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01. März 2014
Tuberkulose: Diagnostik und Therapie
März 2014
Tuberkulose (TB, früher auch Schwindsucht genannt) ist eine Infektionskrankheit, welche durch Bakterien des
Mycobakterium tuberculosis (M. tuberculosis)-Komplex verursacht wird. Die Erkrankung wird durch Aerosole von Mensch
zu Mensch übertragen, Eintrittspforte ist in der Regel die Lunge. Bei Diagnose einer Tuberkulose besteht eine Meldepflicht
an das zuständige Gesundheitsamt. Hierfür ist ein Keimnachweis nicht notwendig. Bei gut 20% der in Deutschland
diagnostizierten Lungentuberkulosen werden keine Mykobakterien nachgewiesen (2). Das bearbeitende mikrobiologische
Labor meldet zusätzlich den Nachweis säurefester Stäbchen im Ausstrichpräparat, die positive Kultur mit Nachweis von M.
tuberculosis-Komplex sowie das Ergebnis der Resistenztestung an das Gesundheitsamt.
Erreger
Mykobakterien sind aerobe, unbewegliche Stäbchenbakterien, welche auf Grund ihrer Färbeeigenschaften als
säurefest bezeichnet werden. Zum Mykobakterium tuberculosis-Komplex zählen M. tuberculosis, M. bovis (mit den
Subspezies ssp. bovis und caprae), M. africanum, M. microti, M. canetti und M. pinnipedii. In Deutschland wird die
Tuberkulose meist durch M. tuberculosis verursacht.
Die Infektion erfolgt aerogen durch kleinste Tröpfchen. Ansteckend sind an einer Lungentuberkulose erkrankte
Menschen, bei denen die Bakterien Anschluss an die Atemwege haben, häufig als offene Lungentuberkulose
bezeichnet. Hier sind die Mykobakterien mikroskopisch, durch molekularbiologische Methoden und/oder kulturell in
den Atemwegssekreten nachweisbar (Sputum, Bronchialsekret oder Bronchoalveoläre Lavage).
Die Infektionsgefahr steigt mit der Menge der inhalierten Erreger. Sie ist abhängig von der kumulativen Kontaktzeit
und der Nähe zum infektiösen Patienten und wird unter anderem von der Größe und Belüftung des Raumes,
indem der Kontakt stattfand, sowie ergriffenen Schutzmaßnahmen beeinflusst.
Nicht jede Infektion mit Bakterien des M. tuberculosis-Komplex führt zur Erkrankung. Etwa 10% der
immunkompetenten Infizierten erkranken im Laufe ihres Lebens an einer Tuberkulose (6). Nach Infektion mit M.
tuberculosis-Komplex kommt es innerhalb von 2-6 Wochen zu einer zellulären Immunantwort. Häufig gelingt es
dem Immunsystem die Erreger abzukapseln. Typisch ist die Ausbildung von zentral nekrotisierenden,
epitheloidzelligen Granulomen, dem sogenannten Primärkomplex. Gelingt die Abkapselung nicht kommt es zu
einer akuten Infektion, der Primärtuberkulose. Die meisten Erkrankungen treten in den ersten beiden Jahren nach
Infektion auf. Aber auch Jahrzehnte nach Infektion kann eine Tuberkulose reaktivieren (postprimäre Tuberkulose).
Prädisponierend dafür ist eine Schwächung des Immunsystems wie zum Beispiel bei HIV/AIDS,
Tumorerkrankungen, Mangelernährung, Diabetes mellitus oder einer immunsupressiven Therapie.
Neben den Mykobakterien des Tuberkulosekomplexes gibt es eine Vielzahl nicht-tuberkulöser Mykobakterien
(NTM oder MOTT = Mykobacteriosis other than tuberculosis), welche fakultativ pathogene Umweltkeime sind.
Personen, die an einer nicht-tuberkulösen Mykobakteriose erkrankt sind gelten als nicht infektiös.
