Achatz (48571) / p. 1 /13.8.12 Nikolaus Knoepffler, Sabine Odparlik, Johannes Achatz, Martin O’Malley Grüne Gentechnik und Synthetische Biologie – keine Sonderfälle ANGEWANDTE ETHIK A Achatz (48571) / p. 2 /13.8.12 Dieser Band untersucht nach einer kurzen Einführung zu den wissenschaftlichen Entwicklungen und Möglichkeiten der Grünen Gentechnik sowie der Synthetischen Biologie die äußerst unübersichtliche Debatte zum Thema. Dabei geht es vor allem darum, die verschiedenen kritischen Standpunkte aus ethischer Perspektive systematisch darzustellen und auf die Plausibilität ihrer Argumente hin zu untersuchen. Ohne die Grüne Gentechnik oder die Synthetische Biologie zu verharmlosen, kommen die Autoren zu dem Schluss, dass kein Ansatz darin überzeugen kann, derartige biotechnologische Verfahren gegenüber konventionellen Züchtungsmethoden als einen Sonderfall darzustellen. Vielmehr lässt sich die Notwendigkeit von Fallunterscheidungen herausarbeiten - unabhängig von der verwendeten Methode. Die Autoren: Nikolaus Knoepffler, geb. 1962, ist Inhaber des Lehrstuhls für Angewandte Ethik und Leiter des Ethikzentrums der Universität Jena. Zahlreiche Veröffentlichungen im Bereich der Angewandten Ethik. Außerdem ist er Gutachter im 7. Rahmenprogramm der EU zu Projekten aus der Landwirtschaft. Sabine Odparlik, geb. 1975, promovierte mit einer Arbeit zur Würde der Pflanze und ist eine der ausgewiesensten Ethikerinnen in diesem Feld. Sie ist Diplombiologin und Angewandte Ethikerin. Seit 2005 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bereich Ethik in den Wissenschaften der Universität Jena. Johannes Achatz, geb. 1982, Studium der Philosophie, Politikwissenschaft und Angewandten Ethik in Jena und Tampere (Finnland), 2010 Magister Artium, 2012 Promotion, seit Oktober 2010 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Angewandte Ethik in Jena. Martin O’Malley, geb. 1966, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Ethik in den Wissenschaften der Friedrich-Schiller-Universität Jena und Geschäftsführer des Global Applied Ethics Network. Achatz (48571) / p. 3 /13.8.12 Nikolaus Knoepffler, Sabine Odparlik, Johannes Achatz, Martin O’Malley Grüne Gentechnik und Synthetische Biologie – keine Sonderfälle Verlag Karl Alber Freiburg / München Achatz (48571) / p. 4 /13.8.12 ANGEWANDTE ETHIK Herausgegeben von Nikolaus Knoepffler, Peter Kunzmann, Reinhard Merkel, Ingo Pies und Anne Siegetsleitner Wissenschaftlicher Beirat: Reiner Anselm, Carlos Maria Romeo Casabona, Klaus Dicke, Matthias Kaufmann, Jürgen Simon, Wilhelm Vossenkuhl, LeRoy Walters Natur und Umwelt Band 1 Originalausgabe © VERLAG KARL ALBER in der Verlag Herder GmbH, Freiburg / München 2013 Alle Rechte vorbehalten www.verlag-alber.de Satz: SatzWeise, Föhren Herstellung: CPI buch bücher.de GmbH, Birkach Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier (säurefrei) Printed on acid-free paper Printed in Germany ISBN 978-3-495-48558-3 Achatz (48571) / p. 5 /13.8.12 Vorwort Anfang des Jahres 2012 hat die Firma BASF vor den Gegnern der Grünen Gentechnik in Deutschland kapituliert und ihre pflanzengentechnische Forschung von Deutschland in die USA verlegt. Die Synthetische Biologie als Folgetechnologie der Gentechnik dagegen steht viel weniger im Fokus der Öffentlichkeit, obwohl hier sogar das Erbgut eines Organismus ganz neu konstruiert wird. Das mag auch damit zusammenhängen, dass beteiligte Forscher aus den Kommunikationsfehlern in Bezug auf die Grüne Gentechnik gelernt haben. Die Ethik hat in den letzten Jahren als Disziplin an Bedeutung gewonnen und nicht zuletzt in Form verschiedener Ethikräte auf Landes- und Bundesebene einige öffentliche Strahlkraft für drängende gesellschaftliche Fragen erworben. Doch gibt es weiterhin wesentliche Unterschiede in Inhalt und Form, in der die Ethik Verwendung findet. Für manche dient Ethik dazu, Grenzen zu setzen. Vertreter dieser Richtung betonen die Gefahren neuer technischer Möglichkeiten. Andere vertreten dagegen eher eine Ethik der Hoffnung und betonen die Chancen neuer Technologien. Ein Mangel in der Theorienlandschaft der Ethik besteht darin, diese Differenz nicht genügend in ihrer Vielschichtigkeit berücksichtigt zu haben. Dem wollen wir in diesem Buch begegnen und damit der Ansicht entgegenarbeiten, die Ethik mit »Neinsagen« und »Verbotsschildern« identifiziert. In der Praxis von Ethikräten hat sich längst etabliert, was (demokratisch) selbstverständlich ist: Es ist nicht der einsame Philosoph im Lehnstuhl, der moralische Fragen von gesellschaftlicher Tragweite mit einem Federstrich entwickeln kann, sondern nur gesellschaftliche Vertreter der letztlich betroffenen Bürgerinnen und Bürger, unter denen sich freilich auch Fachethiker und Fachleute der betroffenen neuen Techniken befinden sollten, können aufgrund unterschiedlicher Blickrichtungen, Erfahrungen und aufgrund unterschiedlichen Fachwissens angemessen über Chancen und Risiken, über die ethische Zulässigkeit oder Nichtzulässigkeit neuer technischer Möglichkeiten urteilen. In 5 Achatz (48571) / p. 6 /13.8.12 Vorwort der Praxis sind es verhandlungsbasierte Modelle ethischer Entscheidungsfindung, mit deren Hilfe eine Einigung bei strittigen Fragen erlangt werden soll. Mit diesem Buch wollen wir den Versuch unternehmen, das Fundament und die Eckpunkte einer verhandlungsbasierten Ethik zu entwickeln und orientieren uns dabei an Methoden, die an der Harvard Law School erarbeitetet wurden. Als Beispiel bietet sich die langanhaltende öffentlich wie akademisch geführte Kontroverse um Grüne Gentechnik und Synthetische Biologie als deren Folgetechnik an. Wir möchten zeigen, wie die Debatten in diesem Feld geführt werden, wie sie in ihre festgefahrene Lage geraten sind und aufzeigen, wie ein verhandlungsbasierter Ansatz zu einer konsensorientierten Lösung beitragen kann. Jena, Pfingsten 2013 Nikolaus Knoepffler (Federführung) 1 Auch wenn wir den Text gemeinsam verantworten, so sei doch darauf hingewiesen, dass der naturwissenschaftliche Teil und Überlegungen zur Pflanzenwürde federführend von Sabine Odparlik erarbeitet wurden, Überblicke zur Diskussion der Synthetischen Biologie hauptsächlich von Johannes Achatz stammen und die Anregung zum Gebrauch der Harvard Methode sich einer Teilnahme von Martin O’Malley und Nikolaus Knoepffler am Program on Negotiation der Harvard Law School 2011 verdankt. 1 6 Achatz (48571) / p. 7 /13.8.12 Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Zielsetzung und Vorgehensweise vor dem Hintergrund der öffentlichen Debatten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1.1 Die öffentliche Ablehnung in deutschsprachigen Ländern . 1.2 Zielsetzung und Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . 13 25 Grundlagen: Begriffe und Methoden . . . . . . . . . . . . . 