Stephanie Erben Aus grüner Sicht: rot-rot-grün in Thüringen eine Momentaufnahme zu Rot-Rot-Grün in Thüringen In Thüringen ist Ende 2014 die erste rot-rot-grüne Koalition auf Landesebene unter Führung eines linken Ministerpräsidenten entstanden. Für uns Thüringer Grüne war es damals und ist es bis heute eine spezielle Situation, sind wir mit Bündnis 90 doch auch die Partei der Bürgerrechtsbewegung, die 1989 maßgeblich an der friedlichen Revolution beteiligt war, die das Ende der DDR besiegelte. Nun also eine enge politische Zusammenarbeit mit der Nachfolgeorganisation der SED – für viele unserer Mitglieder ist das keine Selbstverständlichkeit. In den Gesprächen, den Sondierungen und anschließenden Koalitionsverhandlungen stand deshalb das Thema der Aufarbeitung der DDR-Geschichte ganz am Anfang. Dass wir uns für die geplante Zusammenarbeit dreier Parteien auf Landesebene auf ein wegweisendes Papier einigen konnten, das dann auch in Gänze Eingang in den Koalitionsvertrag fand, hat bundesweite Beachtung gefunden. Dabei wurde leidenschaftlich und kontrovers um jeden Halbsatz gerungen. Letztlich benennt der Text im Kern, dass die DDR kein Rechtsstaat, sondern ein Unrechtsstaat war. Und – das ist für mich die entscheidende Passage – dieses Papier zählt schon konkrete Projekte auf, die diese Landesregierung umsetzen wird. Da sind die Vereinbarungen, dass Heimkinder, denen in der DDR schweres Leid und Unrecht widerfahren ist, bessergestellt werden sollen oder dass die Förderung der wissenschaftlichen Aufarbeitung der SED-Diktatur an Hochschulen und Forschungseinrichtungen ein stärkeres Gewicht bekommen wird. In den eigenen grünen Kreisen wurde der gefundene Kompromiss leidenschaftlich diskutiert. Vor allem aber bei unserem linken Koalitionspartner stießen wir aus Thüringen heraus 25 Jahre nach der Wende eine Diskussion an, die notwendig und lange überfällig war und die hoffentlich fortdauert. Ein weiteres Novum waren die verschiedenen Mitgliederentscheide, die in drei Parteien die Verhandlungsergebnisse des Koalitionsvertrages bewerteten und dann auch billigten. Für Außenstehende zugegebenermaßen ein zeitintensives Verfahren – es ist aber ein beeindruckendes Zeugnis demokratischer Prozesse in Parteien. Aus unterschiedlichsten Perspektiven waren so politisch Aktive in das Zustandekommen dieser ungewöhnlichen Koalition eingebunden, noch nie gab es in der Bundesrepublik auf Landesebene so viel Mitbestimmung im Vorfeld. Die innerparteilich durchweg starken Zustimmungswerte (Ja-Stimmen Grüne: 84,3 %; SPD: 69,9 %; LINKE: 94,0 %) waren letztlich sogar für Insider eher unerwartet hoch. Doch wie ist nun die politische Arbeit in dieser Dreierkonstellation? Als Landesvorsitzende der Thüringer Grünen und als Mitglied des Koalitionsausschusses bin ich an den wesentlichsten politischen Entscheidungen beteiligt. In diesem Gremium ist schon deutlich wahrnehmbar, dass bei r2g sehr unterschiedliche politische Kulturen aufeinander treffen. Das sind auf der einen Seite unterschiedlich starke Hierarchien in den Parteien. Und da ist ganz wesentlich die Art der Kommunikation. Während für uns Grüne leidenschaftliche Diskussionen und Debatten – auch mit der Parteibasis – fester Bestandteil der Meinungsfindung sind, sind unsere Partner nicht immer so erfreut über die Intensität und die zeitliche Dauer dieses Austausches. Da bewegen wir uns seit Monaten aufeinander zu und üben den Kompromiss. Wir Grüne lernen uns zu fokussieren, Diskussionsprozesse zu straffen und uns kürzer zu fassen und unsere Partner erkennen möglicherweise, dass es sinnvoll ist, auch kleinere Details zu bedenken und Argumente so lange auszutauschen, bis es eine wirklich gute Lösung für alle Seiten gibt. Ist rot-rot-grün nun die ideale politische Konstellation? In einzelnen Themenfeldern wie der Flüchtlingsproblematik oder dem anderen Umgang mit Geheimdiensten sind wir uns nahe und konnten in kurzer Zeit deutlich andere Weichen stellen. Das ist gut. Generell sind Koalitionen Bündnisse auf Zeit und selbstverständlich würden wir Grüne uns noch deutlich stärkere Akzente im Umweltschutz, in der Energie- und Klimapolitik, bei Fragen der Verkehrsplanung oder der nachhaltigen Landwirtschaft wünschen. Der deutliche Ausbau der Erneuerbaren Energien, den wir in Thüringen anstreben, kann nur gelingen, wenn die SPD aus Thüringen heraus auf Bundesebene ihren Einfluss auf Wirtschafts- und Energieminister Sigmar Gabriel deutlicher geltend macht. Es kann und darf nicht sein, dass zum Beispiel die Motoren der dezentralen Energiewende, die Bürgerenergiegenossenschaften durch die Bundesgesetzgebung – konkret durch die jüngste Novellierung des Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) – ausgebremst werden. Da erwarten wir von unserem SPD-Koalitionspartnern mehr Initiative. Gemeinsam haben wir auch vereinbart, dass die ökologische Landwirtschaft in Thüringen stärker unterstützt und in der Fläche ausgebaut werden soll. Dann müssen aber Bauern, die nachhaltig und unter Naturschutzaspekten wirtschaften auch bessere Chancen beim Erwerb von Agrarflächen oder bei der Vermarktung ihrer Produkte erhalten. Wir brauchen strengere Kontrollen in der industriellen Tierhaltung in Thüringen und fordern von unserem linken Koalitionspartner, der in Thüringen das Landwirtschaftsministerium verantwortet, ein wirkliches Umdenken und noch größere Anstrengungen. Zu meinem Politikverständnis gehört aber auch die – in den vergangenen Monaten noch einmal bestätigte - Erkenntnis, dass wir als kleinster Partner in einer Dreierkonstellation in dieser Legislaturperiode selbstverständlich nicht unser komplettes grünes Wahlprogramm umsetzen können. Und dass auf Landesebene außenpolitische Entscheidungen wenig oder gar nicht zu treffen sind, ist hilfreich für unsere derzeitige Zusammenarbeit. Auf- und anregend ist die Beteiligung an einer Regierung allemal und politisch Gestalten deutlich besser, als aus der Opposition heraus nur andere zu kritisieren. Oder wie schrieb einst ironisch schon Heinrich Böll: "Von Politik versteht nur der etwas, der jeweils die Möglichkeit hat, seine Vorstellungen von der zu machenden Politik zu realisieren, also der, der an der Macht ist."