Epidemiologie
Die Tuberkulose gehört weltweit zu den häufigsten Infektionskrankheiten. Die WHO schätzt knapp 9 Millionen
Neuerkrankungen/Jahr, wobei die meisten in Asien (59%) oder in Afrika (26%) auftreten (1). In Deutschland zählt
die Tuberkulose mit etwa 4.300 Neuerkrankungen/Jahr (2011) zu den seltenen Erkrankungen. Etwa die Hälfte der
Betroffenen ist im Ausland geboren (2). 2011 stieg die Anzahl der Neuinfektionen bei Kindern unter 15 Jahren (2).
Ein Problem stellt das zunehmende Auftreten von resistenten und multiresistenten (MDR) Tuberkulosen dar. In
einigen Regionen Osteuropas und Zentralasiens werden über 50% der neu aufgetretenen Tuberkulosen von
multiresistenten Stämmen ausgelöst (1). In Deutschland liegt die Rate der multiresistenten Tuberkulose stabil bei
etwa 2%, allerdings erreicht der Anteil der MDR-Tuberkulosen bei vorbehandelten und im Ausland geborenen
Patienten 18,7 % (2). Insgesamt weisen etwa 12% der in Deutschland nachgewiesenen Tuberkulose-Stämme eine
oder mehrere Resistenzen auf (2).
Einteilungsmöglichkeiten
Die Tuberkulose lässt sich einteilen nach
• Aktivität:
- Latente Tuberkulose: es besteht eine nachgewiesene Infektion ohne Erkrankung
- Aktive Tuberkulose: primäre und postprimäre Tuberkulose
• Resistenzlage:
- Sensible Tuberkulose: sensibel auf alle Erstrangmedikamente
- Monoresistente Tuberkulose: resistent gegen eines der Erstrangmedikamente
- Polyresistente Tuberkulose: resistent gegen mindestens 2 Erstrangmedikamente (jedoch nicht gleichzeitig gegen
Isoniazid und Rifampicin)
- Multiresistente Tuberkulose (MDR = multi drug resistent): resistent gegen zumindest Isoniazid und Rifampicin
- Extensiv resistente Tuberkulose (XDR = extensively drug resistent): resistent gegen zumindest Isoniazid,
Rifampicin, ein injizierbares Antituberkulotikum (WHO-Gruppe 2) sowie ein Fluorchinolon (WHO-Gruppe 3)
• Manifestationsort:
- Lungentuberkulose (ansteckend, nicht ansteckend)
- Extrapulmonale Tuberkulose (Lymphknotentuberkulose, Urogenitaltuberkulose, Knochentuberkulose,
Hauttuberkulose, etc.)
Infektiosität
Ansteckend ist in der Regel nur die Lungentuberkulose, bei der eine Verbindung zwischen dem Infektgeschehen
und den Atemwegen besteht. Hier können die Bakterien durch Hustenstöße in die Umgebungsluft gelangen. Es
wird unterschieden zwischen direkt im Sputum nachweisbaren Mykobakterien (Nachweis säurefester Stäbchen im
Sputum-Ausstrichpräparat) einerseits und erst durch Anlegen einer Sputum-Kultur, nach Materialgewinnung im
Rahmen einer Bronchoskopie (Bronchialsekret, Bronchoalveoläre Lavage = BAL) oder Punktion nachgewiesenen
Mykobakterien andererseits. Diese Unterscheidung ist wichtig, da sie eine Abschätzung der Infektiosität erlaubt
und das Ausmaß der Umgebungsuntersuchung durch das zuständige Gesundheitsamt beeinflusst.
Krankheitsbild
Die klassischen wie unspezifischen Symptome einer Tuberkuloseerkrankung sind Husten, erhöhte Temperatur
(vor allem nachmittags und nachts), Nachtschweiß, ungewollter Gewichtsverlust, Schwäche und Müdigkeit. Je
nach Organmanifestation können Auswurf, Brustschmerz, Hämoptysen, Atemnot, Lymphknotenschwellungen,
Schmerzen (v.a. Knochen und Gelenke) oder Hautläsionen in den Vordergrund treten. Etwa 80% der in
Deutschland diagnostizierten TB-Fälle sind pulmonale Tuberkulosen (2). Die latente Tuberkulose ist immer
symptomlos.
Diagnostik
Interferon-Gamma Release Assays (IGRA) und/oder der Tuberkulin-Hauttests (THT) können nur auf einen Kontakt
mit Erregern der Tuberkulose hinweisen. Die Erkrankung kann damit jedoch nicht diagnostiziert werden, dies
erfolgt immer klinisch und/oder mikrobiologisch.