30 2.1 Begriffsunterscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Weiße Gentechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Rote Gentechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Grüne Gentechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.4 Synthetische Biologie . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Transgene Pflanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Cisgene Pflanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Verfahren zur Herstellung gentechnisch modifizierter Pflanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3.1 Gentransfer mit Agrobacterium tumefaciens . 2.2.3.2 Gentransfer mit viralen Vektoren . . . . . . 2.2.3.3 Direkter Gentransfer . . . . . . . . . . . . . 2.2.4 Einsatz von in vitro-Kulturtechniken . . . . . . . . 2.2.5 Die Zielgenauigkeit gentechnischer Modifikationen . 2.2.6 Ansätze der Synthetischen Biologie . . . . . . . . . 2.2.7 Gentechnik im weiten Sinn . . . . . . . . . . . . . 2.2.7.1 Smart Breeding . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.7.2 Tilling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 30 31 31 32 32 33 34 Vorwort 1 2 35 36 37 38 40 41 41 43 43 44 7 Achatz (48571) / p. 8 /13.8.12 Inhalt 3 Wege der kritischen Annäherung . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Erste Übersicht zu den Zugängen . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Konservativ und liberal . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Teleologisch, deontologisch und diskursorientiert . . 3.1.3 Anthropozentrismus, Pathozentrismus, Biozentrismus, Physiozentrismus, Theozentrismus . . . . . . . . . Exkurs: Albert Schweitzers Ehrfurcht vor dem Leben . . . 3.2 Konservative Zugänge (meist deontologisch) . . . . . . . . 3.2.1 Der theozentrisch-konservative Ansatz . . . . . . . 3.2.2 Der anthropozentrisch-konservative Ansatz . . . . . 3.2.3 Der pathozentrisch-konservative Ansatz . . . . . . . 3.2.4 Der biozentrisch-konservative Ansatz . . . . . . . . 3.2.5 Physiozentrisch-konservative Positionen . . . . . . 3.2.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Liberale Positionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Der theozentrisch-liberale Ansatz . . . . . . . . . . 3.3.2 Der anthropozentrisch-liberale Ansatz . . . . . . . . 3.3.3 Der pathozentrisch-liberale Ansatz . . . . . . . . . 3.3.4 Der biozentrisch-liberale Ansatz . . . . . . . . . . . 3.3.5 Physiozentrisch-liberale Positionierung . . . . . . . 3.3.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 47 47 48 50 56 61 61 62 65 65 69 71 71 71 72 74 74 76 76 4 Keine Sonderfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 4.1 4.2 4.3 4.4 Natürliche Wertungsdifferenzen . . . . . . Natürliche Beschreibungsdifferenzen . . . Natur und Vertrauen . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . 80 81 83 86 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 5.1 Kritik am gegenwärtigen ethischen Diskurs . . . . . . . . 88 89 5.2 Analoge Präzedenzfälle in der Vorgehensweise . . . . . . . 93 5.3 Sieben Strukturmerkmale einer werteorientierten Ethik . . 93 5.3.1 Interessen und mit diesen verbundene Werte . . . . 93 5.3.1.1 Schutz des Menschen . . . . . . . . . . . . 5.3.1.2 Schutz von Pflanzen (und Mikroorganismen) . 100 5.3.1.3 Schutz der Natur . . . . . . . . . . . . . . . 104 5.3.2 Alternativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 5 8 Ein werteorientierter Konfliktlösungszugang Achatz (48571) / p. 9 /13.8.12 Inhalt 5.3.3 Optionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.3.1 Sicherung der ökologischen Dimension der Nachhaltigkeit . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.3.2 Sicherung der ökonomischen Dimension der Nachhaltigkeit . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.3.3 Sicherung der sozialen Dimension der Nachhaltigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.4 Standards der Legitimität . . . . . . . . . . . . . 5.3.5 Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.6 Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.7 Selbstverpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 . 113 . 114 . . . . . 117 120 120 123 124 Konkretisierung an zwei Fallbeispielen . . . . . . . . . . . . 125 6.1 Fallbeispiel zur Grünen Gentechnik: Golden Rice . . . . . 6.2 Fallbeispiel zur Synthetischen Biologie: ein neues Super-Virus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 6 129 132 9 Achatz (48571) / p. 10 /13.8.12 Achatz (48571) / p. 11 /13.8.12 1 Zielsetzung und Vorgehensweise vor dem Hintergrund der öffentlichen Debatten Debatten um die Grüne Gentechnik werden in vielen Ländern in ganz unterschiedlicher Weise geführt, wie eine bis heute gültige Studie der Food and Agriculture Organization (FAO) aus dem Jahr 2004 belegt. Vor dem Hintergrund dieser Studie und weiterer Berichte stellt Navarro (2011, 27) fest, dass die Konflikte um die gentechnologisch 1 gestützte Pflanzenzucht nicht nur Konflikte zwischen verschiedenen Interessengruppen sind, sondern auch unterschiedliche Kulturen widerspiegeln. Während sich die Öffentlichkeit auf dem amerikanischen, australischen und asiatischen Kontinent hinsichtlich der neuen Möglichkeiten der Pflanzenzucht bisher eher aufgeschlossen zeigt, stehen Europa und Afrika dem Anbau und der Nutzung gentechnisch erzeugter Pflanzen tendenziell skeptisch gegenüber. Das lässt sich auch an der weltweiten Verteilung der Anbauflächen gentechnisch veränderter Pflanzen ablesen. 2 Mehr als 90 Prozent der Gesamtanbaufläche von 170 Mio. ha im Jahr 2012 verteilte sich auf insgesamt 28 Staaten, davon wiederum 152 Mio. ha auf fünf Staaten, nämlich die USA mit 69,5 Mio. ha, Brasilien mit 36,6 Mio. ha, Argentinien mit 23,9 Mio. ha, Kanada mit 11,6 Mio. ha, Indien mit 10,8 Mio. ha und China mit 4,0 Mio. ha. In diesen Ländern werden aber nicht nur die größten Anbauflächen bewirtschaftet, sondern es wird hier auch die größte Sortenvielfalt an gentechnisch erzeugten Pflanzen eingesetzt. Australien befindet sich zwar nicht unter den ersten sechs Plätzen der nach Anbaufläche absteigend geordneten Länder, aber gehört doch zu der Gruppe der biotech-mega countries, welche mindestens 50.000 ha biotechnisch erzeugter Pflanzen vorzuweisen haben. Zu dieser Gruppe gehört Gentechnik [engl. genetic engineering] ist ein Teil der Biotechnologie. In Deutschland ist die Grüne Gentechnik umstritten, nicht die gesamte Biotechnologie. In englischsprachigen Stellungnahmen wird meist nicht zwischen Bio- und Gentechnologie unterschieden. 2 Vgl. zu den Zahlen im Folgenden Nature Special Issue (2013, 22 f.). 