Klicken Sie hier!

Werbung
ZETT-VERLAG
Dieter Hassler
BRENNPUNKT INFEKTIOLOGIE
Alte und «neue» Infektionskrankheiten
Mit Beiträgen von
Rüdiger Braun, Michael Hassler, Peter Kimmig und Matthias Maiwald
Der Verfasser:
Priv.-Doz. Dr. med. Dieter Hassler
Untere Hofstatt 3
D-76703 Kraichtal-Münzesheim
Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme
Brennpunkt Infektiologie : alte und ”neue” Infektionskrankheiten / Dieter
Hassler. Mit Beitr. von Matthias Maiwald… - Steinen : ZETT-Verl., 2000
ISBN 3-926770-14-7
Ausdrücklich wird darauf hingewiesen, daß trotz größter Sorgfalt bei der Abfassung und Korrektur, gerade bei Angaben
über Dosis und Applikation, bei einer derartigen Zusammenstellung Fehler auftreten können. Jeder Leser wird daher aufgefordert, die den verwendeten Präparaten beigefügten Beipackzettel, insbesondere hinsichtlich der Dosierungsangaben
und der hier aufgeführten Kontraindikationen, in eigener Verantwortung zu überprüfen.
ISBN 3-926770-14-7
© 2000 by ZETT-Verlag, Steinen
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt.
Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten.
Kein Teil des Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages fotokopiert oder in irgendeiner anderen Form reproduziert oder in eine von Maschinen verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt oder zu kommerziellen Zwecken auf
elektronische Datenträger abgespeichert werden.
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen und Warenbezeichnungen etc. in diesem Werk – auch wenn diese
nicht gesondert gekennzeichnet sind – berechtigt nicht zu der Annahme, solche Namen seien im Sinne der Warenzeichenund Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten und könnten daher von jedermann benutzt werden.
ZETT-VERLAG
ZETT-VERLAG
INHALTSVERZEICHNIS
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .11
1
2
3
4
5
6
Vom Miasma zur Gentechnik: Die Infektiologie im Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . .13
«Leere» Lebensräume sind gar nicht leer:
Das neue Verständnis der mikrobiellen Ökologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .16
Lebensraum Magen-Darmtrakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .21
1 Mutterliebe und ihre Folgen: Karies und Streptococcus mutans . . . . . . . . . . . . .21
2 Ein Ulkus kommt selten vom Streß: Helicobacter pylori . . . . . . . . . . . . . . . . . . .24
3 Die unfreiwillige Abmagerungskur: Morbus Whipple . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .35
4 Macht’s die Milch? Morbus Crohn: Eine Mykobakteriose? . . . . . . . . . . . . . . . .47
5 Eine echte Schweinerei: Intestinale Spirochätose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .55
Lebensraum Lunge: Die «neuen» bronchopulmonalen Infektionen . . . . . . . . . . .59
1 Das Ergebnis einer «dummen» Verwechslung: Die «Legionärskrankheit» . . .59
2 War der Mörder doch nicht das Cholesterin? Chlamydia pneumoniae . . . . . . . .68
3 Von harmlosen Schafen und gar nicht harmlosen Komplikationen:
Das Q-Fieber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .84
Die neuen Herpesviren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .91
1 Dreitage-Fieber mit Langzeitfolgen? HHV 6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .94
2 Pityriasis rosea: HHV 7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .98
3 Das Kaposi-Sarkom: HHV 8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .101
Von kranken Pferden und depressiven Menschen: Bornaviren . . . . . . . . . . . . . .106
7
INHALTSVERZEICHNIS
7
8
9
10
8
Mäuseurin und Wüstenstaub – eine tödliche Mischung: Hantaviren . . . . . . . .113
Die Folgen moderner Landwirtschaft: Arenaviren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .125
Australische Pferde und malaiische Schweine:
Die neuen Paramyxoviren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .130
Mit besten Grüßen von Mücken, Zecken und Flöhen:
Vektor-übertragene Krankheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .135
1 Dengue ante portas: Die Geißel der Tropen bedroht (nicht nur) Amerika . . .138
2 Ein Mückenstich mit Langzeitwirkung: Die Japan-Encephalitis . . . . . . . . . . .140
3 Arthritis nach Mückenstich: Alphaviren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .150
4 Auch in unserem Hinterhof:
Die California-Encephalitis und ihre Verwandten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .156
5 Schuld war doch nicht der Chianti–oder: Die Toskana-Fraktion lebt gefährlich:
Das Pappataci-Fieber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .161
6 Von Wühlmäusen, Schützengräben und Katzenkratzern: Bartonellosen . .166
7 Am Anfang stand ein harmloser Waldspaziergang:
FSME und ihre Verwandten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .182
8 Von Herzwasser und Pferdefieber: Ehrlichiose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .189
9 Von Napoleons Feldzügen zum Rocky-Mountain-Spotted-Fever:
Rickettsien allüberall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .202
10 Von Zeitungsenten und Wüstenratten: Die Pest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .216
11 Vom Kuriosum zur Seuche: Borreliose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .227
12 Wer dem Hasen das Fell über die Ohren zieht… Francisella tularensis . . . . . .244
INHALTSVERZEICHNIS
11
12
13
14
15
16
Auch Protozoen mischen mit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .252
1 Die kleinen Schwestern der Malaria: Babesien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .252
2 Je klarer der Bach, desto höher das Risiko: Giardia lamblia . . . . . . . . . . . . . . .261
3 Wer denkt schon an Himbeeren aus Guatemala? Cyclospora cayetanensis . .266
4 Zentrales Problem für die Wasserversorgung in Amerika:
Die Cryptosporidiose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .269
5 «The Cell from Hell» –
oder: Dinoflagellaten spielen Krieg: Pfiesteria piscicida . . . . . . . . . . . . . . . . . . .273
Von Füchsen und Beeren
Kleiner Wurm – große Gefahr: Echinococcus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .288
Thermus aquaticus: Lieferant für neue Diagnostika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .302
Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .308
Anhang
1 Literatursuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .312
2 Die Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .314
3 Schlüsselliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .315
4 Danksagungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .316
5 Bild- und Quellennachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .317
Index . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .319
9
10
VORWORT
VORWORT
S
chon wieder ein Buch über Infektionskrankheiten. Gibt es da nicht schon
genügend? Wir glauben nicht. Kaum ein Feld der Medizin entwickelt sich derzeit
derart dynamisch, auf kaum einem Gebiet müssen die Lehrbücher so schnell umgeschrieben werden. Nun, ein Lehrbuch kann und will dieses Buch auch gar nicht
sein. Es soll vielmehr den Blick schärfen für spannende neue Entwicklungen und
neue Sichtweisen in der Betrachtung der Infektionskrankheiten.
Hier zeigt sich ein historischer Mangel der deutschen Ausbildung von Ärzten: Alle
Länder um uns herum, Amerika sowieso, kennen den «Infektiologen». Bei uns
existiert dieses Berufsbild als Zweig der Inneren Medizin praktisch nicht. Auch die
enge Verzahnung von Mikrobiologie, Insektenkunde, Umweltforschung und Klinik ist hierzulande bei weitem noch nicht im erforderlichen Maße entwickelt. So
fehlen dem klinisch arbeitenden Arzt, ob in der Praxis oder in der Klinik, oft entscheidende Hinweise, die ihm helfen könnten, Infektionskrankheiten zu erkennen
oder gar seuchenhygienische Schlüsse zu ziehen.
Dieses Buch ist zum Teil angeregt worden durch amerikanische Publikationen der
letzten Jahre. Die American Society of Microbiology hat 1997 ein erstes Paperback
mit dem Titel «Emerging Infectious Diseases» herausgegeben, das in phantastischer
Weise aktuelle Entwicklungen aufzeigt. Weitere Bände sollten folgen. Seit vier
Jahren gibt es eine Zeitschrift der CDC in Atlanta mit demselben Titel. Auch hier
werden regelmäßig brandaktuelle Themen abgehandelt. Bei uns haben wir nichts
vergleichbares; die Leserschaft dieser Publikationen in Europa ist sicher begrenzt.
Andere hochaktuelle Berichte findet man nur in Zeitschriften, die nur wenigen
Spezialisten zugänglich sind (wer liest schon Berichte über kranke Koyoten in
Alaska…?)
So haben wir uns an den Versuch gemacht, ein auch für Nichtspezialisten lesbares Buch zu konzipieren, das trotz aller Lesbarkeit präzise Informationen liefern
soll. Beschränkungen waren unvermeidlich. Viele weitere Themen wären sicherlich auch berichtenswert, hätten aber den Platz gesprengt. Vielleicht folgt ja
irgendwann ein Band 2…!
Manch eine der hier wiedergegebenen Geschichten erscheint atemberaubend.
Konservative Wissenschaftler (dies ist nicht abwertend gedacht!) mögen einwenden, daß manche der in diesem Buch vertretenen Hypothesen allzu weit greifen
11
VORWORT
und manches noch nicht «endgültig» gesichert ist. Dies soll nach Meinung der
Autoren so sein. Es geht uns nicht um ein Lehrbuch, das nur zwanzigmal geprüfte und «gesicherte Lehrmeinungen» enthält, die ja ohnehin oft ein überaus kurzes Verfallsdatum aufweisen. Nein, es soll die ganz aktuellen Diskussionen und
Brennpunkte aufzeigen.
Dennoch haben wir versucht, alle unsere Darstellungen an Hand von aktueller
Literatur (Stand September 1999) zu untermauern, auch den Gegenargumenten
adäquaten Raum zu geben und dies für den Leser nachvollziehbar zu gestalten.
Die Literatur wird dem einen zuviel Raum einnehmen, dem anderen werden
Schlüsselarbeiten fehlen. Dies ist der Kompromiß, der zu einem solchen Buch
gehört. Immer sind aber die Arbeiten zu finden, die dem wirklich Interessierten
weiterhelfen und ihrerseits oft umfangreiche Literaturangaben enthalten.
Vorbildlich sind hier die Publikationen der CDC, die auch online jederzeit abrufbar
sind.
Ein Hinweis erscheint uns noch essentiell: Panikmache ist nicht unser Anliegen.
Wir wollen hier weder den Weltuntergang prophezeien noch irgendwelche Menetekel an die Wand malen. Es geht uns vielmehr um das Verständnis, unter welchen
Bedingungen Mikroben gefährlich werden können, um Aufklärung der Ausbreitungswege und der Möglichkeiten von Diagnostik und Therapie.
Es hilft ja nichts, bei der Planung der Hochzeitsreise nach Bali oder dem Lastminute-Urlaub nach Mittelamerika den Kopf in den Sand zu stecken und an die
Allmacht moderner Medizin zu glauben. Richtige Planung bedeutet auch geeignete Gesundheitsvorsorge und das Wissen, was man überhaupt zu erwarten hat.
Wir alle reisen übrigens ausgesprochen gerne.
12
VOM MIASMA ZUR GENTECHNIK
1 VOM MIASMA ZUR GENTECHNIK:
DIE INFEKTIOLOGIE IM WANDEL
Dieter Hassler
I
m heißen Juli des Jahres 1755 schrieb der Festungskommandant der Reichsfeste Philippsburg am Rhein mehrere Briefe an die benachbarten Regierungen, in
denen er sich bitter über die Wassernot in seinem Städtchen beklagte, die durch
ungehemmte Wasserentnahmen der benachbarten Orte aus dem gemeinsam
genutzten Bach zustande kam. Der Wassermangel sei so schlimm, daß die üblen
Gerüche aus dem Festungsgraben dazu geführt hätten, „daß sogar die Schildwach
auf ihrem Posten darniedergesunken und erkrankt“.
Heute würden wir annehmen, daß der arme
Wachsoldat an Salmonellen oder ähnlichen Erregern litt, mußte er doch wie seine Zeitgenossen
oft mit Wasser vorlieb nehmen, das kräftig mit
Fäkalien verunreinigt war. Die damals geltende
Lehrmeinung ging aber davon aus, daß schlechte Lüfte, ein «Miasma», Ursache von Krankheiten seien. Wir erinnern uns: Auch die Pestärzte
des Mittelalters hatten Gesichtsmasken getragen, die mit aromatischen Kräutern gefüllt
waren, um so diesem Miasma zu entgehen.
Abbildung 1: Die Pestärzte des Mittelalters trugen
Gesichtsmasken, deren lange Nase
mit aromatischen Kräutern gefüllt
war.
Mikroben waren in dieser Zeit noch etwas völlig Unbekanntes. Dennoch hatten die Menschen des Mittelalters bereits antimikrobielle
Rituale entwickelt, die aus heutiger Sicht sicher wirksam waren. Man legte Fleisch in Auszüge aromatischer Kräuter, weil man die Erfahrung gemacht hatte, daß es so haltbarer blieb.
Heute kennen wir die antibakterielle Wirkung
von ätherischen Ölen, von Knoblauch und
Zwiebel. Unsere Vorfahren hatten lediglich die
Erfahrung gemacht, daß bestimmte Kräuter
das Wildpret in einem genießbaren Zustand
hielten, indem sie der Verwesung vorbeugten.
13
ERFINDUNG DES PENICILLINS
Erst die Nutzung des Mikroskops in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
brachte die revolutionäre und völlig neuartige Erkenntnis, daß nicht schlechte
Düfte, sondern mikroskopisch kleine Organismen Verursacher vieler Krankheiten
sind.
Jeder Medizinstudent kennt die Geschichte von Ignaz Semmelweis, der einen zähen
Kampf gegen die Ignoranz seiner Kollegen führen mußte, ehe erste Hygienestandards eingeführt werden konnten.
Es folgte die erste Blütezeit der Mikrobiologie. Überall suchte man nach diesen
Mikroben; alle Krankheiten versuchte man durch Bakterien zu erklären, und in
vielen Fällen wurde man tatsächlich fündig. Heute erscheint es als Treppenwitz
der Medizingeschichte, daß sogar Helicobacter damals schon gesichtet wurde, aber
mit der «wissenschaftlichen» Begründung ignoriert wurde, daß im Säuremilieu
des Magens nichts Derartiges leben könne (siehe auch Kapitel 3.2).
Schnell kamen die ersten «Rückschläge», denn natürlich waren bei weitem nicht
alle Erkrankungen bakteriellen Ursprungs und mit der Hilfe des Mikroskops zu
diagnostizieren. So gab es schließlich eine scheinbar feste Trennlinie zwischen
den bakteriell ausgelösten und allen anderen Krankheiten.
Die zweite Blüte der Infektiologie wurde durch die Erfindung des Penicillins ausgelöst. Es muß eine unglaubliche Faszination bewirkt haben, erstmals eine Substanz in den Händen zu haben, die direkt antimikrobiell wirkte und nicht besonders toxisch war – sieht man von der insgesamt eher marginalen Bedeutung des
Salvarsans in der Nische der Syphilis-Therapie ab.
Wieder folgte eine Welle der Euphorie, und man versuchte sogar, auch Krankheiten, bei denen noch gar keine Erreger bekannt waren, mit dieser neuen Wundersubstanz zu behandeln. Schon 1946 berichtete Swartz, er habe die Acrodermatitis
chronica atrophicans, die wir heute als Manifestation der Lyme-Borreliose kennen,
erfolgreich mit Penicillin behandelt. In den fünfziger Jahren war dies schon allgemein bekannt, und diese Therapie war etabliert. Dennoch dauerte es bis 1982, bis
der Erreger Borrelia burgdorferi von Willy Burgdorfer tatsächlich isoliert werden
konnte.
Erneut folgte Ernüchterung, denn bald mußte man erkennen, daß zahlreiche
Erkrankungen der Penicillin-Therapie trotzten. Und wieder war das Resultat typi-
14
EXTREMOPHILE
sches Schubladendenken. Was nicht mit den damaligen Mitteln behandelbar war,
schien offensichtlich nicht bakteriellen Ursprungs zu sein.
Jahrzehnte vergingen, und neue Disziplinen der Medizin entstanden. Zur Zeit meines Studiums in den siebziger Jahren war es «gesicherte Lehrmeinung», daß Herzinfarkte, Zwölffingerdarmgeschwüre und vieles andere psychosomatische
Erkrankungen seien, und ich wäre – wie jeder andere Student in diesen Jahren –
aus jeder Prüfung geflogen, hätte ich Theorien über irgendwelche hier beteiligten
Bakterien geäußert. Nun hatte ich natürlich, wie jeder meiner Kommilitonen, gar
nicht die Absicht, derartig «abstruse» Äußerungen zu tun.
Nun brach aber, paradoxerweise mit der Entdeckung von HIV und AIDS, eine dritte Blütezeit der Infektiologie an, die derzeit noch unvermindert und mit fast monatlich neuen Ergebnissen andauert. Plötzlich waren Finanzmittel in früher ungeahnter Höhe verfügbar; neue Diagnostik-Verfahren wurden etabliert und die
Gentechnik – oft kritisiert und von ihren Kritikern wohl in vielen Fällen gar nicht
verstanden – schuf ein Repertoire von unglaublicher Schlagkraft.
Wieder war es ein «Bazillus», der moderne diagnostische Verfahren erst möglich
machte: Thermus aquaticus, ein Extremophiler, der bei Temperaturen nahe dem
Siedepunkt des Wassers in den heißen Quellen von Yellowstone bestens gedeiht,
lieferte ein hitzestabiles Enzym, die Taq-Polymerase, die die theoretisch unbegrenzte Vervielfältigung genetischen Materials mit der Polymerase-Ketten-Reaktion
(PCR) ermöglichte (siehe auch Kapitel 13). Nun war es möglich, kleinste Spuren
von Bakterien, Viren etc. in Proben aufzuspüren. Die sprichwörtliche Suche nach
der Nadel im Heuhaufen war durch die Erfindung eines passenden «Magneten»
gelöst.
Hinzu kam eine Bewegung, die sich aus dem zunehmenden Verständnis des
Menschen für seine Umwelt rekrutierte. Während man sich früher kaum Gedanken darüber machte, woher denn all diese Keime überhaupt kommen, fragte man
nun nach dem natürlichen Lebensraum der Mikroben. Man entwickelte Verständnis für ökologische Nischen und wurde sich zunehmend bewußt, daß es
keine leeren Öko-Nischen gibt (siehe folgendes Kapitel). So wurde die Entdeckung
von Borrelien, Bartonellen, Ehrlichien, Chlamydien, Helicobacter und besonders
der Extremophilen gleichzeitig zu einer Tour in die unbekannte Welt vor unserer
Haustür und – horribile dictu! – in unseren eigenen Magen.
15
MIKROBIELLE ÖKOLOGIE
2 LEERE LEBENSRÄUME SIND GAR NICHT LEER:
DAS NEUE VERSTÄNDNIS DER MIKROBIELLEN ÖKOLOGIE
Dieter Hassler
Für viele Jahrzehnte nach der Entdeckung der Bakterien galt, daß diese nur in
bestimmten Lebensräumen existieren konnten, die einigen Mindestanforderungen genügten. Diese These gilt zwar noch heute, die Grenzen der Lebensraumparameter wurden aber völlig neu definiert.
Eine der früher allgemein akzeptierten Grenzen war die Temperatur: Leben
schien nur in einer relativ engen Temperaturspanne denkbar. Kochendes Wasser,
so wußte man aus langer Erfahrung, konnte Mikroben zuverlässig abtöten. Schließlich hatten bereits die Pioniere der Mikrobiologie dieses Verfahren angewandt, um
sterile Bedingungen zu schaffen und so Infektionen vorzubeugen. Auch das Einkochen von Früchten, von Weck im neunzehnten Jahrhundert entwickelt und
nach ihm benannt, hat schließlich über Jahrzehnte seine Wirksamkeit in jedem
Haushalt bewiesen. Es sprengte jede Vorstellungskraft, daß eine Mikrobe in
kochendem Wasser existieren oder sich gar vermehren könne. Schließlich genügten bereits Temperaturen knapp über 60°C, um Eiweiß zu denaturieren.
In den letzten Jahren wurde mit dieser Vorstellung kräftig aufgeräumt. Thermus
aquaticus, wie viele seiner Verwandten aus einer heißen Quelle des YellowstoneNationalparks isoliert, brach zu dieser Zeit alle Rekorde. Er lebte prächtig bei diesen Temperaturen. Später wurden Verwandte isoliert, die sogar 133°C überlebten.
Enzyme aus diesen hitzetoleranten Arten ermöglichten die Entwicklung neuer
diagnostischer Verfahren wie der PCR (siehe auch Kapitel 12), schließlich sogar
neuer Waschmittel, deren Enzymaktivität sogar im Kochwaschgang erhalten
blieb. Wir wollen nur hoffen, daß diese Enzyme nicht eines Tages in Salmonellen
oder Colibakterien auftauchen!
Als Gegenpol zu den thermophilen Bakterien kennen wir heute Mikroben, die im
ewigen Eis der Antarktis leben und eine beträchtliche Biomasse in diesem Habitat
entwickeln.
Neben der Temperatur war der Salzgehalt ein wesentlicher Parameter, der über
die Bewohnbarkeit eines Lebensraums für Mikroben zu entscheiden schien.
16
EXTREMLEBENSRÄUME
Bereits vor Jahrhunderten wußte man, daß gepökeltes, also in Salzlake eingelegtes Fleisch sehr lange haltbar blieb. Dieses Verfahren ermöglichte schließlich die
Entdeckung Amerikas und andere historische Großtaten! Auch hier mußten wir
lernen, daß es sehr wohl Bakterien gibt, die mit hohen, teilweise extremen Salzkonzentrationen bestens zurecht kommen. Halophile und Halobakterien, wie wir
sie heute nennen, können selbst mit den Bedingungen in Salzseen unter glühender Wüstensonne zurechtkommen. Bilder von Flamingopopulationen in den Salzseen des ostafrikanischen Grabenbruchs sind heute allgemein bekannt. Die
Grundlage der Nahrungskette bilden hier salztolerante Einzeller, die diesen Extremlebensraum erschlossen haben. Sie kommen mit sehr niedrigen Sauerstoffkonzentrationen zurecht, und sie haben ihre Proteine an extreme Salzkonzentrationen perfekt angepaßt. Ja, sie können sogar mit hoher Ultraviolettbelastung
leben, nachdem sie Pigmente entwickelt haben, die die für sie gefährliche Strahlung abschwächen.
Abbildung 2: Der «Morning-glory-Pool» im Yellowstone-Park
In allen diesen heißen Thermalquellen lebt eine besonders angepaßte Gemeinschaft hitzetoleranter Bakterien.
17
ERSCHLIESSUNG NEUER LEBENSRÄUME
Ein nicht zu knappes Angebot von Wasser sollte ebenfalls Bedingung für die
Existenz von Leben sein. Austrocknende Verfahren waren ebenso wie das Pökeln
oder das Einkochen verbreitete Methoden der Konservierung. Ob nun reine
Lufttrocknung, wie beim Stockfisch der nordischen Länder, oder Räuchern – das
Prinzip war dasselbe: Man hatte gelernt, daß das Trocknen von Lebensmitteln
deren Haltbarkeit drastisch erhöhte. Sicher gilt das noch heute, und SalamiLiebhaber oder Pilzsammler profitieren von dieser Technik. Doch auch in diesem
Punkt sind Verallgemeinerungen nicht ratsam: Wir kennen heute Mikroben, die
diese Prozeduren schadlos überstehen würden. Cyanobakterien (früher als Blaualgen bezeichnet) beleben Gesteinsoberflächen und -binnenräume in Wüstengebieten und überstehen Hitze und Trockenheit schadlos. Die lagerbildenden
Arten der Gattung Nostoc werden in den Wüsten Mittelasiens sogar als «Erdhaare», eine kostspielige Delikatesse, gehandelt. Selbst in der extrem trockenen
Namibwüste wurden angepaßte Arten gefunden.
Auch Viren können erstaunlich resistent gegen Umweltbedingungen sein: Die
neuentdeckten Hantaviren im ariden Südwesten der USA können im trockenen
Wüstenstaub überleben und behalten ihre Infektiosität (siehe Kapitel 7). Ähnlich
resistent gegen Umwelteinflüsse ist Coxiella burneti, der Erreger des Q-Fiebers.
(siehe Kapitel 4.3).
Das Nährstoffangebot schließlich, so glaubten wir, sollte gewisse Grenzen nicht
unterschreiten. Stickstoff, Kohlenstoff und Phosphor als essentielle Nährstoffe
mußten neben Sauerstoff zur Zellatmung und essentiellen Spurenelementen vorhanden sein. Die in der Mikrobiologie üblichen Nährböden wurden im Laufe der
Jahre eher angereichert, um auch empfindlichen und anspruchsvollen Mikroorganismen eine Vermehrung zu ermöglichen. Daß es Mikroben gibt, die in oberflächenfernem, extrem sauerstoff- und nährstoffarmem Grundwasser leben können, galt praktisch als ausgeschlossen. Heute kennen wir zahlreiche Bakterienarten, darunter spezialisierte Mykobakterien, die sich in diesem Biotop wohl
fühlen.
Selbst exotische Energiequellen sind allgemein verbreitet: Keine mögliche Nahrungsquelle wird verschmäht. Da gibt es Mikroben, die von Kohlenwasserstoffen
in hydrophober Umgebung, etwa in Ölquellen, leben. Da gibt es Bakterienarten,
die Schwefel oder Eisensalze als Nahrungs- und Energiequelle nutzen, und selbst
die Dioxine auf der Hamburger Deponie Georgswerder werden von spezialisierten
Arten der Gattung Pseudomonas abgebaut.
18
INFEKTIONEN IM HINTERHOF
Am spektakulärsten sind sicher die Funde von Schwefelbakterien in der
Umgebung der «Black Smokers» in der Tiefsee. Diese Vulkanschlote speien eine
unglaublich «giftige», heiße Brühe mit gelösten Metallsalzen, Sulfiden und anderen Substanzen aus. Freien Sauerstoff gibt es nicht, und trotzdem hat sich eine
komplette Ökologie an diesen «verrücktesten» aller ohnehin schon undenkbaren
Lebensräume unseres Planeten angepaßt. Die Nahrungskette reicht von Röhrenwürmern über Schnecken, Quallen und bleiche Krabben bis hin zu Fischen, die
nur in diesem Milieu leben können, da sie und ihre Nahrungskette auf Schwefel
und nicht auf Sauerstoff basieren. Unglaubliche Druck- und Temperaturwerte,
wie sie hier herrschen, machen diesen Lebewesen überhaupt nichts aus.
Wir haben also lernen müssen, daß es keinen leeren Lebensraum gibt, und daß alle
Biotope von spezialisierten Bewohnern erschlossen werden. Dies hat zu einem
völlig veränderten Verständnis der Ökologie von Mikroben beigetragen. Während
man früher ein eher kataloghaftes Denken übte, wächst die Erkenntnis, daß wir
verstehen lernen müssen, welche Lebensräume unter welchen – noch so exotischen – Bedingungen besiedelt werden können.
Hinzu kommt: Viele der neuen Infektionen tummeln sich «in unserem Hinterhof».
Hatten wir zeitweise geglaubt, mit zunehmendem Fortschritt die relevanten
Infektionskrankheiten wie Malaria, Dengue und viele andere aus den «entwickelten» Ländern verjagt zu haben, so entdecken wir an ihrer Stelle völlig unbekannte Erreger. Erreger, die keinesfalls neu sind, sondern sich seit Urzeiten hier befinden, aber vom Menschen nicht wahrgenommen wurden.
Dies zeigt sich beispielhaft an der Ökologie der Legionellen, einer Gruppe von
Bakterien, die natürlicherweise in Süßwasseramöben lebt und diese parasitiert.
Kleine Änderungen der Lebensgewohnheiten des Menschen (die Erfindung von
Luftbefeuchtern und Klimaanlagen) haben diese Erreger in die Lage versetzt,
plötzlich einen völlig neuen Lebensraum, nämlich die menschlichen Alveolarmakrophagen, zu besiedeln (siehe Kapitel 4.1).
So besteht der eigentliche Fortschritt der Mikrobiologie der letzten Jahre nicht
zuletzt darin, daß wir ökologische Zusammenhänge heute etwas besser verstehen, und gelernt haben, vermehrt nach solchen zu suchen.
Die folgenden Kapitel sollen Beispiele für dieses neue Verständnis in der Infektiologie aufzeigen.
19
LITERATUR
Ausgewählte Literatur:
Dixon B.: Der Pilz, der John F. Kennedy zum Präsidenten machte. Spektrum Verlag Berlin; Oxford 1995.
Postgate J.: Mikroben und Menschen. Spektrum Verlag Berlin; Oxford 1994.
Hausmann K., Kremer B. (Hrsg.): Extremophile: Mikroorganismen in ausgefallenen Lebensräumen.
Verlag Chemie, Weinheim 1995.
Scheld W.M., Armstrong D., Hughes J.M.: Emerging Infections I. ASM Press, Washington DC 1997.
20
KARIES
3 LEBENSRAUM MAGEN-DARMTRAKT
3. 1 MUTTERLIEBE UND IHRE FOLGEN:
DIE KARIES
Dieter Hassler
Die Karies war in der Vergangenheit klar eingeordnet. Alle Fachleute waren
sicher, daß lediglich der vermehrte Verzehr von zuckerhaltigen Nahrungsmitteln
in Verbindung mit mangelnder Zahnhygiene deren eindeutige Ursache war.
Generationen von Kindern wurden einhellig von Zahnärzten und Eltern beschuldigt, ihre Zähne nicht richtig zu putzen und deshalb «Karius und Baktus» Vorschub zu leisten. Zwar war in den vergangenen Jahrzehnten durchaus schon
bekannt, daß der Erreger Streptococcus mutans immer in kariösen Läsionen gefunden wird, seine kausale Rolle war aber nicht gesehen worden. Er war schlicht als
Ubiquist, als Bestandteil der normalen Mundflora gesehen worden.
Sicher ist die Vorstellung richtig, daß zur Kariesentstehung Reste von Zuckern,
die nach einer Mahlzeit übrig bleiben, von Streptococcus mutans verstoffwechselt
werden. Dabei entstehen Säuren, die den Zahnschmelz angreifen und so erste
Lücken im Gefüge schaffen. Mehr Nahrungsreste haften in diesen Läsionen, die
Besiedlung nimmt zu, und mehr Säure wird gebildet. So schafft sich Streptococcus
mutans seinen Lebensraum selbst und gestaltet ihn aus. Inzwischen wurden
Mutanten gefunden, die auch die bislang als «unverdaulich» geltenden Zuckerarten wie das in Kaugummis weitverbreitete Xylit oder sogar Lactulose verarbeiten.
Die Folge der Säureproduktion war klar: Bohren war nötig. Die Löcher wurden
gereinigt und gefüllt, und letztendlich war es nur eine Frage der Zeit, wann das
nächste Loch entstand. Zahnhygiene konnte die Intervalle deutlich verlängern,
aber das Grundproblem blieb.
Nun zeigen sich erstmals neue Aspekte der Prävention. Kommt es im Säuglingsalter nicht zur Besiedlung des Mundraums mit Streptococcus mutans, so bleibt das
Gebiß gesund, und Karies bleibt weitestgehend aus.
21
SPEICHEL ALS VEKTOR
Abbildung 3: Kariöses Gebiß: Lebensraum für Streptococcus mutans
Woher bekommt aber der Säugling seinen Streptococcus?
Hier gibt es eine überraschende Antwort: Die Quelle sind meist die Mütter (de Soet
1998, Gronroos 1998, Redmo-Emanuelsson 1998). Speichel ist der Vektor, der die Übertragung von der Mutter zum Kind bewirkt. Dies ist ganz einfach möglich. Es reicht
etwa, wenn die Mutter den Schnuller an der Nuckelflasche etwas anfeuchtet oder
mit Spucke reinigt, wenn dieser wieder einmal in hohem Bogen in den Dreck
gefallen war.
Nun ist es ja andererseits nicht sinnvoll, Kinder in einer sterilen Umgebung zu
halten. Es ist ja durchaus erwünscht, daß der Magen-Darmtrakt des Neugeborenen mit der physiologischen Flora besiedelt wird, damit seine Funktionsfähigkeit
erreicht wird. Auch zur Entwicklung des körpereigenen Immunsystems ist es herausragend wichtig, daß Kinder nicht in steriler Umgebung, sondern im Kontakt
mit der ubiquitären Bakterienflora heranwachsen. Trotzdem sollte man vermeiden, Streptococcus mutans als Bestandteil dieser normalen Umgebung zu betrachten – Karies wäre die unvermeidliche Folge. Da für die Besiedlung des MagenDarmtraktes mit der physiologischen Flora übliche Körperkontakte völlig ausreichen, sollte zumindest der Kontakt zu mütterlichem Speichel unterbleiben.
22
SILBERSTREIF AM HORIZONT
Wie wird man aber den Plagegeist wieder los?
Meist gar nicht! Zwar laufen inzwischen Versuche, die Bakterienrasen mit allen
möglichen mechanischen Verfahren zu reduzieren und dann antibakteriell wirkende Mundwasserzusätze wie etwa Listerine regelmäßig zu applizieren. Damit
kann man aktuell eine relative Verringerung der Kolonisation erreichen, ausrotten läßt sich Streptococcus mutans bisher nicht, solange der Mensch noch eigene
Zähne hat.
Ein Silberstreif am Horizont ist immerhin sichtbar geworden. Ma und Mitarbeiter
beschrieben ein Verfahren, mittels transgener Tabakpflanzen monoklonale Antikörper gegen Streptococcus mutans herzustellen, die in ersten Versuchen an freiwilligen Probanden bei oraler Verabreichung die (Wieder-)Besiedlung mit Streptococcus mutans erheblich verzögerten (Ma et al. 1998).
Ausgewählte Literatur:
Davies G.N.: Early childhood caries – a synopsis. Community Dent Oral Epidemiol 1998; Suppl.: 106-116.
de Soet J.J. et al.: Transmission of mutans streptococci between mothers and children with cleft lip and/or
palate. Palate Craniofac J 1998; 35: 460-464.
Gonroos L. et al.: Mutacin production by Streptococcus mutans may promote transmission of bacteria
from mother to child. Infect Immun 1998; 66: 2595-2560.
Ma J.K. et al.: Characterization of a recombinant plant monoclonal secretory antibody and preventive
immunotherapy in humans. Nat Med 1998; 4 (5): 601-606.
Moynihan P.J. et al.: Acid production from lactulose by dental plaque bacteria.
Lett Appl Microbiol 1998; 27: 173-177.
Nishimura M. et al.: Assessment of the caries activity test (cariostat) based on the infection levels of
mutans streptococci and lactobacilli in 2- to 13-year-old children’s dental plaque.
ASDC J Dent Child 1998; 65: 248-251.
Redmo-Emanuelsson I.M. et al.: Demonstration of identical strains of mutans streptococci within Chinese
families by genotyping. Eur J Oral Sci 1998; 106: 788-794.
Settembrini L. et al.: Antimicrobial activity produced by six dentifrices. Gen Dent 1998; 46: 286-288.
Simpson C.L. et al.: Intracellular α-amylase of Streptococcus mutans. J Bacteriol 1998; 180: 4711-4717.
23
HELICOBACTER
3. 2 EIN ULKUS KOMMT SELTEN VOM STRESS:
HELICOBACTER PYLORI
Dieter Hassler
K urvige Bakterien im Magen waren bereits im letzten Jahrhundert den Pathologen bekannt. Man hat bereits damals ihre Rolle diskutiert, gelangte aber zu der
Auffassung, daß sie lediglich Sekundärphänomene im Sinne einer bakteriellen
Überwucherung, beispielsweise bei Karzinompatienten, darstellten (Pel 1899).
Zum Teil hat man sie sogar als Zeichen einer bakteriellen Kontamination der Präparate, etwa aufgrund unsauberen Arbeitens der Pathologen, betrachtet. Ursache
dieser hartnäckigen Ignoranz war die feste Überzeugung, daß kein Bazillus die
Angriffe der Magensäure bei einem pH-Wert von 1 überleben könnte.
Kurioserweise wurde diese Auffassung auch dann nicht revidiert, als man erkannte, daß ja auch Tuberkelbazillen eine gewisse Säurefestigkeit aufwiesen, weshalb man ja in der Folge von «säurefesten Stäbchen» sprach. So geriet die Sache
mit den Magenbakterien in Vergessenheit.
In den fünfziger und sechziger Jahren feierte die Billroth-II-Operation zur Reduktion der Säureproduktion Erfolge – erstmals gab es nun Patienten, die lange Zeit
beschwerdefrei blieben. Doch auch diese OP-Methode verhinderte viele Rezidive
nicht.
Da auch die Medizin modische Wellen kennt, gerieten sowohl die Magenschleimhautentzündung als auch das Ulkus in den siebziger Jahren in den Sog der neuerwachten Psychosomatik. Nun galt als gesicherte Erkenntnis, daß streßbedingte
Säureschübe für Gastritis und Ulkus verantwortlich seien. Schnell reifte die
«Erkenntnis», daß streßexponierte Berufe unweigerlich zum Magengeschwür
führten. Noch heute hält sich dieses Pseudowissen mit erstaunlicher Hartnäckigkeit, jeder Stammtisch philosophiert vom Streß und seinen Folgen. Logische Konsequenz schien, daß eine psychosomatische Therapie für dauerhafte Heilung sorgen könne. Tausende Ulkuspatienten wurden daher in «Antistreßprogrammen»
geschult, und allgemein war man der Ansicht, daß Ulkusrezidive lediglich das
Substrat des Versagens des jeweiligen Patienten bei seiner Streßkontrolle waren.
Ein Irrtum, wie wir heute wissen.
24
MARSHALL’S SELBSTVERSUCH
Heroische (?) Selbstversuche
In den achtziger Jahren waren es die Australier Warren (ein Pathologe) und Marshall (ein Gastroenterologe), die sich wieder für die Bakterien im Magen interessierten. Sie waren bald überzeugt, daß sie hier den Verursacher der Gastritiden
ausgemacht hatten. Unter verbesserten Kulturbedingungen mit selektiven Medien unter mikroaeroben Bedingungen gelang es ihnen schließlich, die Bakterien
zu kultivieren.
Um ihre These schlüssig zu untermauern, griff Marshall sogar zu einem der seit
Jahrzehnten so beliebten «heroischen Selbstversuche». Er infizierte sich selbst mit
einer Bakteriensuspension und protokollierte seine Erkrankung akribisch (Marshall 1985). So konnte er (wohl um den Preis einiger Bauchschmerzen) zeigen,
daß auch für Helicobacter die Koch’schen Postulate erfüllt waren, die bekanntlich
fordern, daß die Infektion mit einem bestimmten Erreger das entsprechende
Krankheitsbild reproduzieren lasse. Dennoch dauerte es fast zehn Jahre, bis in der
Fachwelt die Rolle des «krummen Hundes», wie ihn Ludwig Demling nannte,
akzeptiert war. Ein erbitterter Kampf verschiedener Schulen tobte. Die einen fanden «signifikante» Hinweise, daß Helicobacter überhaupt kein pathogenes Potential habe, die anderen sahen in ihm die Ursache fast aller Magenerkrankungen
und wollten sogar die koronare Herzkrankheit (KHK) mit ihm assoziiert sehen.
Heute ist diese Diskussion wohl weitgehend entschieden. Ohne Helicobacter kein
Ulkus, wohl kaum eine ernsthafte Gastritis, wenn wir von NSAR-induzierten
Läsionen und seltenen Ursachen wie dem Zollinger-Ellison-Syndrom und vergleichbaren Raritäten absehen. Bei der Genese der KHK spielt Helicobacter aber
sicher keine Rolle.
Immer noch wird aber über die Therapie-Indikation diskutiert. Die einen wollen
nur Ulcera als sichere Indikation gelten lassen, die anderen fordern, Helicobacter
zu bekämpfen, wo er gesichtet wird. Vermutlich wird uns hier die Zeit helfen.
Jüngere Jahrgänge sind weitaus seltener infiziert, und die Therapiekosten dürften
so überschaubar bleiben, was manchen die Angst nehmen mag. Leider ist der
ärztliche Alltag geprägt von kurzsichtigen Sachzwängen. Der Arzt wird von Regreß bedroht, wenn er vorausschauend diagnostiziert und therapiert. Die Folgen
eventueller Unterlassungen landen auf anderen Konten. Niemand hat aber bilanziert, was Helicobacter bisher schon gekostet hat: Tausende von Magenteilresektionen, intensivmedizinische Behandlungen wegen blutender Ulcera, Nachfolgekuren, jahr-
25
DIE CHEMIEFABRIK
zehntelange Therapie mit Säurehemmern. Dabei sind die heroischen Versuche der
Psychosomatik, der Ulcera Herr zu werden, noch gar nicht berücksichtigt.
Doch kehren wir zurück zu Helicobacter.
Was ist Helicobacter?
Helicobacter ist ein gramnegatives, kurvig oder spiralig geformtes Bakterium. 2-6
unipolar angeordnete Geißeln ermöglichen ihm eine hohe Motilität. Wegen der
morphologischen Ähnlichkeit zu bereits bekannten Campylobacter-Species nannte
man den Keim zunächst Campylobacter pyloridis, nach Intervention einiger Lateinkundler korrigierte man in «pylori», schließlich wurde er aber wegen deutlicher
genetischer Unterschiede zu den bekannten Spezies in eine neue Gattung Helicobacter gestellt.
Helicobacter: Eine Chemiefabrik
Was versetzt diesen Keim überhaupt in die Lage, das unwirtliche Milieu des
Magens trotz aggressiver Säure zu besiedeln? Der Schlüssel zu dieser Fähigkeit ist
seine Urease-Aktivität. Urease spaltet Harnstoff, der im Magenmukosabereich
vorhanden ist, in Ammoniumionen und Kohlensäure. Die Urease-Aktivität wird
übrigens in den heutigen Schnelltests (HUT) angewandt, um Helicobacter in Biopsien einfach nachzuweisen. Da die Kohlensäure als CO2 abgeatmet werden kann,
steigt der lokale pH-Wert. So schafft sich Helicobacter ein für ihn verträgliches
lokales Milieu, schädigt aber gleichzeitig die Mukosa erheblich. Hierzu tragen
auch andere Enzyme des Keimes bei: Proteasen und Lipasen zerstören den schützenden Magenschleim und sorgen so dafür, daß die Mukosa gegen Säureangriffe
ungeschützt ist (Smoot 1997). Als wenn dies alles nicht ohnehin schon genug
wäre, produziert er auch noch zytotoxische Substanzen, die die Mukosazellen teilweise zum Absterben bringen.
Hat er sich also erst einmal in den Mukosa-Nischen eingerichtet, ist eine starke
lokale Entzündungsreaktion die Folge. Diese schädigt die Mukosa, und eine verminderte Säurestabilität ist die Folge. Schleimhauterosionen entstehen, und bald
bietet sich das typische Bild der chronischen Gastritis, die mehr oder weniger Erosionen zeigt. Kommen andere Faktoren wie etwa Rauchen oder die Einnahme
26
HELICOBACTER-GASTRITIS
nicht-steroidaler Antiphlogistika hinzu, entstehen nicht selten Ulcera ventriculi
oder duodeni, die den bekannten chronisch-rezidivierenden Verlauf zeigen. Solange der Keim persistiert (und das ist in unbehandelten Fällen lebenslänglich),
rezidivieren die Ulcera, es sei denn, eine chronisch atrophische Gastritis entsteht
(Kuipers 1995). In diesem Magen kann dann auch Helicobacter nicht mehr überleben, weil seine Mukosa-Nischen nun fehlen.
Abbildung 4: Gastritis durch Helicobacter pylori mit großem, Fibrin-belegtem Ulkus
Es ist noch Gegenstand der Diskussion, aber viele Argumente sprechen dafür, daß
auch Magenlymphome unterschiedlicher Dignität die Folge der chronischen Infektion sein können (Bayerdörffer 1997). In spektakulären Fallberichten wurde
jedenfalls überzeugend dargestellt, daß eine alleinige Helicobacter-Eradikation
auch als maligne eingestufte Lymphome zum Verschwinden brachte.
Auch Magenkarzinome haben eine überzeugende statistische Korrelation mit Helicobacter. Dies eröffnet eine völlig neue Schiene der Krebsprävention: Würde man
27
PATHOGENITÄTSFAKTOREN
die Helicobacter-Infektion erfolgreich verhindern oder den Keim konsequent eradizieren, so könnte man wohl viele Krebserkrankungen verhindern (Eurogast 1993).
Abbildung 5: Ulkus (gelblich belegt, kommaförmig) nach Helicobacter-Infektion
Pathogenitätsfaktoren
Die weltweite Verbreitung von Helicobacter, die in manchen Gegenden an 100%
heranreichende Durchseuchung und die gemessen an diesen Daten doch vergleichsweise geringe Inzidenz der Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüre waren
zunächst schlecht erklärbar. Wenn der Magenteufel tatsächlich so gefährlich war,
warum führte er nicht immer zu Komplikationen?
So suchte man nach Unterschieden zwischen den Isolaten, nach Virulenz- bzw.
Pathogenitätsfaktoren, die diesen Widerspruch erklären sollten. Tatsächlich fand
man einige interessante Eigenschaften von Helicobacter. Etwa die Hälfte der Stäm-
28
ÜBERTRAGUNG VON HELICOBACTER
me bildet ein vakuolisierendes Zytotoxin («Vac-A-Toxin»). Solche Stämme wurden
tatsächlich vermehrt bei Ulkuspatienten gefunden. Auch im Tiermodell ließen sich
mit diesem Toxin Magenschleimhaut Ulzerationen erzeugen (Suerbaum 1997).
Eine weitere Eigenschaft kam hinzu: Manche Stämme induzieren ein erhebliches
Maß von Zytokinen, speziell Interleukin 8. Solche als «CagA-positiv» bezeichneten Isolate wurden besonders bei Patienten gefunden, die schwerere Gastritiden
oder Ulcera aufwiesen oder bei denen Helicobacter ein Magenkarzinom induziert
hatte. Generell gilt CagA heute als Pathogenitätsfaktor (Kuipers 1997).
Woher kommt Helicobacter?
Helicobacter pylori wurde bisher nur im Menschen gefunden, ein tierisches Reservoir existiert wohl nicht. Allerdings kennt man verwandte Keime bei Tieren.
Daher wurde bald die Frage aufgeworfen, wie der Mensch zu seinem Helicobacter
kommt. Gab es fäkal-orale oder gar oral-orale Übertragungen? Gab es eventuell
sogar einen übertragenden Vektor?
Hier halfen epidemiologische Studien weiter. Zunächst fiel auf, daß der Durchseuchungsgrad in Ländern mit niedrigen Hygienestandards deutlich höher war.
Dann wurde gefunden, daß in den Industrieländern der Durchseuchungsgrad
deutlich mit dem Lebensalter korrelierte. Man konnte feststellen, daß die jüngeren Jahrgänge sehr viel seltener infiziert waren. Die Erklärung liegt darin, daß die
Infektion meist bereits im Kindesalter stattfindet und die Infektion dann lebenslang persistiert (Roosendaal 1996). Unter den Bedingungen früherer Jahre wurden offensichtlich mehr Menschen als heute infiziert.
Offensichtlich existierte früher eine Übertragungskette, bei der Stubenfliegen eine
Rolle spielten. Wenn menschliche Fäkalien für Stubenfliegen zugänglich sind,
können diese den Keim auf Nahrungsmittel übertragen. Auch die Düngung von
Gemüse mit Fäkalien, die in manchen Ländern bis heute üblich ist, eröffnet den
fäkal-oralen Übertragungsweg (Hopkins 1993; Megraud 1995). Die zunehmende
Verbreitung geschlossener, wassergespülter Klosetts unterbrach diese Übertragungskette wirksam. Daher sank mit verbesserten Hygienestandards die Durchseuchung.
29
HELICOBACTER-DIAGNOSTIK
Aber auch Neuinfektionen nach erfolgreicher Eradikation kommen vor. Hier spielen wahrscheinlich auch oral-orale Übertragungen eine Rolle. Helicobacter verursacht oft Refluxsymptome, und es kommt dann auch zur temporären Präsenz des
Keimes in Speichel. Aus eigenen kasuistischen Beobachtungen haben wir gesehen, daß Ehepartner der Grund für immer wieder auftretende Rezidive waren. Erst
als auch der (klinisch asymptomatische) Partner saniert war, blieben die Rezidive
aus.
Diagnostik von Helicobacter-Infektionen
Mehrere Verfahren können zur HP-Diagnostik eingesetzt werden. Alle besitzen
Vor- und Nachteile und sind teilweise an die Erfahrung des Untersuchers gebunden.
1. Der histologische Nachweis
Entsprechende Erfahrung des Pathologen vorausgesetzt, ist der histologische
Nachweis heute der Goldstandard der HP-Diagnostik. Mittels geeigneter Färbetechniken kann der Keim in seinen Mukosa-Nischen zuverlässig entdeckt werden,
gleichzeitig können die von ihm verursachten Mukosaschäden ebenso wie eventuelle prämaligne oder maligne Veränderungen beurteilt werden. Voraussetzung
für eine histologische Diagnose ist natürlich die endoskopische Gewinnung geeigneter Proben. Die Biopsien müssen an den makroskopisch veränderten Schleimhautarealen erfolgen.
2. Der Nachweis durch Urease-Test in der Biopsie
Mehrere kommerziell eingeführte Schnellteste basieren auf der Urease-Aktivität
des Keims. Hierzu wird eine gastroskopisch entnommene Probe in einer kleinen
Reaktionskammer auf Urease geprüft. Ist diese vorhanden, tritt ein Farbumschlag
auf. Die Sensitivität des Tests ist recht gut, die Handhabung einfach.
3. Die Kultur aus der Biopsie
Helicobacter läßt sich unter mikroaeroben Bedingungen auf Spezialnährböden
kultivieren. Da der Keim relativ empfindlich ist, sinkt die Sensitivität dieses Verfahrens allerdings bei langen Transportwegen stark. Nachteil ist neben diesem
Problem der relativ lange Zeitraum bis zum Vorliegen des Ergebnisses. Vorteil ist
30
HELICOBACTER-ERADIKATION
aber die Möglichkeit der Sensitivitätstestung des jeweiligen Stammes gegenüber
den eingesetzten Antibiotika. Vor allem bei Rezidiven sollte häufiger eine Keimisolierung und Testung angestrebt werden.
4. Der 13C-Atemtest
Dieses Verfahren kommt ohne Gastroskopie aus. Der Patient trinkt eine Lösung
von Harnstoff, welcher mit einem Kohlenstoffisotop 13C markiert wurde. Wird der
Harnstoff im Magen von der Urease gespalten, entsteht 13CO2, welches in der
Ausatemluft nachgewiesen werden kann. Nachteil des Verfahren sind neben der
fehlenden makroskopischen und histologischen Beurteilung des Magens der
apparative Aufwand und die dadurch bedingten hohen Kosten.
5. Serologische Verfahren
Die HP-Infektion läßt sich auch mit serologischen Verfahren nachweisen. Der
Wert dieser liegt vor allem in der Verlaufskontrolle nach Therapie. Die Antikörper
sollten nach erfolgreicher Eradikation binnen eines Jahres wieder negativ werden.
Wie aber werden wir Helicobacter wieder los?
Am Anfang der Helicobacter-Eradikationsversuche stand die Beobachtung, daß
Wismutpräparate schon vor Jahrzehnten mit mehr oder weniger großem Erfolg
zur Behandlung von Magenbeschwerden eingesetzt worden waren. So versuchte
man zunächst, mit solchen Wismutsalzen in unterschiedlicher Galenik dem
«krummen Hund» zu Leibe zu rücken. Die damit durchgeführten Therapiestudien
kamen zu hervorragenden Ergebnissen, diese erwiesen sich aber bei kritischer
Überprüfung als reines Wunschdenken. So begann eine eigenartige, für die Medizin nicht ganz untypische Geschichte mit immer neuen euphorischen Erfolgsmeldungen und kleinlauten Berichtigungen. Sogar neue Begriffe wurden etabliert: Man sprach erst von Keim-Elimination, dann wurde (als eigentlich absurde Steigerung) von Eradikation gesprochen. So konnte man im sprichwörtlichen
Sinne sein «dummes Geschwätz von gestern» vornehm verbrämen. Ganze Kongresse lebten von den »neuen», gleichwohl mittelfristig unhaltbaren Erkenntnissen. Wismutpräparate alleine sollten angeblich bis zu 90% der Infektionen heilen
(wir verzichten hier freundlich auf die entsprechenden Literaturzitate), dann
waren es Kombinationen mit Wismut und den damals neuen Gyrasehemmern
31
HELICOBACTER-THERAPIE MIT DREIERKOMBINATION
wie Enoxacin, es folgten Kombinationen von Amoxicillin oder Metronidazol mit
Wismut und schließlich war man bei Dreier- und sogar Viererkombinationen angelangt. Mindestens zwanzig verschiedene Regime wurden von jeweils einer Autorengruppe zum neuen Standard ausgerufen, wenig später folgten jeweils andere
mit ihren «Standards», in den meisten Fällen gewonnen an wenigen Dutzend
Patienten, die innerhalb der jeweiligen «Studie» mit bis zu vier verschiedenen
Kombinationen behandelt worden waren. Kaum ein Kapitel der Medizin erscheint
uns derart traurig.
Da ist es für den Anwender an der Basis bisweilen schwierig, zwischen Spreu und
Weizen zu unterscheiden. In vitro-Untersuchungen konnten die Therapie auf eine
einigermaßen rationale Basis stellen, und so kennen wir heute eine Reihe von gesichert wirksamen Substanzen. Immer ist ein Medikament mit von der Partie, das
die Säureproduktion des Magens drastisch herabsetzt. Ob man nun den einen
oder anderen Protonenpumpenhemmer hierfür einsetzt, erscheint eher als Glaubenssache.
Hinzu kommen in der Regel zwei Antibiotika. Als besonders effektiv hat sich Amoxicillin erwiesen, das mit einem modernen Makrolid-Antibiotikum oder einem
Tetracyclin-Derivat kombiniert werden kann.
Das früher oft eingesetzte Metronidazol erwies sich als problematisch, weil viele
Stämme Resistenzen gegen diese Substanz aufweisen. Es konnte gezeigt werden,
daß bei Metronidazol-Resistenz oft eine sekundäre Resistenz gegen das eingesetzte Makrolid entsteht, da in diesen Fällen ja praktisch eine Monotherapie erfolgt.
(Buckley 1997).
Warum verbessert nun ausgerechnet die Säure-Blockade die Therapiechancen,
wo doch Helicobacter selbst versucht, sein Überleben durch Neutralisation der
Magensäure zu gewährleisten? Müßte man nicht den umgekehrten Weg wählen
und die Säure so stabilisieren, daß der Keim sie nicht zerstören kann? Derzeit
glaubt man, daß Helicobacter durch das Anheben des pH-Wertes im Magen sich
schneller vermehrt und Stoffwechsel-aktiver wird, wodurch er effektiver mittels
Antibiotika zu bekämpfen ist. Ob die Tragfähigkeit dieser Theorie erhalten bleibt,
wird sich noch erweisen müssen.
Eine andere Therapie-Option der Zukunft könnte aber durchaus auch die spezifische Blockade der Urease sein, so es gelingt, wirksame und verträgliche Hemmstoffe zu entwickeln.
32
HELICOBACTER-LITERATUR
Derzeitiger Stand der Helicobacter-Therapie
Heute gelten Dreierkombinationen mit einem Protonenpumpenhemmer, Amoxicillin und einem modernen Makrolid-Antibiotikum als Standard. Die Therapiedauer betrug ursprünglich 14 Tage, heute wird sie bisweilen (vor allem aus Kostengründen) auf eine Woche verkürzt, ein wohl zu optimistischer Ansatz, wie wir im eigenen
Krankengut immer wieder erkennen mußten. Bei 14tägiger Therapie kann man
aber wohl tatsächlich von einem 80-90%igen Therapieerfolg ausgehen. Das Risiko
einer verkürzten Therapie ist vor allem in der Entwicklung von Resistenzen zu
sehen.
Die Viererkombination unter Einschluß von Wismutpräparaten scheint nicht die
Effektivität, wohl aber die Nebenwirkungsrate zu erhöhen.
Ausgewählte Literatur:
Bayerdörffer E. et al.: Helicobacter pylori Eradikationstherapie mit Omeprazol und Amoxicillin: Aktueller
Stand. Leber Magen Darm 1994; 24: 228-232.
Bayerdörffer E. et al.: Gastric MALT-Lymphoma and Helicobacter pylori infection.
Aliment Pharmacol Ther 1997; 11 (Suppl. 1): 89-94.
Buckley M.J. et al.: Metronidazole resistance reduces efficacy of triple therapy and leads to secondary clarithromycin resistance. Dig Dis Sci 1997; 42(10): 2111-2115.
Döbrönte Z. et al.: Does (Campylobacter) Helicobacter pylori infection have a clinical relevance?
Methodologic, epidemiologic and clinical studies. Gastroenterol J 1990; 50: 32-37.
The EUROGAST Study Group: An international association between Helicobacter Pylori infection and
gastric cancer. Lancet 1993; 341: 1359-1362.
Holtermüller K.H. et al.: Therapie des Magenulkus: Vergleich von niedrigdosiertem Hydrotalcit und
Ranitidin – Ergebnisse einer randomisierten, doppelblinden Multicenter-Studie.
Z Gastroenterol 1992; 30: 717-721.
Hopkins R.J. et al.: Seroprevalence of Helicobacter pylori in Chile: vegetables may serve as one route of
transmission. J Infect Dis 1993; 168: 222-226.
Jones N.L., Sherman P.M.: Helicobacter pylori infections in children. Curr Opin Pediatr 1998; 10: 19-23.
Kuipers E.J., Blaser M.J.: Helicobacter pylori and gastroduodenal disorders. In: Scheld W.M. et al.:
Emerging Infections I, pp. 191-206. ASM Press, Washington DC 1997.
Kuipers E.J. et al.: Long term sequelae of Helicobacter pylori gastritis. Lancet 1995; 345: 1525-1528.
Labenz J. et al.: Kurzzeit-Triple-Therapie mit Pantoprazol, Clarithromycin und Metronidazol zur
Eradikation von Helicobacter pylori. Leber Magen Darm 1995; 25 (3): 125-127.
Labenz J. et al.: Omeprazol/Amoxicillin versus Triple-Therapie gegen Helicobacter pylori bei Ulkus duodeni: zwei Jahre Follow-up einer prospektiv-randomisierten Studie.
Z Gastroenterol 1995; 33: 590-593.
Labenz J.: Helicobacter pylori-Therapie mit Omeprazol und Clarithromycin: derzeitiger Stand.
Leber Magen Darm 1994; 24: 203-209.
33
HELICOBACTER-LITERATUR
Malfertheiner P. et al.: Wirksamkeit einer Wismut-Kombinationspräparation. Wirksamkeit bei der
Behandlung der chronisch aktiven Gastritis und Non-Ulkus-Dyspepsie.
Fortschr Med 1990; 108 (20): 402-406.
Marshall et. al.: Attempt to fulfill Koch’s postulates for pyloric campylobacter.
Med J Aust 1985; 142: 436-439.
Megraud F.: Transmission of Helicobacter pylori: faecal-oral versus oral-oral.
Aliment Pharmacol Ther 1995; 9 (Suppl. 2): 85-91.
Pel P.K.: Diseases of the stomach. De Erven Bohn, Amsterdam1899.
Roosendaal R. et al.: Helicobacter pylori and the birth-cohort effect: evidence for continuous decrease of
infection rates in childhood. Gastroenterology 1996; 110: 242.
Sahay P., Axton A.T.: Reservoirs of Helicobacter pylori and modes of transmission.
Helicobacter 1996; 1: 175-182.
Smoot D.T.: How does Helicobacter pylori cause mucosal damage?
Gastroenterology 1997; 113 (Suppl.): 31-34.
Stölzle L.: Eradikation von Helicobacter pylori: Effektivität einer Kombination von Ranitidin und
Metronidazol/Roxithromycin. Fortschr Med 1994; 112: 363-364.
Suerbaum S.: Helicobacter pylori. In: Darai et al. (Hrsg): Lexikon der Infektionskrankheiten des
Menschen. Springer Heidelberg – Berlin – New York 1997.
Warren J.R., Marshall B.J.: Unidentified curved bacilli on gastric epithelium in active chronic gastritis.
Lancet i 1983; 1273-1275.
34
MORBUS WHIPPLE
3.3 DIE UNFREIWILLIGE ABMAGERUNGSKUR:
MORBUS WHIPPLE
Matthias Maiwald
I m Jahr 1907 beschrieb der amerikanische Pathologe George Hoyt Whipple den
Fall eines 36jährigen medizinischen Missionars, der nach fünfjähriger Krankheit
mit Arthritis, chronischem Husten, Gewichtsverlust und chronischen Durchfällen schließlich verstarb (Whipple 1907). Bei der Autopsie fand Whipple außergewöhnliche Ablagerungen von Fett in der Darmschleimhaut sowie in den mesenterialen und retroperitonealen Lymphknoten. Mikroskopische Untersuchungen
derselben Gewebe zeigten ebenfalls diffuse Fetteinlagerungen sowie eine große
Anzahl an schaumig erscheinenden Makrophagen, insbesondere in der Lamina
propria des Dünndarms. Als Ursache der Erkrankung vermutete Whipple eine bislang unbekannte Störung des Fettstoffwechsels und prägte den Namen «intestinale
Lipodystrophie». In seinen außerordentlich detaillierten Untersuchungen fand
Whipple außerdem bei einer Silberfärbung eines mesenterialen Lymphknotens
stäbchenförmige Bakterien, die etwa die Dicke einer Syphilis-Spirochäte und etwa
2 µm Länge aufwiesen, interpretierte diese aber nicht als Ursache der Erkrankung.
In den folgenden Jahrzehnten blieb die Ursache der Erkrankung weiterhin unklar,
und Publikationen beschränkten sich auf die Mitteilung von Einzelfällen. Nachträglich wurde immerhin ein 1895 in England als «intestinale Lymphangiektasie» beschriebener Fall als Morbus Whipple diagnostiziert. Bis zum Jahr 1947, als
eine histologische Diagnose an einem zu Lebzeiten operativ entnommenen mesenterialen Lymphknoten gelang, wurde die Diagnose einheitlich erst bei Autopsie
gestellt. Im Jahr 1949 beschrieb Black-Schaffer, daß sich die charakteristischen
Makrophagen mit Perjodsäure-Schiff-Reagenz (PAS) rot anfärben ließen und
führte damit die noch heute wichtigste Methode zur histologischen Diagnose der
Erkrankung ein.
In den fünfziger Jahren, als die Erkrankung vereinzelt zu Lebzeiten durch operative Entfernung von Lymphknoten oder (ab 1958) durch perorale Dünndarmbiopsien diagnostiziert wurde, gab es erste Berichte über Therapieversuche mit Kortikoiden oder Zytostatika (Medikamente, die zu dieser Zeit gerade aufkamen). Diese
konnten jedoch nichts am fatalen Verlauf der Erkrankung ändern. Im Jahr 1952
wurde erstmals ein Fall beschrieben, der durch die Gabe eines Antibiotikums gün-
35
MORBUS WHIPPLE: EPIDEMIOLOGIE
stig beeinflußt wurde. Ein weiterer Hinweis auf eine bakterielle Ätiologie ergab
sich im Jahr 1961, als zwei Arbeitsgruppen unabhängig voneinander mittels
Elektronenmikroskopie Bakterien in betroffenem Gewebe nachweisen konnten.
Nachfolgende Untersuchungen stützten diese Beobachtungen. In den folgenden
Jahren wurden klare Behandlungserfolge mit Antibiotika erzielt, so daß kein
Zweifel mehr am Vorliegen einer bakteriellen Infektionskrankheit bestand.
Seit 1961 wurde eine Vielzahl von Versuchen unternommen, den elektronenmikroskopisch in großer Zahl nachzuweisenden Erreger kulturell anzuzüchten;
diese ergaben jedoch kein konsistentes Resultat. Mehrere verschiedene Bakterienspezies wurden isoliert und als «Ursache» des Morbus Whipple beschrieben, darunter verschiedene Corynebacterium spp., Streptococcus spp. und Haemophilus spp.,
keiner dieser Befunde konnte jedoch in nachfolgenden Untersuchungen dauerhaft bestätigt werden.
Im Jahr 1986 stellte Dobbins (1987) die Fallberichte aller bislang bekanntgewordenen Patienten in einer Monographie zusammen (das einzige bislang über Morbus Whipple publizierte Buch). Diese umfaßt in Form einer Meta-Analyse Daten
über 617 publizierte und 79 unpublizierte Fälle (insgesamt 696 Patienten) und
charakterisiert den Morbus Whipple als seltene, sporadisch auftretende Erkrankung, die bevorzugt bei weißen männlichen Personen auftritt (86% männliche
und 14% weibliche Patienten) und einen Altersgipfel von 49 Jahren aufweist.
Unter den 696 beschriebenen Patienten sind 86% männlichen und 14% weiblichen Geschlechts, sowie lediglich 10 schwarze Patienten und 1 asiatischer (japanischer) Patient.
Zu einem Fortschritt kam es in den Jahren 1991 und 1992, als es zunächst der
Arbeitsgruppe von Wilson (1991) und anschließend derjenigen von Relman (1992)
gelang, jeweils einen Teil des Gens für die kleine Ribosomen-Untereinheit (16S
rRNA) des Bakteriums mittels Polymerase-Ketten-Reaktion (PCR) zu amplifizieren und zu sequenzieren. Dazu wurden Primer (Startersequenzen) für universelle bakterielle Sequenzabschnitte an Intestinalbiopsien von Patienten mit Morbus
Whipple verwendet. Die neu erhaltene Sequenz gehörte zu keinem bislang
beschriebenen Bakterium. Eine phylogenetische Analyse der Sequenz ergab, daß
eine Verwandtschaft des Whipple-Bakteriums zu den Aktinomyceten innerhalb
der grampositiven Bakterien besteht. Für das Bakterium wurde der Name «Tropheryma whippelii» vorgeschlagen (Relman et al. 1992).
36
MORBUS WHIPPLE: ZEITTAFEL
Im Jahr 1997 wurde über eine Propagation des Whipple-Bakteriums in menschlichen Makrophagen-Zellkulturen berichtet (Schoedon et al. 1997). Basierend auf
der bekannten Anhäufung der Whipple-Bakterien bei natürlichen Infektionen in
Makrophagen wurden diese in der Zellkultur mit dem Zytokin Interleukin 4 behandelt. Dieses «deaktiviert» Makrophagen und macht sie somit unfähig, intrazellulär aufgenommene Bakterien zu zerstören. Eine Wiederholung dieses Resultats der Kultur durch eine zweite Arbeitsgruppe steht bislang noch aus (Stand
1998). Zusammenfassend ist eine Zeittafel wichtiger Erkenntnisse über Morbus
Whipple in Tabelle 1 wiedergegeben.
Jahr
Autor(en)
Beobachtung
1895
Allchin & Hebb
Als „intestinale Lymphangiektasie“ gedeuteter Fall
1907
Whipple
Anerkannte Erstbeschreibung
1947
Oliver-Pascual
Erster zu Lebzeiten diagnostizierter Fall
1949
Black-Schaffer
Einführung der PAS-Färbung in die Diagnostik
1952
Paulley
Erfolgreiche Anwendung eines Antibiotikums
1958
Bolt et al.
Diagnose an peroraler Intestinalbiopsie
1961
Chears & Ashworth
Elektronenmikroskopische Darstellung von Bakterien
im Gewebe
1961
Yardley & Hendrix
wie Chears & Ashworth
1983
Keinath et al.
Umfangreiche Auswertung der Antibiotikatherapie bei
88 Patienten
1987
Dobbins
Monographie über Morbus Whipple mit Meta-Analyse
von 696 Patienten
1991
Wilson et al.
Sequenzierung von ca. 50% des 16S rRNA-Gens des
Whipple-Bakteriums
1992
Relman et al.
Sequenzierung von ca. 85% des 16S rRNA-Gens,
Vorschlag des Namens «Tropheryma whippelii»
Tabelle 1: Zeittafel wichtiger Erkenntnisse über Morbus Whipple (modifiziert und ergänzt nach Dobbins 1987)
37
MORBUS WHIPPLE: KLINIK
Klinik
Am häufigsten manifestiert sich der Morbus Whipple im Dünndarm und den
drainierenden abdominalen Lymphknoten. Durch die Infiltration der Dünndarmschleimhaut und eine Obstruktion der Lymphknoten kommt es zur Verminderung der Resorptionsfähigkeit des Darms. Hieraus resultiert zumeist ein Malabsorptionsyndrom. Durch die verminderte Resorptionsfähigkeit sind die Stühle
stark fetthaltig. Es entstehen Durchfälle, die als wäßrig bis breiig und übelriechend
beschrieben werden. Außerdem bestehen häufig Bauchschmerzen und Blähungserscheinungen. Blut im Stuhl ist ebenfalls möglich. Es resultiert Gewichtsverlust,
der in fortgeschrittenem Stadium beträchtlich sein kann. In der präantibiotischen
Ära kamen die Patienten meist durch zunehmende Auszehrung zum Tode.
Die Whipple’sche Erkrankung ist aber keinesfalls auf den Intestinaltrakt
beschränkt, sondern muß als bakteriell bedingte Multisystemerkrankung aufgefaßt werden. Intermittierendes Fieber und chronische Gelenkbeschwerden können den übrigen Manifestationen eines Morbus Whipple lange vorangehen; es
wurden Fälle beobachtet, bei denen Gelenksymptome denen des Darmtrakts um
mehrere Jahrzehnte vorangingen (Dobbins 1987). Die Beschwerden betreffen
meist mehrere Gelenke und besitzen den Charakter von wandernden Arthritiden,
welche die Fußknöchel, Knie, Schultern, Ellbogen und Finger betreffen. Dabei
sind röntgenologisch sichtbare Gelenkzerstörungen oder Gelenkergüsse eher selten.
Neurologische Symptome werden mit einer Häufigkeit von 10-43% angegeben
(Trier 1993; Fleming et al. 1988). Es kommt unter anderem zu progressiver
Demenz, Gangstörungen bedingt durch Kleinhirnbeteiligung, Seh- und Blickstörungen, sowie Muskelzuckungen. Neurologische Symptome können als Erstmanifestation eines Morbus Whipple noch vor gastrointestinaler Beteiligung auftreten. Gefürchtet sind neurologische Komplikationen als Rückfälle nach oder während Therapie einer intestinalen Erkrankung. Es steht zu diskutieren, daß die Bakterien im Zentralnervensystem persistieren, weil Antibiotika hier oft nicht ausreichende Konzentrationen erreichen.
Ebenso wie das Zentralnervensystem kann auch das Auge von der Erkrankung
betroffen sein. Es kann zu Entzündungserscheinungen am Sehnerven, an der
Netzhaut, der Aderhaut und Iris und im Glaskörper kommen. Ein Augenbefall
ohne Manifestationen in anderen Organen ist allerdings nicht beschrieben
38
MORBUS WHIPPLE: PATHOLOGIE
(Dobbins 1987). Dem Charakter einer Multisystemerkrankung entspricht ebenfalls der Befall weiterer Organsysteme. Beispielsweise kann das Herz betroffen
sein, resultierend in einer Endocarditis mit Klappeninsuffizienz. An der Lunge
kann sich die Erkrankung in Form von chronischem Husten und unter Ausbildung von Granulomen äußern, die denen der Sarkoidose (Morbus Boeck) ähneln.
Pathologie
Bereits bei der endoskopischen Untersuchung des Dünndarms fällt mitunter auf,
daß die Schleimhaut geschwollen und das Zottenrelief verplumpt ist (Abbildung 6).
Die Schleimhautoberfläche erscheint oft gelblich-weißlich gefleckt, und bisweilen
sind Erosionen zu sehen. In der Regel sind die Lymphknoten des Bauchraums vergrößert, in manchen Fällen wird dadurch sogar das Bild eines abdominalen Tumors vorgetäuscht.
Abbildung 6: Endoskopisches Bild eines Patienten mit Morbus Whipple
Dargestellt ist die Schleimhaut des Duodenums, die ein verplumptes Zottenrelief mit gelblichweißlichen Einlagerungen aufweist.
39
MORBUS WHIPPLE: HISTOPATHOLOGIE
Mikroskopisch betrachtet enthält die Lamina propria der Schleimhaut eine dichte Ansammlung von Makrophagen, deren zytoplasmatische Einschlüsse sich bei
Anwendung der PAS-Färbemethode intensiv rot anfärben (Abbildung 7). Diese
Zellen werden aufgrund der Form ihrer Einschlüsse auch als SPC-Zellen (sickleform particle-containing cells) bezeichnet (Sieracki 1958). Die positive Anfärbbarkeit
mit PAS-Reagenz allein ist jedoch noch nicht beweisend für die Diagnose. Es gibt
noch weitere Dünndarmerkrankungen, bei denen eine positive Reaktion in der
PAS-Färbung beobachtet wird. Beispiele hierfür sind die Pseudomelanosis duodeni,
bei der das Pigment ebenfalls eine Reaktion in der PAS-Färbung eingeht, und
Infektionen mit dem Mycobacterium avium-Komplex oder Rhodococcus equi im Rahmen von AIDS.
Abbildung 7: Histologisches Bild der Duodenalbiopsie eines Patienten mit Morbus Whipple
Die lichtmikroskopische Darstellung nach Anwendung der PAS-Färbung zeigt in der Lamina propria der Schleimhaut Makrophagen, deren Inhalt sich rot anfärbt.
40
MORBUS WHIPPLE: HISTOPATHOLOGIE
Bei der elektronenmikroskopischen Untersuchung des Gewebes (Abbildung 8) ergibt
sich ein charakteristischer Befund mit teils extra- und teils intrazellulär gelegenen
Bakterien, die eine typische Ultrastruktur und Größe aufweisen (von Herbay und
Otto 1988). Die stäbchenförmigen Bakterien besitzen einen scheinbar dreischichtigen Aufbau der Zellwand und eine Größe von 0,2-0,25 µm mal 1,0-2,5 µm.
Zellen mit typischem PAS-positivem Inhalt (SPC-Zellen) werden auch bei Manifestationen des Morbus Whipple in anderen Organen beobachtet. Beispiele hierfür
sind Lymphknoten, Hirngewebe, Herz und Herzklappen. SPC-Zellen können ebenfalls bei zytologischer Untersuchung von Liquor, Glaskörperflüssigkeit des Auges
und Gelenkflüssigkeit gefunden werden (Dobbins 1987).
Abbildung 8: Elektronenmikroskopische Darstellung der Duodenalbiopsie eines Patienten mit Morbus Whipple
Man sieht Bakterien mit typischem dreischichtigem Zellwandaufbau.
41
MORBUS WHIPPLE: DIAGNOSTIK
Diagnostik
In den meisten Fällen wird die Diagnose eines Morbus Whipple anläßlich einer endoskopischen Untersuchung des Dünndarms mit Entnahme einer Biopsie gestellt;
seltener ergeben sich erste Hinweise aus der Untersuchung anderer Materialien,
wie zum Beispiel exzidierte Lymphknoten, Liquor cerebrospinalis, Gelenkflüssigkeit, Herzklappengewebe oder Glaskörperflüssigkeit. In diesen Fällen sollte jedoch
immer die Möglichkeit eines Darmbefalls mituntersucht werden.
Nach wie vor ist die histologische oder zytologische Untersuchung befallenen
Gewebes oder betroffener Körperflüssigkeiten die wichtigste labordiagnostische
Methode und sollte in jedem Fall, in dem die Differentialdiagnose Morbus Whipple
im Raum steht, durchgeführt werden. Der Nachweis typischer PAS-positiver Einschlüsse in Makrophagen ist pathognomonisch für das Vorliegen eines Morbus
Whipple; es bestehen jedoch, wie bereits erwähnt, in der Histologie Verwechslungsmöglichkeiten mit PAS-positiven Einschlüssen anderer Ursache. Aus diesem
Grund wird bisher empfohlen, bei der Erstdiagnose eines Morbus Whipple eine
diagnostische Elektronenmikroskopie durchzuführen.
Auf der Basis der Sequenz des 16S rRNA-Gens des Whipple-Bakteriums wurden
Primer entwickelt, die den Nachweis des Bakteriums mittels PCR ermöglichen
(Relman et al. 1992). Das erhaltene PCR-Produkt kann dann mittels Direktsequenzierung (Relman et al. 1992) oder mittels Oligonukleotid-Hybridisierung
(von Herbay et al. 1996) bestätigt werden. Auf diese Weise steht neben Lichtmikroskopie und Elektronenmikroskopie als konventionellen Verfahren ein neues,
sensitives diagnostisches Hilfsmittel zur Verfügung.
Therapie und Therapiekontrolle
Die Erkrankung spricht prinzipiell auf die meisten Antibiotika an, die für die
Therapie von Infektionen durch grampositive Bakterien verwendet werden können. Das Ansprechen auf Antibiotikatherapie erfolgt in der Regel prompt. Innerhalb weniger Tage verschwinden Fieber und Gelenksymptome, und innerhalb weniger Wochen verschwinden die Durchfälle und es stellt sich eine Gewichtszunahme ein (Trier 1993). Da aber Antibiotikatestungen mit dem Bakterium nicht vorgenommen werden können, sind die gegenwärtigen Empfehlungen zur Wahl des
Antibiotikums und zur Dauer der Therapie empirisch ermittelt.
42
MORBUS WHIPPLE: THERAPIE
Nach Therapiebeginn mit Antibiotika geht die Anzahl der SPC-Zellen in der
Lamina propria des Dünndarms zurück, und die PAS-Reaktivität der Makrophagen verändert sich qualitativ. Trotz deutlicher Symptombesserung oder Symptomfreiheit verschwinden die PAS-positiven Makrophagen aber zunächst nicht
ganz, sondern bleiben in geringer Zahl manchmal über mehrere Jahre erhalten.
Im elektronenmikroskopischen Bild verschwinden extrazelluläre Bakterien und
morphologisch intakte Bakterien in Makrophagen innerhalb weniger Wochen.
Über längere Zeit verbleiben dagegen Makrophagen mit bakteriellen Zellwandresten, welche die PAS-Positivität des Gewebes verursachen (Dobbins 1987). Im
Gegensatz zur Histologie wird die PCR von Dünndarmbiopsien meist innerhalb
eines Zeitraums von 6-12 Monaten negativ (von Herbay et al. 1996).
In den sechziger und siebziger Jahren wurden zumeist Tetracycline zur Therapie
eingesetzt, die eine gute Wirkung auf die gastrointestinale Infektion haben. Unter
dieser Therapie wurden jedoch gelegentlich Rezidive der Erkrankung beobachtet.
Besonders gefürchtet ist dabei das Auftreten zentralnervöser Rezidive, da diese
nur noch schlecht auf Antibiotika ansprechen (Keinath et al. 1985). In einer
retrospektiven Analyse des Langzeiterfolgs nach Therapie bei 88 Patienten
(Keinath et al. 1985) stellte sich heraus, daß die geringste Zahl an Rückfällen zu
beobachten waren und keine Rezidive im Zentralnervensystem auftraten, wenn
zu Beginn der Therapie die Kombination aus Penicillin und Streptomycin verwendet wurde oder wenn eine Langzeittherapie mit Cotrimoxazol erfolgte. Daraus
resultierte die Empfehlung, zu Beginn eine zweiwöchige Kombinationstherapie
mit Penicillin und Streptomycin durchzuführen und daran anschließend eine
mindestens einjährige orale Therapie mit Cotrimoxazol. Zerebrale Spätmanifestationen unter Monotherapie mit Cotrimoxazol wurden beobachtet.
Offen ist nach wie vor die Frage nach geeigneten Untersuchungen und Untersuchungsintervallen während der Therapie, aufgrund derer entweder über eine
Therapieintensivierung oder aber ein Therapiende entschieden werden kann. Vor
der Entwicklung diagnostischer PCR-Tests war die histologische Untersuchung
von Dünndarmbiopsien die einzige Möglichkeit der Therapiekontrolle. In der Histologie besteht jedoch eine Tendenz zum Persistieren PAS-positiver Zelleinschlüsse
über Jahre, selbst nach erfolgreicher Therapie. Demgegenüber zeigt die PCR aus
Intestinalbiopsien eine frühzeitige Negativierung und ist deshalb kein zuverlässiger Indikator für eine Bedrohung durch Rezidive, vor allem solche ausgehend vom
Zentralnervensystem (von Herbay et al. 1996). Eine Untersuchung des Liquor
43
MORBUS WHIPPLE: MIKROBIOLOGIE
cerebrospinalis mittels PCR und Zytologie erscheint hier vielversprechend (von
Herbay et al. 1997).
Mikrobiologie und Immunologie
Sehr wenig bekannt ist über die Pathogenese des Morbus Whipple und warum die
Erkrankung so selten vorkommt. Für die Seltenheit gibt es zwei theoretisch mögliche Erklärungen:
1. das Bakterium könnte virulent sein und relativ selten vorkommen oder
2. das Bakterium könnte ubiquitär vorkommen und die Erkrankung nur bei
entsprechend disponierten Patienten erzeugen.
Dobbins (1987) definierte in seiner Meta-Analyse Farmer und Zimmerleute als am
häufigsten betroffene Berufsgruppen. Eine epidemiologische Analyse in Deutschland (von Herbay et al. 1997) ergab eine weitgehend gleichmäßige geographische
und zeitliche Verteilung des Auftretens von Krankheitsfällen. Dies könnte für ein
ubiquitäres Vorkommen des Erregers in der Umwelt sprechen.