THT: Gemessen wird die T-Zell-vermittelte Reaktion auf das Tuberkulin PPD RT23. Die Testsubstanz wird
an der Beugeseite des Unterarms intrakutan injiziert. Die Reaktion wird nach 72 Stunden abgelesen und je
nach Durchmesser der Induration ausgewertet. Relevant ist dabei nur die Induration und nicht eine eventuell
ebenfalls oder nur auftretende Rötung.
Der Hauttest kann nach BCG-Impfung oder Infektion mit nicht-tuberkulösen Mykobakterien falsch positiv werden.
IGRA: Dem entnommenen Vollblut wird in vitro M. tuberculosis-spezifisches Antigen zugegeben. Sind TZellen durch eine Infektion sensibilisiert setzen sie Interferon-? frei, dieses wird mittels ELISA oder ELISPOT
gemessen.
Bei Personen über 15 Jahre wird zum Ausschluss einer latenten TB der IGRA empfohlen, bei Kindern unter 5 Jahren sollte auf Grund
noch nicht ausreichend vorhandener Daten der THT angewendet werden. Bei Kindern zwischen dem 5. und dem 15. Lebensjahr kann
sowohl der IGRA als auch der THT verwendet werden (5).
Bei Verdacht auf eine aktive Tuberkulose sollte umgehend ein Röntgen-Thorax erfolgen, auch um die Möglichkeit einer Infektiosität
abschätzen und ggf. Hygienemaßnahmen einleiten zu können.
Bei unauffälligem Röntgen-Thorax und fortbestehendem Verdacht auf eine Lungentuberkulose kann ein CT-Thorax indiziert sein. Bei
Verdacht auf extrapulmonale TB ist eine entsprechende Bildgebung durchzuführen.
Anschließend muss der Keimnachweis aus Sputum, Bronchialsekret, BAL oder dem entsprechenden extrapulmonalen Gewebe
(Punktion, Exzision, Urinkultur, etc.) angestrebt werden. Bei Verdacht auf eine Lungentuberkulose sollten mindestens 3
Sputumproben, nach Möglichkeit von 3 unterschiedlichen Tagen, auf Mykobakterien untersucht werden (3). Die mikroskopische
Untersuchung nach Ziehl-Neelsen- oder mittels Auramin-Färbung ist die schnellste diagnostische Methode. Die Nachweisgrenze der
mikroskopischen Untersuchung liegt bei 103-104 Bakterien/ml.
Bei Kindern wird wegen unzureichender Sputumproduktion Magensaft (und damit geschluckte Atemwegssekrete) aspiriert und wie
Sputumproben aufgearbeitet.
Nukleinsäure-Amplifikationstests (NATs): Mit den NATs ist, ebenso wie mit der Mikroskopie, eine rasche
Diagnostik möglich. Die mikrobiologisch-infektiologischen Qualitätsstandarts empfehlen die Anwendung von
NATs bei Verdacht auf Lungentuberkulose aber negativer Mikroskopie (insbesondere bei Patienten mit
erhöhtem TB-Risiko wie Kinder oder Menschen mit HIV/AIDS), bei schweren Krankheitsbildern sowie bei
schwer zu asservierenden Untersuchungsmaterialien (3). Durch NATs kann nach mikroskopischem
Nachweis von säurefesten Stäbchen zwischen Erregern des M. tuberculosis-Komplex und nichttuberkulösen
Mykobakterien unterschieden werden und eine Aussage über eine Isoniazid- oder Rifampicin-Resistenz
getroffen werden. Dabei liegen die Sensitivitäten für den Nachweis einer Isoniazid-Resistenz bei <80% und
einer Rifampicin-Resistenz bei etwa 93-98% (7).
