Konsensuspapiere Monatsschr Kinderheilkd 2014 DOI 10.1007/s00112-014-3153-2 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 Redaktion A. Borkhardt, Düsseldorf S. Wirth, Wuppertal Ernährungskommission der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin: Bührer C, Genzel-Boroviczény O, Jochum F, Kauth T, Kersting M, Koletzko B, Mihatsch WA, Przyrembel C. Bührer · O. Genzel-Boroviczény · F. Jochum · T. Kauth · M. Kersting · B. Koletzko · H, Reinehr T, ZimmerH. Przyrembel · P W.A. Mihatsch · T. Reinehr · P. Zimmer · Ernährungskommission der Unterstützt durch die Ernährungskommission der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin Jugendheilkunde: Hauer AC, Haiden N, Hoffmann KM, Pietschnig B, Repa A, Pollak A, Rock I, Ernährungskommission der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e. V. Scholl-Bürgi S, Karall D, Sperl W, Weghuber D, Zwiauer K Werbebeschränkungen für Säuglingsanfangsund Folgenahrungen Stellungnahme der Ernährungskommission der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, unterstützt durch die Ernährungskommission der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde Die Ernährungskommissionen der Deutschen Gesellschaft für Kinderund Jugendmedizin e. V. (DGKJ) und der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde sprechen sich dafür aus, an Familien und die breite Öffentlichkeit gerichtete Werbung für Folgenahrungen für Säuglinge in gleicher Weise einzuschränken, wie es das europäische und das nationale Recht für Säuglingsanfangsnahrungen vorsieht. Entsprechend sollten in der deutschen Verordnung über diätetische Lebensmittel und im Sachverständigengutachten Österreichisches Lebens­mittelbuch die Bestimmungen zu Werbemaßnahmen für Säuglingsanfangs- und Folgenahrungen gleich gestaltet werden. Hintergrund Säuglingsanfangs- und Folgenahrungen sind sich in ihrer Zusammensetzung sehr ähnlich. Die entsprechenden Produkte eines Herstellers werden mit nahezu gleicher Packungsgestaltung und Auslobung angeboten, und der Verbraucher kann sie oft nur durch eine unterschiedliche Zahl (1 oder 2) oder eine Aufschrift Säuglings- anfangs- bzw. Folgenahrung unterscheiden. Für Verbraucher wirken Säuglingsanfangs- und Folgenahrungen daher wie 2 Fassungen des gleichen Produkts, mit lediglich unterschiedlicher Altersindikation. Werbung für eine Folgenahrung bewirkt deshalb auch unmittelbar eine Bewerbung der entsprechenden Säuglingsanfangsnahrung. Wahrung ethischer Grundsätze bei der Werbung für Flaschennahrungen Wissenschaftliche Studien zeigen, dass Werbung für Flaschennahrungen den Stillerfolg und die Stilldauer nachteilig beeinflussen kann [1, 2, 3]. Stillen ist die beste Ernährungsform für gesunde Säuglinge und wird von Pädiatern sowie anderen Gesundheitsberufen aktiv gefördert, unterstützt und geschützt [4, 5]. Bereits vor mehr als 30 Jahren hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den Ko­ dex für die Vermarktung von Muttermilch­ ersatzprodukten (WHO-Kodex, [6]) verabschiedet, der international gültige Regeln für den Vertrieb von Muttermilchersatzprodukten festgelegt hat. Die Bundesrepublik Deutschland und Österreich haben die Annahme dieses WHO-­ Monatsschrift Kinderheilkunde 2014 | 1 Zusammenfassung · Abstract Kodexes unterstützt. Zu den Zielen des Kodexes gehören der Schutz und die Förderung des Stillens sowie die Anwendung ethischer Grundsätze bei der Werbung für Flaschennahrungen, die als partieller oder völliger Ersatz für das Stillen angeboten werden (sog. Muttermilch­ ersatzprodukte). Dem WHO-Kodex zufolge dürfen keine Anzeigen oder andere Werbemaßnahmen für Muttermilchersatzprodukte an die allgemeine Öffentlichkeit gerichtet werden. Produktinformationen dürfen nur an Fachkreise bzw. in auf die Säuglingsbetreuung spezialisierten Medien verbreitet werden. Herstellern und Händlern wird untersagt, Proben von Nahrungen oder anderer Utensilien (z. B. Flaschen, Sauger) für die Flaschenfütterung direkt oder indirekt (z. B. über Pädi­ ater oder Hebammen) an Familien abzugeben. Es ist auch festgelegt, dass bei der Darstellung von Muttermilchersatzprodukten stets die Überlegenheit des Stillens klar hervorgehoben werden muss. Es dürfen keinerlei Bilder oder Texte benutzt werden, die Säuglingsnahrungen und ihre Verwendung idealisieren. Der WHO-Kodex verpflichtet die Mitgliedsstaaten der Weltgesundheitsversammlung, zu denen auch Deutschland gehört, Maßnahmen zur Förderung und Implementierung dieser Regeln zu ergreifen. Die meisten Staaten haben Prinzipien und praktische Regulierungen des Kodexes in die Praxis umgesetzt [1, 7]. Auch der weltweit gültige Standard für Säuglingsanfangsnahrungen des Codex Alimentarius der WHO und der Food and Agriculture Organization (FAO, Lebensmittel- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen), der unter dem Vorsitz Deutschlands entwickelt wurde, enthält die Verpflichtung zur Berücksichtigung der Regelungen des WHO-Kodexes [8]. Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union unterstützen den WHO-Kodex und haben in der europäischen Gesetzgebung zu Säuglingsanfangs- und Folgenahrungen festgelegt, dass „Mitgliedsstaaten die Ziele und Grundsätze des internationalen Codex für die Vermarktung von Muttermilchersatz verwirklichen, die sich mit Vertrieb, Information sowie Aufgaben der Gesundheitsbehörden befassen“ [9]. 2 | Monatsschrift Kinderheilkunde 2014 Monatsschr Kinderheilkd 2014 · [jvn]:[afp]–[alp] DOI 10.1007/s00112-014-3153-2 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 C. Bührer · O. Genzel-Boroviczény · F. Jochum · T. Kauth · M. Kersting · B. Koletzko · W.A. Mihatsch · H. Przyrembel · T. Reinehr · P. Zimmer · Ernährungskommission der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin Werbebeschränkungen für Säuglingsanfangs- und Folgenahrungen. Stellungnahme der Ernährungskommission der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, unterstützt durch die Ernährungskommission der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde Zusammenfassung Für die Vermarktung von Säuglingsanfangsund Folgenahrungen gelten gesetzliche Beschränkungen mit dem Ziel, das Stillen zu fördern und zu schützen. Idealisierende Abbildungen oder Textaussagen, die den Eindruck einer Ähnlichkeit der Flaschenernährung mit dem Stillen erwecken könnten, sind untersagt. Für die Bewerbung von Säuglingsanfangsnahrungen gelten striktere Regeln als für Folgenahrungen. Säuglingsanfangs- und Folgenahrungen sind sich in ihrer Zusammensetzung sehr ähnlich und werden mit nahezu gleicher Packungsgestaltung und Auslobung angeboten. Werbung für eine Folgenahrung bewirkt deshalb auch unmittelbar eine Bewerbung der entsprechenden Säuglingsanfangsnahrung und birgt das Risiko, den Stillerfolg und die Stilldauer nachteilig zu beeinflussen. Die Ernährungskommissionen der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) und Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde sprechen sich deshalb dafür aus, an Familien und die breite Öffentlichkeit gerichtete Werbung für Folgenahrungen für Säuglinge in gleicher Weise einzuschränken, wie es das europäische und das nationale Recht für Säuglingsanfangsnahrungen vorsieht. In der deutschen Verordnung über diätetische Lebensmittel und im Sachverständigengutachten Österreichisches Lebensmittelbuch sollten die Bestimmungen zu Werbemaßnahmen für Säuglingsanfangs- und Folgenahrungen gleichlautend gestaltet werden. Schlüsselwörter Stillen · Flaschennahrung · Vermarktung · Gesetzgebung · Verbraucherschutz Advertising limitations for infant formula and follow-on formula. Statement of the Committee on Nutrition of the German Society of Pediatric and Adolescent Medicine supported by the Committee on Nutrition of the Austrian Society of Pediatric and Adolescent Medicine Abstract Marketing of infant formula and follow-on formula is restricted by legislation aiming at protection, promotion and support of breastfeeding. Graphics and text that may idealize infant formula and bottle feeding or may suggest similarity with breastfeeding are prohibited. Stricter rules are in place for marketing of infant formula than for follow-on formula. Infant formula and follow-on formula have a very similar composition and are marketed with almost identical packaging and wording. Therefore, advertising follow-on formula will also directly promote the respective infant formula and bears the risk of having adverse effects on breastfeeding rates and duration. The Committees on Nutrition of the German and Austrian Societies of Pediatrics support similar restrictions for the marketing of follow-on formula to families and to the general public as they have been defined for infant formula in the European and national legislations. The relevant regulations in the German and Austrian dietetic food legis­ lations on marketing of follow-on formula should be adapted to the standards on marketing of infant formula. Keywords Breast feeding · Bottle feeding · Marketing · Legislation · Consumer protection Im deutschen Recht werden diese Regelungen in der Verordnung über diäte­ tische Lebensmittel, im österreichischen Recht im Sachverständigengutachten Ös­ terreichisches Lebensmittelbuch umgesetzt [10]. Nach diesem Gesetzestext dürfen