Obwohl bislang kein definierter Immundefekt im Sinne einer «ja/nein»-Aussage
beim Morbus Whipple identifiziert werden konnte, gibt es doch eindeutige Hinweise auf Dysfunktionen des Immunsystems bei Patienten mit der Erkrankung.
Erniedrigte Immunglobulinspiegel wurden nur vereinzelt beobachtet, so daß kein
genereller Defekt der humoralen Immunabwehr vorzuliegen scheint (Dobbins
1987). Relativ einheitlich beobachtet werden eine verminderte Lymphozytenzahl
und ein erniedrigter CD4/CD8-Quotient während aktiver Erkrankung, die nach
erfolgreicher Therapie wieder in den unteren Normbereich zurückkehren (Dobbins 1987). Ebenso vermindert bei aktiver Erkrankung ist die Reaktivität von Lymphozyten auf Mitogene (PHA, PWM, ConA) und die kutane Reaktion bei Testung
mit weit verbreiteten Antigenen. Als nach Therapie verbleibende Immundefekte
wurde eine Erniedrigung derjenigen Monozyten gefunden, welche die α-Kette des
Komplement-Rezeptors 3 exprimieren (Marth et al. 1994), sowie eine reduzierte
Produktion der Zytokine Interleukin 12 und Interferon-γ durch Monozyten
(Marth et al. 1997).
44
MORBUS WHIPPLE: IMMUNOLOGIE
Demnach könnte der Morbus Whipple als eine opportunistische Infektion mit
einem gering pathogenen Erreger bei disponierten Patienten aufgefaßt werden.
Diese Auffassung wird gestützt durch die Beobachtung anderer opportunistischer
Infektionen bei Whipple-Patienten (Meier-Willersen et al. 1993) und durch den
Nachweis des Whipple-Bakteriums bei einem Patienten mit AIDS (Maiwald et al.
1995).
Eine Neuberechnung der Phylogenie des Bakteriums (Maiwald et al. 1996) ergab
Verwandschaftsbeziehungen einerseits zur seltenen Gruppe der Aktinomyceten
mit Gruppe B-Peptidoglycan und andererseits zur Gattung Cellulomonas. Bakterien
beider Gruppierungen werden vorwiegend an der Umwelt gefunden; die Gruppe BPeptidoglycan-Organismen enthalten mehrere pflanzenpathogene Vertreter, und
Cellulomonaden wurden bislang vorwiegend aus Erde isoliert.
Ausgehend von der epidemiologischen Situation und von den Verwandtschaftsbeziehungen zu typischen Umweltbakterien wurde eine Suche in Kläranlagen
gestartet, welche als typisches polymikrobielles Substrat eine große Vielfalt verschiedener Mikroorganismen beherbergen. In der Tat, in 25 von 38 getesteten
Abwasserproben aus 5 verschiedenen Kläranlagen wurde mittels PCR eine partielle 16S rRNA-Sequenz mit Identität zu derjenigen des Whipple-Bakteriums gefunden (Maiwald et al. 1998). Dieser Fund ist das erste dokumentierte Vorkommen
des Bakteriums außerhalb des menschlichen Körpers. Eine Lokalisation weiterer
Lebensräume des Bakteriums steht derzeit noch aus. Dieser Befund sowie der bislang fehlende Nachweis des Bakteriums im Gewebe gesunder Personen stützt die
Hypothese eines ubiquitären Vorkommen des Bakteriums und einer Pathogenität
nur für entsprechend prädisponierte Personen.
45
MORBUS WHIPPLE: LITERATUR
Ausgewählte Literatur:
Dobbins W.O. III.: Whipple’s disease. Charles C. Thomas Publisher, Springfield, Ill., 1987.
Fleming J.L., Wiesner R.H., Shorter R.G.: Whipple’s disease: clinical, biochemical, and histopathological
features and assessment of treatment in 29 patients. Mayo Clin Proc 1988; 63: 539-551.
von Herbay A., Otto H.F.: Whipple’s disease: A report of 22 patients.
Klin Wochenschr 1988; 66: 533-539.
von Herbay A., Ditton H.J., Maiwald M.: Diagnostic application of a polymerase chain reaction assay for
the Whipple’s disease bacterium to intestinal biopsies. Gastroenterology 1996; 110: 1735-1743.
von Herbay A., Ditton H.J., Schuhmacher F., Maiwald M.: Whipple’s disease: staging and monitoring by
cytology and polymerase chain reaction analysis of cerebrospinal fluid.
Gastroenterology 1997; 113: 434-441.
von Herbay A., Otto H.F., Stolte M., Borchard F., Kirchner T., Ditton H.J., Maiwald M.: Epidemiology of
Whipple’s disease in Germany. Analysis of 110 patients diagnosed in 1965-1995.
Scand J Gastroenterol 1997; 32: 52-57.
Keinath R.D., Merrel D.E., Vlietstra R., Dobbins W.O. III.: Antibiotic treatment and relapse in Whipple’s
disease. Long-term follow-up of 88 patients. Gastroenterology 1985; 88: 1867-1873.
Maiwald M., Meier-Willersen H.J., Hartmann M., von Herbay A.: Detection of Trophelyma whippelii
DNA in a patient with AIDS. J Clin Microbiol 1995; 33: 1354-1356.
Maiwald M., Ditton H.J., von Herbay A., Rainey F.A., Stackebrandt E.: Reassessment of the phylogenetic
position of the bacterium associated with Whipple’s disease and determination of the 16S-23S
ribosomal intergenic spacer sequence. Int J Syst Bacteriol 1996; 46: 1078-1082.
Maiwald M., Schuhmacher F., Ditton H.J., von Herbay A.: Environmental occurrence of the Whipple’s
disease bacterium (Tropheryma whippelii). Appl Environ Microbiol 1998; 64: 760-762.
Marth T., Roux M., von Herbay A., Meuer S.C., Feurle G.E.: Persistent reduction of complement receptor 3
α-chain expressing mononuclear blood cells and transient inhibitory serum factors in Whipple’s
disease. Clin Immunol Immunopathol 1994; 72: 217-226.
Marth T., Neurath M., Cuccherini B.A., Strober W.: Defects of monocyte interleukin-12 production and
humoral immunity in Whipple’s disease. Gastroenterology 1997; 113: 442-448.
Meier-Willersen H.J., Maiwald M., von Herbay A.: Morbus Whipple in Assoziation mit opportunistischen
Infektionen. Dtsch Med Wochenschr 1993; 118: 854-860.
Relman D.A., Schmidt T.M., MacDermott R.P., Falkow S.: Identification of the uncultured bacillus of
Whipple’s disease. N Engl J Med 1992; 327: 293-301.
Schoedon G., Goldenberger D., Forrer R., Gunz A., Dutly F., Höchli M., Altwegg M., Schaffner A.:
Deactivation of macrophages with interleukin-4 is the key to the isolation of Tropheryma
whippelii. J Infect Dis 1997; 176: 672-677.
Sieracki J.C.: Whipple’s disease: Observation on systemic involvement. Arch Pathol 1958; 66: 464-467.
Trier J.S.: Whipple’s disease; pp. 1118-1127. In: Sleisenger M.H., Fortran J.S. (Eds.): Gastrointestinal disease: Pathophysiology – Diagnosis – Management. 5th Ed. Saunders, Philadelphia 1993.
Whipple G.H.: A hitherto undescribed disease characterized anatomically by deposits of fat and fatty
acids in the intestinal and mesenteric lymphatic tissues.
John Hopkins Hosp Bull 1907; 18: 382-391.
Wilson K.H., Blitchington R., Frothingham R., Wilson J.A.P.: Phylogeny of the Whipple’s disease associated bacterium. Lancet 1991; 338: 474.
46
MORBUS CROHN
3.4 MACHTS DIE MILCH?
MORBUS CROHN: EINE MYKOBAKTERIOSE?
Rüdiger Braun und Dieter Hassler
Der Morbus Crohn, eine granulomatöse Entzündung des Magen-Darmtraktes,
gehört noch immer zu den großen Rätseln der Medizin. Seit vielen Jahren wird
nach einem Auslöser dieser chronisch verlaufenden Entzündung gesucht, ohne
daß inzwischen zwingende Beweise gefunden worden wären.
Für die Betroffenen bedeutet die Erkrankung noch heute einen oft komplikationsreichen Krankheitsverlauf, die Einnahme von Medikamenten über Jahre ist die
Regel, Operationen sind relativ oft erforderlich. Gerade die Komplikationen, aber
auch der Verlust an Lebensqualität sind für die Patienten sehr belastend.
Geografische Verbreitung
In vielen Ländern ist der «Crohn» fast völlig unbekannt. Eine deutliche Häufung
findet sich in der paläarktischen Zone mit gemäßigtem Klima. In Mitteleuropa
tritt der «Crohn» mit einer Frequenz von etwa 5 neuen Fällen pro 100000 Einwohner und Jahr auf. Betroffen sind meist junge Erwachsene.
Seit vielen Jahren wird darüber spekuliert, warum der «Crohn» in manchen
Ländern besonders gehäuft auftritt, in anderen dagegen fast überhaupt keine
Rolle spielt. Vor allem Nahrungsgewohnheiten wurden als Ursache diskutiert. Die
Mittelmeerdiät, also reichlicher Verzehr von Olivenöl und eher Kohlenhydrat-reiche Ernährung, sollte einen Schutzeffekt haben. Andere sahen das Problem eher
in der Milch, die in den nördlicheren, klimatisch gemäßigten Ländern häufiger
verzehrt wird als in den Tropen.
Krankheitsbild
Leitsymptom bei dieser Erkrankung sind meist Durchfälle, bei längerem Verlauf
kommen Gewichtsverlust und Malabsorptionsprobleme hinzu. Am häufigsten ist
das terminale Ileum von der Entzündung betroffen, grundsätzlich können aber
alle Teile des Magen-Darmtraktes betroffen sein. Die chronische Entzündung
47
MORBUS CROHN: THERAPIE
führt oft zu Stenosierungen des Darmes oder zu Fistelbildungen, die ein operatives
Vorgehen erfordern. Humorale Entzündungszeichen sind während der akuten
Schübe in der Regel nachweisbar.
Abbildung 9: Endoskopische Darstellung des Magens eines Patienten mit Morbus Crohn
Bisherige Therapieformen
Neben der chirurgischen Intervention zur Beherrschung von Komplikationen
werden entzündungshemmende Pharmaka wie 5-ASA und Kortikoide eingesetzt. Sie sind letztendlich aber nicht kausal wirksam, sondern können lediglich
die Schwere des Krankheitsbildes beeinflussen. Schon seit vielen Jahren wurde
immer wieder beobachtet, daß bestimmte Antibiotika die Schübe zumindest in
Einzelfällen günstig beeinflußt haben. Meist war dieser Effekt aber nur von kurzer
Dauer, und nicht in allen Fällen war überhaupt eine Wirksamkeit zu sehen. Trotzdem waren diese Kasuistiken immer wieder Anlaß zur Suche nach einem möglichen bakteriellen Erreger. Doch auch diese Suche brachte keine verwertbaren
Befunde, die isolierten Bakterien ließen kein System erkennen.
48
MORBUS CROHN: PERSPEKTIVEN
Neue Perspektiven
Mehrere Arbeitsgruppen haben berichtet, daß sie atypische Mykobakterien aus
den Darmläsionen nachweisen konnten (Mishina 1996, Coetsier 1998, HermonTaylor J, et al. 1998, Tiveljung 1999, Naser 1999), anderen gelang dieser Nachweis nicht (Cellier 1998, Chiba 1998, Kanazawa 1999). So zieht sich seit mehr als
zehn Jahren eine Frage durch diese Geschichte: Spielen Mykobakterien wirklich
eine Rolle?
Abbildung 10: Endoskopische Darstellung des Duodenums bei einem Patienten mit Morbus Crohn
49
MORBUS CROHN UND MILCH
Mycobacterium paratuberculosis und die «Johne’s disease»
Um die Diskussion zu diesem Punkt zu verstehen, müssen wir wieder einen
Ausflug in die Veterinärmedizin unternehmen. Die durch Mycobacterium paratuberculosis verursachte Johne’s disease ist eine seit langem bekannte Erkrankung
zahlreicher Tierarten. Primäres Reservoir scheinen Wildhasen und Huftiere zu
sein, bei denen die Erkrankung chronisch progressiv mit Diarrhoe, Gewichtsverlust und Kachexie verläuft. Die Tiere werden meist schon als Kälber infiziert und
erkranken klinisch mit 2-5 Jahren. Johne’s disease ist praktisch nicht therapierbar
und führt meist zum Tod der Tiere. In vielen Ländern, vor allem in den
gemäßigten Klimazonen, ist diese Krankheit in vielen Huftierherden und -ställen
verbreitet (Stabel 1998, Johnson-Ifearulundu 1999, Manning 1998).
Milch: Die entscheidende Infektionsquelle?
Der Erreger wird mit den Faeces, aber auch mit der Milch der Tiere ausgeschieden
und kann so verbreitet werden. Hinzu kommt, daß er relativ hitzetolerant ist, und
so glauben manche Autoren, daß selbst das Pasteurisieren von Milch keinen
zuverlässigen Schutz bietet. Dies könnte also die entscheidende Übertragungskette sein und gleichzeitig erklären, warum der Crohn gerade in Milchländern so
häufig ist.
Welche Rolle spielt Mycobacterium paratuberculosis beim Crohn?
Auch beim Menschen gibt es eine Reihe von Befunden, die auf eine Infektion mit
Mycobacterium paratuberculosis zumindest bei einem Teil der Morbus Crohn-Patienten hinweisen.
So wurde von Sanderson und Mitarbeitern bereits 1992 mit Hilfe der PolymeraseKetten-Reaktion bei 65% der Crohn-Patienten, aber nur in 12% der gesunder Kontrollpatienten die DNA dieses Bakteriums in Darmbiopsien nachgewiesen. Der
positive Nachweis auch bei gesunden Kontrollpatienten läßt sich hierbei durch
die oben beschriebene Aufnahme des Bakteriums mit der Nahrung erklären.
Auch in einer weiteren Studie, in der versucht wurde, Mycobacterium paratuberculosis in kultiviertem Darmgewebe von Patienten nachzuweisen, gelang dies in
Proben von Patienten mit Morbus Crohn signifikant häufiger als in Kontrollen.
50
MORBUS CROHN UND M. PARATUBERCULOSIS
Auch bei Kindern mit Morbus Crohn konnte mit Hilfe der PCR Mycobacterium
paratuberculosis nachgewiesen werden. Aufsehen erregte ein 1998 publizierter
Fall eines Kindes, bei dem zunächst Mycobacterium paratuberculosis in den Nakkenlymphknoten nachgewiesen wurde und welches nach 5 Jahren ein Krankheitsbild entwickelte, welches dem Morbus Crohn entsprach.
Allerdings ließ sich eine Assoziation zwischen Morbus Crohn und einer Infektion
mit Mycobacterium paratuberculosis in serologischen Studien nicht bestätigen. Eine
Erklärung hierfür könnte sein, daß Mykobakterien generell keine ausgeprägte
Antikörperbildung veranlassen. Ein weiterer Punkt mag darin liegen, daß viele
Menschen durch Milchgenuß bereits im Säuglingsalter mit diesem Keim in
Kontakt kommen, so daß keine reguläre Immunantwort erfolgt. Studien hierzu
stehen bislang noch aus.
Ein deutlicher Rückschlag für die Verfechter der Mykobakterien-Theorie war die
Studie von Thomas et al. (1998). Diese Arbeitsgruppe hatte mehr als hundert
Crohn-Patienten zwei Jahre lang tuberkulostatisch behandelt. Die fünfjährige
Nachuntersuchung ergab allerdings enttäuschende Resultate. Die Verumgruppe
zeigte keinen Benefit der Therapie. War also die ganze Sache nur viel Lärm um
nichts?
Das kann man so nicht sagen. Mycobacterium paratuberculosis ist nämlich, wie wir
erst seit kurzem wissen, resistent gegen einige typische Tuberkulostatika – weder
Isoniazid noch Myambutol zeigen eine wesentliche Aktivität. So müssen wir folgern, daß die Gruppe von Thomas möglicherweise einfach ein ineffektives
Therapieregime eingesetzt hat. Ihr ist kein Vorwurf zu machen, da damals dieses
Wissen noch nicht existierte.
51
MORBUS CROHN: THERAPEUTISCHE OPTIONEN
Therapeutische Optionen der Zukunft
Wie bereits diskutiert, ist eine Beteiligung von Mycobacterium paratuberculosis an
der Genese des Morbus Crohn bei einer Untergruppe von Patienten zwar nicht
bewiesen, aber möglich. Sollte sich die Beweise hierfür in der Zukunft erhärten, so
könnten diese Patienten möglicherweise mit einer antibiotischen Therapie genauso gut oder besser behandelt werden, als mit den jetzt angewendeten Therapieschemata. Allerdings ist zu beachten, daß Mycobacterium paratuberculosis auf
konventionelle tuberkulostatische Therapien eben schlecht oder nicht anspricht.
Es gibt jedoch Studien, in denen in vitro die Effektivität alternativer Therapieschemata untersucht wurde. Hierbei zeigte sich, daß Rifabutin und Cefazolin, bzw. die
Kombination von Rifabutin, Streptomycin und Cefazolin einen guten Synergismus zeigte. Die zur Abtötung der Keime notwendigen Konzentrationen können
auch im Patienten gut erreicht werden. Eine Therapie mit Rifabutin alleine ist
wohl weniger eine Alternative, da Mykobakterien bekanntermassen bei MonotheraPpie schnell Resistenzen entwickeln.
Erst in jüngster Zeit konnte man mit verbesserter Technik die Empfindlichkeit des
Erregers testen (Williams 1999). Hierbei zeigte sich, daß die besten Resultate mit
Amikacin, Rifabutin und neueren Makroliden und Chinolonen zu erwarten wären.
So warten wir mit Spannung auf die ersten kontrollierten Studien mit derartigen
Therapieschemata.
52
MORBUS CROHN: LITERATUR
Ausgewählte Literatur:
Cellier C., et al.: Mycobacterium paratuberculosis and Mycobacterium avium subsp. silvaticum DNA
cannot be detected by PCR in Crohn’s disease tissue.
Gastroenterol Clin Biol 1998; 22(8-9): 675-678.
Chiba M., et al.: No Mycobacterium paratuberculosis detected in intestinal tissue, including Peyer’s patches and lymph follicles, of Crohn’s disease. J Gastroenterol 1998; 33(4): 482-487.
Chiodini R.J.: Antimicrobial activity of rifabutin in combination with two and three other antimicrobial
agents against strains of Mycobacterium paratuberculosis.
J Antimicrob Chemother 1991; 27 (2): 171-176.
Clarkston W.K., et al.: Role of Mycobacterium paratuberculosis in Crohn’s disease: a prospective, controlled study using polymerase chain reaction. Dis Colon Rectum 1998; 41(2): 195-199.
Collins M.T.: Mycobacterium paratuberculosis: a potential food-borne pathogen?
J Dairy Sci 1997; 80(12): 3445-3448 (Review).
Dell’Isola B., Poyart et al.: Detection of Mycobacterium paratuberculosis by polymerase chain reaction in
children with Crohn’s disease. J Infect Dis 1994; 169 (2): 449-451.
Grant I.R., et al.: Isolation of Mycobacterium paratuberculosis from milk by immunomagnetic separation. Appl Environ Microbiol 1998; 64(9): 3153-3158.
Grant I.R., Ball H.J., Neill S.D., Rowe M.T.: Inactivation of Mycobacterium paratuberculosis in cow’s milk
at pasteurization temperatures. Appl Environ Mikrobiol 1996; 62 (2): 631-636.
Hermon-Taylor J., et al.: Mycobacterium paratuberculosis cervical lymphadenitis, followed five years
later by terminal ileitis similar to Crohn’s disease. BMJ 1998; 316(7129): 449-453.
Hermon-Taylor J.: The causation of Crohn’s disease and treatment with antimicrobial drugs.
Ital J Gastroenterol Hepatol 1998; 30(6): 607-610.
Johnson-Ifearulundu Y., et al.: Distribution and environmental risk factors for paratuberculosis in dairy
cattle herds in Michigan. Am J Vet Res 1999; 60(5): 589-596.
Kanazawa K., et al.: Absence of Mycobacterium paratuberculosis DNA in intestinal tissues from Crohn’s
disease by nested polymerase chain reaction. J Gastroenterol 1999; 34(2): 200-206.
Keswani J., et al.: Thermal inactivation of Mycobacterium paratuberculosis in milk.
J Food Prot 1998; 61(8): 974-978.
Manning E.J., et al.: Epizootic of paratuberculosis in farmed elk.
J Am Vet Med Assoc 1998; 213(9): 1320-1322, 1280-1281.
Millar D., Ford J., Sanderson J., Withey S., Tizard M., Doran T., Hermon-Taylor J.: IS 900 PCR to detect
Mycobacterium paratuberculosis in retail supplies of whole pasteurized cow’s milk in England
and Wales. Appl Environ Mikrobiol 1996; 62 (9): 3446-3452.
Mishina D., et al.: On the etiology of Crohn disease. Proc Natl Acad Sci USA 1996; 9816-9820.
Moss M.T., et al.: Polymerase chain reaction detection of Mycobacterium paratuberculosis and
Mycobacterium avium subsp. silvaticum in long term cultures from Crohn’s disease and control tissues. Gut 1992; 33 (9): 1209-1213.
Naser S., et al.: Mycobacterium avium subsp. paratuberculosis in Crohn’s disease is serologically positive.
Clin Diagn Lab Immunol 1999; 6(2): 282.
Nauta M.J., et al.: Human exposure to Mycobacterium paratuberculosis via pasteurised milk: a modelling
approach. Vet Rec 1998; 143(11): 293-296.
53
MORBUS CROHN: LITERATUR
Reichel M.P., et al.: Comparison of serological tests and faecal culture for the detection of Mycobacterium
avium subsp. paratuberculosis infection in cattle and analysis of the antigens involved.
Vet Microbiol 1999; 66(2): 135-150.
Sanderson J.D., Moss M.T., Tizard M.L., Hermon-Taylor J.: Mycobacterium paratuberculosis DNA in
Crohns disease tissue. Gut1992; 33 (7): 890-896.
Stabel J.R.: Johne’s disease: a hidden threat. J Dairy Sci 1998; 81 (1): 283-288.
Thayer W.R.: The use of antimycobacterial agents in Crohn’s disease.
J Clin Gastronenterol 1992; 15 (1): 5-7.
Tiveljung A., et al.: Presence of eubacteria in biopsies from Crohn’s disease inflammatory lesions as determined by 16S rRNA gene-based PCR. J Med Microbiol 1999; 48(3): 263-268.
Walmsley R.S., Ibbotson J.P., Chahal H., Allan R.N.: Antibodies against Mycobacterium paratuberculosis
in Crohn’s disease. QJM 1996; 89 (3): 217-221.
Williams S.L. et al.: Development of a firefly luciferase-based assay for determining antimicrobial susceptibility of Mycobacterium avium subsp. paratuberculosis.
J Clin Microbiol 1999; 37(2): 304-309.
Zimmer K., et al.: Contribution to the diagnosis of Johne’s disease in cattle. Comparative studies on the
validity of Ziehl-Neelsen staining, faecal culture and a commercially available DNA-Probe test
in detecting Mycobacterium paratuberculosis in faeces from cattle.
Zentralbl Veterinärmed [B] 1999; 46(2): 137-140.
54
INTESTINALE SPIROCHÄTOSE
3.5 EINE ECHTE SCHWEINEREI:
DIE INTESTINALE SPIROCHÄTOSE
Dieter Hassler
Zahlreiche Mikroben sind dafür bekannt, daß sie den menschlichen Magen-
Darmtrakt besiedeln können. Viren, Bakterien, Amöben, Pilze stellen jeweils ihre
Vertreter. Unter den Bakterien gibt es eine Art, deren Tätigkeit aber auch unter
Gastroenterologen noch fast völlig unbekannt ist. Serpulina pilosicoli gehört zu
den Spirochäten, die wir ja normalerweise nicht gerade im Darm vermuten würden.
1967 wurde erstmals von Harland und Lee berichtet, daß man in histologischen
Präparaten Spirochäten gefunden habe, die die Mukosa so dicht besiedeln, daß sie
als «falscher Bürstensaum» imponieren.
Lange Zeit war die Wissenschaft
uneins über die Bedeutung dieser Entdeckung. Die einen wollten eine Assoziation zu gastrointestinalen Symptomen gesehen
haben (Gad 1977, Douglas 1981),
die anderen lehnten einen Zusammenhang als nicht wahrscheinlich ab (Surawicz 1987,
Barrett 1991). Hinzu kam, daß
in manchen Gegenden der Welt
erhebliche Durchseuchungsraten bei der histologischen Überprüfung von Biopsiematerial
aus dem Rektum gefunden wurden. Barrett fand in Oman bei
Abbildung 11: Intestinale Spirochätose
etwa 10% der Proben SpirochäSerpulina bildet bei dichter Besiedlung einen «falschen
Bürstensaum»; Folge sind Malabsorptionsphänomene. ten, andere Untersucher fanden
bei Australiens Ureinwohnern
ebenso wie bei allen Altersklassen im Hochland von Papua-Neuguinea BefallsRaten bis über 30%, so daß man den Keim eher als harmlosen Saprophyten
betrachtete. Alle diese Studien basierten aber auf rein histologischen Untersuchungen.
55
SPIROCHÄTOSE: KLINIK
Kurzzeitig kam Verwirrung auf, als Hovind-Hougen und Mitarbeiter (1982) bei
einem Patienten eine solche Spirochäte isolieren und kultivieren konnten. Diese
bekam den Namen Brachyspira aalborgi, und die Welt glaubte zunächst, daß damit
der Erreger der Intestinalen Spirochätose beschrieben war.
Mit neueren Labormethoden konnte man allerdings inzwischen zeigen, daß es
sich in praktisch allen Fällen nicht um Brachyspira, sondern um Serpulina pilosicoli handelte (Trivett-Moore 1998). Dies führte auf die Spur zum natürlichen Reservoir des neucharakterisierten Erregers: Man fand ihn vor allem bei Schweinen,
wo er für Diarrhoe, Colitiden und Mangelwuchs verantwortlich zu sein scheint
(Trott 1996). Aber auch bei Hunden und verschiedenen Vogelarten, sogar bei
kommerziell gehaltenen Legehennen ist der Erreger (oder ein naher Verwandter)
für ein ähnliches Krankheitsbild verantwortlich.
Klinik und Pathophysiologie
Serpulina kann sowohl Dünndarm, Appendix und Colon als auch das Rektum kolonisieren. Seine Fähigkeit, sich mit einem Ende an die Mukosa anzuheften, führt
bei dichter Besiedlung zur Ausbildung eines «falschen Bürstensaums», in dem die
Spirochäten dicht an dicht stehen (siehe Abbildung 11). Folge ist meist eine Malabsorption mit Flüssigkeits- und Elektrolytverlusten, wobei der Grad des Befalls und
die Lokalisation das klinische Krankheitsbild bestimmen. In der Regel verhält sich
Serpulina nicht invasiv, die Besiedlung bleibt auf die Mukosa beschränkt. Dies
muß aber nicht so sein, die Ausbildung von Kryptenabszessen wurde wiederholt
beobachtet. Von Menschen isolierte Stämme führen im Tierversuch regelhaft zur
Colitis mit Kryptenabszessen (Trott 1996). Mehrere Arbeiten weisen auch auf die
Variante einer Appendizitis durch Serpulina hin (Yang 1997). Bei 4 bis 10% der
jeweils untersuchten Appendices wurde man fündig. Schließlich konnte Serpulina
sogar aus Blutkulturen kritisch kranker Patienten isoliert werden, die zum Teil
zuvor an intestinalen Erkrankungen gelitten hatten (Trott 1997).
Besonders häufig tritt Serpulina in der westlichen Welt bei homosexuellen Patienten auf, bei zusätzlicher HIV-Infektion scheint die Erkrankung oft chronisch zu verlaufen und (wie andere Erreger, zum Beispiel Cryptosporidien) einen Beitrag zu
chronischen Diarrhoen und Malabsorption mit Gewichtsverlust, teilweise sogar
mit Begleithepatitis, zu leisten (Kosterman 1995).
56
SPIROCHÄTOSE: THERAPIE
Wieder einmal haben wir also einen Kandidaten, der in der Differentialdiagnose
intestinaler Erkrankungen sicher einen höheren Stellenwert einnehmen sollte.
Infektionsquellen
Bisher ist völlig unzureichend geklärt, welche Verbindungen zwischen den
bekannten Reservoiren von Serpulina bestehen und wie es zur Infektion kommt.
Eine mögliche Erklärung fanden Oxberry et al. (1998), die den Keim in Fäkalien
von Wasservögeln und in Teichwasserproben in Perth (Australien) isolieren konnten. Ein Freiwilliger*, der von dem kontaminierten Teichwasser trank, erkrankte
und entwickelte Bauch- und Kopfschmerzen. Der Keim konnte aus dem Rektum
dieses Patienten reisoliert werden.
Therapie
Die Empfindlichkeit von Serpulina gegen Standard-Antibiotika wurde bisher nicht
hinreichend untersucht. Lediglich Duhamel (1998) hat einige in der Veterinärmedizin eingesetzte Substanzen geprüft. Er fand eine gute Wirksamkeit von Carbadox und Tiamulin (beide nur in der Tiermedizin zugelassen), gegen Aminoglykoside war nur die Hälfte der Isolate empfindlich.
Untersuchungen zur Therapie bei Menschen fehlen noch völlig.
* Schon wieder einer dieser beliebten Versuche!
57
SPIROCHÄTOSE: LITERATUR
Ausgewählte Literatur:
Barrett S.P.: Human intestinal spirochetosis. In: Hampson D.J., Stanton T.B.: Intestinal spirochetes in
domestic animals and humans. CAB International. Wallingford (England) 1997; 243-265.
Barrett S.P.: Intestinal spirochetosis in a Gulf Arab population. Epidemiol Infect 1994; 104: 261-266.
Douglas J.G., Crucioli V.: Spirochetosis: a remediable cause of diarrhea and rectal bleeding?
Br Med J 1981; 283: 1362.
Duhamel G.E. et al.: In vitro activity of four antimicrobial agents against North American isolates of porcine Serpulina pilosicoli. J Vet Diagn Invest 1998; 10: 350-356.
Gad A. et al.: Intestinal spirochetosis as a cause of longstandig diarrhea. Uppsala J Med Sci 1977; 82: 49-54.
Harland W.A., Lee F.D.: Intestinal spirochetosis. Br Med J 1967; 2: 718-719.
Hovind-Hougen K. et al.: Intestinal spirochetosis: Morphological characterization and cultivation of the
spirochete Brachyspira aalborgi gen. nov., sp. nov.. J Clin Microbiol 1982; 6: 1127-1136.
Käsbohrer A. et al.: Intestinale Spirochaetose bei HIV-Infektion.
Dtsch Med Wochenschr 1990; 115: 1499-1506.
Kosterman J.R. et al.: Invasive colitis and hepatitis due to previously uncharacterized spirochetes with
advanced human immunodeficiencyvirus infection. Clin Infect Dis 1995; 21: 1159-1165.
Oxberry S.L. et al.: Serpulina pilosicoli, waterbirds and water: potential sources of infection for humans
and other animals. Epidemiol Infect 1998; 121: 219-225.
Padmanabhan V. et al.: Invasive intestinal spirochetosis: a report of three cases.
Pathology 1996; 28: 283-296.
Surawicz C.M. et al.: Intestinal spirochetosis in homosexual men. Am J Med 1987; 82: 535-541.
Trivett-Moore N.L. et al.: Isolation of Serpulina pilosicoli from rectal biopsy specimens showing evidence
of intestinal spirochetosis. J Clin Microbiol 1998; 36: 261-265.
Trott D.J. et al.: Serpulina pilosicoli sp. nov., the agent of porcine intestinal spirochetosis.
Int J System Bacteriol 1996; 46: 206-215.
Trott D.J. et al.: Identification and characterization of Serpulina pilosicoli isolates from the blood of critically ill patients. J Clin Microbiol 1997; 35: 482-485.
58
LEGIONÄRSKRANKHEIT
4 LEBENSRAUM LUNGE:
DIE «NEUEN» BRONCHOPULMONALEN INFEKTIONEN
4.1 DAS ERGEBNIS EINER «DUMMEN» VERWECHSLUNG:
DIE «LEGIONÄRSKRANKHEIT»
Matthias Maiwald
I m Juli 1976 trat unter den Teilnehmern einer Tagung amerikanischer Legio-
näre in Philadelphia, USA, eine rätselhafte Erkrankung auf. Insgesamt 149 von
etwa 4400 Teilnehmern waren betroffen.
Zunächst klagten einige über Husten und Fieber, die Krankheit verschlimmerte
sich zusehends, und schwere Pneumonien mit hohem Fieber traten auf. Zusätzlich
erkrankten 72 weitere Personen, die sich im Tagungshotel, dem Bellevue-Stratford (siehe Abbildung 12), aufgehalten hatten. Die übliche Behandlung mit den gängigen Antibiotika schien keinen Effekt zu haben; insgesamt 34 Personen starben
schließlich an der Erkrankung. Erst nach der Heimreise der meisten Legionäre,
Anfang August 1976, konnten die Gesundheitsbehörden des Staates Pennsylvania
und anschließend die nationale Gesundheitsbehörde, die Centers for Disease Control
in Atlanta, benachrichtigt werden, daß hier offensichtlich eine Epidemie größeren
Ausmaßes stattgefunden hatte (Frazer und McDade 1979).
Trotz intensiver Fahndung nach bislang bekannten Krankheitserregern (Bakterien, Viren, Pilze, Parasiten) konnte über Monate kein Erreger dingfest gemacht
werden. Auch die Suche nach nichtinfektiösen Ursachen (z. B. toxischen Substanzen) blieb erfolglos. Intensive telefonische Befragungen von Erkrankten und
Nichterkrankten ergaben dann interessante epidemiologische Muster: Kongressteilnehmer, die im Bellevue-Stratford übernachtet hatten, waren häufiger erkrankt
als solche, die in anderen Hotels übernachtet hatten und das Bellevue-Stratford
nur für die Tagung besucht hatten. Außerdem hatten Erkrankte durchschnittlich
mehr Zeit in der Empfangshalle des Hotels verbracht als Nichterkrankte. Es waren
auch Personen betroffen, die lediglich den Gehweg vor dem Hotel passiert hatten.
Familienangehörige von Legionären erkrankten nur, wenn sie auch an der Tagung teilgenommen hatten. Somit schieden viele andere Expositionsquellen aus,
und es blieb offensichtlich die Luft in der Empfangshalle des Hotels als wahrscheinlichste Erkrankungssquelle und die Klimaanlage des Hotels der wahrscheinlichste
Verteiler des krankmachenden Agens.
59
LEGIONÄRSKRANKHEIT UND DAS BELLEVUE-STRATFORD
Erst als Joseph McDade, ein Rickettsien-Spezialist von den Centers for Disease Control,
die für die Anzucht von Rickettsien üblichen Antibiotika wegließ, gelang die Anzucht eines Erregers aus dem Lungengewebe von Verstorbenen. Nach der Inokulation von Meerschweinchen und anschließender Passage in Hühnerembryonen
wurde ein Bakterium isoliert, welches in vieler Hinsicht einem gewöhnlichen
gramnegativen Stäbchenbakterium entsprach. Aufgrund einer schwachen Anfärbbarkeit war es allerdings bei den zuvor durchgeführten Gramfärbungen des Gewebes nicht
entdeckt worden. Eine
Anzucht auf künstlichen
Nährmedien gelang, als
Cystein und Eisensalze
– eine in der Bakteriologie
bislang nicht bekannte
Kombination von Wachstumsfaktoren – dem Medium zugesetzt wurden.
Untersuchungen mit Seren von Erkrankten konnten dann die Erregerrolle
des neu isolierten Bakteriums untermauern.
Abbildung 12: Das Bellevue-Stratford-Hotel in Philadelphia,
Pennsylvania, USA
60
Die neue Krankheit wurde
mit dem prägnanten Begriff Legionärskrankheit
belegt, und der neuentdeckte Erreger erhielt den
Namen Legionella pneumophila, wobei «pneumophila»
von dem griechischen
Wort für «lungenliebend»
stammt. Seit 1976 wurden außer L. pneumophila
noch zahlreiche weitere
LEGIONÄRSKRANKHEIT UND LEGIONELLEN
Spezies in der Gattung Legionella entdeckt. Mittlerweile (Stand 1997) sind 41
Legionella-Spezies mit 62 antigenetischen Varianten (Serogruppen) beschrieben
(Maiwald et al. 1998). Retrospektiv wurden durch Untersuchungen an asservierten Serumproben mehrere kleine und auch größere epidemische Ausbrüche von
Erkrankungen identifiziert, die von Legionellen verursacht wurden (Ehret 1988).
Dazu gehört ein Ausbruch von 81 Pneumoniefällen im Jahr 1965 in Washington,
D.C. sowie ein Ausbruch einer milderen, aber dennoch akut fieberhaften Erkrankung bei 144 Personen, der sich 1968 in Pontiac, Michigan, ereignet hatte und
den Namen «Pontiac-Fieber» erhielt.
Woher kommen Legionellen?
Mit den neu entwickelten diagnostischen Verfahren konnte man bald feststellen,
daß Legionellen ubiquitär in verschiedenen wäßrigen Lebensräumen vorkommen. Dazu gehören sowohl natürliche Feuchtbiotope als auch zivilisatorisch
geschaffene Wassersysteme, wie zum Beispiel Befeuchtersysteme und Rückkühlwerke von Klimaanlagen, aber auch Warmwassersysteme größerer Gebäude wie
Krankenhäuser und Hotels. Wassertemperaturen von 20-40°C sind dabei optimal
für die Vermehrung von Legionellen; Wachstum ist bis etwa 50°C möglich, erst ab
etwa 55°C sterben Legionellen langsam und ab 60°C rasch ab. Menschliche
Erkrankungsfälle, bei denen es gelingt, eine Infektionsquelle exakt zu lokalisieren,
können in der Regel auf die Exposition mit solchen zivilisatorischen Wassersystemen und deren Aerosolen zurückgeführt werden.
Jernigan und Koautoren (1996) berichteten beispielsweise über 50 Erkrankte auf
einem Kreuzfahrtschiff, die sich die sich durch einen kontaminierten Whirlpool
infiziert hatten, wobei vor allem der Aufenthalt rund um den Pool, weniger seine
unmittelbare Benutzung als Risikofaktor gefunden wurde. Legionellen konnten
aus dem Sandfilter des Pools isoliert werden.
Das natürliche Vorkommen und die Vermehrung von Legionellen in klarem
Warmwasser ohne sonderliche Nährstoffgehalte warf bald die Frage auf, warum
Legionellen bei der Anzucht auf künstlichen Nährmedien einen solch hohen
Bedarf an Nährstoffen und Wachstumsfaktoren aufweisen, daß ihre Existenz der
Mikrobiologie so lange verborgen blieb. Außerdem sollte ein Keim, der in einem
solch wässrigen nährstoffarmen Biotop lebt, ja nicht ohne weiteres in der Lage
61
LEGIONELLEN UND AMÖBEN
sein, im isotonen Milieu menschlicher Gewebe zu überleben oder gar Krankheit
zu verursachen.
Abbildung 13: Elektronenmikroskopische Aufnahme von Legionellen in einer Amöbe.
Lange Suche förderte schließlich die Lösung dieses Problems zutage. Legionellen
parasitieren natürlicherweise Süßwasseramöben (siehe Abbildung 13; Rowbotham
1980). Sie vermehren sich in diesen, schließlich «platzt» die Amöbe, und eine
neue Generation von Legionellen wird freigesetzt. Ein – aus der Sicht der betroffe-
62
LEGIONELLOSEN: EPIDEMIOLOGIE
nen Menschen – «dummer Zufall» führt nun dazu, daß beim Kontakt mit dem
menschlichen Organismus die Legionelle unsere Alveolarmakrophagen mit
Süßwasseramöben gewissermaßen «verwechselt» und sich in diesen ähnlich verhält wie in ihrem natürlichen Wirt. Schwere Pneumonien sind die Folge.
So stellen Legionellen heute ein Paradebeispiel für Erreger dar, die auf natürliche
Weise bereits seit Urzeiten zu unserem Umfeld gehören. Dabei attackieren und
parasitieren sie Süßwasseramöben und haben in ihrer natürlichen Ökologie keinen Bezug zum Menschen. Für diesen sind Legionellen erst gefährlich geworden,
als die moderne Lebensweise ein Biotop geschaffen hat, das den natürlichen Ansprüchen der Legionellen so gut entsprach, daß eine erfolgreiche Vermehrung
und – beispielsweise über Aerosole – die Infektion von Alveolarmakrophagen als
Amöbenersatz möglich wurde.
Diese Zusammenhänge kann man sich auch bei der Kultur von Legionellen zunutze machen. So gibt es mehrere Fälle, in denen aus Untersuchungsmaterialien
von Pneumoniepatienten Bakterien nur über Amöbenkulturen, nicht jedoch auf
künstlichen Nährmedien, zu isolieren waren. Eine Analyse der 16S-rRNA dieser
«Legionella-like amoebal pathogens» ergab dann, daß diese bislang unbekannten
Bakterien aufgrund ihrer Sequenzhomologie in die Gattung Legionella einzuordnen sind (Adeleke et al. 1996).
Infektionsquellen für Legionellosen
Bald nach dem Ausbruch in Philadelphia wurde die Inhalation erregerhaltiger
Aerosole als Übertragungsweg für Legionellosen gesichert. Im Bellevue-StratfordHotel gelang aber nie die Identifizierung der tatsächlichen Infektionsquelle, da
zuverlässige Kulturmethoden erst zwei Jahre nach dem Ausbruch zur Verfügung
standen. Diskutiert wurden als Infektionsquelle die Rückkühl-Einrichtungen (evaporative condensers) der Klimaanlage des Hotels.
In den folgenden Jahren wurden Legionellen auch zunehmend als Ursache schwerer, im Krankenhaus erworbener Pneumonien identifiziert. Man fand, daß die
Warmwassersysteme vieler Krankenhäuser zum Teil mit hohen Legionella-Keimzahlen besiedelt sind. In Fällen, in denen Legionella-Kulturen aus Patientenmaterial und aus Warmwassersystemen zum Vergleich zur Verfügung standen, wurden immer wieder, auch unter Zuhilfenahme molekulargenetischer Typisierungs-
63
LEGIONELLOSEN: KLINIK
methoden, Wasserhähne und Duschköpfe als Infektionsquellen identifiziert. Da
vor allem Wasserhähne nur unwesentlich zur Aerosolbildung führen, wird in
neueren Berichten auch die Aspiration oder Ingestion von Legionellen-haltigem
Wasser als wesentlicher Übertragungsweg angesehen (Yu 1993). Grund für diese
Annahme ist auch das Vorkommen von krankenhauserworbenen Legionellosen
bei Patienten, die zu schwer krank sind, um sich beispielsweise beim Duschen
erregerhaltigen Aerosolen auszusetzen.
Eine außergewöhnliche Infektionsquelle für Legionellosen wurde in Australien
ausfindig gemacht. In Südaustralien mit etwa 1,5 Millionen Einwohnern kommt
es pro Jahr etwa zu 5-20 Infektionen mit Legionella longbeachae, einer sonst eher
seltenen Spezies. Bei der Suche nach Infektionsquellen wurde entdeckt, daß die
Mehrzahl untersuchter Proben von australischer Blumenerde Legionella longbeachae enthielt, während sich die Erreger nicht in Wasserproben oder in Blumenerde von anderen Kontinenten fanden (Steele et al. 1990, Ruehleman et al. 1996).
Es ist derzeit unklar, welche anteilige Rolle Blumenerde als Infektionsquelle spielt,
jedoch wurden bei einer kleinen Zahl mittels molekularer Methoden untersuchter Fälle auch solche gefunden, bei denen Identität zwischen Legionellen-Stämmen aus Blumenerde und Patientenproben bestand. Auch in Blumenerde besteht
eine enge Assoziation zwischen Legionellen und Amöben.
Klinisches Erscheinungsbild
Legionellen verursachen zwei unterschiedliche Erkrankungsformen. Neben der
«klassischen» Legionärskrankheit oder Legionella-Pneumonie, wie sie beim Ausbruch im Jahr 1976 in Philadelphia beobachtet wurde, gibt es das bereits erwähnte
Pontiac-Fieber (Barlet et al. 1986; Win 1988; Ruckdeschel und Ehret 1993).
Legionella-Pneumonien sind in der Regel hochfieberhafte Erkrankungen (> 40°C),
die mit extrapulmonalen Symptomen und Organbeteiligungen einhergehen.
Beispielsweise werden Durchfälle, neurologische Symptome und Nierenversagen
beobachtet. Die Letalität von Legionella-Pneumonien beträgt etwa 15-20%, liegt
also etwa im Bereich anderer bakterieller Pneumonien; sie kann aber bei im Krankenhaus erworbenen Infektionen immunsupprimierter Patienten wesentlich
höher liegen. Obwohl die Legionärskrankheit vereinzelt auch bei Personen ohne
erkennbare Grunderkrankung vorkommt, lassen sich doch eindeutige Risiko-
64
LEGIONELLOSEN: DIAGNOSTIK
gruppen ausmachen. Dazu gehören beispielsweise Raucher, Diabetiker sowie Personen mit chronischen Lungenerkrankungen, Transplantationen oder immunsuppressiver Therapie. Zu den Risikofaktoren gehören auch Auslandsreisen mit
Hotelaufenthalten. Kurioserweise stellt die Immunschwächekrankheit AIDS kein
besonderes Risiko für Legionellen-Infektionen dar. Bei der Legionärskrankheit
kommt es nach einer Inkubationszeit von 2-10 Tagen zur Erregervermehrung in
der Lunge, die dann mit kulturellen Verfahren nachweisbar ist.
Beim Pontiac-Fieber handelt es sich um eine fieberhafte, Grippe-ähnliche Erkrankung, die mit 95% eine hohe Erkrankungsquote unter exponierten Personen
besitzt und eine Inkubationszeit von 1-2 Tagen hat. Eine Antikörperbildung
gegen Legionellen kann beobachtet werden, es entsteht jedoch keine Pneumonie
und es findet keine Erregervermehrung in der Lunge statt. Todesfälle sind nicht
beschrieben. Die Übertragung findet ausschließlich über keimbeladene Aerosole
statt. Die Pathogenese ist unklar, aber als möglicher Unterschied wird eine andere Partikelgröße der inhalierten Legionellen-Amöben-Komplexe als bei der Legionärskrankheit vermutet.
Diagnostik der Legionellosen
Legionella-Pneumonien weisen keine wesentlichen klinischen oder laborchemischen Unterschiede zu anderen bakteriellen Pneumonien auf; einzig eine Hyponatriämie wird häufiger beobachtet. Aus diesem Grund kommt der mikrobiologischen Erregerdiagnostik eine Schlüsselrolle zu. Nach wie vor gilt die kulturelle
Anzüchtung von Legionellen aus Sekreten des Respirationstrakts als die beste diagnostische Methode für Legionella-Infektionen, obwohl die Erfolgsrate der
Legionella-Kultur aufgrund der hohen Nährstoffansprüche und des langsameren
Wachstums (>3 Tage bis ca. 10 Tage) deutlich geringer ist als die von Kulturen
auf «gewöhnliche» bakterielle Pneumonie-Erreger.
Die am häufigsten angewandte diagnostische Methode ist die Serologie, dabei
wird in der Regel der Immunfluoreszenz-Test (IFT) eingesetzt. Die Serologie bietet
jedoch den Nachteil, daß sie meist nur eine retrospektive Diagnose ermöglicht, da
mindestens eine, meist jedoch mehrere Wochen vergehen, bis es zur nachweisbaren Antikörperbildung gegen Legionellen kommt.
65
LEGIONELLOSEN: THERAPIE
Eine weitere diagnostische Methode ist der direkte Immunfluoreszenz-Test, bei
dem mit Hilfe von Fluoreszenz-markierten Antikörpern mikroskopisch im Untersuchungsmaterial nach Legionellen gesucht wird. Der Test ist schnell in der Durchführung, erfordert aber für ein positives Ergebnis relativ hohe Erregerzahlen im
Untersuchungsmaterial. Eine elegante diagnostische Methode ist auch der Nachweis von ausgeschiedenen Legionella-Antigenen im Urin. Der Test ist schnell, bei
positivem Ergebnis so gut wie beweisend für eine Legionella-Infektion, bereitet aber
gewisse Schwierigkeiten aufgrund der unterschiedlichen Antigene der verschiedenen Legionella-Serogruppen.
Als modernes molekularbiologisches Nachweisverfahren findet auch die Polymerase-Ketten-Reaktion (PCR) Anwendung in der Legionella-Diagnostik. Dabei sind
mittels exponentieller enzymatischer Vervielfältigung (Details im Kapitel über
PCR und Thermus aquaticus) kleinste Mengen an Erreger-DNA im Untersuchungsmaterial nachzuweisen. Bisherige Veröffentlichungen über Anwendung der PCR
zum Legionellen-Nachweis sehen vielversprechend aus. Jedoch liegen noch nicht
genügend Daten vor, um die ihre diagnostische Wertigkeit abschließend beurteilen zu können.
Therapie der Legionellosen
Bereits in Philadelphia 1976 wurde beobachtet, daß Patienten, die mit Erythromycin behandelt wurden, die beste Überlebensrate aufwiesen. Tetracycline erwiesen sich ebenfalls als wirksam, waren jedoch dem Erythromycin unterlegen. Penicilline und Cephalosporine, die häufig zur Therapie anderer bakterieller Pneumonien eingesetzt werden, stellten sich als weitgehend unwirksam heraus, da die
meisten Legionella-Spezies effektive Penicillinasen und Cephalosporinasen besitzen, so daß beide Substanzklassen heute für Legionella-Kulturen eingesetzt werden, um unerwünschte Begleitbakterien zu hemmen. Aminoglykoside, sonst
auch geeignet für die Therapie schwerer Pneumonien, spielen ebenfalls keine
Rolle bei Legionellosen.
In weiteren Studien stellte sich Rifampicin, sonst ein Mittel zur TuberkuloseTherapie, als wirksam heraus, eine Kombination mit Erythromycin wird jedoch
empfohlen. Vielversprechende Ergebnisse liegen auch für Ciprofloxacin aus der
Substanzklasse der Chinolone vor. In der Substanzklasse der Makrolide ist nicht
nur Erythromycin gut wirksam, es liegen auch für Azithromycin gute Ergebnisse
66
LEGIONELLOSEN: LITERATUR
vor, zumindest aus Versuchen mit Meerschweinchen. Vorteil der Makrolide ist
ihre gute Penetration in den Intrazellulärraum, der ja das von Legionellen bevorzugte Milieu darstellt (Edelstein 1995). Eine rechtzeitig gestellte Erregerdiagnose
und eine daraufhin früh eingeleitete Therapie sind weitere ganz entscheidende
Voraussetzungen für einen Therapieerfolg.
Ausgewählte Literatur:
Adeleke A., Pruckler J., Benson R., Rowbotham T., Halablab M., Fields B.: Legionella-like amoebal pathogens – phylogenetic status and possible role in respiratory disease.
Emerging Infect Dis 1996; 2: 225-230.
Barbaree J.M., Breiman R.F., Dufour A.P.: Legionella. Current status and emerging perspectives.
American Society for Microbiology, Washington D.C. 1993.
Bartlett C.L.R., Macrae A.D., Macfarlane J.T.: Legionella infections. Edward Arnold, London 1986.
Cianciotto N., Eisenstein B.I., Engleberg N.C., Shuman H.: Genetics and molecular pathogenesis of
Legionella pneumophila, an intracellular parasite of macrophages.
Mol Biol Med 1989; 6: 409-424.
Edelstein P.H.: Antimicrobial chemotherapy for Legionnaires’ disease: a review.
Clin Infect Dis 1995; 21 (Suppl. 3): 265-276.
Ehret W.: Infektionen durch Legionellen. Die gelben Hefte 1988; 28: 136-145.
Fraser D.W., McDade J.E.: Legionellose. Spektrum der Wissenschaft 1979; 1/12: 13-21.
Harrison T.G., Taylor A.G.: A laboratory manual for Legionella. John Wiley and Sons, Chichester 1988.
Jernigan D.B., Hofmann J., Cetron M.S., Genese C.A., Nuorti J.P., Fields B.S. et al.: Outbreak of
Legionnaires’ disease among cruise ship passengers exposed to a contaminated whirlpool spa.
Lancet 1996; 347: 494-499.
Maiwald M., Helbig J.H., Lück P.C.: Laboratory methods for the diagnosis of Legionella infections.
J Microbiol Methods 1998; 33: 59-79.
Molinari J.: Legionella and human disease: Part 1: A path of scientific and community discovery.
Compend Contin Educ Dent 1997; 18: 556-559.
Rowbotham T.J.: Preliminary report on the pathogenicity of Legionella pneumophila for freshwater and
soil amoebae. J Clin Pathol 1980; 33: 1179-1183.
Ruckdeschel G., Ehret W.: Die Legionelleninfektion. Ergeb Innere Med Kinderheilkd 1993; 61: 207-302.
Ruehleman S.A., Crawford S.R.: Panic in the potting shed. The association between Legionella longbeachae serogroup 1 and potting soils in Australia. Med J Aust 1996; 164: 36-38.
Steele T.W., Moore C.V., Sangster N.: Distribution of Legionella longbeachae serogroup 1 and other legionellae in potting soils in Australia. Appl Environ Microbiol 1990; 56: 2984-2988.
Winn W.C.: Legionnaires disease: historical perspective. Clin Microbiol Rev 1988; 1: 60-81.
Yu V.L.: Could aspiration be the major mode of transmission for Legionella? Am J Med 1993; 95: 13-15.
67
CHLAMYDIA PNEUMONIAE
4.2 WAR DER MÖRDER DOCH NICHT DAS CHOLESTERIN?
CHLAMYDIA PNEUMONIAE
Dieter Hassler & Rüdiger Braun
Max Unteracker* war ein sportlicher Mensch. 44 Jahre alt, kein Gramm Über-
gewicht, immer in Bewegung, Rauchen kam sowieso für ihn nicht in Frage. Sein
Beruf als (pseudo-)selbständiger Verkäufer von Tiefkühlkost brachte immer wieder eine Menge Streß, eine 35-Stundenwoche gab es bei ihm nie. Kürzlich hatte er
sogar seinen Urlaub abgebrochen, weil eine wichtige Kundin ein neues Lokal
eröffnen wollte und er dort einen Großauftrag erwartete.
Gesundheitliche Probleme waren ihm völlig unbekannt. Vor wenigen Monaten
hatte er sich sogar den Luxus geleistet, bei seinem selten benötigten Hausarzt
einen Checkup machen zu lassen. Alle Werte waren im grünen Bereich. Das
Cholesterin betrug nur 180, die Unterfraktionen waren, wie der Hausarzt ihm
versichert hatte, optimal für ein langes Leben. Da sein Vater in hohem Alter an
Herzproblemen gelitten hatte, war sogar ein Belastungs-EKG durchgeführt worden, er hatte mühelos 250 Watt getreten. So fühlte er sich sicher vor unangenehmen Überraschungen.
Doch in den letzten Wochen war irgend etwas nicht mehr ganz in Ordnung gewesen. Zunächst hatte er einen leichten Infekt mit etwas Husten gehabt, kein Grund
eigentlich, deshalb gleich zum Arzt zu gehen. Der Husten war aber hartnäckig
geblieben, und nun war er doch etwas beunruhigt. Er nahm sich vor, nächste
Woche, wenn er etwas Zeit erübrigen konnte, den Arzt aufzusuchen.
Am Abend verspürte er einen eigenartigen Druck in seiner Brust. Zunächst war
es bloß unangenehm. Dann steigerte sich das Druckgefühl und wenig später hatte
er das Gefühl, ein Riese quetsche ihm den Brustkorb zusammen. Panik erfaßte
ihn. Schließlich willigte er ein, den Arzt zu rufen. Dieser leitete ein EKG ab und
veranlaßte sofort die Klinikeinweisung wegen eines akuten Vorderwandinfarktes.
Die sofortige Lyse war erfolgreich, und der Schmerz war bald verschwunden.
Nun grübelte Max, wie ihm dies passieren konnte. Keine Risikofaktoren, nur ein
bißchen Streß, den er ja gewohnt war. Rätselhaft. Auch die Klinikärzte bestätigten ihm, daß er nicht so ganz ins übliche Bild des Infarktpatienten paßte. Eine
* Diese Krankheitsgeschichte trug sich so im April und Mai 1998 zu; Name erfunden? …logisch!
68
CHLAMYDIEN-EINSCHLÜSSE
leicht erhöhte Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit, ein mäßig erhöhtes C-reaktives Protein, ein bißchen viel Fibrinogen, das war alles, was man gefunden
hatte.
Abbildung 14: Chlamydien-Einschlüsse in Epithelzellen (Färbung mit Acridinorange).
Doch nach wenigen Tagen traf ein weiterer Laborbefund ein: Antikörper der Klassen IgM, IgA und IgG gegen Chlamydia pneumoniae waren gefunden worden. Nun
erhielt er ein Makrolid-Antibiotikum über vier Wochen, die Antikörper verschwanden in wenigen Monaten, er konnte völlig beschwerdefrei seinen Beruf wieder
aufnehmen. Kardial wirksame Medikamente braucht er nicht, sein BelastungsEKG ist so unauffällig wie früher.
69
CHLAMYDIA PNEUMONIAE UND ARTERIOSKLEROSE
Irrungen und Wirrungen um die Arteriosklerose
Die ersten Überlegungen, daß eine infektionsbedingte Entzündung Vorläufer von
Gefäßveränderungen sein könnte, formulierte Sir William Osler in einem Lehrbuch schon zu Beginn unseres Jahrhunderts (Osler 1908). Doch dieser interessante Gedanke geriet völlig in Vergessenheit (die Parallele zu Helicobacter ist frappierend). Später gewannen völlig andere Vorstellungen von der Genese der Arteriosklerose die Oberhand: Das Cholesterin schien bald als Übeltäter überführt, die
Beweislast schien erdrückend. Generationen wurden getrimmt, im Cholesterin
die Quelle allen Übels zu sehen; wieder einmal waren Zweifel nach offizieller Lehrmeinung nicht mehr erlaubt. Ein ganzer Industriezweig, die Margarineindustrie,
lebte von der Verteufelung des Cholesterins (nicht wenige Professoren wiederum
von jener).
Kleine Ungereimtheiten nahm man in Kauf. Ständig wurden neue, «unabhängige» Risikofaktoren beschrieben. Ein hohes Fibrinogen, das Rauchen, die Pille und
viele andere Umstände führten nach Meinung der Biostatistiker jeweils zu einer
Vervielfachung persönlicher Risiken. Wenn man alle diese (selbstverständlich unabhängigen und signifikanten) Risiken multiplizieren würde, so dürfte es ganze
Bevölkerungsgruppen gar nicht mehr gegeben haben. Doch unter all den «odds
ratios» war die des Cholesterins und seiner zahlreichen Unterfraktionen die stabilste. Aber auch hier gab es offensichtliche Ungereimtheiten.
Die Tatsache, daß Eskimos trotz gigantischer Cholesterinwerte höchst selten
einen Infarkt erleiden, erforderte eine neue Theorie: man befand nicht etwa, daß
an der Cholesterinhypothese etwas faul sein könnte, sondern erklärte das Phänomen mit dem regen Verzehr von Fisch. Also wurden Omega-3-Fettsäuren zum
Renner, viele Hersteller entsprechender Pillen verdienten nicht schlecht. Inzwischen ist es um diese wie auch um die Margarine erstaunlich ruhig geworden,
zumal sich Einflüsse auf die Inzidenz der koronaren Herzkrankheit (KHK) niemals
belegen ließen.
70
RESPONSE-TO-INJURY-MODELL
Erst die Statine, effektive Cholesterinsenker, schafften in den neunziger Jahren,
eindeutige Beweise zu erbringen, daß Cholesterinsenkung tatsächlich zur primären und sekundären Prävention der KHK beitragen kann. Dennoch blieben viele
Fragen offen:
➠ Warum erleiden auch Menschen mit völlig normalem Risikoprofil
Infarkte?
➠ Warum kommt es bei Menschen mit exzessiven Cholesterinwerten nicht
regelhaft zum Infarkt?
➠ Wie erklärt sich die Altersverteilung der Infarkte mit einer relativen Überrepräsentation mittlerer Lebensjahre?
➠ Warum sind in den Plaques immer auch Entzündungsvorgänge nachweisbar?
➠ Wie sollte Cholesterin Entzündung vermitteln?
Andererseits:
Cholesterinsenkung kann Infarkte verhüten, diese Tatsache scheint geklärt. Wie
können wir alle diese Widersprüche erklären?
Eine Theorie hat auch in der jüngeren Vergangenheit schon befriedigendere Ansätze verfolgt: Das «response-to-injury»-Modell (Ross 1984 und 1993) bot Erklärungen, wie sie eigentlich schon Osler 1908 formuliert hatte: Die Ablagerungen
von Fibrin und Cholesterin sollten nun Folge, nicht Ursache in der Kausalitätskette sein. Die Ablagerungen wären also nichts anderes als ein Therapieversuch
des Organismus. Derjenige, der mehr Fibrin oder Cholesterin zur Verfügung hätte,
würde eben ein dickeres «Pflaster» auf die Gefäßwandläsionen kleben. Was aber
die Mikroverletzungen in der Gefäßwand verursacht, vermochte auch dieser
Ansatz nicht zu erklären.
Auch ein anderer Befund weist auf entzündliche Vorgänge im Zusammenhang
mit der Entstehung von Coronarstenosen hin: Abdelmouttaleb und Mitarbeiter
(1999) fanden eine klare Korrelation zwischen der Höhe des C-reaktiven Proteins
und der KHK.
71
CHLAMYDIENHYPOTHESE
Die Geschichte der Chlamydienhypothese
1963 wurde im Rahmen einer größeren Untersuchung in Taiwan ein atypisches
Chlamydien-Isolat aus einem Cornealabstrich erhalten. Das Isolat wurde als TW
(Taiwan) 183 bezeichnet. Erst 1983 isolierte man in den USA einen verwandten
Stamm aus dem Rachenabstrich eines Studenten mit akuter respiratorischer
Erkrankung (Isolat AR 39). Später wurden diese Stämme deshalb TWAR genannt
(Grayston 1986). Saikku, von dem noch mehr zu berichten sein wird, fand diesen
Stamm als Ursache einer Epidemie
milde verlaufender Pneumonien
(Saikku 1986). Wenig später publizierte er eine seroepidemiologische
Untersuchung, in der er zeigte, daß
Patienten mit Myokardinfarkten
signifikant höhere Antikörpertiter
gegen Chlamydia pneumoniae aufwiesen als eine entsprechende Kontrollgruppe (Saikku 1988). Zunächst
war das Echo auf diese Entdeckung
eher bescheiden. Doch viele Arbeitsgruppen weltweit begannen mit
Untersuchungen, die diesen Befund
bestätigen oder widerlegen sollten.
➚
Abbildung 15: Scanning-Elektronenmikroskopische Aufnahme von Chlamydien-Elementarkörperchen (➚).
Die Beweiskette
Wie alle derartigen Hypothesen muß sich auch die Theorie von der Entstehung
der Gefäßkrankheiten durch Chlamydien an Hand der Koch’schen Postulate überprüfen lassen. Sie sollten also am Ort des Geschehens regelmäßig zu finden sein,
eine Infektion mit Chlamydien sollte identische Krankheitsprozesse bewirken und
die Erreger sollten sich dann wieder re-isolieren lassen. Schauen wir uns also die
vorhandenen Mosaiksteine der Beweiskette näher an.
72
FRAGEN UND ANTWORTEN ZUR BEWEISKETTE
Frage 1: Passen seroepidemiologische Daten zur Hypothese?
Neben Saikku (siehe oben) fanden auch andere Arbeitsgruppen deutliche Hinweise, daß der Nachweis von Antikörpern gegen Chlamydia pneumoniae mit einer erhöhten Inzidenz von Gefäßerkrankungen verknüpft ist. Linnänmäki (1993) fand
Chlamydien-spezifische zirkulierende Immunkomplexe bei Patienten mit chronischer koronarer Herzkrankheit hochsignifikant gehäuft. Maass (1995) fand ebenfalls eine Korrelation zwischen Chlamydia pneumoniae-Antikörperstatus und KHK.
Inzwischen wurde in fast zwanzig seroepidemiologischen Untersuchungen ein
signifikanter Zusammenhang gefunden, nur in zwei Studien wurde dieser verneint (Übersicht in Campbell 1998).
Frage 2: Enthalten atheromatöse Plaques Chlamydien?
Arteriosklerose beginnt (wie schon Osler fand) als entzündlicher Prozeß. Zunächst
findet man ein entzündliches Infiltrat, dann werden die ersten Lipide als sogenannte «fatty streaks» abgelagert. Eine entscheidende Rolle spielen dabei Makrophagen, die sich zu sogenannten Schaumzellen verändern und Lipide einlagern.
Diese Schaumzellen werden in atheromatösen Plaques regelmäßig gefunden
(Ross 1993). In diesen Plaques fanden nun viele unabhängige Arbeitsgruppen
mit unterschiedlichen Methoden den Erreger.
Chlamydien wurden histologisch und mittels PCR in Biopsien aus Arterien des
gesamten Körpers nachgewiesen. Sowohl in Endarterektomie-Material aus Carotiden (Jackson 1997), Aorta (Kuo 1992, Juvonen 1997) und peripheren Arterien
(Kuo 1997, Maass 1998), als auch in Material, das bei Bypass-Operationen am
Herzen entnommen wurde, wurde man fündig (Shor 1992, Campbell 1995, Kuo
1995; Mühlestein 1996). Besonders auffällig ist, daß der Erreger auch bei jungen
Patienten ohne besondere Risikofaktoren nachweisbar war (Kuo 1995, Varghese
1995).
Die reinen PCR-Nachweise wurden zunächst bezweifelt, weil es methodenbedingt
nicht sicher ist, daß diese Chlamydien noch vermehrungsfähig sind. Doch auch
diese Lücke wurde geschlossen, und Chlamydien wurden aus den Läsionen angezüchtet (Ramirez 1996, Maass 1997).
Taylor-Robinson (1998) kommentiert den Stand der Dinge so: Die Präsenz von
Chlamydien in arteriosklerotischen Läsionen ist inzwischen jenseits aller Zweifel
bewiesen, ihre kausale Rolle noch nicht ganz.
73
FRAGEN UND ANTWORTEN ZUR BEWEISKETTE
Frage 3: Kann Chlamydia arteriosklerotische Veränderungen bewirken?
Auch diese Voraussetzung für die Induktion des Krankheitsprozesses durch Chlamydien ist offensichtlich erfüllt: Chlamydia infiziert Makrophagen ebenso wie Endothelzellen und induziert Entzündungsvorgänge (Heinemann 1996, Jackson 1997,
Redecke 1998), die Produktion von Interleukin 1 und 6, Tumornekrosefaktor und
Thromboxan wird stimuliert. Die lokalen Gerinnungsvorgänge werden durch Induktion von Fibrinogen und Gewebsthromboplastin verstärkt (Patel 1994). Hinzu kommt der Nachweis, daß Chlamydien-Lipopolysaccharid Endothelzellen zerstören kann (Fryer 1997). Kalayoglu (1998) konnte schließlich zeigen, daß die
Bildung von Schaumzellen, wie sie für die Plaques charakteristisch sind, von
Chlamydia induziert wird. Schließlich konnten Cluster aus lebenden Chlamydien
in diesen Schaumzellen gefunden werden. Ein ganz anderer zusätzlicher Aspekt
wird neuerdings diskutiert (Science 1999, 1335): Durch molekulares Mimikry
könnte eine Autoimmunreaktion gegen Myosin im Herzmuskel getriggert werden.
Frage 4: Kann die Hypothese im Tierversuch untermauert werden?
Besonders gut ließen sich die Infektionen mit weißen Neuseeländer Kaninchen
verfolgen. In diesem Modell ließen sich die Stadien der Infektion mit primärer Beteiligung der Atemwege und nachfolgender Arteriosklerose plausibel nachvollziehen. (Übersicht bei Saikku 1998).
Laitinen (1997) konnte zeigen, daß in der Aorta von Kaninchen ähnliche Plaques
induziert werden, wie man sie beim Menschen findet. Mühlestein (1998) ging
noch einen Schritt weiter: Er behandelte einen Teil der infizierten Kaninchen mit
Azithromycin und fand, daß dadurch die arteriosklerotischen Veränderungen zu
verhindern waren.
Aber auch im Mäusemodell konnte die Atherogenese demonstriert werden (Fong
1997, Moazed 1996 und 1998). Letzterer fand Belege, daß nach bronchopulmonaler Infektion Makrophagen für die Generalisation des Erregers verantwortlich
sind. In diesen Versuchen fand man, daß die Chlamydien zu einer chronisch persistierenden Infektion führen. Zunächst schien es aber so, als könne man den
Erreger nur in der ersten Zeit nach Infektion wieder re-isolieren. Es schien also
nicht ausgeschlossen, daß Chlamydia den Prozeß der Gefäßveränderungen nur
74
FRAGEN UND ANTWORTEN ZUR BEWEISKETTE
«anschiebt», selbst aber nicht tatsächlich persistiert. Doch auch dies erwies sich
als Trugschluß: Behandelte man die Mäuse immunsuppressiv mit Cortison, vermehrten sich die Chlamydien wieder und ließen sich erneut kultivieren.
Frage 5: Können sich Chlamydien in humanen Endothelzellen vermehren?
Auch diese Frage kann inzwischen zweifelsfrei bejaht werden. Sowohl in
Makrophagen als auch in Endothelzellen wachsen Chlamydien und vermehren
sich (Gaydos 1996, Godzik 1995, Redecke 1998).
Entscheidende Frage:
Läßt sich das auch am Menschen reproduzieren?
Die (künstliche) Infektion von Menschen mit Chlamydia pneumoniae und die Nachbeobachtung eines ausreichend großen Kollektivs über längere Zeit läßt sich aus
mehreren Gründen schlecht verwirklichen; es wäre ethisch völlig unvertretbar
und es würde einfach zu lange dauern, bis valide Ergebnisse vorliegen würden. Da
bietet sich eine elegantere Alternative an: Man kann bereits infizierte Patienten
mit geeigneten Substanzen therapieren und sehen, ob sie von dieser Behandlung
profitieren.
Auch zu dieser Frage gibt es erste Ergebnisse: Gurfinkel und Mitarbeiter (1997)
behandelten Patienten mit instabiler Angina pectoris alternativ mit Roxithromycin (2x150 mg/d über 30 Tage) oder Placebo. Die Antibiotikagabe verbesserte den
Outcome der KHK-Patienten signifikant. Im Rahmen der weiteren Beobachtung
des Kollektivs ging die Signifikanz des Triple-Endpunktes allerdings verloren.
Möglicherweise liegt dies an einem noch nicht optimalen Therapieregime.
75
ANTIBIOTIKA BEI KHK
rekurrente Angina
akuter Myokardinfarkt
Tod
«doppelter Endpunkt»
«dreifacher Endpunkt»
Placebo (n=100)
Roxithromycin (n=102)
p
5
2
2
4
9
2
0
0
0
2
0,277
0,244
0,244
0,058
0,032
Tabelle 2: Ergebnisse von Gurfinkel
Eine zweite Untersuchung von Gupta (1997) kam mit Azithromycin zu ähnlichen
Ergebnissen. Jackson und Mitarbeiter (1998) verglichen Azithromycin (2 Tage 500 mg,
dann 250 mg über 28 Tage) gegen Placebo bei 88 Patienten, die sich einer perkutanen Angioplastie wegen pAVK unterziehen mußten. Nach sechs Monaten lag
die Rate der Re-Stenosierungen in der Verumgruppe bei 9%, in der Placebogruppe
bei 16%. Auch dies ist ein durchaus ermutigendes Ergebnis.
Abbildung 16: EM-Aufnahme von Chlamydia pneumoniae-Einschlußkörperchen mit Chlamydia pneumoniaeElementar- und Retikularkörperchen.
76
LETZTE ZWEIFEL
Meier et al. (1999) prüften einen anderen Ansatz: Könnte es einen Einfluß von
Antibiotikagaben (aus welchem Grund auch immer) auf das Risiko eines nachfolgenden Herzinfarktes geben? Sie haben in einem großen Kollektiv untersucht, wie
die Gabe bestimmter Antibiotika mit der Wahrscheinlichkeit eines nachfolgenden
Infarktes korreliert und haben gefunden, daß bei bestimmten Antibiotikagruppen
wie Tetracyclin-Derivaten und Chinolonen tatsächlich das Risiko sank, nicht
jedoch bei Penicillinen. So haben wir einen weiteren Mosaikstein für die Richtigkeit der Chlamydien-Hypothese gefunden.
Letzte Zweifel bleiben noch
Einige Autoren haben postuliert, daß Chlamydia vielleicht nur als harmloser
Opportunist die Plaques in den Gefäßen besiedelt. Saikku (1992) konnte jedoch
zeigen, daß eine chronische Chlamydia pneumoniae-Infektion ein unabhängiger
Risikofaktor einer KHK ist. Auch Jackson (1997) konnte die Theorie des «innocent
bystander» eindrucksvoll widerlegen.
Ziehen wir also ein vorläufiges Fazit:
Chlamydia pneumoniae ist dabei, in einem Indizienprozeß klassischer Form verurteilt zu werden. Die Beweislast wird immer erdrückender. Der Keim wird regelmäßig am Tatort gefunden, er besitzt alle Fähigkeiten, die ihm nachgesagten Zerstörungen anzurichten, und seine Beseitigung führt (soweit es die bisherige, eher
kleine Studienlage belegt) zu einer Verbesserung der Symptomatik der betroffenen Patienten. Ganz sicher aber können nicht alle Herzinfarkte, sondern nur eine
Teilmenge, durch Chlamydien-Infektionen erklärt werden. Man wird also wohl
nach geeigneten Kriterien suchen müssen, wie die Risikogruppen voneinander
zu trennen sind, damit eine optimierte Therapie erfolgen kann. Dies sollte uns
nicht stören, denn schließlich ist nach allgemeiner Lebenserfahrung selten eine
einzige Ursache für alle ähnlichen Ereignisse verantwortlich. Die Verfechter der
Cholesterin-Hypothese haben jedenfalls jahrzehntelang mit schlechteren Argumenten die Weltmeinung bestimmt.
77
CHLAMYDIA PNEUMONIAE: VERMEHRUNGSZYKLUS
Was sind Chlamydien?
Chlamydien sind gramnegative, obligat intrazellulär wachsende, «atypische»
Bakterien. Sie besitzen eine besondere Affinität zu Endothelzellen und Makrophagen. Der Vermehrungszyklus ist in der nachfolgenden Abbildung 17 dargestellt.
Extrazelluläre
Elementarkörperchen (EK);
infektiös
Anheftung und Phagozytose
durch die Zelle
Zellkern
0h
Retikularkörperchen (RK);
Synthesephase;
Vermehrung
durch
10 h
Zweiteilung
(Generationszeit 6 h)
Freisetzung
48 h
40 h
Bildung von MOMP
und Elementarkörperchen
(«Schaumzelle»)
20 h
24 h
Einschlußkörperchen;
Teilungsphase;
Antigenexpression auf der
Zelloberfläche
Initialkörperchen
(Fusion der
Einschlußkörperchen)
Abbildung 17: Vermehrungszyklus von Chlamydia pneumoniae
Derzeit sind drei Chlamydien-Arten bekannt. Chlamydia psittaci ist der Erreger der
Papageienkrankheit, Chlamydia trachomatis verursacht (unter anderem) das Trachom. Die in diesem Kapitel diskutierte Chlamydia pneumoniae ist der dritte Vertreter der Gruppe.
Klinik der Chlamydien-Infektionen
Chlamydia trachomatis kann auf unterschiedliche Weise übertragen werden. Nach
Schmierinfektion am Auge verursacht sie das vor allem in afrikanischen Ländern
weitverbreitete Trachom, die häufigste Ursache erworbener Blindheit (Serotyp
A-C). Nach sexueller Übertragung ist sie häufig für Urethritiden und Cervicitiden
78
CHLAMYDIEN-INFEKTIONEN: THERAPIE
verantwortlich (Serotyp D-K). Wird der Erreger haematogen gestreut, kann eine
Chlamydien-induzierte Arthritis entstehen. Dies galt früher als typische «reaktive» Arthritis; heute wissen wir, daß der Keim in den Gelenken persistiert (Übersicht bei Wollenhaupt 1998).
Chlamydia psittaci ist primär bei Vögeln verbreitet und wird relativ selten auf den
Menschen übertragen. Sie kann schwere hochfieberhafte Pneumonien («Papageienkrankheit») auslösen.
Chlamydia pneumoniae verursacht nach Tröpfcheninfektion mit einer Inkubationszeit von etwa 2-3 Wochen primär respiratorische Erkrankungen. Die Bandbreite reicht von der fast asymptomatischen Infektion bis zur schweren Pneumonie (Freidank 1992).
Diagnostik
Chlamydien-Antikörper können serologisch nachgewiesen werden. Dabei ist aber
zu beachten, daß beträchtliche Kreuzreaktivitäten zwischen allen ChlamydienArten und auch mit Bartonellen bestehen. Frühere Testverfahren basierten auf
dem Nachweis eines gattungsspezifischen Lipopolysaccharid-Antigens, das allen
drei Arten gemeinsam ist. Aus diesem Grund sind ältere Arbeiten, die mit nicht
ausreichend spezifischen Verfahren Daten erhoben haben, mit einer gewissen
Vorsicht zu genießen (Beispiel: Die extrem hohe Chlamydia trachomatis-Durchseuchung in Afrika macht Aussagen über Differentialdiagnosen sehr schwierig).
In neuerer Zeit hat man versucht, artspezifische serologische Verfahren zu etablieren, die aber noch unzureichend standardisiert sind. Als Goldstandard gilt der
Mikro-Immunfluoreszenz-Test (MFT), der speziesspezifisch ist und gut reproduzierbare Ergebnisse liefert. Leider korreliert er nicht besonders gut mit dem Nachweis von Chlamydien aus der Gefäßwand mittels der PCR-Methode (Maass 1998).
Therapie
Mehrere Antibiotikagruppen sind gegen Chlamydien wirksam. Der frühere
Standard, Doxycyclin, wird zunehmend von den neueren Makrolid-Antibiotika
wie Roxithromycin, Clarithromycin und Azithromycin abgelöst. Letztere weisen
MHK Werte bis hinunter zu 0,007 mg/l auf (Ridgway 1991, Gieffers 1998). Besonders geeignet sind Makrolide auch deshalb, weil sie intrazellulär ihre höchsten
79
CHLAMYDIA PNEUMONIAE UND ASTHMA…
Konzentrationen erreichen, also im gleichen Verteilungsraum wie die Chlamydien optimal verfügbar sind. Auch die modernen Chinolone wie das Levofloxacin
sowie das neue Ketolid-Antibiotikum HMR 3647 wirken exzellent gegen Chlamydien und haben die therapeutische Palette deutlich erweitert (Robun 1998).
Eine weitere Option bieten Rifampicin und seine Derivate.
Resistenzentwicklungen wurden bisher klinisch nicht beobachtet, im Tierversuch
lassen sich allerdings Resistenzen gegen Chinolone und Rifampicin, nicht aber
gegen Rifabutin erzeugen (Saikku, pers. Mitt.). Möglicherweise werden in Zukunft
ähnlich wie bei Helicobacter auch Kombinationstherapien etabliert werden. Die
notwendige Dauer der Therapie ist noch nicht hinreichend untersucht, meist
werden zwei bis drei Wochen für sinnvoll gehalten, bei der Chlamydien-induzierten Arthritis werden drei Monate empfohlen.
Zu beachten ist, daß Chlamydien nur während einer relativ kurzen Zeitspanne
ihres Vermehrungszyklus sensitiv gegenüber Antibiotika sind (siehe Abbildung 17:
Vermehrungszyklus). Daher können Persister die Therapie komplizieren.
Neueste Entwicklungen und Perspektiven
Seit kurzem wird diskutiert, daß Chlamydia pneumoniae auch für andere Krankheiten verantwortlich sein könnte.
Asthma, so glauben einige Autoren, könnte eine Folge der chronischen Besiedlung des Respirationstraktes durch diesen Keim sein (Grayston 1996, Cook 1998,
Hahn 1998). Man fand Hinweise, daß zumindest in Einzelfällen die Infektion über
eine obstruktive Bronchitis zu einem Asthma führen kann. Andere Arbeitsgruppen bezweifeln dies ebenso überzeugend (Larsen 1998). Die Hinweise sind aber
noch zu wenig konkret, als daß man hier seriöse Fakten darstellen könnte.
Als ob das alles nicht genug wäre, wird jetzt auch noch die Alzheimer-Krankheit
in die Diskussion gebracht. Balin (1998) und seine Arbeitsgruppe fanden mit der
PCR und mit histologischen Verfahren Chlamydien in 17 von 19 untersuchten
Gehirnen von Alzheimer-Patienten, bei der Kontrollgruppe in keinem einzigen!
Sie fanden sie dort, wo auch die typischen histologischen Veränderungen zu finden waren.
