. Rohm, 2011. Grundlagen szenischen Spiels – Aufgabenstellung 2 24