Säuglingsanfangs- und Folgenahrungen nicht in den Verkehr gebracht werden, wenn die Kennzeichnung Angaben enthält, die vom Stillen abhalten können. Idealisierende Aussagen, die den Eindruck einer Ähnlichkeit der Flaschenernährung mit dem Stillen erwecken könnten, sind untersagt. Dazu gehören nach Auffassung der Ernährungskommissionen auf Flaschennahrungen bezogene Begriffe wie z. B. „humanisiert“, „maternisiert“, „adaptiert“, „nach dem Vorbild des Stillens“, „nach dem Vorbild der Natur“, „ähnlich wie Muttermilch“ oder „aus der Muttermilchforschung“. Für Säuglingsanfangsnahrungen ist die Verwendung von Abbildungen von Säuglingen und von anderen idealisierenden Abbildungen verboten. Fandere als sachbezogene und wissenschaftliche Informationen enthält und den Eindruck erwecken oder darauf hindeuten kann, dass Flaschennahrung der Muttermilch gleichwertig oder überlegen ist (idealisierende Werbung), FVerbraucher durch Verteilung von Proben, Abgabe kostenloser oder verbilligter Erzeugnisse oder durch andere zusätzliche Kaufanreize direkt oder indirekt über Anreize für in der Gesundheitsvorsorge oder -versorgung tätige Institutionen oder Personen zur Verwendung oder zum Kauf solcher Produkte bewegt. Geforderte Werbebeschränkungen Einhaltung ethischer Richtlinien Werbung für Folgenahrungen richtet sich nicht nur an Eltern mit älteren Säuglingen und Kleinkindern, sondern auch an Eltern von Säuglingen in den ersten Lebenswochen und Monaten, an Schwangere, an Frauen mit Kinderwunsch und an deren Partner. Bei vielen Eltern und werdenden Eltern besteht eine große Verunsicherung zu Fragen der Säuglingsernährung. Werbung für Folgenahrungen birgt das Risiko, Entscheidungen für das Stillen und zur Stilldauer ungünstig zu beeinflussen und sich damit nachteilig auf die Kindergesundheit auszuwirken. Deshalb sprechen sich die beiden Ernährungskommissionen dafür aus, jegliche Werbung für Säuglingsanfangs- und Folgenahrungen zu unterbinden, die Fdie allgemeine Öffentlichkeit anspricht, z. B. durch Radio- oder Fernsehen, Internet, Druckschriften oder andere Medien, Fin anderen als für Fachkreise bestimmten, medizinisch-wissenschaftlichen oder der Säuglingspflege gewidmeten Publikationen erscheint, 6. World-Health-Organisation (1981) International code of marketing of breast-milk substitutes. World Health Organisation, Geneva 7. World-Health-Organisation (1997) The international code of marketing of breast-milk subsitutes. A common review and evaluation framework. World Health Organisation, Geneva 8. Codex Alimentarius Commission (2007) Standard for infant formula and formulas for special medical purposes intended for infants. CODEX STAN 721981, last revised 2007. Codex Alimentarius Commission, Rom 9. European Commission (2006) Commission Directive 2006/141/EC of 22 December 2006 on infant formulae and follow-on formulae and amending Directive 1999/21/EC. Official Journal of the European Union. L. 401/1 10. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2010) Verordnung über diätetische Lebensmittel (Diätverordnung), zuletzt geändert durch Art. 1 V v. 25.02.2014 I 218. http:// www.­gesetze-im-internet.de/bundesrecht/di_tv/­ gesamt.pdf Korrespondenzadresse Prof. Dr. B. Koletzko Ernährungskommission der Deutschen Gesellschaft für Kinderund Jugendmedizin e. V. Chausseestr. 128–129, 10115 Berlin [email protected] Interessenkonflikt. C. Bührer, O. Genzel-Boroviczény, F. Jochum, T. Kauth, M. Kersting, B. Koletzko, W.A. Mihatsch, H. Przyrembel, T. Reinehr und P. Zimmer geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Der Beitrag enthält keine Studien an Menschen oder Tieren. Literatur 1. Cattaneo A, Yngve A, Koletzko B et al (2005) Protection, promotion and support of breast-feeding in Europe: current situation. Public Health Nutr 8:39–46 2. Rosenberg KD, Eastham CA, Kasehagen LJ, Sandoval AP (2008) Marketing infant formula through hospitals: the impact of commercial hospital discharge packs on breastfeeding. Am J Public Health 98:290–295 3. Donnelly A, Snowden HM, Renfrew MJ, Woolridge MW (2007) Commercial hospital discharge packs for breastfeeding women. Cochrane Database Syst Rev 2:CD002075 4. ESPGHAN Committee on Nutrition, Agostoni C, Braegger C et al (2009) Breast-feeding: a commentary by the ESPGHAN Committee on nutrition. J Pediatr Gastroenterol Nutr 49:112–125 5. Koletzko B, Brönstrup A, Cremer M et al (2013) Säuglingsernährung und Ernährung der stillenden Mutter. Handlungsempfehlungen – Ein Konsensuspapier im Auftrag des bundesweiten Netzwerk Junge Familie. Monatsschr Kinderheilkd 161:237– 246 Monatsschrift Kinderheilkunde 2014 | 3