80
CHLAMYDIEN-INFEKTIONEN: LITERATUR
Ausgewählte Literatur:
Abdelmouttaleb I. et al.: C-rective protein and coronary artery disease: additional evidence of the implication of an inflammatory process in acute coronary syndromes.
Am Heart J 1999; 137: 346-351.
Balin B.J. et al.: Identification and localization of Chlamydia pneumoniae in the Alzheimer’s brain.
Med Microbiol Immunol (Berlin) 1998; 187: 23-42.
Campbell L.A. et al.: Detection of Chlamydia pneumoniae by polymerase chain reaction.
J Clin Microbiol 1992; 30: 434-439.
Campbell L.A. et al.: Detection of Chlamydia pneumoniae TWAR in human coronary atherectomy tissues. J Infect Dis 1995; 172: 585-588.
Campbell L.A. et al.: Chlamydia pneumoniae and cardiovascular disease. Emerging Infect Dis 1998; 4
(Internet: www.cdc.gov/ncidod/EID)
Cook P.J. et al.: Chlamydia pneumoniae and asthma. Thorax 1998; 53: 254-259.
Freidank H.: Akute respiratorische Infektionen durch Chlamydia pneumoniae.
Deutsche Med Wochenschr 1992; 117: 187-191.
Fong I. et al.: Rabbit model for Chlamydia pneumoniae infection. J Clin Microbiol 1997; 35: 48-52.
Fryer R.H. et al.: Chlamydia specices infect human vascular endothelial cells and induce procoagulant
activity. J Investig Med 1997; 45: 168-174.
Gaydos C.A. et al.: Replication of Chlamydia pneumoniae in vitro in human macrophages, endothelial
cells and aortic artery smooth muscle cells. Infect Immun 1996; 64: 1614-1620.
Gieffers J. et al.: In vitro susceptibilities of Chlamydia pneumoniae strains recovered from atherosclerotic
coronary arteries. Antimicrob Agents Chemother 1998; 42: 2762-2764.
Godzik K.L. et al.: In vitro susceptibility of human vascular cells to infection with Chlamydia pneumoniae. J Clin Microbiol 1995; 33: 2411-2414.
Grayston J.T. et al.: A new Chlamydia psittaci strain TWAR, isolated in acute respiratory tract infections.
New Engl J Med 1986; 315: 161.
Grayston J.T. et al.: Chlamydia pneumoniae (TWAR) in atherosclerosis of the carotid artery.
Circulation 1995; 92: 3397-3400.
Grayston J.T. (ed): Intracellular pathogens and asthma: a possible association with Chlamydia pneumoniae and Mycoplasma pneumoniae. European Respiratory Review 1996; 6: 217-245.
Gupta S. et al.: Elevated Chlamydia pneumoniae antibodies, cardiovascular events and azithromycin in
male survivors of myocardial infarction. Circulation 1997: 404-407.
Gupta S., Camm A.J.: Chlamydia pneumoniae, antimicrobial chemotherapy and coronary heart disease:
a critical overview. Coron Artery Dis 1998; 9: 339-343.
Gurfinkel E. et al.: Randomised trial of roxithromycin in non-Q-wave coronary syndromes: ROXIS pilot
study. Lancet 1997; 350: 404-407.
Gurfinkel E. et al.: Treatment with the antibiotic roxithromycin in patients with acute non-Q-wave coronary syndromes. The final report of the ROXIS study. Eur Heart J 1999; 20: 121-127.
Hahn D.L., McDonald R.: Can acute Chlamydia pneumoniae respiratory tract infection initgiate chronic
asthma. Ann Allergy Asthma Immunol 1998; 81: 339-344.
Hammer M. et al.: Chlamydial rRNA in the joints of patients with Chlamydia-induced arthritis and undifferentiated arthritis. Clin Exp Rheumatol 1992; 10: 63-66.
Jackson L.A. et al.: Isolation of Chlamydia pneumoniae from a carotid endarterectomy specimen.
J Infect Dis 1997; 176: 292-295.
81
CHLAMYDIEN-INFEKTIONEN: LITERATUR
Jackson L.A. et al.: Specifity of detection of Chlamydia pneumoniae in cardiovascular and non-cardiovascular tissues: evaluation of the „innocent bystander“-hypothesis.
Am J Pathol 1997; 150: 1785-1790.
Juvonen J. et al.: Demonstration of Chlamydia pneumoniae in the walls of abdominal aortic aneurysms.
J Vasc Surg 1997; 25: 499-505.
Juvonen J. et al.: Can degenerative aortic valve stenosis be related to persistent Chlamydia pneumoniae
infection? Ann Intern Med 1998; 128: 741-744.
Kalayoglu M.V., Byrne G.I.: Induction of macrophage foam cell formation by Chlamydia pneumoniae.
J Infect Dis 1998; 177: 725-729.
Kuo C.C. et al.: Demonstration of Chlamydia pneumoniae in atherosclerotic lesions of coronary arteries.
J Infect Dis 1993; 167: 841-849.
Kuo C.C. et al.: Chlamydia pneumoniae (TWAR) in coronary arteries of young adults (15-34 years old).
Proc Nat Acad Sci 1995; 92: 6911-6914.
Kuo C.C. et al.: Detection of Chlamydia pneumoniae in atherosclerotic plaques in the walls of arteries of
lower extremities from patients undergoing bypass operation for arterial obstruction.
J Vasc Surg 1997; 26: 1 -3.
Laitinen K. et al.: Chlamydia pneumoniae infection induces inflammatory changes in the aortas of
Rabbits. Infect Immun 1997; 65: 4832-4835.
Larsen F.O. et al.: Chlamydia pneumoniae and possible relationship to asthma. Serum immunoglobulins
and histamine release in patients and controls. APMIS 1998; 106: 928-934.
Linnänmäki E. et al.: Chlamydia pneumoniae specific circulating immune complexes in patients with
chronic coronary heart disease. Circulation 1993; 87: 273-278.
Maass M. et al.: Prominent serological response to Chlamydia pneumoniae in cardiovascular disease.
Immunol Infect Dis 1995; 6: 65-70.
Maass M. et al.: Endovascular presence of Chlamydia pneumoniae in patients with hemodynamically
effective carotid artery stenosis. Angiology 1997; 48: 699-706.
Maass M. et al.: Endovascular presence of Chlamydia pneumoniae DNA is a generalized phenomenon in
atherosclerotic vascular disease. Atherosclerosis 1998; 140 (Suppl. 1): 25-30.
Maass M. et al.: Poor correlation between microimmunofluorescence serology and polymerase chain
reaction for detection of vascular Chlamydia pneumoniae infection in coronary artery disease
patients. Med Microbiol Immunol (Berlin) 1998; 187: 103-106.
Meier C.R. et al.: Antibiotics and risk of subsequent first-time acute myocardial infarction.
JAMA 1999; 281: 427-431.
Moazed T.C. et al.: An experimental rabbit model of Chlamydia pneumoniae infection.
Am J Pathol 1996; 148: 667-676.
Moazed T.C. et al.: Evidence of systemic dissemination of Chlamydia pneumoniae infection via macrophages in the mouse. J Infect Dis 1998; 177: 1322-1325.
Mühlestein J.B. et al.: Increased incidence of Chlamydia species within the coronary arteries of patients
with symptomatic atherosclerotic versus other forms of cardiovascular disease.
J Amer Coll Cardiol 1996; 27: 1555-1561.
Mühlestein J.B. et al.: Infection with Chlamydia pneumoniae accelerates the development of atherosclerosis and treatment with azithromycin prevents in a rabbit model.
Circulation 1998; 97: 633-636.
Peeling R., Mabey D.: Outbreak of Chlamydia infection in rural Australian town.
Lancet 1998; 352: 1551.
82
CHLAMYDIEN-INFEKTIONEN: LITERATUR
Ramirez J. et al.: Isolation of Chlamydia pneumoniae from the coronary artery of a patient with coronary
atherosclerosis. Ann Intern Med 1996; 125: 979-982.
Redecke V. et al.: Interaction of Chlamydia pneumoniae and human alveolar macrophages: infection and
inflammatory response. Am J Respir Cell Mol Biol 1998; 19: 721-727.
Ridgway G.L. et al.: The in vitro activity of clarithromycin and other macrolides against the type strain of
Chlamydia pneumoniae (TWAR). J Antimicrob Chemother 1991; 27 (Suppl. A): 43-45.
Roblin P.M., Hammerschlag M.R.: In vitro activity of a new ketolide antibiotic, HMR 3647, against
Chlamydia pneumoniae. Antimicrob Agents Chemother 1998; 42: 1515-1516.
Saikku P. et al.: An epidemic of mild pneumonia due to an unusual Chlamydia psittaci strain.
J Infect Dis 1985; 151: 832-835.
Saikku P. et al.: Serological evidence of an association of a novel Chlamydia, TWAR, with chronic coronary heart disease and acute myocardial infarction. Lancet ii 1988: 983-986.
Saikku P. et al.: Chlamydia pneumoniae infection as a risk factor for coronary heart disease in the
Helsinki Heart Study. Ann Int Med 1992; 116: 273-278.
Saikku P. et al.: Animal models for Chlamydia pneumoniae infection.
Atherosclerosis 1998; 140 (Suppl. 1): 17-19.
Shor A. et al.: Detection of Chlamydia pneumoniae in coronary arterial fatty streaks and atheromatous
plaques. S Afr Med J 1992; 82: 158-161.
Stille W.: Arteriosklerose – eine Infektion durch Chlamydia pneumoniae.
Dtsch Med Wochenschr 1997; 122: 1086-1091.
Thomsen J. et al.: Chlamydia pneumoniae und kardiovaskuläre Erkrankungen.
Die gelben Hefte 1996; 36: 97-105.
Varghese P.J. et al.: Demonstration of Chlamydia pneumoniae in coronary atheromas from young patients with normal cholesterol from the southern part of India. Abstracts of the 33rd annual meeting of the Infectious Disease Society of America 1995: 53.
Wollenhaupt J., Zeidler H.: Undifferentiated arthritis and reactive arthritis.
Curr Opin Rheumatol 1998; 10: 306-313.
83
Q-FIEBER
4.3 HARMLOSE SCHAFHERDEN UND
GAR NICHT HARMLOSE KOMPLIKATIONEN:
DAS Q-FIEBER – EINE RICKETTSIOSE,
DIE EPIDEMIOLOGISCH AUS DEM RAHMEN FÄLLT
Peter Kimmig
I
m Jahre 1937 wurde in Australien erstmals eine atypische Pneumonie, die bei
Schlachthausarbeitern und Haltern von Milchkühen auftrat, als eine einheitliche
Infektionskrankheit erkannt. Wegen der unklaren Ätiologie wurde die Erkrankung vom Erstbeschreiber Derrick als Query-Fieber kurz Q-Fieber bezeichnet, ein
Name, der sich trotz weitgehender Aufklärung dieser Infektion als international
anerkannter Begriff gehalten hat. Der Erreger selbst wurde noch im gleichen Jahr
von Burnet und Freeman isoliert und als Rickettsia burnetii bezeichnet. Wenig später wurden in Australien auch schon die hier spezifischen epidemiologischen
Zusammenhänge und der Zoonose-Charakter dieser Infektion erkannt. Anfang
der 40er Jahre registrierte man in Südosteuropa und Südrußland bei Soldaten
atypische Pneumonien, die als Balkangrippe bzw. Krimfieber in die Literatur eingingen. Auch in diesen Fällen konnte als Verursacher der Q-Fieber-Erreger nachgewiesen werden (Dodié et al. 1993).
Was ist das für eine Infektion, die in so unterschiedlichen geographischen Bereichen der Erde beim Menschen zu gehäuften Erkrankungen führen kann ?
Der Erreger: Coxiella burnetii
Die ökologische und epidemiologische Sonderstellung der Q-Fieber-Erreger ist eng
mit ihren charakteristischen Eigenschaften verknüpft. Systematisch gehören sie
zu der Bakterien-Familie der Rickettsiaceae und vermehren sich als obligat intrazelluläre Parasiten. Die Besonderheit der Q-Fieber-Erreger liegt in ihrer hohen
Resistenz gegenüber Eintrocknen und anderen physikalischen Faktoren. Q-Fieber-Rickettsien treten in zwei Formen auf, größeren stäbchenförmigen oder pleomorphen Körperchen sowie kleineren, sporenähnlichen, rundlichen Formen, die
sich innerhalb der großen Formen bilden oder aber durch Zweiteilung vermehren
können (McCaul et al. 1981). Speziell diese sporenartigen Erreger sind für die
84
Q-FIEBER UND SCHAFE
hohe Tenazität verantwortlich. Sie überleben 1-2 Jahre in trockenem Zeckenkot,
länger noch in abgestorbenen Zecken. Auch in trockener Erde bleiben sie über
Monate infektionsfähig. Im Wasser überdauern diese Bakterien 1-2 Jahre, auch in
Milch und Fleisch infizierter Tiere überleben sie u.U. Monate. Speziell diese Merkmale waren der Anlaß, die Q-Fieber-Erreger einem eigenen Genus Coxiella zuzuordnen und in Coxiella burnetii umzubenennen.
Abbildung 18: Harmlos scheinende Schafherden: Mögliche Überträger des Q-Fiebers.
Übertragungswege von Coxiella burnetii
Wie viele Rickettsien wird auch Coxiella burnetii von Zecken übertragen. Weltweit
sind über 50 Zeckenarten als Vektoren beschrieben, in Mitteleuropa ist die
Schafzecke Dermacentor marginatus der weitaus wichtigste Überträger (Liebisch
1976, 1977). Die Übertragungswege sind außerordentlich vielfältig und verzweigt: Zwischen den Larven und Nymphen von Dermacentor entwickelt sich mit
deren Wirtstieren, kleinen Nagern, ein basaler Kreislauf, der indessen zweimal im
Jahr, in Deutschland von März bis April und von August bis September, eine
Erweiterung erfährt. Zu dieser Zeit nämlich haben die adulten Dermacentor-Zekken ihre Aktivitätsphase und befallen dann größere Wildtiere wie Rotwild und
85
Q-FIEBER: EPIDEMIOLOGIE
Füchse, aber auch Haustiere wie Schafe, Ziegen und Rinder. Dies führt zu einer
enormen Intensivierung der Coxiellen-Übertragung. Die adulten Zecken geben
große Mengen von Kot ab, der enorme Mengen an Erregern enthält und nach
dem Eintrocknen eine rußartige Konsistenz annimmt. Dieses Material kann aerogen verbreitet werden und so zur Infektion weiterer Tiere führen (Liebisch et al.
1976). Die hohe Resistenz der Coxiellen, verbunden mit einer geringen Infektionsdosis bei gleichzeitig hoher Erregerzahl führt dabei zu einer außerordentlich
hohen Kontagiosität dieser Infektion. Diese wird noch durch den Umstand verstärkt, daß Coxiellen-Infektionen v.a. bei Schafen zu Aborten führen. Die Lochien
und die Plazenten solcher Tiere enthalten dann massenhaft Erreger, die zu einer
weiteren Verbreitung führen. Eingetrocknete Fruchthäute, die auf der Weide verbleiben, können zu einer monatelangen «Verseuchung» des Geländes führen, und
darüberhinaus kann das infektiöse Nachgeburtsmaterial bzw. die Infektion durch
Raubtiere und Vögel weiter verschleppt werden. Nichtsdestoweniger spielen die
Zecken als Reservoir die größte Rolle, die Persistenz der Infektion ist mit ihrem
Vorkommen verbunden.
Epidemiologie
Q-Fieber ist auf allen Kontinenten verbreitet, für die Bildung von Naturherden
sind indessen warme und trockene Klimazonen am günstigsten. In Europa ist
demzufolge vor allem der Mittelmeerraum betroffen; in Deutschland kommt diese
Infektion ganz überwiegend in Bayern, Baden-Württemberg und den angrenzenden Bundesländern vor, wohingegen sie in nördlicher Richtung zunehmend seltener wird. Möglicherweise wurde das Q-Fieber erst in den Kriegs- und Nachkriegsjahren mit unkontrollierten Tiertransporten verschleppt, nichtsdestoweniger hat es sich in Süddeutschland bis in die neueste Zeit fest etabliert: So kam es
etwa 1997 auf einer Damwildfarm mit ca. 70 Tieren im Großraum Stuttgart zu
gehäuften Aborten, teilweise mit Mißbildungen der Feten und erhöhter Jungtiersterblichkeit, die zu einem 50%igen Verlust der Nachzucht führten. Durch die
bakteriologische Untersuchung der Plazenten und Feten konnte eindeutig
Coxiella burnetii als Verursacher nachgewiesen werden. Entsprechend der hohen
Kontagiosität kam es es in der Folge bei über 90% der Kontaktpersonen zur
Infektion, in 17% davon zu einer manifesten Erkrankung (Kimmig et al. 1997). In
Mitteleuropa treten menschliche Q-Fieber-Erkrankungen jedoch am häufigsten
über Schafe (Schulze et al. 1996; Lyytikäinen et al. 1998) in Osteuropa über Ziegen
86
COXIELLA BURNETII
(Serbezov et al. 1999) auf, in Deutschland kommt es speziell im Bereich der
Triebwege von Wanderschafen bzw. im Gebiet der Winterquartiere dieser
Haustiere immer wieder zu Epidemien.
Im den ersten beiden Juli-Wochen 1998 gingen beim Gesundheitsamt Freiburg
sechs Meldungen über Q-Fieber-Erkrankungen ein, die bei Überprüfung eine auffällige Beziehung zum Flugplatz in Freiburg aufwiesen. Bei diesem zentral gelegenen Platz handelt es sich um eine Wiese, die auch als Schafweide genutzt wird
und somit eine potentielle Quelle für diese Coxiellen-Infektion darstellte. Die Situation verschärfte sich aktuell dadurch, daß auf diesem Flugplatz am folgenden
Wochenende ein Flohmarkt veranstaltet werden sollte, zu dem Zehntausende von
Besuchern erwartet wurden. Angesichts der hohen Kontagiosität veranlaßten die
Gesundheitsbehörden daher kurzfristig einen Abbruch der Veranstaltung. Diese
Maßnahme wurde durch weitergehende retrospektive Nachforschungen, die mit
Hilfe der aufsuchenden Epidemiologie und durch diagnostische Laboruntersuchungen vorgenommen wurden, glänzend gerechtfertigt. Insgesamt konnten im
Bereich der Aufenthaltsorte der Wanderschafe über 100 humane Fälle von Q-Fieber ermittelt werden, ein deutlicher Hinweis darauf, daß auch in Deutschland
nach wie vor mit Q-Fieber gerechnet werden muß (Kimmig und Zöllner 1998).
Erkrankung von Mensch und Tier durch Coxiella burnetii
Nach der Infektion mit Coxiella burnetii, die beim Menschen fast ausschließlich
auf aerogenem Wege erfolgt, gelangen die Erreger über Lymph- und Blutbahn zunächst in die Zellen des RES, wo es zu einer primären Erregervermehrung kommt.
Ähnlich wie bei Virus-Infektionen folgt über eine Erregergeneralisation dann die
Organmanifestation, bei der insbesonders die Lunge und in geringerem Maße die
Leber betroffen ist. Histologisch äußert sich die Infektion als interstitielle Pneumonie bzw. als granulomatöse Hepatitis (Dedié et al. 1993).
Die Morbidität einer Q-Fieber-Infektion ist offenbar relativ gering und dürfte bei
ca. 20% liegen. Eine klinische Erkrankung, die nach einer Inkubationszeit von
zwei bis drei Wochen auftritt, äußert sich oft nur in Form einer Sommergrippe mit
Fieber und Gliederschmerzen. Beim vollausgeprägten Krankheitsbild gilt die Trias
hohes Fieber, retroorbitaler Kopfschmerz und atypische Pneumonie als pathognomonisch. Häufig kommen dazu noch die Zeichen einer begleitenden Hepatitis,
seltener sind ZNS, Herz, Knochenmark und Hoden betroffen (Krauss et al. 1997).
87
Q-FIEBER: DIAGNOSE
In 2-10% der Fälle nehmen Q-Fieber-Infektionen einen chronischen Verlauf.
Nach einem beschwerdefreien Intervall von wenigen Monaten bis vielen Jahren
kommt es dann vorzugsweise zu einer Endocarditis (Stein et al. 1995), besonders
bei vorgeschädigten Herzklappen, als Ausdruck einer Allgemein-Infektion können auch Leber, Milz und Niere beteiligt sein (Gerth 1988).
Tiere erkranken in der Regel überhaupt nicht oder weniger schwer als der
Mensch. Am bedeutsamsten sind Erkrankungen des Genitales bei Schafen, die zu
Aborten führen (Thiel 1974). Beim Rind ist in erster Linie das Euter betroffen, so
daß es zur Abgabe Coxiellen-haltiger aber sonst unveränderter Milch kommt. Im
Gegensatz zu den hochinfektiösen Aborten spielt die infizierte Milch epidemiologisch jedoch nur eine geringe Rolle (Dedié et al. 1993).
Diagnose
Mit klinischen Verfahren läßt sich nur die Verdachtsdiagnose eines Q-Fiebers stellen, eine definitive Diagnose ist nur auf serologischem Wege möglich. Als gängiges serologisches Verfahren ist hier die KBR im Gebrauch, eine bessere Sensitivität
weisen jedoch der Indirekte IFT und der ELISA auf. Coxiellen treten in 2 Phasen
auf: PhaseI-Antigene treten in Säugetierzellen auf, bei Passage der Erreger in
embryonierten Hühnereiern werden offenbar tieferliegende Antigene der Phase II
freigesetzt. Antikörper gegen Phase II-Antigene werden ab der 2. Woche post infectionem gebildet, Antikörper gegen Phase I-Antigen treten dagegen frühestens ab
dem 40. Tag post infectionem auf und sind somit zur Diagnostik einer akuten Infektion nicht geeignet. Ihr Wert liegt in der Diagnostik einer chronischen Coxiellen-Infektion, bei der in der Regel hohe Titer gemessen werden (Fiset et al. 1986,
Krauss et al. 1997).
In der Humandiagnostik spielen Verfahren zum direkten Erregernachweis keine
Rolle, wohl aber in der Veterinärdiagnostik. In den Feten, Lochien und Plazenten
sowie im Lochialsekret und Zervixabstrichen infizierter Tiere lassen sich mit speziellen Färbungen (z.B. Färbung nach Stamp) die Coxiellen mikroskopisch nachweisen. Serologische Verfahren werden vor allem zur Ermittlung des Verseuchungsgrades des Bestandes herangezogen (Dedié et al. 1993).
88
Q-FIEBER: THERAPIE
Therapie
Das Mittel der Wahl bei einer akuten Q-Fieber-Infektion sind Tetracycline für eine
Dauer von 2-3 Wochen. Auch Ofloxacin und Pefloxacin/Rifampicin haben sich
als wirksam erwiesen. Ein therapeutisches Problem ist das chronische Q-Fieber.
Hier wird eine langjährige Behandlung mit Doxycyclin/Pefloxacin oder neuerdings mit Doxycyclin/Chloroquin empfohlen (Krauss et al. 1997).
Bei Tieren liegt die Bekämpfung in der Prophylaxe. Bei Schafen haben sich Akarizide als sehr effektiv erwiesen, die vor Auftreten der adulten Zecken in die Nackenwolle eingebracht werden (Liebisch et al. 1976). Die Effektivität von Schutzimpfungen bei Tieren wird unterschiedlich beurteilt.
89
Q-FIEBER: LITERATUR
Ausgewählte Literatur:
Dedié K., Bockemühl J., Kühn H., Volkmer K.-J., Weinke T.: Bakterielle Zoonosen bei Tier und Mensch.
Ferdinand Enke Verlag, Stuttgart 1993.
Fiset A., Ormsbee R.: The antibody response to antigens of Coxiella burnetii.
Zbl Bakteriol I Abt orig 1986; 206: 321-328.
Gerth H.: Q-Fieber. Hyg Med 1988; 13: 135-156.
Kimmig P., Zöllner I.: Q-Fieber-Epidemie in Freiburg. Jahresbericht des Landesgesundheitsamtes BadenWürttemberg 1998.
Kimmig P., Simmert J., Sting R., Rietschel W.: Q-Fieber-Ausbruch durch eine infizierte Damwildherde.
Epid Bull 1997; 36: 249-250.
Krauss H., Weber A., Endets B., Schiefer H.G., Slenczka W., Zahner H.: Zoonosen.
Deutscher Ärzte-Verlag, Köln 1997.
Liebisch A.: Die Rolle einheimischer Zecken (Ixodidae) in der Epidemiologie des Q-Fiebers in Deutschland.
Dtsch Tierärztl Wschr 1976; 83: 274-276.
Liebisch A.: Das Q-Fieber als Naturherdinfektion in Süddeutschland.
Bundesgesundhbl 1997; 20: 185-191.
Liebisch A., Rahman M.S.: Zum Vorkommen und zur vektoriellen Bedeutung der Zecken Dermacentor
marginatus und Dermacentor reticulatus in Deutschland.
Tropenmed Parasit 1976; 27: 393-404.
Lyytikäinen 0., Ziese T., Schwartländer B., Matzdorff P., Kuhnhen C., Jäger C., Petersen L.: An outbreak of
sheep-associated Q-fever in a rural community in Germany.
Eur J Epidemiol 1998; 14: 193-199.
McCaul T., Williams J.: Development cycle of Coxiella burnetii: structure and morphogenesis of vegetative and sporogenic differentiation. J Bacteriol 1981; 147: 1063-1073.
Schulze K., Schwalen A., Klein R.M., Thomas L., Leschke M., Strauer B.E.: A Q-fever pneumonia epidemic
in Düsseldorf. Pneumologie 1996; 50: 469-473.
Serbezov V., Kazár J., Novkirishki V., Gatcheva N., Kovácová E., Voynova V.: Q-fever in Bulgaria and
Slovakia. Emerging Infect Dis 1999; 5.
Stein A., Raoult D.: Q-fever endocarditis. Eur Heart J 1995; 16 (Suppl. B): 19-23.
Thiel N.: Das Q-Fieber und seine geografische Verbreitung.
Gießener Abhdl Agrar Wirtsch Forschg Europ Osten; Bd. 65.
Duncker und Humblot, Berlin 1974.
90
HERPESVIREN
5 DIE NEUEN HERPESVIREN
HERPESVIRUS TYP 6, TYP 7 UND TYP 8
Rüdiger Braun
Die Familie der Herpesviren umfaßt eine Reihe von Genera, von denen einige
auch den Menschen infizieren. Hierzu gehören neben dem Herpes-Simplex-Virus
Typ 1 und 2 (HSV-1 und -2), das die bekannten Lippenbläschen, bzw. eine ähnliche Symptomatik im Genitalbereich verursacht, das Varicella-Zoster-Virus (VZV)
als Erreger der Windpocken und der Gürtelrose, das Epstein-Barr-Virus (EBV) als
Erreger der infektiösen Mononukleose (Studenten-Kußfieber), das Zytomegalievirus (ZMV) als Erreger der Zytomegalie, sowie erst seit kurzem bekannt 3 weitere
Herpesviren, die als humane Herpesviren (HHV) Typ 6, 7 und 8 bezeichnet werden.
Herpesviren sind wie alle Viren und im Gegensatz zu Bakterien keine Lebewesen,
sondern komplexe chemische Makromoleküle. Sie bestehen aus einer Eiweißummantelung (Hülle und Kapsid), die die genetische Information des Virus, in diesem Fall eine doppelsträngige DNA, enthält. Da Viren keine Lebewesen sind, sind
sie auch nicht zur eigenständigen Vermehrung befähigt, sondern benötigen für
ihre Vervielfältigung lebende Zellen, in denen sie sich vermehren können. Die Infektion der Zellen durch das Virus erfolgt mit Hilfe der Virushülle bzw. des Viruskapsides, die das Virus zum Eindringen in die Zelle befähigt. Die genetische Information, die das Virus in die Zelle einbringt, ist in der Lage, den Stoffwechsel der
Zelle auf die Bedürfnisse des Virus umzustellen. In den meisten Fällen dient dies
der Vermehrung des Virus in der Zelle. Die Zelle geht dabei häufig zugrunde. Dies
wird als sogenannter zytopathischer Effekt bezeichnet. Der Tod und Untergang
der infizierten Zelle ist auch in vielen Fällen für die Schäden und Symptome verantwortlich, die man während und nach einer Virusinfektion am Organismus
bemerkt.
Viele Viren, darunter auch die Herpesviren, sind jedoch in der Lage, nach erfolgter
Erstinfektion im Organismus zu verbleiben. Aufgrund verschiedener Mechanismen ist das Immunsystem nicht fähig, sich dieser Viren zu entledigen. Dies ist darauf zurückzuführen, daß das Erbgut des Virus nach überstandener symptomatischer Infektion in einigen Zellen verbleibt, ohne daß es zu einer Virusvermehrung
kommt. Dieses Stadium wird als Latenz bezeichnet. Während der Latenz werden
auch keine viruseigenen Gene exprimiert, die zu einer Immunreaktion gegen das
91
HERPESVIREN IM EM
Virus oder die virusinfizierte Zelle führen könnten. Auch die Zelle kann mit ihrem
«Gast» überleben und erleidet keinen weiteren Schaden.
Abbildung 19: EM-Aufnahme einer Herpesviren-Sprossung
Gut bekannt ist, daß das Herpes-Simplex-Virus Typ 1 oder 2 bei betroffenen Patienten immer wieder aus der Latenz heraus die bekannten Lippenbläschen auslöst. Insbesondere nach Einwirkung von UV-Licht, aber auch bei Streßsituationen
kommt es zu Rezidiven, die damit zusammenhängen, daß das Virus nach einer
akuten Episode in den Nervenzellen der Trigeminusganglien verbleibt und von
dort entlang der Nervenzellen wieder zu den bekannten Hautarealen wandert
und dort die Krankheitssymptome verursacht. Ähnliche Verhältnisse treffen
92
HERPES GENITALIS
auch auf das Varicella-Zoster-Virus zu. Bei der Erstinfektion kommt es zum Krankheitsbild der Windpocken. Sind diese abgeklungen, so verbleibt das Virus in den
Nervenzellen der Rückenmarksganglien. Wenn, meist jenseits des dreißigsten
Lebensjahres, die Immunität des Körpers gewissen Einschränkungen unterliegt,
wandert das Virus von dort aus in die entsprechenden Hautareale und verursacht
dort den Herpes Zoster, die Gürtelrose. Auch beim Epstein-Barr-Virus und beim
Zytomegalievirus sind Rezidivinfektionen gut bekannt, wenn auch die Viren in
anderen Zellen (Lymphozyten, Stromazellen des Knochenmarks) überleben als
bei HSV und VZV.
Abbildung 20: Herpes genitalis
93
HUMANES HERPESVIRUS-6
5.1 DREITAGE-FIEBER MIT LANGZEITFOLGEN: HHV-6
Während die oben genannten Herpesviren schon seit vielen Jahren bekannt sind,
wurde ein weiteres Herpesvirus, nämlich HHV-6, erst 1986 durch Salahuddin von
HIV-Patienten mit lymphoproliferativen Erkrankungen isoliert. Zunächst war
unklar, ob dieses Virus überhaupt mit einem bekannten Krankheitsbild assoziiert
werden kann. Jedoch wurde zwei Jahre später durch eine japanische Arbeitsgruppe gezeigt, daß HHV-6 der Erreger des Dreitage-Fiebers (Exanthema subitum,
Roseola infantum) bei Kindern ist. Es dauerte jedoch noch weitere 3 Jahre, bevor
man erkannte, daß von diesem Virus ähnlich wie bei HSV zwei unterschiedliche
Subtypen existieren, die ein unterschiedliches Krankheitsbild auslösen können.
So ist vor allem der Subtyp B verantwortlich für die Ausbildung des Dreitage-Fiebers bei Kindern, während der Subtyp A eher von Erwachsenen mit lymphoproliferativen Erkrankungen isoliert wird. Beide Subtypen unterscheiden sich sowohl
in bezug auf ihre antigenen Eigenschaften als auch hinsichtlich ihres Wachstumsverhaltens und ihrer genetischen Information.
In der Regel erkranken Kinder innerhalb der ersten beiden Lebensjahre am
Dreitage-Fieber, wobei nur ca. 30% der Erkrankungen unter den typischen klinischen Zeichen mit kleinfleckigem (makulopapulösem) Hautausschlag am Rumpf
und den Extremitäten verläuft. Typisch für das Dreitage-Fieber ist der zweigipfelige Verlauf, bei dem nach einer Inkubationszeit von 3-10 Tagen zunächst hohes
Fieber (38,5-41°C), dann mit Abklingen des Fiebers nach 3-5 Tagen innerhalb
von Stunden (Exanthema subitum!) ein kleinfleckiges Exanthem auftritt. Die Infektion wird begleitet von einer Pharyngitis, teilweise Erbrechen, einer cervikalen
Lymphknotenschwellung sowie nicht selten einer Mittelohrentzündung. Die Kontagiosität der Infektion ist hoch. Aufgrund der hohen Durchseuchung sind jedoch
mit Ausnahme von Frühgeborenenstationen und immunsupprimierten seronegativen Patienten nach derzeitigem Kenntnisstand im klinischen Alltag keine besonderen Vorsichtsmaßnahmen erforderlich.
Im Alter von über zwei Jahren sind mehr als 80% aller Kinder seropositiv. Die
HHV-6-Infektion zeichnet für bis zu 20% der Ambulanzbesuche von Kleinkindern
verantwortlich und kann in bis über 10% der Fälle recht schwer mit hohem Fieber, Krämpfen und meningoencephalitischen Zeichen verlaufen. In ausgeprägten
Fällen kann es zu einer fulminant verlaufenden (Autoimmun-)Hepatitis und zu
einer adrenalen Insuffizienz kommen. Inwieweit in solchen Fällen eine Therapie
94
DREITAGE-FIEBER
mit Ganciclovir hilfreich ist, bleibt abzuwarten. In vitro ist das Virus gegen Ganciclovir und Foscarnet sensitiv, gegen Aciclovir nicht sehr sensibel. Es existieren
jedoch Berichte, nach denen die hochdosierte i.v. Gabe von Aciclovir bei Erwachsenen mit HHV-6-Meningoencephalitis erfolgreich war. Allerdings wurde HHV-6
bei HIV-Patienten auch unter niedrig dosierter Aciclovir-Therapie isoliert.
Hervorzuheben ist neben dem Tropismus von HHV-6 für Makrophagen, CD8-,
NK- und CD4-Zellen auch der erst spät erkannte ausgeprägte Neurotropismus. So
infiziert das Virus in vitro bestimmte Nervenzellen (Astrozyten) und kann zu ca.
15% bis 70% in Hirnbiopsien verstorbener Patienten nachgewiesen werden. Bei
Kindern mit unklarem Fieber und Krämpfen wurde es ebenfalls zu 15% im Liquor
cerebrospinalis nachgewiesen, was eine ursächliche Beteiligung des Virus an der
Krankheitsgenese nahelegt. Auch nach überstandener Erkrankung bleibt es bei
knapp einem Drittel der Patienten im Liquor nachweisbar. Dies läßt vermuten,
daß das Zentralnervensystem auch einen Ort der Latenz für HHV-6 darstellt.
Neben den bekannten Infektionsverläufen bei Kindern und Kleinkindern wurde
in letzter Zeit auch vermehrt von Infektionen Erwachsener berichtet. Während
man zunächst dachte, daß HHV-6-Infektionen im Erwachsenenalter nur bei
immungeschwächten Personen und HIV-Patienten eine wesentliche Rolle spielen, zeigt sich in der jüngsten Zeit, daß auch bei immunkompetenten Erwachsenen eine HHV-6-Infektion mit ZNS-Beteiligung vorkommen kann. Wir hatten
selbst in der letzten Zeit einige solcher Fälle verfolgt. Typischerweise findet sich bei
diesen Patienten plötzlich auftretendes Fieber (> 39,5°C), diffuse Kopfschmerzen,
Übelkeit und Erbrechen. In bildgebenden Verfahren zeigt sich eine Panencephalitis, im Liquor eine leichte lymphozytäre Pleozytose. Oligoklonale Liquorbanden
sind meist vorhanden. Das Virus kann entweder mit Hilfe der PCR im Liquor
nachgewiesen werden (bei einer ZNS-Symptomatik bleibt der Virusnachweis in
Zellen des peripheren Blutes meist negativ), häufig findet sich im Liquor auch eine
entsprechende autochthone Produktion virusspezifischer Antikörper. Allerdings
ist bisher unklar, ob es sich bei diesen Fällen um Rekrudeszenzen bereits vorbestehender HHV-6-Infektionen oder um kürzliche Primärinfektionen handelt.
Sollte es sich um ein Krankheitsgeschehen in Analogie zum Herpes-Simplex-Virus
handeln, so müßte man damit rechnen, daß die Mehrzahl dieser Fälle einem akuten endogenen Rezidiv entspricht.
95
HHV-6 UND MULTIPLE SKLEROSE
Die Fähigkeit des HHV-6 zur Latenz im ZNS, sein Nachweis in Hirnbiopsien und
seine Infektiosität für bestimmte Nervenzellen ließen vermuten, daß die Infektion
mit HHV-6 auch an der Genese weiterer ZNS-Erkrankungen beteiligt sein könnte.
Über seine mögliche Fähigkeit, Autoimmunprozesse auszulösen, wurde an mehreren Stellen berichtet. In diesem Zusammenhang wurde auch untersucht, ob
sich bei Multipler Sklerose (MS) ein Zusammenhang mit einer HHV-6-Infektion
finden läßt. So wurde von verschiedenen Arbeitsgruppen Nervengewebe und
Liquor cerebrospinalis von MS-Patienten untersucht. Die Ergebnisse zeigten, daß
einige MS-Patienten sowohl im Serum erhöhte HHV-6-Antikörpertiter besitzen,
wie auch im Liquor mancher MS-Patienten HHV-6 nachgewiesen werden konnte.
Auch im Nervengewebe von einigen MS-Patienten konnte DNA des Virus nachgewiesen werden, während bei anderen Patienten, die ebenfalls unter demyelinisierenden Erkrankungen litten (SSPE, idiopathische Leukencephalopathie) die entsprechenden Nachweise negativ blieben. Allerdings konnten die serologischen Ergebnisse in anderen Studien
in dieser Form nicht bestätigt werden. Auch ist durch
solche Studien ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer HHV-6-Infektion und einer MS keinesfalls
belegt. Trotzdem erscheint
es möglich, daß ähnlich wie
bei anderen Infektionen
(Helicobacter pylori, Borrelia
spp.) bei einem Teil der MSPatienten nicht eine endogene, sondern eine bis jetzt
nicht bekannte infektiöse
Ursache der Erkrankung
vorliegt.
Abbildung 21: MRT-Aufnahme des Gehirns eines Patienten mit MS
In früheren Arbeiten wurde weiterhin angenommen, daß HHV-6 mit dem chronischen Müdigkeitssyndrom (chronic fatigue syndrome) assoziiert sei. In späteren
96
HHV-6: THERAPIE
Untersuchungen konnte dies jedoch nicht bestätigt werden. Allerdings ist die
Beurteilung schwierig, da die Durchseuchung mit HHV-6 hoch ist (s.o.) und im
Laufe des Lebens immer wieder Reaktivierungen erfolgen. Derzeit findet sich die
beste Assoziation des chronischen Müdigkeitssyndroms mit protrahiert oder rezidivierend verlaufenden Infektionen mit dem Epstein-Barr-Virus (EBV).
Diagnostik
Die klinische Diagnose einer HHV-6-Infektion ist bei typischem Verlauf mit 3 bis
4 Tagen Fieber und darauf folgendem kleinfleckigem Exanthem gut möglich. Bei
anderen Verlaufsformen kann die serologische Untersuchung oder der Virusnachweis hilfreich sein. Typischerweise lassen sich bei der Primärinfektion IgMAntikörper nachweisen, Kreuzreaktionen mit dem Zytomegalievirus müssen jedoch beachtet werden. Problematisch ist die Labordiagnose von endogenen Rezidiven in späterem Lebensalter, da hier häufig keine IgM-Antikörper mehr gebildet
werden. Über die in solchen Fällen manchmal hilfreiche Bestimmung der IgAAntikörper liegen bei HHV-6 derzeit noch keine ausreichenden Erfahrungen vor.
In solchen Fällen kann daher der Nachweis von freiem Virus aus dem Speichel
oder dem Plasma/Serum, gegebenenfalls mittels PCR, hinweisend sein. Die Virusisolierung durch Kokultivierung der T-Lymphozyten des Patienten mit sensitiven
T-Zellkulturen ist hierfür nur bedingt geeignet, da nicht hinreichend zwischen
einer latenten und einer reaktivierten Infektion unterschieden werden kann.
Therapie
Da es sich bei HHV-6 um ein Herpesvirus handelt, liegt es nahe, daß Substanzen
mit Aktivität gegen andere Herpesviren auch gegen HHV-6 wirksam sind. In vitro
zeigt sich die beste Wirksamkeit bei Ganciclovir und Foscarnet; Aciclovir wirkt in
vitro nur in hohen Dosen. In vivo wurde allerdings auch von Erfolgen bei einer i.v.Therapie mit Aciclovir (3 x 500 mg/d) bei akuter HHV-6-Meningoencephalitis berichtet. Bislang existieren zu keiner Therapieform kontrollierte Studien, und keine
der genannten Substanzen ist für diese Indikation offiziell zugelassen. Welches
Therapieprotokoll sich in der Zukunft als das Optimum erweist, bleibt daher abzuwarten.
97
HUMANES HERPESVIRUS-7
5.2 PITYRIASIS ROSEA: HHV-7
Ein weiteres Herpesvirus, welches kurz nach HHV-6 entdeckt wurde, ist das HHV-7.
Ähnlich wie das HIV infiziert dieses Virus menschliche CD4-Lymphozyten über
den CD4-Rezeptor. Auch HHV-7 verbleibt nach erfolgter Erstinfektion lebenslang
im Organismus in den Lymphozyten und kann bei Immunsuppression oder Belastung des Immunsystems immer wieder reaktiviert werden. Bei akut erkrankten
Patienten läßt sich das Virus aber auch aus dem Serum und der Haut isolieren.
Die Durchseuchung mit HHV-7 ist hoch. Etwa 85% der Bevölkerung tragen das
Virus in sich. Bereits im Alter von 2-5 Jahren sind die meisten Kinder infiziert. Da
eine Reaktivierung, auch subklinisch, offensichtlich häufig erfolgt, wird es von
vielen gesunden Personen im Speichel ausgeschieden (ca. 50%). Dies ist auch der
Grund dafür, daß es durch körperlichen Kontakt schon in frühem Lebensalter auf
Kleinkinder übertragen wird.
Zunächst dachte man, daß dieses Virus ebenfalls ein Krankheitsbild hervorruft,
welches dem Exanthema subitum gleicht. Tatsächlich kann HHV-7 bei solchen
Patienten nachgewiesen werden. Wie bei HHV-6 verläuft die Infektion mit recht
hohem Fieber für 3 bis 6 Tage, auch die sonstigen klinischen Symptome ähneln
denen von HHV-6 (kleinfleckiges Exanthem, Pharyngitis, Halslymphknotenschwellung, Mittelohrentzündung), allerdings sinkt bei der HHV-7-Infektion zusammen mit dem plötzlichen Abklingen des Exanthems auch das Fieber, während
bei HHV-6 das Exanthem typischerweise mit der Entfieberung beginnt.
Erst in jüngster Zeit erkannte man, daß HHV-7 vermutlich jedoch auch an der
Entstehung eines weiteren Krankheitsbildes beteiligt ist, der Pityriasis rosea. Die
Pityriasis rosea ist eine Hauterkrankung, die zunächst mit einem geröteten runden Fleck (Primärmedaillon) mit einem Durchmesser von einigen Millimetern bis
ca. 5 cm am Rumpf beginnt. Das klinische Erscheinungsbild gibt in den ersten
Tagen manchmal Anlaß zur Verwechslung mit einem Erythema chronicum migrans (ECM) oder den Ringelröteln, wobei die für das ECM typische zentrale
Aufhellung fehlt. Nach einigen Tagen breitet sich ein fleckiges Exanthem am
Stamm mit unterschiedlich dicht stehenden Papeln aus. Typisch ist die zentrale
Schuppung der Papeln. Das Exanthem klingt nach 4 bis 12 Wochen spontan ab.
Fieber oder sonstige Symptome bestehen meist nicht. Da HHV-7 wie alle Herpesviren nach Erstinfektion lebenslang im Organismus persistiert, kann auch die
98
PITYRIASIS ROSEA
Pityriasis rosea bei Immunsuppression und Belastung des Immunsystems immer
wieder auftreten.
Heroldfleck
➴
Abbildung 22: Pityriasis rosea
99
HHV-7: THERAPIE
Kawasaki-Syndrom
Die Beziehung von HHV-7 zum Kawasaki-Syndrom ist noch ungeklärt. Weitere
Studien werden notwendig sein, um eine Assoziation von HHV-7 mit diesem
Krankheitsbild, welches unbehandelt eine hohe Komplikationsrate aufweist, feststellen zu können.
Diagnostik
Standardisierte serologische Tests zum Nachweis von HHV-7-Antikörpern sind
bisher nicht verfügbar. Es existieren jedoch verschiedene Verfahren wie indirekter
Immunfluoreszenz-Test oder Enzym-Immunoassays auf Laborebene zum Nachweis von IgG- und IgM-Antikörpern. Bei der Primärinfektion lassen sich wie bei
HHV-6 IgM-Antikörper nachweisen. Ebenfalls wie bei HHV-6 ist die Labordiagnose der Rezidivinfektion über die Bestimmung der humoralen Immunantwort
meist nicht möglich. Auch hier bietet sich daher der Virusnachweis aus Speichel
bzw. Plasma/Serum an. Insbesondere beim positiven Nachweis im Speichel ist
eine labordiagnostische Abgrenzung zwischen einer asymptomatischen Reaktivierung und einer Reaktivierung als Ursache einer klinischen Erkrankung ebenfalls schwierig.
Therapie
Eine eigentliche Therapie der HHV-7-Infektion existiert bislang nicht. Ob die bei
anderen Herpesviren wirksamen Substanzen wie Aciclovir, Ganciclovir oder
Foscarnet therapeutisch eingesetzt werden können, bleibt abzuwarten.
Für die Hygienemaßnahmen im Krankenhaus gelten die Hinweise wie bei HHV-6
analog.
100
HUMANES HERPESVIRUS-8
5.3 DAS KAPOSI-SARKOM: HHV-8
Erst 1994 bzw. 1997 wurde ein weiteres humanpathogenes Herpesvirus, HHV-8,
entdeckt, welches aus Kaposi-Sarkomen (KS) von HIV-Patienten isoliert wurde.
Anfänglich wurde das Virus daher auch als Kaposi-Sarkom-assoziiertes Herpesvirus
(KSHV) bezeichnet. Aufgrund seiner Sequenzhomologie wird es der Subfamilie
der γ-Herpetoviridae zugeordnet und besitzt in gewissem Umfang Ähnlichkeit mit
dem Epstein-Barr-Virus bzw. mit dem Herpesvirus saimiri des Affen.
Abbildung 23: Ausgeprägte Befunde bei Patienten mit Kaposi-Sarkom
Im Gegensatz zu HHV-6 und -7 infiziert HHV-8 B-Lymphozyten, läßt sich aber bei
KS-Patienten auch aus den dendritischen Stromazellen des Knochenmarkes sowie aus Vorläuferzellen der B-Zellreihe isolieren. Da das Virus Lymphozyten-assoziiert ist, läßt es sich bei betroffenen Patienten relativ regelmäßig auch im
101
HHV-8 UND KAPOSI-SYNDROM
Sperma, aber auch im Prostatagewebe nachweisen. Ein wesentlicher Verbreitungsweg ist daher die sexuelle Übertragung, wenn auch andere Übertragungswege grundsätzlich möglich sind.
Ob die Infektion mit HHV-8 ursächlich oder nur phänomenologisch mit verschiedenen lymphoproliferativen Erkrankungen verknüpft ist, bleibt derzeit noch
unklar. Epidemiologische Daten zeigen eine offensichtlich regional unterschiedliche Seroprävalenz in der Normalbevölkerung der USA, die je nach Studie, Methode und Region mit 0-20% angegeben wird. Zuverlässige Daten für Deutschland
liegen derzeit noch nicht vor; in Italien beträgt die Prävalenz bei Blutspendern um
4%. Bei i.v.-Drogenabhängigen findet sich eine höhere Prävalenz zwischen 15
und 25%. Bei Homosexuellen schließlich beträgt die Seroprävalenz zwischen 30
und 90% und bei Patienten mit KS zwischen 80 und 100%. Auch beim klassischen KS findet sich eine 100%ige Durchseuchung mit HHV-8. Wichtig ist, daß
in einer prospektiven Analyse von Serumproben, die bei Patienten mit neu aufgetretenem KS schon vor Krankheitsbeginn entnommen wurden, 6 Monate bis 6
Jahre vor Ausbruch des KS fast immer eine Serokonversion beobachtet werden
konnte. Der Nachweis einer Infektion mit HHV-8 hat daher bei HIV-Patienten prädiktiven Wert für die spätere Entwicklung eines Kaposi-Sarkoms. Für homo- und
bisexuelle HIV-Patienten ist weiterhin das Risiko einer Infektion mit HHV-8 gegenüber der Normalbevölkerung um einen Faktor 10000 bis 100000 erhöht.
Die Assoziation zwischen dem HHV-8 und KS wird auch dadurch belegt, daß sich
HHV-8 in KS regelmäßig nachweisen läßt. Dies gilt sowohl für das HIV-assoziierte KS als auch für die in anderen Regionen der Welt (Afrika, Asien) endemisch
auftretenden KS ohne HIV-Infektion. Auch die Tatsache, daß KS klonalen Ursprungs sind, d.h. von einer einzigen Ursprungszelle abstammen, ist vereinbar
mit einer der Beteiligung von HHV-8 an der Tumorgenese. Das Virus selbst besitzt
eine Reihe von Genen, die an der Zelltransformation beteiligt sein könnten. So
kodiert das virale Genom für ein Protein, welches dem anti-Apoptose-Protein
bcl-2 ähnlich ist. Vorstellbar ist, daß hierdurch bei virusinfizierten Zellen der normale Zelltod verhindert wird und die Zelle in gewissem Umfang unkontrolliert
weiterwächst. Auch ein weiteres virales Protein des Virus (FLIP; Fas ligand inhibitory protein) kann zu einem Schutz der Zelle vor Apoptose führen. Schließlich findet sich neben 2 Proteinen mit Homologie zu den Chemokinen MIP-I und MIP-II
ein Protein mit hoher Homologie zu Interleukin-6. Es wird spekuliert, ob die Expression dieses Proteins mitbeteiligt ist an der Entstehung des Multiplen Myeloms
102
HHV-8: THERAPIE
(MM) sowie der sogenannten «Castleman’s disease» (CD, eine multizentrische
lymphoproliferative Erkrankung, manchmal verbunden mit der Entstehung eines
MM). Serologische Studien zeigten keine Assoziation zwischen einer HHV-8Infektion und dem MM. Allerdings haben MM-Patienten eine Hypogammaglobulinämie, die zu falsch-negativen serologischen Ergebnissen führen kann. Umgekehrt läßt sich mit sensitiven Methoden (nested PCR, kein Heparin in der Probe)
bei den meisten MM-Patienten HHV-8 im Knochenmark nachweisen. Es bleibt
daher abzuwarten, ob HHV-8 an der Entstehung des MM beteiligt ist, oder lediglich ein Epiphänomen darstellt.
Diagnostik
Die klinische Diagnose des Kaposi-Sarkoms ist aufgrund des typischen Krankheitsbildes in der Regel gut zu stellen. Serologisch gibt es, wie bei HHV 7, derzeit
noch keine standardisierten Testsysteme. Allerdings wurden auch hier von verschiedenen Labors serologische Untersuchungsmöglichkeiten auf der Basis von
Enzym-Immunoassays und indirekter Immunfluoreszenz geschaffen. In Gewebeproben von Kaposi-Sarkomen kann weiterhin durch Hybridisierung oder PCR
HHV-8-DNA nachgewiesen werden. Im Gegensatz zu HHV-6 und -7 kann HHV-8
fast nie aus dem Speichel isoliert werden.
Therapie
Während bis vor kurzem das KS klassischerweise mit Zytostatika oder mit α-Interferon behandelt wurde, gibt es aus retrospektiven Studien Berichte über eine
klinische Wirksamkeit von Ganciclovir und Foscarnet. Auch Fallberichte lassen den
Schluß zu, daß diese Substanzen wirksam sind. Es ist daher möglich, daß bereits
in naher Zukunft eine Behandlung des KS grundsätzlich mit entsprechenden
Virustatika und nicht mehr mit eher unspezifisch wirksamen Zytostatika erfolgen
wird. Trotzdem wird es auch mit neueren Therapiemöglichkeiten nicht gelingen,
Patienten von dieser Infektion zu «heilen», da das Virus in verschiedenen Zellen
latent verbleibt (s.o.). Dies ist auch der Grund dafür, daß nach Absetzen einer
Therapie mit α-Interferon die Rezidivrate ausgesprochen hoch ist.
103
HERPESVIREN: LITERATUR
Zusammenfassung
In den letzten Jahren wurden 3 neue Herpesviren isoliert, die mit lange bekannten
Krankheitsbildern assoziiert sind. So kann ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer Infektion mit HHV-6 und dem Exanthema subitum (Roseola infantum), zwischen HHV-7 und der Pityriasis rosea und zwischen HHV-8 und dem
Kaposi-Sarkom als wahrscheinlich, wenn nicht gesichert angenommen werden.
Ob diese Infektionen weiterhin an der Entstehung zusätzlicher Krankheitsbilder
wie der Multiplen Sklerose, dem Kawasaki-Syndrom und dem Multiplen Myelom
beteiligt sein können, bleibt abzuwarten.
Ausgewählte Literatur:
Bland R.M., et al.: The rapid diagnosis and clinical features of human herpesvirus 6.
J Infect 1998; 36 (2): 161-165.
Braito A., et al.: Roseola infantum and its correlation with HHV6. Eur J Pediatr 1994; 153 (3): 209.
Braun D.K., Dominguez G., Pellett P.E.: Human herpesvirus 6. Clin Microbiol Rev 1997; 10 (3): 521-567.
Brooks L.A., et al.: Kaposi’s sarcoma-associated herpesvirus (KSHV)/human herpesvirus 8 (HHV8) – a
new human tumour virus. J Pathol 1997; 182 (3): 262-265.
Carrigan D.R., Knox K.K.: Human herpesvirus six and multiple sclerosis.
Mult Scler 1997; 3 (6): 390-394.
Challoner P.B., Smith K.T., Parker J.D., MacLeod D.L., Coulter S.N., Rose T.M., Schultz E.R., et al.: Plaqueassociated expression of human herpesvirus 6 in multiple sclerosis.
Proc Natl Acad Sci USA 1995; 92 (16): 7440-7444.
Descamps V., et al.: Human herpesvirus 6 infection associated with anticonvulsant hypersensitivity syndrome and reactive haemophagocytic syndrome. Br J Dermatol 1997; 137(4): 605-608.
Dictor M.: Human herpesvirus 8 and Kaposi’s sarcoma. Semin Cutan Med Surg 1997; 16(3): 181-187.
Fossati S., et al.: Human immunodeficiency virus negative Kaposi sarcoma and lymphoproliferative disorders. Cancer 1999; 85 (7): 1611-1615.
Herman P.S., et al.: The evaluation of human herpesvirus 8 (Kaposi’s sarcoma-associated herpesvirus) in
cutaneous lesions of Kaposi’s sarcoma: a study of formalin-fixed paraffin-embedded tissue.
Am J Dermatopathol 1998; 20 (1): 7-11.
Irving W.L., et al.: Roseola infantum and other syndromes associated with acute HHV6 infection.
Arch Dis Child 1990; 65 (12): 1297-1300.
Kennedy M.M., et al.: Identification of HHV8 in early Kaposi’s sarcoma: implications for Kaposi’s sarcoma
pathogenesis. Mol Pathol 1998; 51 (1): 14-20.
Kimberlin D.W.: Human herpesviruses 6 and 7: identification of newly recognized viral pathogens and
their association with human disease. Pediatr Infect Dis J 1998; 17 (1): 59-67.
Le Gars L., et al.: HHV8 status in Kaposi’s sarcoma associated with multiple myeloma.
Rev Rhum Engl Ed 1998; 65 (12): 788-790.
104
KOLUMNENTITEL
Levy J.A.: Three new human herpesviruses (HHV6, 7, and 8).
Lancet 1997; 349 (9051): 558-563 (Review).
Li N., et al.: Further confirmation of the association of human herpesvirus 8 with Kaposi’s sarcoma.
J Cutan Pathol 1998; 25 (8): 413-419.
Lycke J., Svennerholm B., Hjelmquist E., Frisén L., Badr G., Andersson M., Vahlne A., Andersen O.:
Aciclovir treatment of relapsing-remitting multiple sclerosis. A randomized, placebo-controlled,
double-blind study. J Neurol 1996; 243 (3): 214-224.
Nielsen L., Larsen A.M., Munk M., Vestergaard B.F.: Human herpesvirus-6 immunoglobulin G antibodies
in patients with multiple sclerosis. Acta Neurol Scand Suppl 1997; 169: 76-78.
Sanders V.J., Felisan S., Waddell A., Tourtellotte W.W.: Detection of herpesviridae in postmortem multiple
sclerosis brain tissue and controls by polymerase chain reaction.
J Neurovirol 1996; 2 (4): 249-258.
Soldan S.S., Berti R., Salem N., Secchiero P., Flamand L., Calabresi P.A., Brennan M.B., Maloni H.W.,
McFarland H.F., et al.:Association of human herpes virus 6 (HHV-6) with multiple sclerosis:
increased IgM response to HHV-6 early antigen and detection of serum HHV-6 DNA [see comments]. Nat Med 1997; 3 (12): 1394-1397.
Wallace H.L. 2nd, et al.: Herpesviruses in chronic fatigue syndrome.
Clin Diagn Lab Immunol 1999; 6 (2): 216-223.
Wiersbitzky S., et al.: Infektionen mit dem Herpesvirus Typ 6: Wirklich nur «Exanthema subitum»?
Fortschr Med 1992; 110 (32): 599-603.
Wilborn F., Schmidt C.A., Brinkmann V., Jendroska K., Oettle H., Siegert W.: A potential role for human
herpesvirus type 6 in nervous system disease. J Neuroimmunol 1994; 49: 213-214.
105
BORNAVIREN
6 VON KRANKEN PFERDEN UND
DEPRESSIVEN MENSCHEN:
BORNAVIREN
Dieter Hassler
Ende des 18. Jahrhunderts wurden zahlreiche «wissenschaftliche» Versuche
unternommen, das Wissen über veterinärmedizinische Gegebenheiten zu systematisieren. Einige dieser Traktätchen enthalten Schilderungen einer charakteristischen Seuche, die bei Pferden und anderen Huftieren auftrat und seit dem Siebenjährigen Krieg immer wieder beobachtet wurde (Abildgaard 1785).
Abildgaard schreibt: „Dies ist eine Art von Dummheit oder Tollheit, womit das Pferd
befallen wird…bey der ersten Art hängt das Pferd mit dem Kopfe, geht gerade vor sich
weg, ohne sich umzusehen, die Augen sind dumm und wild, so daß das Pferd nichts sehen
kann, und auf keinen Gegenstand acht gibt, so ihm vorkommen oder begegnen könnte.
Im Stalle kauet es sein Futter, läßt es aber aus dem Maule in die Krippe fallen…Es geht
in seiner Verwirrung mit dem Kopfe gegen die Mauer, läßt sich platt auf die Erde fallen,
oder wirft sich hinterwärts aus seinem Stand. Diese Krankheit wird schwerlich und selten gehoben…“.
Zur Therapie empfiehlt Abildgaard, „…das Pferd hungern zu lassen, bis es ohnmächtig
werde, oder es zur Ader zu lassen.“
Auch aus den nachfolgenden Jahrzehnten existieren einige weitere Berichte über
größere Epidemien, aus denen hervorgeht, daß im Königreich Württemberg sogar
der Entschluß gefaßt wurde, die Grenzen besonders zu bewachen, um das Einschleppen der Krankheit zu verhindern (Bouwinghausen von Wallmerode 1805),
zumal Pferde in dieser Zeit ein extrem wichtiges Wirtschaftsgut waren. Die Ursache der Seuche war den Veterinären dieser Zeit völlig unklar, sie vermuteten vor
allem schlechte hygienische Bedingungen in den damals weitverbreiteten Mietställen.
Die Beschreibungen der beobachteten Krankheitssymptome sind aber meist so
chaotisch wie die Behandlungsvorschläge, so daß es schwerfällt, hieraus ein distinktes Krankheitsbild abzuleiten. Immerhin können wir nachvollziehen, daß es
sich um eine infektiöse Erkrankung gehandelt haben muß. Ob dies die ersten
Berichte über die Borna-Krankheit der Pferde sind, wie manche Autoren glauben, muß wohl offen bleiben.
106
WALLMERODE UND ABILDGAARD
Abbildung 24: Die kleinen Lehrbücher von Wallmerode und Abildgaard
Sie beschreiben eine epidemische Pferdeseuche, die nach Meinung einiger Autoren mit der
Borna-Erkrankung identisch ist.
Etwas konkreter wurde die Geschichte, als man 1885 in der Amtshauptmannschaft Borna (bei Leipzig) ein epidemisches Pferdesterben beobachtete. Der verantwortliche Erreger konnte mit den damaligen Methoden selbstverständlich nicht
isoliert werden, trotzdem glaubt man, daß diese Seuche auf das später beschriebene «Borna»-Virus zurückging, zumal wenige Jahrzehnte später Zwick nachweisen konnte, daß mit Gehirnmaterial erkrankter Pferde andere Versuchstiere infizierbar waren (Zwick 1939).
Natürliche Bornavirus-Infektionen sind bisher hauptsächlich aus Deutschland
und der Schweiz bekannt, in jüngster Zeit wurde der Erreger aber auch in Japan,
Nordamerika und anderen Ländern gefunden.
107
BORNAVIREN: EPIDEMIOLOGIE
Das Hauptreservoir scheinen Pferde zu sein, wobei nicht ganz sicher ist, ob nicht
ein zusätzliches Reservoir besteht und die immer wieder beobachteten Ausbrüche
in Pferdeställen, die nicht häufig, aber immer wieder vorkommen, eventuell auf
die Einschleppung des Erregers über einen Vektor, etwa Zecken, zurückzuführen
sind.
In den letzten Jahrzehnten sind natürliche Erkrankungen auch bei Rindern,
Rehen, Katzen und Straußenvögeln beschrieben worden (Rott 1995).
Eine beträchtliche Kontroverse existiert um die Frage, welche Bedeutung das
Bornavirus für Erkrankungen beim Menschen besitzt.
Was sind Bornaviren?
Bornaviren repräsentieren den Prototyp einer neuen Virusfamilie innerhalb der
Mononegavirales («Negativ-Strang-RNA-Viren»), es besteht eine gewisse Verwandtschaft zu Marburg- und Ebolaviren. Auch Mumps-, Masern- und Tollwutvirus gehören in diese Ordnung.
Das herausragende Feature des Bornavirus ist der ausgeprägte Neurotropismus.
Übertragungswege
Wegen der Häufung der Erkrankungen in den Sommermonaten wurde diskutiert,
ob ein Vektor (etwa Zecken) eine Rolle in der Verbreitung spielen könne. Für diese
Hypothese wurde aber bisher kein Beleg gefunden (Richt 1997).
Sicher scheint, daß in der Akutphase der Erkrankung bei Pferden das Virus in
Nasen- und Augensekreten präsent ist und so übertragen werden kann. So erklären sich wohl kleinere Epidemien in Ställen, die immer wieder beobachtet wurden.
108
BORNAVIRUS-INFEKTIONEN: KLINIK
Klinik und Pathophysiologie
Die Bornavirus-Infektion bei Tieren ist charakterisiert durch eine seröse Meningoencephalitis. Besonders betroffen ist die graue Substanz und der Hirnstamm.
Die Inkubationszeit beträgt bei Pferden und Schafen mindestens vier Wochen,
dann treten Temperaturerhöhungen, Gewichtsverlust und Koliken auf. Wenig
später werden die ersten neurologischen Ausfälle beobachtet, zuerst Ataxie und
Antriebsarmut, dann oft Lähmungen und (bei Pferden in 80-100%) schließlich
der Tod. Es kann als gesichert gelten, daß das Bornavirus eine breite Palette von
Wirtstieren infizieren und in diesen zu klinisch faßbaren Erkrankungen führen
kann. Daher erscheint es logisch, daß auch der Mensch nicht vor der Infektion
geschützt ist.
Über die Akuterkrankung bei Menschen existieren aber bisher keine Daten. Aufgrund serologischer Daten, die in verschiedenen Kollektiven gewonnen wurden,
glauben einige Autoren, daß die Bornavirus-Infektion beim Menschen einen
chronischen Verlauf nehmen kann und dann für schwere Depressionen und bipolare Erkrankungen (Cyclothymie) verantwortlich werden kann.
Untersuchungen an Versuchstieren scheinen zu belegen, daß die Immunantwort
auf das Virus eine Schlüsselrolle in der Entstehung und Ausprägung der Erkrankung spielt (Rott 1995, Gosztonyi 1995, Stitz 1995, Richt 1997).
Keine Einigkeit unter den Wissenschaftlern
In einer ersten, 1985 publizierten Studie wurden 285 cyclothyme Patienten aus
den Vereinigten Staaten mit 694 psychiatrisch Erkrankten in Deutschland und
200 gesunden Kontrollpersonen verglichen. Man fand eine Seroreaktivität bei
4,3% der amerikanischen und bei weniger als 1% der deutschen Patienten (Rott
1985). Mit verbesserter Technik (Immunoblot) waren in einer weiteren Untersuchung bei 38% der psychiatrischen Patienten und bei 16% der Kontrollpersonen
Antikörper nachweisbar (Fu 1993).
Bode (1993) untersuchte 71 Patienten mit verschiedenen psychiatrischen Erkrankungen und fand vor allem bei schweren Depressionen gehäuft Antikörper. Auch
Richt (1993) fand eine Häufung von seroreaktiven psychiatrischen Patienten,
während seine Arbeit von 1997 keine Korrelation mehr zeigen konnte.
109
BORNAVIRUS-INFEKTIONEN: DIAGNOSTIK
Bechter (1995) fand eine möglich Häufung von Erkrankungsfällen in zwei Familien
und konnte in einer weiteren Arbeit nachweisen, daß bei 25% der akut erkrankten
seropositiven Patienten eine spezifische autochtone Antikörperproduktion im
Liquor stattfindet (Bechter 1996).
Auch einige autoptische Studien fanden Belege für die ätiologische Rolle des Virus
bei psychiatrischen Erkrankungen (De la Torre 1996, Salvatore 1997), während
andere Autoren dies in Zweifel ziehen (Lieb 1998).
Schließlich folgten Berichte von Bode (1996) über den direkten Virusnachweis im
Patienten und 1997 eine Kasuistik, die zu belegen scheint, daß die Betroffenen
von einer virustatischen Therapie mit Amantadin-Sulfat profitierten (Bode 1997).
Andere Autoren glauben dagegen Belege gefunden zu haben, daß diese Substanz
gegen Bornavirus unwirksam ist. Zumindest bei Pferden wirkt sie nach übereinstimmender Auffassung nicht.
Diagnostik
Bornavirus-DNA läßt sich mittels RT-PCR in Heparinblut oder Gewebeproben
nachweisen. Die Methode ist aber sehr anfällig für Kontaminationen, was manche Autoren veranlaßt, an den Studien der jeweiligen Konkurrenz dicke Fragezeichen anzubringen (Lieb 1998*). Serologische Methoden des Antikörpernachweises existieren zwar, werden aber nur von wenigen spezialisierten Labors angeboten und leiden noch unter sehr schlechter Standardisierung.
Therapie
Liv Bode publizierte 1997 die erste Kasuistik, die den Wert von Amantadin-Sulfat
zu belegen scheint. Dieses Medikament ist ein alter Bekannter, denn seit Jahren
wird es in der Therapie des Morbus Parkinson eingesetzt. Außerdem weiß man, daß
es gegen Influenza-Viren wirksam ist. Spannend, aber noch unbeantwortet, ist
die Frage, warum dieses Medikament bei so gegensätzlichen Indikationsgebieten
wirkt. Nach Bode wirkt es auch in der Borna-infizierten Zellkultur virustatisch, ein
Befund, dem von anderen Autoren widersprochen wurde.
* Es fällt uns schwer, zu glauben, daß in mehreren großen Studien ausschließlich falsch-positive Ergebnisse
durch kontaminierte Proben gefunden worden sein sollen; genauso gut könnte man den Kritikern unterstellen, daß sie die PCR nicht beherrschten
110
BORNAVIRUS-INFEKTIONEN: THERAPIE
Zugegeben, es wäre phantastisch, könnte man chronische Krankheitsbilder wie
die Cyclothymie und andere Formen oft therapierefraktärer Depressionen auf so
einfache (und unglaublich billige!) Weise und zudem kausal behandeln. Doch
Zweifel bleiben derzeit noch, denn größere, kontrollierte Studien existieren bisher
nicht. Es sollte allerdings ein Leichtes sein, in derartigen Studien die Wirksamkeit
der Substanz zu belegen, wenn sie denn vorhanden ist. Volkswirtschaftlich (und
natürlich aus der Sicht der betroffenen Patienten!) gesehen, wäre es eine faszinierende Perspektive, könnte man Hospitalisationen und jahrelange, oft frustrierende Therapieversuche durch einen vierwöchigen Zyklus von Amantadin ersetzen.
Wir neigen derzeit aufgrund der Datenlage eher dazu, die ätiologische Rolle des
Bornavirus zumindest für ein Teilkollektiv bestimmter psychiatrischer Erkrankungen zu akzeptieren, glauben aber, daß sicher nicht die Mehrzahl der entsprechenden Fälle hierdurch erklärbar sein kann. Schließlich spricht die schlichte Epidemiologie gegen eine so einfache, monokausale Erklärung, zumal schwere Depressionen und Cyclothymien ja wirklich nicht auf Deutschland und die Schweiz
beschränkt sind. Dennoch: Wir sind gespannt!
111
BORNAVIRUS-INFEKTIONEN: LITERATUR
Ausgewählte Literatur:
Abildgaard P.C.: Pferde- und Vieharzt in einem kleinen Auszuge; oder, Handbuch von den gewöhnlichsten
Krankheiten der Pferde, des Hornviehes, der Schafe und Schweine, sammt der bequemsten und
wohlfeilesten Art sie zu heilen. Zum Gebrauch des Landmanns. Original in dänisch, übersetzte
Nachdrucke bei Faber & Nitschke, Kopenhagen – Leibzig 1784, sowie bei Johann Thomas Edler
von Trattnern, Wien 1785.
Bechter K. et al.: Borna disease virus: possible causal agent in psychiatric and neurological disorders in
two families. Psychiatr Res 1992; 42: 291-294.
Bechter K. et al.: Investigations of cerebrospinal fluid in Borna virus seropositive psychiatric patients.
European Psychiatry 1995; 10: 250-258.
Bode L.: Human infections with Borna disease virus (BDV) and potential pathogenic implications.
Curr Topics Micobiol Immunol 1995; 190: 103-130.
Bode L. et al.: Borna virus genome transcribed and expressed in psychiatric patients.
Nature Med 1995; 1: 232-236.
Bode L. et al.: First isolates of infectious human Borna disease virus from patients with mood disorders.
Molecular Psychiatry 1996; 1: 200-212.
Bode L. et al.: Amantadine and human Borna disease virus in vitro and in vivo in an infected patient
with bipolar depression. Lancet 1997; 349: 178-179.
Bouwinghausen von Wallmerode F.M.: Abhandlung über die im nördlichen Teutschland ausgebrochene
Pferdeseuche, welche sich durch die übrige teutsche Provinz zu verbreiten beginnt.
Selbstverlag, Stuttgart 1805.
Fu Z.F. et al.: Detection of Borna virus reactive antibodies from patients with affective disorders by
western immunoblot technique. J Affect Disord 1993; 27: 61-68.
Gosztonyi G., Ludwig H.: Borna disease-neuropathology and pathogenesis.
Curr Top Microbiol Immunol 1995; 190: 39-73.
Kitze B. et al.: No evidence of Borna disease virus-specific antibodies in multiple sclerosis patients in
Germany. J Neurol 1996; 234: 660-661.
Lieb K. et al.: Borna-Disease-Virus und psychiatrische Erkrankungen: Fakt oder Artefakt?
Dtsch Med Wochenschr 1998; 123: 1217-1218.
Ludwig H. et al.: Borna disease: a persistent virus infection of the central nervous system.
Prog Med Virol 1988; 35: 107-151.
Richt J.A. et al.: Borna disease virus infection in animals and humans.
Emerging Infect Dis 1997; 3 (3); (Internet: www.cdc.gov/ncidod/EID).
Richt J.A. et al.: Failure to associate human psychiatric disorders with Borna virus infection.
J Neurovirol 1997; 3: 174-178.
Rott R., Brecht H.: Detection of serum antibodies to Borna disease virus in patients with psychiatric disorders. Science 1985; 228: 755-756.
Rott R., Brecht H.: Natural and experimental Borna disease in animals.
Curr Top Micobiol Immunol 1995; 190: 17-30.
Salvatore M. et al.: Borna disease virus in brains of North American and European people with schizoprenia and bipolar disorder. Lancet 1997; 349: 1813-1814.
Stitz L. et al.: Immunopathogenesis of Borna disease. Curr Top Microbiol Immunol 1995; 190: 75-92.
de la Torre J.C. et al.: Detection of Borna disease virus antigen and RNA in human autopsy brain samples
from neuropsychiatric patients. Virology 1996; 223: 272-282.
Zwick W.: Borna’sche Krankheit und Encephalomyelitis der Tiere. In: Gildemeister E. et al. (Hrsg.):
Handbuch der Viruserkrankungen, pp. 252-354. Gustav Fischer, Jena 1939.
112
HANTAVIREN
7 MÄUSEURIN UND WÜSTENSTAUB –
EINE TÖDLICHE MISCHUNG:
HANTAVIREN
Dieter Hassler
I m April 1993 traten unter den Navajo-Indianern im Gebiet der «Four corners»
im Südwesten der USA rätselhafte Erkrankungen auf. Die Betroffenen, meist
junge, trainierte Erwachsene, erkrankten zunächst an uncharakteristischen Allgemeinsymptomen. Schließlich trat innerhalb von Stunden eine dramatische
Verschlechterung ein. Die Lungen füllten sich mit Sekret, der Gasaustausch war
nicht mehr möglich, und trotz aller Therapieversuche starben die meisten unter
dem Bild eines akuten Lungenversagens. Elf Tote waren in kurzer Zeit zu beklagen.
Wegen der ungeheuren Dramatik des Krankheitsbildes war den behandelnden
Ärzten in den lokalen Krankenhäusern schnell klar, daß sie etwas völlig Neues
beobachteten. In den Sekreten aus dem Bronchialsystem der Erkrankten waren
keine Bakterien zu finden, die serologischen Verfahren zeigten keine Hinweise auf
bekannte Viren. So rief man die Spezialisten der Centers for Disease Control (CDC)
in Atlanta zu Hilfe. Mit bis dahin beispiellosem Aufwand wurde nun nach dem
Erreger geforscht. Unterdessen klang die Epidemie langsam ab.
Wenige Wochen später meldeten die CDC einen ersten Erfolg: Man hatte gefunden, daß im Serum der Erkrankten Antikörper vorhanden waren, die schwach
mit Hantaviren, die aus anderen Teilen der Welt bekannt waren, reagierten.
Fieber, Blutungen und Nierenversagen
Hantavirus-bedingte Erkrankungen erlangten erste traurige Berühmtheit während des Korea-Krieges. Damals erkrankten Tausende amerikanischer und koreanischer Soldaten. Hunderte starben. Klinisch war die Erkrankung geprägt von
Fieber und Haemorrhagien, gleichzeitig war eine renale Beteiligung mit deutlicher Einschränkung der Nierenfunktion bis zum Nierenversagen augenfällig. Das
Krankheitsbild wurde als Koreanisches haemorrhagisches Fieber (KHF) bezeichnet. Der verantwortliche Erreger war damals aber noch völlig unbekannt und
konnte erst 1976 von Lee isoliert werden. Er wurde nach dem Grenzfluß zwischen
113
HANTAVIREN UND KRIEGSNEPHRITIS
Nord- und Südkorea, dem Hantaan, benannt und war damit der Prototyp einer
neuen Erregergruppe.
Retrospektiv kann man nachvollziehen, daß auch etwa 10 000 deutsche
Soldaten, die während des zweiten Weltkriegs in Finnland an einer Nephropathia
epidemica erkrankt waren, Opfer der damals noch völlig unbekannten Hantaviren
waren (Stuhlfaut 1943). Man hatte einen Zusammenhang mit Mäusen und Lemmingen vermutet, die nach der Schneeschmelze massenhaft in den Bunkern und
Unterständen aufgetaucht waren, glaubte aber damals zunächst an LeptospiroseErkrankungen. Viele der Nager wurden eingefangen und per Lufttransport nach
München und Berlin geschafft, um sie dort untersuchen zu können. Trotz aufwendiger Suche konnte man keine Leptospiren finden. Stuhlfaut resümierte damals, es
müsse sich um ein neues, bisher nichtbeschriebenes Krankheitsbild handeln.
Als man in jüngster Zeit alten Quellen mehr Aufmerksamkeit widmete, stieß man
in vielen Ländern auf Berichte, die von früheren Hanta-Ausbrüchen Zeugnis ablegen. Im ersten Weltkrieg gab es Tausende von Erkrankungen mit Nierenbeteiligung, die man zu beiden Seiten der Front erkannte. In Frankreich wurde das
Krankheitsbild «Nephrite de Guerre», in Deutschland «Kriegsnephritis» genannt.
(Clement 1997).
Die Nephropathia epidemica findet sich schon in Berichten aus Schweden aus dem
Jahre 1934 (Myhrman 1934, Zetterholm 1934), das «Lemmingfieber» ist in manchen Gegenden Skandinaviens Bestandteil fester Überlieferungen. Auch in verschiedenen Gegenden Rußlands existieren alteingeführte Namen für Hantavirusassoziierte Erkrankungen.
Während des Vietnamkrieges waren Hantaviren und die von ihnen ausgelösten
Erkrankungen wiederum ein großes Problem. Hunderte von Soldaten erkranktem am Haemorrhagischen Fieber mit renalem Syndrom (HFRS). In der Folgezeit
wurden weitere Hantaviren entdeckt, und einiges spricht dafür, daß bei systematischer Suche in Nagerarten weltweit noch viele Hantaviren der Enttarnung harren.
Heute rechnet man weltweit mit ca. 200000 hospitalisierungspflichtigen Hantavirus-Erkrankungen und mehreren tausend Todesfällen pro Jahr. Die weitaus
meisten treten in China auf, gefolgt von Korea. Aber auch Finnland meldet Jahr
für Jahr etwa tausend Erkrankungen, die Balkanstaaten mehrere hundert.
114
HANTAVIREN UND NAGETIERE
Was sind Hantaviren?
Hantaviren bilden eine eigene Gruppe innerhalb der Familie der Bunyaviridae,
einer großen Gruppe, zu denen auch die Phleboviren (Beispiel: Sandfliegenfieber,
siehe Kapitel 9.5), Rift-Valley- und Krim-Kongo-Fieber zählen. Im Gegensatz zu den
anderen Vertretern der Familie werden sie aber nicht durch Vektoren übertragen.
Reservoire der Hantaviren
Alle Hantaviren haben eine enge Beziehung zu jeweils einer bestimmten Rattenoder Mäuseart. Die Nager erkranken durch die verschiedenen Virustypen offensichtlich nicht ernsthaft, sie scheiden aber große Mengen des Virus in ihrem Urin
aus. Trocknet nun der Mäuseurin, so kann ein virushaltiges Aerosol entstehen,
das hochinfektiös ist. So sind beispielsweise Soldaten unter Manöverbedingungen
besonders gefährdet (Clement 1996). Bei einigen der Infektionen in Deutschland
konnte es wahrscheinlich gemacht werden, daß die Infektion beim Rasenmähen
akquiriert wurde. Gefährdet sind generell Personen, die an stark von Mäusen frequentierten Plätzen mit Staub in Kontakt kommen.
Abbildung 25: Die Hirschmaus: Das Reservoir des amerikanischen «Sin-Nombre-Virus»
115
HANTAVIREN: ÜBERSICHT
Virustyp
Reservoir
Erkrankung
Verbreitung
Puumala
Rötelmaus
Nephropathia epid.
Nord-/Mitteleuropa
HFRS, KHF
oft schwere Verläufe
Süd-/Ostasien
Südosteuropa
HFRS, KHF
mildere Verläufe
Weltweit
HFRS
schwere Verläufe
Südosteuropa
Apodemus flavicollis
Feldmaus
apathogen?