Die molekularbiologische Resistenztestung ersetzt nicht die kulturelle, phänotypische Resistenztestung. Der kulturelle Nachweis von
M. tuberculosis-Komplex ist derzeit der Goldstandard in der Mykobakteriendiagnostik. Auf Grund der langsamen Generationszeit der
Mykobakterien (16-20h) werden erste Kulturergebnisse nach 2-4 Wochen auf Festmedien und nach 1-2 Wochen auf Flüssigmedien
erwartet, der Beobachtungszeitraum beträgt in der Regel 8 Wochen bei Festmedien und 6 Wochen bei Flüssigmedien. Bei weiter
bestehendem Verdacht oder bei Anzucht aus Gewebeproben sollte der Beobachtungszeitraum um 4 Wochen verlängert werden. Eine
positive Kultur beweist eine aktive Tuberkulose. Die Nachweisgrenze der kulturellen Verfahren liegt bei 10-100 Mykobakterien/ml
Probenmaterial.
Der Keimnachweis ist für die Diagnose der Tuberkulose nicht zwingend erforderlich, er muss jedoch immer angestrebt werden um die
Diagnose zu sichern und eine Resistenz-gerechte Therapie zu ermöglichen.
Hygienemaßnahmen
Patienten mit nachgewiesener oder vermuteter Infektiosität müssen isoliert werden. Die Isolierung sollte solange erfolgen, bis 3
aufeinanderfolgende Sputa mikroskopisch ohne Keimnachweis sind. Bei Vorliegen von Resistenzen, komplexen Fällen oder bei
verzögertem Therapieansprechen sollten negative Kulturen abgewartet werden, bevor die Isolierung aufgehoben wird. Das
Isolationszimmer sollte regelmäßig gelüftet und, sofern technisch möglich, auf einen Unterdruck eingestellt werden.
Infektiöse Patienten haben beim Verlassen des Isolationszimmers oder Anwesenheit anderer Personen einen chirurgischen MundNasen-Schutz zu tragen. Personen, die das Isolationszimmer betreten, sollten zumindest Atemschutzmasken tragen, welche den
Kriterien einer Feinstaubmaske filtering face piece (FFP)-2 entsprechen. Bei Kontaminationsgefahr mit erregerhaltigem Material
sollten auch Schutzkittel und Handschuhe getragen werden.
Therapie
Eine ausführliche Therapieaufklärung sollte durch den behandelnden Arzt erfolgen und dokumentiert werden. Vor Therapieeinleitung
ist eine gezielte Anamnese zur Abschätzung des Risikos für Resistenzen zu erheben. Risikofaktoren für Resistenzen sind eine mehr
als 4-wöchige medikamentöse Vorbehandlung, Kontakt zu einem Indexfall mit resistenten Erregern oder die Herkunft aus einem Land
mit hoher Resistenzprävalenz. Außerdem muss ein körperlicher Status, eine laborchemische Diagnostik (Blutbild, Leber- und
Nierenfunktionswerte) sowie vor Medikation mit Ethambutol eine augenärztliche Untersuchung mit Kontrolle des Farbvisus erfolgen.
Die Behandlungsdauer beträgt mindestens 6 Monate und kann bei extrapulmonaler Manifestation, kompliziertem Verlauf oder
Vorliegen von Resistenzen zum Teil erheblich länger ausfallen.
Die Therapie der Tuberkulose ist immer eine Kombinationstherapie. Grund hierfür ist die unterschiedliche Wirksamkeit der
Medikamente in dem biologisch sehr variablen Gewebe der tuberkulösen Läsion sowie die Vermeidung von Resistenzen durch
spontane Mutationen der Mykobakterien.
Eine nicht korrekt durchgeführte Therapie ist die Hauptursache für die Entwicklung resistenter Mykobakterien-Stämme. Aktualisierte
Empfehlungen zur Therapie, Chemoprävention und Chemoprophylaxe der Tuberkulose im Erwachsenen- und Kindesalter wurden
2012 vom DZK herausgegeben (4).