1 11 Achatz (48571) / p. 12 /13.8.12 Zielsetzung und Vorgehensweise vor dem Hintergrund der öffentlichen Debatten mit Südafrika auch ein afrikanisches Land. Es stellt eine Ausnahme auf diesem Kontinent dar, denn hier gab es 2011 sonst nur sehr kleine Anbauflächen in Ägypten, Burkina Faso und seit 2012 im Sudan. Umgekehrt mag es überraschen, dass sich auf dem bezüglich der Roten Gentechnik eher aufgeschlossenen asiatischen Kontinent einige Länder, hier insbesondere Japan und Südkorea, nicht am kommerziellen Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen beteiligen. Dies zeigt, dass bei dem Versuch, die Haltungen bzw. Einstellungen gegenüber landwirtschaftlicher Nutzung von Gentechnik regional einzuteilen, durchaus Differenzierungen angebracht sind. Das gilt auch mit Blick auf die Europäische Union (EU). Zwar steht deren Bevölkerung der Gentechnik in großen Teilen ablehnend gegenüber. Im Vergleich zu den drei gentechnisch veränderte Pflanzen anbauenden afrikanischen Ländern bauen aber doch sieben europäische Länder (ohne Berücksichtigung Deutschlands) GVOs an. Freilich ist die Fläche im weltweiten Vergleich verschwindend gering, und häufig handelt es sich nur um Versuchsanbaufelder. Eine Ausnahme stellt Spanien dar, das es hinsichtlich seiner Anbaufläche immerhin auf Platz 17 der Rangliste schaffte und mehr als 80 Prozent der europäischen Anbaufläche aufweist. Im Jahr 2012 steigerte sich auch deshalb der Anbau in der EU um gut 16 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Ob dies zugleich einen Trend einer auf breiter gesellschaftlicher Ebene zunehmend aufgeschlosseneren Haltung gegenüber der Grünen Gentechnik in der EU widerspiegelt, wie Navarro (2011, 30) mit Verweis auf verschiedene Studien vermutet, ist fraglich, wenn man bedenkt, dass bis heute lediglich zwei Sorten, nämlich der Bt-Mais MON 810 und die Amylopektin-Kartoffel Amflora, in der EU zum Anbau freigegeben sind. Doch selbst diese Sorten dürfen in vielen Mitgliedsstaaten nicht einmal für kommerzielle Zwecke angebaut werden. Zu diesen Ländern gehören auch Frankreich und Deutschland, die den Anbau von MON 810 zunächst erlaubten und bis zum Verbot ab 2008 bzw. 2009 sogar deutlich steigende Ackerflächen zu verzeichnen hatten. Polen hat nachgezogen und im Januar 2013 auf der Grundlage des Saatgutrechts den Anbau von MON 810 und Amflora verboten. In anderen Ländern, die bisher eine eher positive Haltung der Gentechnik gegenüber eingenommen hatten, stagnieren bzw. sinken die Anbauflächen. So haben sich 2011 die Anbauflächen gentechnisch veränderter Pflanzen in der Tschechischen Republik und in der Slowakei im Vergleich zum Jahr 2008 halbiert. Vor dem Hintergrund der insbesondere in Deutschland vorzufindenden ab12 Achatz (48571) / p. 13 /13.8.12 Die öffentliche Ablehnung in deutschsprachigen Ländern lehnenden Haltung zur Grünen Gentechnik gab die Firma BASF Plant Science Anfang 2012 bekannt, alle pflanzengentechnologischen Projekte, die den europäischen Markt fokussieren, einzustellen und entsprechende Forschungsstandorte von Europa in die USA zu verlegen. Die Firma begründete diese Neuausrichtung mit dem gesellschaftspolitischen Klima in Europa, in dem die Pflanzenbiotechnologie einen schweren Stand habe. 3 Auffällig ist auch, dass sich der Anbau auf einige wenige Sorten beschränkt, nämlich fast ausschließlich auf Soja, Baumwolle, Mais und Raps. Dabei sind mittlerweile 81 Prozent der weltweit geernteten Sojabohnen und Baumwollpflanzen sowie 35 Prozent der Mais- und 30 Prozent von Rapsernte gentechnisch verändert. Der Wert all dieser Produkte betrug etwa 15 Milliarden US $. 1.1 Die öffentliche Ablehnung in deutschsprachigen Ländern In den deutschsprachigen Ländern ist es in den vergangenen beiden Jahrzehnten weder Konzernen noch Forschern gelungen, für die Konsumenten Vorteile der Grünen Gentechnik sichtbar werden zu lassen, denn diese liegen vor allem auf Seiten der Produzenten. Den weitaus größten Teil des Anbaus machen Pflanzen aus, die gegen Herbizide, Schädlinge oder Krankheiten resistent sind. Bei uns haben Verbraucher auch ohne den Einsatz der Grünen Gentechnik die Möglichkeit, ausreichend günstige und qualitativ hochwertige Lebensmittel kaufen zu können. Warum sollten sie also genetisch veränderte Pflanzen wünschen wollen? Wenn zudem Naturwissenschaftler untereinander um das richtige Studiendesign und die richtige Interpretation von Forschungsdaten streiten, kann das für den nicht tief im Thema stehenden Leser nur verwirrend sein. So ist es nicht verwunderlich, dass viele Verbraucher lieber »auf Nummer sicher gehen« und sich für sogenannte gentechnikfreie Lebensmittel entscheiden. Der konventionelle Verbrauchermarkt reagiert in Deutschland auf den Wunsch nach Lebensmitteln, deren Produktion ohne den Einsatz gentechnischer Verfahren stattfindet, mit der Gründung des Verbands Lebensmittel ohne Gentechnik e. V. (VLOG). Zu seinen Mitgliedern http://amflora.basf.com/artikel/basf-plant-science-richtet-sich-neu-aus/#more-1344 (letzter Zugang: 13. 04. 2012). 3 13 Achatz (48571) / p. 14 /13.8.12 Zielsetzung und Vorgehensweise vor dem Hintergrund der öffentlichen Debatten gehören neben Vereinen und Privatpersonen vor allem Landwirte und Unternehmen der Lebensmittelbranche. Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) hat den Verband im Jahr 2009 mit der Vergabe und Verwaltung der Lizenzen zur Nutzung des Siegels »Ohne-Gentechnik«, welches ein Jahr zuvor vom BMELV vorgestellt wurde, durch interessierte Lebensmittelunternehmen betraut. Dieses Siegel, das als Marke neben Deutschland auch in Österreich und der Schweiz eingetragen ist, erfreut sich wachsender Beliebtheit bei den Unternehmen, was darauf hinweist, dass Verbraucher derartig deklarierte Lebensmittel bevorzugen. 4 Einflussreiche Umweltverbände wie der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) 5, Greenpeace 6 und der Naturschutzbund Deutschland (NABU) 7 machen sich dagegen für das Verbot des Anbaus gentechnisch veränderter Pflanzen stark. Dass das nicht ohne Erfolg geblieben ist, zeigt u. a. das seit 2009 in Deutschland bestehende Anbauverbot der in der EU zugelassenen Maissorte MON 810. Die Bevölkerung unterstützt in der Mehrheit dieses Verbot, was sich nicht nur anhand der regen Teilnahme an Demonstrationen gegen die Grüne Gentechnik, wie z. B. während der Grünen Woche im Januar 2012 in Berlin 8, oder anhand der sogenannten Feldbefreiungsaktionen einiger Umweltaktivisten dokumentieren lässt, sondern auch am politischen Wahlverhalten, das der gentechnikkritisch eingestellten Partei Bündnis 90/Die Grünen wachsende Prozente beschert. 9 Auch eine Volkspartei wie die CSU, deren Parteispitze die Möglichkeiten der Grünen Gentechnik für die Landwirtschaft zunächst positiv bewertete, reagierte 2006 auf diese mehrheitliche Ablehnung in der Bevölkerung und sprach sich gegen eine Nutzung gentechnisch veränderter Pflanzen in der Landwirtschaft und damit gegen den kommerziellen Anbau von GVO aus. Das derzeit geltende bundesdeutsche Gentechnikgesetz erschwert den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen durch Umkehrung von Haftungsregeln www.ohnegentechnik.org (letzter Zugang: 15. 