Osteuropa
Clethrionomys glareolus
Hantaan
Brandmaus
Apodemus agrarius
Seoul
Wanderratte
Rattus norvegicus
Dobrava (Belgrad)
Tula
Gelbhalsmaus
Microtus arvalis
Four Corners
Hirschmaus
(= Sin Nombre)
Peromyscus maniculatus
HV-Lungensyndrom
(HPS)
USA, Kanada
(> 200 Fälle)
Bayou
Reisratte
HPS
USA (Louisiana)
(bisher 3 Fälle)
HPS
Florida
(bisher 1 Fall)
unbekannt,
wohl apathogen
USA
unbekannt
(Lemming-Fieber?)
Sibirien
Lemmus sibiricus
Oligorhizomys longicaudatus
HPS
Argentinien, Chile
(bisher 33/44 Fälle)
HPS
Brasilien
(3 Fälle 1993)
HPS
Paraguay
(23 Fälle 1995)
milder Verlauf
aber auch HPS
Argentinien
(bisher 11 Fälle)
unbekannt
Mittelamerika
Oryzomys palustris
Black creek canal
Baumwollratte
Sigmodon hispidus
Prospect Hill
Feldmaus
Microtus pennsylvanicus
Topografov
Andes
Lemming
Juquitiba
Laguna negra
Calomys laucha
Lechiguanas
Rio Segundo
Reithrodontomys mexicanus
Tabelle 3: Hantaviren, Reservoire und Erkrankungen (nach Schmaljohn 1997)
116
HANTAVIREN: ERKRANKUNGEN
DIE EINZELNEN KRANKHEITSBILDER
Nephropathia epidemica
Die verschiedenen Virustypen der Hanta-Gruppe sind sehr unterschiedlich pathogen. Am «harmlosesten» erscheinen uns heute die Typen wie etwa das PuumalaVirus, die für die Nephropathia epidemica verantwortlich sind. Typ Puumala kommt
vor allem in Nord- und Mitteleuropa vor. Bei der sehr selten letalen Form kommt es
zu einer vorwiegend renalen Symptomatik mit in der Regel passagerer Beeinträchtigung der Nierenleistung. Bei einem Drittel der Betroffenen steigt das Kreatinin über 4,5 mg/ml an.
Blutungskomplikationen sind selten, wenngleich eine Thrombozytopenie regelhaft beobachtet wird. Ein Anstieg der Leberenzyme wird bei 40% beobachtet, eine
akute Myopie zwar nur bei 25%, das Symptom ist aber pathognomonisch, da es
in dieser Form bei keiner anderen Erkrankung beobachtet wird.
Wahrscheinlich werden diese auch in Deutschland auftretenden Erkrankungen
häufig als Sommergrippe mißdeutet und daher in der Regel nicht als Hanta-Infektion erkannt. Dies wird beispielsweise dadurch gestützt, daß in manchen Gegenden Deutschlands bei bis zu 3% der Bevölkerung Antikörper gefunden wurden (Zöller 1995). Aber auch das Puumala-Virus kann Komplikationen auslösen: Gelegentlich werden die Erkrankten vorübergehend dialysepflichtig; bei einer kleinen
Epidemie im Raum Aschaffenburg Anfang der neunziger Jahre (8 Erkrankte) gab
es auch einen Fall mit einer Encephalitis, die zunächst klinisch als akute Psychose
imponierte (Bartmann, pers. Mitteilung).
Mehrere Ausbrüche unter Soldaten wurden bekannt, so eine Kleinepidemie im
Raum Ulm, als 16 von 177 Angehörigen einer US-Einheit nach einem Manöver
erkrankten (Clement 1996).
Der Typ Seoul, dessen Hauptreservoir Wanderratten sind, hat eine weltweite Verbreitung, die Erkrankung läuft ähnlich wie Puumala-Infektionen.
117
HANTAVIREN: HFRS
Haemorrhagisches Fieber mit renalem Syndrom (HFRS)
Die Typen Hantaan und Dobrovo («Belgrad») stehen für aggressivere Krankheitsverläufe, die oft mit dialysepflichtigem Nierenversagen und Blutungskomplikationen vergesellschaftet sind. Typischerweise verläuft das HFRS in fünf Stadien:
Fieber, Hypotension, Oligurie, Diurese, Rekonvaleszenz (Schmaljohn 1997). Der Beginn ist abrupt, intensive Muskelschmerzen, Fieber und Schüttelfröste sind fast
obligat. Auch beim HFRS gehören Augenschmerzen, akute Myopie und konjunktivale Injektion zu den klassischen Befunden. Die Blutungskomplikationen treten
meist bereits in der Fieberphase um den vierten Tag auf. Durch ein «capillary-leaksyndrome» kann es zu profusen Flüssigkeits- und Blutverlusten kommen. Die Letalität beträgt heute noch immer 5-10%.
Abbildung 26: Flächige Hauteinblutungen bei Hantavirus-assoziierter Gerinnungsstörung
In Einzelfällen kann es beim HFRS auch zu einer Lungenbeteiligung kommen
(Stuart 1996). 1998 wurde erstmals über eine schwer verlaufende Erkrankung
aus Ostdeutschland berichtet, für die ein Virus vom Typ Dobrovo verantwortlich
war.
118
HANTAVIREN IN NORDAMERIKA
Hanta-assoziiertes pulmonales Syndrom (HPS):
Was macht ein Hantavirus in der Lunge?
Die neuentdeckten nordamerikanischen Virustypen taten etwas völlig Neues.
Während alle anderen Varianten das klassische renale Syndrom verursachten,
war nun erstmals die Lunge massiv involviert, die Nieren schienen weniger betroffen. Nach unspezifischen Allgemeinsymptomen tritt (siehe auch oben) abrupt
ein Lungenödem auf, die Lunge füllt sich mit Sekreten, ein akutes Lungenversagen
ist die Folge. Auch bei sofort einsetzender Intensivtherapie liegt die Letalität bei
mehr als 40%.
Bisher ist ungeklärt, weshalb es bei dieser Variante zu einem solch massiven Befall
der Lunge und weniger zum hantatypischen HFRS kommt. Das atypische Krankheitsbild führte innerhalb der Navajo-Nation zu Befürchtungen, daß ein modifiziertes Virus aus der militärischen Forschungsanlage Fort Wingate freigesetzt
worden sein. In aufwendigen epidemiologischen Untersuchungen konnte dies
aber ausgeschlossen werden. Seit 1993 wurden mehrere hundert HantavirusErkrankungen in 29 Bundesstaaten der USA gemeldet. Feldforschungen an verschiedenen Nagerarten zeigten, daß (bisher!) vier Subtypen des Virus in verschiedenen Nagern existieren.
Der Typ Four Corners (= Sin-Nombre-Virus; SNV) entspricht dem klassischen Virusisolat. Er ist in den USA mit Ausnahme der Ostküste verbreitet, der Typ Bayou
kommt nur an der Ostküste vor. Bei diesem Typ ist das Krankheitsbild eine Mischung aus HFRS und HPS, sowohl Lunge als auch Niere sind involviert. Typ
Black creek canal wurde in Florida aus der Baumwollratte Sigmodon hispidus isoliert.
Erstaunlicherweise wurden bisher bei den nordamerikanischen Fällen keine
sekundären Krankheitsfälle beobachtet, obwohl die Angehörigen und Ärzte teilweise recht intensiven Kontakt mit den Erkrankten hatten. Eigentlich kaum verständlich, daß ein Virus auf der einen Seite eine so hohe Umweltresistenz hat, daß
es über Wüstenstaub übertragen werden kann, und andererseits nicht durch
direkten Kontakt über Körpersekrete übertragbar sein sollte. Dennoch, eine Lektion aus der bisherigen Erforschung der «Four-corners-disease» lautete übereinstimmend: Bei Hantaviren weiterhin keine Hinweise auf Übertragung von Mensch zu
Mensch. Dieser Glaube sollte bald nachhaltig erschüttert werden.
119
HANTAVIREN IN SÜDAMERIKA
Abbildung 27: Hantavirus-Lungen-Syndrom (HPS)
Immunhistochemische Darstellung von Hantavirus-Antigen (rötliche Komplexe) in den
Lungenkapillaren.
Taxi nach Buenos Aires: Der Tod fährt mit
El Bolson ist eine Kleinstadt im Süden Argentiniens am Ostrand der Anden, «in the
middle of nowhere». Das Städtchen hat etwa 15000 Einwohner und ein kleines
Provinzkrankenhaus. Hier wurde 1995 ein Patient eingeliefert, der an einem
Krankheitsbild litt, das dem Hantavirus-Lungensyndrom stark ähnelte. Er verstarb kurz darauf im Lungenversagen. Aufmerksame Ärzte, die die Berichte über
die nordamerikanischen Erkrankungen kannten, veranlaßten eine gezielte Suche
nach einem ähnlichen Virus und wurden fündig (Lopez 1996). Zunächst schien
dies ein Einzelfall und wurde lediglich als Beweis verstanden, daß eben auch Südamerika seine Hantaviren hat.
Doch 1996 kam es zu einer ganzen Serie von Erkrankungen, die extrem gut dokumentiert werden konnte. Der «Index case» trat wiederum in El Bolson auf. Da das
örtliche Krankenhaus keine Intensiveinheit hat, verlegte man ihn in das 150 km
entfernte Bariloche. Genau 20 Tage später erkrankte die Mutter des Patienten,
120
HANTAVIREN: HPS
einen Tag später sein Hausarzt, der wenig später starb. Wiederum etwa 20 Tage
nach dessen Erkrankungsbeginn entwickelte dessen Ehefrau die ersten Symptome. Sie reiste sofort nach Buenos Aires, um dort medizinische Hilfe zu suchen.
Die diensthabende Ärztin untersuchte sie. Auch diese erkrankte 24 Tage nach diesem einzigen Kontakt mit der Patientin, die zu diesem Zeitpunkt noch keine Lungensymptome entwickelt hatte. Doch das war bei weitem noch nicht alles: Ein
weiterer Arzt des Krankenhauses in Buenos Aires, der keinen direkten Körperkontakt mit einem der Erkrankten hatte, entwickelte 17 Tage nach Einlieferung der
Patientin ein HPS. Ein anderer Arzt, der einen der Erkrankten intubiert hatte, infizierte sich ebenfalls. Und noch immer ging es weiter: Die Haushälterin einer der
beiden Ersterkrankten hatte wie zwei weitere Kontaktpersonen Symptome entwickelt und reiste zusammen mit diesen mit einem Taxi ebenfalls nach Buenos
Aires. Drei Wochen später erkrankten drei weitere Personen, die später dieses Taxi
benutzt hatten, aber mit den Patienten nicht direkt in Kontakt gekommen waren!
Insgesamt wurden, ausgehend von einem einzigen Fall, 20 Patienten infiziert,
von denen die Hälfte starb (Wells 1997).
Diese Hantavirus-Variante erwies sich also als hochkontagiös, schwere Epidemien
wären ohne weiteres denkbar. Die Inkubationszeit von etwa 20 Tagen ließe es vor
allem zu, daß dieses Virus auch interkontinental mit Flugzeugen verbreitet
würde. Ein verseuchtes Taxi kann man ja notfalls «thermisch entsorgen», man
muß sich aber einmal vorstellen, daß ein Jumbo etwa 400 Fluggäste nach Europa
brächte, unter denen ein Infizierter das Virus mit Hilfe der Klimaanlage verstreuen würde. Alle reisen wie geplant weiter an ihre unterschiedlichen Ziele. Dann
treten scheinbar zufällig an den verschiedensten Orten diese Erkrankungen auf.
Niemand rechnet mit einer Gefahr, bis der Zusammenhang erkannt wird, vergehen Wochen. Intensivbetten mit Isolierungsmöglichkeiten unter L3-Bedingungen gibt es so gut wie nicht. Erinnern Sie sich an die Pest im Mittelalter?
Inzwischen sind auch in anderen Ländern Südamerikas neue Hantaviren entdeckt worden, die teilweise Kleinepidemien verursacht haben. Mit einer gewissen
Wahrscheinlichkeit gab es auch hier Übertragungen von Mensch zu Mensch,
wenngleich diese Hinweise nicht so stringent sind (Peters 1998).
121
HANTAVIREN UND EL NIÑ0
El Niño - das Christkind
Warum aber taucht so ein Hantavirus plötzlich auf, wütet eine kleine Weile, und
ist dann wieder für Jahre verschwunden? Die Ursache für den amerikanischen
Ausbruch 1993/94 war recht trivial und trotzdem überraschend. 1993 war ein
sogenanntes «El-Niño-Jahr». In den Wüstengebieten hatte es in den Wintermonaten stark geregnet, und die Wüste blühte und fruchtete wie selten zuvor.
Abermillionen von nahrhaften Samen wurden gebildet, und die im Gebiet weitverbreiteten Hirschmäuse (Peromyscus maniculatus) fanden reiche Nahrung. Die
Folge war eine explosionsartige Vermehrung. So stieg die Besatzdichte der Wüstenmäuse und mit ihr die Durchseuchung mit dem «neuen», gleichwohl seit Urzeiten
hier endemischen Hantavirus.
Der mit Viren durchsetzte Urin der Tiere trocknete im Wüstenstaub und wurde als
Aerosol verweht. So konnte der hochgradig gegen Umwelteinflüsse resistente
Erreger seine menschlichen Opfer infizieren.
Eine Impfstoffentwicklung wurde begonnen, wegen anderer, profitabler erscheinender Projekte von der Pharmaindustrie jedoch nicht weiterverfolgt. Man wiegte sich in Sicherheit, weil die 93er Epidemie so schnell wieder abgeebbt war.
Mehrere Hanta-Forscher sagten voraus, daß sich die Epidemie bei künftigen ElNiño-Jahren wiederholen könnte. 1997/98 war nun ein Super-El-Niño, der wiederum zu starken Niederschlägen in den ariden Gebieten des amerikanischen
Südwestens führte. Und, wie vorausgesagt, kam das Hantavirus wieder.
Hardy Haceesa war sein erstes aktuelles Opfer. Der junge Navajo wurde Mitte April
in eine örtliche Klinik eingeliefert und starb am 28.4. im Lungenversagen. Auch
1998 steht weder eine prophylaktische Impfung noch eine wirksame Therapie
zur Verfügung. Nun fordern die Medien in den USA, daß endlich etwas geschieht
(Quelle: USA Today, Juni 1998).
122
HANTAVIREN: DIAGNOSTIK
Diagnostik der Hantaviren
Serologische Verfahren wurden in verschiedenen Formaten etabliert (Immunfluoreszenz-Test, ELISA-Test). Zu beachten ist, daß die verschiedenen Virusvarianten serologisch unterschiedlich kreuzreagieren können. In der Standarddiagnostik werden meist die Typen Hantaan, Puumala und Belgrad eingesetzt. Die
Untersuchung wird von fast allen kommerziellen Labors angeboten.
Abbildung 28: Indirekter Immunfluoreszenz-Test mittels infizierter Vero-E 6-Zellen
Die positive Reaktion ist am intensiv grüngelben Leuchten erkennbar.
123
HANTAVIREN: LITERATUR
Ausgewählte Literatur:
Chen H.X. et al.: Epidemiologic studies on hemorrhagic fever with renal syndrome in China.
J Infect Dis 1986; 154: 394-398.
Clement J. et al.: The Hantaviruses of Europe: From the bedside to the bench.
Emerging Infect Dis 1997; 3 (2); (Internet: www.cdc.gov/ncidod/EID).
Clement J. et al.: Hantavirus-outbreak during military manoeuvres in Germany. Lancet 1996; 347: 336.
Gärtner L., Emmerich P, Schmitz H.: Hantavirus-Infektionen als Ursache von akutem Nierenversagen.
Dtsch Med Wochenschr 1998; 113: 937-940.
Gligic A. et al.: Belgrade virus: a new hantavirus causing severe hemorrhagic fever with renal syndrome
in Yugoslavia. J Infect Dis 1992; 166: 113-120.
Grady D.: Death at the corners. Discover 12/93, 82-91.
Ksiazek T.G. et al.: Identification of a new North American hantavirus that causes acute pulmonary
insufficiency. Am J Trop Med Hyg 1995, 117-123.
Lee H.W. et. al.: Isolation of the etiological agent of the Korean haemorrhagic fever.
J Infect Dis 1978; 137: 298.
Lopez N. et al.: Genetic identification of a new hantavirus causing severe pulmonary syndrome in
Argentina. Virology 1996; 222: 223-226.
Myhrman G.: A renal disease with particular symptoms. Nordisk Medicinsk Tidskrift 1934; 7: 793-794.
Niklasson B., LeDuc J.: Epidemiology of nephropathia epidemica in Sweden.
J Inf Dis 1986; 154: 269-276.
Peters C.J.: Hantavirus pulmonary syndrome in the Americas. In: Scheld W.M.et al.: Emerging infectious
diseases 2, pp. 17-64. ASM Press, Washington DC 1998 (enthält die gesamte neuere Literatur).
Schmaljohn C., Hjelle B.: Hantaviruses: A global Disease Problem.
Emerging Infect Dis 1997; 3 (2); (Internet: www.cdc.gov/ncidod/EID).
Stuart L.M. et al.: A soldier in respiratory distress. Lancet 1996; 347: 30.
Stuhlfaut K.: Bericht über ein neues schlammfieberähnliches Krankheitsbild bei deutschen Truppen in
Lappland. Dtsch Med Wochenschr 1943; 474-477.
Wells R.M. et al.: An unusual hantavirus outbreak in southern Argentina: Person to person transmission? Emerging Infect Dis 1997; 3 (2); (Internet: www.cdc.gov/ncidod/EID).
Williams R. et al.: Hantavirus pulmonary syndrome in western Paraguay.
Am J Trop Med Hyg 1996; 55 (Suppl.): Abstract 30.
Zetterholm S.G.: Akuta nefriter simerulande akuta bukfall. Svenska Lakartidningen 1934; 31.
Zöller L. et al.: Seroprevalence of hantavirus antibodies in Germany as determined by a new recombinant
enzyme immunoassay. Eur J Clin Microbiol Infect Dis 1995; 14: 305-313.
Zöller L., Krüger D.H.: Hantaviren: Neue Infektionserreger mit wachsender Bedeutung.
Die gelben Hefte 1996; 36: 31.
124
ARENAVIREN
8 DIE FOLGEN MODERNER LANDWIRTSCHAFT:
ARENAVIREN
Dieter Hassler
I n den fünfziger Jahren unseres Jahrhunderts traten im Umfeld der argentini-
schen Stadt Junin neuartige Erkrankungen auf. Die Klinik war geprägt von hohem
Fieber und grippeartigen Allgemeinsymptomen, komplizierend kamen ähnlich
wie beim Dengue-haemorrhagischen Fieber innere und äußere Blutungen hinzu.
Die Letalität war mit 15-30% ausgesprochen hoch. Die zuerst Betroffenen waren
meist Landarbeiter, im weiteren Verlauf griffen die Epidemien auch auf die Stadtbevölkerung über. Die Krankheit trat auf, als in der regionalen Landwirtschaft die
ersten Mähmaschinen eingesetzt wurden. Später hat man vermutet, daß beim
Einsatz dieser Maschinen gelegentlich Mäuse in die Mähwerke geraten sind und
so ein infektiöses Aerosol entstand. So konnte das Virus die Menschen infizieren.
Die Erkrankung wurde Argentinisches haemorrhagisches Fieber (AHF) genannt.
Alsbald konnte das verantwortliche Virus isoliert werden, es wurde nach dem Ort
seines ersten (bemerkten) Auftretens als Junin-Virus bezeichnet.
Abbildung 29: Aus einer Zelle aussprossende Arenaviren (dunkle Punkte)
125
ARENAVIREN: VERBREITUNG
Ähnliches geschah im Osten Boliviens, wo Anfang der sechziger Jahre verheerende Epidemien des Bolivianischen haemorrhagischen Fiebers (BHF) zu Tausenden
von Erkrankungen und mehreren hundert Todesfällen in einigen Kleinstädten
führten. Es war geradezu auffallend, daß diese Erkrankung nicht aus dem Regenwald selbst zu kommen, sondern an die Siedlungen gebunden schien. Manche dieser Kleinstädte wurden wegen der Häufung von Erkrankungen vorübergehend
aufgegeben, bis man die Ursache der Seuche erkannte und seuchenhygienische
Gegenmaßnahmen einleiten konnte. Der Erreger, das Machupo-Virus, wurde in
einer einheimischen Mäuseart gefunden, die sich gut an die Siedlungen in Rodungsinseln im Regenwald angepaßt hatte (Kuns 1965).
Zunächst dachte man, das verantwortliche Virus sei nicht direkt von Mensch zu
Mensch übertragbar, und isolierte die Kranken nicht. 1971 wurde der unfreiwillige Beweis erbracht, daß die Direktübertragung sehr wohl möglich ist. Eine hospitalisierte Patientin steckte zwei Verwandte und zwei Pflegekräfte an. Drei dieser
Personen starben. Auch ein Pathologe, der sich während der Autopsie mit einem
Skalpell verletzt hatte, starb kurz danach am BHF (Peters 1974).
Nachdem man in den sechziger Jahren die ersten Epidemien erlebt hatte, wurde
in den Endemiegebiete Boliviens ein konsequentes Mäusebekämpfungsprogramm
entwickelt und umgesetzt, wobei die Hauptlast auf den Schultern der (immunen!)
Überlebenden der früheren Epidemien ruhte (Mercado 1975). So gelang es, für
lange Zeit das Machupo-Virus in die Schranken zu weisen. Im Laufe der Jahre verlor sich das Wissen um die Gefährlichkeit des Erregers und die Wachsamkeit ließ
wieder nach. 1994 kam der erste Flashback: Innerhalb einer Familie traten nach
einem einzigen Fall einer Primärinfektion sechs weitere Fälle auf (Kilgore 1995).
Weitere, sehr ähnliche Erkrankungen wurden inzwischen in Südamerika entdeckt: Das Venezolanische haemorrhagische Fieber (VHF), verursacht durch das
Guanarito-Virus, wurde eine Zeit lang wegen der klinischen Ähnlichkeit für Dengue
gehalten. Bei einem Ausbruch 1990 wurde die Entität erkannt.
Aber nicht nur Amerika ist Verbreitungsgebiet der Arenaviren. Der auch in Europa heimische Vertreter ist das LCM-Virus, Verursacher der Lymphozytären Choriomeningitis. Das LCM-Virus wurde bei einer Encephalitis-Epidemie 1933 in St. Louis
gefunden. Es ist weltweit verbreitet und konnte mit der Hausmaus (Mus musculus)
assoziiert werden.
126
ARENAVIREN: RESERVOIRE
Auch Afrika hat einen Vertreter der Arenaviren aufzuweisen: Das Lassa-Virus, 1969
bei einer Epidemie in Westafrika isoliert (Frame 1970), ist in den Endemiegebieten
als Ursache vieler Todesfälle gefürchtet. Besonders alarmiert war die Welt, als das
Lassa-Fieber nach Europa und Amerika eingeschleppt wurde, da nosokomiale
Infektionen, zum Beispiel bei Pflegekräften, nicht selten sind.
Viren und Reservoire
Heute sind mehr als zehn Viren aus der Gruppe bekannt, von denen aber nur
wenige als sicher humanpathogen eingestuft werden können. Alle sind an ein
definiertes Nagerreservoir gebunden (Tabelle 4). Die Nager bleiben chronisch infiziert und scheiden das Virus mit allen Körpersekreten aus (Johnson 1965).
C.J. Peters meint, daß bei entsprechender Suche in vielen amerikanischen Nagerarten noch Arenaviren gefunden werden können. Sie werden dem Menschen dann
gefährlich, wenn er mit den infizierten Nagern in Kontakt kommt. Auch hier zeigt
sich also (wie bei den Hantaviren, bei Bartonellen oder Rickettsien), daß eine Fülle
von Krankheitserregern in unserer Umgebung nur auf die Gelegenheit warten,
bei veränderten Umweltbedingungen oder Lebensgewohnheiten auch den Menschen zu infizieren.
Virustyp
Verbreitung
Reservoir
Junin-Virus
Argentinien Calomys musculinus
Impfstoff
ja
Klinik
Letalität
haem. Fieb. 15-30%
Machupo-Virus
Bolivien
Calomys callosus
nein
haem. Fieb.
25%
Guanarito-Virus
Venezuela
Zygontomys brevic
nein
haem. Fieb.
25%
Lassa-Virus
Westafrika
Mastomys natalensis
nein
haem. Fieb.
15%
LCM-Virus
weltweit
Mus musculus
nein
Meningitis
<1%
Tabelle 4: Verbreitung, Reservoire und Klinik der infektiösen Arenaviren
127
ARENAVIREN: KLINIK
Klinik
Die Inkubationszeit beträgt etwa 7-14 Tage. Alle Arenaviren (mit Ausnahme des
LCM-Virus) verursachen ein ähnliches Krankheitsbild. Wie bei anderen haemorrhagischen Fiebern folgen dem abrupten hochfieberhaften Beginn starke Muskelschmerzen, Abgeschlagenheit und Kopfschmerzen. In dieser Phase sind die
Arena-Infektionen von anderen Tropenerkrankungen kaum zu unterscheiden.
Nach etwa sieben Tagen kommt es zum «capillary-leak-syndrome» mit profusen
inneren und äußeren Blutungen. Die Letalität ist hoch, wenn nicht innerhalb von
sechs Tagen mit Ribavirin therapiert wird. Bei Infektion in der Schwangerschaft
kommt es sehr häufig zu Fehlgeburten (ca. 80%). Ein Teil der Infektionen führt zu
protrahierten Verläufen, oft mit Encephalopathien.
Für das Machupo- und das Lassa-Virus sind nosokomiale Infektionen (und somit
die Übertragung von Mensch zu Mensch) bewiesen.
Das LCM-Virus tanzt etwas aus der Reihe. Der Name des Virus leitet sich von der
Tatsache ab, daß bei Verstorbenen ausgeprägte mononukleäre Infiltrate im Plexus
chorioideus gefunden wurden. Die Erkrankung beginnt zunächst nach einer Inkubationszeit von 7-12 Tagen mit Fieber und Myalgien, Kopfschmerzen, Brechreiz
und Schwindel. Bei etwa 10% der Patienten kommt es nach einer vorübergehenden Besserung zu einer serösen, monozytär geprägten Meningoencephalitis, die
mit sehr heftigen Kopfschmerzen einhergeht, Die Prognose ist im meist gut, Todesfälle und Spätfolgen sind nach allgemeiner Auffassung sehr selten (Peters 1996).
Diese Meinung könnte etwas ins Wanken geraten. Hinweise mehren sich, daß in
einer erheblichen Anzahl der entzündlichen ZNS-Erkrankungen bei Kindern das
LCM-Virus verantwortlich ist (in Washington D.C. über 20 Jahre ca. 10%, Meyer
1960). Barton und Mitarbeiter (1995) berichteten über eine Serie von Totgeburten mit Hydrocephalus und anderen Mißbildungen nach kongenitaler Infektion.
Sie beklagen (sicherlich zu Recht), daß heute trotz guter und allgemein verfügbarer diagnostischer Möglichkeiten viel zu selten an das LCM-Virus gedacht wird.
128
ARENAVIREN: LITERATUR
Therapie
Ribavirin ist gegen alle Arenaviren, auch gegen das Lassa-Fieber wirksam. Es sollte zehn Tage intravenös gegeben werden. Im übrigen bleibt nur die symptomatische Therapie (Ersatz von Blut bzw. Gerinnungsfaktoren).
Prophylaxe
Generell kann nur die Vermeidung von Mäusekontakten bzw. deren Bekämpfung
in der Umgebung menschlicher Behausungen Erfolg versprechen. Eine Ausrottung der Reservoire ist illusorisch (Mercado 1975).
Nur für das Junin-Virus ist derzeit ein Impfstoff verfügbar. Er ist zu 95% protektiv.
Ausgewählte Literatur:
Ackermann R. et al.: Isolierung von Virus der lymphozytären Choriomeningitis aus Abrasionsmaterial
nach Kontakt der Schwangeren mit einem syrischen Goldhamster (Mesocricetus auratus).
Infection 1975; 3: 47-49.
Barton L.L. et al.: Lymphozytic Choriomeningitis Virus: An unrecognized teratogenic pathogen.
Emerging Infect Dis 1995; 1 (Nr 4).
Frame J.D. et al.: Lassa fever, a new virus disease of man from West Africa.
Am J Trop Med Hyg 1970; 19: 670-676.
Johnson K.M. et al.: Chronic infection of rodents by Machupo virus. Science 1965; 150: 1618-1619.
Kilgore P.E. et al.: Prospects for the control of Bolivian hemorrhagic fever.
Emerging Infect Dis 1995; 1 (Nr. 3).
Kuns M.L.: Epidemiology of Machupo virus infections: Ecological and control studies of hemorrhagic
fever. Am J Trop Med Hyg 1965; 14: 813-816.
MacKenzie R.B. et al.: Epidemic hemorrhagic fever in Bolivia: a preliminary report of the epidemiologic
and clinical findings in a new epidemic area in South Amerika.
Am J Trop Med Hyg 1964; 13: 620-625.
Mercado R.: Rodent control programmes in areas affected by Bolivian hemorrhagic fevers.
Bull WHO 1975; 52: 691-696.
Meyer H.M. et al.: Central nervous system syndromes of «viral» etiology: a study of 713 cases.
Am J Med 1960; 334-347.
Peters C.J. et al.: Hemorrhagic fevers in Cochabamba, Bolivia, 1971. Am J Epidemiol 1974; 99: 425-433.
Peters C.J.: Hemorrhagic Fevers: How they wax and wane. In: Scheld W.M. et al. (Eds.): Emerging
Infections I, pp. 15-25. ASM Press, Washington DC 1997.
Peters C.J.: Arenaviruses. In: Fields B.N. et al. (Eds.): Virology (3rd Edition), pp. 1521-1551.
Lippincott-Raven, Philadelphia – New York 1996.
129
PARAMYXOVIREN
9
AUSTRALISCHE PFERDE UND MALAIISCHE SCHWEINE:
DIE NEUEN PARAMYXOVIREN
Dieter Hassler
Tod im Pferdestall
I m Jahre 1994 wurde eine Stute aus einem anderen Stall nach Hendra in der
Nähe von Brisbane/Australien gebracht. Nach nur zwei Tagen verendete sie unter
dem Bild eines akuten Lungenversagens. Wenig später litten fast zwanzig Tiere an
dieser neuen Seuche. Die Tiere zeigten schwerste respiratorische Symptome und
starben schließlich ebenfalls am akuten Lungenversagen (Übersicht in Murray
1998). Kurz danach erkrankten ein Pferdetrainer und ein Stallgehilfe, der Trainer
starb nach wenigen Tagen.
Ein zweiter Ausbruch geschah fast zeitgleich im etwa 1000 km nördlich gelegenen Mackay, wurde aber erst mit Verzögerung erkannt, nachdem ein Farmer an
einer schweren, über ein Jahr laufenden Encephalitis gestorben war (Rogers 1996,
O’Sullivan 1997). Auch hier konnte die Übertragung durch den Kontakt mit zwei
erkrankten Pferden wahrscheinlich gemacht werden.
Das Hendravirus wird isoliert
Aus Gewebeproben von Pferden und Menschen wurde ein neues Paramyxovirus
isoliert, das zunächst als «Equine Morbilivirus», später als Hendravirus bezeichnet
wurde (Abbildung 30). Es besitzt eine Hülle und besteht aus Negativ-Strang-RNA.
Wegen einiger erheblicher Unterschiede zu den bisher bekannten Paramyxoviren
hat man eine neue Gattung «Megamyxovirus» vorgeschlagen.
Die lange Suche nach dem Reservoir
Lange hat man nach einem Reservoir des Hendravirus gesucht; Tausende von
unterschiedlichsten Tieren wurden gefangen, das Virus aber zunächst nirgends
gefunden. Schließlich weitete man die Suche auf «eher unwahrscheinliche»
Arten aus und wurde schließlich fündig. Flughunde, also große, fruchtfressende
Fledermäuse (Abbildung 30) beherbergen das Virus, ohne offensichtlich selbst zu
erkranken. Alle vier in Australien vorkommenden Pteropus-Arten dienen als Reservoir. Warum und wie es zu einer Übertragung auf Pferde und Menschen kom-
130
HENDRAVIRUS
men kann, ist bislang völlig ungeklärt. Sehr infektiös kann das Virus primär nicht
sein, denn selbst im Zoo von Sydney, der mitten in der Stadt liegt, gibt es große Kolonien von Flughunden, deren Hinterlassenschaften regelmäßig auf die Besucher
herabregnen. Überall in Australien werden diese Tiere außerdem in Zoos gehalten, und noch nie ist eine Erkrankung bei einem Tierpfleger beobachtet worden.
Abbildung 30: Links: Junger australischer Flughund
Rechts: EM-Aufnahme des Hendravirus
Eine Vero-Zelle wurde mit dem Virus-Isolat eines
Patienten aus Malaysia infiziert; sichtbar sind virale
Nucleokapside entlang der Membran.
Klinik
Das Hendravirus weist eine hohe Affinität zu Lungengewebe auf. Im Gegensatz zu
den verwandten Viren führt es bei Pferden und Menschen fast immer zu schweren Pneumonien mit nachfolgendem Lungenversagen. Nur ein Patient überlebte.
Auch in Tierversuchen konnte die Pneumonie regelmäßig reproduziert werden.
In bisher einem Fall kam es zur protrahierten Encephalitis mit tödlichem Ausgang.
131
MENANGLE- UND NIPAHVIRUS
Das Menanglevirus
1997/98 kam es zu einer auffallenden Häufung von Totgeburten in einer
Schweinezuchtanstalt in New South Wales. Nur noch 27% der Schweine wurden
lebend geboren. Aus den Kadavern wurden Proben genommen und untersucht.
In Lungen, Gehirn- und Herzgewebe konnte ein weiteres, zuvor unbekanntes
Paramyxovirus isoliert werden, das nun als Menanglevirus bezeichnet wird (Chant
1998, Philbey 1998). Auffallend bei dieser Epidemie war, daß außer den
Totgeburten keine Beeinträchtigung anderer Schweine jedweden Alters gefunden
wurden.
Nach Etablierung serologischer Testverfahren hat man auch die Arbeiter dieser
Schweinefarm untersucht, und bei zweien, die zuvor an einer grippeartigen
Erkrankung gelitten hatten, hochtitrige Antikörper gefunden. Da alle konkurrierenden Erkrankungen (soweit möglich) ausgeschlossen wurden, glaubt man, daß
diese Arbeiter an einer Menangle-Infektion gelitten haben.
Bei der sofort gestarteten Suche nach einem potentiellen Reservoir des Virus fand
man in wenigen hundert Meter Entfernung mehrere Kolonien von Flughunden.
Etwa 30% dieser pflanzenfressenden Großfledermäuse hatten Antikörper gegen
das neue Virus, ohne erkennbar krank zu sein. Die Art der Übertragung auf die
Schweine ist noch völlig unklar.
Das Nipahvirus
Ab September 1998 trat in Malaysia eine Serie von eigenartigen Erkrankungen
auf. Die Betroffenen entwickelten eine schwere Encephalitis, wurden komatös,
und mehr als 50% starben. Zunächst glaubte man an schwere Verläufe der in diesem Gebiet verbreiteten Japan-Encephalitis. Irgend jemand bemerkte dann, daß
einige der Erkrankten gegen Japan-Encephalitis geimpft waren, so daß diese
Diagnose ins Wanken geriet. Dennoch nahm man die Epidemie nicht besonders
ernst, bis immer mehr Schweinezüchter erkrankten und ein offensichtlicher
Zusammenhang zwischen der Beschäftigung mit erkrankten Schweinen und
menschlichen Erkrankungen erkannt wurde. Doch inzwischen wurden weitere
Artengrenzen übersprungen: Pferde und Hunde sind ebenfalls erkrankt. So
entschloß sich die Regierung, Experten der CDC und Australiens um Hilfe zu bitten. Gleichzeitig versuchte die malaiische Regierung, die Seuche durch das massenhafte Abschlachten von Schweinen in den Griff zu bekommen. Die Schlacht-
132
PARAMYXOVIREN: KLINIK
höfe wurden geschlossen, fast eine Million Schweine wurden getötet, in der Zwischenzeit sanken die Neuerkrankungsraten deutlich ab.
Eine erste Bilanz der CDC meldet insgesamt 257 Erkrankte in Malaysia und
Singapur und mehr als hundert Tote (CDC, MMWR 30.4.99). Fast alle hatten in
der Schweinezucht oder in Metzgereien gearbeitet und relativ engen Kontakt mit
dem Borstenvieh gehabt.
Ein Trost existiert: Eine direkte Übertragung von Mensch zu Mensch wurde bisher
nicht beobachtet. Vielleicht ist das aber nur ein glücklicher Zufall.
Das (nach der Region der Erstisolierung so benannte) Nipahvirus konnte aus
Lunge, Nieren, Milz und Herzgewebe erkrankter Tiere und verstorbener Menschen isoliert werden. Das ursprüngliche Reservoir ist unbekannt. Es gehört wie
auch das Hendravirus in die Gruppe der Paramyxoviren, deren prominenteste
Vertreter Masern- und Mumpsviren sind. Auffallend bei den neuen Paramyxoviren
ist ihre Fähigkeit, verschiedene Arten vom Schwein über Fledermäuse und Pferde
bis hin zum Menschen zu infizieren.
Klinik
Die Infektion wird durch Kontakt mit Körperflüssigkeiten infizierter Tiere ausgelöst. Besonders infektiös scheint die Plazenta zu sein. Die Inkubationszeit
beträgt nach bisheriger Kenntnis circa 14 Tage. Zunächst treten Fieber und Kopfschmerz auf, es folgt eine Encephalitis. Nach kurzer Zeit werden die Patienten verwirrt, schließlich komatös. Die Letalität ist sehr hoch.
Therapeutische Optionen existieren nicht, es gibt keinerlei wirksame Behandlung.
Typ
Vorkommen
Klinik
Verlauf
Hendravirus
Australien
Pneumonie, Encephalitis
schwer, teils letal
Menanglevirus
Australien
grippeartig
eher leicht
Nipahvirus
Malaysia
Encephalitis
schwer, 50% letal
Tabelle 5: «Neue» Paramyxoviren
133
PARAMYXOVIREN: LITERATUR
Ausgewählte Literatur:
CDC: Outbreak of Hendra-like virus—Malaysia and Singapore, 1998-1999.
MMWR 1999; 48(13): 265-269 (Internet: www.cdc.gov).
Chant K., Chan R., Smith M., Dwyer D.E., Kirkland P., the NSW Expert Group.: Probable human infection
with a newly described virus in the family Paramyxoviridae.
Emerging Infect Dis 1998; 4: 273-275.
Gibbs W.W.: Trailing a virus. Scientific American 1999; 281 (2): 80-87.
Hooper P.T., Gould A.R., Russell G.M., Kattenbelt J.A., Mitchell G.: The retrospective diagnosis of a second
outbreak of equine morbillivirus infection. Aust Vet J 1996; 74: 244-245.
Murray K., Eaton B., Hooper P., Wang L., Williamson M., Young P.: Flying foxes, horses, and humans: a
zoonosis caused by a new member of the Paramyxoviridae. In: Scheld W.M. et al.: Emerging
Infections I, pp. 43-58. ASM Press, Washington DC 1998.
Murray K., Rogers R., Selvey L., Selleck P., Hyatt A., Gould A., et al.: A novel morbillivirus pneumonia of
horses and its transmission to humans. Emerging Infect Dis 1995; 1: 31-33.
Murray K., Selleck P., Hooper P., Hyatt A., Gould A., Gleeson L, et al.: A morbillivirus that caused fatal
disease of horses and humans. Science 1995; 268: 94-96.
O’Sullivan J.D., Allworth A.M., Paterson D.L., Snow T.M., Boots R., Gleeson L.J., et al.: Fatal encephalitis
due to a novel paramyxovirus transmitted from horses. Lancet 1997; 349: 93-95.
Philbey A.W., Kirkland P.D., Ross A.D., Davies R.J., Gleeson A.B., Love R.J., et al.: An apparently new virus
(family Paramyxoviridae) infectious for pigs, humans, and fruit bats.
Emerging Infect Dis 1998; 4: 269-271.
Rogers R.L., Douglas I.C., Baldock F.C., Glanville R.J., Seppanen K.T., Gleeson L.J., et al.: Investigation of a
second focus of equine morbillivirus infection in coastal Queensland.
Aust Vet J 1996; 74: 243-244.
Selvey L.A., Taylor R., Arklay A., Gerrard J.: Screening of bat carers for antibodies to equine morbillivirus. Comm Dis Intelligence 1996; 20: 477-478.
Selvey L.A., Wells R.M., McCormack J.G., Ansford A.J., Murray K., Rogers R.J., et al.: Infection of humans
and horses by a newly described morbillivirus. Med J Aust 1995; 162: 642-645.
Trott D.G., Pilsworth R.: Outbreaks of conjunctivitis due to the Newcastle disease virus among workers in
chicken-broiler factories. BMJ 1965; 5477: 1514-1517.
Williamson M.M., Hooper P.T., Selleck P.W., et al.: Transmission studies of Hendra virus (equine morbillivirus) in fruit bats, horses and cats. Australian Vet J 1998; 76: 813-818.
Yu M., Hansson E., Shiell B., Michalski W., Eaton B.T., Wang L.F.: Sequence analysis of the Hendra virus
nucleoprotein gene: comparison with other members of the subfamily Paramyxoviridae.
J Gen Virol 1998; 79: 1775-1780.
134
VEKTORÜBERTRAGENE KRANKHEITEN
10 MIT BESTEN GRÜSSEN VON MÜCKEN, FLÖHEN UND
ZECKEN:
VEKTORÜBERTRAGENE KRANKHEITEN
Dieter Hassler
Den Arthropoden-übertragenen Krankheiten ist ein etwas ausführlicheres
Kapitel dieses Buches gewidmet – sind sie doch Paradebeispiele für «neue» und
«wiederkehrende» Erkrankungen. Im deutschen Sprachgebrauch existiert kein
Wort, das so gut wie der amerikanische Begriff die Problematik beschreiben
würde: «Emerging infectious diseases».
Seit über 100 Jahren sind Zusammenhänge zwischen Arthropoden-Stichen und
nachfolgender Erkrankung bekannt. Die Liste der übertragenen Erreger umfaßt
Viren, Bakterien und Protozoen, ja sogar Würmer. Die Liste der zugehörigen Krankheiten liest sich wie ein «Who is who» der Infektiologie.
Die Übertragung der Malaria durch Mücken wurde 1898 erkannt, bei Gelbfieber
war dies im Jahre 1900, Dengue-Fieber folgte 1903. Schlafkrankheit, RockyMountain-Spotted-Fever, Altweltzeckenfieber, Chagas-Krankheit und PappataciFieber waren 1910 als Vektor-übertragen bekannt (Philipp 1973, Gubler 1998).
Diese Erkenntnis wurde schnell in Programme zur Vektor-Kontrolle umgesetzt.
Die frühesten historischen Beispiele sind Kampagnen in Kuba und Panama zur
Ausrottung des Gelbfiebers. Die Fertigstellung des Panamakanals wurde erst
durch diese Programme ermöglicht.
Richtig in Schwung kamen diese Bemühungen, als mit DDT und verwandten
Substanzen erstmals hochwirksame Werkzeuge zur Vektor-Kontrolle existierten.
Der Höhepunkt ihrer Anwendung lag in den sechziger Jahren, bis zunehmende
Kenntnisse über die Langzeittoxizität ihre Anwendung obsolet machten. Hinzu
kam, daß einige der gefährlichsten Vektoren inzwischen Resistenzen gegen die
gebräuchlichen Insektizide entwickelt haben.
Immerhin haben die Vektor-Kontrollprogramme, die natürlich nicht nur aus der
Ausbringung von Giften bestanden, sondern ihren Hauptschwerpunkt in der
Kontrolle der Moskito-Brutgewässer hatten, viele der gefürchteten Plagen aus
zahlreichen Ländern vertrieben. Das einstmals auch in den USA verbreitete Gelb-
135
GELBFIEBER-VIRUS
fieber wurde aus Nord- und Mittelamerika weitgehend verbannt, die Malaria in
Europa und Amerika ausgerottet, Onchozerkose und Filariose zurückgedrängt.
Abbildung 31: EM-Aufnahme einer Gelbfieber-Virus-befallenen Zelle (Ausschleusung der Flaviviren)
Heute kann man sich kaum noch vorstellen, daß die renommierten Centers for
Disease Control nur deshalb in Atlanta angesiedelt wurden, weil diese Gegend der
letzte Herd des Gelbfiebers in Nordamerika war.
Doch bereits in den siebziger Jahre fanden sich erste Anzeichen, daß die Seuchen
zurückkehren könnten. In Sri Lanka, wo Anfang der sechziger Jahre nur 20-30
Malaria-Fälle pro Jahr beobachtet worden waren, stieg die Zahl auf etwa 500000
pro Jahr (Gubler 1998). Weltweit erkranken heute etwa 200 Millionen Menschen
jährlich an Malaria, etwa 2 Millionen sterben.
Zwei Faktoren trugen zu diesem Flashback bei: Die zunehmende Urbanisation
und die weltweite Handels- und Reisetätigkeit.
136
VEKTORÜBERTRAGENE KRANKHEITEN: LITERATUR
Die Verstädterung in zahlreichen Entwicklungsländern führte zur Ausbreitung
von Moskito-Brutstätten. Unverrottbare Plastik- und Blechbehälter boten diesen
Arten neue Biotope, die Folge war die globale Ausbreitung bestimmter, gutangepaßter Moskito-Arten. Speziell das Dengue-Fieber und die Japan-Encephalitis konnten sich dadurch rasant ausbreiten (Gubler 1997, siehe auch nachfolgende Kapitel).
Die Handelstätigkeit tat ein übriges. Alte Autoreifen, die per Schiff weltweit transportiert wurden, erwiesen sich als Pandoras Büchse: Mit ihnen kamen Moskitos
und Viren zurück in die zuvor von den Krankheiten befreiten Gebiete (Reiter
1987).
Auch Flugzeuge erwiesen sich als passende Vehikel. Moskitos können selbst bei
Temperaturen von -50°C in Radkästen überleben. Die Passagiere selbst tragen
ebenfalls zur Ausbreitung von Krankheiten bei. Wer denkt im Zeitalter der LastMinute-Tours noch an die notwendige Prophylaxe? Wer kalkuliert bei seiner
Hochzeitsreise nach Bali die Japan-Encephalitis, das Dengue-Fieber ein? Auch wir
«residenten» Europäer sollten uns nicht allzu sicher fühlen. Erst um 1920 wurde
die Malaria hier ausgerottet, globale Erwärmung und die Anwesenheit passender
Vektoren lassen ein Wiederauftreten möglich erscheinen. 1997 wurde ein Fall von
Malaria bei einer toskanischen Bäuerin beschrieben, die nie das Dorf, geschweige
denn das Land verlassen hatte. 1998 wurde ein Malaria-Fall aus Hessen bei einer
Frau bekannt, die ebenfalls nicht in den Risikogebieten gewesen war. Erklärt
wurde die Erkrankung mit einem südostasiatischen Kind, das im gleichen Dorf
gerade an einer Malaria litt. Mag sein - ein Vektor muß im Spiel gewesen sein. So
wurde der erste Schritt der Wiedereinbürgerung vollzogen: Ein fiebernder Malaria-Kranker, ein passender Vektor, ein infizierbarer Wirt....
Ausgewählte Literatur:
Gubler D.J.: Epidemic dengue and dengue haemorrhagic fever: a global public health problem in the 21th
century. In: Scheld W.M. et al. (Eds.): Emerging infections I, pp. 1-14.
ASM Press, Washington DC 1997.
Gubler D.J.: Resurgent vector-borne dieseases as a global health problem. Emerging Infect Dis 1998; 4 (3).
Murphy F.A.: Emerging Zoonoses. Emerging Infect Dis 1998; 4 (3).
Philipp C.B., Rozenboom L.E.: Medico-veterinary entomology: a generation of progress. In: Smith et al.
(Eds.): History of entomology. Annual Reviews Inc., Palo Alto 1973.
Reiter P., Sprenger D.: The used tire trade: a mechanism for the worldwide dispersal of container breeding
mosquitoes. J Am Mosq Ctrl Assioc 1987; 3: 494-501.
Internet: www.cdc.gov/ncidod/EID oder www.outbreak.org
137
DENGUE
10.1 DENGUE ANTE PORTAS:
DIE GEISSEL DER TROPEN BEDROHT (NICHT NUR) AMERIKA
Dieter Hassler
Duane Gubler hat kürzlich das Dengue-Fieber als die große Herausforderung
des 21. Jahrhunderts bezeichnet. In seinen Publikationen warnt er immer wieder
eindringlich davor, daß diese Seuche auch die Industrieländer massiv bedrohen
könnte. Es lohnt sich, seine Argumente einmal näher anzusehen.
Doch zunächst zur Geschichte. Bereits in einer chinesischen Enzyklopädie aus der
Zeit der Chin-Dynastie (265-420 n. Chr.) wird von einer verheerenden Seuche berichtet, die als «Wassergift» bezeichnet wurde und nach Meinung der Chinesen etwas
mit fliegenden Insekten und Wasser zu tun hatte (Nobuchi 1979).
In späterer Zeit sind Ausbrüche, die man auf Grund der zeitgenössischen Schilderungen heute als Dengue-bedingt betrachtet, in Asien, Afrika und Amerika dokumentiert, besonders gut in den Jahren 1779 und 1780 (eine für die damalige Zeit
phantastische Zusammenfassung bietet die leider extrem schwierig zu beschaffende Arbeit von Siler 1926, ersatzweise sei auf Gubler’s ebenfalls sehr lesenswerte Arbeiten verwiesen).
Die Ausbrüche traten unregelmäßig, jedoch in teilweise verheerendem Ausmaß
auf. Gubler meint, daß nach den großen Epidemien eine hohe Zahl von immunen
Rekonvaleszenten dazu führte, daß die Epidemien solange verschwanden, bis genügend nichtimmune Personen nachgewachsen oder zugezogen waren, ein Modell,
das wir ja bei vielen Viruskrankheiten kennen.
Große Ausbrüche sind in Djibuti am Horn von Afrika, in Mittelamerika und in Asien dokumentiert, diese waren aber in der Regel an einen einzigen Serotyp gebunden (Ehrankramz 1971, Gubler 1978). Der letzte große Ausbruch in Europa wurde
in den zwanziger Jahren in Griechenland registriert.
Erst die Auswirkungen des zweiten Weltkriegs im asiatischen Raum, die zunehmende Verstädterung und die kriegsbedingte Mobilität führten zu Bedingungen,
die das Dengue-Fieber zu einer wirklich globalen Bedrohung machten (Sabin 1952,
Gubler 1998).
138
DENGUEVIRUS
Das Denguevirus und seine Varianten
Dengueviren gehören zu den Flaviviren, deren prominentester Vertreter das namensgebende Gelbfieber-Virus ist. Außerdem gehören die Japan-Encephalitis (siehe folgende Kapitel), das West-Nil-Fieber, die Hepatitis C sowie die FSME und ihre
Verwandten in diese Gruppe.
Vom Denguevirus sind vier Serotypen bekannt (DEN1-DEN4).
Haupt-Vektor ist Aedes aegypti, eine Moskito-Art. Als Nebenvektor gilt Aedes albopictus, eine Art, die auch in den USA weitverbreitet ist.
Abbildung 32: Immunhistologie von Denguevirus-Antigen in einem Gefäß der Milz.
Die deutlich rotgefärbten Immunkomplexe haben sich an den Gefäßendothelzellen abgelagert.
Hyperendemität als neues Problem
Die vier Serotypen traten früher jeweils lokal begrenzt auf. War ein Mensch am
jeweiligen lokalen Serotyp erkrankt und hatte er die Krankheit überstanden, so
war er immun. Leider besteht aber keine Kreuzimmunität gegen die anderen Serotypen. Die Verschleppung der Virusvarianten in andere Länder über Reisende und
139
DENGUE-HAEMORRHAGISCHES-FIEBER
Flüchtlinge führt nun dazu, daß an vielen Orten mehrere Serotypen kursieren,
ein Phänomen, das man Hyperendemität nennt.
So war es möglich, daß Infektionen mit mehreren Serotypen beim gleichen Patienten nacheinander oder sogar gleichzeitig auftraten. Das Krankheitsbild bei den
einzelnen Serotypen unterscheidet sich nicht grundsätzlich, alle Varianten können die typischen Komplikationen auslösen.
Klinik
Das klassische Dengue-Fieber beginnt nach einer Inkubationszeit von 3-12 Tagen
mit plötzlichem, sehr hohem Fieber, frontalen Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen. Dann folgen Myalgien und Knochenschmerzen («Bone-breaking-fever»). In
dieser Phase ist Dengue von vielen anderen akuten tropischen und nichttropischen Krankheiten klinisch kaum zu unterscheiden. Die Fieberphase dauert 2-7
Tage, vor der Entfieberung tritt meist ein kleinfleckiges Exanthem auf. Die Prognose ist meist günstig, die Erkrankten bleiben gegen den jeweiligen Serotyp lebenslang immun. Eine Kreuzimmunität gegen die anderen Serotypen ist aber nur
kurzfristig vorhanden.
Dengue-haemorrhagisches Fieber (DHF)
Die erste Epidemie mit einer neuen Verlaufsvariante, dem DHF, wurde 1953 auf
den Philippinen registriert. Die Betroffenen litten nicht an der bekannten «Grippe
der Tropen», wie Dengue oft bezeichnet wurde, sie waren schwerstkrank.
Vor allem Kinder erkrankten an dieser neuen Form. Sie begann wie die klassische
Dengue mit plötzlichem hohem Fieber, verbunden mit grippeartigen Allgemeinsymptomen. Doch statt nach dem Fieberrückgang langsam die Rekonvaleszenz
einzuleiten, trat bei DHF kurz nach der Entfieberung ein «Capillary-leak-syndrome» mit Petechien, Ekchymosen, inneren und äußeren Blutungen auf (Hammon
1960, Bhamarapravati 1967, Barnes 1974).
In vielen Fällen führte dies zum Volumenmangel- bzw. haemorrhagischen Schock,
dem Dengue-Schock-Syndrom (DSS). Nur bei sofortiger adäquater Therapie mit
Substitution von Plasma und Gerinnungsfaktoren konnte der ansonsten letale
Ausgang abgewendet werden.
140
DENGUE-FIEBER: KLINIK
Dengue
DHF
DSS
Fieberphase 2-7 Tage
analog
Grippeartige Symptome
analog
relative Thrombopenie
ausgeprägte Thrombopenie
Entfieberung
capillary-leak-syndrome
massive Blutungen
(gastrointestinal, Epistaxis)
Rekonvaleszenz
Ekchymosen
Pleura-, Peritonealergüsse
Schock durch Blutverlust
verzögerte Rekonvaleszenz
Exitus bei nicht
adäquater Therapie
Tabelle 6: Varianten des klinischen Verlaufs des Dengue-Fiebers
Was verursacht DHF und DSS?
Die neue Variante warf die Frage auf, warum diese altbekannte Erkrankung plötzlich ihr Gesicht gewandelt hatte und nun einen derart schweren Verlauf zeigte.
Zwei Theorien wurden zur Erklärung angeboten.
Eine Möglichkeit war, daß eine durch Spontanmutation entstandene, aggressivere Variante für das DHF verantwortlich war. Dafür sprachen Untersuchungen,
die auf Tonga gezeigt hatten, daß die gleiche Virusvariante, die auf den Nachbarinseln schwere Epidemien ausgelöst hatte, nun zu einer wenig aggressiven Form
zurückmutiert war, die nur milde Erkrankungen auslöste, obwohl die Bevölkerung
keineswegs immun war (Gubler 1978).
Eine andere, heute weithin akzeptierte Theorie besagt, daß das DHF vor allem bei
Patienten auftritt, die nach durchgemachter Infektion mit einem Serotyp ein
zweites Mal mit einem anderen Serotyp infiziert werden (Schönrich 1998, Kouri
1998). Hierfür sprechen die Ergebnisse von Tierversuchen, in denen dies reproduziert werden konnte. Andere Arbeitsgruppen konnten diese Ergebnisse (an
anderen Versuchstierarten) aber nicht generell bestätigen.
141
DENGUE-FIEBER: THERAPIE
Therapie
Eine spezifische Therapie existiert nicht, alle Maßnahmen können sich nur an der
klinischen Symptomatik orientieren. Bei unkomplizierten Fällen gehören dazu
fiebersenkende und schmerzstillende Maßnahmen, beim DHF die Substitution
von Plasma und Gerinnungsfaktoren bis hin zum intensivmedizinischen Repertoire.
Prävention
Moskito-Netze bzw. Repellentien als Vorbeugung vor Mückenstichen. Eine
Impfung wird derzeit entwickelt (Bhamarapravati 1997).
Heutige epidemiologische Situation
Zurück zu Duane Gubler und seinen fast apokalyptischen Visionen: Fast ganz Asien,
Afrika und Süd- bzw. Mittelamerika sind heute fest in der Hand des Dengue-Virus.
Besonders alarmierend ist, daß in vielen Gebieten Mittel- und Südamerikas heute
alle vier Virustypen präsent sind. Mit ihnen kam das Dengue-haemorrhagische
Fieber, das hier früher unbekannt war, auch nach Amerika.
Vor 1981
1981-1998
Abbildung 33: Verbreitung des Dengue-haemorrhagischen Fiebers in Südamerika
(modifiziert nach Gubler 1998)
142
DENGUE-FIEBER: EPIDEMIOLOGIE
Besonders dramatisch stellt sich die Situation auch in den Städten Asiens dar, die
durch ihr ungezügeltes Wachstum den Moskitos ideale Vermehrungsmöglichkeiten bieten. Jede Plastiktüte, jede weggeworfene Coladose und jeder alte Autoreifen, in dem sich etwas Wasser sammelt, ist ein ideales, von Fraßfeinden freies Brutbiotop für Aedes aegypti. Diese Moskitos waren nach den großen Seuchen-Kontrollprogrammen Ende der sechziger Jahre fast vom amerikanischen Kontinent verschwunden, inzwischen melden sie sich mit Macht zurück. Das ganze ursprüngliche Gebiet ist heute wieder besiedelt!
Überall breitet sich Dengue aus: In Ost- und Westafrika kam es zu den ersten
größeren Epidemien seit mehr als fünfzig Jahren, Djidda in Saudi-Arabien war
1994 Ort eines größeren Ausbruchs. 1997 war Kuba betroffen: knapp 3000 Erkrankungen, 205 davon mit DHF und 12 Todesfälle wurden registriert (Kouri 1998).
Jedes Jahr erkranken derzeit circa 100 Millionen Menschen weltweit am DengueFieber. Mehr als 100000 erkranken am DHF, so daß diese Erkrankung derzeit der
größte Faktor der Kindersterblichkeit in einigen asiatischen Ländern ist.
Reisende schleppen Dengue immer wieder nach Nordamerika und Europa ein.
Dabei kann man sicher davon ausgehen, daß die Mehrzahl der Fälle gar nicht diagnostiziert wird. In mehreren dokumentierten Fällen kam es auch auf dem Gebiet
der USA bereits wieder zu sekundären Kleinepidemien, die ihren Ausgang bei infizierten Reisenden nahmen (CDC, MMWR 1994).
Zwei Fälle von Dengue-Schock-Syndrom wurden bei schwedischen Urlaubern
nach ihrer Rückkehr aus dem in Asien verbrachten Urlaub diagnostiziert (Wittesjo
1993), in Deutschland werden jedes Jahr etwa hundert Fälle von Dengue-Erkrankungen (in der Regel unkompliziertes Dengue-Fieber) eingeschleppt. Da geeignete Vektoren inzwischen wieder fast überall präsent sind, könnten schon morgen
große Epidemien folgen. Diesen stünden wir heute völlig machtlos gegenüber, da
noch immer kein Impfstoff im Handel ist.
143
DENGUE-FIEBER: PRÄVENTION
Was könnte man tun?
Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte haben gezeigt, daß nur die MoskitoKontrolle ein effektiver Weg ist, das Dengue-Fieber und andere von Stechmücken
übertragene Krankheiten zurückzudrängen. Also zurück zu den Gift-Spritzaktionen der früheren Jahrzehnte? Sicher nicht, denn dieser Weg hat sich als Sackgasse erwiesen: Die Toxizität der Substanzen für den Menschen und ihre nachlassende Wirksamkeit haben diese Waffe längst obsolet gemacht. Nur die Reduktion
geeigneter Moskito-Brutgebiete, zum Beispiel durch rigorose Vermeidung von
wilden Müllablagerungen, verspricht Erfolg (die rigorose Politik der Reinhaltung
der Städte in Singapur hat also gute Gründe!*).
Höchste Priorität sollte aber die Impfstoffentwicklung haben, auch wenn das
Interesse der Industrieländer daran auf den ersten Blick gering sein dürfte. Auch
die hochentwickelten Länder müssen die weitere Ausbreitung der Dengue massiv
fürchten, sie klopft bereits an die Tür.
* Nicht bei allen führt die Stadtpolitik Singapurs zu ungeteilter Zustimmung. Zitat eines Taxifahrers bei der
Fahrt durch die Stadt im Oktober 1998: „We live in a fine country – we have fines for everything.”
144
DENGUE-FIEBER: LITERATUR
Ausgewählte Literatur:
Barnes W.J.S., Rosen L.: Fatal hemorrhagic disease and shock associated with primary dengue infection
on a pacific island. Am J Trop Med Hyg 1974; 23: 495-506.
Bhamarapravati N. et al.: Pathology of Thailand hemorrhagic fever: a study of 100 autopsy cases.
Ann Trop Med Parasitol 1967; 61: 500-510.
Bhamarapravati N.: Live attenuated tetravalent dengue vaccine. In Gubler D.J., Kuno G. (Eds.): Dengue
and Dengue hemorrhagic Fever, pp. 367-378. CAB International, London 1997.
Centers for Disease Control and Prevention: Imported dengue - United States 1993 and 1994.
Morbid Mortal Weekly Report 1994; 44: 353-356.
Ehrankramz N.J. et al.: Pandemic Dengue in Caribbean countries and the southern United States: past,
present and potential problems. N Engl J Med 1971; 285: 1460-1469.
Gubler D.J. et al.: Epidemiologic, clinical and virologic observations on dengue in the kingdom of Tonga.
Am J Trop Med Hyg 1978; 27: 581-589.
Gubler D.J.: Aedes aegypti and Aedes aegypti-borne disease control in the 1990s: top down or bottom up.
Am J Trop Med Hyg 1989; 40: 571-578.
Gubler D.J.: Dengue and Dengue Hemorrhagic Fever. Clin Microbiol Rev 1998; 11: 480-496
(Internet: www.journals.asm.org).
Hammon W.M. et al.: New hemorrhagic fevers of children in the Philippines and Thailand.
Trans Assoc Am Physicians 1960; 73: 140-155.
Kouri G. et al.: Reemergence of Dengue in Cuba: A 1997 epidemic in Santiago de Cuba.
Emerging Infect Dis 1998; 4 (1); (Internet: www.cdc.gov/ncidod/EID)
Nobuchi H.: The symptoms of a dengue-like illness recorded in a Chinese medical encyclopedia.
Kanpo Rinsho 1979; 26: 422-425.
Pepper O.H.P.: A note on David Bylon and Dengue. Ann Med Hist 1941; 3: 363-368.
Sabin A.B., Schlesinger R.W.: Production of immunity to dengue virus modified by propagation in mice.
Science 1945; 101: 640-642.
Sabin A.B.: Research on dengue during world war II. Am J Trop Med Hyg 1952; 1: 30-50.
Schönrich G.: Dengueviren. In: Darai et al. (Hrsg.): Lexikon der Infektionskrankheiten des Menschen.
Springer, Heidelberg – Berlin – New York 1998.
Siler J.F. et al.: Dengue, its history, epidemiology, mechanism of transmission, etiology, clinical manifestations, immunity and prevention. Philipp J Sci 1926; 29: 1-304.
145
JAPAN-ENCEPHALITIS
10.2 EIN MÜCKENSTICH MIT LANGZEITWIRKUNG
DIE JAPAN-ENCEPHALITIS
Dieter Hassler
Neben dem Dengue-Fieber breitet sich ein zweites Flavivirus stetig aus: Die
Japan-Encephalitis (JE) entwickelt sich ebenfalls zum gravierenden Gesundheitsproblem in Süd- und Ostasien.
Seit dem letzten Jahrhundert sind Ausbrüche dieser typischen Sommerinfektion
beschrieben worden, so unter anderem eine Epidemie in Japan 1924 mit etwa
6000 Erkrankten, von denen 60% starben (Tsai 1990, www.cdc.gov). Weitere
Epidemien folgten in unregelmäßigen Abständen*, waren aber zunächst auf typische Endemiegebiete beschränkt. Doch dies sollte nicht so bleiben. Veränderte landwirtschaftliche Anbaumethoden (Waldrodungen, Reisanbau und künstliche Bewässerung), aber auch zunehmende Urbanisation mit den typischen Folgen hatte eine
kontinuierliche Ausbreitung über ganz Süd- und Ostasien zur Folge (Tongcharoen
1989).
1958 trat ein großer Ausbruch in Korea auf, der den Beginn einer ganzen Serie
markierte. China ist seit den vierziger Jahren Hochendemiegebiet mit Seroprävalenzen über 80% in manchen Regionen. Thailand, vor 1970 nur sehr sporadisch
involviert, wurde in den Folgejahren von schweren Ausbrüchen heimgesucht,
und die zuvor nur in einem Hochtal endemische Krankheit breitete sich über den
gesamten Norden des Landes aus. 1974 wurde die Grenze zu Burma überschritten, und Vietnam meldete ständig steigende Erkrankungsraten vor allem aus dem
Mekong-Gebiet.
Sri Lanka hatte seine erste Epidemie 1948, damals war der übrige indische Subkontinent noch JE-frei. Südindien war 1978 erreicht, in den Folgejahren breitete
sich die JE über fast ganz Indien und bis nach Nepal aus. Diese Ausbreitung korrelierte direkt mit wasserbaulichen Erschließungsmaßnahmen (Seghal 1989).
Touristen sind (wohl wegen der meist relativ geringen Aufenthaltsdauer) selten
Opfer der JE, allerdings wurden immer wieder kasuistische Berichte über Erkrankungen, zum Beispiel bei deutschen Touristen, die sich auf Bali aufgehalten hatten, publiziert.
* Zum Zeitpunkt, zu dem dieser Text geschrieben wird, läßt sich ein weiterer Ausbruch vorhersagen: Im
August 1998 wurde China von verheerenden Überschwemmungen heimgesucht; eine drastische Vermehrung von Moskitos sollte die zwangsläufige Folge sein, und mit ihr Ausbrüche von Dengue und JE.
146
JAPAN-ENCEPHALITIS: VERBREITUNG
Der Erreger
Das zu den Flaviviren gehörende JE-Virus wird immer von Stechmücken der Gattung Culex übertragen. Neben Menschen erkranken vor allem Haustiere; Schweine und Wasservögel scheinen die Reservoire für die epidemischen Ausbrüche zu
sein. Das JE-Virus wurde 1934 von Hayashi erstmals erfolgreich auf Affen übertragen, und 1938 konnte durch den Nachweis des Virus in Moskitos seine Übertragungsweise aufgeklärt werden. Verschiedene Serotypen sind bekannt, daher
muß bei der Impfstoffherstellung eine Mischung verschiedener Isolate Verwendung finden.
Abbildung 34: Aktuelle Verbreitung der Japan-Encephalitis (rote Areale)
147
JAPAN-ENCEPHALITIS: KLINIK
Das Krankheitsbild
Die große Mehrzahl der Infizierten entwickelt keine klinisch faßbare Erkrankung,
sondern nur eine stumme Serokonversion. Nach Schätzungen von Tsai (1990)
wird nur jeder hundertste Infizierte eine Encephalitis entwickeln. Die Hyperendemität in manchen Regionen führt dennoch dazu, daß in vielen Staaten Asiens die
JE die häufigste Ursache einer Encephalitis im Kindesalter ist.
Bei den klinisch apparenten Erkrankungen beträgt die Inkubationszeit 5-15 Tage.
Zunächst tritt hohes Fieber, verbunden mit starken Kopfschmerzen auf. Bald danach werden die ersten Symptome der typischen Encephalitis mit Verwirrtheit,
Sprachstörungen und motorischen Ausfällen sichtbar. Bei Kindern beginnt die
Krankheit oft mit Erbrechen, Diarrhoe und Fieberkrämpfen. Viele Patienten werden im weiteren Verlauf komatös und entwickeln Lähmungen. 25% der Betroffenen sterben. Besonders gefürchtet sind die Langzeitfolgen, die bei mehr als zwei
Drittel der Überlebenden gesehen werden. Gedächtnisstörungen, Wesensveränderungen, Konzentrationsprobleme, Krampfanfälle und bleibende Lähmungen sind
häufig.
Die überwiegende Anzahl der Erkrankungen tritt von Juli bis September auf,
wenn die Moskito-Zahl am höchsten ist. Die Durchseuchung der Stechmücken
kann dann bis zu drei Prozent betragen.
Derzeitige epidemiologische Situation
Jährlich wurden in den letzten Jahren mehrere zehntausend Erkrankungen und
etwa 10000 Todesfälle gemeldet. Zusätzlich muß man von einer ganz erheblichen
Dunkelziffer (vor allem in China) ausgehen. Die JE breitet sich in Asien ständig
weiter aus. Besonders alarmierend ist die Situation in China und Nepal, wo auch
1998 ein größerer Ausbruch beobachtet wurde (Pröll 1998). Ein Rückgang der
Erkrankungen konnte nur in den Ländern wie Japan und Korea verzeichnet werden, wo seit Jahren intensive Impfprogramme laufen.
148
JAPAN-ENCEPHALITIS: LITERATUR
Prophylaxe
Die Überträger der JE, praktisch ausschließlich Culex-Moskitos, stechen überwiegend in einer relativ kurzen Phase der Dämmerung. Sie sind nicht tagaktiv und
gehen selten in die Häuser hinein. Dies hat den Effekt, daß fast ausschließlich die
ärmere Landbevölkerung exponiert ist und Touristen nur in recht seltenen Fällen
erkranken.
Ein recht wirksamer Schutz besteht also in der Vermeidung von Outdoor-Aktivitäten in der Dämmerung, ebenso wichtig sind natürlich Moskito-Netze.
Eine aktive Impfung ist seit Jahren verfügbar, wird aber nur in Japan hergestellt
(Firma Biken). Sie ist über tropenmedizinische Ambulanzen oder internationale
Apotheken zu erhalten. Wegen des geringen Infektions-Risikos für Touristen wird
im allgemeinen nur die Impfung für Menschen empfohlen, die sich längere Zeit in
den Endemiegebieten aufhalten. Ob diese Zurückhaltung richtig ist, kann nicht
mit letzter Sicherheit entschieden werden. Angesichts der oft schweren und unbehandelbaren Spätfolgen der Encephalitis erscheint uns eine großzügigere Indikation angebracht.
Ausgewählte Literatur:
McDonald W.B.G. et al.: Japanese encephalitis after a two week holiday in Bali.
Med J Aust 1989; 150: 334-336.
Monath T.P.: Flaviviruses. In: Fields et al. (Eds.): Virology. 3rd Edition.
Lippincott-Raven, Philadelphia – New York 1996.
Okuno T.: An epidemiological review of Japanese encephalitis.
World Helth Statistics Quarterly 1978; 3: 120-131.
Pröll S, Nothdurft H.D.: Japanische Encephalitis: Erneute Epidemie in Nepal.
Fortschr Med 1998; 116 (Nr. 26): 10.
Schneider R.J. et al.: Clinical sequelae after japanese encephalitis: A one year follow-up study in Thailand.
Southeast Asian J Trop Med Publ Hlth 1974; 5: 560-568.
Seghal S.J.: Japanese encephalitis in india. JE and HFRS Bull 1989; 3: 31-40.
Service M.W.: Agricultural development and arthropod-borne disease.
Revista Saude Publica 1991; 25: 165-178 (portugiesisch).
Thongcharoen P.: Japanese encephalitis virus encephalitis: An overview.
Southeast Asian J Trop Med Pub Hlth 1989; 20: 559-573.
Tsai T.F.: Japanese Encephalitis Vaccines. Internet: www.cdc.gov (sehr guter Übersichtsartikel, nicht nur
zur Impfung!).
149
ALPHAVIREN
10.3 ARTHRITIS NACH MÜCKENSTICH:
ALPHAVIREN
Dieter Hassler
Stellen Sie sich einmal vor: Sie verbringen Ihren Urlaub im Sommer in Mittel-
schweden. Das Ferienhaus liegt an einem der vielen malerischen Seen. Abends
wird vor der Hütte gegrillt, die Stimmung ist romantisch – einige Mückenstiche
nimmt man da ja in Kauf…
Abbildung 35: See in Mittelschweden: Idyll mit Tücken?
150
ALPHAVIREN: KRANKHEITSBILDER
Eine Woche später treten plötzliche, heftige Gelenkschmerzen auf, die den Urlaub
kräftig vermiesen. Die Gelenke sind teilweise geschwollen, jede Bewegung schmerzt.
So geht das über einige Wochen, bis eine allmähliche Besserung einsetzt. Sie gehen
natürlich zum Arzt, dieser veranlaßt die üblichen rheumatologischen Untersuchungen, alle Befunde sind negativ. Auch der Orthopäde findet keine Ursache der
Gelenkbeschwerden. Frustriert beginnen Sie sich zu fragen, was für eine eigenartige Erkrankung Sie sich da zugezogen haben. Die Mückenstiche haben Sie natürlich längst vergessen – und doch liegt darin der Schlüssel für das Ganze.
Ursache der Polyarthritis ist wahrscheinlich das Ockelbo-Virus aus der Gruppe
der Alphaviren. Ähnlich wie seine Verwandten verursacht es ein ganz typisches
Krankheitsbild, die epidemische Polyarthritis.
Alphaviren und assoziierte Krankheitsbilder
Weltweit sind derzeit etwa zwanzig Vertreter der Alphaviren bekannt. Die von
ihnen ausgelösten Erkrankungen lassen sich in zwei Gruppen gliedern. Einige
Viren (mit den Hauptvertretern Sindbis, Chikungunya, Ockelbo und Ross River)
verursachen hauptsächlich akute Polyarthritiden, in der Akutphase oft verbunden mit einem kleinfleckigen Exanthem. Fieber und grippeartige Symptome sind
eher selten. Die andere Gruppe, zu der hauptsächlich die Equine-Encephalitis-Vertreter, aber auch das Semliki-Forest-Virus gehören, verursacht primär Encephalitiden. Menschen sind von der letzteren Gruppe seltener betroffen, die meisten
Erkrankungen treten bei Pferden und anderen Huftieren auf.
Alle Arten werden durch Stechmücken übertragen, daher werden die typischen
Ausbrüche nach ausgiebigen Regenfällen beobachtet (Marshall 1982, Aaskov 1985,
Lindsay 1995, Johnston 1996). Reservoire sind oft Zugvögel, die offensichtlich auch
für die Distribution der Alphaviren verantwortlich sind (Niklasson 1996).
151
ROSS RIVER-FEVER
Virus
Verbreitung
Krankheitsbild
Symptome
Chikungunya
Afrika, Asien
Arthritis
Fieber, Exanthem
Sindbis
Afrika, Asien
Arthritis
Fieber, Exanthem
Ockelbo
Skandinavien
Arthritis
Fieber, Exanthem
Ross River
Australien
Polyarthritis
60% Exanthem
selten Fieber
Barmah Forest
Australien
Arthritis
selten Fieber
O’nyong-nyong
Afrika
Arthritis
Fieber, Exanthem
Semliki Forest
Afrika
Encephalitis
Fieber
selten Arthritis
Equine Encephalitis Amerika
EEE, WEE, VEE
Encephalitis
Fieber, biphasisch
Me Tri
Encephalitis
Fieber, biphasisch
Vietnam
Tabelle 7: Alphavirus-Erkrankungen (Auswahl)
Ross River-Fever
Das Ross River-Fever ist vor allem in Australien verbreitet, nach neueren Berichten kommt die Erkrankung auch auf Papua Neuguinea und in Ozeanien vor. Es
ist nicht ganz klar, ob es sich hierbei um eine Ausbreitungstendenz oder nur verbesserte Aufmerksamkeit handelt.
Nach seroepidemiologischen Untersuchungen muß man davon ausgehen, daß
etwa 60% der Erkrankungen völlig asymptomatisch verlaufen. Bei den klinisch
symptomatischen Patienten stehen sehr akute, schmerzhafte Polyarthritiden im
Vordergrund, Fieber wird nur selten beobachtet. 60% der Erkrankten entwickeln
ein flüchtiges Exanthem (Rash). In manchen Fällen verlaufen die Arthritiden protrahiert, generell ist der Verlauf aber selbstlimitierend und günstig.
152
ALPHAVIREN: VERBREITUNG
Ganz ähnlich ist die vom Barmah-Forest-Virus ausgelöste Erkrankung, die ebenfalls in Australien auftritt und für kleinere Ausbrüche verantwortlich war.
Chikungunya
Das Chikungunya-Virus wurde 1963 erstmalig in Calcutta isoliert, wo es in den folgenden Jahren schwere Epidemien verursachte, die zeitgleich mit einem DengueAusbruch auftraten (die Koinzidenz ist typisch, da ja in beiden Fällen Moskitos für
die Übertragung verantwortlich sind). Das klinische Bild war auch hier von starken Gelenkschmerzen geprägt. In den letzten Jahren ging die Inzidenz in diesem
Endemiegebiet durch Moskito-Kontrollmaßnahmen ständig zurück (Neogi 1995).
Sindbis
Das Sindbis-Virus verursacht ein ähnliches Krankheitsbild wie die bereits beschriebenen Vertreter, in Einzelfällen wird aber eine ZNS-Invasion beobachtet. An Tierversuchen konnte gezeigt werden, daß einzelne Stämme des Sindbis-Virus einen
erhöhten Neurotropismus aufweisen (Dubuisson 1997).
O’nyong-nyong
Seit 1959 sind große Ausbrüche des O’nyong-nyong-Virus in Ostafrika aufgetreten, die mehr als zwei Millionen Menschen betrafen (Marshall 1982, Zöller 1997).
Das Krankheitsbild verläuft sehr ähnlich wie Chikungunya- und Sindbis-Infektionen.
Ockelbo
Ein mit dem Sindbis-Virus sehr naher Verwandter wurde in Schweden, Finnland
und Karelien gefunden (Horling 1993, Vene 1994, Niklasson 1996). Die Erkrankung
wurde erstmals in einem relativ kleinen Endemiegebiet in Mittelschweden entdeckt, wo eine kleine Erkrankungsserie beobachtet wurde (Niklasson 1984). Die
Erkrankung beginnt mit Fieber und Allgemeinsymptomen, in vielen Fällen wird
ein kleinfleckiges Exanthem beobachtet, anschließend treten schmerzhafte Arthral-
153
ALPHAVIREN UND ENCEPHALITIS
gien und gelegentlich Polyarthritiden auf, die Wochen bis Monate andauern können. Die Prognose ist gut, die Gelenkschmerzen können aber in Einzelfällen über
mehr als zwei Jahre bestehen bleiben (Vene 1994).
Eastern(EEE)-, Western(WEE)- und Venezuela Equine Encephalitis(VEE)
Die praktisch nur in Amerika vorkommenden Equine-Encephalitis-Varianten sind,
wie bereits der Name nahelegt, primär bei Pferden für seuchenartige Ausbrüche
mit schweren Encephalitiden verantwortlich. Menschen werden gelegentlich infiziert, wobei nur ein kleiner Teil der Infizierten klinisch manifeste Erkrankungen
entwickelt (bei der WEE etwa einer von hundert, bei der EEE einer von zwanzig).
Die Encephalitis verläuft bei der EEE am schwersten, die Letalität liegt bei 50-75%,
bei der WEE nur bei 3-7% (Johnston 1996, Zöller 1997).
Me Tri
Im Jahre 1995 berichteten Ha und Mitarbeiter über die Isolierung eines neuen
Alphavirus in Vietnam, das dort vor allem bei Kindern mit einer akuten ZNSErkrankung assoziiert werden konnte. Ähnlich den aus Amerika bekannten Varianten der Pferde-Encephalitis wurde auch das Me-Tri-Virus für Epidemien bei
Haustieren verantwortlich gemacht. Die serologischen Daten zeigten eine hohe
Durchseuchung bei der einheimischen Bevölkerung.
154
ALPHAVIREN: LITERATUR
Ausgewählte Literatur:
Aaskov J.G. et al.: Isolation of Ross River virus from epidemic polyarthritis patients in Australia.
Austr J Experim Biol Med Sci 1985; 63: 587-597.
Dubuisson J. et al.: Genetic determinants of Sindbis virus neuroinvasiveness.
J Virol 1997; 71: 2636-2646.
Espmark A. et al.: Ockelbo disease in Sweden: epidemiological, clinical and virological data from the
1982 outbreak. Am J Trop Med Hyg 1984; 33: 1203-1211.
Francy D.B. et al.: Ecologic studies of mosquitoes and birds as hosts of Ockelbo virus in Sweden and isolation of Inkoo and Batai viruses from mosquitoes. Am J Trop Med Hyg 1989; 41: 355-363.
Ha D.G. et al.: Isolation of a newly recognized alphavirus from mosquitoes in Vietnam and evidence für
human infection and disease. Am J Trop Med Hyg 1995; 53: 100-104.