Die WHO hat 5 Medikamenten-Gruppen zur Therapie der Tuberkulose kategorisiert:
- Gruppe 1 (Erstlinienmedikamente): Isoniazid, Rifampicin, Pyrazinamid, Ethambutol, Streptomycin
- Gruppe 2 (injizierbare Medikamente): Kanamycin, Amikacin, Capreomycin
- Gruppe 3 (Fluorchinolone): Levofloxacin, Moxifloxacin, Ofloxacin, Gatifloxacin
- Gruppe 4 (orale Zweitrangmedikamente mit gesicherter Wirkung gegen M. tuberculosis): Para-Aminosalicyl-Säure (PAS),
Cycloserin, Terizidon, Rifapentin, Rifabutin, Ethionamid, Protionamid
- Gruppe 5 (Zweitrangmedikamente mit unklarer Wirkung gegen M. tuberculosis): Clofazimin, Linezolid, Amoxicillin/Clavulansäure,
Thioazeton, Imipenem/Cilastin, Hoch-Dosis Isoniazid, Clarithromycin)
Tab. 1: Die 4 klassischen oralen Erstlinienmedikamente mit Nebenwirkungsprofil.
Medikamente
Isoniacid (INH)
Rifampicin
(RMP)
häufige NW
Transaminasenerhöhung,
Akne
Transaminasenerhöhung,
Cholestase,
Rotfärbung von
Körperflüssigkeiten
seltene NW
sehr seltene NW
Hepatitis, kutane NW,
Polyneuropathie
Krampfanfälle, Vertigo,
Optikus-Neuritis,
Bewusstseinsstörungen,
hämolytische
Anämie, aplastische Anämie,
Agranulozytose,
Lupus-Reaktion, Arthralgien,
Gynäkomastie
Hepatitis, kutane NW,
Übelkeit,Thrombopenie,
Fieber, Flu-like-Syndrom
Anaphylaxie, hämolytische
Anämie,
akutes Nierenversagen,
Störungen des
Nervensystems wie
Müdigkeit,
Kopfschmerzen,
Benommenheit, Vertigo,
Ataxie, Verwirrtheit,
Adynamie, Sehstörung
Pyrazinamid
(PZA)
Transaminasenerhöhung,
Übelkeit,
Erbrechen, Flush-Syndrom,
Myopathie,
Arthalgie, Hyperurikämie
Ethambutol
(EMB)
Hepatitis, kutane NW
Gicht, Photosensibilisierung,
sideroplastische Anämie
retrobulbäre Neuritis,
Arthralgie, Hyperurikämie
kutane NW,
Transaminasenerhöhung,
Polyneuropathie
Die Therapie der sensiblen Lungentuberkulose erfolgt mit Isoniazid, Rifampicin, Ethambutol und Pyrazinamid über
2 Monate, anschließend wird über weitere 4 Monate mit Isoniazid und Rifampicin behandelt (Kontinuitätsphase).
Tab. 2: Standard-Therapie der sensiblen Lungentuberkulose bei Erwachsenen.
Mediakment
Dosierung
Minimal- und
Maximal-Dosis
Dauer
Isoniazid
5 mg/kg KG
200-300 mg
6 Monate
Rifampicin
10 mg/kg
KG
450-600 mg
6 Monate
Pyrazinamid
25 mg/kg
KG
1500-2500 mg
2 Monate
Ethambutol
15 mg/kg
KG
800-1600 mg
2 Monate
Bei Nieren- oder Leberfunktionsstörungen ist ggf. eine Dosisanpassung erforderlich.
Die Erstrangmedikamente, insbesondere Isoniazid und Rifampicin, sind mikrobiologisch gut wirksam und in der
Regel gut verträglich. Wegen der unter Therapie sinkenden Keimzahl und dem somit geringeren Risiko für
spontane Mutationen ist die Gabe von 2 Medikamenten in der Kontinuitätsphase ausreichend.
Bei ausgedehntem Befund, wie zum Beispiel der kavernösen Lungentuberkulose mit mikroskopischem Nachweis
von M. tuberculosis-Komplex zwei Monate über den Behandlungsbeginn hinaus, kann eine Verlängerung der
Therapiedauer gerechtfertigt sein, um das Rezidivrisiko zu reduzieren.