03. 2012). http://www.gentechnikfreie-regionen.de/hintergruende.html (letzter Zugang: 15. 03. 2013). 6 http://www.greenpeace.de/themen/gentechnik/ (letzter Zugang: 15. 03. 2012). 7 http://www.nabu.de/themen/gentechnik/ (letzter Zugang: 15. 03. 2013). 8 http://www.transgen.de/aktuell/1659.doku.html (letzter Zugang: 15. 03. 2013). 9 http://www.gruene-partei.de/cms/default/dokbin/362/362219.v412011_gentechnik frei.pdf (letzter Zugang: 16. 03. 2013). Freilich spielen darüber hinaus beim Wahlverhalten viele unterschiedliche Gründe eine Rolle. 4 5 14 Achatz (48571) / p. 15 /13.8.12 Die öffentliche Ablehnung in deutschsprachigen Ländern und aufwendige Genehmigungsverfahren so massiv, dass es kaum mehr zu einem Anbau kommt. Doch selbst erteilte Genehmigungen können jederzeit widerrufen werden, wie das Verbot des Maisanbaus oder das zeitweise ausgesetzte Inverkehrbringen der Amflora-Kartoffel zeigen. Der Anbau der von BASF entwickelten, gentechnisch veränderten Kartoffelsorte Amflora war nämlich trotz der EU-Zulassung 2009 in Deutschland sehr behindert worden. Gegner der Grünen Gentechnik verwüsteten im Juli 2010 mehrfach Amflora-Felder, und im September 2010 verbot Mecklenburg-Vorpommerns Landwirtschaftsund Umweltminister Till Backhaus, die in diesem Bundesland angebauten Amflora-Kartoffeln in Verkehr zu bringen. Hintergrund hierfür war, dass auf einem schwedischen Versuchsfeld neben der genehmigten Amflora auch 0,01 Prozent der ungenehmigten AmadeaKartoffel angepflanzt worden war und befürchtet wurde, dass es durch den Kontakt beider Pflanzkartoffeln zu Vermischungen gekommen war. Backhaus gab allerdings die Verwendung der Amflora einige Wochen später wieder frei. Das United States Department of Agriculture zählt Deutschland daher zu den Ländern mit einer sehr restriktiven Gesetzgebung und einer feindseligen öffentlichen Haltung gegenüber der Zucht und dem Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen und nimmt in dieser Sache auch die Hoffnung auf eine zeitnahe Änderung: »Es gibt wenig Hoffnung für eine baldige oder wenigstens mittelfristige Akzeptanz biotechnologisch hergestellter Pflanzen, sei es aus regulatorischer, sei es aus Marketingperspektive. Eine ganze Generation von Deutschen ist unter der Annahme aufgewachsen, die von den größeren politischen Parteien, NGOs und den Medien verstärkt wird, dass biotechnologisch hergestellte Pflanzen schlecht sind« (USDA 2011, 21 f., eigene Übersetzung). Nach derzeitigem Stand der Dinge haben die Befürworter diesen Machtkampf zumindest in den deutschsprachigen Ländern so eindeutig verloren, dass nicht einmal die Zerstörung genehmigter Felder strafrechtlich hinreichend verfolgt und geahndet wird (vgl. Sentker 2011). Die Schweizer taten ihre Ablehnung der Grünen Gentechnik am 27. November 2005 im Rahmen einer Volksabstimmung kund. An dieser nahmen alle Kantone teil, und im Ergebnis wurde mit 55,7 Prozent Ja-Stimmen ein Anbau-Moratorium gegen den Widerstand von Parlamentsmehrheit und Regierung für fünf Jahre erwirkt. Lediglich Freisetzungsversuche zu Forschungszwecken wurden nach wie vor zuge15 Achatz (48571) / p. 16 /13.8.12 Zielsetzung und Vorgehensweise vor dem Hintergrund der öffentlichen Debatten lassen. Im Jahr 2009 beantragte der Bundesrat eine Verlängerung des Moratoriums bis 2013. Begründet wurde dieser Schritt, neben der Notwendigkeit, Forschungsergebnisse zur Möglichkeit der effektiven Trennung von konventioneller Landwirtschaft und dem Anbau, der Verarbeitung und der Nutzung von gentechnisch veränderten Pflanzen abwarten zu müssen, mit dem »Respekt vor dem Volkswillen« und dem damit verbundenen Marktvorteil einer gentechnikfreien Landwirtschaft (vgl. Waber 2010). Bis heute findet in der Schweiz also kein kommerzieller Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen statt. In Österreich demonstrierte die Bevölkerung ihren Widerstand gegen die Grüne Gentechnik bereits acht Jahre früher als in der Schweiz: Am 26. April 1997 fand die Abstimmung zum Gentechnik-Volksbegehren statt, das von der ARGE Schöpfungsverantwortung, der Österreichischen Bergbauernvereinigung, dem Tierschutzverein Vier Pfoten und der Koordinationsstelle österreichischer Umweltorganisationen ÖKOBÜRO initiiert wurde. Mit einer Stimmbeteiligung von 21,23 Prozent der Stimmberechtigten stellte es sich als eines der erfolgreichsten Volksbegehren Österreichs dar. 10 Die Folge ist, dass gentechnisch veränderte Pflanzen in Österreich bis heute weder zu kommerziellen noch zu Forschungszwecken angebaut werden dürfen. Das Global Agricultural Information Network des USDA (2011, 22) ordnet Österreich daher in die Gruppe der EU-Mitgliedsstaaten mit der stärksten Opposition gegen die Grüne Gentechnik ein und weist auf das negative Image der gentechnischen Pflanzenzucht bei Politikern und Konsumenten hin. Dabei könnte laut ISAAA-Bericht von 2011 11 die Grüne Gentechnik dazu dienen, Hunger und Armut in der Welt zu bekämpfen. Gerade angesichts der wachsenden Weltbevölkerung, des Klimawandels und der schon in den letzten Jahren zu beobachtenden Teuerungsraten bei den Lebensmitteln sei es von Bedeutung, ertragreichere und anpassungsfähigere Pflanzensorten zu entwickeln, was u. a. durch krankheits- und trockenresistente Pflanzen erreicht werden könnte. Darüber hinaus würde auch eine Anreicherung von Grundnahrungsmitteln wie http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XX/I/I_00715/fnameorig_139588.html (letzter Zugang: 15. 03. 2013). 11 Die ISAAA gilt als unternehmensnah. Einige Prognosen geben Anlass zu der Vermutung, dass die ISAAA teilweise eher Unternehmenshoffnungen als reale Möglichkeiten ausformuliert. 10 16 Achatz (48571) / p. 17 /13.8.12 Die öffentliche Ablehnung in deutschsprachigen Ländern Reis mit lebensnotwendigen Nährstoffen helfen, Mangelkrankheiten vorzubeugen. Neben der Förderung von Wohlstand und Gesundheit spielt auch der Umweltschutz eine wichtige Rolle im Bericht der ISAAA. Umfangreiche Hoffnungen betreffen die Entwicklung neuer Sorten, welche einen Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten sollen, indem sie Zielen wie dem Schutz der Biodiversität sowie der Reduzierung von Wasserverbrauch und Kohlenstoffdioxidemission in der landwirtschaftlichen Produktion förderlich sind. Tatsächlich deuten einige Studien darauf hin, dass der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen das Einkommen von Bauern tendenziell positiv beeinflusst – ganz besonders offensichtlich in den Entwicklungsländern (vgl. Zilberman et al. 2010) – und dass es durchaus Grund zur Hoffnung gibt, mittels der Pflanzenbiotechnologie die Armut in der Welt zu lindern (Lipton 2007). Cruz et al. (2011, 9) weisen auf Studien hin, welche die Vorteile des Anbaus gentechnisch veränderter Pflanzen in Bezug auf Gesundheit und Umweltschutz adressieren. Die