Horling J. et al.: Detection of Ockelbo virus RNA in skin biopsies by polymerase chain reaction.
J Clin Microbiol 1993; 31: 2004-2009.
Johnston R.E., Peters C.J.: Alphaviruses. In: Fields B.N. et al. (Eds.): Virology, pp. 843-898 (3rd Edition).
Lippincott-Raven, Philadelphia – New York 1996.
Lindsay M.D. et al.: An outbreak of Barmah forest virus disease in the south west of Western Australia.
Med J Austr 1995; 20: 291-294.
Lundström J.O. et al.: Geographical and temporal distribution of Ockelbo disease in Sweden.
Epidemiol Infect 1991; 106: 567-574.
Marshall T.F. et al.: The epidemiology of O’nyong-nyong in the Kano Plain, Kenya.
Ann Trop Med Parasitol 1982; 76: 153-158.
McGill P.E.: Viral Infections: Alpha-virus arthropathy. Bailleres Clinical Rheumatology 1995; 9: 145-150.
Neogi D.K. et al.: Serosurvey of chikungunya antibody in Calcutta metropolis.
J Communic Dis 1995; 27: 19-22.
Niklasson B. et al.: Association of a sindbis-like virus with Ockelbo disease in Sweden.
Am J Trop Med Hyg 1984; 33: 1212-1217.
Niklasson B. et al.: Occurence of arthralgia and specific IgM-antibodies three to four years after Ockelbo
disease. J Infect Dis 1988: 157: 177-187.
Niklasson B., Vene S.: Vector borne viral diseases in Sweden: a short review.
Arch Virol 1996; 11 (Suppl.): 49-55.
Pröll S., Dobler G. et al.: Persistierende Arthralgien bei Ross-River-Virus-Erkrankung nach OzeanienReise. Dtsch Med Wochenschr 1999; 124: 759-762.
Vene S. et al.: Development of specific antibody patterns and clinical symptoms following Ockelbo virus
infection. Arch Virol 1994; 134: 61-71.
Zöller L.: Alphaviren. In: Darai et al. (Hrsg.): Lexikon der Infektionskrankheiten des Menschen.
Springer, Heidelberg – Berlin – New York 1997.
155
CAL-BUNYAVIREN
10.4 AUCH IN UNSEREM HINTERHOF:
DIE CALIFORNIA-ENCEPHALITIS UND IHRE VERWANDTEN
Dieter Hassler
I n der großen Gruppe der Bunyaviren, zu der auch die oben diskutierten Hanta-
viren gehören, existiert eine Subgruppe, die nach der California-Encephalitis benannt ist. Diese Erkrankung und das zugehörige Virus wurde 1945 von Hammon
und Reeves beschrieben, in den späteren Jahren konnte das Originalvirus aber
trotz umfangreicher Suche nicht mehr entdeckt werden. Stattdessen wurden einige verwandte Viren gefunden.
Zur Gruppe der CAL-Bunyaviren gehören La Crosse-, San Angelo-, Serra do Navio-,
South-River- und einige andere neuentdeckte Virusarten. Vor allem das La CrosseVirus, bekannt aus inzwischen 28 amerikanischen Bundesstaaten, verursacht in
den Sommermonaten im Westen der USA häufig Encephalitiden. Die Inzidenz
wird von McJuncin (1998) mit 20 bis 30 Fällen pro 100000 Einwohner und Jahr
angegeben. Damit ist diese Krankheit in der Region häufiger als bakterielle Meningitiden bzw. Encephalitiden. Die anderen amerikanischen CAL-Virus-Arten werden deutlich seltener mit Erkrankungen in Verbindung gebracht.
Der Vektor ist eine «baumbewohnende» Moskito-Art, Aedes triseratius. Diese
Stechmücken legen ihre Eier in wassergefüllte Astlöcher von Hartholzbäumen,
wo sich die Larven entwickeln; eine für Moskitos etwas exotische Verbreitungstechnik, in Gegenden mit geeignetem Baumbestand und einigermaßen regelmäßigen Niederschlägen aber sicher nicht die schlechteste Idee.
Die europäischen Vertreter
Das Tahyna-Virus ist ein Verwandter, der vor allem aus Europa und dem Gebiet
der früheren Sowjetunion bekannt ist. Es wurde 1958 erstmals in der Tschechoslowakei aus Stechmücken der Gattung Aedes isoliert (Bardos 1959) und in den
Folgejahren in vielen Ländern, auch in Deutschland gefunden (Knuth 1990). Das
Inkoo-Virus wurde 1964 in Finnland und in Karelien entdeckt.
156
TAHYNA-VIRUS
Das Tahyna-Virus: In Deutschland nur vergessen?
Spannende Fragen ranken sich um diese beiden europäischen Vertreter der CALViren, über die vor allem aus dem russischen Sprachraum neuere Publikationen
vorliegen. Das Tahyna-Virus verursacht dort regelmäßig Erkrankungen in der
Art einer Sommergrippe. Fast alle Krankheitsfälle wurden in den Monaten Juli
und August beobachtet (Butenko 1995), eine Häufung in urbanen Zonen wurde
registriert. Das Virus wird von Stechmücken übertragen. Infiziert werden neben
dem Menschen Wild- und Haustiere, bei denen Seroprävalenzen bis 70% gefunden wurden (Aspöck 1967).
Abbildung 36: Die Rheinauen sind Brutstätte für Abermillionen Stechmücken verschiedener Arten; wahrscheinlich übertragen diese auch das Tahyna-Virus.
Serologische Untersuchungen ergaben, daß in Österreich bis zu 60%, in Ungarn
bis 50%, in der CSSR etwa 30%, in Deutschland ca. 5% der Bevölkerung Antikörper gegen dieses Virus aufweisen (Bardos 1961, Ackermann 1970, Profittlich 1971,
Spithaler 1971), so daß man wohl davon ausgehen kann, daß viele Erkrankungen
klinisch inapparent verlaufen. Eigenartigerweise wurden die Untersuchungen in
Deutschland nach dieser Zeit nicht mehr gezielt weitergeführt.
157
VALTICE-FIEBER
Dennoch wissen wir aus tschechischen Arbeiten einiges über die typische klinische Verlaufsform. Im Valtice-Hospital wurde in den sechziger Jahren eine endemische Erkrankung registriert, die man Valtice-Fieber nannte. Bardos konnte nachweisen, daß es sich hier um eine Tahyna-Infektion handelte.
Wenn eine klinisch erfaßbare Erkrankung auftritt, so verläuft diese in den meisten Fällen nach einer Inkubationszeit von 3-7 Tagen mit leichtem Fieber, grippeartiger Allgemeinsymptomatik und unspezifischen Symptomen. Bei etwa dreißig Prozent der Erkrankten tritt eine Lungenbeteiligung mit Pneumonie, Bronchopneumonie oder Pleuritis auf. Häufig wird diese durch bakterielle Sekundärinfektionen kompliziert. Etwa 10% entwickeln Weichteilschwellungen und
Muskelschmerzen, vorwiegend an den Händen, 10% verlaufen als abdominelle
Form mit Erbrechen und Durchfall ab (Sluka 1980). Meist ist auch diese Verlaufsform selbstlimitierend und prognostisch günstig.
Doch in einem Teil der Fälle verläuft die Erkrankung alles andere als harmlos.
Neurologische Beteiligungen in Form von Meningitiden und Encephalitiden sind
gar nicht selten, eine ZNS-Beteiligung wurde bei 3% beobachtet. Diese tritt in der
Regel ähnlich wie bei der FSME erst nach einem beschwerdefreien Intervall ein
und ist oft von einer ausgeprägten Konjunktivitis begleitet. Betroffen sind meist
Kinder (Bardos 1969). Halbseitenlähmungen, Tremor und Schluckstörungen
wurden beschrieben (Medek 1976).
Aufhorchen läßt die Beobachtung von Demikov (1995), daß es nach der akuten
neurologischen Verlaufsform oft zu chronischen Defekten kommt. Er fand bei
70% von 37 untersuchten Patienten mit chronischer, disseminierter Encephalitis
Antikörper gegen das Virus. Neben dem Humanen Herpesvirus Typ 6 (HHV6,
siehe dort) gibt es also weitere Kandidaten, die eine Encephalitis disseminata oder
ein zumindest klinisch ähnliches Bild verursachen können.
Nun wird der Einwand kommen, daß ein Virus aus Tschechien oder der sibirischen Tundra ja wenig Bedeutung für Mitteleuropa habe. Irrtum: Das Virus ist
bereits da (Aspöck 1966, Spieckermann 1974), es wurde unter anderem aus Stechmücken in der Oberrhein-Ebene isoliert. Einzig die zugehörigen Erkrankten kennt
man in Deutschland bisher nicht. Das kann einfach dran liegen, daß die Akutphase
der Erkrankung als «Sommergrippe» gedeutet und so übersehen wird. Auch die
eventuell auftretenden neurologischen Komplikationen könnten schlicht man-
158
TAHYNA-VIRUS IN DEUTSCHLAND
gels gezielter Suche übersehen worden sein. Schließlich werden heute noch bei
etwa 70% der viralen ZNS-Erkrankungen keine definitiven Erreger entdeckt.
Trotz jahrzehntelang vorhandener Kenntnisse über das Virus und detaillierter
Forschungen in der Tschechoslowakei mit dem Nachweis zahlreicher Erkrankungen wurde das Virus in Mitteleuropa einfach wieder vergessen. R. Ackermann, der
in den späten sechziger Jahren umfangreiche Forschungen über das Tahyna-Virus in Deutschland initiiert hatte, berichtete uns mündlich, nach Auflösung seiner früheren Abteilung für Virologie an der Kölner Universität seien die zahlreichen gesammelten Virusisolate schlicht und einfach vernichtet worden. Damit
verschwanden auch die technischen Möglichkeiten, serologische Testverfahren
wiederaufzubauen.
Auch Knuth (1990) monierte das fehlende Interesse. Seither hat sich an diesem
Zustand praktisch nichts geändert. Da gibt es wohl noch einiges zu tun!
159
CAL-BUNYAVIREN: LITERATUR
Ausgewählte Literatur:
Ackermann R. et al.: Über die Verbreitung von Viren der California-Encephalitis-Gruppe in der BRD.
Dtsch Med Wochenschr 1970; 95: 1507-1513.
Aspöck H. et al.: Isolierung des Tahyna-Virus aus Stechmücken in Österreich.
Arch ges Virusforschung 1966.
Aspöck H. und Kunz C.H.: Untersuchungen über die Ökologie des Tahyna-Virus.
Zentralbl Bakt Hyg A 1967; 203: 1-24.
Bardos V. et al.: Serological study of the medical importance of Tahyna virus. In: Arboviruses of the
California complex and bunyamvera group. Symposium, Smolenice 1966.
Publ House Slovak Acad Sci Bratislava 1969: 301-344.
Butenko A.M .et. al.: Serodiagnosis and epidemiology of a California encephalitis group of infections in
the Ryazan region. Vopr Virusol 1995; 40: 17-21 (in russisch).
Danielova V.: Verbreitung von Moskito-übertragenen Arboviren in der Tschechoslowakei und die epidemiologischen Konsequenzen. Cesk Epidemiol Mikrobiol Immunol 1990, Nov. (in tschechisch).
Demikhov V.G.: Outcomes and prognosis of diseases caused by Inkoo and Tahyna.
Vopr Virusol 1995; 40: 72-74 (in russisch).
Halouzka J. et al.: Isolation of Tahyna virus from biting midges (Diptera, Ceratopogonoidae) in CzechoSlovakia. Acta Virol 1991; Mai.
Knuth T.H., Liebermann H., Urbanek D.: Für die DDR neuartige Virusinfektionen der Haustiere: 4.
Mitteilung: Die Tahyna-Virusinfektion- ein Überblick.
Arch exper Vet med Leipzig 1990; 44: 265-277.
Kolobukhina L.V. et al.: Diseases associated with viruses of the California encephalitis group in Russia.
Clin Diagn Lab Immunol 1998;
Mancao M.Y. et al.: California encephalitis in Alabama. South Med J 1996; 10:
McJunkin J.E. et al.: California La Crosse encephalitis. Infect Dis Clin North Am 1998; 12: 83-93.
Medek M. et al.: Isolation of Tahyna virus from the blood of sick children.
Cesk Pediatr 1976; Nov. (in tschechisch, Abstr. englisch).
Profittlich W.: Neutralisierende Serumantikörper gegen das Tahyna-Virus bei der ländlichen Bevölkerung
von Rheinland-Pfalz, Hessen, Saarland und Nordrhein-Westfalen. Dissertation, Köln 1971.
Rosicky B., Malova D.: Tahyna-Virus. Natural Focus in southern Moravia. Publ Acad Press, Prag 1980.
Sluka F.: Zur Erkenntnis der klinischen Formen des Valtice-Fiebers, einer neuen Arbovirose.
Wien Med Wochenschr 1969; 119: 765-769.
Spieckermann D. et al.: Studien zur natürlichen Verbreitung des Tahyna-Virus in Süddeutschland.
Zentralbl Bakteriol Hyg A 1974.
Spithaler W.: Neutralisierende Serumantikörper gegen das Tahyna-Virus bei der ländlichen Bevölkerung
von Baden-Württemberg und Bayern. Dissertation, Köln 1971.
Szumlas D.E. et al.: Seroepidemiology of La Crosse virus infection in humans in western North Carolina.
Am J Trop Med Hyg 1996; 54: 332-337.
160
PAPATACCI-FIEBER
10.5 SCHULD WAR DOCH NICHT DER CHIANTI – ODER:
DIE TOSKANA-FRAKTION LEBT GEFÄHRLICH:
DAS PAPPATACI-FIEBER
Dieter Hassler
Die Medizinstudenten der siebziger Jahre wurden nach ihrem Examen mit einer
vermeintlich gesicherten Lehrmeinung in den Berufsalltag entlassen: Unser diagnostisches Repertoire schien lückenlos, eine Krankheit, die wir nicht in distinkten Trennungsgängen einordnen konnten, gehörte bestenfalls zum Psychiater.
Daß diese Hybris nicht ganz gerechtfertigt war, erfuhr ich eines Tages «am eigenen Leibe». Im Jahre 1984 verbrachten wir unseren Urlaub mit einer befreundeten Familie im klassischen toskanischen Bauernhaus. Alles schien perfekt, das
Ambiente bis zum Sonnenuntergang kaum verbesserungsfähig.
Abbildung 37: Auch idyllische und friedliche Landschaften wie die Toskana bergen ihre Risiken: Hier lauert das
Pappataci-Fieber
161
PAPPATACI-FIEBER: KLINIK
Was störten da noch die winzig kleinen Stechmücken, die uns allabendlich zur
Zeit des Sonnenuntergangs belästigten? Mückenstiche eben, nicht der Rede wert
für einen Badener, der in der Rheinebene aufgewachsen war, wo die Stechmücken
(«Schnooge») bekanntlich ganz andere Dimensionen erreichen*. Einige Tage später traf mich eine Erkrankung aus heiterem Himmel. Am Nachmittag plötzlich eintretende Schüttelfröste, Fieberanstieg und heftiges Grippegefühl. Selbst die echte
Influenza, die ich zwei Jahre zuvor erlebt hatte, war wenig beeindruckend gegenüber dieser Variante. Nach ruheloser Nacht traten Kopfschmerzen hinzu. Beim Aufstehen durchzuckte mich eine völlig neue Schmerzqualität. Die Augenmuskeln
waren hoch schmerzhaft, jeder Versuch der Blickwendung wurde sofort bestraft.
Zwei Tage später trat eine erhebliche Besserung ein, die Schmerzen verschwanden, das Fieber war rückläufig, und eine Teilnahme am allgemeinen Leben war
wieder möglich. Die Krankheitsursache blieb rätselhaft. Zwei Tage später erkrankte mein Freund Jochen K. an identischen Symptomen, was von unseren Ehefrauen
in dem Sinne kommentiert wurde, daß es sich wohl um eine Chianti-assoziierte
Erkrankung handeln müsse, schließlich würden nur Männer erkranken. Aktuell
schien diesem Argument wenig entgegenzusetzen.
Zurück in Deutschland, wurden Lehrbücher der Infektiologie gewälzt, Spezialisten befragt, diskutiert. Keine Theorie war verifizierbar. Die Auflösung des Rätsels
kam überraschend. Mein Freund und Kollege Dr. Hans K. lauschte der Schilderung des Problems, lehnte sich genußvoll zurück und brummelte Pfeife-stopfend:
«Völlig klarer Fall, das war ein typisches Pappataci-Fieber!»
Nach Androhung körperlicher Gewalt (ersatzweise 30 Tage Chianti-Entzug) gab
er sein Geheimnis um die Kenntnis dieses exotischen Krankheitsbildes preis. Ein
junger Assistenzarzt hatte diese Diagnose ebenso lakonisch gestellt, als er ein
(weibliches!!) Familienmitglied nächtens in der Notaufnahme des Krankenhauses
in Siena vorgestellt hatte.
Diese Episode wirft ein Schlaglicht auf unsere Gewohnheiten der Anamneseerhebung und Diagnostik. Wir fragen routinemäßig unsere Patienten: „Waren Sie in
den Tropen?“. Wir denken an Malaria und Gelbfieber, an Schlafkrankheit und Ebolavirus, die Krankheiten in unserem «Vorgarten» kennen wir nicht.
* Der psychologisch geschulte Leser wird eine gewisse Geistesverwandschaft der Badener mit den Texanern
bemerken!
162
TOSKANA-VIRUS
Das TOS-Virus und seine Verwandten
Das Toskana-Virus gehört zur Gruppe der Phleboviren innerhalb des Genus Bunyaviridae, zu dem auch die Hantaviren und die California-Encephalitis-Viren
gehören (siehe oben). Zu den Phleboviren gehören zahlreiche Arten, die alle durch
Moskitos übertragen werden. Darunter sind auch einige sehr enge europäische
Verwandte des TOS-Virus, die rund um das Mittelmeer verbreitet sind. Alleine in
Italien kursieren die Typen Naples (SFN), das Sizilianische Sandfliegenvirus (SFS)
und der Namensgeber TOS, manchmal sogar in derselben Region nebeneinander
(Verani 1995, Nicoletti 1996). Die Gruppe wird auch als SF-Virus zusammengefaßt.
Auch in Portugal, Spanien, Griechenland, dem ehemaligen Jugoslawien und Zypern
gibt es diese Viren.
Dieselben (oder serologisch ähnlich reagierende) Phleboviren wurden in vielen
Gebieten Asiens gefunden, verwandte Phleboviren sind aus fast ganz Afrika und
Südamerika bekannt geworden.
Vektoren sind immer Sandmücken (Phlebotomus perniciosus bzw. P. pappatasi).
Manchmal trifft man bei Übertragung englischer Texte auf die falsche Übersetzung «Sandflöhe». Diese haben mit dem TOS-Virus aber nichts zu tun.
Für die italienischen Endemiegebiete erscheint nachvollziehbar, daß die früheren
Bemühungen der Malaria-Kontrolle durch massive Bekämpfung der übertragenden Stechmücken wohl auch die Inzidenz dieser Viruserkrankungen vorübergehend gesenkt haben, denn über längere Zeit fand man eine abnehmende Erkrankungsrate. Dies scheint sich jetzt umzukehren, denn in den letzten Jahren wurden
vermehrt schwere Verläufe mit neurologischen Komplikationen vor allem aus der
alten Endemie-Region um Siena gemeldet.
Erkrankungen durch das Toskana-Virus:
Nicht immer harmlose Sommergrippe
Eine auffallende Ähnlichkeit der TOS-Infektion mit unserer (nicht verwandten)
FSME besteht in der Tatsache, daß Kinder meist weniger schwer erkranken als
Erwachsene. Daher galt lange als Regel, daß viele Toskana-Bewohner bereits im
Kindesalter diese Infektion durchgemacht und meist schadlos überstanden hatten. So glaubte man eine Zeit lang, daß vor allem Touristen, die erst als Erwach-
163
TOSKANA-VIRUS-INFEKTION: PROPHYLAXE
sene infiziert wurden, schwerer erkranken würden. Doch dieses Bild scheint sich
zu wandeln – vielleicht auch ein Ergebnis größerer Aufmerksamkeit. Je jünger die
Publikation, desto mehr neurologische Komplikationen (auch bei Kindern) werden berichtet (Becker 1997, Braito 1998). Seröse Meningitiden sind nicht selten,
chronische Verläufe und solche mit neurologischer Defektheilung kommen vor.
Braito berichtet, daß in den Sommermonaten 80% der akuten viralen ZNS-Infektionen bei Kindern in der Toskana durch das TOS-Virus bedingt sind. Die schwereren Verläufe werden aber auch heute noch bei Erkrankung im Erwachsenenalter beobachtet. Doch zumindest ein Trost existiert: Die Erkrankung hinterläßt
eine lebenslange Immunität.
Serologische Testverfahren sind etabliert, werden aber nicht von allen Labors angeboten (eine mögliche Adresse: Bernhardt-Nocht-Tropeninstitut in Hamburg).
Prophylaxe und Therapie
Einzige realistische Möglichkeit der Krankheitsvermeidung sind derzeit engmaschige Moskito-Netze, da die übertragenden Sandmücken der Gattung Phlebotomus
durch die gröberen handelsüblichen Netze durchaus hindurchschlüpfen können.
Repellents erscheinen eher weltfremd (wer will sich allabendlich großflächig eincremen?). Ein Impfstoff soll jetzt entwickelt werden.
Therapeutische Optionen existieren nicht.
164
TOSKANA-VIRUS: LITERATUR
Ausgewählte Literatur:
Becker M. et al.: Pappataci-Fieber. Klin Pädiatr 1997; 209: 377-379.
Braito A. et. al.: Evidence of Toscana virus infections without central nervous system involvement: a
serological study. Eur J Epidemiol 1997; 13: 761-764.
Braito A. et. al.: Toscana virus infections of the central nervous system in children: a report of 14 cases. J
Pediatr 1998; 1: 132, 144-148.
Cross E.R. et. al.: The potential effect of global warming on the geographic and seasonal distribution of
Phlebotomus pappatasi in southwest Asia. Environ Health Perspect 1996; 104: 724-727.
Eitrem R. et. al.: High prevalence rates of antibody to three sandfly fever viruses (Sicilian, Naples, and
Toscana) among Cypriots. Epidemiol Infect 1991; 107: 685-691.
Mendoza-Montero J. et. al.: Infections due to sandfly fever virus serotype Toscana in Spain.
Clin Infect Dis 1998; 27: 434-436.
Nicoletti L. et al.: Sandfly fever viruses in Italy. Arch Virol 1996; 11 (Suppl.): 41-47.
Schwarz T.F. et al.: Aseptic Meningitis caused by sandfly fever virus, serotype Toscana.
Clin Infect Dis 1995; 21 (3): 669-671.
Schwarz T.F. et al.: Serosurvey and laboratory diagnosis of imported sandfly fever virus, serotype
Toscana, infection in Germany. Epidemiol Infect 1995; 114: 501-510.
Tesh R.B. et al.: Characterization of five new phleboviruses recently isolated from sandflies in tropical
America. Am J Trop Med Hyg 1989; 40: 529-533.
Tesh R.B.: The epidemiology of Phlebotomus (sandfly) fever. Isr J Med Sci 1989; 25: 214-217.
Verani P. et al.: Antigenetic and biological characterization of Toscana virus, a new Phlebotomus fever
group virus isolated in Italy. Acta Virol 1984; 28: 39-47.
Verani P. et al.: Arbovirus surveilance in Italy. Parassitologia 1995; 37: 105-108.
165
OROYA-FIEBER
10.6 VON WÜHLMÄUSEN, SCHÜTZENGRÄBEN
UND KATZENKRATZERN: BARTONELLOSEN
Dieter Hassler
BAHNBAU IN FEINDLICHER UMGEBUNG:
OROYA-FIEBER UND VERRUGA PERUANA
I n der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts strebten die Ingenieure
nach immer neuen Rekorden. Letzte «weiße Flecken» auf den Landkarten wurden getilgt. Eine der verbliebenen großen Herausforderungen war der Bahnbau
über die peruanischen Anden von Lima nach Oroya. Mit dieser Bahn, die eine Höhe
von fast 5000 Metern über Meereshöhe überquert, und damit noch heute zu den
absolut höchsten Bahnlinien der Welt gehört, hoffte man riesige Bodenschätze in
dieser menschenfeindlichen Region zu heben. Entsprechend gigantisch war der
technische Aufwand.
Abbildung 38: Die Bahnstrecke von Lima nach Oroya
Sie führt vom Meer über die Küstenkordillere auf das Dach der Anden und wurde um 1870
gebaut; Tausende starben damals am (später) so genannten Oroya-Fieber.
166
BRÜCKE DER WARZEN
Der amerikanische Unternehmer Henry Meiggs (mit dem Spitznamen «Yankee
Pizarro») erhielt die Konzession zum Bau der Bahn. Er warb in ganz Peru und Chile
Arbeiter an, um das Vorhaben in Angriff zu nehmen. Bald kampierten Tausende
in den unwegsamen Bergregionen unter unvorstellbaren hygienischen Bedingungen. Als die Strecke im Laufe des Jahres 1869 das Tiefland verlassen und entlang dem Rimac-Fluß eine Höhe von über 1000 m erreicht hatte, trat in den Massenunterkünften bald eine völlig neuartige Erkrankung auf. Die Arbeiter litten
zunächst an hohem Fieber, im weiteren Verlauf starben sie zu Tausenden an einer
schweren Anämie und – in Folge einer schweren Immunsuppression – an Sekundärinfektionen wie Miliartuberkulose, Shigellosen und Salmonellosen (GarciaCaceres 1991).
Abbildung 39: Historisches Foto der «Brücke der Warzen»
Die «Puente de Verrugas» liegt im Verlauf der Trans-Anden-Eisenbahn; die Peruaner sagen,
jede Schwelle dieser Bahnlinie sei Symbol für einen Toten.
167
SELBSTVERSUCH DES DANIEL ALCIDES CARRIÓN
Wie Garcia-Caceres nachweist, war diese Krankheit in der Region alles andere als
neu. Schon ein Reisegefährte von Francisco Pizarro, sein Militärberichterstatter
Valdizan, beschrieb im Jahre 1540 den Ausbruch einer Krankheit unter den Conquistadores, die mit hohem Fieber begann und bei den Überlebenden nach einiger
Zeit «blutgefüllte Warzen» entstehen ließ. So war erstmals der Zusammenhang
zwischen der fieberhaften Primärerkrankung und der nachfolgenden Verruga dokumentiert (Patron 1889, De Estete 1925). Diese Verruga peruana (peruanische
Warze) ist eine stark vaskularisierte, eruptive Hautläsion mit charakteristischem
Aussehen. Sie kommt nur in einem definierten Gebiet im Norden der Anden, ausschließlich in der Höhenstufe von 1000 bis 3000 m vor, und ist seit Urzeiten in
der Region bekannt. Sie «zierte» nicht nur bildhafte Darstellungen von Menschen
auf Töpfereien und Stelen, sogar präkolumbianische Mumien trugen dieses Mal
(der histologische Beweis gelang allerdings erst Allison 1985).
Zunächst gerieten viele der alten Kenntnisse in Vergessenheit, und nun wurde
zum Ärger der Peruaner sogar das fieberhafte Stadium von den Teilnehmern einer
wissenschaftlichen Expedition der Harvard-University als «neues» Krankheitsbild
unter dem Namen Oroya-Fieber beschrieben und ein Zusammenhang mit der
Verruga ausgeschlossen (Strong 1915). Der Name Oroya-Fieber hat sich trotz dieses Irrtums gehalten. Die eigentliche Leistung der frühen Entdecker geriet völlig
zu unrecht in den Hintergrund. Sie verdient dennoch eine kurze Betrachtung.
Nicht jeder Selbstversuch bleibt folgenlos:
Der Grabstein von Daniel Carrión
Da Pizarros Reiseberichte in spanischen Tresoren lagerten, mußte die Entdekkungsgeschichte mühevoll wiederholt werden. Der erste Wissenschaftler der Neuzeit, der schon 1858 die kompletten Zusammenhänge erkannt und in seiner Promotionsarbeit diskutiert hat, war Tomas Salazar (siehe Abbildung 40, links). Dies
war aber vielleicht auch in Peru nicht allgemein bekannt.
Einige Zeit später wollte Daniel Alcides Carrión, ein junger Student, im Stil der Zeit*
den endgültigen Beweis für die vermuteten Zusammenhänge zwischen den
Fieberepidemien der Bahnarbeiter und der Verruga peruana erbringen. Auch er
* Robert Koch hatte gerade seine berühmten Postulate formuliert
168
VERRUGA PERUANA
Abbildung 40: Links: Monströse Variante der Verruga peruana
Garcia-Caceres gebührt der Verdienst, das wahrscheinlich älteste «medizinische» Foto
Südamerikas wiederentdeckt zu haben, das eine Krankengeschichte in der Doktorarbeit von
Tomas Salazar illustriert; es wurde bereits 1858 aufgenommen und zeigt Blumenkohl-artige
verruköse Läsionen am Hals des Patienten Don Aniceto de La Cruz, der eine Woche nach dieser
Aufnahme starb.
Rechts: Verruga peruana der linken Hand aus der heutigen Zeit
hatte den Verdacht, daß diese Warze durch denselben Erreger wie das Fieber ausgelöst werden könnte. Carrión plante diese Hypothese in einem Selbstversuch zu
überprüfen. Er rieb sich Material aus einer Verruga in die Haut und beobachtete
den Krankheitsverlauf. Er protokollierte den Krankheitsverlauf zunächst selbst;
nachdem er immer schwächer wurde, übernahmen dies Mitstudenten. Leider
nicht allzu lange, denn 39 Tage später starb er am Oroya-Fieber. Eine Therapie mit
Chinin war ohne Effekt geblieben, so daß eine Malaria ausgeschlossen werden
konnte. So war der Zusammenhang schlüssig bewiesen, seine Mitstudenten publizierten den Verlauf ein Jahr später (Medina et al. 1886). Carrións Grabstein kündet angeblich von seiner diagnostischen Großtat.
169
DANIEL ALCIDES CARRIÓN
Abbildung 41: Daniel Alcides Carrión
Die Abbildung stammt aus den «Anales de la Facultad de Medicina» der Universität von San
Marcos aus dem Jahr 1925.
170
OROYA-FIEBER: KLINIK
Erreger, Reservoir und Vektor
Bartonella bacilliformis wurde 1909 von Barton beschrieben, eine erste Kultur gelang
1926. Sie war damit der erste Vertreter der neuen Gattung Bartonella, einer Gruppe, die (nach längerer Pause) wieder vermehrt medizinische Bedeutung gewinnt.
Bartonella bacilliformis lebt primär in Erythrozyten, sekundär kommt es zu einer
Kolonisierung der Milz und anderer Organe.
Einziges bekanntes Reservoir ist der Mensch, Überträger eine Sandmücke der
Gattung Lutzomyia, die nur in der bereits erwähnten Höhenstufe der Anden zwischen 1000 und 3000 m vorkommt (Young 1985).
Klinik
Das Oroya-Fieber beginnt nach einer Inkubationszeit von etwa drei Wochen mit
hohem Fieber, Lymphknotenschwellungen, Hepatosplenomegalie und einer
schweren Haemolyse durch Destruktion der Erythrozyten. Es folgt eine Phase der
ausgeprägten Immunsuppression, die schwere Sekundärinfektionen häufig
macht. 40% der Erkrankungen verliefen in der präantibiotischen Ära aufgrund
der Anämie, hauptsächlich aber wegen der Sekundärinfektionen tödlich.
Monate später entwickelte sich dann bei den Überlebenden die typische Verruga
peruana, die meist einige Monate bestand, bevor sie spontan abheilte. Aus dieser
Läsion (siehe Abbildung 40) läßt sich B. bacilliformis gut isolieren.
171
OROYA-FIEBER: LITERATUR
Ausgewählte Literatur:
Allison M.J. et al.: A case of Carrións disease associated with human sacrifice from the Huari culture of
southern Peru. Am J Phys Anthropol 1985; 41: 295-300.
de Estete M.: Relacion del viaje de Hernando Pizarro (1553) as cited by Hermilio Valdizan in: Apuntes
para la historia de la verruga peruana. Anales Faculdad Med Lima 1925; 10 (Suppl.): 34-44.
Garcia-Caceres U. et. al.: Bartonellosis: an immunosupressive disease and the life of Daniel Alcides
Carrión. Am J Clin Pathol 1991; 95 (Suppl.1): 58-66.
Medina C. et al.: La verruga peruana y Daniel Carrión. Imprenta del Estado, Lima 1886.
Patron P.: La verruga do los conquistadores del Peru.
La Chronica Medica Band 6; pp. 101-105, Lima 1889.
Ricketts W.E.: Clinical manifestations of Carrións disease. Arch Intern Med 1949; 84: 751-781.
Salazar T.: Historia de las verrugas. Gaceta Medica de Lima 1858; 2: 161-164 und 175-178.
Weinman D., Pinkerton H.: Carrións Disease: Natural sources of Bartonella in the endemic zone.
Proc Soc Exp Biol Med 1937; 37: 596-598.
Young D.G. et al.: New records of phlebotomic sand flies from Peru with a description of Lutzomia oligodonta N. sp., from the Rimac valley. Int J Entomol 1985; 27: 136 146.
Internet: www.rcp.net.pe/rpundac/carrion.htm
172
BARTONELLA QUINTANA
WOLHYNISCHES FIEBER, SCHÜTZENGRABENFIEBER (TRENCH FEVER)
Fast jeder Arzt hat schon einmal von einem älteren Patienten bei der Anamneseerhebung gehört, daß dieser während des letzten Krieges in Rußland am Wolhynischen Fieber erkrankt gewesen sei. Die einschlägigen Lehrbücher der Infektiologie waren aber immer recht wortkarg, wenn es galt, Aussagen zu dieser Krankheitsentität zu machen. Dies schien nicht weiter schlimm, war doch die Krankheit
ohnehin seit dem Ende der Weltkriege so abrupt wieder verschwunden, wie sie
während dieser aufgetaucht war.
So blieb es meist eine rein anekdotische Anmerkung in den Krankenakten, und
kaum einer von uns jungen Assistenzärzten dachte weiter über die Natur dieser
Erkrankung nach. Sicher, der Flecktyphus, von dem einige der Betroffenen ebenfalls berichteten, war konkreter, hier kannte man ja sogar den verantwortlichen
Erreger, Rickettsia prowazekii (siehe auch Kapitel «Rickettsien»).
Das Krankheitsbild des Wolhynischen Fiebers war in den Kriegsjahren bestens
bekannt. Hochfieberhafte Verläufe mit Muskel- und Knochenschmerzen, deliranten Zuständen und protrahiertem Verlauf waren die Regel. Unterernährte oder
geschwächte Patienten starben oft.
Es gibt eine Fülle vergessener Literatur über diese Erkrankung aus der Zeit nach
dem ersten Weltkrieg. Bereits damals war aufgefallen, daß Truppenteile, die unmittelbar in Schützengräben eingesetzt waren, viel häufiger erkrankten als solche
in der Etappe. Auch der Zusammenhang mit dem Vektor Kleiderlaus wurde frühzeitig erkannt (Strong 1918, Swift 1920). Man konnte damals aber die Erreger
nicht eindeutig von Rickettsien unterscheiden. Mit dem Ende der Weltkriege
erlosch dann wieder das Interesse an dieser Krankheit, da sie ja wieder genauso
schnell verschwunden war, wie sie einst auftauchte. Die ganze Geschichte wurde
also zu den Akten gelegt.
Erst 1965 konnten Ito und Vinson melden, Bartonella (damals noch Rickettsia) quintana isoliert und sowohl in vitro als auch in der Kleiderlaus kultiviert zu haben.
Jahrzehnte später kamen erste Berichte, daß man ein ähnliches Krankheitsbild
wiederentdeckt hatte (Slater 1990), und ein «neuer» Erreger wurde als Verursacher beschuldigt. Dies war Anlaß einiger Verwirrung, und wie die Geschichte der
Katzenkratzkrankheit zeigen wird, konnte erst allmählich Ordnung in diese vertrackte Gattung gebracht werden.
173
BARTONELLA QUINTANA: LITERATUR
Dennoch schließt sich der Kreis um Bartonella quintana: Der lang verschollene
Erreger konnte in den letzten Jahren wiederentdeckt werden. Man hat ihn dort
gesucht, wo es die letzten Bestände der Kleiderlaus gibt, und hat ihn gefunden: Bei
nichtseßhaften Alkoholkranken in Großstädten (Spach 1995, Brouqui 1996).
Bartonella quintana ist also alles andere als ausgestorben. Sie wartet nur auf ihre
Chance.
Ausgewählte Literatur:
Brouqui P. et al.: Survey of the seroprevalence of Bartonella quintana in homeless people.
Clin Infect Dis 1996; 23: 756-759.
Ito S., Vinson J.W.: Fine structure of Rickettsia quintana cultivated in vitro and in the louse.
J Bakteriol 1965; 89: 481-495.
von Krampitz H.E.: Weitere Untersuchungen an Granhamella Brumpt 1911Z .
Tropenmed Parasitol 1962; 13: 34-53.
Slater L.N. et. al.: A newly recognized fastiduous gram-negative pathogen as a cause of fever and bacteriaemia. N Engl J Med 1990; 323: 1587-1593.
Spach D.H. et. al.: Bartonella (Rochalimea) quintana bacteriemia in inner-city patients with chronic
alcoholism. N Engl J Med 1995; 332: 424- 428.
Strong R.P.: Trench fever: Report of Commission, Medical Research Committee, American Red Cross.
Oxford University Press, Oxford (UK) 1918.
Swift H.F.: Trench fever. Arch Intern Med 1920; 26: 76-98.
Vinson J.W., Fuller H.S.: Studies on trench fever I. Propagation of Rickettsia-like microorganisms from a
patients blood. Pathol Microbiol 1961; 24 (Suppl.): 152-166.
174
BARTONELLA HENSELAE
DIE KATZENKRATZKRANKHEIT («CAT SCRATCH DISEASE», CSD)
Manch Katzenbesitzer hat mit seinem Haustier schon recht unangenehme Erfahrung gemacht. Ein kleiner, spielerischer Kratzer an der Haut, Tage danach geschwollene, schmerzhafte Lymphknoten, die über Wochen bestehen bleiben können, bisweilen auch Fieber und grippeartige Symptome. Insgesamt schien die Erkrankung
aber immer selbstlimitierend zu verlaufen (über eventuell nachfolgende Endocarditiden wußte man früher nichts).
Auch über den verantwortlichen Erreger war lange nichts bekannt, man wußte
aber, daß manche Antibiotika (wie etwa Tetracycline) die Krankheit günstig beeinflussen konnten. Die Suche nach dem Übeltäter war ein Sammelsurium von
Irrtümern, vorzeitigen Erfolgsmeldungen und Eifersüchteleien.
Abbildung 42: Axillärer Lymphknoten bei einem Patienten mit Katzenkratzkrankheit
1985 schien es erstmals soweit. Gerber postulierte ein Bakterium namens Rhotia
dentocariosa als Verursacher, nachdem er den Erreger aus einem einzigen Lymph-
175
BARTONELLA HENSELAE: LITERATUR
knoten eines Erkrankten isoliert hatte. Ihm wurde sofort und heftig widersprochen. Sein heftigster Widersacher, Charles English, warf ihm Dilettantismus vor
und argumentierte (völlig richtig), daß man ja einige Antibiotika kenne, gegen die
Rhotia sensibel sei und daß manche von ihnen bekanntlich bei der CSD nicht
wirksam seien.
Drei Jahre später publizierte English seine eigenen Ergebnisse und präsentierte
einen völlig neuen Erreger, den er Afipia felis nannte. Immerhin hatte er diesen bei
mehr als zehn Patienten isoliert und auch die Übertragung im Tiermodell (auf
Gürteltiere) gezeigt.
Nun schien alles geklärt – doch wieder war die Erfolgsmeldung verfrüht. Heute
wissen wir, daß die CSD in den meisten Fällen von Bartonella henselae, einem weiteren Vertreter dieser interessanten Gruppe der Bartonellen, verursacht wird
(Dolan 1993). Welche Rolle Afipia felis tatsächlich spielt, bedarf noch der weiteren
Überprüfung. Alle derzeitig verfügbaren Fakten sprechen aber für eine ausgesprochene Statistenrolle (Giladi 1998).
Ausgewählte Literatur:
Anderson B.E. et al.: Detection of Rochalimea henselae in cat scratch disease skin test antigens.
J Infect Dis 1993; 168: 1034-1036.
Debré R. et al.: La maladie des griffes de chat. Bull Mem Soc Med Hist 1950; 6: 76-79.
Dolan M.J. et al.: Syndrome of Rochalimea henselae adenitis suggesting cat scratch disease.
Ann Intern Med 1993; 118: 331-336.
Dupon M. et al.: Evaluation of serological response to Bartonella henselae, Bartonella quintana and
Afipia felis antigens in 64 Patients with suspected cat-scratch disease.
Scand J Infect Dis 1996; 28: 361-366.
English C.K. et al.: Cat scratch disease. Isolation and culture of the bacterial agent.
JAMA 1988; 259: 1347-1352.
Giladi M. et al.: Cat scratch disease: the rare role of Afipia felis. J Clin Microbiol 1998; 36: 2499-2502.
Maurin M. et al.: Current knowledge of Bartonella species.
Eur J Clin Microbiol Infect Dis 1997; 16: 487-506.
Relman D.A. et al.: The agent of bacillary angiomatosis. An approach to the identification of uncultured
pathogens. New Engl J Med 1990; 323: 1573-1580.
176
SPEKTRUM DER BARTONELLOSEN
GEMEINSAMKEITEN UND UNTERSCHIEDE IM KLINISCHEN
SPEKTRUM DER BARTONELLOSEN
Bartonellen gehören wie viele der «neuen» Krankheitserreger zu den vorwiegend
intrazellulären Mikroorganismen. Sie sind eng verwandt mit Brucella und Rhizobium. Ein mit anderen atypischen Bakterien gemeinsames Feature ist ihre Affinität zu Endothelzellen. Ganz besonders auffallend ist, daß mehrere BartonellenArten neben einem systemischen Krankheitsbild lokale, verrukös-angiomatöse
Bilder auslösen können. Neben der klassischen Verruga peruana durch B. bacilliformis sind dies vor allem B. quintana und B. henselae.
Die bazilläre Angiomatose wurde vor allem bei HIV-Infizierten beobachtet. Ganz
ähnlich wie die Verruga peruana läßt sie sich als warzenartige, stark vaskularisierte Hauteruption beschreiben. Sie kann prinzipiell an jeder Stelle der Haut,
aber auch an den Schleimhäuten des Gastrointestinal- bzw. Urogenitaltraktes
auftreten.
Abbildung 43: Bazilläre Angiomatose durch Bartonella henselae
177
BARTONELLOSEN: KLINIK
Gerade B. henselae hat sich im Zeitalter von HIV neuen Respekt verschafft. Bei
HIV-Infizierten verursacht sie ein chronisches Krankheitsbild, bei dem oft Milz
und Leber involviert sind und Endocarditiden nicht selten beobachtet werden. Bei
Immunkompetenten läuft die Erkrankung durch B. henselae dagegen in der Regel
als (relativ) harmlose Katzenkratzkrankheit ab. Inzwischen konnte gezeigt werden, daß die Reservoire von B. henselae praktisch immer Katzen sind. Hält ein HIVInfizierter eine Katze, so steigt sein Risiko stark, an B. henselae-Infektionen zu erkranken.
humanpathogene Erreger (Auswahl)
Systemische Infektion
Lokale Läsion
Vektor
Oroya-Fieber
Verruga peruana
Sandfliegen
B. quintana
5-Tage-Fieber
Schützengrabenfieber
Endocarditis
Bazilläre Angiomatose*
Kleiderlaus
B. henselae
Katzenkratzkrankheit
Endocarditis
Meningitis
Bazilläre Angiomatose*
Katzenflöhe,
Katzenkratz-Verletzungen
B. elizabethae
1 x Endocarditis
?
B. claridgeiae
Katzenkratzkrankheit
?
Katzen
Systemische Infektion
Reservoir
Vektor
B. vinsonii
–
Wühlmäuse
Flöhe
B. grahamii
B. taylori
B. doshiae
–
Wühlmäuse
Flöhe
B. bacilliformis
nicht(?)-humanpathogene Erreger
* meist bei Immunschwäche
Tabelle 8: Bartonellosen (modifiziert nach Koehler 1997)
178
BARTONELLOSEN: DIAGNOSTIK
Bartonellen-Endocarditis
Zahlreiche Lehrbücher enthalten bei der Differentialdiagnose der Endocarditis die
Chlamydien, nicht aber die Bartonellen. Heutige Kenntnisse über Lebensweise
und serologische Reaktionen beider Gattungen lassen vermuten, daß die Bartonellen eine weitaus größere Rolle bei diesem Krankheitsbild spielen als Chlamydien
(bei der KHK mag dies ganz anders aussehen, siehe auch Kapitel 4.2). Mehrere
Bartonella-Spezies wurden zweifelsfrei als Erreger einer Endocarditis isoliert, und
die Dunkelziffer dürfte angesichts der fehlenden Möglichkeiten vieler Labors, diese
Gattungen zu differenzieren, erheblich sein.
Didier Raoult, einer der herausragenden Kenner der Bartonellen, berichtete 1997
bei einem Kongreß in Sidney, er habe alle Fälle einer Chlamydien-Endocarditis, die
einer Überprüfung zugänglich waren, als Bartonella-bedingt verifizieren können,
wobei anzufügen ist, daß andere Labors diese Auffassung nicht bestätigen konnten. Vermutlich müssen in diesem Punkt einige Lehrbücher korrigiert werden.
Fallstricke der Diagnostik
Die serologischen Verfahren, die ja zu den Stützpfeilern unserer medizinischen
Diagnostik gehören, sind im Falle der Bartonellen relativ wenig aussagekräftig. Zu
groß sind die Kreuzreaktionen, vor allem mit Chlamydien-Arten. BartonelloseKranke fallen nach Raoult oft sogar durch besonders hohe Antikörpertiter in der
Chlamydien-Serologie auf. Erst die zunehmende Verbreitung der PCR setzte uns in
die Lage, zweifelsfrei zwischen diesen Gattungen zu unterscheiden. Von diesem
Verfahren wird denn auch in den letzten Jahren reger Gebrauch gemacht. So kam
es auch in dieser Gattung zur fast inflationären Vermehrung der beschriebenen
Arten, wobei allerdings (bis jetzt) nur wenige gesichert humanpathogen sind.
Auch kulturelle Verfahren, die allerdings noch wenigen spezialisierten Labors
vorbehalten sind, können zuverlässig unterscheiden.
Völlig offen bleibt derzeit die Frage, ob Bartonellen bei der Diskussion um Chlamydia pneumoniae und die koronare Herzkrankheit eine Rolle spielen könnten. Da in
der Chlamydien-Diagnostik oft serologische Verfahren zu Anwendung kommen,
die mit Bartonella kreuzreagieren können, bleiben Unsicherheiten.
179
BARTONELLEN IM INDIREKTEN IFT
Abbildung 44: Nachweis von Bartonella-Antikörpern mit dem indirekten IFT (= Immunfluoreszenz-Test)
Wo eine Wühlmaus, da eine Bartonelle
Während man früher händeringend nach dem Reservoir der verschiedenen Bartonellen gesucht hat, findet man heute fast monatlich neue Arten. Die meisten
der neuentdeckten Arten wurden bei systematischer Suche in Mäusen und anderen Nagern gefunden. Dies geht inzwischen so weit, daß man fast postulieren
kann, daß in fast jeder untersuchten Wühlmauspopulation Bartonellen zu finden
sind. Die meisten der neuentdeckten Arten wurden beim Menschen noch nicht
isoliert, ihre grundsätzliche Verwandtschaft läßt es aber möglich erscheinen, daß
dies nur eine Frage der Zeit und der gezielten Suche sein könnte.
Spannend bleibt die Frage, warum bestimmte Arten häufig in Katzen gefunden
werden. Bei der generellen Assoziation der Bartonellen zu Mäusearten kann man
spekulieren, daß die Katzen sich beim Mäusefang infizieren. Verifizieren ließe sich
diese Überlegung, wenn auch in wildlebenden, mäusefangenden Feliden Bartonellen zu finden wären; dies ist aber bisher nicht gelungen.
180
BARTONELLOSEN: THERAPIE
Therapie der Bartonellosen
Die Gruppe der Bartonellen unterscheidet sich in einem ganz wesentlichen Punkt
von Chlamydien und anderen verwandten Gruppen: Nach Meinung von Raoult
wirken nur Aminoglykoside bakterizid. Dem widerspricht, daß diese Substanzgruppe in manchen klinischen Fällen versagt hat. Da systematische Studien noch
fehlen, können wir derzeit diesen Streit nicht endgültig entscheiden. Das bedeutet
ferner, daß wir gerade die an einer Bartonellen-Endocarditis Erkrankten ganz
anders behandeln müssen, als wir das üblicherweise tun würden, da PenicillinDerivate unwirksam sind.
Wirksam sind neben den Aminoglykosiden vor allem Tetracyclin-Derivate, moderne Makrolide und Fluorchinolone wie etwa Levofloxacin (Ives 1997, Raoult
1997).
Die Therapiedauer ist von der klinischen Manifestation abhängig: bei unkomplizierten Bartonellosen wie der CSD genügen 10 Tage, bei Endocarditiden werden
mehrere Wochen empfohlen.
Ausgewählte Literatur:
Ives T.J. et al.: In vitro susceptibilities of Bartonella henselae, B. quintana, B. elizabethae, Rickettsia
rickettsii, R. conorii, R. akari and R. prowazekii to macrolide antibiotics as determined by
immunofluorescent antibody analysis of infected Vero cell monolayers.
Antimicrob Agents Chemother 1997; 41: 578-582.
Koehler J.E.: Bartonella: an emerging human pathogen. In: Scheld W.M. et. al.: Emerging Infections I.
ASM Press, Washington DC 1997.
181
FSME
10.7 AM ANFANG STAND EIN HARMLOSER WALDSPAZIERGANG...
DIE FRÜHSOMMER-MENINGO-ENCEPHALITIS (FSME)
Peter Kimmig
UND IHRE VERWANDTEN
I nfektionserreger, die durch Arthropoden (Gliederfüßler) übertragen werden,
gelten gemeinhin als Spezifikum von Entwicklungsländern, wohingegen die Industrieländer der gemäßigten Zonen davon kaum mehr betroffen sind. Dies war
nicht immer so, kamen doch etwa in napoleonischer Zeit die meisten Soldaten
nicht durch Feindeinwirkung, sondern durch das von Läusen übertragene Fleckfieber (Rickettsia prowazekii) ums Leben.
Die Verbesserungen der Lebensbedingungen und der allgemeinen Hygiene haben
derartige Infektionskrankheiten in den entwickelten Ländern weitgehend verschwinden lassen. Dies gilt aber nicht oder nur beschränkt für zoonotische Infektionskreisläufe, die in der freien Natur ablaufen, so daß derartige Infektionen
nach wie vor auch in in den gemäßigten Breiten auftreten; vorrangig sind dies
solche, die durch Zecken übertragen werden. Hier sind in erster Linie die Borreliosen und Zecken-Encephalitiden, in zweiter Linie die Rickettsiosen, Ehrlichiosen
und Babesiosen zu nennen.
Während die Borreliosen über die gesamte nördliche Hemisphäre verbreitet sind,
sind die viralen Zecken-Encephalitiden in erster Linie eine «Domäne» der alten
Welt. Sie werden durch verschiedene Flaviviren verursacht, die aufgrund serologischer Kreuzreaktionen als TBE (tick borne encephalitis)-Komplex zusammengefaßt
werden. Hierzu gehören das in Mitteleuropa beheimatete Frühsommer-Meningoencephalitis-Virus (FSMEV), auch als zentraleuropäisches Encephalitis(ZEE)-Virus
bezeichnet, und das sehr nah verwandte russische Frühsommer-Meningoencephalitis-Virus (Russian Spring Summer Encephalitis, RSSE), das über Rußland bis
China verbreitet ist. Auf den Britischen Inseln, die FSME-frei sind, ist als «Ersatz»
das Looping ill-Virus vertreten, das zu Encephalitiden bei Schafen und Rindern,
jedoch nur selten auch beim Menschen führt. In die gleiche Virus-Verwandtschaft
gehören auch die Verursacher von haemorrhagischen Fiebern wie das OmskHaemorrhagische-Fieber, das in der Region um den Baikalsee auftritt, sowie die
Kyasanur-Waldkrankheit, die auf dem indischen Subkontinent beheimatet ist
(Kraus et al. 1997).
182
FSME-VIRUS
Abbildung 45: Idyllischer Waldweg
Erreger
Anfang der 30er Jahre berichtete Schneider (1931) erstmals von einer epidemischen Meningitis serosa, die regelmäßig im Frühling und Frühsommer in der
Gegend von Wien auftrat. Kurze Zeit später wurde auch in der östlichen Sowjetunion von derartigen Infektionen berichtet. Bereits 1933 erfolgte hier auch die
Isolierung des Virus und der Beweis für die Übertragung durch Zecken (Silber
1939; zit. nach Radda 1973). In Westeuropa gelang dies erst anläßlich einer
Epidemie im Jahre 1948 in der Tschechoslowakei (Gallia et al 1949).
Bei dem FSME-Virus handelt es sich um ein RNA-Virus aus der Familie der Flaviviridae (früher: Arboviren Genus B). Das behüllte Virus besteht aus einem ikosaedrischen Kapsid, das die Flavovirus-spezifischen Core-Proteine enthält. Die Hülle
trägt die artspezifischen Glykoproteine, ein membranassoziertes Protein M (membrane) sowie das Hauptoberflächenglykoprotein E (envelope). Letzteres ist für die
Bindung des Virus an die Zellrezeptoren verantwortlich und fungiert als Fusions-
183
FSME: KLINIK
protein bei der Endozytose. Im Organismus induziert das E-Protein eine protektive Immunantwort und führt zur Bildung neutralisierender Antikörper (Heinz
1995). Es stellt die Grundlage der aktiven Immunisierung dar, die gegen beide
Subtypen (FSMEV und RSSEV) gerichtet ist, da diese hier eine 96%ige Übereinstimmung aufweisen.
Krankheitsbild
Die Inkubationszeit bei der FSME beträgt im allgemeinen 7-14 Tage. In dieser Zeit
kommt es zu einer ersten Virusvermehrung am Infektionsort und anschließendem Transport der Viren in die regionären Lymphknoten und von dort in das RES
(RHS), wo eine massive Virusvermehrung stattfindet (Conrads und Plassmann
1982). In ca 60% der Fälle kommt die Infektion bereits während der Inkubationszeit zum Stillstand, so daß sie unbemerkt bleibt und nur aufgrund der Antikörperbildung erfaßt wird. Bei den verbleibenden 40% kommt es zu einer Virusausschwemmung in die Blutbahn und somit zu einer Virämie, die zu einer ausgeprägten, wenn auch unspezifischen Symptomatik führt, die sich in hohem Fieber
über 39°C, Kopfschmerzen, Gliederschmerzen sowie katarrhalischen und intestinalen Erscheinungen äußert; das klinische Bild ist von einer «Sommergrippe»
nicht zu unterscheiden. Bei 30% aller FSME-Infektionen kommt die Erkrankung
auf diesem Stadium zum Stillstand. Nur bei den verbleibenden 10% kommt es zur
Phase der Organmanifestation. Dieser geht ein symptomfreies Intervall voraus,
das durchschnittlich 8 Tage dauert (1-20 Tage). Danach kommt es schlagartig
wieder zum Fieberanstieg, starken Kopfschmerzen und Nackensteifigkeit bis hin
zur ausgeprägten Symptomatik einer Meningitis (45%), Meningoencephalitis
(41%) oder im schlimmsten Fall einer Myelitis bzw. Radikulitis (14%) (Kunz 1992,
Kaiser 1997). Die Letalität liegt bei der FSME mit 1-2 % der encephalitischen Fälle
relativ niedrig, der russische Subtyp ist mit einer Letalität von bis zu 30% wesentlich gefährlicher (Kunz 1995). Der Prozentsatz an bleibenden Schäden bis hin zur
Tetraplegie indessen ist auch bei der FSME mit 10% vergleichsweise hoch. Ähnlich wie die sogenannten «Kinderkrankheiten» verläuft die Infektion bei Kindern
in der Regel relativ mild und nimmt mit zunehmendem Alter an Schwere zu.
184
FSME: DIAGNOSE UND THERAPIE
Diagnose und Therapie
Die Diagnose einer FSME ist anhand der Exposition in einem Risikogebiet, der klinischen Symptomatik sowie einem entzündlichen Liquorbefund in Verbindung
mit dem Nachweis spezifischer Antikörper meist ohne Probleme möglich. Bei der
Antikörperbestimmung ist ein Titeranstieg der IgG-Antikörper oder der Nachweis
von hohen Titern der IgM-Klasse beweisend. Bei 90% der Patienten lassen sich
zudem 10 Tage nach Erkrankungsbeginn intrathekale FSME-Antikörper nachweisen. Eine antivirale Therapie der FSME steht derzeit nicht zur Verfügung, die
Behandlung bleibt auf symptomatische Maßnahmen beschränkt (Kaiser et al.
1998).
Epidemiologie
Die Schwerpunkte der FSME-Verbreitung liegen im Baltikum, Rußland und GUSStaaten, Polen, Tschechien, Ungarn, Kroatien, Slowenien, Österreich und Süddeutschland. Die Erkrankungshäufigkeit an FSME hat in der Mehrzahl dieser Länder mit Beginn der 90er Jahre sprunghaft zugenommen. Besonders beeindrukkende Zahlen finden sich in Lettland, wo in den 70er und 80er Jahren zwischen
100 und 300 FSME-Fälle registriert wurden. 1993 kam es dann zu einem steilen
Anstieg auf 791 Fälle, der sich im Jahr 1994 bis auf eine Rekordzahl von 1366 Fälle fortsetzte (Kunz 1995). In Baden-Württemberg war – auf niedrigerem Niveau –
eine ähnliche Entwicklung festzustellen. Hier traten bis zum Beginn der 90er
Jahre nur zwischen 8 und 32 Fälle pro Jahr auf. 1992 war dann ein sprunghafter
Anstieg auf 120 Fälle festzustellen, der 1994 mit 239 Fällen seinen bisherigen
Höhepunkt erreichte (Roggendorf et al. 1995). In der Folgezeit blieben die Zahlen
anhaltend erhöht und pendelten sich auf 100-150 Fälle pro Jahr ein (Kaiser
1997). Die Gründe für die Zunahme der FSME-Infektionen sind unklar; es
erscheint jedoch plausibel, daß sie in den milden Wintern der letzten Jahre zu
suchen sind. Diese dürften eine höhere Überlebensrate der Zecken und ihrer wichtigsten Wirtstiere, kleinen Nagern, bewirkt und somit zwangsläufig zu einer Intensivierung des zwischen diesen ablaufenden Infektionskreislaufes geführt
haben.
Dieser Infektionskreislauf stellt die Grundlage der sogenannten Naturherde dar.
Diese sind von den örtlichen Gegebenheiten abhängig. Da die zu den Milben
gehörenden Zecken mindestens 75% Luftfeuchtigkeit benötigen, sind Flußtäler
185
FSME: EPIDEMIOLOGIE
die bevorzugten Zeckengebiete, wohingegen die Zeckendichte mit zunehmender
Höhe zurückgeht (Liebisch 1991).
Für eine genauere Lokalisation der Naturherde bzw. Endemiegebiete werden verschiedene Verfahren herangezogen:
➠ Eine umfassende Übersicht läßt sich am ehesten durch die Registrierung
und Lokalisierung klinischer Fälle erzielen. Die meisten der bekannten
Endemiegebiete der FSME sind auf dieser Basis erfaßt worden (Roggendorf
und Lenz 1994, RKI 1998).
➠ Als zweite Methode kommt die Ermittlung der FSME-Antikörper-Prävalenz
beim Menschen in Frage. Damit läßt sich – indirekt – das Vorkommen der
FSME-Viren feststellen und lokalisieren. Bei der Untersuchung der FSMEAntikörper-Prävalenz bei Waldarbeitern in Baden-Württemberg (Kimmig
et al. 1998) hat sich gezeigt, daß die auf diese Weise ermittelten Endemiegebiete nur zum Teil mit denen übereinstimmen, die aufgrund der Lokalisation klinischer Fälle festgelegt wurden. Möglicherweise spielen hier Virulenzunterschiede der verschiedenen Stämme eine Rolle; so ist bekannt, daß
bereits der genetische Austausch des Codons für eine einzige Aminosäure
im E-Protein zur Attenuierung führen kann (Labuda et al. 1994).
Diese beiden Verfahren verlieren indessen bei hohen Durchimpfungsraten der
Bevölkerung ihre Brauchbarkeit. Als einzige diesbezüglich nicht beeinflußbare
Methode bleibt dann nur die direkte Bestimmung der Zeckendurchseuchung, die
sich heute dank der Polymerase-Ketten-Reaktion in größerem Umfang vornehmen läßt. Damit wurden Untersuchungen in Südwestdeutschland und in Ostdeutschland vorgenommen. Dabei zeigte sich, daß die Zeckendurchseuchung im
Großraum Freiburg i.Br. derzeit bei 1-4% liegt (Kimmig et al. 1998, Süss et al.
1998), was gegenüber früheren Untersuchungen (Rehse-Küpper et al. 1978) eine
Steigerung um eine Zehnerpotenz bedeutet und mit der angestiegenen Zahl klinischer Fälle gut übereinstimmt. Ähnlich hohe Durchseuchungsraten wurden
auch schon früher (mit Kulturverfahren) in Österreich bestimmt (Kunz 1992).
Demgegenüber wurden in Ostdeutschland, das aus früheren Zeiten als Endemiegebiet bekannt war, unter 19000 Zecken nur 6 positive gefunden, was sich mit
den in den letzten Jahren nur sporadisch aufgetretenen FSME-Fällen deckt. Die
Ursachen für die Entstehung einer derartigen «endemischen Latenz», die der Entwicklung in den anderen Endemiegebieten zuwider läuft, sind nicht bekannt
(Süss et al. 1995).
186
FSME: PROPHYLAXE
Prophylaxe
Angesichts des Fehlens einer kausalen Therapie der FSME nimmt die Prophylaxe
einen hohen Stellenwert ein. Für Art und Umfang der Maßnahmen ist die Kenntnis der FSME-Endemiegebiete von entscheidender Bedeutung.
Generell sind bei Aufenthalt in Endemiegebieten allgemeine Vorsichtsmaßregeln
zu empfehlen, wie das Tragen von möglichst heller Kleidung, die das Absuchen
etwa übergestiegener Zecken erleichtert. Ein fester Abschluß der Kleidung ist ein
wirksamer Schutz gegen Zecken, das Hineinstecken der Hosen in die langen
Socken ist trotz geringer Attraktivität unbedingt empfehlenswert; Repellentien
bieten keinen zuverlässigen Schutz. Nach Aufenthalt in einem Zeckenbiotop sollte unbedingt der ganze Körper nach Zecken abgesucht werden; da Zecken unter
Umständen Stunden bis zum Einstechen benötigen, lassen sich so Infektionen
ganz verhindern, andernfalls – bei bereits saugenden Zecken – kann die Zahl der
übertretenden Erreger minimiert werden.
Als spezifische Prophylaxe steht eine aktive und eine passive FSME-Immunisierung zur Verfügung.
Die Indikation für die aktive Impfung mit inaktivierten FSME-Viren sollte sich
innerhalb eines allgemeinen Endemiegebiets wie etwa Süddeutschlands in erster
Linie an der Exposition in Beruf oder Freizeit orientieren. Sie sollte erst in zweiter
Linie von den engeren Risiko- bzw. Nicht-Risikogebieten abhängig gemacht werden, die anhand der klinischen Fälle ermittelt wurden. Hierfür sprechen die heute
weitgehende Mobilität der Menschen, aber auch die Ergebnisse von AK-Prävalenzstudien, die auf ein wesentlich breiteres Vorkommen der FSME-Viren in Süddeutschland hindeuten (Kimmig et al. 1998).
Die passive Immunisierung hat in letzter Zeit stark an Bedeutung verloren. Ihre
Wirksamkeit für den Menschen ist nur schwach belegt (Kunz et al.1981); darüber
hinaus ist sie nur innerhalb maximal 96 Stunden nach Zeckenstich möglich, zu
einem späteren Zeitpunkt führt sie zu einer Verschlechterung des Infektionsverlaufs; dies macht ihren Einsatz in Endemiegebieten fragwürdig. Speziell bei
Kindern sind schließlich neuerdings einige besonders schwere Verläufe bekannt
geworden, so daß die passive Immunisierung bei Kindern bis 15 Jahren ausgesetzt
wurde. Die Gabe von FSME-Antikörpern wird daher übereinstimmend nur noch
in Ausnahmefällen (z.B. Touristen aus FSME-freien Gebieten) empfohlen (Kaiser
et al. 1998).
187
FSME: LITERATUR
Ausgewählte Literatur:
Conrads R., Plassmann E.: Frühsommer-Meningoencephalitis (FSME). Fortschr Med 1982; 17: 799-801.
Gallia F., Rampas J., Hollender J.: Laboratori infekce encefalitickym virem. Cas Lek Ces 1949; 88: 225.
Heinz F.X.: Die Molekularbiologie des FSME-Virus. In: Süss J. (Hrsg.): FSME und Lyme-Borreliose.
3. Potsdamer Symposium 1995. Weller Verlag, Schriesheim 1995.
Kaiser R. et al.: Verlauf und Prognose der FSME. Der Nervenarzt 1997; 68: 324-330.
Kaiser R. und die Teilnehmer der Expertenkonferenz: Frühsommermeningoencephalitis und LymeBorreliose-Prävention vor und nach Zeckenstich. Dtsch Med Wschr 1998; 123: 847-853.
Kimmig P., Oehme R., Backe H.: Epidemiologie der Frühsommer- Meningoencephalitis (FSME) und LymeBorreliose in Südwestdeutschland. Ellipse 1998; 14: 95-105.
Krauss H., Weber A., Enders B., Schiefer H.G., Slenczka W., Zahner H.: Zoonosen.
DeutscherÄrzte-Verlag, Köln 1997.
Kunz Ch., Hofman H., Kundi M.: Zur Wirksamkeit von FSME-Immunglobulin.
Wien Klin Wschr 1981; 93: 665-667.
Kunz Ch.: Tick-borne encephalitis in Europe. Acta Leidensia 1992; 60: 1-14.
Kunz Ch.: Epidemiologische Situation der FSME in Europa. In: Süss J. (Hrsg.): FSME und Lyme-Borreliose.
3. Potsdamer Symposium 1995. Weller Verlag, Schriesheim 1995.
Labuda M., Jiang W.R., Kaluzova M., Kozuch O., Nutall P.A., Weismann P., Eleckova E., Zuffova E.,
Gould E.A.: Change in phenotype of tick borne encephalitis virus following passage in Ixodes
ricinus ticks and associated amino acid substitution in the envelope protein.
Virus Res 1994; 31: 305-315.
Liebisch A.: Biologie und Ökologie der Zecken. In: Horst H. (Hrsg.): Einheimische Zeckenborreliose
(Lyme-Krankheit) bei Mensch und Tier. Perimed, Erlangen 1991.
Radda A.: Die Zeckenencephalitis in Europa. Z Angew Zool 1973; 60: 409-461.
Rehse-Küpper B., Danielova V., Klenk W., Abar B., Ackermann R.: The isolation of Central European
Encephalitis Virus from Ixodes ricinus ticks in Southern Germany.
Zbl Bakteriol Hyg I 1978; 272: 148.
RKI: Verbreitung der Frühsommer-Meningoencephalitis (FSME) in Deutschland und Schlußfolgerungen
für die Prävention. (Daten von Roggendorf M., Jäger G., Kaiser, R.).
Epidemiolog Bull 1998; 27: 193-195.
Roggendorf M., Lenz P.: Änderungen der Epidemiologie der FSME in Süddeutschland.
Ellipse 1994; 11: 33-40.
Roggendorf M., Lenz P., Kaiser R., Jäger G.: Epidemiologische Situation der FSME in Bayern und BadenWürttemberg. In: Süss J. (Hrsg.): FSME und Lyme-Borreliose. 3. Potsdamer Symposium 1995.
Weller Verlag, Schriesheim 1995.
Schneider H.: Über epidemische akute Meningitis serosa. Wien Klin Wschr 1931; 44: 350-352.
Süss J., Beziat P., Ramelow C., Berndt D.: Untersuchungen zur epidemiologischen Situation der FSME in
den neuen Bundesländern von 1992. In: Süss J. (Hrsg.): FSME und Lyme-Borreliose.
3. Potsdamer Symposium 1995. Weller Verlag, Schriesheim 1995.
Süss J., Schrader C., Abel U., Voigt W.T., Schosser R.: Investigation on prevalence and seasonal activity of
tick born encephalitis virus in ticks in high risk natural loci in Germany using nested RT-PCR.
(im Druck).
188
EHRLICHIOSE
10.8 VON HERZWASSER UND PFERDEFIEBER:
EHRLICHIOSE
Dieter Hassler
Wieder müssen wir weit zurück in die Vergangenheit. In den neunziger Jahren
des 19. Jahrhunderts grassierte eine Erkrankung in afrikanischen Kuhherden, die
unter dem Namen «Heartwater» bekannt wurde. Bei dieser Krankheit kam es zur
Ausbildung eines ausgeprägten Perikardergusses. Die Infektion hatte infolge kapillarer Blutungen im Gehirn oft letale Folgen.
In den Folgejahren wurden Zecken-verseuchte afrikanische Rinder in die Karibik
exportiert, wo es ebenfalls zu Ausbrüchen kam. Man befürchtete ein Übergreifen
auf das nordamerikanische Festland. Daher war bereits damals das Interesse der
amerikanischen Forscher an dieser Erkrankung groß.
1899 begann man mit Versuchen, die Krankheit auf zuvor gesunde Tiere zu übertragen, um deren infektiöse Natur zu untermauern. Zum Glück für die beteiligten
Forscher erübrigten sich hier die sonst so beliebten Selbstversuche. Die Übertragung gelang.
Im Jahre 1910 wurde mittels neuentwickelter Färbetechniken in Blutausstrichen
einer der verantwortlichen Erreger sichtbar gemacht, der damals noch als Anaplasma marginale bezeichnet wurde (Theiler 1910). 1925 erkannte Cowdry den
nach ihm benannten Erreger Cowdria ruminatium als Erreger der HeartwaterErkrankung bei Kühen, Schafen und Ziegen, Donatien beschrieb 1935 den heute
als Ehrlichia canis bekannten Vertreter, Gordon entdeckte E. phagocytophila 1940.
Interessanterweise wurde in der Veterinärmedizin über Jahrzehnte den Ehrlichien
Aufmerksamkeit geschenkt (Gribble 1969), während die Humanmediziner sich in
dem Glauben sonnten, von dieser Gattung verschont zu bleiben. Erst in den fünfziger Jahren unseres Jahrhunderts lernte man, intrazellulär lebende Bakterien
und Viren unter anderem dadurch zu unterscheiden, daß letztere nicht gegen Antibiotika empfindlich waren. Nun erkannte man, daß die Tetracycline gegen Ehrlichien
und ähnliche Erreger (wie etwa Rickettsien) wirkten.
In Japan kam es 1965 zur Entdeckung von Ehrlichia sennetsu, die beim Genuß von
rohem Fisch, wie dies in Japan sehr beliebt ist, übertragen wird. Sie war die erste
189
EHRLICHIEN: LEBENSRÄUME
entdeckte humanpathogene Art und löst ein Krankheitsbild aus, das man als
Mononukleose-ähnlich beschrieb.
Auch in den folgenden Jahren wurden zahlreiche neue Arten entdeckt (E. equi
1969, E. ewingii 1971 und E. risticii 1984).
Eine besondere Berühmtheit erlangte E. canis, weil diesem Erreger Hunderte von
militärisch eingesetzten Hunden während des Vietnamkrieges zum Opfer fielen,
bis man die Ursache erkannte und die Epidemie durch Zeckenbekämpfung und
frühzeitige antibiotische Therapie der erkrankten Hunde beherrschen lernte (Davidson 1978).
Ehrlichien in aquatischen Lebensräumen
Betrachtet man die verschiedenen bisher bekannten Ehrlichien, so fällt eine völlige Trennung ihrer bevorzugten Lebensräume auf. Einige Arten bevorzugen offensichtlich den aquatischen Lebensraum, andere leben terrestrisch ohne erkennbare Bindung zum Wasser. Zu ersteren gehört E. sennetsu, die natürlicherweise in
Fischparasiten vorkommt und deshalb, wie oben erwähnt, durch den Genuß
rohen Fisches übertragen wird. Eine Infektion kann also über den Magen-Darmtrakt erfolgen.
Ähnliches kennt man aus der Veterinärmedizin. In Alaska und Kanada wurden
immer wieder scheinbare Fischvergiftungen bei Säugetieren wie Koyote, Hund
und Schwarzbär beobachtet. Zunächst interpretierte man die sogenannte «Salmon poisoning disease» als Ergebnis von bakteriellen Verwesungsvorgängen mit
Toxinbildung. Inzwischen weiß man, daß es sich mitnichten um die Folgen verdorbener Fische handelte, sondern um eine Ehrlichien-Infektion. Die fischfressenden Tiere infizieren sich auf dem Weg der Nahrungsaufnahme mit Neorickettsia
helminthocea, die wie E. sennetsu über parasitische Helminthen die Fische infiziert.
Es konnte gezeigt werden, daß nicht etwa der Wurm, sondern tatsächlich die Ehrlichien-Infektion für die Erkrankung der Koyoten verantwortlich war (Foreyt
1987).
Theoretisch sollte eine derartige Übertragung auch auf den Menschen möglich
sein. Wahrscheinlich hat nur die Tatsache, daß Amerikaner und Europäer ihren
Lachs lieber gebraten essen, Erkrankungen verhindert. Das Lachscarpaccio der
«neuen Küche» sollte man vielleicht doch eher überdenken.
190
EHRLICHIA RISTICII
Pferdefieber am Potomac
Auch um Ehrlichia risticii rankt sich eine spannende Geschichte. 1979 trat bei
Pferden in der Umgebung des Potomac-River in Maryland eine schwere Erkrankung auf, die im Anschluß auch in anderen Staaten (nach Palmer 1993 auch in
Europa!) gefunden wurde. Die Pferde litten an Fieber, Anorexie und Durchfällen.
Bei nicht rechtzeitiger Rehydratation und antibiotischer Behandlung verlief die
Krankheit in vielen Fällen letal. Da unter anderem teure Rennpferde betroffen
waren, war das Interesse an der Klärung dieser Krankheitsfälle erheblich. Nicht
viel später wurde E. risticii als auslösendes Agens erkannt. Derselbe Errreger
wurde später auch bei erkrankten Hunden entdeckt (Kakoma 1994).
Völlig unklar blieb zunächst, wie der Erreger zu den Pferden bzw. den Hunden
kam. Man suchte ihn in allen denkbaren Vektoren, unter anderem in Zecken,
ohne jemals eine Spur von ihm entdecken zu können. Allein der Fluß schien eine
Rolle zu spielen, waren doch viele der infizierten Pferde hier zur Tränke geführt
worden.
Noch Anfang des Jahres 1998 war das Problem ungelöst. In einer Arbeit von
Februar dieses Jahres wird unter «Übertragungsweg» schlicht notiert: unbekannt.
Wenige Monate später hatte diese Frage eine überraschende Antwort gefunden.
Jeffrey Barlough (1998) und Mitarbeiter hatten Wasserschnecken der
Gattung Juga gesammelt und diese
in Aquarien gesetzt. Nach einer gewissen Zeit sonderten die Schnekken große Mengen von Zerkarien
ab. Dies sind Zwischenstadien von
Trichobilharzia und verwandten Arten, die sich in diesen Wasserschnecken entwickeln.
Abbildung 46: Zerkarie (Trichobilharzia)
Normalerweise verläuft der Entwicklungszyklus so, daß die Zerkarien Wasservögel, vor allem Entenarten, infizieren und sich in diesen weiterentwickeln. Nach
der Ausscheidung der Eier mit den Fäkalien der Enten kehrt Trichobilharzia als
Miracidium zu den Wasserschnecken zurück, und der Zyklus beginnt von neuem.
191
ZERKARIENZYKLUS
Fehlwirt
Mensch
Endwirt
Ente
Ei
Zerkarie
Miracidium
Zwischenwirt
Schnecke
Abbildung 47: Schema Zerkarienzyklus
Gelegentlich «verirren» sich die Zerkarien und attackieren ungeeignete Wirte.
Mancher Badegast kann ein Lied von dieser Plage singen, wenn ihn nach dem
Besuch eines Baggersees oder Teichs Hunderte dieser Zerkarien attackiert haben
und seine Hautoberfläche von zahlreichen juckenden Läsionen übersät ist.
192
ZERKARIENDERMATITIS
Abbildung 48: Zerkariendermatitis
Hunderte von Papeln dokumentieren die Attacken der Zerkarien; heftiger Juckreiz ist die
Folge.
Diese Zerkarien, so fanden Barlough und Mitarbeiter heraus, übertragen (zumindest
in Amerika) E. risticii auf Pferde, die mit dem Wasser Kontakt haben, wobei allerdings noch nicht ganz klar ist, ob es eine aktive Übertragung gibt oder auch diese
Ehrlichiose oral, also beim Trinken zerkarienhaltigen Wassers, übertragen wird.
Trotzdem, Zerkarien sind wahrlich ein ungewöhnlicher Vektor! Es bleibt die Frage,
ob auf diese Weise vielleicht auch Menschen mit E. risticii infiziert werden können. Doch diese Frage ist noch völlig ungelöst. Einiges spricht dafür, daß die aquatisch lebenden Ehrlichien eine eigene Gruppe innerhalb der Gattung bilden und
nahe untereinander verwandt sind. Sie sind aber von aquatisch lebenden Rickettsien (siehe dort) klar zu trennen.
«Landlebende» Ehrlichien
Eine ganz andere Ökologie finden wir bei den übrigen Ehrlichien. Sie sind in der
Regel an Zecken als Vektoren gebunden. Reservoire sind verschiedene Säuger,
unter anderem Weißwedelhirsche.
193
EHRLICHIEN: VEKTOREN UND ZELLAFFINITÄT
Vektor
infiziert werden u.a.
Zellaffinität
Menschen
Huftiere
Pferde, Menschen
Menschen, Hirsche
Hunde
Kaninchen
Hunde
Granulozyten
Granulozyten
Granulozyten
Monozyten
Granulozyten
Granulozyten
Thrombozyten
Menschen
Monozyten
Pferde, Hunde
Monozyten
terrestrische Ehrlichien
HGE-Agent
E. phagozytophila
E. equii
E. chaffeensis
E. canis
E. ewingii
E. platys
Ixodes-Zecken
Ixodes-Zecken
Ixodes-Zecken
Amblyomma-Zecken
Zecken
Zecken
Zecken
aquatische Ehrlichien
E. sennetsu
E. risticii
Neorickettsia
helminthocea
Trematoden in
rohem Fisch (oral)
Zerkarien
(aktiv oder oral?)
Helminthen in
rohem Fisch (oral)
Hunde, Bären, Menschen?
Tabelle 9: Ausgewählte Ehrlichien und assoziierte Krankheitsbilder
Die spezifische Zellaffinität
Ehrlichien sind kleine, obligat intrazellulär lebende, gramnegative Bakterien. Die
verschiedenen Arten haben im Laufe der Evolution eine spezifische Zellaffinität
entwickelt. Einige leben ausschließlich in Granulozyten, andere nur in Monozyten. Eine Art, die allerdings (soweit wir wissen) beim Menschen nicht vorkommt,
lebt in Thrombozyten.
Granulozytäre Form: «Human granulocytic Ehrlichiosis (HGE)»
Die HGE wird von einer noch unbenannten Ehrlichien-Art verursacht, die nahe
mit E. phagozytophila und E. equi verwandt ist. Vektoren sind nach derzeitiger
Kenntnis vor allem Ixodes-Zecken, die auch Hauptüberträger der Borreliose sind.
194
HUMAN GRANULOCYTIC EHRLICHIOSIS
Die Zecken bleiben, wenn sie den Erreger bei einer Blutmahlzeit an einem bakteriämischen Wirt aufgenommen haben, transstadiell infiziert und geben die Ehrlichien bei der nächsten Blutmahlzeit weiter, weil diese in den Speicheldrüsen der
Zecken persistieren. Reservoire sind unter anderem Schafe, Weißwedelhirsche
(Odocoileus virginianus, das amerikanische Äquivalent unserer Rehe), aber auch
Mäusearten wie Peromyscus leucopus (Weißfuß-Hirschmaus) und Wühlmäuse
(Walker 1997).
Akute Erkrankungen wurden fast ausschließlich in den Sommermonaten beobachtet. 53% der bisher bekannten Patienten wurden hospitalisiert, 5% starben.