Die Medikamente sollten am Morgen nüchtern eingenommen werden, da dann die beste Resorption angenommen
wird. Auch müssen alle Medikamente zusammen oder zumindest innerhalb von 20 Minuten eingenommen werden,
um einen gemeinsamen Wirkungsgipfel zu erreichen und einer Resistenzbildung vorzubeugen (Ausnahme sind die
Zweitlinienmedikamente Terizidon und das orale PASER Granulat, deren Tagesdosis auf mehrere Einzeldosen
aufgeteilt wird). Auf Grund der teilweise sehr schlechten Medikamentenverträglichkeit sind gelegentlich
Kompromisse zu schließen. Bei ausgeprägter Übelkeit sollten die Medikamente nach einer leichten, nicht allzu
fetthaltigen Mahlzeit eingenommen werden. Einige Patienten beklagen eine ausgeprägte Müdigkeit nach
Medikamenteneinnahme, so dass es sinnvoll sein kann, die Medikamente am Abend zu verabreichen. Im
Einzelfall, insbesondere bei älteren Menschen, kann es erforderlich sein die Medikamente zu mörsern.
Eine intermittierende, also die nicht tägliche Einnahme der Medikamente wird in Deutschland auch in der
Kontinuitätsphase nicht empfohlen. Insgesamt hat die Gewährleistung der Therapieadhärenz zur regelmäßigen
Tabletteneinnahme höchste Priorität, um die Therapie erfolgreich durchführen zu können und eine
Resistenzbildung zu vermeiden. Bestehen Zweifel an der regelmäßigen Medikamenteneinnahme durch den
Patienten, sollten die Möglichkeiten einer überwachten Therapie (directly observed treatment = DOT)
ausgeschöpft werden. Sollten Patienten mit einer ansteckungsfähigen Lungentuberkulose die Therapie
verweigern, besteht die Möglichkeit, durch eine richterliche Anordnung eine Zwangsisolierung (§ 30, Absatz 2
Infektionsschutzgesetzt) zu erwirken.
Unter Therapie haben Kontrollen von Blutbild, Leber- und Nierenfunktionswerten nach 2, 4, 8 Wochen und dann bei unauffälligen Befunden- alle 4 Wochen zu erfolgen. Bei den Transaminasen kann bei fehlender Symptomatik
ein Anstieg bis auf das 5-fache des Normwertes toleriert werden. Unter Medikation mit Ethambutol sollte eine
augenärztliche Untersuchung mit Kontrolle des Farbvisus alle 4 Wochen erfolgen. Bei der Lungentuberkulose
sollte das Sputum alle 14 Tagen mikroskopisch untersucht werden, erneute Kulturen sind nach 4, 8 und 12
Wochen sinnvoll. Eine neue Resistenztestung ist notwendig, wenn nach 8 Wochen Therapie weiterhin Erreger
kulturell nachgewiesen werden können. Bei der Lungentuberkulose wird außerdem eine Röntgen-Thorax-Kontrolle
vor Beginn der Kontinuitätsphase empfohlen. Unter Therapie mit Zweitrangmedikamenten sind ggf. zusätzliche
Kontrolluntersuchen durchzuführen.
Bei Unverträglichkeiten (z. B. unerträglicher Juckreiz oder Medikamenten-induzierter Hepatitis) muss nach
Identifikation des auslösenden Agens eine Medikamentenumstellung erfolgen. Nach Umstellung der Therapie ist
ggf. die Therapiedauer zu verlängern. Dies sollte immer in einem spezialisierten Zentrum erfolgen.
Bei Vorliegen von Resistenzen verlängert sich die Therapie. Die resistente Tuberkulose gehört in die Hände eines
in der Tuberkulosebehandlung erfahrenen Arztes. Auch sollten bei komplizierten Verläufen spezialisierte Zentren
konsultiert werden. Bei fehlendem Keimnachweis ist eine kalkulierte Therapie durchzuführen. Bei dieser sollte der
mögliche Kontakt zu einem Indexpatienten (mit bekannter Resistenzlage) sowie das Herkunftsland des Patienten
mit ggf. gehäufter Prävalenz von resistenten Tuberkulosen unbedingt in die Therapieplanung mit einbezogen
werden. Auch hier sollte ein spezialisiertes Zentrum konsultiert werden.