Schritte sind aber bisher klein, und die großen Versprechen der Pflanzenbiotechnologen harren bis heute ihrer Erfüllung und sind mit dem Einführen neuer Techniken allein auch kaum einzulösen. Wohl auch vor diesem Hintergrund ist die 2010 12 veröffentlichte, grundsätzlich die Grüne Gentechnik befürwortende Broschüre der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) deutlich vorsichtiger, wenn sie mit dem Slogan »Weder Teufelszeug noch Wundermittel« (2011, 90) darauf hinweist, dass trotz aller Chancen die Gentechnik allein die globalen Probleme nicht zu lösen vermag. In dieser Publikation folgt nach der Darstellung der Methoden der gentechnischen Veränderung von Pflanzen eine Übersicht über die Chancen der Anwendung so erzeugter Sorten in der Landwirtschaft. Dabei wird der Anspruch formuliert, auch die mit der Grünen Gentechnik verbundenen Risiken und Fragen ökologischer, gesundheitlicher, sozialer und rechtlicher Natur zu würdigen. Taube et al. (2011) haben unter der Überschrift »Die DFG-Broschüre ›Grüne Gentechnik‹ genügt ihrem eigenen Anspruch nicht« den Vorwurf erhoben, dass genau Letzteres nicht hinreichend geschehen sei. Die Autoren der DFG-Broschüre seien einem »reduktionistischen Ansatz« (ebd., 1) gefolgt. Sie hätten nur aus der Perspektive der Pflanzenzüchtung argumentiert und dabei die »Expertise von den 12 Eine weitere, korrigierte Auflage folgte 2011. 17 Achatz (48571) / p. 18 /13.8.12 Zielsetzung und Vorgehensweise vor dem Hintergrund der öffentlichen Debatten Sozialwissenschaften über die Ökologie und die Agrar- und Ernährungswissenschaften im Sinne eines umfassenden Nachhaltigkeitsansatzes« (ebd.) vernachlässigt. Im Ergebnis heißt das: Die Autoren der DFG-Broschüre seien unter dem Anschein der Sachlichkeit ihrem Interesse gefolgt, die gentechnische Erzeugung und Anwendung neuer Pflanzensorten in ein positives Licht zu rücken, denn sie hätten wichtige Publikationen ausgelassen, welche aufzeigen würden, dass die Nachteile im Vergleich mit den Vorteilen überwiegen. Deswegen kommen Taube et al. (2011, 10) zum Ergebnis: »Es ist sogar zu konstatieren, dass die Broschüre bezüglich des Ziels der Akzeptanzsteigerung der GGT gegenüber einer breiten informierten Öffentlichkeit eine kontraproduktive Wirkung entfaltet, denn die Einseitigkeit der DFGBroschüre zugunsten der GGT dürfte die Skepsis ihr gegenüber noch verstärkt haben.« Berücksichtigt man die Entwicklungen seit diesem Zeitpunkt, z. B. die Verlegung der Forschungsabteilung zur Grünen Gentechnik der BASF von Deutschland in die USA, oder die heftige Reaktion gegen die Grüne Gentechnik von drei französischen Ministern auf eine Studie von Gilles-Eric Séralini et al. (2012) zur Krebsgefährdung von Ratten, die mit gentechnisch verändertem Mais gefüttert worden waren 13, so verstärkt sich der Eindruck einer Skepsis gegenüber der Grünen Gentechnik in der europäischen Öffentlichkeit. Ob der Streit zwischen Befürwortern und Gegnern der Grünen Gentechnik durch ausreichende Information der verschiedenen Interessensgruppen über die wissenschaftliche Datenlage zum Thema abgemildert oder aufgelöst werden kann, wie Cruz et al. (2011, 15) hoffen, scheint fraglich. So war die die Grüne Gentechnik befürwortenden Die Ergebnisse von Séralini et al. sind umstritten, verlangen aber dennoch nach Aussage von F. Houllier, dem Präsidenten und Chief Executive von INRA, nach noch strengerer und elaborierterer Sicherheitsforschung (vgl. Houllier 2012, 327). Ebenfalls umstritten ist beispielsweise die Behauptung von Taube et al. (2011, 3): »So ist es unstrittig, dass Welternährungsprobleme wie auch Umweltprobleme in erster Linie auf unvollkommene institutionelle Rahmenbedingungen zurückzuführen sind, die sich als Verteilungs- bzw. Anreizprobleme manifestieren und somit im Kern keine technologischen Probleme darstellen.« Zwar ist es richtig, hier die Bedeutung von institutionellen Rahmenbedingungen zu betonen, dennoch muss dies nicht zur Folge haben, dass es keine technischen Lösungen geben kann, um bestimmte Verteilungs- und Anreizprobleme zu lösen. Dies lässt ein einfaches Beispiel erkennen: Ohne die technischen Möglichkeiten heutiger moderner Landwirtschaft würden auf dem Gebiet der USA in einer Jäger- und Sammlergesellschaft höchstens ein bis zwei Millionen Menschen leben können, ohne vom Hungertod bedroht zu sein. 13 18 Achatz (48571) / p. 19 /13.8.12 Die öffentliche Ablehnung in deutschsprachigen Ländern DFG-Broschüre sofort heftig in der Kritik (vgl. Taube et al. 2011). Umgekehrt wurde die Studie von Séralini et al. in kürzester Zeit als methodisch unzureichend angegriffen. Allein diese beiden Kontroversen lassen deutlich werden, wie tief die weltanschaulichen Gräben sind, die die Gemüter erhitzen. Wie Eisner (1998) bereits vor der Jahrtausendwende festgestellt hat, wird die Diskussion ganz wesentlich durch unterschiedliche moralische Auffassungen und das diese jeweils tragende Weltbild beeinflusst. Fachinformationen sind da kaum geeignet, »neue Impulse in die Diskussion« einzubringen (Krczal 2008, 101). Wie wir gesehen haben, betonen Befürworter der Grünen Gentechnik vor allem die Chancen der Grünen Gentechnik hinsichtlich so hoher Güter wie Gesundheit und Wohlstand, die in den Entwicklungs- und Schwellenländern durch den Einsatz dieser Technik angehoben werden könnten, und des Umweltschutzes. Sie halten es daher für unvernünftig, ja unmoralisch, die Grüne Gentechnik nicht einzusetzen. Gegner der Grünen Gentechnik halten dagegen, dass es den Befürwortern gar nicht um diese Ziele gehe, sondern dass sie vielmehr ihrer Macht durch das Beherrschen der Lebensmittelmärkte und damit ihrer Profitgier zuarbeiten wollten. Für dieses Ziel seien sie bereit, unkalkulierbare Risiken für die Gesundheit von Mensch und Tier, das soziale Gefüge von Gesellschaften und für die Natur in Kauf zu nehmen, die sie aber durch falsche Wiedergabe der wissenschaftlichen Datenlage zu verschleiern suchen. Eisners Beschreibung der Situation hat bis heute nichts an ihrer Aktualität verloren: Jede der beiden Parteien unterstellt der jeweils anderen unmoralische Motive und Handlungen. Differenzierte Stimmen, wie die des britischen Naturschützers Brian Johnson (2006), der dafür plädiert, über den Einsatz der Grünen Gentechnik mit dem Ziel einer nachhaltigen Landwirtschaft zum Wohle von Mensch und Natur nachzudenken, ohne dabei den Blick auf mögliche Risiken zu verlieren, sind nur selten zu hören. Damit scheint derzeit keine Grundlage für eine weiterführende, von gegenseitigem Respekt geprägte Debatte vorhanden zu sein. Während der Streit um die Grüne Gentechnik ohne absehbares Ende fortgeführt wird 14, zeichnet sich mit der Synthetischen Biologie bereits ein neues Konfliktfeld ab. In diesem Forschungsfeld besteht die Bericht über einen »Runden Tisch« mit Gentechnikgegnern und -befürwortern, u. a. mit