Leitsymptom
Häufigkeit in %
Fieber
Myalgien
Rigor
Gewichtsabnahme
Schwindel
Erbrechen
Lymphknotenschwellungen
Durchfälle
Leibschmerzen
Verwirrtheit
Exanthem
Leukopenie
Thrombopenie
Transaminasenerhöhung
100
98
95
37
39
34
2
10
8
17
2
50
92
91
Tabelle 10: Leitsymptome der HGE (nach Walker 1997)
Nicht immer verläuft die HGE spontan limitiert. Schwere Komplikationen inklusive letaler Verläufe wurden wie bei der HME bekannt. Neben neurologischen Komplikationen bis hin zur Meningitis in der Akutphase konnten auch Panzytopenien
durch Befall der Vorläuferzellen im Knochenmark beobachtet werden (Klein
1997).
Da die Erkrankung chronisch verlaufen kann, sind rekurrierende Fieberschübe
mit schweren Allgemeinsymptomen gelegentlich zu beobachten. Bei einem eigenen Fall konnten wir nachvollziehen, daß sich der Betroffene 1990 im US-Staat
Kansas nach multiplen Zeckenstichen infiziert hatte. Über acht Jahre traten die
195
HUMAN MONOCYTIC EHRLICHIOSIS
Fieberschübe zunächst etwa in vierzehntägigem Abstand, später etwa alle zwei
Monate auf. Immer wieder wurden umfangreiche serologische und klinische
Untersuchungen veranlaßt, die keinerlei tragfähige Diagnose erbrachten. Erst im
August 1998 konnte durch Nachweis spezifischer Antikörper und Bestätigung
mit dem Westernblot die Ätiologie geklärt werden. Nach 30tägiger DoxycyclinTherapie war der Patient erstmals seit Jahren wieder beschwerdefrei.
Monozytäre Form: Human Monocytic Ehrlichiosis (HME)
Der Erreger der HME, Ehrlichia chaffeensis, wurde erstmals aus dem Blut eines
erkrankten Patienten isoliert. Später wurde er in Amblyomma-Zecken und Weißwedelhirschen aus vielen Gegenden der USA gefunden (Lockhart 1997). Beide
scheinen für die Verbreitung der HME eine entscheidende Rolle zu spielen, da die
Weißwedelhirsche nach Infektion an einer langdauernden Bakteriämie leiden.
Deshalb können Zecken im Larven- oder Nymphenstadium den Erreger problemlos aufnehmen und bei ihrer nächsten Blutmahlzeit weitergeben.
Abbildung 49: «Lone Star Tick»
Zu den amerikanischen Amblyomma-Arten gehört die «Lone star tick» (A. americanum), die vor
allem in Texas vorkommt. Sie ist zu ihrem inoffiziellen Namen gekommen, weil sie ein charakteristisches Mal auf dem Rücken trägt, das an den texanischen «Lone Star» erinnert.
196
HUMAN MONOCYTIC EHRLICHIOSIS: KLINK
Während bei der Borreliose Mäuse das eigentliche Reservoir darstellen und Rehe
und Hirsche lediglich als Transportmittel Borrelien-haltiger Zecken dienen,
haben sie für die Ehrlichiose den Charakter eines echten Reservoirs.
Die HME imponiert als systemische Erkrankung mit gewissen Ähnlichkeiten zum
Rocky-Mountain-Spotted-Fever. Die meisten Symptome sind eher unspezifisch
(siehe Tabelle 11). In der von Fishbein (1994) vorgestellten Referenz-Serie der CDC
scheinen schwere Verläufe deutlich überrepräsentiert, da in einer prospektiven
Untersuchung an US-Soldaten gefunden wurde, daß 67% der Erkrankungen als
asymptomatische Serokonversionen ablaufen.
Walker (1997) diskutiert, daß es sich durchaus um unterschiedliche EhrlichienSpezies gehandelt haben könne, da die derzeit eingesetzten serologischen Testverfahren erhebliche Kreuzreaktionen zeigen.
Leitsymptom
Häufigkeit in %
Fieber
Kopfschmerzen
Myalgien
Gewichtsabnahme
Schwindel
Lymphknotenschwellungen
Durchfälle
Leibschmerzen
Verwirrtheit
Exanthem
Leukopenie
Thrombopenie
Transaminasenerhöhung
97
81
68
66
48
25
25
22
20
36
60
68
86
Tabelle 11: Leitsymptome der HME (nach Fishbein 1994)
Komplikationen der HME können in Form von Meningitiden, Lungenentzündungen (bis hin zum akuten Lungenversagen, Paparone 1995) und anderen Organbeteiligungen wie etwa Herzmuskelentzündungen ablaufen. Auch die HME ist
unbehandelt nicht selten tödlich (Paddock 1997).
197
EHRLICHIA PLATYS
Thrombozytäre Form
Bei Hunden wurde auch eine Ehrlichie (E. platys) gefunden, die sich in Thrombozyten vermehrt. Bei Stichproben fand man in einzelnen Hundepopulationen in
Taiwan zwischen 8 und 90% Infizierte (Chang 1996). Diese Art kommt wie E. canis
in zahlreichen Ländern vor und kann für schwer verlaufende Ko-Infektionen mit
diesem Erreger verantwortlich sein (Harrus 1997).
Diagnostik
➡
➡
Im Prinzip können sowohl HGE als auch HME durch Färbung von peripheren
Blutausstrichen erkannt werden. Die Erreger stellen sich in den spezifischen
Wirtszellen als «Morula» (lat. für Maulbeere) dar. Die Sensitivität dieses Nachweisverfahrens ist bei der HGE deutlich günstiger, bei der HME gelingt der Nachweis
nur im Ausnahmefall. Bei der üblichen maschinellen Auswertung der Differentialblutbilder besteht naturgemäß keine Chance, den Erreger zu erkennen.
Abbildung 50: Granulozytäre Ehrlichiose
Blutausstrich vom Hamster; in zwei Granulozyten (➡) sieht man die typische Formation der
Morula.
198
EHRLICHIOSEN: DIAGNOSTIK
Die serologische Kreuzreaktivität zwischen einigen Ehrlichien-Arten ist groß. Dies
macht man sich im klinischen Alltag zunutze, indem man zur Diagnose von
E. chaffeensis die verwandte, aber besser kultivierbare Art E. canis verwendet. Zur
serologischen Diagnostik der HGE (die von einer nah mit E. equi und E. phagozytophila verwandten, noch unbenannten Art verursacht wird), wird meist E. equi
verwendet.
Abbildung 51: Nachweis von Ehrlichia-Antikörpern mit dem indirekten IFT (= Immunfluoreszenz-Test)
Der Nachteil dieser Methode besteht darin, daß zwischen möglicherweise unterschiedlich pathogenen, aber kreuzreagierenden Arten nicht unterschieden werden kann. Da weltweit bei Borrelia-Infizierten zwischen 6 und 14% serologische
Hinweise auf eine gleichzeitige Ehrlichiose-Infektion gefunden werden, stellt sich
zumindest die Frage, ob weniger pathogene Ehrlichien hierfür verantwortlich sein
könnten. Dies würde erklären, daß bayrische Waldarbeiter zu 14% seropositiv
waren, ohne daß man Hinweise auf ein schweres Krankheitsbild der Betroffenen
gefunden hat (Fingerle 1998).
Auch die PCR stellt ein zur Diagnose der Ehrlichiosen geeignetes Verfahren dar.
Primer für die verschiedenen Arten lassen eine speziesspezifische Diagnose zu,
199
EHRLICHIOSEN: THERAPIE
was angesichts der bereits diskutierten Unsicherheiten der Serologie vielleicht
einige offene Fragen zu beantworten hilft.
Therapie der Ehrlichiosen
Da Ehrlichien obligat intrazellulär leben, sind nur wenige Antibiotikagruppen in
der Lage, den Keim zu treffen.
Standard in der Therapie der Ehrlichiosen ist Doxycyclin. Im allgemeinen werden
2 x 100 mg über 14-20 Tage empfohlen. Neuere Makrolide und Fluorchinolone
sind ebenfalls wirksam (Klein 1997). Grundsätzlich nicht wirksam sind Penicilline und Cephalosporine.
Systematische Untersuchungen zur vergleichenden Therapie mit den verschiedenen theoretisch in Frage kommenden Antibiotika existieren bisher nicht.
Ausgewählte Literatur:
Anderson B.E. et al.: Ehrlichia chaffeensis, a new species associated with human ehrlichiosis.
J Clin Microbiol 1991; 12: 2741-2745.
Anderson B.E. et al.: Ehrlichia ewingii sp. nov., the etiologic agent of canine granulozytic ehrlichiosis.
Int J Syst Bacteriol 1992; Apr.: 299-302.
Bakken J.S. et al.: Exposure to deer blood may be a cause of human granulozytic ehrlichiosis.
Clin Infect Dis 1996; 23: 198.
Barlough J.E. et al.: Detection of Ehrlichia risticii, the agent of Potomac horse fever, in freshwater stream
snails (Pleuroceridae, Juga spp.) from northern California.
Appl Envir Microbiol 1998; 64: 2888-2893.
Bennington E., Pratt I.: The life history of the salmon poisoning fluke, Nanophyetus salmincola CHAPIN.
J Parasitol 1960; 46: 91-100.
Carter N. et al.: Fourth nerve palsy caused by Ehrlichia chaffeensis. J Neuroophthalmol 1997; 17: 47-50.
Chen S.M. et al.: Identification of a granulozytic Ehrlichia species as the etiologic agent of human disease.
J Clin Microbiol 1994; 32: 589-595.
Chang A.C. et al.: Canine infectious cyclic thrombocytopenia found in Taiwan.
J Vet Med Sci 1996; 58: 473-476.
Davidson D.E. et al.: Prophylactic and therapeutic use of tetracycline during an epizootic of ehrlichiosis
among military dogs. J Am Vet Med Assoc 1978; 15: 697-700.
Dunn B.E. et al.: Identification of Ehrlichia chaffeensis morulae in cerebrospinal fluid mononuclear cells.
J Clin Microbiol 1992; Aug.: 2207-2210.
Fingerle V. et al.: Human granulocytic ehrlichiosis in southern Germany: increased seroprevalence in
high risk groups. J Clin Microbiol 1997; 35: 3244-3247.
200
EHRLICHIOSEN: LITERATUR
Fishbein D.B. et al.: Human ehrlichiosis in the United States 1985 to 1990.
Ann Intern Med 1994; 120: 736-743.
Foreyt W.J. et al.: Salmon poisoning disease in juvenile coyotes: clinical evaluation and infectivity of metacercariae and Rickettsiae. J Wildl Dis 1987; 23: 412-417.
Gribble D.H.: Equine Ehrlichiosis. J Am Vet Med Assoc 1969; 15: 462-469.
Jackson R.T., Jackson J.W.: Ehrlichiosis with systemic sepsis syndrome. Tenn Med 1997; 90: 185-186.
Jacobs R.F. et al.: Ehrlichiosis in children. J Pediatr 1997; 8: 184-192.
Harrus S. et al.: Clinical manifestations of infectious canine cyclic thrombopenia.
Vet Rec 1997; 141: 247-250.
Kadatzke J.T. et al.: Cluster of tick borne infections at Fort Chaffee, Arkansas: Rickettsiae and Borrelia
burgdorferi in ixodic ticks. J Med Entomol 1992; July: 71-76.
Klein M.B. et al.: Antibiotic susceptibility of the newly cultivated agent of human granulocytic ehrlichiosis. Promising activity of quinolones and rifamycins.
Antimicrob Agents Chemother 1997; 41: 76-79.
Klein M.B. et al.: Primary bone marrow progenitors of both granulozytic and monozytic lineages are susceptible to infection with the agent of human granulozytic ehrlichiosis.
J Infect Dis 1997; Nov.: 1405-1409.
Lockhart J.M. et al.: Isolation of Ehrlichia chaffeensis from wild white-tailed deer (Odocileus virginianus) confirms their role as natural reservoir hosts. J Clin Microbiol 1997; 7.
Madigan J.E. et al.: Serologic evidence of Potomac horse fever in three California horses with enterocolitis
and fever. J Equine Vet Sci 1987; 41: 8-10.
Ratnasamy N. et al.: Central nervous system manifestations of human ehrlichiosis.
Clin Infect Dis 1996; 8: 314-319.
Paddock C.D. et al.: Isolation and characterzation of Ehrlichia chaffeensis strains from patients with fatal
ehrlichiosis. J Clin Microbiol 1997; 35: 2496-2502.
Palmer J.E.: Potomac horse fever. Vet Clin North Am Equine Pract 1993; 9: 399-410.
Paparone P.W. et al.: Ehrlichiosis with panzytopenia and ARDS. N J Med 1995; 92: 381-385.
Petersen L.R. et al.: An outbreak of ehrlichiosis in members of an army reserve unit exposed to ticks.
J Infect Dis 1989; 159: 562-568.
Petrovec M. et al.: Human disease in Europe caused by an granulozytic Ehrlichia species.
J Clin Microbiol 1997; 35: 1556-1559.
Pusterla N. et al.: Granulocytic ehrlichiosis in two dogs in Switzerland.
J Clin Microbiol 1997; 9: 2307-2309.
Pusterla N. et al.: Serological, hematologic, and PCR-studies of cattle in an area of Switzerland in which
tick-borne fever (caused by Ehrlichia phagozytophila) is endemic.
Clin Diagn Lab Immunol 1998; 5 : 325-327.
Rikihisa Y., Perry B.D.: Causative ehrlichial organisms in Potomac horse fever.
Infect Immun 1985; 49: 513-517.
Shea K.W. et al.: Rhabdomyolysis associated with Ehrlichia chaffeensis infection.
Clin Infect Dis 1995; 22: 605.
Walker D.H.: Emerging human Ehrlichioses: Recently recognized, widely distributed, life-threatening tickborne diseases. In: Scheld W.M. et al. (Eds.): Emerging Infections I.
ASM Press, Washington DC 1997
Wong S. et al.: Ehrlichial infection as a cause of severe respiratory distress syndrome.
N Engl J Med 1996; 334 (1): 273.
201
RICKETTSIEN
10.9 VON NAPOLEONS FELDZÜGEN ZUM
ROCKY-MOUNTAIN-SPOTTED-FEVER:
RICKETTSIEN ALLÜBERALL
Dieter Hassler
Mehr Tote als alle Weltkriege zusammen: Rickettsia prowazekii
Thukydides ist bekannt als der Chronist großer Seuchen, die im Athen des 5. Jahr-
hunderts vor Christus wüteten. Recht anschaulich schilderte er den Ablauf dieser
fatalen Ereignisse, die Tausende das Leben kosteten. Aufgrund der Präzision dieser Überlieferung glauben viele Medizinhistoriker, daß der Flecktyphus Ursache
dieser Ereignisse gewesen sein müsse. Kaum eine andere Erkrankung aus historischer Zeit hat das Potential zu solchen Seuchenzügen. Einzig die Pest des Mittelalters hatte ähnliche Dimensionen. Nun könnten wir die Plagen Athens aus der Distanz von über 2000 Jahren höchst gelassen betrachten und sie als Märchengeschichte abtun, wären da nicht besser belegte Seuchenzüge in historischer Zeit.
Im Jahre 1490 etwa kehrten spanische Soldaten aus Zypern in ihre Heimat
zurück, sie brachten neben einer Menge Kleiderläuse auch den Flecktyphus mit,
wie sich anhand der Berichte über das Krankheitsbild rekonstruieren läßt. Von da
aus wurden die Krankheitserreger nach Italien eingeschleppt.
Der deutsche Kaiser Maximilian II, so berichtet Bernard Dixon, habe sich im Jahre
1566 von einem geplanten Feldzug gegen den Ottomanen-Kaiser Süleyman, der damals den Balkan beherrschte, zurückziehen müssen, da sich seine 80000 Mann
messende Streitmacht gegenüber dem Fleckfieber als hilflos erwies.
Auch der Dreißigjährige Krieg war vom Flecktyphus geprägt: 1632 lagen Gustav
Adolph und Wallenstein vor Nürnberg, bereit zur Schlacht um diese Stadt. Doch das
Fleckfieber tötete in den Lagern über 18000 Soldaten, so daß die Opponenten ihr
Heil in der Flucht vor der Seuche suchten und ihre Lager auflösten.
In Hans Zinssers Klassiker «Rats, Lice, and History» aus dem Jahre 1935, einem
höchst «amüsant» zu lesenden Buch, wird die These aufgestellt und belegt, daß
der Flecktyphus und nicht etwa die russischen Generäle Napoleon besiegt haben.
Zinsser zitiert aus Aufzeichnungen des napoleonischen Truppenarztes J.R.L. de
Kerckhove, der die Epidemien akribisch schilderte.
202
RATS, LICE, AND HISTORY
Eine Armee von fast 500000 Mann war
ausgehoben worden und sammelte sich
für den Feldzug Richtung Rußland. Zunächst schien alles geordnet abzulaufen.
Bereits beim Vormarsch durch Polen
mußten aber neue Hospitäler in Danzig,
Königsberg und Thorn aufgebaut werden,
weil die Erkrankungsraten drastisch anstiegen. Zunächst waren dies hauptsächlich Enteritiden, Diphtherie und Pneumonien, mit dem weiteren Fortschritt des
Feldzuges trat dann der Flecktyphus auf.
Zuerst waren es nur sporadische Fälle,
von Woche zu Woche wurden es mehr.
Nach der Schlacht von Ostrowo waren bereits 80000 Erkrankte zu beklagen. In Moskau waren schließlich nur noch 80000
Mann der gesamten Armee einsatzfähig.
Während des Rückzuges wurde es noch
Abbildung 52: Zinsser’s «Rats, Lice and History»
schlimmer: In Smolensk waren gerade
noch 2000 Reiter einsatzfähig, während 20000 Kranke in den Hospitälern der
Stadt lagen. In Vilna war die gesamte Armee auf 20000 durchweg kranke Soldaten geschrumpft. Ende Juni 1813 waren davon noch 3000 am Leben. Von Armee
konnte also keine Rede mehr sein. Geschlagen wurde diese Armee wohl tatsächlich von Krankheitserregern, nicht von anderen Armeen.
Ricketts und von Prowaczek sterben an Laborinfektionen
Auch die Wissenschaftler des 20. Jahrhunderts mußten dem Flecktyphus ihren
Tribut zollen. Die Arbeit mit Rickettsien im Labor in einer Zeit, als es noch keine
Hochsicherheitslabors für die Arbeit mit Infektionserregern gab, war aus heutiger
Sicht oft ein Lotteriespiel, was Raoult 1997 in einer Übersichtsarbeit lakonisch
kommentierte: „Für viele Jahre hatten Rickettsiologen den Ruf, daß ihr Leben als Wissenschaftler gefährlich war. Von den drei prominenten Vertretern am Anfang dieses Jahrhunderts starben Ricketts und von Prowazek an Rickettsien-Infektionen, einzig Nicolle
überlebte, um den Nobelpreis einzusammeln“.
203
RICKETTSIOSEN: KLINIK
Gemeinsame klinische Bilder der Rickettsiosen
Die bekannten Rickettsien-Infektionen werden allgemein in zwei Gruppen eingeteilt: Die klassischen «spotted-fever-group»-Rickettsien und die Arten, bei denen
kein Exanthem beobachtet wird. Generell beginnt das Krankheitsbild meist mit
Fieber und Allgemeinsymptomen.
Die spotted-fever-group ist charakterisiert durch ein makulopapulöses Exanthem,
das meist drei bis sieben Tage nach Erkrankungsbeginn beobachtet wird. Es ist
nicht obligat, aber in dieser Gruppe häufig.
Abbildung 53: Links: Klinisches Bild eines letalen Falls Rechts: EM-Aufnahme von Rickettsien in
mit Fleckfieber-Exanthem
kultivierten Zecken-Zellen (Ixodes scapularis)
Ein weiteres typisches Feature vieler Rickettsien-Infektionen ist die sogenannte
«Tache noire», eine bläulich-schwarze Ulzeration, die sich an der Zeckenstichstelle ausbildet und oft lange hält. Nicht immer ist die pathognomonische bläuliche
Farbe ausgebildet, oft handelt es sich nur um ein schlecht heilendes kleines Ulkus
(siehe auch Abbildung 54).
204
RICKETTSIEN: KRANKHEITSBILDER
Krankheitsbilder
Art
Vektor
Verlauf
Verbreitung
Flecktyphus
R. prowazekii
Kleiderlaus
muriner Typhus
Rickettsienpocken
R. typhi
R. akari
Rattenflöhe
Mäusemilben
schwer,
häufig Rezidive
eher mild
mild
früher weltweit,
heute Afrika
weltweit
New York
verm. weltweit
Mittelmeer
Afrika, Asien
Naher Osten
(Allodermanyssos sp.)
MSF, Altweltzeckenfieber
Israeli spotted fever
R. conorii
RMSF, Rocky-MountainSpotted-Fever
Kalifornische
Floh-Rickettsiose
Scrub typhus,
Tsutsugamushi-Fieber
Oriental spotted fever
R. rickettsii
Sibirischer
Zeckentyphus
Astrakhan fever
Südafrikanisches
Zeckenfieber
Queensland tick
typhus (QTT)
Flinders Island
spotted fever (FISF)
?
R. felis
RhipicephalusZecken
Dermacentoru.a. Zecken
Rattenflöhe
gelegentlich
schwer
schwer
schwer
teilweise letal
?
Amerika
Westküste USA
Orientia
Ernte-Milben
tsutsugamushi (Thrombidien)
R. japonica
HaemaphysalisZecken
R. sibirica
Zecken
schwer
teilweise letal
weniger schwer
unbekannte
Art
R. africae
weniger schwer
südl. Rußland
weniger schwer
Südafrika
weniger schwer
Australien
R. australis
RhipicephalusZecken
AmblyommaZecken
Ixodes-Zecken
?
R. massiliae
?
R. helvetica
Japan
Rußland, Pakistan
R. honei
R. slovaca
Ost-/Südostasien
Flinders Island
bei Australien
DermacentorZecken
RhipicephalusZecken
Ixodes ricinusZecken
EM-artige
Hautläsionen
Tabelle 12: Ausgewählte Rickettsien und assoziierte Krankheitsbilder
205
FLECKTYPHUS
Abbildung 54: Tache noire: Ein schlecht heilendes, kleines Ulkus mit gelegentlich blauschwarzem
Wundgrund
Übertragungswege und Krankheitsbilder der einzelnen Rickettsiosen
Fast alle Rickettsiosen werden von Zecken der verschiedensten Gattungen übertragen. Wenige Arten sind mit Flöhen, Milben oder Läusen assoziiert.
Flecktyphus
Rickettsia prowazekii wird auf eine höchst interessante Weise von infizierten Kleiderläusen übertragen. Die Laus hinterläßt ihren Rickettsien-haltigen Kot auf der
Körperoberfläche. Dieser löst (wie natürlich auch die beim Saugen der Läuse erzeugten Läsionen) einen starken Juckreiz aus, der Betroffene kratzt sich und reibt
die Rickettsien in die Hautoberfläche ein. Nach zehn bis vierzehn Tagen treten
schlagartig hohes Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen auf. Nach einigen weiteren
Tagen wird ein Exanthem sichtbar, das der Krankheit den Namen gab. Viele Patienten werden im weiteren Verlauf komatös, 10-15% sterben (diese Zahlen gelten
für historische Fälle aus der prä-antibiotischen Ära).
206
MURINER TYPHUS
Ein besonderes Charakteristikum ist das häufige Auftreten von Rückfällen, die
milder als die Ersterkrankung verlaufen. Diese Variante trägt den Namen «BrillZinsser-Krankheit». Während dieser Phasen treten wieder Bakteriämien auf, so
daß eventuell vorhandene Kleiderläuse wieder Epidemien auslösen können.
Das ursprüngliche Reservoir ist nicht schlüssig geklärt, denn auch die Kleiderlaus
stirbt an der Rickettsien-Infektion. Sie dient nur der Weiterverbreitung, wenn
bereits Menschen erkrankt sind. Da Läuse sehr wirtsspezifisch sind, ist es wenig
wahrscheinlich, daß die Ursprungsinfektion («Index case») über Kleiderläuse verläuft. Möglicherweise haben auch hier, wie bei den meisten heute bekannten
Rickettsiosen, Zecken eine Rolle gespielt (Burgdorfer 1972).
In Amerika konnte R. prowazekii aus Flughörnchen («Flying Squirrels») isoliert
werden (Bozeman 1975), und sporadische Krankheitsfälle bei Menschen, die in
den Wintermonaten mit Squirrels hantiert hatten, wurden beobachtet. Als Reservoir für europäische Krankheitsfälle kommen diese naturgemäß nicht in Betracht,
so daß hier noch ein weiteres Reservoir existieren muß.
Zwar ist R. prowazekii selten geworden, verschwunden ist sie jedoch nicht: In Moskau wurde ein größerer Ausbruch unter Obdachlosen registriert (Raoult 1997).
Weitaus größer war das Problem während des Bürgerkrieges in Burundi, wo mehr
als 30000 Erkrankungen auftraten (WHO 1997).
Muriner Typhus
Der Erreger des murinen Typhus, Rickettsia typhi (früher R. mooseri) ist weltweit
mit einem deutlichen Schwerpunkt in warmen Regionen verbreitet. Er ist wesentlich weniger pathogen als R. prowazekii und verursacht ein weitaus harmloseres
Krankheitsbild, das von Kopfschmerzen und Fieber gekennzeichnet ist. Nur in
50% der Fälle beobachtet man den Fleckfieber-typischen Hautausschlag.
Ratten sind das Reservoir für R. typhi, Vektoren sind Rattenflöhe (Xenopsylla cheopsis). Ähnlich wie bei R. prowazekii geschieht die Übertragung meist über den
Rickettsien-haltigen Kot der Flöhe, der über Mikroverletzungen in die Haut eingerieben wird.
207
MITTELMEERFLECKFIEBER
Altweltzeckenfieber, «Fievre boutonneuse», Mittelmeerfleckfieber (MSF)
Das Altweltzeckenfieber, im englischen Sprachraum «Mediterranean spotted fever»
(MSF) genannt, kommt rund um das Mittelmeer und rund um das Schwarze Meer
vor. Es wurde 1909 in Tunesien von Conor beschrieben. Der Erreger, Rickettsia conori, trägt seinen Namen. Überträger sind Zecken, meist Rhipicephalus-Arten
(deutscher Name: Braune Zecken).
Typischerweise findet man an der Zeckenstichstelle nach Tagen eine (nicht
immer) blauschwarze ulzeröse Läsion, die Tache noire, die manchmal von einem
eruptiven, makulopapulösen Hautausschlag umgeben ist. Später tritt hohes Fieber, zusammen mit Myalgien, starken Kopfschmerzen und einem generalisierten
papulösen Exanthem auf.
Abbildung 55: Hautbefund bei MSF
Eine 16jährige Patientin erlitt bei einem Zeltlager in der Toskana im Juli 1998 einen
Zeckenstich; 14 Tage später zeigt sich das typische Bild der (noch lokal begrenzten) R. conoriInfektion (Mittelmeerfleckfieber) mit zentraler Läsion und umgebenden Papeln;
Generalisationssymptome bestanden noch nicht; die 20tägige Therapie mit Doxycyclin führte
zur vollständigen Ausheilung.
208
ROCKY-MOUNTAIN-SPOTTED-FEVER
Nach Raoult (1992) traten bei etwa 6% der registrierten MSF-Fälle schwere Verläufe auf, 2% der Patienten starben. Als Komplikation kann unter anderem eine
interstitielle Nephritis auftreten.
Rocky-Mountain-Spotted-Fever (RMSF)
Das RMSF wurde vor etwa hundert Jahren in den USA erstmals als «black measles»
beschrieben. Ricketts, einer der Pioniere auf dem Gebiet der Rickettsien-Forschung,
konnte bereits Anfang dieses Jahrhunderts nachweisen, daß das Rocky-MountainSpotted-Fever auf Meerschweinchen übertragbar war (Ricketts 1909). Bereits zu
dieser Zeit war Dermacentor andersoni, eine amerikanische Zeckenart, als Quelle
der Erkrankung in der Diskussion. Heute wissen wir, daß auch andere Zeckenarten, wie Haemaphysalis- und Ixodes-Zecken, in Frage kommen.
Später wurden auch Fälle aus Kanada, Mittel- und Südamerika bekannt. Die meisten Erkrankungen treten im Sommer auf. Die Infizierten entwickeln sechs bis
acht Tage nach Zeckenstich Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen, weitere drei Tage
später ein charakteristisches Exanthem («Rash»). Teilweise treten Übelkeit und
Durchfall auf. Die Krankheit verläuft schwer, letale Verläufe auch bei zuvor Gesunden sind bekannt, wobei starke regionale Unterschiede bei verschiedenen Epidemien berichtet wurden. Bei den schweren Verlaufsformen kommt es zu Lungen- und Nierenversagen, Blutungen und Schock. Langzeitschäden kommen vor
(Archibald 1995). Wird die Erkrankung rechtzeitig erkannt und behandelt, ist
dies aber sehr selten.
Rickettsienpocken
Die meisten Fälle dieser etwas kuriosen Rickettsiose wurden aus New York berichtet. Daneben gibt es einzelne Berichte aus fast allen Teilen der Welt. Erreger ist
Rickettsia akari, Vektor eine Milbenart (Allodermanyssus sanguineus), die normalerweise auf Hausmäusen lebt.
Die Krankheit verläuft eher mild, lokoregionäre Lymphknotenschwellungen,
Fieber und ein makulopapulöses Exanthem sind typischerweise zu beobachten.
Oft entwickeln sich auch vesikulöse Anteile, die ein wenig an Windpockenexantheme erinnern (daher der Name der Erkrankung).
Der Verlauf ist auch ohne Therapie gutartig; die Patienten genesen innerhalb drei
Wochen (Brettmann 1981, Raoult 1997).
209
SÜDAFRIKANISCHES ZECKENFIEBER
Australische Arten
Der «Queensland tick typhus» (QTT), verursacht von Rickettsia australis, wurde
1946 erstmals beobachtet, als Teilnehmer eines Militärmanövers erkrankten. Die
Übertragung erfolgt durch Zecken, darunter Ixodes holocyclus, eine Art, die durch
ein Speichelgift eine Paralyse hervorrufen kann.
Inzwischen wurde auf Flinders Island, einer zwischen Australien und Tasmanien
liegenden Insel, eine weitere Art, Rickettsia honei, der Erreger des «Flinders Island
spotted fever» (FISF) entdeckt.
Beide Arten verursachen ein klassisches Fleckfieber, beginnend oft mit der typischen Tache noire, im Verlauf durch hohes Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen
und einen makulopapulösen Hautausschlag charakterisiert.
Das japanische Fleckfieber («Oriental spotted fever»)
Über viele Jahre dachte man, daß in Japan nur das Tsutsugamushi-Fieber (siehe
unten) endemisch sei. Erst 1984 wurden drei Fälle einer neuen Rickettsien-Erkrankung gemeldet (Mahara 1984). Uchida et al. (1992) konnten den verantwortlichen Erreger, Rickettsia japonica, charakterisieren.
Auch diese Art verursacht ein klassisches Fleckfieber. Zunächst wird die typische
Hautläsion beobachtet, nach einigen Tagen entwickelt sich ein hochfieberhaftes
Krankheitsbild mit Temperaturen über 40°C, Kopfschmerzen, Schüttelfrost und
generalisiertem makulopapulösen Exanthem. Gelegentlich wurden Petechien beobachtet. Auch bei den nicht spezifisch behandelten Fällen verschwindet der Hautausschlag nach etwa ein bis zwei Wochen, letale Verläufe sind bisher nicht
bekannt (Mahara 1997; Übersicht mit guten Abbildungen).
Das Südafrikanische Zeckenfieber
Rickettsia africae, der Erreger des Südafrikanischen Zeckenfiebers, wird hauptsächlich von Amblyomma-Zeckenarten übertragen. Die Häufigkeit der Infektion ist in
den Endemiegebieten extrem hoch, auch Touristen werden regelmäßig infiziert.
Das Krankheitsbild, ein typisches «spotted fever», ist ähnlich wie das des Altweltzeckenfiebers, mit initialer Tache noire und anschließendem hochfieberhaften
Generalisationsstadium. Es kann in einzelnen Fällen tödlich verlaufen.
210
AMBLYOMMA HEBRAEUM
Abbildung 56: Amblyomma hebraeum
Wer sucht, der findet Rickettsien
Armando Felipe, Leiter des portugiesischen Instituto de Saud in Setubal, Portugal,
berichtete einmal, er habe in ganz Portugal Zecken sammeln lassen, um sie auf
Rickettsien zu untersuchen. Nirgends habe man die gesuchten Arten entdecken
können – bis schließlich die als Kontrollgruppe mitgeführten Zecken aus dem Garten des Institutes ebenfalls untersucht waren. Alle fünf gesuchten RickettsienArten waren dort präsent!
Auch das Zentrum für Rickettsiologie in Marseille mit seinem Leiter Didier Raoult
war für viele neuentdeckte Arten gut. Systematische Suche in Zecken aus Südfrankreich, Spanien und Marokko hat zur Beschreibung vieler zuvor unbekannter Arten geführt. Unter den Funden waren aber auch Arten, die schon aus anderen Teilen der Welt bekannt waren.
211
RICKETTSIA SLOVACA
Rickettsia mongolotimoniae etwa, zuvor aus den innerasiatischen Steppen bekannt,
wurde bei einem Patienten isoliert, der seine Zecken vermutlich an einem südfranzösischen Komposthaufen akquiriert hat. In der Mongolei war er jedenfalls
nie. Dies wirft die Frage auf, wie Rickettsien und ihre Vektoren verbreitet werden.
Raoult spekuliert, daß Zugvögel und ihre Parasiten (meist Zecken) eine entscheidende Rolle spielen könnten.
Diese Theorie erfährt Unterstützung von Nilsson (1997), der mit seiner Arbeitsgruppe Tausende von Zugvögeln in Schweden nach Zecken abgesucht und diese
auf Rickettsien untersucht hat. Auch er wurde fündig. Rickettsien gibt es also
wahrlich weltweit.
Auch in der Schweiz wurde eine neue Art, R. helvetica, entdeckt (Burgdorfer 1979).
Sie gehört in die Gruppe der Fleckfieber-Rickettsien und wird von Ixodes-Zecken
übertragen (Beati 1994). Das zugehörige Krankheitsbild ist bisher aber völlig
unzureichend bekannt.
Rickettsia slovaca: Macht sie ein Erythema migrans?
Eine der Rickettsien-Arten ist aus europäischer Sicht besonders interessant. Rickettsia slovaca wurde im Gebiet von Tschechien, der Schweiz, in Armenien und in Südfrankreich gefunden. Die tatsächliche Verbreitung ist wohl nur lückenhaft
bekannt. Raoult (1997b) berichtete über diese Art, daß sie zumindest in einem
Fall eine Erythema-migrans-artige Hautrötung verursacht habe. Zwar scheint bei
diesem Fall eine Ko-Infektion mit Borrelien nicht völlig ausgeschlossen, die Tatsache, daß auch beim Rocky-Mountain-Spotted-Fever schon über derartige Hautbefunde berichtet wurde, macht aber aufmerksam. Eigentlich sollte die Art auch
in Süddeutschland häufiger zu finden sein, wo sie schon von Rehacek (1977) in
Dermacentor marginatus-Zecken gefunden wurde. Berichte von Krankheitsfällen gibt
es bisher nicht. Wie in vielen ähnlich gelagerten Fällen mag dies aber nur eine
Frage der gezielten Suche sein, denn Rhipicephalus-Zecken kommen auch bei uns
vor, stechen aber Menschen nur selten (solange genügend Hunde vorhanden
sind).
212
AQUATISCHE RICKETTISEN
Das Tsutsugamushi-Fieber
Orientia tsutsugamushi unterscheidet sich von den anderen Rickettsien antigenetisch erheblich, so daß sie in eine eigene Gattung gestellt wurde. Ähnlich wie R. akari, der Erreger der Rickettsien-Pocken, wird sie von Milben übertragen. ReservoirWirte sind Nagerarten.
Das Tsutsugamushi-Fieber (englisch: «Scrub typhus») kommt in ganz Südostasien
vor und wird gelegentlich von Urlaubern nach Europa mitgebracht. Größere Ausbrüche kommen immer wieder vor (Suto 1995).
Das Krankheitsbild ist eine typische Rickettsiose: Hohes Fieber, Lymphadenopathie, Muskel- und Gliederschmerzen sowie ein flüchtiges Exanthem sind typisch,
Übelkeit und Erbrechen nicht selten. Die Transaminasen sind in aller Regel im
Akutstadium erhöht. Letale Verläufe bei verspäteter Therapie kommen vor.
Nichtpathogene (?) Arten
Neben den altbekannten und neubeschriebenen Rickettsien aus klassischen Vektoren fand man in den letzten Jahren verwandte Arten unter anderem in Marienkäfern, Kellerasseln und Erbsenblattläusen. Diese Arten dürften für Menschen
vorerst keine Gefahr darstellen, da die Wirte üblicherweise Menschen nicht attakkieren. Dennoch zeigt uns diese Entdeckung, daß überall in unserer Umgebung
Bakterienarten existieren, von deren Existenz wir meist keinerlei Ahnung haben.
Nur das Fehlen des passenden Vektors schützt uns möglicherweise vor dieser
Gefahr.
Aquatische Rickettsien
Ähnlich wie bei den nahe verwandten Ehrlichien existieren auch Rickettsien in
aquatischen Lebensräumen. Diese wurden bis zur endgültigen Klärung taxonomischer Probleme in die Gattung Piscirickettsia gestellt. Alle bisher beschriebenen
Vertreter sind nur für Fische pathogen. Größere Probleme hat Piscirickettsia salmonis in Fischzuchtanlagen verursacht, wo sie zum Tod vieler Zuchtlachse geführt
hat. Vermutlich können die Piscirickettsiae nur deshalb dem Menschen nicht
gefährlich werden, weil sie ein Temperaturoptimum bei 15°C haben und über
25°C nicht überleben können (Fryer 1997).
213
RICKETTSIOSEN: THERAPIE
Generell müssen wir also damit rechnen, daß noch viele Rickettsien-Arten weltweit ihrer Entdeckung harren. Ob sie das Potential zur Erzeugung von Krankheit
beim Menschen haben, entscheidet oft nur der Vektor, manchmal aber auch ihre
Wachstumsbedingungen.
Therapie
Generell können alle Rickettsiosen antibiotisch behandelt werden. Geeignet sind
Tetracyclin-Derivate (vor allem Doxycyclin), moderne Makrolid-Antibiotika wie
Roxithromycin und die moderneren Chinolone wie etwa Levofloxacin (Rolain
1998). Allerdings scheinen nicht alle Rickettsien gleich gut gegenüber Chinolonen empfindlich zu sein, für Orientia tsutsugamushi sind die Daten etwas widersprüchlich (Fischer 1998).
Die einzelnen Arten sind auch gegen Doxycyclin und Makrolide sehr unterschiedlich, aber meist ausreichend empfindlich. Für die am meisten gefürchtete
Art, Rickettsia prowazekii, genügt eine einzelne Dosis von 200 mg Doxycyclin
(Raoult 1997). In der Regel wird heute bei den meisten Rickettsiosen ein 14-tägiger
Therapiezyklus mit Doxycyclin oder einem modernen Makrolid empfohlen.
Die neueren Rickettsien-Arten unterscheiden sich von anderen Stämmen teilweise durch ihre Resistenz gegen Rifampicin; angesichts unseres Arsenals wirksamer
Alternativen sicher kein unlösbares Problem.
Ausgewählte Literatur:
Archibald L.K., Sexton D.J.: Long term sequelae of Rocky Mountain spotted fever.
Clin Infect Dis 1995; 20: 1122-1125.
Balayeva N.M. et al.: Genomic identification of Rickettsia slovaca among spotted fever group rickettsia
isolated from Dermacentor marginatus in Armenia. Acta Virol 1994; 38: 321-325.
Beati L. et al.: Identification of spotted fever group rickettsiae isolated from Dermacentor marginatus and
Ixodes ricinus ticks collected in Switzerland. Am J Trop Med Hyg 1994; 51: 138-148.
Bozeman F.M. et al.: Epidemic typhus Rickettsiae isolated from flying squirrels.
Nature 1975; 255: 545-547.
Brettman L.R. et. al.: Rickettsial pox: report of an outbreak and a contemporary review.
Medicine Baltimore 1981; 60: 363-372.
Brouqui P. et al.: African tick bite fever: an imported spotless rickettsiosis.
Arch intern Med 1997; 157: 119-125.
214
RICKETTSIOSEN: LITERATUR
Burgdorfer W. et al.: Ticks as vectors of Rickettsia prowazekii – a controversial issue.
Am J Trop Med Hyg 1972; 21: 989-998.
Burgdorfer W. et al.: Ixodes ricinus: vector of a hitherto undescribed spotted fever group agent in
Switzerland. Acta Trop 1979; 36: 357-367.
Conor A. Bruch A.: Une fievre eruptive observee in Tunisie. Bull Soc Pathol Exot Fil 1910; 8: 492-496.
Fischer B.P. et al.: Tsutsugamushi-Fieber. Seltene Rickettsiose nach Aufenthalt auf den Philippinen.
Dtsch Med Wochenschr 1998; 123: 562-566.
Fryer J.L., Manuel M.J.: The Rickettsia: an emerging pathogen in fish. Emerging Infect Dis 1997; 3 (2);
(Internet: www.cdc.gov/ncidod/EID).
Higgins J.A. et al.: Rickettsia felis: a new species of pathogenic Rickettsiae isolated from cat fleas.
J Clin Microbiol 1996; 34 (3): 671-674.
Kelly P.J. et al.: Rickettsia africae sp. nov., the etiological agent of African tick bite fever.
Int J Syst Bacteriol 1996; 46: 611-614.
Mahara F.: Three Weil-Felix reaction (OX2) positive cases with skin eruptions and high fever.
J Anan Med Assoc 1984; 68: 4-7.
Mahara F.: Japanese Spotted Fever: report of 31 cases and review of the literature.
Emerging Infect Dis 1997; 3 (2); (Internet: www.cdc.gov/ncidod/EID/vol3no2/mahara.htm).
Nilsson K. et al.: Characterization of a spotted fever group Rickettsia from Ixodes ricinus ticks in Sweden.
J Clin Microbiol 1997; 35: 243-247.
Raoult D., Roux V.: Rickettsioses as paradigms of new or emerging infectious diseases.
Clin Microbiol Rev 1997; Oct: 694-719.
Raoult D. et al.: A new tick-transmitted disease due to Rickettsia slovaca.
Lancet 1997; 350 (9071): 112-113.
Rehacek J. et al.: Rickettsiae of the spotted fever group isolated from Dermacentor marginatus ticks in
south Germany. Zbl Bakt Hyg A 1997; 139: 275-281.
Ricketts H.T.: Some aspects of Rocky Mountain spotted fever as shown by recent investigations.
Med Rec 1909; 16: 843-855.
Rolain J.M. et al.: In vitro susceptibilities of 27 Rickettsiae to 13 antimicrobials.
Antimicrob Agents Chemother 1998; 42: 1537-1541.
Suto T.: Tsutsugamushi disease now. Med J Akita City Hosp 1995; 4: 1-18.
Uchida T.: Rickettsia japonica, the etiological agent of oriental spotted fever.
Microbiol Immunol 1993; 37: 91-102.
World Health Organisation: A large outbreak of epidemic louse-borne typhus in Burundi.
WHO Weekly Epidemiol Rec 1997; 21: 152-153.
Zinsser H.: Rats, Lice, and history. G. Routledge & Sons, London 1937.
215
PEST
10.10 VON ZEITUNGSENTEN UND WÜSTENRATTEN:
DIE PEST
Dieter Hassler
Die größte und bekannteste Seuche der historischen Zeit (neben dem Fleckty-
phus, siehe dort) war sicherlich die Pest. Besonders das Mittelalter, das ja ansonsten geprägt war von wachsender politischer Stabilität, von Wohlstand und technischen Neuerungen, wurde durch diese Plage in der Entwicklung scheinbar um
Jahrhunderte zurückgeworfen.
Beginnen wir aber der Reihe nach. Im Jahre 1346, so schildert Bernard Dixon die
Geschichte, trafen in Karawanenstationen am Unterlauf der Wolga Pelzhändler
ein. Sie brachten Pelze aus den innerasiatischen Steppengebieten über die Seidenstraße an diese wichtigen Handelsplätze. Kaum hatten die Händler einige Pelzballen geöffnet, so sprangen mitgereiste, hungrige Flöhe auf den nächsten erreichbaren Warmblüter. So begann der Siegeszug von Yersinia pestis.
Von den Karawansereien ging es weiter mit Handelsschiffen über das Schwarze
Meer und den dortigen Handelshafen Kaffa in Richtung Mittelmeer. Handelsstationen boten ebenso wie damalige Schiffe den Ratten (und damit den Flöhen) reiche Nahrung, und schon 1347 hatte die Pest zahlreiche Häfen von Konstantinopel bis Genua erreicht. Im folgenden Jahr wurde Frankreich «erobert», eine Ladung
Rotwein für England brachte die Pest auf die Insel*. Im Mai 1349 verließ ein Schiff
London, um Bergen in Norwegen anzulaufen, wo es wenige Tage später treibend
gesichtet wurde. Die Besatzung war tot, und Plünderer, die einige Ballen Wolle
bargen, brachten die Pest nach Bergen, von wo sie sich in kürzester Zeit über das
ganze Land ausbreitete.
* Ob daher der Spruch kommt, der Alkohol sei der Tod des Menschen?
216
PESTZUG DURCH EUROPA
Dezember 1347
Juni 1348
Dezember 1348
Juni 1349
Dezember 1349
Juni 1350
Dezember 1350
Gebiete und Städte,
die ganz oder teilweise
verschont blieben
Durham
Dublin
Nordsee
Ostsee
York
Leicester
Bristol
Hamburg
London
Calais
Erfurt
Köln
Lüttich
Nürnberg
Straßburg
Atlantik
Angers
Paris
Zürich
Venedig
Genua Florenz
Avignon
Pisa
Marseille
Sienna
Dubrovnik
Montpellier
Barcelona
Rom
Korsika
Valencia
Neapel
Menorca
Bordeaux
Sevilla
Mallorca
Dezember 1347
Sardinien
Sizilien
0
250
500
750 km
Mittelmeer
Kreta
Abbildung 57: Der Pestzug durch Europa im Jahre 1347
Innerhalb weniger Jahre war ganz Europa im Griff dieses Seuchenzugs und ganze
Städte bis auf wenige Einwohner ausgerottet. Verantwortlich machte man, wie so
oft in der Weltgeschichte, die Juden. Sie wurden alleine in Baden und im Elsaß zu
Tausenden ermordet (berichtet werden diese Umstände in der Straßburger Chro-
217
PEST IN INDIEN?
nik des Jacob von Königshofen)1. Ökonomischer Niedergang war die Folge. Andererseits schuf die Pest, gerade indem sie schwere Lücken riß, den Boden für neue
Entwicklungen und eröffnete neue Chancen, wie Dixon meint. Die Verwüstungen,
die Yersinia pestis angerichtet habe, hätten in Europa „eine Gesellschaft geschaffen,
in der weit weniger um Nahrung, Arbeit und Sicherheit gekämpft wurde. Selbst die
Menschen in niederen sozialen Schichten konnten wie nie zuvor ihre Stellung verbessern,
während die Reichen durch Zugewinn der Besitztümer ihrer verstorbenen Verwandten
noch reicher wurden.“ 2
Ab diesem Zeitpunkt wiederholten sich die Seuchenzüge mehrfach, erreichten
jedoch nicht mehr die Intensität des ersten. Langsam verschwand die Pest wieder.
Die letzten großen Ausbrüche der Pest in Europa wurden zum Ende des 17. Jahrhunderts verzeichnet, später waren nur noch kleinere, regionale Epidemien zu
beobachten. In anderen Teilen der Welt war dies aber nicht unbedingt so. Erst
1868 wurde die Pest mit Dampfschiffen von Indien nach Madagaskar eingeschleppt,
wo sie sich seither gehalten hat. In Indien wurden noch in den zwanziger Jahren
unseres Jahrhunderts hunderttausende Todesfälle registriert.
Pest in Indien?
Seither schien es ruhig geworden um diesen gefürchteten Erreger. Bis 1994 hielt
diese Ruhe an, dann waren plötzlich alle Zeitungen voll von Meldungen, daß die
Pest in Indien ausgebrochen sei. Fernsehsender brachten Sonderberichte, wochenlang bestimmte das Thema die Medien.
Zum Höhepunkt der Epidemie waren 5150 Erkrankte gemeldet, davon 167 «serologisch bestätigte Fälle». Die Erkrankten in den indischen Hospitälern zeigten als
Leitsymptom einen extrem produktiven, teilweise blutigen Husten. Klassische Bubonenpest-Fälle wurden nicht beobachtet, wenngleich ein Teil der Patienten
geschwollene Lymphknoten zeigte.
Sofort wurde die Suche nach dem Erreger mit allen Methoden der modernen Medizin aufgenommen. Yersinia pestis aber wurde erstaunlicherweise nicht gefunden. Epidemiologen meldeten erste Zweifel an, weil die Letalität der Erkrankung
trotz überwiegender «Lungenpest-Fälle» sehr gering war.
1
2
218
Eine gute Zusammenfassung unter dem Titel „The black death and the Jews“ bietet das «Jewish History
Sourcebook», im Internet unter: www.fordham,edu/halsall/jewish/1348-jewishblackdeath.htm.
Die Übernahme des jüdischen Vermögens nach ihrer Ausrottung erwähnt Dixon leider nicht.
BUBONEN- UND LUNGENPEST
Nach längerer Suche konnte das Rätsel gelöst werden. Die indische Seuche entpuppte sich als eine ganz andere Erkrankung, nämlich als Melioidose (Müller 1995;
Bharadwaj 1994 und 1995). Erreger der Melioidose ist ein Bakterium aus der
Gruppe der Pseudomonaden, Burkholderia (Pseudomonas) pseudomallei. Dieser überhaupt nicht mit dem Pest-Bakterium verwandte Keim verursacht einen recht
unappetitlichen, teilweise mit Haemoptysen verbundenen Husten und kann bei
geschwächten Personen schwere, teilweise letale Krankheitsverläufe verursachen
(Ip 1995). Komplikationen sind häufig, besonders gefürchtet ist die Osteomyelitis.
Vor allem: Wegen seiner für Pseudomonaden ungewöhnlichen Verbreitung von
Mensch zu Mensch über Aerosole und seine Resistenz gegenüber einigen häufig
eingesetzten Antibiotika (sogar Aminoglykoside!) ist er in der Lage, große Epidemien auszulösen.
Die Melioidose ist nahe verwandt mit dem früher auch in Europa weitverbreiteten
und durch Burkholderia mallei verursachten «Rotz», den wir aus der Floskel «Rotz
und Wasser heulen» kennen.
Ohne Bubonenpest keine Lungenpest
Die Pest hingegen ist erst nach einer gewissen Vorbereitung in der Lage, Epidemien zu begründen. Zunächst muß die Übertragung von der Wüstenratte und ihren
Flöhen auf zumindest einen Menschen erfolgen. Dann folgt bei diesem «Index
case» erst das Stadium der Bubonenpest: Nach der lokalen Vermehrung des Erregers an der Flohstichstelle kommt es zur lymphogenen Ausbreitung in die nächsten (lokoregionären) Lymphknotenstationen. Meist sind inguinale oder axilläre
Lymphknoten betroffen. Diese schwellen massiv an und platzen (bei nicht rechtzeitig einsetzender Therapie) schließlich auf. Jetzt entsteht ein hochinfektiöses
Aerosol aus teilungsaktiven, virulenten Yersinien. Wird dieses, beispielsweise von
einer Pflegeperson, eingeatmet, ist der Weg zur Lungenpest frei. Jetzt entstehen
Yersinien-haltige Bronchialabszesse, die den Erreger über den Hustenstoß der Patienten weiterverbreiten helfen. Nun erst kann die Infektion epidemische Ausmaße
annehmen, zumal die Lungenpest einen extrem aggressiven Krankheitsverlauf
zeigt. Die Inkubationszeit beträgt 2 Stunden bis maximal 2 Tage bei Aerosol-Übertragung.
Daneben gibt es die Verlaufsform der Pest-Septikämie, die ein an Bubonenpest
Erkrankter erleidet, wenn er nicht rechtzeitig behandelt wird.
219
PEST IN NORDAMERIKA
Abbildung 58: Histologie einer Lungenpest
Immer gilt also: Wo keine Bubonenpest, kann keine Lungenpest entstehen. Das
rettet die heutige Menschheit vor größeren Pest-Ausbrüchen, weil in der Regel
das Stadium der Bubonenpest erkannt und behandelt wird; trotzdem ist die Letalität erheblich (siehe unten).
Die Pest erobert Amerika
Die Besiedlung Nordamerikas durch die Pest ist hervorragend dokumentiert, so
daß wir einen besonderen Blick auf diese Episode werfen wollen. Erstmalig wurde
hier die Pest um 1900 beobachtet, als (wiederum nach Einschleppung durch
Schiffe) ein größerer Ausbruch in San Francisco registriert wurde. Mehrere kleinere Ausbrüche in Texas, Louisiana und Florida folgten (Link 1955). Trotz energischer Bekämpfungsmaßnahmen konnte nicht verhindert werden, daß Yersinia
pestis seinen Weg in die Städte fand und schließlich einen festen Platz in der amerikanischen Ökologie eroberte.
220
RATTENUNTERSUCHUNG IN NEW ORLEANS
Abbildung 59: Rattenuntersuchung in New Orleans 1914
Noch zu Beginn unseres Jahrhunderts wurde in allen Hafenstädten, vor allem im Süden der
USA, regelmäßig nach der Pest Ausschau gehalten; Ratten wurden energisch bekämpft, die
Schiffe wurden akribisch kontrolliert; die Methodik der «Rattenuntersuchung» ohne jeden
Schutz für die Untersucher läßt uns allerdings ein wenig schaudern.
Der Erreger
Yersinia pestis ist ein gramnegatives, kokkoides Bakterium mit einem charakteristischen Färbeverhalten. In Ausstrichen ist deutlich zu sehen, daß es sich bipolar
anfärbt. Es wurde erstmals 1894 von Andre Yersin in Lymphknoten Verstorbener
entdeckt. Die Übertragung durch Flöhe wurde 1898 von Paul-Louis Simond gezeigt
(ausführlich beschrieben durch seinen Nachfahren Simond 1998).
Vektoren und Reservoire
Betrachten wir einmal die Ökologie des Pest-Bakteriums etwas näher. In den tropischen Regionen werden Ratten sehr häufig von Xenopsylla cheopsis, einem
Rattenfloh, der nur in wärmeren Regionen leben kann, parasitiert. Üblicherweise
sind Flöhe recht wirtsspezifisch, so daß es kaum einmal vorkommt, daß einer dieser Flöhe Menschen oder andere Tiere sticht. Dies ändert sich nur unter Hunger-
221
YERSINIA PESTIS
bedingungen, etwa, wenn die Rattenpopulation aus anderen Gründen zusammenbricht und die hungrigen Flöhe andere Nahrungsquellen suchen müssen.
In vielen Ländern, in denen die Pest
verbreitet war oder ist, kommt dieser
Rattenfloh aber gar nicht vor. Warum
dennoch die Pest auch in nicht-tropischen Regionen verbreitet werden
kann, war lange ein Rätsel. Die amerikanischen Beobachtungen der letzten hundert Jahre haben hier einige
interessante Aspekte aufgedeckt.
Abbildung 60: Pestbakterien im Ausstrich (Methylenblau)
Wie schon erwähnt, startete die Besiedlung Nordamerikas durch Yersinia pestis in klassischer Weise in den
Hafenstädten. Zunächst waren entkommene Schiffsratten und ihre Flöhe infiziert, dann folgten die Ratten,
die in den Städten selbst heimisch
waren. Andere Floharten sind zwar
weniger erfolgreich bei der Übertragung, für den Fortgang der Epizootie
reichte es jedoch aus.
Schließlich wurden Eichhörnchen («Squirrels») und deren Flöhe infiziert, und der
langsame Marsch durch Nordamerika begann. Aus einer urbanen Seuche wurde
eine vor allem in ruralen Regionen verbreitete Erkrankung. 1944-1953 waren
nur in drei Bundesstaaten der USA vereinzelte Pest-Fälle beobachtet worden, bis
1995 waren zwanzig Bundesstaaten betroffen. Auch die Zahl der beobachteten
Fälle steigt langsam, aber ständig. Eine erste Kleinepidemie betraf im Jahre 1965
sieben Navajos in New Mexico. 1984 wurden erstmals wieder mehr als 100 Erkrankungen in den USA registriert, eine Zahl, die zuvor nur 1904-1909 erreicht
worden war (Dennis 1998).
Die sporadisch bei Menschen beobachteten Erkrankungen ließen zunächst kein
einheitliches Muster erkennen, Reservoire und Vektoren waren unbekannt. Da
geschah es eines Tages in der Stadt Denver, daß im Stadtpark eine Menge toter
222
PEST-ZYKLUS
Eichhörnchen («Squirrels») gefunden wurden. Sie alle waren der Pest zum Opfer
gefallen (Hudson 1971). Zwar wurde hier nur eine einzige assoziierte Erkrankung
bei einem Menschen beobachtet, nachfolgende Untersuchungen von Eichhörnchen in anderen Städten und Regionen zeigten jedoch, daß das Pest-Bakterium
bereits weite Teile Nordamerikas erobert hatte. Die Lebensweise der «Squirrels» als
Einzelgänger und ihre geringe Flächendichte verhinderte zunächst größere
Probleme.
Sekundäre
Pest-Pneumonie
Zyklus in wildlebenden
Nagetieren
f
hla
rsc
nte
Wi
wildlebende
Nager
Direkter Kontakt
Bubonenoder
septikämische
Pest
Infizierter
Floh
Primäre
Lungen-Pest
Direkter Kontakt
Infizierter
Floh
Kontaminierter Boden
izil
om
f-D
a
l
h
rsc
nte
Wi
Direkter Kontakt
wildlebende
Nager
n
sio
res
rog
P
che
gli
mö
in häuslicher
Umgebung lebender
Nager
Infizierter
Floh
Abbildung 61: Pest-Zyklus
Das änderte sich, als eine weitere Nagerart involviert wurde. In den frühen achtziger Jahren kam es zu einem Massensterben von wildlebenden Präriehunden in
New Mexico, gefolgt von etwa 40 Erkrankungen bei Menschen (Barnes 1990). Inzwischen ist die Pest bei Präriehunden, verschiedenen Squirrel-Arten und anderen Nagern in Nordamerika fest etabliert. Einzig die relative Wirtsspezifität der
Flöhe hat wohl größere Ausbrüche unter Menschen bisher verhindert.
223
PEST HEUTE
Nun zeigt sich aber eine neue Bedrohung: Hauskatzen, die gelegentlich wildlebende Nager erbeuten, wurden mehrfach mit der Pest infiziert. In wenigen dokumentierten Fällen entwickelten sie sogar eine Lungenpest, die sekundär zu
Erkrankungen von Menschen führte (Dennis 1998). Damit hat das Problem eine
neue Dimension erreicht.
Doch zurück zu Xenopsylla cheopsis. Wie schon erwähnt, ist dieser Floh in gemäßigten Klimazonen normalerweise nicht überlebensfähig, so daß lediglich weniger kompetente Überträger zu den immer noch seltenen Erkrankungen beitragen.
Auch dies könnte sich ändern. Die Kanalisationssysteme von Großstädten sind
durch ihre «eingebaute Heizung» auch in sonst kühleren Gegenden ein perfekter
Lebensraum für Xenopsylla wie auch für die ihn ernährenden Ratten. In Paris
wurde der Floh bereits in einer stabilen Population gefunden. Er zumindest ist also
bereit.
Heutiges Vorkommen der Pest, Reservoire
Hauptverbreitungsgebiete der Pest sind auch heute noch aride (trockene), steppenartige Regionen in Mittelasien, Afrika und Nordamerika.
Jedes Jahr treten (ohne besonderes Presse-Echo) Pest-Erkrankungen in der Urheimat der Pest, dem innerasiatischen Becken (Kasachstan, Kirgisien und Xinjiang)
auf. Auch im trockenen Südwesten der USA, beispielsweise in der Umgebung des
Grand Canyon, ist die Pest inzwischen heimisch. Von 1970-1991 wurden den CDC
immerhin 295 (verifizierte!) Fälle gemeldet, von denen 14% tödlich verliefen (Craven 1993).
Ein weiterer bedeutender Focus neben einigen afrikanischen Ländern ist
Madagaskar. Die Pest wurde erst im 19. Jahrhundert mit Dampfschiffen nach
Madagaskar gebracht, wo sie sich im Hochland der Insel (mehr als 800 m über
Meereshöhe) etabliert hat. Mit zunehmender Hygiene, der Kontrolle der Rattenpopulation und der Einführung von Insektiziden schien dieser Herd in den fünfziger Jahren unter Kontrolle, dann begann sich die Seuche wieder auszubreiten und
erreichte in den neunziger Jahren neue Höhepunkte mit mehr als 500 gesicherten Fällen jährlich, von denen 20% tödlich verlaufen, obwohl 95% bereits im Stadium der Bubonenpest diagnostiziert werden (Chanteau 1998).
224
PEST: THERAPIE
Besonders besorgniserregend sind die Begleitumstände dieses Wiedererscheinens:
Die Rattenflöhe sind gegen die verwendeten Insektengifte weitgehend resistent
geworden, und einige Stämme von Yersinia haben in Madagaskar Resistenzen
gegen viele Antibiotika entwickelt (Galimand 1997). Hinzu kommt, daß sich die
Seuche immer mehr an die Siedlungen adaptiert und die Kontrolle der Ratten
immer schwieriger wird. 1995 waren bereits 10% der Ratten, die in der Umgebung der Märkte von Antanarivo gefangen wurden, mit Yersinia pestis infiziert. Es
sind also alle Voraussetzungen für größere Epidemien gegeben.
Eine realistische Option, die Pest jemals ausrotten zu können, gibt es weniger
denn je. Bei den Pocken war dies bekanntlich anders, dies liegt aber nur daran,
daß das Pockenvirus einzig im Menschen lebte, Reservoire wie bei der Pest gab es
nicht. So werden wir mit der Gewißheit leben müssen, daß die Pest weiter existieren wird.
Therapie
Auch bei rechtzeitiger Diagnosestellung ist die Pest heute manchmal ein unlösbares therapeutisches Problem, da einzelne Stämme zunehmend resistent geworden
sind. Neuere in vitro-Untersuchungen haben aufgezeigt, daß es inzwischen sogar
multiresistente Stämme von Yersinia pestis gibt (Galimand 1997). Dies läßt uns
schon ein wenig schaudern.
Der Erreger ist aber meist noch gut empfindlich gegen Doxycyclin, eine 14-20tägige Therapie reicht im allgemeinen aus. Wegen der Seltenheit der Erkrankung existieren kaum Therapiestudien mit neueren Antibiotika, aber zumindest aussagekräftige in vitro-Untersuchungen (z.B. Frean 1996). Eine Ausnahme ist der Artikel von Russell (1998), der im Tierversuch zeigen konnte, daß moderne Chinolone bei der experimentellen Lungenpest besser wirksam waren als Doxycyclin.
Die «indische Pseudopest», verursacht durch Burkholderia pseudomallei – früher
Pseudomonas pseudomallei – ließe sich übrigens relativ problemlos mit modernen
Fluorchinolonen wie Levofloxacin behandeln (Chaowagul et al. 1997).
225
PEST: LITERATUR
Ausgewählte Literatur:
Barnes A.: Plague in the U.S.: present and future. In: Proceedings of the 14th Vertebrate Pest Conference,
University of California, Davis 1990.
Bharadwaj R. et al.: Outbreak of plague-like illness caused by Pseudomonas pseudomallei in
Maharashtra, India. Lancet 1994; 344: 1574.
Bharadwaj R. et al.: Burkholderia pseudomallei and Indian plague-like illnes. Lancet 1995; 346: 1172.
Centers for Disease Control and Prevention: Human Plague – United States, 1993-1994.
Morbid Mortal Weekly Rep 1994; 43: 242-246.
Chanteau S. et al.: Plague, a reemerging disease in Madagascar. Emerging Infect Dis 1998; 4 (1);
(Internet: www.cdc.gov/ncidod/EID)
Chaowagul W. et al.: Oral fluoroquinolones for maintenance treatment of melioidosis.
Trans R Soc Trop Med Hyg 1997; 91: 599-601.
Coulanges P.: Situation de la peste a Tananarive, de sond apparition en 1921 a sa resurgence en 1979.
Arch Inst Pasteur Madagascar1989; 56: 9-35.
Craven R.B. et al.: Reported cases of human plague infections in the united states 1970-1991.
J Med Entomol 1993; 30: 758-761.
Dennis D.T.: Plague as an emerging disease. In: Scheld W.M. et al: Emerging Infections 2, pp. 169-183.
ASM Press, Washington D.C. 1998.
Drancourt M. et al.: Detection of 400-year-old Yersinia pestis DNA in human dental pulp: an approach
to the diagnosis of ancient septicemia. Proc Natl Acad Sci USA 1998; 95: 12637-12640.
Frean J.A. et al.: In vitro activities of 14 antibiotics against 100 human isolates of Yersinia pestis from a
southern African plague focus. Antimicrob Agents Chemother 1996; 40: 2646-2647.
Hudson B.W. et al.: Serological and bacteriological investigation of an outbreak of plague in an urban
tree squirrel population. Am J Trop Med Hyg 1971; 20: 255-263.
Galimand M. et al.: Multiple antibiotic resistance in Yersinia pestis mediated by a self-transferable plasmid. New Engl J Med 1997; 337: 667-680.
Guiyoule A. et al.: Recent emergence of new variants of Yersinia pestis in Madagascar.
J Clin Microbiol 1997; 35: 2826-2833.
Ip M. etal.: Pulmonary melioidosis. Chest 1995; 108: 1420-1424.
Link V.B.: A history of plague in the United States of America.
Public Health Monograph 26. U.S. Government Printing Office, Washington D.C. 1995.
Marshall J.D. et al.: Ecology of plague in Vietnam: commensal rodents and their fleas.
Mil Med 1977; 132: 896-903.
Mavalankar D.V.: India «plague» epidemic: unanswered questions and key lessons.
J R Soc Med 1995; 88: 547-551.
Müller H.E.: Die Pest in Indien war Melioidose. Medizinische Welt 1995; 46: 173-176.
Russel P. et al.: Efficacy of doxycycline and ciprofloxacin against experimental Yersinia pestis infection.
J Antimicrob Chemother 1998; 41: 301-305.
Simond M. et al.: Paul-Louis Simond and his discovery of plaque transmission by rat fleas: a centenary.
J R Soc Med 1998; 91: 101-104.
Internet: www.cdc.gov (Publikationen der CDC/Atlanta) oder www.melioidosis.org (Fachgesellschaft zur
Melioidose, derzeit Thailand).
226
LYME-BORRELIOSE
10.11 VOM KURIOSUM ZUR SEUCHE:
DIE LYME-BORRELIOSE
Dieter Hassler
Das Krankheitsbild der Lyme-Borreliose gehört zu den typischen amerikano-
europäischen Re-Importen. Seit der Entdeckung der Entität durch Allan Steere
(Steere 19761) dauerte es nicht allzu lange, bis auch die europäische Fachpresse
über diesen «Cluster» von Arthritisfällen berichtete.
Für uns Europäer war diese offenbar nur in Connecticut endemische, nach ihrem
Entdeckungsort «Lyme»-Disease genannte Krankheit zunächst nur eine exotische
Rarität, die bestenfalls als Examenswissen Bedeutung zu gewinnen versprach2.
Nach der Entdeckung des Erregers durch Willy Burgdorfer (1982) war es möglich,
serologische Testverfahren zur Erkennung dieser neuen Krankheit einzuführen.
Es ist vor allem auf die Arbeiten von Ackermann (1984) und Asbrink (1984 und
1985) zurückzuführen, daß man, sobald ein «Antiserum» als Testgrundlage zur
Verfügung stand, auch in Europa nach vergleichbaren Krankheitsfällen suchte.
Man fand schließlich auch hier eine schier unglaubliche Zahl «seropositiver»
Patienten. Die einhellige Reaktion war Skepsis. Es schien unvorstellbar, daß eine
Krankheit mit so großer Verbreitung über Jahrzehnte unentdeckt geblieben sein
könnte.
Dennoch gibt es nicht wenige Beweise für die Existenz der Krankheit schon im
Mitteleuropa des 19. Jahrhunderts. Fast hundert Jahre vor Steere war die LymeBorreliose schon einmal entdeckt worden, damals allerdings noch nicht als Entität im modernen Sinne.
Bereits vor 1900 wurde eine Fülle von Berichten publiziert: Buchwald (1883)
berichtete über eine «diffuse idiopathische Hautatrophie», Schwimmer (1883)
von «atrophia cutis universalis». Touton (1886) bzw. Pospelow3(1886) sprachen
1
2
3
Die näheren Umstände sind in praktisch jeder Publikation zum Thema nachzulesen, aus diesem Grunde
wird hier auf ein erneutes Referat verzichtet.
Der Verfasser erinnert sich noch gut an die Verwendung im Sinne des Examenswissens im Jahre 1977
während des zweiten Staatsexamens. Auch er war wie viele andere damals der Meinung, dieses Wissen
nie wieder anwenden zu können.
Von Pospelow stammt übrigens die immer wieder zitierte Beschreibung der «Zigarettenpapier-artigen
Fältelung der Haut» bei der Acrodermatitis chronica atrophicans…
227
ACRODERMATITIS CHRONICA ATROPHICANS
von einer «erworbenen idiopathischen Atrophie der Haut», Judassohn (1891) von
«atrophia maculosa cutis» und Pick (1894) von «Erythromyelie». Alle diese
Krankheitsbilder erkennen wir heute als Varianten der zum Formenkreis der
Lyme-Borreliose zählenden Hauterkrankungen.
Abbildung 62: Acrodermatitis chronica atrophicans in einer Maximalvariante mit Ähnlichkeiten zu Buchwald’s
Erstbeschreibung
228
ERYTHEMA MIGRANS
Aber auch in den Vereinigten Staaten gab es, was weit weniger bekannt ist, bereits
von Bronson (1894) und Elliot (1895) Berichte über Krankheitsfälle, die sich aufgrund der enthaltenen Abbildungen ohne Zweifel als Acrodermatitis chronica atrophicans einordnen lassen. In Bronsons Fall handelte es sich übrigens um einen
45jährigen in Deutschland geborenen Einwanderer. Elliot berichtete, sein gleichfalls
aus Deutschland stammender, ebenfalls 45jähriger Patient habe «Attacken von
Rheumatismus» erlebt, was wir heute zwanglos erklären können.
Herxheimer und Hartmann (1902) definierten schließlich das Krankheitsbild als
Acrodermatitis chronica atrophicans (ACA). Es folgten zahlreiche Publikationen,
worunter neben der Übersichtsarbeit von Jessner und Löwenstamm (1924) mit über
66 Fällen (allein aus der Hautklinik Breslau!) eine Übersichtsarbeit von Sweitzer
und Laymon (1935) erwähnenswert ist. In dieser Arbeit wird (im Rahmen der Diskussion) berichtet, daß nicht nur Einwanderer, sondern auch in Amerika geborene Patienten von der ACA betroffen gewesen seien. Auch in Amerika ist die
Erkrankung also nicht «vom Himmel gefallen», sondern schon lange endemisch.
Auch die charakteristischen Begleitsymptome der ACA wie Neuropathie und Osteopathie waren früh bekannt (z.B. Hövelborn 1931), ohne daß man allerdings mit
den damaligen Mitteln das ätiologische Agens hätte nachweisen können.
Schließlich ist auch das Erythema (chronicum) migrans keineswegs eine neue
Krankheit. Bereits zu Beginn des Jahrhunderts wurde von Afzelius (1910) dieses
Leitsymptom einer Borrelien-Infektion beschrieben. Er berichtete damals über ein
Erythem nach vorausgegangenem Zeckenstich, Lipschütz (1914) benutzte schon
den Begriff «Erythema chronicum migrans».
Das Mosaik der Kenntnisse wurde vervollständigt durch Publikationen über die neurologische Seite der Erkrankung, Garin C. Bujadoux (1922) bzw. Bannwarth (1941)
beschrieben die lymphozytäre Meningopolyradikulitis, die wir heute als das «Bannwarth-Syndrom», eine typische Verlaufsform im Generalisationsstadium der Borrelien-Infektion, kennen.
Die Entwicklung verlief in mehreren Schienen zunächst parallel, die einzelnen
Erscheinungsbilder wurden als Entitäten beschrieben, da man die Gemeinsamkeit
der Ätiologie aller dieser Symptome nicht erkennen konnte.
229
WILLY BURGDORFER
Schließlich dachte man bereits an erste Parallelen zur Syphilis. Kahle untersuchte in seiner Dissertation (Halle 1942, zitiert in Weber 1984) «Pallida-Reaktionen bei
Durchblutungsstörungen der Haut».
Nach der Entdeckung des Penicillins folgte ein breites Experimentieren mit dieser
neuen Substanz. Bei allen möglichen Krankheiten wurde untersucht, ob dieses
«Wundermittel» einen positiven Einfluß auf den Verlauf nehmen könne. So ist es
nicht verwunderlich, daß schon Svartz (1946) und Thyresson (1949) berichten
konnten, daß man mit Penicillin eine Acrodermatitis heilen kann. Bianchi (1950)
behandelte dann Lymphozytome, Binder (1955) und andere auch das Erythema
migrans mit Penicillin.
In den fünfziger Jahren wurden dann (wieder einmal!) in heroischen Selbstversuchen von Binder und Mitarbeitern (1955) der Nachweis erbracht, daß das Erythema migrans übertragbar ist. Paschoud (1957) übertrug erfolgreich die Lymphadenosis cutis und Götz (1955) die Acrodermatitis chronica atrophicans durch Hauttransplantate.
So war eigentlich seit Jahrzehnten klar, daß ein infektiöses, Penicillin-empfindliches Agens Verursacher einer chronischen Krankheit mit bunter Symptomatik
sein müsse, wie Weber (1974) postulierte. Nach dem Verursacher wurde auch in
Europa intensiv gesucht, diese Bemühungen waren allerdings mit damaliger Methodik zum Scheitern verurteilt. Dennoch ist es angesichts der heute bekannten Bedeutung und Verbreitung der Lyme-Borreliose in Mitteleuropa sehr verwunderlich, daß die Krankheitsentität erst so spät erkannt wurde. Viele Hinweise waren
vorhanden, es fehlte nur die Zusammenführung. Allan Steere erkannte wie andere
vor ihm den Zusammenhang der Erkrankung mit Zeckenstichen. Erst serologische Methoden, die nach der Entdeckung und Kultivierung des Erregers durch
Willy Burgdorfer (1982, siehe auch oben) etabliert wurden, brachten schließlich den
Durchbruch. Die breite Verfügbarkeit der – zunächst noch recht unzuverlässigen –
Tests brachte Schwung in die Erforschung der Borrelien-Infektionen. Heute ist
der Zusammenhang zwischen Mäusen, Zecken und Borrelien geklärt.
230
IXODES RICINUS
Der «Holzbock» Ixodes ricinus:
Ein Gesundheitsrisiko für Menschen durch fehlende Wirtsspezifität
Sehr viele Zeckenarten sind relativ wählerisch in der Auswahl ihrer Nahrungsquellen. Ixodes vespertilionis geht nur auf Fledermäuse, andere Arten sind stärker auf
Vögel spezialisiert. Ixodes ricinus macht hier eine Ausnahme und spielt als «polyphage» Zeckenart eine ganz zentrale Rolle in der Verbreitung der Lyme-Borreliose
(Costello 1989, Matuschka 1992, Ginsberg 1993, Burgess 1993, Amerasinghe 1993).
Die 0,8-1 mm großen Larven von Ixodes ricinus leben in der Laubstreu am Boden
und saugen meist auf Mäusen. Nach der ersten Blutmahlzeit häuten sie sich zur
Nymphe, die meist ebenfalls Mäuse befällt. Die Larve kann von einer infizierten
Maus Borrelien aus dem peripheren Blut aufnehmen. Die Nymphe gibt diese an
neue Mäusegenerationen weiter, so daß die weitere Verbreitung der Borrelien
gesichert wird. Zusätzlich ist eine weitere Sicherung im Borrelien-Zyklus eingebaut: Etwa 1% der Larven werden bereits transovariell mit Borrelien infiziert (Lane
1987, Magnarelli 1987), so daß auf jeden Fall das Überleben einer Teilpopulation
der Borrelien gesichert ist.
Die adulten Tiere von Ixodes ricinus ändern ihre Strategie: Sie sitzen auf Gräsern
und Kräutern und warten auf vorbeiziehende, etwas größere Tiere. Sie haken
sich mit ihren Vorderbeinen ein und lassen sich so mitnehmen. Da größere Tiere
(Wildschweine, Rehe etc.) einen deutlich größeren Aktionsradius als Mäuse haben,
erhalten die Zecken so die Chance, sich über größere Entfernungen mittragen zu
lassen und so neue Biotope bzw. Mäusepopulationen zu erschließen. Haben sie
ihre Blutmahlzeit nach zwei bis fünf Tagen beendet, so lassen sie sich fallen und
beginnen unmittelbar mit der Eiablage.
Die fehlende Wirtsspezifität von Ixodes ricinus hat also das Problem der Lyme-Borreliose-Erkrankungen für den Menschen erst ermöglicht. Da der Holzbock nicht
wählerisch in der Nahrungssuche ist, werden auch Menschen mit Borrelien infiziert. Epidemiologisch (aus der Sicht der Borrelien) ist dies im Sinne der Arterhaltung zwar unerwünscht, da vom Menschen die Borrelien nicht weiterverbreitet
werden können, für den Betroffenen aber wohl kein Trost.
231
ZECKEN-MÄUSE-ZYKLUS
Die Rolle der Mäuse als Borrelien-Reservoir
Borrelien können sich in Mäusen im Gegensatz zu Großsäugern vermehren, ohne
daß die Maus erkrankt (Simon 1991). In der Maus besteht eine praktisch lebenslange Bakteriämie. Das Immunsystem der Mäuse ist gegenüber dem Erreger tolerant. Dadurch dienen die Mäuse als Borrelien-Reservoir, und der Infektionszyklus
kann so aufrecht erhalten werden (Anderson 1988). Die Zecken, die zu ihrer vollständigen Entwicklung mehrere Blutmahlzeiten benötigen, können den Erreger
von den infizierten Mäusen wieder aufnehmen und weiterverbreiten. So wird das
Überleben der Borrelien durch eine ständige Überimpfung auf neue Mäusegenerationen gesichert (siehe Abbildung 63). Menschen und andere Großsäuger sind dagegen infektionsepidemiologische Sackgassen. Der Erreger kann in diesen nur
eine sehr kurzdauernde Bakteriämie verursachen, so daß von hier aus eine Weiterverbreitung im allgemeinen nicht möglich ist.
Frühling
Sommer
Winter
Herbst
Eiablage
infizierter Wirt
Larven
saugen Blut
häufige Wirte
Geschlechtstiere
saugen Blut
Herbst
Winter
Nymphen
saugen Blut
Zyklus mit
Spirochäten-Reservoir
Sommer
nicht-infizierter Wirt
Frühling
Abbildung 63: Der Zecken-Mäuse-Zyklus der Borrelien (modifiziert nach Habicht)
232
ERREGER DER LYME-BORRELIOSE
Die heute bekannten Erreger
Lyme-Borreliosen werden von mehreren, inzwischen taxonomisch getrennten
Borrelien-Arten verursacht. In den Vereinigten Staaten kommt nur Borrelia burgdorferi sensu stricto vor. In Europa sind es mehr als fünf verschiedene Arten. Zahlreiche europäische Isolate lassen sich aber gar nicht den bisher definierten Arten
zuordnen, so daß in Kürze sicher weitere Arten abgetrennt werden. Wichtig
erscheint in diesem Zusammenhang vor allem, daß die Heterogenität der Stämme
(und damit wohl auch die Varianz der Pathogenität) erhebliche Ausmaße hat. Die
wichtigsten hier vorkommenden Arten sind B. afzelii, B. garinii und B. burgdorferi.
Borrelia afzelii scheint besonders häufig Hautmanifestationen auszulösen, Borrelia garinii eine besondere Affinität zu Nervengewebe zu haben. Generell können
aber Borrelia burgdorferi sensu stricto ebenso wie die anderen Spezies alle bekannten Krankheitsmanifestationen hervorrufen. Ob die Heterogenität der Stämme in
Europa zu Lücken der serologischen Diagnostik führt, wurde bisher nicht hinreichend untersucht.
Abbildung 64: Borrelien im Tuschepräparat
Die Borrelien sind als Korkenzieher-artige, längliche Strukturen sichtbar.
233
LYME-BORRELIOSE: KLINIK
Klinik
Borrelien-Infektionen verlaufen üblicherweise in drei Stadien. Zunächst wird der
Erreger beim Zeckenstich in der Haut deponiert und beginnt sich hier zu vermehren (Stadium 1: Die Lokalinfektion der Haut). Die Generationszeit des Erregers ist
hoch (ca. 20-30 Stunden), daher vermehrt er sich nur langsam. Erst nach einer
Latenzzeit, die üblicherweise etwa 10-14 Tage beträgt (bei Re-Infektionen deutlich weniger), kommt es zur zellulären und humoralen Immunantwort. Je nach
Intensität der zellulären Immunantwort beobachten wir das typische Erythema
migrans (EM) oder das Borrelien-Lymphozytom (BL), welches solitär oder in Kombination mit dem EM auftreten kann. Selten kommt es zur Mitreaktion des subkutanen Fettgewebes in Form einer Pannikulitis.