Nachsorge
Zum Abschluss der Therapie ist eine Bildgebung durchzuführen um eine mögliche Restaktivität zu beurteilen und
Residuen zu dokumentieren. Auch bei einer extrapulmonalen Tuberkulose sollte ein Röntgen-Thorax erfolgen um
frische pulmonale Infiltrate auszuschließen. Anschließend sollten bildgebende Verlaufskontrollen nach 3, 6, 12 und
24 Monaten erfolgen (4). Danach sind in der Regel keine weiteren Nachsorgeuntersuchungen notwendig.
Da alle Tuberkuloseerkrankungen ein Rezidivrisiko mit sich bringen ist auch nach erfolgreicher Therapie ein
entsprechendes Aufklärungsgespräch mit dem Patienten zu führen. Bei erneutem Auftreten von
tuberkulosetypischen Beschwerden ist an eine Reaktivierung zu denken.
Prognose
Die Prognose der sensiblen Tuberkulose ist gut und sinkt mit zunehmenden Resistenzen, Co-Morbiditäten sowie
bei mangelnder Therapietreue des Patienten. Auch nach regulär durchgeführter Therapie besteht ein RezidivRisiko. Eine erfolgreiche Behandlung (Heilung oder vollständige Durchführung der Therapie) der Tuberkulose
wurde 2011 bei voller Sensibilität mit 82,5%, bei multiresistenter Tuberkulose mit 52,5% angegeben (2). Die
Letalität der Tuberkulose lag 2011 in Deutschland bei 3,8% (2).
Umgebungsuntersuchungen
Bei Diagnose einer ansteckungsfähigen Lungentuberkulose werden die Kontaktpersonen seit mutmaßlichem oder
nachgewiesenem Erkrankungsbeginn durch das zuständige Gesundheitsamt ermittelt und bei Vorliegen einer
infektionsrelevanten Kontaktzeit untersucht (THT, IGRA und/oder Röntgen-Thorax). Die infektionsrelevante
kumulative Kontaktzeit wird zu Patienten mit mikroskopisch im Sputum nachgewiesenen säurefeste Stächen bei 8
Stunden angenommen. Wurden die Mykobakterien erst durch Anlegen einer Sputum-Kultur oder nach
Materialgewinnung im Rahmen einer Bronchoskopie nachgewiesenen liegt die infektionsrelevante kumulative
Kontaktzeit bei 40 Stunden. Kinder unter 10 Jahren gelten als nicht ansteckend, da davon ausgegangen wird, dass
der Hustenstoß nicht kräftig genug ist, um bakterienhaltige Aerosole zu produzieren. Auch geht man bei Patienten
mit einer extrapulmonalen Tuberkulose nicht von einer Ansteckungsgefahr aus (5).
Prophylaxe/Prävention
In Deutschland wird die BCG-Impfung gegen Tuberkulose seit 1998 nicht mehr empfohlen. Dies liegt an der
geringen Prävalenz der Tuberkulose und dem unsicheren Infektionsschutz durch die BCG-Impfung. Bei positivem
THT oder IGRA und nach sicherem Ausschluss einer behandlungsbedürftigen Tuberkulose wird die präventive
Therapie empfohlen bei:
engen Kontaktpersonen zu einem an ansteckungsfähiger Lungentuberkulose erkrankten Indexfall
radiologischem Nachweis narbiger Veränderungen im Lungenparenchym im Sinne von Residuen einer
postprimären inaktiven Tuberkulose und fehlender antituberkulöser Vorbehandlung
Patienten unter iatrogener Immunsuppression nach Organtransplantation
HIV-positive Personen
vor geplanter Therapie mit TNF-?-Inhibitoren
Patienten mit schwerwiegenden Grunderkrankungen (Silikose, Diabetes mellitus, maligne Lymphome,
Leukämien)
Z.n. Gastrektomie oder jejuno-ilealem Bypass
bei i.v.-Drogenabhängigkeit
Der Standard der präventiven Therapie besteht aus Isoniazid 300 mg 1x/Tag über 9 Monate, es gibt jedoch kürzere
Kombinationstherapien, die gute Studienergebnisse gezeigt haben. Im Falle von Medikamentenresistenzen beim Indexfall oder
Unverträglichkeit von Isoniazid müssen diese in Betracht gezogen werden.