Gilles-Eric Séralini und Klaus-Dieter Jany unter http://faz-community.faz.net/ 14 19 Achatz (48571) / p. 20 /13.8.12 Zielsetzung und Vorgehensweise vor dem Hintergrund der öffentlichen Debatten Grundidee darin, über die gentechnisch betriebene Veränderung bestehenden Erbguts hinauszugehen (vgl. Boldt et al. 2008) und gezielt künstliche Gen-Abschnitte, Botenstoffe oder auch ganze Zellen biochemisch nachzubauen und neue modulare Funktionseinheiten zu entwickeln, die so gerade nicht in der Natur vorkommen, sondern, daher der Name, von Menschenhand »synthetisch« erzeugt wurden (vgl. Köchy 2012). Führende Vertreter des neuen Forschungsfelds, wie Craig Venter, sprechen davon, Leben zu programmieren und an der »software of life« (Venter 2010) mitschreiben zu können. Was hier als nüchterne Schreibarbeit am formalen Regelwerk biochemischer Abläufe dargestellt wird, bezeichnen andere als eine Form von »extreme genetic engineering« (ETC 2010d). So fordert ein Zusammenschluss von 111 NGOs ein »moratorium on the release and commercial use of synthetic organisms and their products to prevent direct or indirect harm to people and the environment« (FOE et al. 2012, 1). Die Forderung nach einem solchen Moratorium ist logisch, da viele NGOs die Grüne Gentechnik ablehnen und die Synthetische Biologie als »Extremisierung« der Grünen Gentechnik ansehen. Darum sehen Vertreter dieser NGOs die schon bei der Grünen Gentechnik als unzulänglich befundenen (gesetzlichen) Regelungen auch bei Synthetischer Biologie als unzulänglich an. Doch könnte ein solches Moratorium, ausgedehnt auf alle möglichen Produkte der Synthetischen Biologie, möglicherweise auch bedeutende lebensdienliche Produkte verhindern. Beispielsweise greift man heute zur Gewinnung von Insulin nicht mehr auf Hunde, Rinder oder Schweine zurück, sondern man erzeugt das Insulin mit Hilfe von gentechnisch veränderten Bakterien wie Escherichia coli oder Backhefe (Saccharomyces cerevisiae). Insulin ist ein unbelebtes Protohormon, ein Molekülhaufen, dessen Funktion es ist, Stoffwechselprozesse des Körpers zu regulieren. Möglicherweise ließe sich auch das Anti-Malariamittel Artemisinin mit Hilfe der Synthetischen Biologie durch synthetisch veränderte Hefebakterien (engineered yeast) erzeugen (vgl. Ro et al. 2006). Derzeit werden getrocknete Blätter des einjährigen Beifußes, der unter anderem in Südostasien und Afrika angebaut wird, zur Herstelblogs/planckton/archive/2013/02/07/szenen-einer-feindschaft-wie-verfuettert-mangentechnik.aspx (letzter Zugang: 08. 02. 2013). 20 Achatz (48571) / p. 21 /13.8.12 Die öffentliche Ablehnung in deutschsprachigen Ländern lung von Artemisinin verwendet. Die Bill & Melinda Gates Stiftung fördert die Forschung zur synthetischen Erzeugung jenes Wirkstoffes – dies könnte eine der ersten erfolgreichen Anwendungen der Synthetischen Biologie werden – und wird deshalb von der ETC Group kritisiert (Vgl. Achatz et al. 2012, 184): »These production facilities could undercut the livelihoods and rights of some of the poorest farmers and plantation workers in the world, by moving raw material production from the field to the fermentation vat. Any financial gains will also move from communities to big commercial interests.« (ETC 2010b, 3). Das Argument für ein Moratorium wurde also von der Frage des direkten oder indirekten Schadens der Synthetischen Biologie und dem »Extreme genetic Engineering« ab- und zu einer Frage der ökonomischen Gerechtigkeit hingewendet. Wie am Beispiel des Insulins gezeigt, können Folgeprodukte der Gentechnik selbst naturidentische Wirkstoffe und Moleküle sein. Als solche sind diese synthetisch erzeugten Wirkstoffe nicht von deren natürlich vorkommenden Varianten zu unterscheiden. Wenn nun aber im Blick auf die Möglichkeit der Malariavorsorge einer Stiftung »kommerzielle Interessen« unterstellt werden, obwohl das Ergebnis so günstig sein soll, dass es gerade den ärmeren südlichen Regionen zugutekommen soll, in denen Malaria auftritt, ist dies nicht mehr nachzuvollziehen. Hier wird einiges vermischt, das in dieser Form nicht zusammenpasst. Es ist durchaus richtig, dass der Anbau von Beifußpflanzen eine gute Einnahmequelle für Bauern in Asien und Südafrika darstellen kann. Es ist ebenfalls richtig, dass ein günstigeres synthetisches Herstellungsverfahren den Bedarf an Beifußpflanzen senken und in der Folge die Einnahmen der Bauern schrumpfen könnten. Es ist jedoch falsch, aus dieser möglichen ökonomischen Veränderung die Forschungsfreiheit im Bereich der Synthetischen Biologie einschränken zu wollen. Wäre nämlich eine ökonomische Veränderung zum Nachteil bestimmter Anbieter ein hinreichendes Argument, um entsprechende Forschungen zu stoppen, so wäre eine zentrale Antriebsfeder der Forschung verloren, bessere Produkte herzustellen oder bessere Verfahren zu entwickeln. Wenn also die 111 unterzeichnenden NGOs Schaden von Mensch und Umwelt abwenden wollen, ist das ein moralisch hoch respektables Ziel. Wenn die Forscher und Entwickler ein günstiges Anti-Malariamittel erzeugen wollen, um Schaden von Menschen abzuwenden, ist dies gleichfalls ein moralisch hochstehendes Ziel. 21 Achatz (48571) / p. 22 /13.8.12 Zielsetzung und Vorgehensweise vor dem Hintergrund der öffentlichen Debatten Um neben den Beispielen Insulin und Artemisinin einen vollständigeren Überblick zu Neuerungen, Hoffnungen und Befürchtungen zu geben, mag ein vergleichender Blick in aktuelle Stellungnahmen zur Synthetischen Biologie hilfreich sein 15, nämlich der Veröffentlichungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft zusammen mit der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften und der Leopoldina (DFG et al. 2009), der Eidgenössischen Ethikkommission für die Biotechnologie im Ausserhumanbereich (EKAH), der European Group on Ethics in Science and New Technologies (EGE) im Auftrag der Europäischen Kommission (EC) und einer Stellungnahme der amerikanischen Presidential Commission for the Study of Bioethical Issues (PCSBI). Die mit einem »X« markierten Spalten kennzeichnen, dass die Aussage in der entsprechenden Stellungnahme zu finden ist. Falls keine zutreffende Aussage getroffen wird, ist dies mit einem »-« verzeichnet. Die Darstellung hat nur die Aufgabe einer groben Kategorisierung, da das Ziel der folgenden tabellarischen Übersicht lediglich in einer thematischen Materialsammlung besteht, welche die Texte nach ihren selbstgesetzten Ansprüchen bemisst. Bereits damit ist gewährleistet, dass bestehende Lücken der in den Stellungnahmen entwickelten Bewertungszugänge zur Synthetischen Biologie deutlich werden und somit zur Diskussion gestellt werden können. 