➡
➡
➡
➡
➡
➡
➡
➡
➡
➡
Abbildung 65: Erythema migrans ca. 14 Tage nach Zeckenstich
Die typische Ringform beginnt sich auszubilden (➡); zusätzlich finden wir in diesem Fall ein
zentrales lymphozytäres Infiltrat.
Während der Erreger sich in der Haut vermehrt und dabei von der Stichstelle
nach peripher wandert, wird er irgendwann Anschluß an ein Blut- oder Lymphgefäß finden. So werden Borrelien mit dem Blutstrom verfrachtet, und die Generalisationsphase, das zweite Stadium der Krankheit beginnt. Klinisch ist es gekennzeichnet von Grippe-ähnlichen Allgemeinsymptomen, Myalgien, Kopfschmerzen,
234
BORRELIEN-LYMPHOZYTOM
Fieber (nicht obligat), Nachtschweiß und Palpitationen. Hier kann es zu ersten
Organmanifestationen kommen (Carditis, Neuritis, Ophthalmitis, Hepatitis etc.)
kommen. Nun folgt eine ausgeprägte Immunantwort, und die Zahl der Erreger
wird drastisch reduziert. Nur im Kollagen können sich Borrelien dem Zugriff des
Immunsystems erfolgreich entziehen. Hier persistieren sie und können nach unterschiedlich langer sekundärer Latenz rezidivierende Krankheitsschübe auslösen.
Abbildung 66: Borrelien-Lymphozytom (BL) am linken Ohrläppchen
Pathophysiologisch unterscheidet sich das BL nur wenig vom Erythema migrans; die anatomischen Grenzen verhindern die Ausbreitung der Borrelien ein wenig, so daß ein stärker lokal
begrenztes Infiltrat entsteht; wenn nicht frühzeitig behandelt, breitet sich dann doch ein
Erythema migrans über die Wange aus.
Diese chronische Phase markiert das Stadium drei der Erkrankung. Klinisch ist
diese geprägt von Neuropathien, Arthralgien und Myalgien, die während der
Krankheitsschübe von Allgemeinsymptomen (in erster Linie Nachtschweiß, gelegentlich Fieber) begleitet werden. Generell können alle Körperregionen (chroni-
235
LYME-ARTHRITIS
sche Kardiomyopathie, Arthritis,
Myositis, Neuropathie etc.) betroffen sein. An der Haut kann sich,
meist nach jahrelangem Verlauf, die
Acrodermatitis chronica atrophicans
ausbilden, die zunächst ein entzündliches Stadium zeigt, um nach
längerem Verlauf in eine «Zigarettenpapier-artige» Atrophie (Pospelow 1886) überzugehen. Fast regelhaft ist diese von Neuro- und Osteopathie begleitet. Gelegentlich findet
man die pathognomonischen fibroiden Knoten, die hohe Erregerzahlen
beinhalten. Bisweilen kann infolge
der chronischen Entzündungsreaktion eine maligne Entartung auftreten.
Abbildung 67: Chronische Lyme-Arthritis
Das Sprunggelenk des Patienten wurde wegen
rezidivierender Gelenkergüsse synovektomiert,
was dem Grundproblem der Infektion allerdings keine Abhilfe schuf.
In allen Krankheitsstadien kann der
Erreger aus infiziertem Gewebe kultiviert werden, was den Charakter
einer chronischen bakteriellen Infektion in Analogie zur Lues unterstreicht.
Pathophysiologie
Alle kutanen Manifestationen der Lyme-Borreliose, vom Erythema migrans bis zu
Acrodermatitis, werden durch den Einstrom von Lymphozyten und Plasmazellen
als bläulichrot verfärbte Hautareale sichtbar, wir können also die zelluläre Immunantwort an der Haut beobachten!
Dennoch unterscheidet sich das Frühstadium deutlich von den Spätmanifestationen. Während im Stadium der Lokalinfektion oder beim bakteriämischen Stadium
noch keine besonderen Unterschiede zu anderen bakteriellen Infektionen existie-
236
ACRODERMATITIS CHRONICA ATROPHICANS
ren, stellt die chronische
Infektion eine Besonderheit
dar.
Im Prinzip entstehen die
Krankheitssymptome des
chronischen Stadiums durch
die hohe Affinität der Borrelien zur kollagenen Faser. So
kommt es vor allem im Bindegewebe (Kollagen) zu chronischen Entzündungsprozessen. Die Folge sind Gefäßentzündungen (vaskulitische
Prozesse mit perivaskulären
Infiltraten von Lymphozyten
und Plasmazellen) (Meier, de
Koning, Duray). Nachfolgende Kapillarverschlüsse führen zu trophischen Störungen in den betroffenen Geweben, wie z.B. den Gefäßen,
von denen Nerven versorgt
Abbildung 68: Acrodermatitis chronica atrophicans
werden (Epineurium). Dies
Die Acrodermatitis chronica atrophicans entsteht in
der Regel nach jahrelangem Verlauf der Infektion; sie
wiederum führt zu (Ischäist zunächst gekennzeichnet von einem entzündlichen
mie-)Schmerzen und verödematösen Stadium mit kissenartiger Schwellung,
schließlich ensteht durch den Verlust der kollagenen
mehrter Vulnerabilität. So
Fasern eine hochgradige Atrophie der Epidermis mit
sind wohl auch die bei länge«Zigarettenpapier-artiger Fältelung» der atrophischen
Haut; aus dem kissenartigen Areal an der lateralen
rem Verlauf typischen periFußkante konnte Borrelia afzelii isoliert werden.
artikulären Entkalkungen
Folge der schlechten lokalen Energieversorgung im Knochengewebe. Die Borrelien
können sich im Kollagen teilweise dem Zugriff des Immunsystems entziehen. Dort
sind sie auch für Antibiotika schlecht erreichbar.
Die Allgemeinsymptome im Verlauf der Infektion werden durch die Reaktion des
Immunsystems auf die Borrelien (infektionsbedingte Produktion von Tumornekrosefaktor und Interleukinen aus Makrophagen) bedingt. Die Stärke der Allgemeinsymptome scheint mit der Erregerzahl zu korrelieren.
237
LYME-BORRELIOSE: DIAGNOSTIK
Serologische und mikrobiologische Diagnostik
Die Borrelien-Infektion ist nicht in jedem Stadium sicher serologisch diagnostizierbar. In den ersten vier bis sechs Wochen, also im Stadium der Lokalinfektion, sind
oft noch keine Antikörper nachweisbar. Die humorale Immunantwort benötigt
nach dem Beginn der Erregergeneralisation mindestens 14 Tage, bis die ersten Antikörper nachweisbar werden. Beim Erythema migrans sind daher nur 40-50%
der Patienten seropositiv, beim Bannwarth-Syndrom sind es je nach Verfahren
etwa 60-80%. In der Spätphase sind dagegen in praktisch allen Fällen eindeutige
Antikörper nachweisbar. Daher muß in Zweifelsfällen gerade bei Verdacht auf
eine frühe Lyme-Borreliose die Untersuchung unter Umständen im Abstand einiger Wochen wiederholt werden. Die Diagnose (und Therapie!) eines Erythema
migrans darf aber niemals vom Antikörperstatus abhängig gemacht werden!
Aufgrund unterschiedlicher Verfahren (Enzymimmunoassay, Immunfluoreszenz,
HAH etc.) und fehlender Standardisierung sind allerdings Werte aus verschiedenen Labors nur bedingt vergleichbar. Zum Teil ist dies durch die Präparation der
Tests aus unterschiedlich geeigneten (immunogenen) Borrelien-Stämmen erklärbar.
Aus bisher unbekannten Gründen sind auch in der Akutphase der Erkrankung
oft keine IgM-Antikörper nachweisbar. Werden aber IgM-Antikörper nachgewiesen, beweisen sie in der Regel eine noch frische, aktive Erkrankung. Das Fehlen
von IgM-Antikörpern schließt aber eine behandlungsbedürftige Borrelien-Infektion keineswegs aus. Gerade in der Spätphase sind in der Regel keine IgM-Antikörper mehr vorhanden, obwohl noch lebende Borrelien vorhanden sind.
Bei einigen Krankheiten können falsch-positive Ergebnisse der Serologie durch unspezifische Kreuzreaktionen vorkommen: Akute Herpes- oder Epstein-Barr-VirusInfektionen können ein falsch positives IgM vortäuschen, ANA-positive Seren können eine positive IgG-Reaktion vortäuschen. Daneben sind Kreuzreaktionen zum
Beispiel durch andere Spirochätosen (z.B. Lues) möglich.
In allen Fällen mit positivem Suchtest sollte als Bestätigungstest der Westernblot
eingesetzt werden, durch den eine Differenzierung zwischen unspezifischen Kreuzreaktionen und echten immunologischen Reaktionen gegen Borrelien möglich ist.
Kontrovers wird seit langem diskutiert, ob es seronegative Lyme-Borreliosen im
Spätstadium gibt. Wir können heute diese Frage nicht abschließend beantworten,
238
LYME-BORRELIOSE: STADIENBEZOGENE THERAPIE
konnten aber in zumindest einem Fall, bei dem serologisch keine Antikörper
nachweisbar waren, einen atypischen, bisher nicht klassifizierbaren BorrelienStamm anzüchten.
Besonderheiten der stadienbezogenen Therapie
Die Anforderungen an eine Therapie der Lyme-Borreliose hängen entscheidend
vom Stadium der Erkrankung ab. Im Frühstadium gibt es noch keine vaskulitischen Prozesse, die die Gewebs-Penetration durch das Antibiotikum behindern
würden. Daher ist hier eine orale Therapie oft noch ausreichend. Auch bei
Kindern genügt eine orale Therapie (vermutlich wegen der anderen Struktur des
Bindegewebes, das weniger Kollagen und mehr Proteoglykansulfat enthält).
Ferner ist zu berücksichtigen, daß die Erreger nur in der Teilungsphase für ein
Antibiotikum empfindlich sind. Ruhende Keime («Persister») können also unter
Umständen die Therapie überdauern. Wegen der langen Generationszeit der
Borrelien (8-35 Stunden) sind Persister vermutlich nicht selten.
Nach derzeitigem Stand der Kenntnisse dürfte daher eher eine Wiederholung der
Therapie als eine noch längere Therapiedauer erfolgversprechend sein.
Grundsätzlich sind nach in vitro-Untersuchungen (Tests mit Borrelien in Kultur,
also «im Reagenzglas») Tetracycline , Doxycyclin, Erythromycin, Amoxicillin, Cefotaxim und Ceftriaxon am wirksamsten. Die MHK90-Werte liegen zwischen 0,05
und 1 mg/l. Für Penicillin G wurden dagegen Werte bis 8 mg/l gemessen. Auch
im Tierversuch waren die Ergebnisse mit Penicillin und Erythromycin enttäuschend (Preac-Mursic). Daher ist heute Penicillin nicht mehr das Mittel der
1. Wahl, zumal vermehrt über die erfolgreiche Anzucht des Erregers auch nach
hochdosierter Penicillin-Therapie berichtet wurde (Preac-Mursic, Johnson).
Erythromycin hat trotz hervorragender in vitro-Werte bisher klinisch und im Tierversuch enttäuscht, was an unzureichenden Gewebespiegeln liegen könnte. Das
neuere Makrolid Azithromycin konnte in einer größeren Studie (Strle) dagegen
beim Stadium 1 (und ausschließlich hier!) überzeugen.
Bei der Therapieplanung ist immer zu berücksichtigen, ob eine systemische Infektion therapiert werden muß. Das Verschwinden einer Hautläsion beweist keinesfalls die Heilung der Krankheit. Hier gibt es wichtige Parallelen zur Syphilis, wo
239
LYME-BORRELIOSE: THERAPIE
ebenfalls Spätmanifestationen bei vermeintlich ausreichend therapierten Patienten beobachtet wurden.
Die verwendeten Antibiotika dürfen nicht unterdosiert werden. Es ist mit Sicherheit sinnlos, eine Lyme-Arthritis mit 100 mg Doxycyclin oral täglich behandeln
zu wollen – zum Vergleich: Cefotaxim, Erythromycin und Doxycyclin haben eine
vergleichbare Aktivität gegen Borrelien; im Fall des Cefotaxim werden 6 g täglich
gegeben, also wesentlich höhere Spiegel erreicht! Bei 200 mg Doxycyclin oral als
Einzeldosis erreicht man Serumspiegel von etwa 3-4 mg/l; dies reicht meist nicht
aus, um im chronischen Stadium auch Keime in schlecht zugänglichen Geweben
zu erreichen.
Viele vermeintliche Therapieversager dürften lediglich auf erhebliche Unterdosierungen zurückzuführen sein! Es ist auch sicher nicht sinnvoll, bei Versagen eines «optimalen» Regimes auf ein minder wirksames auszuweichen.
240
LYME-BORRELIOSE: THERAPIE
Therapie im Frühstadium
Kinder:
Amoxicillin
3 x 15 mg/kg KG/d (in der Regel 3 x 500 mg bis 3 x 750 mg /d) über 20 Tage
Alternativen: Azithromycin, Cefuroxim-Axetil
Erwachsene:
Doxycyclin
2 (bis 3) x 100 mg/d, ebenfalls über 20 Tage
Alternativen: Amoxicillin, Azithromycin, Cefuroxim-Axetil
Im allgemeinen kann auch bei einer beginnenden Erreger-Generalisation noch mit diesen Therapieregimen gearbeitet werden (Dattwyler 1997)
Schwangere:
Amoxicillin
3 bis 4 x 750 - 1000 mg/d über 20 Tage
In Fällen mit Erreger-Generalisation kann wegen der Gefahr der
Übertragung der Borrelien auf den Fetus auch Cefotaxim 2 x 3 g/d
über 14 Tage gegeben werden.
Therapie im chronischen Stadium
Cefotaxim («Claforan®») 2 x 3 g/d über 14 (-21) Tage
Ceftriaxon («Rocephin®») 4 g/d über 14 (-21) Tage
Reserve:
Doxycyclin i.v., Imipenem
Makrolide (auch Azithromycin!) sind im chronischen Stadium grundsätzlich nicht geeignet
241
LYME-BORRELIOSE: NACHSORGE
Nachsorge nach Therapie eines Erythema migrans
Jeder Patient sollte über mögliche Symptome einer weiterbestehenden Lyme-Borreliose aufgeklärt werden. Hierzu gehören in erster Linie Allgemeinsymptome wie
Nachtschweiß, Abgeschlagenheit, Kopf- und Gliederschmerzen, später oft «springende» Gelenkbeschwerden, Neuropathien und gelegentlich kardiale Symptome.
Treten solche auf, ist der Arzt zu konsultieren. In allen Fällen sollte drei Monate
nach Ende der Therapie eine serologische Kontrolle erfolgen. Bleibt diese negativ
(es sind also keine Antikörper nachweisbar), gilt die Erkrankung als geheilt.
Sind zu diesem Zeitpunkt noch Antikörper nachweisbar, muß in weiteren dreimonatigen Abständen eine gezielte Nachsorge erfolgen, bis entschieden werden
kann, ob die Erkrankung ausgeheilt ist oder eine nochmalige Therapie erfolgen
muß. Im Rahmen dieser Nachsorge ist gezielt nach Symptomen einer aktiven
Lyme-Borreliose zu fragen, da der Patient oft spätere Symptome (z.B. «orthopädischer» Art) nicht in Zusammenhang mit der Borrelien-Infektion bringt
Serologische Kriterien einer persistierenden Infektion sind insbesondere Verbreiterungen des Bandenmusters im Westernblot (das Hinzutreten zusätzlicher Banden).
Nachsorge nach Therapie einer Lyme-Borreliose im Spätstadium
Nach Therapie einer chronischen Lyme-Borreliose bleiben immer für längere Zeit
Antikörper nachweisbar, sie sinken in ihrem Level nur langsam ab. Wir konnten
aber bei Langzeitverläufen beobachten, daß die meisten Patienten drei bis fünf
Jahre nach Therapie wieder seronegativ wurden. Wegen der Gefahr endogener
Rezidive muß die Nachsorge mindestens über zwei Jahre erfolgen.
Oft helfen die «Aktivitätsmarker» (Nachtschweiß, Müdigkeit, Palpitationen), über
die Notwendigkeit einer nochmaligen Therapie zu entscheiden.
242
LYME-BORRELIOSE: LITERATUR
Ausgewählte Literatur:
Afzelius A.: Verhandlungen der Dermatologischen Gesellschaft zu Stockholm am 28. Oktober 1909.
Arch Dermatol Syph 1910; 101: 404.
Agger W.A., Callister S.M., Jobe D.A.: In vitro susceptibilities of Borrelia burgdorferi to five oral cephalosporins and ceftriaxone. Antimicrob Agents Chemother 1992; 36 (8): 1788-1790.
Agre F., Schwartz R.: The value of early treatment of deer tick bites for the prevention of Lyme disease.
Am J Dis Child 1993; 147(9): 945-947.
Balban W.: Erythema annulare entstanden durch Insektenstiche.
Arch Dermatol Syph 1910; 105: 423-430.
Bannwarth A.: Chronische lymphozytäre Meningitis, entzündliche Polyneuritis und «Rheumatismus».
Arch Psychiatr Nervenkrankh 1962; 117: 161-185.
Buchwald A.: Ein Fall von diffuser idiopathischer Hautatrophie. Vj Schr Dermatol 1883; 15: 553-556.
Burgdorfer W., Barbour A.G., Hayes S.F. et al.: Lyme disease – a tick borne spirochetosis?
Science1982; 216: 1317-1319.
Duray P.H.: Histopathology of clinical phases of human Lyme disease.
Rheum Dis Clin North Am 1989; 15 (4): 691-710.
Garin C., Bujadoux A.: Paralysie par les tiques. J Med Lyon 1922; 71: 765-767.
Hassler D., Maiwald M.: Zweimalige Re-Infektion mit Borrelia burgdorferi bei einem immunkompetenten
Patienten. Dtsch Med Wochenschr 1994; 119: 338-342.
Hassler D., Riedel K., Zorn J., Preac-Mursic: Pulsed high dose cefotaxime therapy in refractory Lyme borreliosis. Lancet 1991; 338: 193 (Letter).
Hassler D.: Stadiengerechte Therapie der Lyme-Borreliose: State of the art. In: Hassler D. (Hrsg.):
Fortschritte der Infektiologie: Lyme-Borreliose. MMW-Verlag, München 1992.
Hassler D., Zöller L., Haude M., Hufnagel H.D. et al.: Cefotaxime versus penicillin in the late stage of Lyme
disease – prospective, randomized therapeutic study. Infection 1990; 18 (1): 16-20.
Hassler D., Zöller L., Haude M., Hufnagel H.D. et al.: Lyme-Borreliose in einem europäischen
Endemiegebiet. Antikörperprävalenz und klinisches Spektrum.
Dtsch Med Wochenschr 1992; 117: 767-774.
Magid D., Schwartz B., Craft J., Schwartz J.S.: Prevention of Lyme disease after tick bites. A cost-effectiveness analysis. N Engl J Med 1992; 327 (8): 534-541.
Maiwald M., Stockinger D., Hassler M. et al.: Evaluation of the detection of Borrelia burgdorferi-DNA in
urine samples by polymerase chain reaction. Infection 1995a; 23: 173-179.
Maiwald M., Petney T.N., Brückner M. et al.: Untersuchungen zur natürlichen Epidemiologie der LymeBorreliose anläßlich des gehäuften Auftretens von Erkrankungen in einem Vorort einer nordbadischen Gemeinde. Gesundheitswesen 1995b; 57: 419-425.
Maiwald M., Oehme R., March O., Petney T.N. et al.: Transmission risk of Borrelia burgdorferi sensu lato
from Ixodes ricinus ticks to humans in southwest Germany.
Epidemiology and Infection 1998; 121: 103-108.
Magnarelli L.A. et al.: Borrelia burgdorferi in an urban environment: white-tailed deer with infected ticks
and antibodies. J Clin Micobiol 1995; 33: 541-544.
Steere A.C.: Lyme Disease. New Engl J Med 1989; 321: 586-596.
Weber K., Pfister H.W.: Clinical management of Lyme borreliosis. Lancet 1994; 343: 1017-1020.
Internet: www.lymenet.org (Server der amerikanischen Selbsthilfegruppen)
243
TULARÄMIE
10.12 WER DEM HASEN DAS FELL ÜBER DIE OHREN ZIEHT…
FRANCISELLA TULARENSIS
Dieter Hassler
Peter Bolden* war ein begeisterter Freizeitjäger. Immer, wenn es seine Zeit zuließ,
war er in der Umgebung seines Hauses auf Hasenjagd.
An einem Wochenende war er wieder einmal erfolgreich gewesen und brachte
mehrere Prärie-Hasen nach Hause. Fachmännisch schlachtete er die Beute und
zog den Hasen das Fell über die Ohren. Ein paar Blutspritzer auf seinem Unterarm
waren für ihn Teil des Geschäfts, kein Grund für irgendeine Sorge.
Zwei Tage später entwickelte er hohes Fieber, Schüttelfröste, Atemnot und Kreislaufbeschwerden. Seine Frau fuhr ihn in ein Hospital in Memphis, wo er sofort aufgenommen wurde. Bereits am Aufnahmetag kam es zu einer massiven Rhabdomyolyse mit Myoglobinurie und Kreatininanstieg.
Die Thorax-Röntgenaufnahme zeigte ein pneumonisches Infiltrat im rechten Unterlappen, die Creatinphosphokinase stieg auf 1047 Einheiten, das Blutbild zeigte eine massive Linksverschiebung.
Unverzüglich wurde wegen des pneumonischen Infiltrates eine Therapie mit
einem Cephalosporin begonnen, doch sein Zustand verschlechterte sich dramatisch. Man entschloß sich, Tobramycin (ein Aminoglykosid) hinzuzunehmen, und
ganz allmählich trat eine Besserung ein. Wenige Tage später war das Ergebnis der
Blutkulturen verfügbar, und die Ursache des Krankheitsbildes war geklärt. Francisella tularensis, der Erreger der Tularämie, die auch Hasenpest genannt wird,
war gefunden (MMWR 1983: 32: 262-264).
* Der Name des Unglücklichen ist reine Phantasie, seine Geschichte keineswegs
244
FRANCISELLA TULARENSIS
Geschichte
Francisella wurde erstmals 1912 im Tulare County (Kalifornien) aus Körpermaterial verendeter «Ground Squirrels», einer Art Eichhörnchen, isoliert. Sie erhielt deshalb zunächst den Namen Bacterium tularense. E. Francis entdeckte die Zusammenhänge zwischen den Erkrankungen bei Nagern und einer damals als «Deer
Fly Fever» bezeichneten Erkrankung bei Menschen. Nach ihm wurde der Erreger
später Francisella genannt.
In Schweden wurde die Tularämie 1931 erstmals beschrieben. Hier existiert ein
natürlicher Fokus am Rande der baltischen See in Mittelschweden. Immer wieder
kam es hier zu großen Ausbrüchen, die teilweise epidemischen Charakter annahmen. Allein 1966/67 erkrankten mehrere tausend Menschen (Tärnvik 1996). In
Rußland wurden sogar Epidemien mit mehr als hunderttausend Erkrankungen
während des zweiten Weltkrieges beobachtet (Pollitzer 1967).
Erreger, Reservoire und Vektoren
Francisella tularensis ist ein gramnegatives, aerob wachsendes, relativ anspruchsvolles, kokkoides Bakterium, das in der Regel nur in Cystein-haltigen Medien oder
intrazellulär gut wächst. Aus diesem Grund kann es bei Verwendung üblicher
Blutkulturmedien übersehen werden. Einzelne Isolate wachsen aber auch ohne
Cystein (Bernhard 1994).
Ähnlich wie Legionella kann sich auch Francisella in Makrophagen vermehren
und so die Immunabwehr unterlaufen (Fortier 1994). Wie jene kann sie auch
Amöben infizieren und sich in diesen vermehren. Bisher gibt es aber keine
Hinweise, daß diese Eigenschaft bei der Ausbreitung des Erregers eine Rolle spielt.
Zwei Varianten (Typ A und B) sind bekannt. Typ A (Biovar tularensis) kommt nur
in Nordamerika vor und ist für wesentlich aggressivere Krankheitsverläufe verantwortlich als der weltweit vorkommende Typ B (Biovar paläarctica).
Hauptreservoir sind Wildhasen und andere Nager.
Mehrere Übertragungswege sind bekannt. Der erste ist der unmittelbare Kontakt
mit Blut infizierter Tiere, etwa beim Schlachten von Wildhasen. In diesen Fällen
ist die Inkubationszeit oft sehr kurz (2-5 Tage), da es zu einer primären Sepsis
kommt. Auch der Genuß einer unzureichend erhitzten Hasenmahlzeit kann zur
245
TULARÄMIE: VERBREITUNG
Infektion führen, wie Benlyazid (1997) bei drei Familienmitgliedern beobachten
konnte. Auch Kuhmilch wurde für einen Ausbruch verantwortlich gemacht,
wobei der Infektionsmodus nicht geklärt werden konnte (Manenkova 1996).
Der andere wesentliche Weg ist die Übertragung durch Zecken (vorwiegend der
der Gattung Dermacentor, seltener auch durch Ixodes-Zecken) und Stechmücken
(Tärnvik 1996). In einer systematischen Untersuchung an Dermacentor-Zecken in
Tschechien wurden durchschnittlich 2,8% infizierte Zecken gefunden (Hubalek
1997). Da es bei dieser Variante zur Übertragung viel geringerer Erregerzahlen
kommt, ist die Inkubationszeit meist länger (6-30 Tage).
Ein dritter Infektionsmodus konnte in Schweden für den größten Ausbruch in den
Jahren 1966/67 wahrscheinlich gemacht werden: die Inhalation Erreger-haltigen Materials. 1966 war es zu einem massenhaften Sterben von Nagern gekommen, und viele dieser Nager starben in Feldscheunen. Die Kadaver lagen oft im
Heu, und beim Umsetzen und Verladen des Heus kam es zur Bildung eines hochinfektiösen Aerosols, das nach Einatmung meist eine primär pneumonische Verlaufsform auslöste (Tärnvik 1996).
Heutige Verbreitung
Die Tularämie ist aus vielen Ländern, vor allem der nördlichen Hemisphäre,
bekannt, aber nicht häufig. Die meisten Fälle traten sporadisch auf, immer wieder
wurden kleinere Serien berichtet, große Epidemien gab es nur selten. In Nordamerika rechnet man mit etwa 1500 Erkrankungen pro Jahr, in Skandinavien
sind es einige Dutzend, in Tschechien und der Slowakei etwa je 10. Die Dunkelziffer dürfte aber wegen der Schwierigkeiten der Diagnose und der Vielfalt der Symptome erheblich sein.
In Europa existieren mehrere Endemiegebiete, dazu gehören ganz Skandinavien
und Westrußland, die Tschechoslowakei und Teile Österreichs. Daten aus Deutschland fehlen (wieder einmal!) praktisch völlig.
Japan meldete bisher insgesamt 1400 Erkrankungen in sieben Jahrzehnten (Ohara 1998).
246
TULARÄMIE: KLINIK UND DIAGNOSTIK
Klinik
Die Tularämie zeigt einen auffällig großen Variantenreichtum im klinischen
Verlauf (Übersicht z.B. bei Jacobs 1997). Bei Übertragung durch Zecken- oder Mükkenstich entsteht an der Stichstelle oft ein typisches, wie ausgestanzt wirkendes,
schlechtheilendes Geschwür. Danach kommt es nach lymphogener Ausbreitung
zu lokoregionären Lymphknotenschwellungen («ulzeroglanduläre Form»). Bei
Schmierinfektion über die Eintrittspforte Auge nach direktem Kontakt mit Sekreten infizierter Tiere tritt eine sehr schmerzhafte Konjunktivitis mit Lymphknotenschwellungen auf («okuloglanduläre Form»).
Die eher seltene «intestinale Form», bei welcher der Infektionsweg offensichtlich
oral durch unzureichend erhitztes Fleisch infizierter Tiere verläuft, zeigt als Leitsymptome Pharyngitis, Erbrechen, Leibschmerzen und Durchfälle. Die primär
pneumonische Form ist selten und entsteht gemäß derzeitiger Meinung nach haematogener oder lymphogener Streuung des Erregers. Sie kann, wenn die Infektion
kutan über Mikroverletzungen erfolgte, auch als einzig faßbare klinische Manifestation auftreten. In einem Fall (Schweden 1966/67, siehe oben) kam es zu einer
epidemischen pneumonischen Variante nach Inhalation Erreger-haltigen Materials (Dahlstrand 1971).
Die septische Verlaufsvariante, die besonders häufig nach Kontakt mit Blut infizierter Tiere beobachtet wird, wurde früher als «typhoide Form» bezeichnet. Kopfschmerzen, Schweißausbrüche und hohes Fieber sind obligat, als Komplikationen wurden Meningitis, Pericarditis und Osteomyelitis beschrieben (Übersicht bei
Rodgers 1998), eine Rhabdomyolyse mit temporärer Beeinträchtigung der Nierenfunktion kommt nur beim Typ A vor.
Diagnostik
Der Erreger kann aus verschiedenen Körpermaterialien (Abstriche aus dem Primärulkus, Punktionsmaterial wie Pleuraexsudate oder Knochenmarksaspirate)
angezüchtet werden. Bei Anzucht sind mindestens L2-Bedingungen einzuhalten,
da der Erreger in Kultur hochkontagiös ist! Der Verdacht muß daher unbedingt
dem Labor mitgeteilt werden. Da verschiedene geeignete Primer publiziert wurden, kann generell auch die PCR in der Diagnostik verwendet werden. Die klassischen serologischen Verfahren verlieren dagegen eher an Bedeutung, da erst der
247
TULARÄMIE-PNEUMONIE
Titeranstieg beweisend ist, was für die Therapieentscheidung natürlich wesentlich zu spät kommt.
Abbildung 69: Pneumonie bei Tularämie
Der Patient hatte ein wildes Kaninchen geschlachtet und sich dabei in die Hand geschnitten;
in der Folge entwickelte sich Fieber, Husten und Kurzatmigkeit; diagnostisch zeigten sich
vergrößerte axilläre Lymphknoten, und röntgenologisch stellten sich bilaterale Infiltrate der
unteren Lungensegmente dar, die von exudativen Pleuraergüssen begleitet wurden.
Differentialdiagnostisch müssen vor allem Rickettsiosen bedacht werden, da das
Primärulkus bei einer Tularämie der Tache noire bei Rickettsiosen stark ähneln
kann. Auch die septische Form ist durchaus ähnlich.
248
TULARÄMIE: THERAPIE
Therapie
In früheren Jahren galt Streptomycin als Standard in der Therapie der Tularämie.
Allerdings wurden nach dieser Therapie oft Rückfälle beobachtet. Später wurden
vermehrt Tetracyclin-Derivate angewandt, ab den frühen achtziger Jahren
erkannte man die besonders gute Wirksamkeit von Aminoglykosiden, deren
MHK-Werte um 1 mg/l liegen (MMWR 1983). Zumindest in Einzelfällen kann es
auch nach Aminoglykosiden Rückfälle geben (Risi & Pombo 1995). In diesem Fall
war ein Fluorchinolon (Ciprofloxacin oral über 28 Tage) schließlich kurativ.
Größere systematische Therapiestudien existieren nicht, die größte publizierte
Einzelserie enthielt neun Patienten, die mit Gentamicin erfolgreich behandelt
wurden (Mason 1980).
In vitro ist Francisella gegen einige Antibiotika gut empfindlich, die klinisch zu
hundert Prozent versagt haben. Vor allem die Cephalosporine der dritten Generation wie Ceftriaxon, Moxalactam und Cefotaxim liefern in vitro gute MHK-Werte,
sind aber wegen ihrer unzureichenden intrazellulären Konzentration klinisch
unwirksam.
Substanz
Moxalactam
Cefotaxim
Ceftriaxon
Streptomycin
Gentamicin
Tobramycin
Chloramphenicol
Rifampicin
Erythromycin
Tetracycline
Ciprofloxacin
Ofloxacin
MHK50
MHK90
0,12
0,5
0,5
2
1
1
0,5
0,5
1
1
0,12
2
2
4
1
1
1
–
2
2
0,12
2
Tabelle 13: In vitro-Empfindlichkeit von Francisella (nach Enderlin 1994 bzw. Tärnvik 1996)
249
TULARÄMIE: PROPHYLAXE
Prophylaxe
Eine attenuierte Lebendimpfung ist in einigen Ländern (z.B. Tschechien) verfügbar bzw. wird entwickelt (USA). Im übrigen bleiben die üblichen Vorsichtsmaßnahmen vor Zeckenstichen bzw. die Vermeidung von Kontakten mit Hasenblut.
250
TULARÄMIE: LITERATUR
Ausgewählte Literatur:
Anonymus: Tularemic Pneumonia - Tennessee. MMWR 1983; 32: 262-264.
(Internet: www.cdc.gov)
Benlyazid A. et al.: Cervicofacial manifestations of tularemia: A propos of a familial case.
Ann Otolaryngol Chir Cervicofacial 1997; 114: 80-83
Bernhard K. et al.: Early recognition of atypical Francisella tularensis strains lacking a cysteine requirement. J Clin Microbiol 1994; 32: 551-553.
Burnett J.W.: Tularemia. Cutis 1994; 54: 77-78.
Cerny Z.: Skin manifestations of Tularemia. Int J Dermatol 1994; 33: 468-470.
Cross J.T., Jacobs R.F.: Tularemia: treatment failures with outpatient use of ceftriaxone.
Clin Infect Dis 1993; 17: 976-980.
Dahlstrand S. et al.: Airborne tularemia in Sweden. Scand J Infect Dis 1971; 3: 7-16.
Enderlin G. et al.: Streptomycin and alternative agents for the treatment of tularemia: review of the literature. Clin Infect Dis 1994; 19: 42-47.
Fortier A.H. et al.:Life and death of an intracellular pathogen: Francisella tularensis and the macrophage. Immunol Ser 1994; 5: 199-201.
Gill V., Cunha B.A.: Tularemia pneumonia. Semin Respir Infect 1997; 12: 61-67.
Gurycova D.: Analysis of the incidence and routes of transmission of tularemia in Slovakia.
Epidemiol Mikrobiol Imunol 1997; 46: 67-72.
Hubalek Z. et al.: Prevalence of Francisella tularensis in Dermacentor reticulatus ticks collected in adjacent areas of the Czech and Austrian Republics. Cent Eur J Public Health 1997; 5: 199-201.
Jacobs R.F.: Tularemia. Adv Pediatr Infect Dis 1996; 12: 55-69.
Jellison W.L. et al.: Tularemia and animal populations: ecology and epizootiology.
Wildlife Disease 1961; 17: 1-22
Jellison W.L.: Tularemia in North America 1930-74. Missoula, University of Montana 1974.
Kozuch O. et al.: Mixed natural focus of tick borne encephalitis, tularemia and hemorrhagic fever with
renal syndrome in West Slovakia. Acta Virol 1995; 39: 95-98.
Manenkova G.M. et al.: A milk borne outbreak of tularemia in Moscow.
Zh Mikrobiol Epidemiol Immunobiol 1996; 5: 123-124.
Mason W.L. et al.: Treatment of tularemia including pulmonary tularemia, with gentamicin.
Am Rev Respir Dis 1980; 121: 39-45.
Ohara Y. et al.: Arthropod-borne tularemia in Japan: clinical analysis of 1374 cases observed between
1924 and 1996. J Med Entomol 1998; 35: 471-473.
Risi G.F., Pombo D.J.: Relapse of tularemia after aminoglycoside therapy: case report and discussion of
therapeutic options. Clin Infect Dis 1995; 20: 174-175.
Rodgers B.L. et al.: Tularemic meningitis. Pediatr Infect Dis J 1998; 17: 439-441.
Pollitzer R.: History and incidence of tularemia in Soviet Union - a review; pp. 1-103.
Institute for contemporary Russian Studies, Fordham University, New York 1967.
Tärnvik A. et al.: Epidemiological analysis of tularemia in Sweden 1931-1993.
FEMS Immunol Med Microbiol 1996; 13: 201-204.
251
BABESIEN
11 AUCH PROTOZOEN MISCHEN MIT
11.1 DIE KLEINEN SCHWESTERN DER MALARIA:
BABESIEN
Dieter Hassler
Z
ecken sind bekanntlich alles andere als freundliche Biester. In Europa hat man
schon zahlreiche Krankheitserreger entdeckt, die von diesen Tieren übertragen
werden können. Gut, von Viren wie dem FSME-Virus, von Rickettsien und Coxiella,
von Ehrlichien und Borrelien haben wir schon gehört. Aber auch Protozoen haben
diesen effektiven Vektor in die Dienste ihrer Verbreitung gestellt. Unter den Protozoen gibt es eine Gruppe, die wir heute Babesien nennen. Gelegentlich werden sie
auch noch als Piroplasmen bezeichnet.
Auch diese Erreger sind ein Beispiel dafür, daß die Veterinärmediziner uns wieder
einmal um Jahrzehnte voraus waren.
Babes (1888) beschrieb den Erreger als Verursacher einer verheerenden Viehseuche, die zuvor mehrere zehntausend Rinder getötet hatte*. Schon 1893 publizierte Theobald Smith mit seinem Kollegen F.L. Kilmore eine grundlegende Arbeit, in
der er den Erreger des «Texas-Cattle-Fever», Babesia bigemina und die Rolle der
Zecken bei der Übertragung der Krankheit beschrieb.
Wieder einmal vergingen fast hundert Jahre, bis die Rolle ähnlicher Erreger für
menschliche Erkrankungen offenbar wurde. Zwar gab es ganz vereinzelte
Berichte über solche Erreger schon in den letzten Jahrzehnten, doch so richtig
aufmerksam wurde die Welt, als im Osten der USA, wo auch die Borreliose wiederentdeckt worden war, eine ganze Anzahl von Erkrankungen durch Babesien
bekannt wurden.
Vor allem Nantucket Island wurde bald als Fokus erkannt, die Übertragung durch
Zecken konnte gezeigt werden (Ruebush 1977 und 1980, Spielman 1985). Verursacher war hier die Art Babesia microti.
* Einige glauben, daß bereits Pharao Ramses II., der in Exodus 9,3 über eine Viehseuche berichtete, eine
erste Babesiose-Epidemie beschrieben hat (Internet: http://emergency.mgh.harvard.edu/case22). Wir
haben da erhebliche Zweifel, denn das Rift-Valley-Fieber wäre hierfür wohl eine bessere Erklärung.
252
BABESIEN-ENTWICKLUNG
Babesiose in Europa
Der erste Fall einer europäischen Babesiose beim Menschen wurde 1956 in Jugoslawien beobachtet (Skrabalo 1957). Dies war ein splenektomierter Patient, der an
der fulminant verlaufenden Infektion verstarb. Auch die weiteren in Europa publizierten Fälle (Fitzpatrick 1969, Bazin 1976, Rabinovich 1978, Skrabalo 1971 und
andere), bei denen jeweils Babesia divergens gefunden wurde, traten ausschließlich
bei Splenektomierten auf. Dies hat zur Annahme geführt, daß nur diese Patienten
gefährdet sein könnten.
Andererseits zeigen die über ganz Europa sporadisch registrierten Fälle, daß der
Erreger in vielen Gebieten vorkommen muß. Serologische Studien an Seren von
Borreliose-Patienten zeigen jedenfalls in vielen Ländern eine relativ konstante
Rate von 1-3% gegen Babesiose reagierender Seren, ohne daß klinisch manifeste
Erkrankungen gefunden wurden.
Ring-Stadium
(Trophozoit)
Amöboide
Form
Injektion
von Trophozoiten
Lebenszyklus
der Babesien im
Säuger-Wirt
Vektor (Zecke)
Aufnahme
infizierter
Blutzellen
Teilungs-Form
Merozoiten
(pyriform bodies)
Merozoiten
(cruciform bodies)
Abbildung 70: Schema der Babesien-Entwicklung
253
BABESIOSE: KLINIK
Übertragung der Babesiose
Grundsätzlich wird die Babesiose primär von Zecken übertragen. Für die humanpathogenen Arten ist meist die Gattung Ixodes Überträger, Vektoren der tierpathogenen Babesien sind auch andere Zeckenarten wie Boophilus, Dermacentor und
Rhipicephalus. Sekundäre Infektionen über Bluttransfusionen wurden nicht selten beobachtet und haben zu teils fulminanten Verläufen geführt. Dies kann deshalb zum Problem werden, weil mögliche Blutspender noch lange Zeit (Monate
bis Jahre!) nach der klinischen Ausheilung der akuten Erkrankung parasitämisch
sein können (Krause 1998).
Klinik der Babesiose
Berichte über klinisch manifeste Erkrankungen beziehen sich in der Regel in
Europa auf B. divergens, in Amerika auf B. microti. Vereinzelt wurden aber auch
andere Arten (z.B. B. equi) beim Menschen gefunden, so daß zu erwarten ist, daß
bei genauerer Suche auch andere Arten den Menschen infizieren können.
Die Pathogenität der Arten für den Menschen ist nicht ganz klar. Während man
in früheren Jahren glaubte, daß die Babesiose nur bei Splenektomierten ein klinisch relevantes Krankheitsbild auslösen könne, wurden vor allem in den USA in
den letzten Jahren vermehrt schwere Verläufe bei zuvor gesunden Personen beobachtet. Vor allem im Endemiegebiet von Nantucket Island wurden mehr als hundert derartige Erkrankungen registriert, wobei unklar ist, warum hier auch Gesunde erkranken, während in den meisten anderen Gebieten der USA nach wie vor
die Splenektomie ein Hauptrisiko für eine klinisch manifeste Babesiose zu sein
scheint (Spielman 1985).
Die Babesiose beim Menschen ist eine der Malaria nicht ganz unähnliche Infektion. Nach einer Inkubationszeit von ein bis vier Wochen entwickelt sich ein systemisches Krankheitsbild mit Abgeschlagenheit und Gewichtsverlust, dann steigt
das Fieber kontinuierlich an, Schüttelfrost tritt auf, gefolgt von generalisierten
Muskel- und Gliederschmerzen sowie starken Kopfschmerzen. Die Milz ist oft vergrößert. Oft werden rezidivierende Schübe über Wochen beobachtet. Eine Haemoglobinurie tritt recht regelhaft auf, direkt pathognomonische Symptome existieren aber nicht.
254
BABESIEN-ARTEN
Im Verlauf kommt es manchmal zu schweren Anämien, Ikterus und Nierenversagen (Ruebush 1980). Generell scheint der Verlauf meist selbstlimitierend und
günstig zu sein, einzelne schwere Verläufe haben aber zum Tod der Patienten
geführt, wobei manchmal Ko-Infektionen mit anderen Erregern wie Borrelia diskutiert wurden (Marcus 1985, Krause 1996). Letzterer fand bei 240 an Borreliose erkrankten Patienten immerhin in 11% Ko-Infektionen und kam zu dem Ergebnis, daß hierdurch schwerere klinische Verläufe bedingt wurden.
Was sind Babesien?
Babesien gehören wie die Erreger der Malaria zu den Protozoen. Sie sind obligat intrazellulär in Erythrozyten lebende, ca. 4 x 2 µm messende, meist birnenförmig
imponierende Mikroorganismen. Alle Babesien teilen sich in Erythrozyten in charakteristischer Weise, wodurch schmetterlingsförmig angeordnete Doppel- oder
Viererformationen sichtbar werden.
Babesia ist nach Babes benannt, der 1888 erstmals den Erreger bei Rindern nachgewiesen hat. Zahlreiche Arten sind inzwischen beschrieben worden, die meisten
sind nur bei Tieren als pathogen bekannt. Für menschliche Erkrankungen ist in
Amerika in der Regel B. microti, in Europa B. divergens verantwortlich.
Spezies
Babesia microti
Babesia divergens
Babesia bigemina
Babesia bovis
Babesia equi
Babesia caballi
Babesia ovis
Babesia canis
Babesia gibsoni
Babesia felis
Babesia benetti
infiziert werden u.a.
Bemerkungen
Menschen (USA), Nager
Menschen (Europa)
Kühe («Texas-Cattle-Fever»)
Kühe
Pferde, vereinzelt Menschen
Pferde,
Schafe, Steinböcke etc.
Hunde
höher pathogen
weniger pathogen
höher pathogen
weniger pathogen
höher pathogen
weniger pathogen
Katzen
Vögel
hoch pathogen
hoch pathogen
?
?
Tabelle 14: Ausgewählte Babesien-Arten
255
BABESIEN-INFEKTIONEN BEI TIEREN
Babesiose bei Tieren
B. bigemina verursacht das bereits erwähnte «Texas-Cattle-Fever», eine schwer und
hochfieberhaft verlaufende Erkrankung mit Anämie, Haematurie, Ikterus und
Hepatosplenomegalie. Letale Verläufe sind nach früheren Berichten sehr häufig.
Dem steht ein wenig entgegen, daß Sahibi (1998) bei marokkanischen Rindern
Infektionsraten bis zu 40% gefunden hat, wobei sogar noch ein ähnlich hoher
Prozentsatz mit B. bovis ko-infiziert war, ohne daß es zu größeren Serien von Todesfällen kam. Warum manche Ausbrüche mit einer hohen Letalität einhergehen
und andere keine meßbar erhöhten Verluste verursachen, bleibt weiter unklar.
B. bovis infiziert hauptsächlich Schafe, wurde aber auch in Mufflon- und Steinwild,
zum Beispiel in den Pyrenäen gefunden. Yeruham (1998) beobachtete, daß Lämmer, die in der Winterzeit geboren wurden, meist von Larven der übertragenden
Zeckenart Rhipicephalus bursa gestochen wurden. Sie entwickelten meist eine
Serokonversion, erkrankten aber klinisch nur mild. Wenn die Primärinfektion
durch adulte Zecken erfolgte, so war meist das Vollbild der fieberhaften Babesiose
die Folge. Er vertritt nun die interessante Hypothese, daß die von einer geringen
infektiösen Dosis des Erregers präimmunisierten Tiere bereits relativ geschützt in
die Sommermonate gehen und deshalb die klinisch schwerere Form selten beobachtet wird. Yeruham meint daher, daß es günstig ist, wenn die Zeckenlarven in
den Monaten Oktober bis Februar die Lämmer infizieren können.
Dies könnte die oben diskutierte Diskrepanz im klinischen Verlauf bei Infektionen
von Rindern aufklären helfen: In Gegenden wie Marokko, in denen die Prävalenz
des Erregers und seiner Vektoren ständig so hoch ist, daß eine Immunisierung
über Zeckenvorstadien regelhaft erfolgt, ist die gesamte Herde relativ geschützt.
Wenn dagegen nichtimmune Rinderherden im Sommer in großen Trecks in Gegenden verbracht werden, wo der Erreger vorkommt, so ist mit regelhaft schweren Verläufen zu rechnen.
B. canis infiziert vor allem Hunde und führt bei den befallenen Tieren nach hochfieberhafter Erkrankung mit Anämie und Ikterus in vielen Fällen innerhalb weniger Tage zum Tod. Die aus Asien bekannte B. gibsoni führt zwar zu protrahierteren Verläufen über einige Wochen bis Monate, aber auch diese Infektion ist letztendlich oft letal.
256
BABESIOSE: DIAGNOSTIK
Babesia equi, von Laveran bereits 1901 beschrieben, ist eine für Pferde hochpathogene Art, während B. caballi für minder schwere Infektionen verantwortlich gemacht wird.
In der tierärztlichen Allgemeinpraxis sind Babesien-Infektionen bei Katzen, die
aus den Mittelmeerländern mitgebracht wurden, nicht selten. Meist wird hier
nicht zu unterscheiden sein, ob B. felis oder B. divergens verantwortlich ist. Generell
ist zu berücksichtigen, daß nur erfahrene Untersucher eine Artdiagnose aufgrund der Mikroskopie stellen können, da die einzelnen Arten so ähnlich sind,
daß in der klinischen Praxis aus praktischen Gründen auf die genaue Differenzierung verzichtet werden muß.
Die langandauernde Protozoämie bei klinisch bereits wieder genesenen Tieren
stellt ein erhebliches seuchenhygienisches Problem dar: Kühe werden weltweit
vermarktet, Pferde zu internationalen Wettbewerben über Kontinente verfrachtet. So kann es sehr leicht zur Einschleppung von Babesien in zuvor unbelastete
Regionen kommen. Ein paar passende Zecken zur Weiterverbreitung finden sich
schließlich allenthalben.
Diagnostik
Die klassische Form der Diagnose kann an Hand von Giemsa-gefärbten Blutausstrichen erfolgen. Die Babesien sind in den befallenen Erythrozyten sichtbar (siehe
Abbildung 71). Da die Zahl der Erreger recht hoch ist, ist die Diagnose nicht sehr
schwierig. Wiederum muß darauf hingewiesen werden, daß die maschinelle Auswertung des Blutbildes hier natürlich versagen muß! Eine Alternative ist die Anzucht im Hamster, mit der sich auch Infektionen nachweisen lassen, die wegen
geringerer Erregerdichte im Nativausstrich unentdeckt geblieben wären.
Daneben wurden serologische Verfahren etabliert (Krause 1994), die aber in Europa nur von wenigen Labors angeboten werden.
257
➡
➡
➡
BABESIOSE: THERAPIE
Abbildung 71: Blutausstrich mit Babesia divergens-infizierten Erythrozyten (➡)
Therapie
Wegen der geringen Fallzahlen waren systematische Untersuchungen bisher nicht
möglich. Zunächst waren unter der Vorstellung, Protozoen-wirksame Therapieregime zu finden, die bekannten Antimalariamittel versucht worden. Wegen erkennbarer Unwirksamkeit wurden diese bald wieder aufgegeben.
Schließlich wurde die Kombination von Clindamycin mit Chinin (CDC, MMWR
1983) etabliert, die zumindest zu einer signifikanten Reduktion der Erregerzahlen
geführt hat. Neuere Untersuchungen zeigen jedoch, daß Chinin in vitro zumindest gegen B. divergens unwirksam ist (Brasseur 1998), so daß man den Therapieerfolg bestenfalls dem Clindamycin zuschreiben kann. Brasseur zeigte, daß in vitro
als einziges Antimalariamittel das relativ neue Atovaquon wirksam ist, wodurch
sich eine therapeutische Alternative abzeichnet.
In der Veterinärmedizin wird mit gutem Erfolg zur Therapie bei Rindern Imidocarb eingesetzt. Dieses Mittel ist für die Behandlung von Menschen nicht zugelassen.
258
BABESIOSE: LITERATUR
Als ultima ratio wurden bisweilen auch Austausch-Transfusionen versucht, die
Gorenflot (1998) bei mehr als 50% infizierten Erythrozyten heute noch für indiziert hält.
Wichtig erscheint der Hinweis, daß auch bei regelrechter Therapie der Erreger
subklinisch über Monate bis Jahre persistieren kann, was vor allem Konsequenzen für die Verwendung von Blutprodukten haben sollte (Krause 1998).
Eine Impfung wird in der Veterinärmedizin erprobt, die abschließende Beurteilung ist sicherlich erst in einigen Jahren möglich.
Ausgewählte Literatur:
Bazin C. et al.: Un nouveau case de babesiosis humaine. Nouv Presse Med 1976; 5: 799-800.
Brasseur P. et al.: In vitro evaluation of drug susceptibilities of Babesia divergens isolates.
Antimicrob Agents Chemother 1998; 42: 818-820.
Centers for Disease Control: Clindamycine and quinine treatment for Babesia microti.
MMWR 1983; 32: 65.
Dammin G.J. et al.: The rising incidence of clinical Babesia microti infection.
Hum Pathol 1981; 12: 398-400.
Fitzpatrick J.E. et al.: Further details on third recorded case of redwater (babesiosis) in man.
Br Med J 1969; 2: 70-772.
Gorenflot A. et al.: Human babesiosis. Ann Trop Med Parasitol 1998; 92: 489-501.
Healy G.R. et al.: Human babesiosis: reservoir on Nantucket island. Science 1976; 192: 479-480.
Jacoby G.A. et al.: Treatment of transfusion-transmitted babesiosis by exchange transfusion.
N Engl J Med 1980; 303: 1098-1100.
Kim N. et al.: Relative bradycardia and lymphopenia in patients with babesiosis.
Clin Infect Dis 1998; 26: 1218-1219.
Koch R.: Beitrag zur Entwicklungsgeschichte der Piroplasmen. Z Hyg Infektionskr 1906; 54: 1-9.
Krause P.J. et al.: Concurrent Lyme disease and babesiosis. Evidence for increased severity and duration of
illness. JAMA 1996; 275: 1657-1660
Krause P.J. et al.: Diagnosis of babesiosis: evaluation of a test for the detection of Babesia microti antibody. J Infect Dis 1994; 169: 923-926
Krause P.J. et al.: Persistent parasitemia after acute babesiosis. N Engl J Med 1998; 339: 160-165.
Marcus L.C. et al.: Fatal pancarditis in a patient with coexisting Lyme disease and babesiosis: demonstration of spirochetes in the myocardium. Ann Intern Med 1985; 103: 374-376.
Mitchell PD et al.: Immunoserologic evidence of coinfection with Borrelia burgdorferi, Babesia microti,
and human granulocytic Ehrlichia species in residents of Wisconsin and Minnesota.
J Clin Microbiol 1996; 34: 724-727.
Müller H.E.: Babesiose – Erreger, Klinik, Nachweis und Therapie.
Dtsch Med Wochenschr 1986; 111: 1694 – 1698.
259
BABESIOSE: LITERATUR
Piesman J., Spielman A.: Human babesiosis on Nantucket Island: Prevalence of B. microti in ticks.
Am J Trop Med Hyg 1980; 29: 742-746.
Ristic M. (Ed.): Babesiosis of domestic animals and man. CRC Press, Boca Raton (Florida, USA) 1988.
Ruebush T.K.: Human babesiosis in North America. Trans R Soc Trop Med Hyg 1980; 74: 149-152.
Ruebush T.K. et al.: Human babesiosis on Nantucket Island: Clinical features.
Ann Intern Med 1977; 86: 6-9.
Sabibi H. et al.: Bovine babesiosis: Seroprevalence and ticks associated with cattle from two different regions of Morocco. Ann N Y Acad Sci 1998; 849: 213-218.
Skrabalo Z., Deanovic Z.: Piroplasmosis in man: report of a case. Doc Med Geogr Trop 1957; 9: 11-16.
Smith T., Kilbourne F.L. et al.: Investigations into the nature, causation, and prevention of southern cattle
fever. US Dep Agric Bur Anim Ind Bull 1893; 1: 301-324.
Spielman A. et al.: Ecology of Ixodes dammini-borne human babesiosis and Lyme disease.
Ann Rev Entomol 1985; 30: 439-460.
Telford S.R. III et al.: Babesial infections in man and wildlife. In: Kreier J.P., Baker J.R.: Parasitic protozoa,
2nd ed. Academic Press, San Diego 1993.
Walter G., Weber G.: Untersuchung zur Übertragung (transstadial, transovariell) von Babesia microti
Stamm «Hannover» in Ixodes ricinus. Tropenmed Parasitol 1981; 32: 228-230.
Wilson L.B., Chowing W.M.: Studies in «Pyroplasmosis hominis» (spotted fever or tick fever of the Rocky
Mountains). J Infect Dis 1904; 1: 31-57.
Yeruham I. et al.: Klinische, klinisch pathologische und serologische Studien von Babesia ovis in experimentell infizierten Schafen. Zentralbl Veterinärmed [B] 1998; 45: 385-394.
Internet:
http://www.pedid.uthscsa.edu/031.htm (Übersicht mit Literaturangaben)
http://www.uri.edu/artsci/zool/ticklab/babesia.html (Kommentar auf der Web-Seite: «The Web-Counter
reports you as the 9554 parasite to visit these pages»)
http://vetmed.chonnam.ac.kr/lectures/parasitol/vetpar98/proto2 (gute Dia-Sammlung zu Babesien für
Leute, die schon immer mal einen Vortrag zu solch einem Thema halten wollten und sich so
eine Menge Arbeit sparen)
260
GIARDIA LAMBLIA
11.2 JE KLARER DER BACH, DESTO HÖHER DAS RISIKO:
GIARDIA LAMBLIA
Dieter Hassler
A
uch Touristen, die sich beim Besuch der USA an die Flut von Schildern mit
warnendem Inhalt («Baden Sie Ihren Pudel nicht in diesem Pool, er könnte ertrinken»)
bereits gewöhnt haben, mögen sich wundern, daß in vielen Gegenden der Rocky
Mountains an jedem wunderbar klaren Bach ein Schild vor dem Genuß dieses
Wassers warnt: Giardia lamblia, so ist zu lesen, könnte Ihre Gesundheit gefährden.
Wie das? Ein Infektionserreger in sauberen Bächen in über 2000 Metern Höhe,
fernab jeder Siedlung, unbeeinflußt von irgendwelchen Abwässern?
Und doch, der Hinweis ist durchaus ernstgemeint.
Der Grund ist recht verblüffend: Die sauberen Wiesen und Bäche sind Lebensraum einiger Säugetierarten, die als Reservoirwirte für Giardia dienen. Unter diesen spielt der Biber eine besondere Rolle. Mehrere Untersuchungen haben gezeigt,
daß Biber persistent infiziert bleiben und ständig Giardia-Zysten mit ihren Fäkalien absondern (Wallis 1984, Monzingo & Hibler 1987). Ein weiteres wichtiges
Reservoir sind Wühlmäuse (Pacha et al. 1987).
Hinzu kommt: Gerade in dieser so natürlich und unberührt scheinenden Gegend
der Rocky Mountains geben viele kleine Siedlungen ihre Abwässer noch unzureichend behandelt in die Bäche ab und kontaminieren sie so mit Giardia.
Das allerdings ist keine Besonderheit der Rockies. Weltweit findet sich Giardia in
vielen Gewässern, vor allem die Fließgewässer der Tropen sind praktisch flächendeckend verseucht. Dort warnen nur keine Schilder vor der Gefahr.
Daß auch aufbereitetes Trinkwasser ein Problem sein kann, ist lange bekannt. In
Berlin (New Hampshire!) kam es 1977 zu einem größeren Ausbruch mit mehr als
200 klinisch Erkrankten, von denen 13% hospitalisiert werden mußten. Bei der
Suche nach der Infektionsursache fanden sich Leckagen, die eine Vermischung
von Rohwasser mit aufbereitetem Trinkwasser ermöglicht hatten (Lopez 1980).
1986 wurde in Penticton (British Columbia) eine weitere Epidemie mit mehreren
hundert Betroffenen beobachtet, wo nicht gefiltertes, aber chloriertes Trinkwasser in die öffentlichen Leitungen eingespeist worden war (Moorehead 1990).
261
GIARDIA-TROPHOZOIT
Der Erreger
Giardia lamblia, früher auch als Lamblia intestinalis bezeichnet, gehört zu den
Protozoen.
Am Ende ihres Entwicklungszyklus stehen Zysten, die recht umweltresistent sind.
Die Zysten werden mit dem Stuhl infizierter Menschen ausgeschieden und sorgen
über den fäkal-oralen Weg (kontaminierte Nahrungsmittel, Wasser) für die Weiterverbreitung. Nach der oralen Aufnahme werden, nach Kontakt mit Magensäure, aus jeder Zyste zwei Trophozoiten (Abbildung 72) gebildet. Diese sind birnenförmig, 10-30 µm lang und tragen am breiteren Vorderende einen Saugnapf-artigen
Haftmechanismus, mit dem sie sich an die Darmepithelien anheften können. Am
Hinterende besitzen sie Geißeln, die ihre Mobilität ermöglichen.
Giardia kommt weltweit vor.
Abbildung 72: Giardia-Trophozoit
262
GIARDIA-ZYSTENFORM
Abbildung 73: Zystenform von Giardia lamblia
Frühere Annahmen, daß das
Haupt-Reservoir der Mensch sei,
müssen wohl revidiert werden,
da tierische Wirte wohl eine wesentlich größere Rolle spielen (Olson et al. 1997, Ruest et al. 1998).
Ruest fand in einer Stichprobe
bei 45% der untersuchten Kälber von mehr als 500 Farmen in
der Region Quebec eine GiardiaInfektion, fast 90% waren mit
Cryptosporidium (siehe Kapitel
11.4) infiziert! So nimmt es nicht
wunder, daß auch in Trinkwasserproben Giardia öfter gefunden
wird (Wallis 1996).
Zur Entdeckungsgeschichte schreibt Andersch-Borcherdt (1998):
„Giardia (Lamblia) intestinalis ist medizingeschichtlich der erste Mikroorganismus, der
als ein Krankheitserreger angesehen wurde, und zwar als potentieller Erreger von Diarrhoe. Anthony van Leeuwenhoek (1632-1723) beschreibt nach Auffassung Dobell’s
(1920) erstmals in einem Brief vom 4. November 1681 Trophozoiten von Giardia
lamblia in einer eigenen Stuhlprobe. Anfang diesen Jahrhunderts wird die Entdeckung
des Erregers auf das Jahr 1859 datiert und einem Tschechen, Vilem Lambl (18241895), zugesprochen. Blanchard gibt dem Trophozoiten nach verschiedenen Namensänderungen seit 1888 den Gattungsnamen Lamblia. Lambl beschreibt den Sitz des Flagellaten im Dünndarm des Menschen. Die zystische Form des Parasiten wird erstmals
1879 von Grassi beobachtet, der sie zunächst für Kokzidien hält und sie später (1881,
1888) der Flagellatenform des Mikroorganismus zuordnet.“
263
GIARDIASIS
Klinik
Giardia besiedelt hauptsächlich den oberen Dünndarm. Nur ein Teil der Infizierten
erkrankt. Wenn es nach einer Inkubationszeit von 3-20 Tagen zur klinisch faßbaren Erkrankung kommt, imponiert diese als Diarrhoe mit oder ohne Abdominalkrämpfe. Die Durchfälle bestehen meist über mehr als eine Woche. Ein Malabsorptionssyndrom kann nach längerem Befall auftreten. Komplikationen in Form von
Mitbeteiligung der Gallenwege (Cholangitis) oder des Pankreas (Pankreatitis) kommen vor. Selten wird eine reaktive Arthritis beobachtet (Letts 1998).
Die unterschiedliche Dauer und der wechselnde Schweregrad der Infektion haben
immer wieder die Suche nach möglichen immunologischen Erklärungen veranlaßt, ohne daß bisher eine befriedigende Erklärung gefunden worden wäre (Granot 1998).
Diagnostik
Nachweis von Trophozoiten oder Zysten im frischem Stuhl, alternativ Nachweis
von Trophozoiten im Duodenalaspirat. Der Nachweis von Giardia-Antigen im
Stuhl ist mit Hilfe des ELISA-Verfahrens möglich (Janitschke et al. 1998).
Therapie
Standard sind orale Nitroimidazole wie Metronidazol oder Tinidazol. Übliche
Dosierung ist 2-3 mal 400 mg Metronidazol über 2-4 Tage. Andere Imidazole und
Azithromycin haben keinen wesentlichen Effekt (Katelaris 1994).
Präventive Maßnahmen
Die Prävention steht und fällt neben der Bereitstellung ausreichender Sanitäranlagen mit der Vermeidung der Kontamination von Nahrungsmitteln und Wasser
mit Giardia aus tierischen Quellen. Bei der Trinkwasseraufbereitung sind Filtrations- und Flockungsverfahren von elementarer Bedeutung. Die Chlorung des
Trinkwassers hat dagegen keinen Effekt, da die Giardia-Zysten gegenüber den hier
verwendeten Konzentrationen vollkommen resistent sind.
264
GIARDIASIS: LITERATUR
Ausgewählte Literatur:
Andersch-Borchert I.: Giardia lamblia. In: Darai et al. (Hrsg): Lexikon der Infektionskrankheiten des
Menschen. Springer, Heidelberg – Berlin – New York 1997.
Gillin F.D. et al.: Cell bioiogy of the primitive eukaryote Giardia lamblia.
Ann Rev Microbiol 1996; 50: 679-705.
Granot E. et al.: Immunologic response to infection with Giardia lamblia in children: effect of differential
clinical settings. J Trop Pediatr 1998; 44: 241 -246.
Janitschke K., Kimmig P., Seitz H.M., Frosch M. et al.: MIQ 4-Parasitosen.
Gustav Fischer Verlag, Stuttgart – New York 1998.
Katelaris P.H. et al.: Activity of metronidazole, azithromycin and three benzimidazoles on Giardia growth
and attachment to a human intestinal cell line. Aliment Pharmacol Ther 1994; 8: 187-192.
Lang W. (Hrsg.): Tropenmedizin in Klinik und Praxis. Thieme, Stuttgart – New York 1993.
Letts M. et al.: Synoviitis secondary to giardiasis in children. Am J Orthop 1998; 27: 451-454.
Mehlhorn H., Eichenlaub D., Löscher T., Peters W.: Diagnostik und Therapie der Parasitosen des
Menschen; 2. Auflage. G. Fischer, Stuttgart – Jena – New York 1995.
Mehlhorn H, Ruthmann A.: Allgemeine Protozoologie des Menschen. G. Fischer, Jena – Stuttgart 1992.
Meyer E.A. (Hrsg.): Giardiasis. In: Human Parasitic Diseases; Vol. 3.
Elsevier Science Publishers B.V., Amsterdam 1990.
Olson M.E. et al.: Giardia and Cryptosporidium in Canadian farm animals.
Vet Parasitol 1997; 68: 375-381.
Ortega Y.R., Adam R.D.: Giardia: Overview and update. Clin Infect Dis 1997; 25: 545-549.
Ruest N. et al.: Prevalence and geographical distribution of Giardia spp. and Cryptosporidium spp. in
dairy farms in Quebec. Can Vet J 1998; 39: 697-700.
Thiriat L. et al.: Determination of Giardia cyst viability in environmental and fecal samples by immunofluorescence, fluorogenic dye staining and differential interference contrast microscopy.
Lett Appl Microbiol 1998; 26: 237-242.
Wallis P.M. et al.: Prevalence of Giardia cysts and Cryptosporidium oocysts and characterization of
Giardia spp. isolated from drinking water in Canada.
Appl Environ Microbiol 1996; 62: 2789-2797.
Walterspiel J.N., Pickering L.K.: Giardia and giardiasis. Prog Clin Parasitol 1994; 4: 1-26.
265
CYCLOSPORA CAYETANENSIS
11.3 WER DENKT SCHON AN HIMBEEREN AUS GUATEMALA?
CYCLOSPORA CAYETANENSIS
Dieter Hassler
I n der täglichen Praxis sind Durchfallerkrankungen durchaus häufig, die Liste
der typischen Erreger jedem Arzt bekannt. So wird er auf seinem Anforderungsschein an das Labor die Suche nach Salmonellen, Yersinien und Campylobacter in
Auftrag geben. Eventuell wird noch gezielt nach enteropathogenen Colibakterien
oder nach Amöben, bei Säuglingen nach Rotaviren gefahndet.
All dies haben auch amerikanische und kanadische Ärzte getan, als im Sommer
1996 wieder einmal kleinere Epidemien von Durchfallerkrankungen in zahlreichen Städten Amerikas beobachtet wurden. Keiner der Tests zeigte ein richtungsweisendes Ergebnis. Dies veranlaßte Laborärzte, auch direkte Stuhlausstriche zu
färben und genauer zu untersuchen. Sie fanden einen Organismus, der zunächst
nicht zugeordnet werden konnte. Durch Vergleiche mit Referenzstämmen wurde
bald klar, daß man etwas gefunden hatte, was man nicht für möglich gehalten
hätte: Ein Protozoon namens Cyclospora cayetanensis. Nun wurden auch Vergleiche
mit den Erkrankungen an anderen Orten angestellt, und auch hier fand sich der
gleiche, exotische Organismus.
Über 1400 Fälle wurden so in wenigen Monaten gesammelt, und die Suche nach
der Infektionsquelle begann. Experten befragten die Erkrankten nach ihren Ernährungsgewohnheiten, andere zogen Proben aus allen möglichen Nahrungsmitteln.
Zunächst waren alle Bemühungen frustran, bis man schließlich einen wahrhaftig «roten Faden» entdeckte: Viele der Betroffenen erinnerten sich, frische Himbeeren in der einen oder anderen Zubereitung gegessen zu haben.
Die Nachforschungen wurden auf Lebensmittelmärkte und Importeure ausgedehnt, und man fand schließlich, daß die inkriminierten Himbeeren aus Guatemala importiert worden waren.
Weitere Spezialisten wurden entsandt, doch bei den Erzeugern im Ursprungsland
wurde keine Spur des Keimes gefunden. Im Spätsommer riß die Infektionskette ab,
und bis heute gibt es keine schlüssige Erklärung, wie dieses Protozoon seinen Weg
auf die Himbeeren und zu den Verbrauchern gefunden hat. Diskutiert wird ein
Besprühen der Beerensträucher mit Wasser aus verseuchten Zisternen (Colley
1996, Herwald 1997, Relman 1998).
266
CYCLOSPORIDIOSE
Auch diese Epidemie wirft ein Schlaglicht auf die Risiken des modernen, weltweiten Handels mit Nahrungsmitteln. Wieder gelang es einer Mikrobe, aus ihrem
Ghetto zu entkommen und an vielen Orten gleichzeitig Erkrankungen auszulösen.
Mikrobiologie
Cyclospora ist ein sporenbildendes Protozoon, das sich nur im Menschen vollständig entwickelt. Lange Zeit war die taxonomische Einordnung des Erregers unklar.
Zunächst hatte man ihn für ein Cyanobakterium gehalten, erst 1993 wurde die
Zuordnung geklärt (Ortega 1993). Retrospektiv glaubt man, daß bereits im Jahre
1977 die erste Erkrankung beim Menschen beschrieben wurde (Ashford 1979).
Mit dem Stuhl Erkrankter werden Dauerstadien, die sogenannten Oozysten, in
großen Mengen ausgeschieden. Sie erlangen jedoch erst nach einer Weiterentwicklung, der sogenannten Sporogonie, Infektiösität; dieser Prozeß läuft in wenigen Tagen im Freien ab und führt zur Bildung von Sporozysten, von denen jede
wiederum zwei Sporozoiten enthält. Oozysten und Sporozysten weisen eine erhebliche Umweltresistenz auf und lassen sich durch die übliche Trinkwasser-Chlorierung nicht abtöten.
Epidemiologie
Cyclospora ist weltweit verbreitet. Besonders hohe Prävalenzen wurden bei Kindern in Peru, Nepal und Südostasien gefunden. Auffallend war in diesen Ländern,
daß Kinder im Alter von 2-4 Jahren am häufigsten erkrankten, wohingegen ältere Kinder und Erwachsene kaum von der Infektion betroffen waren. Man erklärt
sich dies durch eine gewisse Immunität, die durch eine Infektion in früher Kindheit hinterlassen wurde (Madico 1997, Relman 1998).
Klinik
Etwa ein Drittel der Infektionen verlaufen klinisch symptomatisch. Nach grippeartiger Allgemeinsymptomatik entwickeln sich profuse, wäßrige Durchfälle. Häufig sind Darmkrämpfe, Erbrechen und Appetitlosigkeit, Fieber ist eher selten. Un-
267
CYCLOSPORIDIOSE: SYMPTOMATIK UND THERAPIE
behandelt dauert die Erkrankung oft mehrere Wochen, Rückfälle sind nicht selten. Nach bisheriger Kenntnis erkranken Kinder schwerer. Besonders aggressive
Krankheitsverläufe wurden bei Patienten mit HIV-Infektion beobachtet.
Symptom
Häufigkeit in %
Durchfälle
100
Gewichtsverlust
90
Abgeschlagenheit
90
Abdominalschmerzen
75
Erbrechen
25
Tabelle 15: Symptomatik der Cyclosporidiose (nach Relman 1998)
Therapie
Lediglich die Kombination Trimethoprim/Sulfmethoxazol ist kausal wirksam (Hoge 1995), andere Antibiotika helfen nach bisheriger Kenntnis nicht. Neben der
gezielten Antibiose sind supportive Maßnahmen wie bei allen Durchfallerkrankungen hilfreich.
Ausgewählte Literatur:
Ashford R.W.: Occurence of an undescribed coccidian in man in Papua New Guinea.
Ann Trop Med Parasitol 1979; 73: 497-500.
Colley D.G.: Widespread foodborne cyclosporiasis outbreaks present major challenges.
Emerging Infect Dis 1996; 2 (4); (Internet: www.cdc.gov/ncidod/EID).
Herwaldt B., Ackers M.L.: An outbreak in 1996 of cyclosporiasis associated with imported raspberries.
New Engl J Med 1997; 336: 1548-1556.
Hoge C.W. et al.: Placebo-controlled trial of cotrimoxazole for Cyclospora infections among travellers and
foreign residents in Nepal. Lancet 1995; 345: 691-693.
Madico G. et al.: Epidemiology and treatement of Cyclospora cayetanensis infection in Peruvian children.
Clin Infect Dis 1997; 24: 977-981.
Ortega Y.R. et al.: Cyclospora species – a new protozoan pathogen in humans.
N Engl J Med 1993; 328: 1308-1312.
Relman D.A.: Cyclospora: whence and where to? In: Scheld W.M. et al.: Emerging Infections 2, pp. 185194. ASM Press, Washington DC 1998.
268
CRYPTOSPORIDIOSE
11.4 EIN ZENTRALES PROBLEM FÜR DIE WASSERVERSORGUNG
IN AMERIKA
DIE CRYTOSPORIDIOSE
Dieter Hassler
I n dieselbe Gruppe von Protozoen wie Cyclospora gehört ein weiterer Erreger,
der in den letzten Jahren Aufmerksamkeit erlangt hat: Cryptosporidium parvum ist
zum drängenden Problem für die Wasserversorgung der Vereinigten Staaten
geworden. Dieser Erreger ist ein extremes seuchenhygienisches Problem, da er so
klein ist, daß übliche Filter in den Wasseraufbereitungsanlagen ihn nicht entfernen können. Ähnlich wie bei Cyclospora verhindert auch eine Chlorung des
Wassers eine Verbreitung des Keimes nicht, da die Oozysten nicht abgetötet werden. Auch Ozon und UV-Bestrahlung des Wassers sind nur mäßig effektiv.
Abbildung 74: REM-Aufnahme von Cryptosporidium in der Dünndarm-Mukosa
269
CRYPTOSPORIDIUM
Vor allem HIV-Infizierte leiden sehr häufig unter der Cryptosporidiose, die für
schwere und anhaltende, letztlich oft sogar letale Diarrhoen verantwortlich ist.
Aber auch Gesunde können erkranken, mehrere Ausbrüche wurden beschrieben,
bei denen zuvor völlig gesunde, immunkompetente Personen anhaltend infiziert
wurden. Besonders problematisch ist dabei, daß kausale Therapien bisher nicht
existieren.
Abbildung 75: Oozysten von Cryptosporidium
Der größte dokumentierte Ausbruch wurde 1993 in Milwaukee registriert. Zunächst dachte man an eine virale Gastroenteritis, bis man den Erreger dingfest
machen konnte. Mehr als 400000 Erkrankungen wurden registriert, insgesamt
also die Hälfte der an die zentrale Wasserversorgung der Stadt angeschlossenen
Personen (Mackenzie 1994). Dieser Ausbruch zeigte, daß Cryptosporidium extrem
kontagiös ist.
Weitere Ausbrüche konnten mit öffentlichen Schwimmbädern, ja sogar mit dem
Genuß von frischgepreßtem Apfelsaft assoziiert werden (Millard 1995). Da hat
wohl jemand die Ausbeute des Apfelsaftes durch Zusatz von Wasser aus dem firmeneigenen Brunnen verbessert!
Die Häufigkeit der Erkrankung nimmt rasant zu. Bis 1984 waren nur 58 klinische
Fälle bekannt (Navin 1984), obwohl der Erreger schon 1907 beschrieben wurde
270
CRYPTOSPORIDIOSE
(Tyzzer1907) und in der Veterinärmedizin bestens und als ubiquitär vorkommend
bekannt war. Mit dem Auftreten von AIDS änderte sich dies, Cryptosporidium
mauserte sich zur massiven Bedrohung. In einigen Studien wurde er bei bis zu
25% der HIV-Patienten gefunden. Es ist nicht ganz klar, ob die neuerdings bekannt
gewordenen Erkrankungen von Gesunden auf eine Änderung der Pathogenität
zurückzuführen sind oder lediglich das Ergebnis verbesserter Diagnostik repräsentieren. Vielleicht zeigte der Ausbruch in Milwaukee auch nur deshalb derart
verheerende Ausmaße, weil keiner der Erkrankten zuvor mit dem Erreger in Berührung gekommen war. In vielen Ländern gehört die Cryptosporidiose nämlich zum
Alltagsgeschehen. In Brasilien weisen fast 80% der Zehnjährigen Antikörper
gegen Cryptosporidien auf, in China sind die Kinder nach einem einzigen Jahr zu
hundert Prozent infiziert (Guerrant 1997).
Wahrscheinlicher ist jedoch, daß Unterschiede in der Trinkwasseraufbereitung
zwischen Amerika und Europa eine zentrale Rolle spielen. Während Amerika auf
die Desinfektion (Chlorung) als einzige Maßnahme setzt, ist in Europa Flockung
und Filtration Standard in der Trinkwasseraufbereitung. Viele Experten glauben,
daß dies der Grund ist, weshalb wir in Europa noch keine gravierenden Probleme
mit Giardia und Cryptosporidien hatten.
271
CRYPTOSPORIDIOSE: LITERATUR
Ausgewählte Literatur:
Ashford R.W.: Occurence of an undescribed coccidian in man in Papua New Guinea.
Ann Trop Med Parasitol 1979; 73: 497-500.
Colley D.G.: Widespread foodborne cyclosporiasis outbreaks present major challenges.
Emerging Infect Dis 1996; 2 (4); (Internet: www.cdc.gov/ncidod/ElD).
Guerrant R.L.: Cryptosporidiosis: an emerging, highly infectious threat.
Emerging Infect Dis 1997; 3(1); (Internet: www.cdc.gov/ncidod/EID).
Herwaldt B., Ackers M.L.: An outbreak in 1996 of cyclosporiasis associated with imported raspberries.
New Engl J Med 1997; 336: 1548-1556.
Hoge C.W. et al.: Placebo-controlled trial of co-trimoxazole for Cyclospora infections among travellers and
foreign residents in Nepal. Lancet 1995; 345: 691-693.
MacKenzie W.R. et al.: A massive outbreak in Milwaukee of Cryptosporidium infection transmitted
through the public water supply. N Engl J Med 1994; 331: 161-167.
Madico G. et al.: Epidemiology and treatment of Cyclospora cayetanensis infection in Peruvian children.
Clin Infect Dis 1997; 24: 977-981.
McAnulty J.M. et al.: A community-wide outbreak of cryptosporidiosis associated with swimming at a
wave pool. JAMA 1994; 272: 1597-1600.
Millard P.S. et al.: An outbreak of cryptosporidiosis from fresh-pressed apple cider.
JAMA 1994; 272: 1592-1596.
Navin T.R. et al.: Cryptosporidiosis: clinical, epidemiologic, and parasitologic review.
Rev Inf Dis 1984; 6: 313-327.
Ortega Y.R. et al.: Cyclospora species – a new protozoan pathogen in humans.
N Engl J Med 1993; 328: 1308-1312.
Ortega Y.R. et al.: Isolation of Cryptosporidium parvum and Cyclospora cayetanensis from vegetables
collected in markets of an endemic region in Peru. Am J Trop Med Hyg 1997; 57: 683-686.
Relman D.A.: Cyclospora: Whence and where to? In: Schweld W.M. et al.: Emerging Infectious Diseases 2;
pp. 185-194. ASM Press, Washington D.C. 1998.
Sears C.L. et al.: Cryptosporidiosis: the complexity of intestinal pathophysiology.
Gastroenterology 1994; 106: 252-254.
Steiner T.S. et al.: Protozoal agents: what are the dangers for the public water supply.
Ann Rev Med 1996; 48: 329-340.
Tyzzer E.E.A.: Sporozoan found in the peptic glands of the common mouse.
Proc Soc Exp Biol Med 1907; 5: 12-13.
272
PFIESTERIA PISCICIDA
11.5 «THE CELL FROM HELL» –
ODER DINOFLAGELLATEN SPIELEN KRIEG:
PFIESTERIA PISCICIDA
Michael Hassler
Das vorliegende Handbuch handelt mit Ausnahme dieses Kapitels von infektiösen Bakterien, Viren oder Protozoen.
Da gibt es aber einen Mikroorganismus, der zwar selbst nicht infektiös ist, aber
eines der gefährlichsten bekannten Gifte absondert und so durchaus für eine
neuartige Art von Erkrankungen verantwortlich ist. Nicht nur Fischsterben treten in seinem «Wirkungsfeld» auf – betroffen sind Fischer, Angler, Boots- und
Wasserskifahrer oder sogar harmlose Spaziergänger am Ufer dicht besiedelter
Flüsse und Küsten. Die Vergifteten leiden oft noch Jahre und wiederkehrend an
gruseligen Symptomen – nicht nur Hautläsionen und Geschwüre, sondern Verlust
des Kurzzeitgedächtnisses, Intelligenzminderung, Konzentrationsstörungen bis
hin zur völligen Arbeitsunfähigkeit.