Besondere Aufmerksamkeit gilt Kindern unter 5 Jahren, die auf Grund des noch nicht vollständig ausgereiften Immunsystems ein
erhöhtes Erkrankungsrisiko haben. Kinder unter 5 Jahren sollten nach Kontakt zu einer ansteckungsfähigen Tuberkulose auch bei
negativer Immunreaktion (negativer THT) eine prophylaktische Therapie mit Isoniazid 1x/Tag erhalten. Nach 8 Wochen sollte eine
Kontrolluntersuchung (erneuter THT) erfolgen. Bleibt der 2. Test negativ, ist die Prophylaxe zu beenden. Liegt eine Konversion vor
wird ein Röntgenbild zum Ausschluss einer aktiven Erkrankung angefertigt und die Isoniazid-Therapie als Prävention auf 9 Monate
verlängert. Bei initial positivem Testergebnis (THT) und nach Ausschluss einer aktiven Erkrankung wird die Prävention über 9 Monate
empfohlen. CAVE: Kinder mit Migrationshintergrund können BCG geimpft sein und einen falsch positiven THT haben. Hier sollten auf
Tuberkulose spezialisierte Kinderärzte konsultiert werden.
HIV
Jeder HIV-positive Mensch sollte einen IGRA oder THT bekommen und bei latenter Tuberkulose präventiv behandelt werden (8).
Jedem Patienten mit Tuberkulose-Erkrankung sollte ein HIV-Test angeboten werden, da der vermutliche Anteil der HIV Infektionen
unter Tuberkulose-Patienten mit 4,5% deutlich höher liegt als in der Gesamtbevölkerung (0,1%).
Weitere Informationen erhalten Sie:
Beim Deutschen Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose (http://www.pneumologie.de/dzk/) sowie bei Ihrem zuständigen
Gesundheitsamt.
Dr. Anna Katharina Starzacher, Dr. Ralf Otto-Knapp, Dr. Lena Bös, Prof. Torsten Bauer
Lungenklinik Heckeshorn HELIOS-Klinikum Emil von Behring
Deutsches Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose (DZK)
Berlin
Dr. Ralf Otto-Knapp, Lungenklinik Heckeshorn HELIOS-Klinikum Emil von Behring, Deutsches Zentralkomitee zur Bekämpfung der
Tuberkulose (DZK), Berlin.
Literatur:
(1) World Health Organization. Global Tuberculosis report 2012. WHO/HTM/TB/2012.6 http://www.who.int/iris/bitstream/10665/75938/1/9789241564502_eng.pdf
(2) Robert Koch-Institut. Bericht zur Epidemiologie der Tuberkulose in Deutschland für 2011. Berlin 2013.
(3) Richter E, Beer R, Diel R, Hillemann D, Hoffmann H, Klotz M, Mauch H, Rüsch-Gerdes S. MIQ 5: Tuberkulose, Mykobakteriose. München: Urban & Fischer in
Elsevier; 2. Auflage 2010
(4) Schaberg T, Bauer T, Satell S, Dalhoff K, Detjen A, Diel R, Greinert U, Hauer B, Lange C, Magdorf K, Loddenkemper R. Empfehlungen zur Therapie,
Chemoprävention und Chemoprophylaxe der Tuberkulose im Erwachsenen- und Kindesalter. Pneumologie 2012; 66: 133-171. Online abrufbar unter:
https://www.thieme-connect.de/ejournals/kooperation/72/1341556322843.pdf.
(5) Diel R, Loytved G, Nienhaus A, Castell S, Detjen A, Geerdes-Fenge H, Haas W, Hauer B, Königstein B, Maffei D, Magdorf K, Priwitzer M, Zellweger JP,
Loddenkemper R: Deutsches Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose: Neue Empfehlungen für die Umgebungsuntersuchungen bei Tuberkuklose.
Pneumologie 2011; 65:359-378.
(6) Diel R, Loddenkemper R, Nienhaus A. Predictive value of interferon-? release assays and tuberculin skin testing for progression from latent TB infection to
disease state. Chest 2012; 142: 63-75
(7) Drobniewski F, Nikolayevskyy V, Balabanova Y, Bang D, Papaventsis D, Diagnosis of tuberculosis and drug resistance: what can new tools bring us? Int J
Tubercul Lung Dis 2012; 16: 860-70
(8) http://www.daignet.de/site-content/hiv-therapie/leitlinien-1/Deutsch-Osterreichische%20Leitlinien%20zur%20antiretroviralen%20Therapie%20der%20HIVInfektion.pdf
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