16 Neuerungen der Synthetischen Biologie Anspruch, neue Lebensformen zu schaffen Funktioneller Zugang zu Lebensprozessen (Standardisierung, Modularisierung) Bedeutung von Leben wird verändert DFG u. a. EKAH EGE PCSBI Vgl. Achatz 2013, 105–107. Achatz bietet eine vergleichende Übersicht der in den offiziellen Stellungnahmen abgegebenen Empfehlungen, die für unsere Zwecke gleichfalls von Interesse ist, kann dort doch eingesehen werden, wie die bisher exemplarisch aufgewiesenen Konflikte von institutioneller Seite angegangen werden. 16 Anders ausgedrückt: Auf der kategorialen Exaktheit liegt kein argumentatives Gewicht für die weitere Untersuchung. Für ausführliche Erläuterungen siehe Achatz (2013). 15 22 Achatz (48571) / p. 23 /13.8.12 Die öffentliche Ablehnung in deutschsprachigen Ländern Erhoffter Nutzen Synthetischer Biologie (Bio-)Technischer Fortschritt Medizinischer Fortschritt Wirtschaftlicher Nutzen Wissenszuwachs Biosafety (Biosensoren) Biosecurity (Wasserzeichen im Genom) Umweltschutz (Biosprit, Schadstoffabbau) Freier Zugang zu Grundlagen (open access, open format, open source) fördert Innovation 17 Gemeinwohl/Lebensqualität aller Menschen steigern Biosecurity (Bioterrorismus) Biosafety: • Umweltschäden • Gesundheitsgefährdung • Ungewisses Risiko (Unsicherheiten, prospektiv) Ungerechte Zugangsmöglichkeiten sowie Nutzen- und Risikenverteilung (wirtschaftlich, wissenschaftlich)18 DFG u. a. EKAH EGE PCSBI – Verweis ohne Benennung – – Nur die PCSBI geht näher auf die neue Akteurgruppe der Hobby-Biologen und DIY Synthetic Biology ein. Überraschend, denn auch in anderen Stellungnahmen werden vergünstigte und für Laien erschwingliche biotechnologische Geräte und Verfahren sowie Missbrauchsgefahren durch Privatpersonen benannt (PCSBI 2010, 8, 13, 141–150; Achatz et al. 2012). 18 Ungerechte Zugangsmöglichkeiten werden kritisiert, aber die Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien (von Wiki-Seiten für BioBricks bis Open Source Software für biotechnische Geräte) wird kaum als mögliche Gegenmaßnahme benannt, obwohl ihre innovationsfördernde Wirkung bei sinnvoller Anwendung in allen Stellungnahmen Erwähnung findet. 17 23 Achatz (48571) / p. 24 /13.8.12 Zielsetzung und Vorgehensweise vor dem Hintergrund der öffentlichen Debatten Begriffliche Unschärfe (artificial cell, living machine): • Respekt vor (komplexen) Lebensformen schwindet • Selbstüberschätzung/Unterschätzung des Lebens (Gott spielen) • Gegensatz Natur vs. Technik verschwimmt als Orientierungsgröße Gesellschaftliche Ablehnung (vgl. Grüne Gentechnik) Empfehlungen DFG u. a. Lokale und internationale Richtlinien von Laborsicherheit bis zur Terrorabwehr entwickeln (Biosafety, Biosecurity) Patentierungsmöglichkeiten regeln Regelungen aus Gentechnikgesetzen übernehmen Zukünftige Risiken ermitteln (Moni toring) Vorsorgeprinzip anwenden Forschung in Synthetischer Biologie fördern (z. B. Grüne Energien) Information und (ethische) Ausbildung fördern Transparenz- und Diskursmaßnahmen fördern (Vertrauenssphäre schützen, vgl. Ablehnung Grüner Gentechnik) Weitere Untersuchungen zu ethischen Fragen durchführen (begriffliche Unschärfe usw.) Derzeit keine Einschränkung von Synthetischer Biologie (die über Regelungen zur Gentechnik hinausgehen) – EKAH EGE PCSBI – – Journalisten informieren – Vorbereitend durchgeführt Keine Aussage X Tabelle 1: Vergleichende Übersicht der Stellungnahmen zur Synthetischen Biologie Große Einigkeit herrscht bei der Benennung von möglichen Neuerungen sowie Vor- und Nachteilen der Synthetischen Biologie. Deutliche 24 Achatz (48571) / p. 25 /13.8.12 Zielsetzung und Vorgehensweise Unterschiede ergeben sich hingegen bei den jeweils abgegebenen Empfehlungen, in denen sich die Gewichtung der neuen Möglichkeiten ausdrückt. So werden zwar in keiner Stellungnahme Einschränkungen der Synthetischen Biologie gefordert, die über die Regelungen zur Grünen Gentechnik hinausweisen, zugleich wird jedoch in allen Stellungnahmen auf die Notwendigkeit eines Monitoring hingewiesen: eine aufmerksame, ständige und begleitende Begutachtung der Entwicklungen im neuen Forschungsfeld. Interessant ist auch, dass in allen Stellungnahmen Bedenken benannt werden: So könne der Respekt vor (komplexen) Lebensformen schwinden. Es bestehe die Möglichkeit von einerseits Selbstüberschätzung, anderseits Unterschätzung der Bedeutung von Leben, sozusagen der Hybris, Gott zu spielen. Auch würde der Gegensatz Natur gegenüber dem Gemachten durch menschliche Technik verschwimmen. Damit entstünden in der Folge auch Fragen der gesellschaftlichen Akzeptanz. An dieser Stelle mag es als Fingerzeig genommen werden, dass es auch in einer ethischen Bearbeitung der Konfliktfelder Grüner Gentechnik und Synthetischer Biologie nicht hinreicht, mit Verweis auf eine einzige Interessengruppe oder eine bestimmte ethische Theorie »Recht zu haben«, sondern dass hier alternative Weltbilder und Lebensentwürfe im Spiel sind. Darum sind einfache Positionierungen nicht hilfreich. Vielmehr ist es nötig, eindeutig die Reichweite und Grenzen der bezogenen Positionen auszuweisen. In diesem Sinne sind Transparenz- und Diskursmaßnahmen von elementarer Bedeutung, doch erzeugen sie keine Antworten auf Zulässigkeit oder Unzulässigkeit des Umgangs mit Grüner Gentechnik und Synthetischer Biologie in einer einfachen Weise, sondern es sind notwendigerweise prozesshafte Antworten, die den ständiger Veränderung unterworfenen Rahmenbedingungen von Wirtschaft, Gesellschaft, Umwelt und deren vielfältiger Wahrnehmung und Einschätzung in Weltbildern und Lebensentwürfen verschiedenster Interessenvertreter Rechnung zu tragen haben. 1.2 Zielsetzung und Vorgehensweise Wir halten es vor diesem Hintergrund für notwendig, die hinter dem Streit um die Grüne Gentechnik und möglicherweise bald auch um die 25 Achatz (48571) / p. 26 /13.8.12 Zielsetzung und Vorgehensweise vor dem Hintergrund der öffentlichen Debatten Synthetische Biologie liegenden Konflikte aufzudecken. Diese scheinen ganz wesentlich mit den jeweiligen moralischen Auffassungen und weltanschaulichen Überzeugungen verbunden zu sein. Es ist ein wesentlicher Anspruch und eine zentrale Aufgabe der Angewandten Ethik, Konflikte um das moralisch richtige Handeln zu analysieren, auf ihre Plausibilität hin zu prüfen und gegebenenfalls Lösungsvorschläge zu entwickeln. Als wissenschaftliche Disziplin will die Angewandte Ethik gegenüber den jeweiligen Konfliktparteien nicht wiederum selbst als eine moralische Letztinstanz auftreten. Sie kann aber dabei helfen, dass sich die Konfliktparteien »zunächst einmal über ihre weltanschaulichen Voraussetzungen Rechenschaft ablegen«, wie Christina Aus der Au (2008, 26) vorschlägt, um einen Weg zur Prüfung eigener und fremder Auffassungen zu eröffnen, der in glücklichen Fällen zu einer konstruktiveren Diskussion mit größerem gegenseitigen Verständnis führt. Dabei sollte man jedoch in unserer pluralen Welt mit einer begründeten akademischen Methode nicht nur ein größeres Verständnis anstreben, sondern versuchen, – gemeinsam – einen möglichst hohen Wert und Nutzen für alle Betroffenen zu schaffen. Der vorliegende Band stellt sich dieser Aufgabe, indem er sich schrittweise mit den verschiedenen Zugängen zur Bewertung der Grünen Gentechnik, die teilweise auch für die Bewertung der Synthetischen Biologie relevant sind, und den damit verbundenen moralischen Annäherungen an diese befasst, sie darstellt und hinsichtlich der Plausibilität ihrer Bewertungsergebnisse überprüft. Es geht uns um die Untersuchung der Tragfähigkeit der Argumente und um die Frage, ob hinter dem Konflikt um die Grüne Gentechnik und den sich abzeichnenden Differenzen um die Synthetische Biologie möglicherweise ein tiefer liegender Konflikt aufzufinden ist, für den dieser Streit Symptom und nicht Ursache ist. Wenn beispielsweise die Grüne Gentechnik gar nicht der pflanzenzüchterische Sonderfall wäre, so hätte der Streit eine Stellvertreterfunktion für etwas anderes, nämlich einen grundsätzlichen Streit um unsere Zugangsweise zur Natur. Wir wollen also nicht pauschal entscheiden, ob beispielsweise die DFG-Broschüre oder aber Taube et al. im Recht sind. Genauso wenig wollen wir die Frage beantworten, ob Séralini et al. oder seine Gegner das Risiko von gentechnisch verändertem Futtermais richtig einschätzen. Es geht uns auch nicht darum, alle relevanten pflanzenzüchterischen Aspekte aufzuarbeiten, schlicht auch deshalb, weil dies nicht möglich sein wird. Wir beabsichtigen zudem nicht, die wesentlichen 26 Achatz (48571) / p. 27 /13.8.12 Zielsetzung und Vorgehensweise mit der Grünen Gentechnik und der Synthetischen Biologie verbundenen Chancen, Risiken und Fragen ökologischer, gesundheitlicher, sozialer und rechtlicher Natur in einer abschließenden Weise zu behandeln. Allein die Eigentumsfragen, die mit dem Patentrecht verbunden sind, würden ein eigenes Buch erfordern. Es ist nach unserer Ansicht auch nicht zielführend, die Datenmenge zur Erforschung von Chancen und Risiken der neuen Pflanzenbiotechnologie im landwirtschaftlichen Umfeld zu vergrößern, da die Diskussionen vermuten lassen, dass weder das Erstellen noch die Interpretation dieser Daten allgemein akzeptiert werden würden. Vielmehr geht es uns um einen neuen Weg, um eine Konfliktlösung vorschlagen zu können. So wollen wir die ethische Fragestellung, die fundamentaler ist und jeder konkreten Technikfolgenabschätzung vorausgeht, vertieft behandeln: Welche weltanschaulichen Zugänge zur Bewertung von Eingriffen in die Natur, seien sie wie in der Grünen Gentechnik pflanzenzüchterischer oder wie in der Synthetischen Biologie eher fundamental konstruktiver Art, lassen sich bei den unterschiedlichen Positionen finden? Dabei werden wir eine Zuordnung wählen, die über die bisherigen Kategorisierungen hinausgeht. Bisher werden meist entweder biokonservative Ansätze im Vergleich mit bioliberalen Zugängen behandelt (vgl. Irrgang 2005), oder es werden Zugänge zur Natur in anthropozentrische, pathozentrische, biozentrische und physiozentrische Ansätze unterschieden (vgl. Krebs 2007). Wir dagegen werden diese Differenzierungen miteinander verbinden, dabei in einer neuen Weise verknüpfen und mit der wichtigen ethisch-systematischen Frage verbinden: Sind Grüne Gentechnik und Synthetische Biologie aufgrund ihrer spezifischen Art des Eingriffs in das Genom ethisch prinzipiell anders zu bewerten als andere pflanzenzüchterische Techniken und genkonstruktive Eingriffe? Mit diesem Zugang wollen wir auch das häufig in der Debatte vorhandene sogenannte »Positioning« aufbrechen: Beim »Positioning« vertritt jede Partei mit Vehemenz die eigene Meinung und spricht der Position, gegen die sie sich wendet, jede Sinnhaftigkeit ab. So positioniert sich das Editorial des Fachblatts Nature mit der scharfen Aussage: »Über die Würde der Butterblume nachzudenken ist kompletter Unsinn« (Nature Editorial 2008, 824). Wir dagegen wollen uns auch mit Positionen auseinandersetzen, die Pflanzen einen moralischen Status im Sinne einer Pflanzenwürde zuerkennen, wobei »Würde« in diesem 27 Achatz (48571) / p. 28 /13.8.12 Zielsetzung und Vorgehensweise vor dem Hintergrund der öffentlichen Debatten Zusammenhang nicht mit der Menschenwürde verwechselt werden darf. 19 Außerdem setzen wir uns im Unterschied zu Positionierungen, die jeden Gottesbezug ablehnen, ebenfalls mit Ansätzen auseinander, nach denen die Grüne Gentechnik einen Eingriff in einen Bereich bedeutet, der allein Gott zusteht, hierzu etwa Bischof Gerhard Ulrichs Einschätzung: »Es ist, als wollten wir Gott das Heft aus der Hand nehmen und selber Schöpfer spielen.« 20 Dabei wird sich zeigen, dass die zentralen Überzeugungen der jeweiligen Positionen jedoch trotz ihrer so weit auseinandergehenden Bewertungen nicht das Resultat nahelegen, dass die Grüne Gentechnik und die Synthetische Biologie Sonderfälle darstellen. Vor dem Hintergrund dieses Ergebnisses wollen wir abschließend einen anderen, in diesem Feld noch nicht erprobten Zugang wählen, um diese Konfliktfälle zu behandeln. Ausgehend von den Interessen der beteiligten Konfliktparteien untersuchen wir, ob es • vor dem Hintergrund ihrer mitunter unausgesprochenen weltanschaulichen Überzeugungen, • unter Berücksichtigung unterschiedlicher Rationalitäten und Argumentationsstrukturen und • im Ernstnehmen verschieden gelagerter Interessen zu einer Verständigung kommen könnte, wenn man hinter all diesen Unterschieden nach Gemeinsamkeiten sucht. Hieraus ergibt sich der Aufbau dieses Buches. Im folgenden Abschnitt bestimmen wir unseren Gebrauch des Begriffs der Grünen Gentechnik und des Begriffs der Synthetischen Biologie. Anschließend analysieren wir grundlegende weltanschauliche Zugänge zur Natur unter der leitenden Frage, ob sich hierbei die Grüne Gentechnik und die Synthetische Biologie als Sonderfälle zeigen oder eben nicht. Es soll nicht verschwiegen werden, dass unter den Autoren dieser Studie keine Einigkeit herrscht, ob die Rede von der »Würde der Pflanze« angebracht ist. Doch entbindet dies nicht von einer Behandlung der Frage, ob die dahinter stehende moralischen Bewertung, dass Pflanzen einen eigenen Wert haben können, angemessen ist, zumal mit der Schweiz sogar ein Staat die »Würde der Kreatur« in seine Verfassung aufgenommen hat. Darauf wird noch ausführlich einzugehen sein. 20 Filmproduktion von Eikon in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Kirche im Auftrag von Sat1 unter http://www.youtube.com/watch?v=3etEF3Xahxs (hochgeladen von der Nordelbischen Kirche am 28. 08. 2010; letzter Zugang: 12. 04. 2013) 19 28 Achatz (48571) / p. 29 /13.8.12 Zielsetzung und Vorgehensweise Im Schlusskapitel skizzieren wir vor dem Hintergrund dieser Analysen, wie wir uns einen Erfolg versprechenden Umgang mit dem Konfliktfall der Grünen Gentechnik und dem möglichen Konfliktfall der Synthetischen Biologie vorstellen. 29