Panik allenthalben? Mitnichten. Stattdessen versucht eine Allianz aus Behörden,
staatlichen Wissenschaftlern und Politikern jahrelang das Problem einfach zu
ignorieren – ja sie verfolgen sogar die «Nestbeschmutzer», die auf das Problem
hinweisen, und schneiden sie von allen Fördergeldern und sonstiger Unterstützung ab. Durch die schlechten Nachrichten könnte ja die Tourismus-lndustrie des
Staates leiden, und außerdem sei es eine perfide, nicht haltbare Theorie, daß die
unzureichenden Kläranlagen und die direkte Einleitung von Schweinescheiße aus
den diversen Zuchtfarmen hinter der Küste die Vermehrung des mysteriösen Mikrokillers begünstigen würden.
Szenario eines unglaubwürdigen Hollywood-Horrorfilms a la «Outbreak»? Nein,
Realität. Der Organismus trägt den treffenden Namen Pfiesteria piscicida – «Pfiesters Fischkiller» und lebt an den Küsten der östlichen USA von Maryland bis
South Carolina – vielleicht auch darüber hinaus. Die Geschichte um ihn ist so
ungewöhnlich, daß sie nur aufgeschrieben werden mußte, um einen Bestseller
daraus zu machen: And the waters turned to blood (Barker 1997).
Trotzdem stellt sich die berechtigte Frage, was ein Kapitel über im Meer lebende
Einzeller des Planktons, auch wenn sie toxisch sind, in diesem Zusammenhang zu
273
PARALLELEN ZU «ECHTEN» INFEKTIONEN
suchen hat. Bei näherer Betrachtung wird aber klar, daß Pfiesteria mindestens
genauso gefährlich wie die anderen «neuen» Infektionen dieses Buchs ist, und wir
sehen eine überraschend große Übereinstimmung zwischen den jeweiligen Entdeckungs- und «Epidemie»-Geschichten:
➤ zunächst treten mysteriöse, neuartige toxische Effekte auf (in diesem Fall
zunächst bei Fischen, erst viel später bei Menschen)
➤ das eigentliche Agens wird sehr verzögert entdeckt, oft nur durch Zufall
➤ Schädigungen bei Menschen werden zunächst ignoriert
➤ es folgt eine lange «Latenzphase», in der die Behörden und die Zuständigen
versuchen, das Problem zu ignorieren, auszusitzen oder sogar aktiv zu
unterdrücken
➤ echte Akzeptanz kommt erst durch persönliche Betroffenheit, in diesem
Fall: Der Gouverneur von Maryland
➤ …am Schluß wußten es alle.
Auch sonst treffen wir Parallelen zu «echten» Infektionen:
➤ Pfiesteria war schon lange in der freien Natur vorhanden, wurde aber
vermutlich erst durch menschlich verursachte Änderungen der Ökosysteme
gefährlich: In diesem Fall Eutrophierung, vielleicht auch Überwärmung
der Küstengewässer
➤ «subletale» Infektionen mit diffusen Symptomen werden gerne ignoriert
oder unterschätzt
➤ Verschwörungstheorien ähnlich wie bei AIDS (künstliche Erzeugung des
Organismus durch Gentechnik, Kriegslabors, «man-made organism»)
gab es auch in vielfältiger Form bei Pfiesteria
➤ es gibt keine Gegenmittel, außer der extrem aufwendigen Sanierung der
Ökosysteme und Biotope; außerdem weiß kein Mensch, ob man Pfiesteria
dann auch wieder «los wird» bzw. ob diese wieder auf frühere Levels zurückgeht; da es sich um ein Toxin handelt, gibt es keine Impfstoffe; Gegenmittel sind derzeit kaum denkbar; Nervenschädigungen werden vermutlich von kleinsten Mengen hervorgerufen; außerdem ist derzeit noch
nicht einmal die Struktur des Toxins bekannt.
274
EINE FRAU GEGEN DEN STAAT
Die Entdeckungsgeschichte von Pfiesteria piscicida Ignoranz, Leugnen und Borniertheit oder:
Eine Frau gegen den Staat
Rodney Barker’s Buch «And the waters turned to blood» nimmt sicherlich eine
Ausnahmestellung in der wissenschaftlichen Fachpresse ein. Es handelt nicht vom
Ebolavirus wie in «Outbreak», sondern nur von der Entdeckungsgeschichte eines –
für Menschen bisher nicht tödlichen – Dinoflagellaten, der gelegentlich Fischsterben auslöst. Trotzdem hatte das Buch einen durchschlagenden Erfolg und führte
nicht zuletzt dazu, daß das Problem überhaupt erst durch die Politiker und die
Bevölkerung ernstgenommen wurde. Welche wissenschaftliche Entdeckungsgeschichte ist nun so spannend, daß ein Thriller mit reißerischem Namen darüber
geschrieben wurde?
Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre häuften sich mysteriöse Fischsterben
an der Ostküste der USA, vor allem in den flachen Ästuaren von North bzw. South
Carolina. Doch niemand hätte sich damals vorstellen können, sie mit einem toxischen Dinoflagellaten in Verbindung zu bringen.
Dessen Entdeckung war ein reiner Zufall, aber durchaus kausal mit den Fischsterben verknüpft. Involviert war zunächst Dr. Edward Noga, der an der North Carolina State University Untersuchungen über Fischkrankheiten durchführte. Eines
Tages begannen seine Fische in den meisten Aquarien durch eine mysteriöse
Krankheit zu sterben, die nicht mit irgendwelchen Schwankungen der üblichen
Parameter des Wassers zu erklären war, aber mit einer «Trübheit» des Wassers
verbunden war. Noga und seine Assistenten konnten relativ schnell zeigen, daß
ein Dinoflagellat verantwortlich war, der offensichtlich ein Gift in das Wasser
absonderte. Die endgültige Identifikation und genauere Untersuchung wurde
kurz darauf durch Dr. Jo-Ann Burkholder durchgeführt, eine Limnologie-Professorin derselben Universität. Erst später entspann sich ein lang anhaltender Streit
über die Priorität der Entdeckung. Dr. Burkholder war jedenfalls der erste Wissenschaftler, der eine Verbindung zwischen den Fischsterben an der Küste und Pfiesteria herstellte. Die entscheidende Publikation erschien schließlich am 30. Juli
1992 in Nature: «New «phantom» dinoflagellate is the causative agent of major estuarine fish kills» – und wurde von großem Presse-Echo begleitet.
275
JO-ANN BURKHOLDER
Bis dahin war die Entdeckungsgeschichte von Pfiesteria zwar spektakulär, aber
nicht außergewöhnlich. In den Folgemonaten entwickelten aber mehrere beteiligte Wissenschaftler ungewöhnliche und besorgniserregende Symptome: Nicht
nur Hautläsionen, sondern insbesondere Nerven- und Kurzzeitgedächtnisstörungen
bis hin zur Arbeitsunfähigkeit. Die Vorstellung, daß ein marines Toxin aerosolisiert
werden könne, war so außergewöhnlich, daß zunächst niemand auf den Gedanken kam, hier eine Verbindung herzustellen, zumal die Begleitsymptome untypisch für die bisher bekannten Dinoflagellaten-Gifte waren. Die Limnologen waren
nicht daran gewohnt, unter «Biohazard»-Bedingungen hoher Stufe zu arbeiten
und mußten die notwendige Ausrüstung erst improvisieren.
Gleichzeitig wurde immer klarer, daß die Massenvermehrungen von Pfiesteria
direkt mit der zunehmenden Eutrophierung der Küstengewässer zusammenhingen.
Einige Stadien von Pfiesteria leben wie andere Dinoflagellaten auch von Plankton
und anderen organischen Kleinstbestandteilen im Wasser. Die Brackwasser und
Ästuare der östlichen USA waren Anfang der 90er Jahre stark verschmutzt. In
den Carolinas trug dazu vor allem die zunehmende Schweinezucht in den Küstenebenen bei. Die Abwässer der Schweinezucht wurden – und werden – nicht systematisch geklärt, sondern in großen Becken aufgefangen. Immer wieder einmal
bricht solch ein Becken und verursacht eine massive Gewässerverschmutzung,
gefolgt von großen Fischsterben.
Dr. Burkholder begab sich nun auf einen veritablen Kreuzzug und warnte überall
vor den Gesundheitsgefahren, die auch für die Menschen in und am Wasser – Angler, Fischer, Kanuten oder sogar einfache Spaziergänger am Ufer – bestünden. Beispiele ließen nicht lange auf sich warten. Vor allem bei Fischern und Anglern
konnten in den Folgejahren zahlreiche, früher mysteriöse und langanhaltende
Gesundheitsschäden als typisch für Pfiesteria eingeordnet werden. Die staatlichen
Gesundheitsämter, insbesondere dasjenige von North Carolina, leugneten die Gefahr
dennoch hartnäckig und versuchten stattdessen, Dr. Burkholder zu diffamieren.
Als Gründe für die verschiedenen Fischsterben wurde fast immer «niedriger Sauerstoffgehalt» angegeben. Die Behörden wurden angewiesen, nur die eigenen,
von Beamten erhobenen Daten zu akzeptieren – Pfiesteria als Ursache eines Fischsterbens war nicht amtlich anerkannt!
Die Gründe für das Verhalten des Staates sind einsichtig: Es gab nicht nur keine
griffigen Konzepte zur Verbesserung der Wasserqualität – weil extrem teuer –, sondern die wirtschaftliche Abhängigkeit der Menschen in Küstennähe vom Wasser
276
ENTWICKLUNGSSTADIEN VON PFIESTERIA
ist in diesen Regionen der USA sehr hoch. Ein Befahrungsverbot der Gewässer
oder gar ein Fischereiverbot hätte katastrophale Auswirkungen auf die Ökonomie, ganz zu schweigen von der Vorstellung, daß die Uferpromenaden von Städten wegen der Gesundheitsgefahr für Spaziergänger gesperrt werden müßten – im
übrigen ist diese Gefahr auch heute noch konkret gegeben!
Das Dilemma wurde noch verschärft durch die Tatsache, daß Natur- und Umweltschutzaspekte in den USA sowieso keine große Lobby haben und der Mythos von
den sauberen Küstengewässern lange Jahre hochgehalten worden war. Daß die
Behörden jetzt gezwungen waren, ein dramatisches Verschmutzungsproblem einzugestehen, war hochgradig peinlich. Pfiesteria illustriert außerdem ein typisches
«Umweltproblem» der USA: Sobald keine Menschen selber betroffen sind, herrscht
relative Ignoranz – aber Gesundheitsschäden der Bevölkerung lösen sofort hektische Betriebsamkeit aus, nicht zuletzt durch die Drohung, daß Rechtsanwälte
und gigantische Schadenersatzforderungen involviert werden könnten.
Abbildung 76: Zwei unterschiedliche Stadien in der Entwicklung von Pfiesteria piscicida
277
AND THE WATERS TURNED TO BLOOD
Um 1995 sah es eher so aus, als ob die bürokratischen Kräfte dominieren würden.
Pfiesteria war keine Neuigkeit mehr und verschwand zunehmend wieder aus den
Schlagzeilen. Die Behörden weigerten sich hartnäckig, Gesundheitsschäden bei Fischern und Anglern Pfiesteria zuzuschreiben. Ein größeres Forschungsstipendium
wurde Dr. Burkholder entzogen, stattdessen wurde durch mehrere staatliche Stellen erst einmal ein umständliches Forschungsprogramm initiiert, das auf Jahre
angelegt und eindeutig als Verzögerungstaktik gedacht war. Die Schweinezüchter-Lobby lief Sturm gegen jedwede Verknüpfung von übermäßiger und ungesicherter Schweinezucht mit ungeklärten Abwässern und den Fischsterben an der
nahen Küste, außerdem wurde der Dekan der North Carolina State University offen
aufgefordert, Dr. Burkholder zu entlassen. In der Zwischenzeit wurden die Fischsterben ständig größer und häufiger, außerdem dehnte sich der Wirkungsradius
von Pfiesteria nachweislich aus.
Erst als die Dinoflagellaten die Fische eines leibhaftigen Gouverneurs «harpunierten», trat eine plötzliche Wende ein.1997 hatte Pfiesteria seinen «Wirkungsradius» auf Maryland ausgedehnt, und auch dort gab es sofort die altbekannten Probleme bei Fischern und Anglern. Gouverneur Parris Glendening fing beim Angeln
mit seinem Sohn zwei Fische mit großen Läsionen und war schockiert. Bereits am
nächsten Tag wurde das Pfiesteria-Problem in Maryland zur staatsweiten Krise
erklärt. Auch die Gesundheitsschäden bei Menschen waren so schwer wie nie
zuvor: Ein Wasserskifahrer wurde mit Hautausschlag und schweren Nerven- und
Gedächtnisstörungen stationär eingeliefert. Am nächsten Tag fand man mehr als
zehntausend tote Fische in der Pocomoke Bay. Eine Untersuchung bei Fischern
ergab, daß zehn von elf überprüften Personen an merklichen bis schweren neurokognitiven Störungen litten. Erst dann begannen auch die Offiziellen in North
Carolina langsam zuzugeben, daß es hier ein Problem gäbe.
Das Erscheinen des Sensationsberichtes «And the waters turned to blood» (1997)
trug seinen Teil zum Erkennen des wahren Problemumfangs bei. Hearings auf
nationaler Ebene, z.B. im US-Kongreß, folgten.
278
DINOFLAGELLATEN
Dinoflagellaten Verwandlungskünstler und Weltmeister in der Chemiesynthese
Dinoflagellaten sind eine lange vernachlässigte Gruppe außerordentlich faszinierender Mikroorganismen, die oft als «Grenzgänger zwischen Pflanze und Tier»
bezeichnet werden. Ihre Formenvielfalt ist derart bizarr und die besetzten Ökonischen sind so vielfältig, daß vor dem Zeitalter der PCR zahlreiche Gruppen, z.B. die
intrazellulär lebenden «Zooxanthellen», überhaupt nicht als Dinoflagellaten erkannt wurden. Die rund 2000 beschriebenen Taxa dürften nur einen Bruchteil
der tatsächlich existierenden Arten darstellen (Taylor 1987). Die meisten davon
leben als weit verbreitete, oft kosmopolitische Formen in tropischen Ozeanen, es
gibt aber auch Süß-, Brack- und Kaltwasser-Formen. Giftige und selbstleuchtende
Dinoflagellaten sind praktisch ausschließlich Meeresformen.
Dinoflagellaten – «Panzergeißler» – erhielten ihren Namen von den oft bizarren und
charakteristischen Exoskeletten sowie von ihren Geißeln (Flagellen), mit denen sie
sich ähnlich wie manche Bakterien durch das flüssige Medium vorwärtsbewegen
können. Vielfältige Schutzstrukturen (Platten, Nadeln, Dornen) sind häufig zu finden. Die Mehrheit der Dinoflagellaten besitzt photosynthetische Fähigkeiten, die
aber meist nicht zur ausschließlichen Ernährung ausreichen, und steht daher
Algen nahe. Fast alle photosynthetischen Dinoflagellaten brauchen «Zusatznahrung». Photosynthese-Systeme sind mindestens zweimal unabhängig voneinander in Dinoflagellaten integriert worden. Die meisten haben ein spezielles Photosynthese-System mit einem eigenen Chlorophyll-Typus und spezifischen lichtsammelnden Pigmenten, aber einige Arten haben sekundär das «typische» Photosynthese-System eingebaut. Als sei dies nicht kompliziert genug, haben viele
Dinoflagellaten die erstaunliche Angewohnheit, die Chloroplasten von erbeuteten Algen in die eigene Zelle zu inkorporieren und als Nahrungsproduzenten zu
gebrauchen – die sogenannte Kleptoplastie (kleptoplastidy).
Es gibt aber auch rein räuberische Dinoflagellaten, darunter hervorragende Jäger
wie Pfiesteria. Ein Teil der Räuber und Parasiten ernährt sich extrazellulär und
sitzt auf der Beute auf, während ein anderer Teil die Beutepartikel oder sogar
ganze Zellen durch ein siphonartiges System einsaugt und zur Verdauung inkorporiert. Daneben finden wir eine ganze Reihe von intrazellulär lebenden Dinoflagellaten (Zooxanthellen), die schon recht lange bekannt sind, aber früher nicht als
Dinoflagellaten erkannt worden waren. Andere, recht zahlreich auftretende Ar-
279
«MEERESLEUCHTEN»
ten parasitieren intrazellulär in Meerestieren und Fischen und richten häufig
großen Schaden im Plankton an. Dazu treten noch Eiparasiten, die z.B. Sardineneier befallen und vernichten. Dinoflagellaten sind also durchaus zum intrazellulären Parasitismus analog zu Bakterien und Protozoen befähigt, so daß es eigentlich nur als Zufall betrachtet werden kann, daß keine Parasiten in Menschen
bekannt sind.
«Dinos» sind meistens hochspezialisierte, langlebige Einzelgänger mit der Fähigkeit zum Überstehen von «Notzeiten» durch Einkapseln, die aber bei Vorliegen von
günstigen Bedingungen schlagartig Massenvorkommen (Blüten) ausbilden. Das
berühmteste, seit alten Zeiten bekannte Phänomen ist die gefürchtete «red tide»,
bei der die oberen Schichten tropischer Ozeane durch eine Blüte giftiger Dinoflagellaten rot gefärbt werden – im übrigen ist die rote Farbe nicht zwangsläufig mit
derartigen Erscheinungen verbunden. Das biblische Wort vom Fluß, der sich in
Blut verwandelt, und das anschließende Fischsterben (Exodus 7: 20-21), geht mit
hoher Sicherheit auf eine «red tide» zurück. «Red tides» sind fast immer mit Eutrophierung verbunden oder sogar durch diese verursacht. In der Folge inkorporieren die Plankton-fressenden Fische und Muscheln die Dinoflagellaten-Gifte
und werden selber giftig.
Etliche Dinoflagellaten-Arten können aktiv leuchten, manche sind sogar die Hauptverursacher des «Meeresleuchtens». Das Leuchten scheint ein Abwehrverhalten
zu sein. Manchmal wird spekuliert, daß dadurch Fische angelockt werden, die
wiederum die Feinde der Kleinkrebse sind, die sonst die Dinoflagellaten erbeuten
würden.
Am unglaublichsten ist aber die ungeheure Kompliziertheit der verschiedenen
sexuellen und asexuellen Stadien, die eine einzelne Dinoflagellaten-Art ausbilden
oder durchlaufen kann – vermutlich die größte Formenfülle aller bisher bekannten Organismen, ob Pflanze oder Tier (vgl. Abbildung 76). Identifikation und Taxonomie von Dinoflagellaten sind deshalb außerordentlich kompliziert. Außerdem
ist die Taxonomie dadurch behindert, daß strittig ist, ob die zoologische oder die
botanische Nomenklatur angewendet werden soll.
Dinoflagellaten wurden im 19. Jahrhundert gerne und häufig bearbeitet, damals
aber rein morphologisch und durch ihre bizarren Exoskelette begründet. Dann
herrschte eine lange Periode des relativen Desinteresses, obwohl die Giftigkeit
mancher Vertreter schon früh erkannt worden war. Eine «Renaissance» der Dino-
280
DINOFLAGELLATEN-TOXINE
flagellaten-Forschung begann erst Mitte der 80er Jahre, als die analytischen und
chemischen Methoden fortgeschritten genug waren, auch kleinste Toxin-Mengen
zu isolieren und analysieren.
Die Meister der Giftküche
Nur relativ wenige Dinoflagellaten sind tatsächlich giftig. Die meisten beschriebenen Arten sind dagegen harmlose Mitglieder des Phytoplanktons. Die giftigen
Arten haben es aber fertiggebracht, sich als die „besten chemischen Synthetiker des
Tierreichs“ schon früh einen geradezu sagenhaften Ruf bei Toxikologen, Biologen
und Chemikern zu verschaffen. Die Reihe der von ihnen produzierten oder in
ihnen enthaltenen Toxine ist beeindruckend:
➤ das größte bekannte nicht-proteinische und nicht-polymere Molekül
(Maitotoxin; vgl Abbildung 77)
➤ der giftigste nicht-proteinische Naturstoff (Maitotoxin)
➤ mit die kompliziertesten nicht-proteinischen Toxine (Maitotoxin, Palytoxin,
Ciguatoxine, Brevetoxine)
➤ gefürchtete, ungeheuer effektive und schnellwirkende Gifte
(Tetrodotoxin, Saxitoxine, Gonyautoxin)
OH
H
H3C
H
O
O
H3C
O
CH3
H
H
H
H
H
O
H
O
CH3
OH
H
OH
CH3
O
CH3
H3C
H
O
CH3
O
NaO3SO
OH
O
OH
O
H
OH
H
OH
CH3
CH3
H
H
H
O H
HO
OH
O
H
OH
OH
H
H
H
H
O
OH
O
O
OH
H
HO
O
H
H
OH
OH
OH
H
OH
H
H
OH
H3C
CH2
H3C
H
O
O
OSO3Na
O
H
OH
CH3
H
OH
O
O
O
H
CH3
H
O
H
H
O
H
OH
O
H
H
HO
H
H3C
H
OH
H
H
H3C
HO
O
O
H
H
H
O
OH
CH3
H2C
H
CH3
O
H
O H
H3C
CH3
O CH3 H O
OH
Abbildung 77: Maitotoxin (C164H256O68S2Na2)
Die Substanz stammt aus dem Dinoflagellaten Gambierdiscus toxicus; sie ist der größte bekannte nicht-proteinische und nicht-biopolymere Naturstoff und gleichzeitig das stärkste nicht-proteinische Gift.
281
VERGIFTUNGEN DURCH DINOFLAGELLATEN
Ob aber die Dinoflagellaten selber alle die Gifte synthetisieren, oder ob es symbiotisch in ihnen lebende oder erbeutete Bakterien sind (z.B. bei Tetrodotoxin, s.u.),
weiß man nicht immer.
Die Gifte locken auch die «menschlichen Weltmeister der Chemiesynthese» an:
Die Totalsynthesen von Palytoxin und den Brevetoxinen gehören zu den bemerkenswertesten Leistungen der Naturstoffsynthese der letzten Jahre (Nicolaou und
Sørensen 1996)! Aber auch die Strukturaufklärung dieser extrem komplizierten
Moleküle ist eine Herkulesarbeit für sich – zumal man meistens nur wenige Milligramm Wirkstoff zur Verfügung hat, wenn überhaupt.
Einige Beispiele für Vergiftungen durch Dinoflagellaten
Sogenannte «Muschelvergiftungen» oder «Ciguatera» sind Sammelbezeichnung
für ein gemeinsames Phänomen, nämlich die Vergiftung von Menschen (und
Tieren) durch Nahrung aus Meerestieren, die mit Nervenstörungen und MagenDarm-Symptomen vielfältiger Art verbunden sind und häufig lebensbedrohlich
sein können.
Ciguatera steht für Fischvergiftungen in tropischen Gewässern, insbesondere im
Pazifik und in der Karibik. Es werden mehr als 10000 Vergiftungen jährlich
gezählt. Für die Ciguatera sensu stricto im heutigen Sinn sind vor allem die Polyether-Toxine Ciguatoxin, Scaritoxin, Maitotoxin, Palytoxin und die Brevetoxine
verantwortlich. Diese hochkomplizierten Moleküle (vgl. Struktur von Maitotoxin
in Abbildung 77) sind strukturell untereinander verwandt. Ihre Herkunft sind bisher ausschließlich marine Dinoflagellaten, z.B. der «red tide»-Dinoflagellat Gymnodinium breve (= Ptychodiscus brevis). Diese potenten Fischgifte sind Natriumkanal-Öffner (nicht Blocker!), woraus sich ihre universale Wirkung auf Fische,
Menschen und sonstige Tiere erklärt.
Das Syndrom «Diarrhetic Shellfish Poisoning» (DSP) verläuft analog zur Ciguatera, aber etwas harmloser und meist nicht tödlich. DSP ist auch an den europäischen Küsten weit verbreitet. Vor allem Muscheln (shellfish) sind betroffen. Verantwortlich sind mehrere Dinoflagellaten-Gifte mit jeweils völlig verschiedener
Struktur, z.B. Dinophysistoxin aus Dinophysis fortii und das erst neuerdings strukturell aufgeklärte Azaspiracid in Irland und Schottland (Yasumoto 1998). Die
Gifte, z.B. «Okadaic Acid», sind teilweise als potentielle Pharmawirkstoffe interessant.
282
TETRODOTOXIN
Ein genau gegenteiliges Wirkprinzip besitzen die Natriumkanal-blockierenden
Gifte mit einer aus dem Molekül herausragenden Guanidinium-Gruppe. Jeweils
ein Molekül paßt genau in einen Natriumkanal, aber nicht hindurch, und blokkiert ihn äußerst effektiv. Daher ist leicht einzusehen, daß es sich hier um die
potentesten bekannten Nervengifte handelt; Gegenmittel sind nicht bekannt.
Zahlreiche «giftige» höhere Tiere und Pflanzen beziehen ihre Gifte vermutlich
oder sicher von Dinoflagellaten. Dabei sind die Saxitoxine und Gonyautoxine der
bekannteste Fall. Das von ihnen verursachte «Paralytic Shellfish Poisoning»
(PSP) ist die «klassische Muschelvergiftung» und die Ursache für die bei Fischen
und Küstenbewohnern schon seit Jahrhunderten bekannte Regel, daß Muscheln
in Monaten mit «R» tabu sind. Diese Toxine aus Gonyaulax-Dinoflagellaten und
verwandten Genera sind weltweit verbreitet und reichern sich auch in Blaualgen
und in vegetarischen Fischen an.
In geradezu legendärem Ruf steht Tetrodotoxin (siehe Abbildung 78), das Gift des
Kugelfischs (Fugu), das sich aber auch in zahlreichen anderen marinen Organismen findet. Vermutlich wird Tetrodotoxin von Vibrio- und Alteromonas-Bakterien,
die symbiotisch in den Dinoflagellaten leben, synthetisiert. Das im Mund entstehende Prickeln, das durch subletale Dosen bei beginnender Nervenlähmung entsteht, soll mitverantwortlich für den besonderen kulinarischen Reiz des Kugelfischs in Japan sein.
H2NCOO
H
2 ClNH
HN
NH2+
NH
+
H2N
N
O-
OH
OH
H
Saxitoxin
O
O
H
HOCH2
HO
NH2+
OH
OH
NH
HO
H
NH
Tetrodotoxin
Abbildung 78: Chemische Struktur von Saxitoxin und Tetrodotoxin
283
AUßERGEWÖHNLICHER DINOFLAGELLAT
EIN KLEINER EXKURS:
Warum müssen Meeresgifte so effektiv sein?
Im Vergleich zu Land-Ökosystemen sind überaus viele Meerestiere und
-pflanzen hochgradig giftig (Überblick z.B.bei Mebs 1989 oder Hall und Strichartz 1990). Hierfür gibt es mehrere Gründe:
➤ Viele langlebige, sessile Organismen (Schwämme, Korallen) müssen
sich ständig und über lange Lebenszeiten verteidigen; dazu gehört
auch, ihre Oberfläche von anderen Besiedlern freizuhalten.
➤ Nur langsam bewegliche Räuber (Quallen, Schnecken oder auch
Dinoflagellaten), die «schnelle» Beute töten, müssen dies
außerordentlich effektiv tun.
Ein einfaches Beispiel: Wenn ein Fisch noch eine Minute lebt, bevor er gelähmt ist, kann er für eine Meeresschnecke um ein Vielfaches außer Reichweite schwimmen. Die proteinischen Conotoxine der Conus-Kegelschnekken, mit denen ihre Kalkpfeile imprägniert sind, sind daher gefürchtete,
schnelle Nervengifte, die auch für Menschen tödlich sein können. ConusArten harpunieren Fische regelrecht.
Die notwendige Geschwindigkeit der Toxine wird fast immer über Nervenwirkungen erzeugt. Die Toxine greifen an den Natrium- und Kaliumkanälen an. Hier endet aber die Gemeinsamkeit: es gibt sowohl Kanalblocker,
Kanalstabilisatoren als auch Kanalöffner.
Pfiesteria piscicida - selbst für Dinoflagellaten außergewöhnlich
Pfiesteria piscicida ist ein freilebender Dinoflagellat, der im Küstenbereich der östlichen USA besonders im Brackwasser der dort weit verbreiteten Ästuare auftritt.
Er hat mit die größte Zahl aller möglichen Stadien bei Organismen – es wurden
nicht weniger als 24 verschiedene Stadien gezählt! Das heißt aber nicht, daß alle
24 Stadien zyklisch durchlaufen werden. Stattdessen kann Pfiesteria den vorherrschenden Umweltbedingungen entsprechend die jeweils günstigste Form ausbilden – ob sexuell, sessil, Zyste oder freischwimmend. Die Formen haben meistens
keinerlei Ähnlichkeit untereinander. Dabei handelt es sich um begeißelte, amöboide oder eingekapselte Formen, abhängig von den jeweiligen Umweltbedingun-
284
PFIESTERIA-TOXIN
gen. In der Regel kommen die begeißelten Formen freischwimmend im Meer als
Bestandteil des Planktons vor, während die amöboiden und eingekapselten Formen im Brackwasser und in Ästuaren auftreten. Sowohl die begeißelten als auch
die amöboiden Formen sind giftig.
Pfiesteria piscicida errang seinen Ruhm aber nicht durch den ungewöhnlichen
Lebenszyklus. Er ist der erste Einzeller, der sozusagen selbst auf die Jagd geht und
aktiv Fische erlegt, die um viele Zehnerpotenzen größer als er selber sind! Pfiesteria-Zellen können bei der Detektion von Fischen – vermutlich durch deren Ausscheidungen – große Mengen Toxin ins Wasser abgeben. Daher sind Fischschwärme besonders gefährdet, denn die von ihnen abgegebenen Signale stimulieren eine
hohe Antwortrate bei Pfiesteria. Die Fische werden durch das außerordentlich
wirksame Toxin sofort gelähmt. Das Gift muß sehr schnell wirken, damit der Fisch
den Lebensraum von Pfiesteria nicht verläßt. Ein anderer Toxinbestandteil, vermutlich ein zweites Molekül (s.u.), verursacht darauf Hautverletzungen und Läsionen.
Pfiesteria ernährt sich dann von den Zerfallsprodukten der Fische, vor allem von
den Hautschuppen. Das tote Gewebe wird wie bei vielen anderen räuberischen
Dinoflagellaten durch einen hornartigen Schlauch eingesogen.
Die Sonderstellung des Pfiesteria-Toxins
Die meisten Dinoflagellaten haben nur Endotoxine als Abwehrgifte, Pfiesteria piscicida benutzt ihr Gift aber als Exotoxin zur «aktiven Jagd». Das bis heute noch nicht
strukturell aufgeklärte Toxin ist im Vergleich zu den anderen marinen Toxinen
ungewöhnlich, weil es neben der Nerventoxizität vor allem Läsionen und Zersetzungen der Hautgewebe hervorruft – das braucht Pfiesteria als Hilfsmittel für den
«Aufschluß» des Fisches. Der Verdacht liegt daher nahe, daß es daher zwei Komponenten gibt – eine nerventoxische, hydrophile/polare und eine hautzersetzende,
lipophile. Obwohl das Toxin noch nicht endgültig charakterisiert ist, weisen erste
Untersuchungen tatsächlich auf zwei Komponenten hin. Die Nerventoxizität ist
nicht so groß wie bei anderen marinen Toxinen, dafür aber schleichender und
langwieriger. Ob es sich um einen grundsätzlich neuen Mechanismus handelt,
oder ob höhere Lipophilie nur zu einer größeren Speicherung und daher einem
«slow release»-Phänomen führt, ist unbekannt. Die Nerventoxizität setzt – zumindest beim Menschen – langsam und oft ohne weitere Begleiteffekte ein, wenn man
von den typischen Hautausschlägen oder Läsionen absieht.
285
PFIESTERIA: PERSPEKTIVEN
Das Pfiesteria-Toxin ist darüber hinaus wohl das einzige marine Toxin, das in der
Lage ist, sich in nennenswertem Umfang zu verflüchtigen und über die Luft oder
über Aerosole toxische Wirkungen auf die direkte Umgebung der Gewässer zu er
zielen. Die Gründe können verschieden sein: Niedriges Molekulargewicht, extrem
hohe Toxizität oder hohe Lipophilie. Daher ist das Pfiesteria-Toxin wesentlich kritischer und gefährlicher als die anderen marinen Toxine – jenen kann man «aus
dem Weg gehen», wenn man keine Meeresprodukte verzehrt oder nicht mit den
Räubern in Kontakt tritt. Pfiesteria dagegen ist schon für Bootfahrer, Fischer oder
sogar Spaziergänger an der Strandmole eine Bedrohung!
Wie geht es weiter?
Zur Zeit ist die Situation in den östlichen USA unklar. Die Fischsterben durch Pfiesteria gehen weiter. Eine erhebliche Verbesserung der Situation, nämlich durch
die grundlegende Reduktion der Schadstoffe im küstennahen Wasser, wird immense Anstrengungen und etliche Jahre benötigen.
In der Zwischenzeit wird nach wie vor intensiv nach der chemischen Identität des
oder der Gifte von Pfiesteria gesucht. Bei Redaktionsschluß im September 1999
war hierüber noch nichts publiziert. Erst danach wird man die Art der verursachten Haut- und Nervenschäden besser verstehen können.
Die Katastrophe droht aber nach wie vor: Daß in der intensiv besiedelten östlichen
USA ganze Küstenstriche gesperrt werden müssen, weil die Gesundheitsrisiken
aus dem Wasser zu groß geworden sind. Pfiesteria ist sicherlich nicht «the cell from
hell» oder «the ultimate biological threat», wie der Dinoflagellat schon einmal in der
Sensationspresse bezeichnet wurde, sondern eher ein Wunder der Natur als einer
der komplexesten und bizarrsten bekannten Einzeller. Man muß den mikroskopischen Jäger aber ungemein ernst nehmen, zumal überhaupt nicht sicher ist, ob er
selber oder seine Verwandte nicht schon morgen auch in anderen Küstengewässern der Erde auftauchen können.
286
PFIESTERIA: LITERATUR
Ausgewählte Literatur:
Barker R.: And the waters turned to blood. 2nd Edition. Simon & Schuster, New York 1998.
Burkholder J.M., Noga E.J., Hobbs C.W., Glasgow H.B.Jr., Smith S.A.: New «phantom» dinoflagellate is the
causative agent of major estuarine fish kills. Nature 1992; 358: 407-410, and Nature 1992;
360: 768.
Burkholder J.M.: The lurking perils of Pfiesteria. Scientific American 1999; 281 (2): 42-49.
Culotta E.: Red menace in the world’s oceans. Science 1992: 257; 146-147.
Epstein P., et al.: Marine ecosystems: Emerging diseases and indicators of change. Year of the Ocean
Special Report.
Center for Health and Global Environment, Harvard Medical School, Boston 1998.
Glasgow H.B.Jr., Burkholder J.M. et al.: Insidious effects of a toxic dinoflagellate on fish survival and
human health. J Toxicol Environ Health 1995; 46: 501-522.
Hall S., Strichartz G. (Eds.): Marine toxins. origin, structure and molecular pharmacology.
ACS Symposium series 418: 377 S. Washington (American Chemical Society) 1990.
Lassus P. et al. (Eds.): Harmful marine algal blooms. Lavosier Intercept Ltd. 1995.
Lewitus A.J., Jesien R.V., Kana T.M. et al.: Discovery of the «phantom» dinoflagellate in Chesapeake Bay.
Estuaries 1995; 18: 373-378.
Murata M. et al.: Structure and partial stereochemical assignment for maitotoxin, the most toxic and largest natural non-biopolymer. J Am Chem Soc 1994; 116: 7098-7107.
Mebs D.: Gifte im Riff. Toxikologie und Biochemie eines Lebensraums.
Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 1989.
Nicolaou K.C., Sorensen E.J.: Classics in total synthesis. VCH, Weinheim – New York 1996.
Smayda T.J.: A phantom of the ocean. Nature 1992; 358: 374-375.
Shimizu Y.: Dinoflagellate Toxins. In: Taylor F.J.R. (Ed.): The biology of dinoflagellates, pp. 282-315.
Blackwell, Oxford 1987.
Yasumoto T.: Fish poisoning due to toxins of microalgal origins in the Pacific.
Toxicon 1998; 36 (11): 1515-1518.
Internet:
www.pfiesteria.org/pfiest.html (Pfiesteria piscicida-Homepage of NCSU Aquatic Botany Laboratory; darin
aktuelle Literatur)
www.anserc.org/features/learn_pfies/pfiesteria.html (Facts about Pfiesteria)
www.vims.edu/welcome/news/pfiesteria/pfiesteria.html (Recent Chesapeake Bay Fish Lesions and
Pfiesteria)
www.pamlico-nc.com/PamNews/pages/pfies1.html (Repro eines Artikels über Pfiesteria aus den Pamlico
News)
287
ECHINOCOCCUS
12 VON FÜCHSEN UND BEEREN
KLEINER WURM – GROSSE GEFAHR: ECHINOCOCCUS Peter Kimmig
Bandwurm-Infektionen beim Menschen gelten gemeinhin als lästig und unan-
genehm, in der Regel jedoch als harmlos. Bei Bandwürmern, wie etwa dem Rinderbandwurm (Taenia sagittata), bei dem der Mensch Träger der geschlechtsreifen
Parasiten ist und somit den Endwirt darstellt, trifft dies auch zu. Dies gilt jedoch
nicht für die Bandwurmgattung Echinococcus. Hier fungiert der Mensch als Zwischenwirt, d.h. er ist Träger der Bandwurmlarve, die nicht im Darm, sondern im
Gewebe angesiedelt ist und somit lebenswichtige Organe schädigen kann. Dies ist
ein Grund für die Gefährlichkeit eines Echinococcus-Befalls; die zweite, wesentlichere Ursache liegt an dem permanenten Weiterwachstum des Bandwurmgewebes. Dies erklärt sich aus der Morphologie der geschlechtsreifen Bandwürmer: Die
Adultwürmer von Echinococcus, die im Darm von hundeartigen Raubtieren wie
Hund und Fuchs leben, stellen mit einer Länge von nur 3-5 mm die Winzlinge
unter den Bandwürmern dar (Abbildung 79).
Abbildung 79: REM-Aufnahme von Echinococcus
288
ECHINOKOKKOSE
Pro Glied (Proglottis) werden nur 100-200 Eier produziert, ein Bruchteil der
Eizahl wie bei den großen Bandwürmern etwa des Rinderbandwurms, die
100000 Eier pro Proglottis beträgt. Zur Aufrechterhaltung eines Infektionszyklus
mußte sich die Gattung Echinococcus daher «etwas einfallen lassen». Die Lösung
des Problems fand sich in einer ungeschlechtlichen Vermehrung der Bandwurmanlagen (Protoscolices) im Larvenstadium (Abbildung 80). Fressen Hunde oder
Füchse dieses Larvengewebe, kommt es somit zu einer Masseninfektion mit Hunderten oder Tausenden von Bandwürmern, die in ihrer Gesamtheit die zur Weiterverbreitung der Infektion notwendigen Eimengen liefern.
Abbildung 80: Protoscolices von Echinococcus granulosus
Geschichte der Echinokokkose - Unitarier und Dualisten
Das Vorkommen von larvalem Echinococcus-Gewebe in Form einer Blase (Hydatide)
wurde schon von Hippokrates in Leber und Lunge von Wiederkäuern beobachtet.
Die erste wissenschaftliche Beschreibung und Benennung als Echinococcus granulo-
289
ECHINOCOCCUS MULTILOCULARIS
sus des auch als Hülsenwurm bezeichneten Parasiten erfolgte durch Batsch 1786.
Erst sehr viel später konnte durch Siebold (1853) und Naunyn (1863) der Zusammenhang mit den im Hund parasitierenden Adultwürmern hergestellt werden
(Despommier et al. 1994).
Abbildung 81: Adultform von Echinococcus multilocularis
1845 beobachtete Erich Zeller in dem veränderten Lebergewebe einer am Alveolar- oder Kolloidkrebs verstorbenen Frau charakteristische Strukturen eines
Bandwurmstadiums, dem er aber für den Verlauf der Erkrankung keine Bedeutung beimaß. Es blieb Rudolf Virchow ein Jahr später vorbehalten, den Zusammenhang von Alveolarkrebs und Bandwurmgewebe aufzuklären. Darüber hinaus
erkannte er auch schon gewisse Gemeinsamkeiten mit den Veränderungen durch
den bereits bekannten Hundebandwurm Echinococcus granulosus und veröffentlichte seine Beobachtungen unter dem Titel „Die multiloculäre ulcerierende Echinokokkengeschwulst der Leber“. 1863 wurden diese Veränderungen durch den Zoologen Leuckart einer eigenen Echinococcus-Art zugeschrieben, die er wegen des gekammerten Larvalgewebes mit dem heute gültigen Namen Echinococcus multilocularis belegte (Frank 1987).
290
ECHINOCOCCUS: BIOLOGIE
Da der zugehörige adulte Bandwurm jedoch nicht bekannt war, blieb diese Darstellung lange umstritten. So verfochten die Unitarier die Hypothese, es handele
sich bei der vielkammerigen Form um eine spezielle Wachstumsform des schon
bisher bekannten E. granulosus. Es vergingen fast hundert Jahre, bis die Hypothese
der Dualisten, die von zwei verschiedenen Echinococcus-Arten ausgingen, ihre Bestätigung fand. So fanden die Amerikaner Rausch und Schiller Anfang der 50er
Jahre dieses Jahrhunderts die Geschlechtsstadien von E. multilocularis in Polarfüchsen und Schlittenhunden und die Larvenformen in Wühlmäusen. In Deutschland konnte dann Vogel (1957, 1961) durch experimentelle Infektionen bei Endund Zwischenwirten diesen Zusammenhang bestätigen.
Biologie von Hundebandwurm und Kleinem Fuchsbandwurm
Die beiden Echinococcus-Spezies weisen nicht nur morphologische Unterschiede
beim Larvalgewebe und bei den Adultwürmern auf, abweichende Verhältnisse
finden sich auch in ihrer Biologie:
Der Infektionskreislauf des Hundebandwurms (E. granulosus) verläuft heute in
der Regel in unmittelbarer Umgebung des Menschen (Abbildung 82). Die Rolle des
Endwirts spielen dabei Haushunde. Von den in ihrem Darm lebenden Adultwürmern gehen mit dem Kot Eier und Proglottiden ab, die zur Infektion von verschiedenen Haustieren führen; je nach Kulturkreis sind dies Rind, Schaf, Schwein, Pferd,
Esel, Kamel und andere. Auch der Mensch kann lokal als natürlicher Zwischenwirt angesehen werden. Durch Verfüttern parasitenhaltiger Schlachtabfälle an
Hunde kann sich der Infektionskreislauf wieder schließen. Neben diesen urbanen
Infektionskreisläufen über Haustiere spielen natürliche Infektionskreisläufe über
Wildtiere nur eine geringe Rolle; prinzipiell können jedoch auch andere Caniden
den Hundebandwurm beherbergen, so etwa Schakale im Turkana-Gebiet Afrikas,
die sich sogar über den Menschen – durch Ausgraben der hier nur oberflächlich
bestatteten Toten – infizieren können.
291
ECHINOCOCCUS: LEBENSZYKLUS
Hund
Mensch
Kot
Wiederkäuer
Abbildung 82: Lebenszyklus von Echinococcus granulosus
Demgegenüber spielt sich der Infektionskreislauf des Kleinen Fuchsbandwurms
meist in der Natur ab. Dabei sind in der Regel Füchse die Träger der Adultwürmer,
worauf der deutsche Name Bezug nimmt. Mit dem Fuchskot gelangen die Bandwurmeier ins Freie. Als natürliche Zwischenwirte fungieren Nagetiere, in Mitteleuropa vor allem Feldmäuse, daneben auch Wühlmäuse und Bisame (Ondatra zibethicus), die die hauptsächlichsten Beutetiere des Fuchses sind. Im Gegensatz zum
Hundebandwurm weist der Kleine Fuchsbandwurm eine wesentlich größere Zwischenwirts-Spezifität auf. Befallen werden nur Nagetiere, bei anderen Säugetieren, darunter auch dem Menschen, geht die Infektion gar nicht oder nur selten an;
letzterer stellt für den Kleinen Fuchsbandwurm einen sogenannten Fehlwirt dar.
292
ECHINOCOCCUS-ZYSTEN
Abbildung 83: Operations-Präparat von Echinococcus-Zysten der Leber
293
ECHINOCOCCUS: EPIDEMIOLOGIE
Wie infiziert sich der Mensch mit Echinokokken ?
Die Infektion des Menschen erfolgt über Verschlucken der Bandwurmeier. Beim
Hundebandwurm mit seinem urbanen Infektionskreislauf ist dies unschwer vorstellbar: Bei allen Kulturen, bei denen die Menschen eng mit Hunden und Nutzhaustieren zusammenleben, besteht für den Menschen über die Hunde eine erhöhte Infektionsgefahr, die bei ursprünglichen Verhältnissen exzessive Ausmaße erreichen kann. So finden sich etwa in dem oben erwähnten Turkana-Gebiet in Ostafrika bei nahezu 40%igem Befall der Hunde beim Menschen Prävalenzraten von 48% (Romig 1990)! Stark betroffen sind ebenso Südamerika, Nordafrika und der
Nahe Osten. Selbst in den Mittelmeerländern Europas ist die durch E. granulosus
verursachte Echinokokkose eine verbreitete Infektionskrankheit. In Deutschland
kommt diese Parasitose dagegen kaum mehr endemisch vor. Bei den hier erfaßten
Fällen handelt es sich fast stets um Infektionen, die aus dem Mittelmeerraum
stammten.
Bei dem Kleinen Fuchsbandwurm hingegen sind die Infektionswege komplizierter. Einfache Verhältnisse liegen lediglich in Alaska (Schantz 1995) und in ZentralChina vor, wo die Schlittenhunde bzw. dortigen Haushunde zu einem großen Prozentsatz mit E. multilocularis befallen sind und so zu einer hohen Befallsrate beim
Menschen führen, in manchen Regionen Chinas bis zu 5% (Craig et al. 1992)! In
Mitteleuropa dagegen, wo nur ein silvatischer Infektionkreislauf von E. multilocularis existiert, gibt es über die einzelnen Infektionswege und ihre Häufigkeit nur
Spekulationen. Der Grund liegt in der langen, meist mehrjährigen Zeitspanne
zwischen Infektion und Entdeckung des Parasitenbefalls, die eine Ermittlung der
Infektionsquelle naturgemäß unmöglich macht. Prinzipiell sind vor allem folgende Infektionswege denkbar:
1. Verzehr von Fuchskot- bzw. Bandwurmeier-kontaminierten Lebensmitteln; hier kommen vor allem niedrig hängende Früchte wie Erdbeeren
und Heidelbeeren, aber auch z.B. Fallobst in Betracht;
2. Einatmen und Verschlucken von Eier-haltigem Staub; dies könnte z.B.
beim Pflügen oder Heuen geschehen, allgemein bei Kontakt mit kontaminierter Erde in der Landwirtschaft;
3. Direkter Kontakt zu infizierten Tieren; betroffen davon sind z.B. Jäger und
Förster beim Abbalgen von Füchsen. Bedeutsamer in diesem Zusammenhang dürfte jedoch sein, daß auch Hunde und Katzen für den Kleinen
Fuchsbandwurm empfänglich sind und sich durch Fressen parasitenhal-
294
ECHINOCOCCUS: EPIDEMIOLOGIE
tiger Mäuse (auch bereits toter!) infizieren können. Auf diese Weise dürften in Endemiegebieten auch Besitzer von freilaufenden Hunden und
Katzen einer erhöhten Infektionsgefahr ausgesetzt sein.
Belege für diese Infektionswege gibt es kaum. Lediglich bei Käfigaffen, die mit
Streuobst von einer «Fuchswiese» gefüttert worden waren, konnte der alimentäre
Infektionsweg wahrscheinlich gemacht werden (Rietschel und Kimmig 1994). Dagegen konnte bei einer Feldstudie in einem Hoch-Endemiegebiet auf der Schwäbischen Alb bei der Untersuchung von 2500 Personen keiner der hypothetischen
Infektionswege bewiesen werden (Romig et al. 1998). Weder bei den vier dabei
aufgefundenen klinischen oder verdächtigen Fällen noch bei den serologisch positiven Personen ließ sich ein statistischer Zusammenhang mit entsprechenden
Lebens- und Ernährungsgewohnheiten, Haustierbesitz und anderen mutmaßlichen Risikofaktoren ermitteln.
Das Vorkommen von E. multilocularis ist auf die nördliche Hemisphäre beschränkt.
Die größten Verbreitungsgebiete finden sich in Alaska und Kanada sowie in der
Sowjetunion und China. In Europa befindet sich ein scheinbar isoliertes Endemiegebiet, das v.a. Südwestdeutschland, die Nordschweiz und den französischen Jura
umfaßte. Neuere Untersuchungen haben jedoch gezeigt, daß der Kleine Fuchsbandwurm faktisch in ganz Deutschland verbreitet ist, so daß Verbindungen zu
dem russischen Endemiegebiet wahrscheinlich sind.
Über die Häufigkeit der Echinococcus-Infektion beim Menschen gibt es in Deutschland nur Schätzungen aufgrund von Umfrage-Ergebnissen (Kimmig 1992) und seroepidemiologischen Untersuchungen (Kimmig und Mühling 1985, Schelling 1991).
Demnach liegt die durchschnittliche Prävalenz in Südwestdeutschland bei ca. 10
Fällen auf 100000 Einwohner; lokal – in einem Endemiegebiet im Bereich der
Schwäbischen Alb – fand sich sogar eine 4-15fach höhere Prävalenz (Romig et al.
1998). Angesichts der geringen absoluten Zahlen sind derartige Hochrechnungen allerdings erheblichen Schwankungen unterworfen.
Naturgemäß ist die Infektionsgefährdung des Menschen in erster Linie von der
Verbreitung und Häufigkeit von E. multilocularis bei den Füchsen abhängig. Seit
Anfang der 70er Jahre werden daher von der Parasitologie der Universität Hohenheim diesbezügliche Untersuchungen in Baden-Württemberg durchgeführt. Hier
fand sich im Zeitraum von 1973-1984 (Kimmig und Schelling 1991) eine durch-
295
ECHINOCOCCUS-INFEKTION
schnittliche Fuchs-Echinococcus-Befallsrate von ca 15%. Die Verteilung war
jedoch nicht gleichmäßig, sondern wies erhöhte Lokalwerte bis 30% im Bereich
der Schwäbischen Alb auf, während die Oberrheinische Tiefebene weitgehend
Echinococcus-frei war. Im Verlauf der Jahre hat sich dieses Bild gewandelt: Die
höchsten Fuchs-Befallsraten liegen nunmehr bei 70%; Echinococcus-freie Gebiete
gibt es in Baden-Württemberg nicht mehr (Romig 1996). Darüberhinaus fanden
sich auch in anderen Bundesländern wie in Bayern (bis zu 44%), Thüringen (bis
34%) und Niedersachsen (bis 40%) ungeahnt hohe Werte (Lucius und Bilger
1995). Die Konsequenzen für den Menschen, die sich aus diesen erhöhten
Fuchsbefallsraten ergeben, sind derzeit noch nicht abschätzbar.
Echinocccus-Infektionen beim Menschen
Nach dem Verschlucken der Echinococcus-Eier werden im Darm die Larven (Oncosphären) frei, die sich durch die Darmwand bohren, um dann mit dem Blutstrom
weiter verfrachtet zu werden. Die Leber, die schon nach wenigen Stunden via
Pfortader erreicht wird, stellt bei dieser Wanderung den ersten Filter dar. Die
Larven des Hundebandwurms setzen sich hier zu ca. 70% fest, der Rest gelangt in
die Lunge (20%) und noch weiter in den großen Kreislauf (10%), über den vor
allem gut durchblutete Organe wie Gehirn, Niere und Knochen befallen werden.
Am Anheftungsort entstehen aus einem zunächst mikroskopisch kleinen Larvenbläschen durch kontinuierliches Wachstum immer größer werdende Blasen, die
als Hydatiden bezeichnet werden und ein Volumen von mehreren Litern erreichen
können.
In ihrem Inneren befindet sich eine Keimschicht, aus der sich zahlreiche neue
Bandwurmanlagen, die sogenannten Protoscolices, bilden. Die Keimschicht ist
aber auch zur exogenen Abschnürung von Tochterblasen befähigt, die ihrerseits
wieder Blasen absprossen können. Das Wachstum des Larvengewebes bleibt bei
dieser sogenannten zystischen Echinokokkose jedoch stets gutartig, da die Blasen
durch eine Bindegewebskapsel von der Umgebung abgegrenzt sind, so daß sie sich
operativ herauslösen lassen (Abbildung 83).
Beim Kleinen Fuchsbandwurm verläuft die Infektion zunächst wie bei E. granulosus, sieht man davon ab, daß sich hier 98% der Oncosphären schon in der Leber
festsetzen. Das weitere Larvalwachstum zeigt indessen entscheidende
Abweichungen: Aus dem primären Larvenbläschen schieben sich zunächst solide
296
ECHINOKOKKOSE: KLINIK
Keimschichtsprosse von oft nur 5-10 µm Dicke wurzelartig in das Lebergewebe
hinein (Mehlhorn et al. 1983). Im weiteren Verlauf entstehen durch
Spaltenbildung aus diesen Zellsträngen Tubuli und Bläschen, in denen die
Protoscolices heranreifen.
Dreidimensional stellt sich dieses Larvengewebe als Netzwerk von Schläuchen
dar; im Schnitt erscheint es als unscharf begrenztes, schwammartiges Gebilde mit
vielen Kämmerchen, eine Struktur, auf die der Name multilocularis bzw. alveoläre
Echinokokkose Bezug nimmt. Das Larvengewebe von E. multilocularis weist somit
ein infiltratives, malignes Wachstum auf. Da der Mensch für E. multilocularis
einen Fehlwirt darstellt, ist das larvale Cestodengewebe hier meist infertil und weist
Zerfallshöhlen auf; dies bleibt auf das Weiterwachstum des Larvalgewebes jedoch
ohne Einfluß.
Klinik
Die zystische und alveoläre Echinokokkose des Menschen ist eine langsam fortschreitende Parasitose. Oft vergehen 10 und mehr Jahre, bis es zum Auftreten von
Symptomen kommt. Bei E. granulosus sind allerdings auch raschere Verläufe
bekannt. Die klinische Symptomatik ist bei beiden Formen sehr variabel und im
einzelnen abhängig vom Organbefall. Die zystische Echinokokkose von Leber und
Lunge äußert sich in Form von abdominellen bzw. thorakalen Schmerzen, Husten
und Dyspnoe. Bis zum Auftreten der ersten Symptome können hier die Hydatiden
schon Größen von 10-20 cm erreicht haben, wohingegen im ZNS oder Myokard
schon kleine Zysten zu schweren Störungen führen können. Die häufigsten Komplikationen bestehen in Gallengangsverschlüssen, bakteriellen Sekundär-Infektionen (Abszess) und Zystenrupturen (Aussaat von proliferativem Cestodengewebe).
Die alveoläre Echinokokkose verläuft schleichend, häufig unter dem klinischen Bild
eines Leberkarzinoms zunächst mit Allgemeinsymptomen und Gewichtsverlust.
Spezifische Symptome treten in der Regel erst auf, wenn es zu einer weitgehenden
Infiltration der Leber mit zunehmender Verlegung der Gallengänge gekommen ist
(Löscher 1996).
297
ECHINOKOKKOSE: DIAGNOSTIK
Diagnostik
Die Diagnose einer Echinokokkose ist durch serologische und klinische Verfahren
möglich. Der frühestmögliche Zeitpunkt nach einer möglichen Exposition (z.B.
Essen von Waldbeeren) ist nicht bekannt, man geht davon aus, daß ein Antikörpernachweis frühestens 3-6 Monate nach Infektion möglich wird. Die serologische Diagnostik ist mit verschiedenen Verfahren möglich (ELISA, IFT, IHAT, RAST
u.a.). Entscheidender ist die Verwendung der Antigene: Tests mit wenig gereinigten Roh-Antigenen weisen in der Regel eine gute Sensitivität, aber nur geringe
Spezifität auf und sind daher vor allem für Screening-Untersuchungen geeignet
(Kimmig und Mühling 1985). Spezifischer, jedoch aufwendig, sind IFT-Verfahren
mit Echinococcus-Gefrierschnitten. Für die serologische Artdiagnostik von E. multilocularis steht heute ein käufliches (Em2 plus) Antigen zur Verfügung, das aus
einem von Gottstein entwickelten, absorptionschromatographisch gereinigten
Anteil und einem gentechnisch hergestellten Anteil besteht (Vogel et al. 1989).
Em2 plus weist eine gute Spezifität, jedoch geringere Sensitivität auf (Naser und
Kimmig, in Vorbereitung).
Erfahrungsgemäß sind jedoch auch bei Verwendung spezifischerer serologischer
Techniken nur ca. 10% der Seropositiven auch tatsächlich Echinococcus-Träger.
Dies macht die Kombination der serologischen Methoden mit radiologischen, sonographischen, computertomographischen und kernspintomographischen Verfahren erforderlich. Bei der zystischen Echinokokkose gelten Verkalkungen und
Kammerungen der Zysten als typisch, bei alveolärer Echinokokkose finden sich
bevorzugt unscharf begrenzte Raumforderungen mit feinfleckiger Verkalkung
und gelegentlich hypodensen Bereichen (Zerfallshöhlen) (Löscher 1996). Keine
dieser Erscheinungen ist indessen pathognomonisch, im Zweifelsfall ist eine definitive Diagnose nur anhand von Operationsmaterial oder Biopsiematerial (durch
Feinnadelpunktion) möglich, das dann histologisch und neuerdings auch mit
Hilfe der PCR untersucht werden kann (Dinkel et al. 1998).
298
ECHINOKOKKOSE: THERAPIE
Therapie
Die radikale operative Entfernung des Cestodengewebes ist bei beiden Formen der
Echinokokkose die Methode der Wahl.
Einfache Echinococcus-Zysten lassen sich in der Regel in toto entfernen. Um eine
Echinococcus-Aussaat infolge Zystenruptur zu verhindern, werden diese zuvor mit
20%iger NaCl-Lösung oder 95%igem Äthanol inaktiviert und abgesaugt. Neuerdings ist die Abtötung mit Alkohol und Reaspiration auch durch Ultraschall-kontrollierte Feinnadelpunktion möglich. Bei Vorliegen von multiplen Zysten kann
eine Teilresektion der entsprechenden Organe erforderlich werden. Bei der alveolären Echinokokkose ist eine radikale Operation zum Zeitpunkt der Diagnose in
einem hohen Prozentsatz nicht mehr möglich, Lebertransplantationen kommen
nur in speziell gelagerten Fällen in Betracht.
Bei inoperabler oder fraglich radikaler Sanierung zystischer bzw. alveolärer Echinokokkose besteht dann nur noch die Möglichkeit einer Chemotherapie mit Mebendazol oder Albendazol. Die Therapie ist indessen langwierig und hat nur bei E.
granulosus eine parasitozide Wirkung. Bei E. multilocularis führt die Therapie in
vielen Fällen nur zum einem Sistieren des Wachstums, so daß eine lebenslange
Therapie erforderlich wird. Immerhin hat sich dank der Chemotherapie die Prognose der alveolären Echinokokkose jedoch so weit gebessert, daß die Überlebensrate in den ersten 10 Jahren nach Diagnosestellung heute bei 90% liegt, während
sie früher nur 10% betrug (Amman und Eckert 1995).
Desungeachtet stellt die alveoläre Echinokokkose aber nach wie vor die mit Abstand gefährlichste Parasitose in Mitteleuropa dar. Man muß allerdings davon
ausgehen, daß die Infektion nur in seltenen Fällen angeht, bei den meisten Menschen dürfte das Verschlucken der Echinococcus-Eier folgenlos bleiben. Trotzdem
muß angesichts der steigenden Fuchsbefallsraten auch mit erhöhten Fallzahlen
beim Menschen gerechnet werden. Man versucht daher, durch die Behandlung
der Füchse mit Hilfe von Praziquantel (Droncit®), das in Köder eingebracht wird,
den Bandwurmbefall der Füchse zu reduzieren. Dank der hohen Wirksamkeit des
Präparats gegen Adultwürmer hat sich dieses Verfahren in Pilotstudien als erfolgreich erwiesen (Schelling et al. 1997), die Ergebnisse einer derzeit laufenden Langzeitstudie sollen zeigen, inwieweit sich diese Methode in größerem Maßstab und
auf längere Dauer anwenden läßt (Romig et al. 1996).
299
ECHINOKOKKOSE: LITERATUR
Ausgewählte Literatur:
Amman R., Eckert J.: Clinical diagnosis and treatment of echoncoccosis in humans. In: Thompson R.C.A.,
Lymbery A.J. (eds): Echinococcus and hydatid disease; pp. 411-463.
CAB International, Wallingford 1995.
Craig P.S., Deshan L., Macpherson C.N.L., Dazhong S. et al.: A large focus of alveolar echinococcosis in
central China. The Lancet 1992; 340: 826-831.
Despommier D.D., Gwadz R.W., Hotez P.J.: Parasitic diseases; 3.ed.
Springer, Berlin – Heidelberg – New York 1994.
Dinkel A, Nickisch-Rosenegk M., Bilger B., Merli M., Lucius R., Romig T.: Detection of Echinococcus multilocularis in the definitive host: coprodiagnosis by PCR as an alternative to necropsy.
J Clin Microbiol 1998; 36(7): 1871-1876.
Frank W.: Echinococcus multilocularis in Südwestdeutschland. Persistenz einer Zoonose im mitteleuropäischen Raum. In: Fricke W., Hinz E. (Hrsg): Räumliche Persistenz und Diffusion von
Krankheiten; pp. 86-113. Heidelberger geograph Arb 83, Geograph Inst Univ Heidelberg 1987.
Gottstein B.: Purification and characterization of a specific antigen from Echinococcus multilocularis.
Parasite Immunol 1985; 7: 201-212.
Kimmig P.: Epidemiologie der Echinokokkose in Baden-Württemberg. ÄBW 1992; 11: 574-582.
Kimmig P., Mühling A.: Erhöhte Gefährdung durch Echinococcus multilocularis für Menschen im
Endemiegebiet «Schwäbische Alb»? Zbl Bakt Hyg I Abt Orig B 1985; 181: 184-196.
Kimmig P., Schelling U.: Aktuelle Probleme der Echinokokkose (Echinococcus multilocularis).
Öff Gesundh-Wes 1991; 53: 596-599.
Löscher T.: Infektionen mit Nematoden und Zestoden. In: Lang W. (Hrsg): Tropenmedizin in Klinik und
Praxis. Thieme, Stuttgart 1996.
Lucius R., Bilger B.: Echinococcus multilocularis in Germany: Increased awareness of spreading of a
parasite? Parasitology today 1995; 11: 430-434.
Mehlhorn H, Eckert J., Thompson R.C.A.: Proliferation and metastases formation of larval Echinococcus
multilocularis. II. Ultrastructural investigations. Z. Parasitenkd 1983; 69: 749-763.
Naser K., Kimmig P.: Vergleichende Untersuchung serologischer Testverfahren zur Diagnostik der
alveolären Echinokokkose. Clin Lab/Klin Lab; in Vorbereitung.
Rausch R.L., Schiller E.L.: Hydatid disease (Echinococcosis) in Alaska and the importance of rodent intermediate hosts. Science 1951; 113: 57.
Rietschel W., Kimmig P.: Alveoläre Echinokokkose bei einem Javaneraffen.
Tierärztl Prax 1994; 22: 85-88.
Romig T.: Beobachtungen zur zystischen Echinokokkose des Menschen im Turkana-Gebiet, Kenia.
Inaugural Dissertation; Universität Hohenheim 1990
Romig T., Bilger B., Dinkel A., Merli M., Köder M., Loos-Frank B., Lucius R.: Ein Pilotprojekt zur
Bekämpfung von Echinococcus multilocularis in Baden-Württemberg; pp. 63-67. In:
Vorbeugemaßnahmen bei der Zoonosenbekämpfung: Bericht des 6. Hohenheimer Seminars.
Tagung der DVG-Fachgruppe Umwelt- und Tierhygiene in Verbindung mit der GrimmingerStiftung für Zoonosenforschung 1996.
Romig T., Kratzer W., Naser K., Dinkel A., Gottstein B., Frosch M., Lucius R., Kern P.: Feldstudie zur
Prävalenz der alveolären Echinokokkose des Menschen in einem Hochendemiegebiet BadenWürttembergs. 18. Tag Dsch Ges Parasitologie, Dresden 1998.
Romig T.: Zum Status von Echinococcus multilocularis in Baden-Württemberg.
RKI-Hefte1996; 14: 44-50.
300
ECHINOKOKKOSE: LITERATUR
Schantz P.M., Chai J., Craig P.S., Eckert J., Jenkins D.J., Macpherson C.N.L., Thakur A.: Epidemiology and
control of hydatid disease; pp. 233-331. In: Thompson R.C.A., Lymbery A.J. (eds):
Echinococcus and hydatid disease. CAB International, Wallingford 1995.
Schelling U., Frank W., Will R., Romig T., Lucius R.: Chemotherapy with praziquantel has the potential to
reduce the prevalence of Echinococcus multilocularis in wild foxes (Vulpes vulpes).
Ann Trop Med Parasitol 1997; 91: 179-186.
Schelling U.: Studie zur Kontrolle und zum Vorkommen von Echinococcus multilocularis (Leuckart 1863)
in einem süddeutschen Verbreitungsgebiet.
Inaugural Dissertation; Universität Hohenheim 1991.
Vogel H.: Biologie und Parasitologie des Alveolarechinokokkus. Chir Praxis 1961; 5: 407.
Vogel H., Gottstein B., Müller N., Seebeck T.: Production of a recombinant antigen in an enzyme linked
immunosorbent assay for immunodiagnosis of human alveolar echinococcosis.
Mol Biochem Parasitol 1989; 36: 151 -160.
Vogel H.: Über den Echinococcus multilocularis Süddeutschlands.1. Das Blasenwurmstadium von
Stämmen menschlicher und tierischer Herkunft. Z Tropenmed Parasitol 1957; 8: 404-454.
Zeyhle E.: Die Verbreitung von Echinococcus multilocularis in Südwestdeutschland; pp. 26-33. In: Bähr
R. (Hrsg): Probleme der Echinokokkose unter Berücksichtigung parasitologischer und klinischer Aspekte. Akt Probl Chir Orthopäd 23; 1982.
301
THERMUS AQUATICUS
13 VON DER HEISSEN QUELLE
IN ALLE LABORS DIESER WELT:
THERMUS AQUATICUS UND DIE POLYMERASE-KETTEN-REAKTION
Matthias Maiwald
Manche Erfindungen werden unter ungewöhnlichen Umständen gemacht. So
ging es dem Biochemiker Kary B. Mullis im Jahr 1983. Er war bei der kalifornischen Firma Cetus mit der Herstellung von Oligonukleotiden (kurzen einzelsträngigen DNA-Molekülen bekannter Sequenz) und deren Anwendungen beschäftigt,
unter anderem DNA-Sequenziertechniken. Zur besagten Zeit befaßte er sich gerade mit der Möglichkeit, mit Hilfe von Oligonukleotiden, Desoxyribonukleosid-Triphosphaten (den Bausteinen der DNA) und dem Enzym DNA-Polymerase die Identität eines vorgegebenen Nukleotids an einer bestimmten Position in einem DNAMolekül zu ermitteln. Über diesem Problem brütete er während einer nächtlichen
Fahrt zu einem Wochenendhaus im nördlichen Kalifornien (Mullis 1990).
Als Mullis während der Fahrt über verschiedene Reaktionsbedingungen seines
Experiments nachdachte, kam ihm die Idee, zwei gegenüberliegende Oligonukleotide (auch Primer genannt) zu verwenden, welche das zu ermittelnde Nukleotid
auf beiden Seiten des DNA-Strangs flankierten. Um eventuelle Reste anderer Desoxyribonukleosid-Triphosphate zu entfernen, sollte vor dem eigentlichen Experiment ein Vorlauf nur mit Probe und DNA-Polymerase gemacht werden. Dabei, so
kam es ihm plötzlich, würden jedoch nicht nur die störenden Bestandteile entfernt, sondern es entstünden zwei völlig neue, durch die Oligonukleotide begrenzte DNA-Stränge mit derselben Sequenz des Ausgangsmoleküls. Mit der Dynamik
exponentieller Vermehrungskinetiken vertraut, schloß er, daß mit jeder neuen
Runde seines Experiments die Anzahl der zwischen den Oligonukleotiden liegenden DNA-Stränge verdoppelt würde.
Erregt von seiner neuen Idee brütete er den Rest des Wochenendes über seinem
Experiment. Zurück in der Firma, gab er sofort eine Literaturrecherche in Auftrag.
Die Idee erschien ihm zu simpel, als daß vor ihm niemand hätte darauf kommen
können. Die technischen Voraussetzungen hatten jedenfalls bereits seit etwa 10
bis 15 Jahren bestanden. Tatsächlich aber ergaben Recherchen und viele Gespräche mit Kollegen keinen Hinweis auf ein vergleichbares Verfahren. In den näch-
302
POLYMERASE-KETTEN-REAKTION
sten Wochen plante er sein erstes Experiment, indem er nach geeigneten Versuchsbedingungen und Reagenzien suchte. In der Tat, in seinem ersten kleinen
Experiment wurde eine Zielsequenz von 25 Basenpaaren aus einem Plasmid vervielfältigt, also amplifiziert! Der Rest ist Geschichte. Das neue Verfahren, die Polymerase-Ketten-Reaktion (polymerase chain reaction, PCR) wurde patentiert. Im Jahr
1991 wurden der Firma Cetus alle Rechte an dem Patent und seiner Verwertung
von der Firma Hoffmann-La Roche abgekauft. Im Jahr 1993 bekam Mullis neben Michael Smith (dieser für gerichtete Mutagenese von DNA) den Nobelpreis für Chemie.
Zielsequenz
Zielsequenz
Abbildung 84: Der erste Schritt bei der PCR ist die Hitze-Denaturierung der Zielsequenz
(modifiziert nach Roche 1998).
Mittlerweile ist die PCR in vielen Laboratorien der Welt zum Standardverfahren
für DNA-Analysen und Diagnosestellungen geworden. Am Anfang jedoch war
das Verfahren der PCR noch längst nicht so effektiv und zuverlässig, wie es heute
ist. Die PCR erfordert als ersten Schritt eine Erhitzung der Probe, damit sich die
DNA-Stränge der Zielsequenz voneinander trennen (Abbildung 84) und sich im
nächsten Schritt, der Abkühlung, die Oligonukleotide (Primer) an das Molekül
lagern können. Im dritten Schritt synthetisiert das Enzym DNA-Polymerase neue
Nukleotide an den wachsenden DNA-Strang (Abbildung 85). Dies erfordert einen
schrittweisen Wechsel zwischen drei Temperaturen, und eine davon muß etwa
94-95°C betragen, um die DNA-Stränge des zu vervielfältigenden Moleküls effektiv zu trennen, also zu denaturieren. In seinen ersten Experimenten verwendete
Mullis die DNA-Polymerase von Escherichia coli. Dieses Enzym ist aber nicht hitzestabil und mußte deshalb nach jedem Reaktionszyklus frisch zugegeben werden.
Bei 30 Zyklen bedeutete dies, daß jedes einzelne Reagenzgefäß 30 mal geöffnet
werden mußte, um Enzym zuzugeben!
303
TAQ-POLYMERASE
A
Zielsequenz
5'
3'
5'
Basen
Primer 2
Biotin
Desoxyribose
Phosphorsäure
5'
Primer 1
Biotin
Wasserstoffbrücken
5'
3'
Zielsequenz
B
Zielsequenz
3'
5'
3'
Biotin
Taq DNA
Polymerase
Primer 2
5'
5'
Primer 1
Biotin
3'
5'
3'
Zielsequenz
Abbildung 85:
A Bindung von biotinylierten Oligonukleotid-Primern an die Enden der Zielsequenzen
B Verlängerung der Primer durch die Taq-DNA-Polymerase und Synthese neuer DNA-Stränge
(modifiziert nach Roche 1998).
Eine Lösung dieses Problems kam aus der Forschung der 70er Jahre: damals hatten
Forscher ein thermophiles Bakterium, Thermus aquaticus, aus einer heißen Quelle
des Yellowstone National Parks isoliert und seine DNA-Polymerase charakterisiert.
In der Tat, das Enzym besitzt sein Wirkungsoptimum bei etwa 75°C und ist bis
95°C temperaturstabil. Dieses Enzym, nach den Initialen des Bakteriums TaqPolymerase genannt, war somit ideal für die Verwendung in der PCR. Es übersteht
304
GEN-AMPLIFIKATION
nach einmaliger Zugabe eine PCR von mehr als 50 Zyklen. Außerdem ermöglicht
es die Verwendung von Taq-Polymerase, die Temperaturbedingungen für die Anlagerung der Primer an ihre Zielsequenz viel spezifischer zu gestalten, so daß es
kaum noch zur Vermehrung unerwünschter DNA-Abschnitte kommt. Erst mit
diesem Enzym konnte die PCR ihre effektive Vermehrungskinetik erreichen, für
die sie so bekannt ist. Ein typischer Temperaturzyklus der PCR und die Menge synthetisierter DNA-Moleküle ist in Abbildung 86 dargestellt. Bei einer Vermehrungsrate von 2n (n entspricht der Anzahl von Zyklen) entstehen nach 30 Zyklen aus
einem Ausgangsmolekül rechnerisch immerhin 109 Kopien. In der Praxis kommt
es allerdings nicht in jedem Zyklus zur Verdopplung der DNA-Moleküle, so daß die
Leistungsfähigkeit der PCR doch hinter den theoretischen Erwartungen zurückbleibt. Außerdem erschöpfen sich nach spätestens 40-45 Zyklen die zugesetzten
Reagenzien, so daß die Vermehrung eine Plateauphase erreicht und kaum noch ein
weiterer Effekt erzielt wird.
Die Fähigkeit der PCR, ein einziges DNA-Molekül (bzw. in der Praxis wenige)
durch Vermehrung nachweisen zu können, eröffnete vielen Bereichen der Grundlagenforschung und der medizinischen Diagnostik bislang ungeahnte Möglichkeiten. Anwendungen der PCR sind mannigfaltig; sie umfassen Gebiete wie Humangenetik, Gerichtsmedizin, Pathologie, Mikrobiologie und viele andere. Anwendungsbeispiele sind die Amplifikation von Genen zum Nachweis von Mutationen,
die Typisierung anhand von DNA aus Spuren wie Blut, Haarwurzeln oder Spermien, die DNA-Analyse aus fixierten und in Paraffin eingebetteten Organproben
sowie der Nachweis von Infektionserregern in den verschiedensten Materialien.
Die große Stärke der PCR, nämlich geringste Mengen an DNA nachweisen zu
können, ist aber auch gleichzeitig eine große Schwäche. Da es während der PCR
zu einer gewaltigen Anhäufung von gleichen DNA-Molekülen kommt, führt die
unbeabsichtigte Übertragung kleinster Mengen, wie zum Beispiel winzigster Aerosoltröpfchen, aus einem vorangegangenen in einen neuen PCR-Ansatz, unweigerlich zur positiven Reaktion und somit zur Verfälschung des Ergebnisses. Bildlich dargestellt: Wenn der Inhalt eines Reaktionsgefäßes von 100 µl auf ein großes Wettkampfschwimmbecken verteilt wird, reagiert jede daraus entnommene
Probe in einer neuen PCR unweigerlich positiv. Dasselbe gilt für ein übertragenes
Aerosoltröpfchen von nur 100 Femtolitern (0,0000000000001 l). Aus diesem
Grund gilt, daß bei der Durchführung der PCR, etwa für medizinische Diagnostik,
größte Vorsicht walten muß. Zum Beispiel sollte eine strenge räumliche Trennung zwischen prä-PCR-Bereichen, etwa für Probenvorbereitung, und post-PCR-
305
DNA-VERMEHRUNG
Bereichen, etwa für die Analyse der PCR-Produkte, eingehalten werden. Werden
diese Vorsichtsmaßregeln nicht strengstens beachtet, können Kontaminationsprobleme und falsch-positive Resultate in größerem Umfang die Folge sein.
Einzelstrang-RNA
1 Zyklus = 1 (RNA/cDNA-Hybrid)
2 Zyklen = 2
3 Zyklen = 4
4 Zyklen = 8
5 Zyklen = 16
6 Zyklen = 32
7 Zyklen = 64
Abbildung 86: Exponentielle Vermehrung der Menge an neu synthetisierter DNA in Abhängigkeit von der Zahl
der Zyklen in der PCR (modifiziert nach Hoffmann-La Roche 1998); in diesem Beispiel ist eine
sogenannte «Reverse Transkriptions-PCR» (RT-PCR) dargestellt, bei der vor der Vervielfältigung
der DNA das Umschreiben eines RNA-Ausgangsmoleküls in DNA erfolgt.
Die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten der PCR weckten natürlich großes
Interesse an ihrer kommerziellen Verwertung. Nun ist die Firma Hoffmann-La
Roche Inhaberin der Patente inklusive ihrer Nutzungsrechte und verlangt für alle
kommerziellen Anwendungen der PCR Lizenzgebühren. Beispielsweise sind Laboratorien, welche die PCR auf kommerzieller Basis für die medizinische Diagnostik
verwenden, verpflichtet, einen gewissen Betrag aus den Einnahmen an Roche abzuführen. Dasselbe gilt für Firmen, welche Produkte für die PCR herstellen und
vertreiben. In diesem Zusammenhang kam es zu einem Rechtsstreit zwischen der
306
PCR: LITERATUR
Firma Hoffmann-La Roche und anderen Biotechnologie-Firmen, welche das Enzym
Taq-Polymerase vertreiben, ohne Lizenzgebühren abzuführen und ohne dabei
einen direkten Zusammenhang zur Anwendung in der PCR herzustellen. Zwar ist
Roche im Besitz eines Patents auf Taq-Polymerase, dessen Rechtmäßigkeit wird
aber von besagten Firmen angezweifelt, weil Forscher bereits in den 70er Jahren
das Enzym entdeckt, gereinigt und charakterisiert hatten. Somit entfällt also der
Charakter einer neuen Erfindung oder Erstbeschreibung der Firma Cetus in den
80er Jahren (Dickson 1995). Das Ergebnis dieses Rechtsstreits bleibt mit
Spannung abzuwarten.
Taq-Polymerase ist aber beileibe nicht das einzige Enzym aus einem thermophilen
Mikroorganismus, welches kommerzielle Anwendung fand. Das Interesse an extremophilen Mikroorganismen, die unter den verschiedensten ungewöhnlichen Bedingungen – sei es bei extremen Temperaturen, pH-Werten oder in organischen
Lösungsmitteln – Stoffwechselaktivität verrichten, ist mittlerweile groß (Pennisi
1997). Anwendungen sind beispielsweise thermo- und alkalistabile Proteasen
und Zellulasen, die in Waschmitteln zum Einsatz kommen. Aber auch Mikroorganismen, die organische Lösungsmittel oder toxische Abfallprodukte – beispielsweise aus der Papierindustrie – zersetzen können, finden industrielle Anwendung. Es
gibt bereits Biotechnologie-Firmen, die nach dem Zufallsprinzip DNA von Mikroorganismen aus extremen Biotopen klonieren, die Genprodukte exprimieren und
dann schauen, was für potentiell nützliche Enzymaktivitäten sich daraus ergeben. Um die Bedeutung dieses Forschungsgebiets weiter zu unterstreichen, wurde
1997 die wissenschaftliche Zeitschrift «Extremophiles» gegründet.
Ausgewählte Literatur:
Dickson D.: Sparks continue to fly in Taq patent dispute. Nature 1995; 373: 377.
Innis M.A., Gelfand D.H., Sninski D.H., White T.J. (eds.): PCR protocols. A guide to methods and applications. Academic Press, San Diego 1990.
Mullis K.B.: The unusual origin of the polymerase chain reaction. Sci Am 1990; 262: 56-65.
(Deutsche Übersetzung: Mullis K.B.: Eine Nachtfahrt und die Polymerase-Ketten-Reaktion.
Spektrum der Wissenschaft 1990; 12: 60-67).
Pennisi E.: In industry, extremophiles begin to make their mark. Science 1997; 276: 705-706.
Persing D.H., Smith T.F., Tenover F.C., White T.J. (eds.): Diagnostic molecular microbiology. Principles and
applications. American Society for Microbiology, Washington (D.C.) 1993.
Roche: Polymerase-Ketten-Reaktion. Roche Molecular Systems Inc., Summerville (New Jersey, USA) 1998.
307
AUSBLICK
14 AUSBLICK
Dieter Hassler
Auch wenn Ihnen, lieber Leser, bereits jetzt schon der Kopf rauchen mag ob der
Fülle der Informationen über schrecklich viele Krankheitserreger - eigentlich war
dies alles nur ein kleiner Ausschnitt der Infektiologie.
Riesenkapitel fehlen. Da wären HIV und AIDS, Hepatitis und Malaria wie viele
andere. Auf diese besser bekannten Infektionen haben wir hier bewußt – nicht
zuletzt aus Platzgründen – verzichtet.
Dennoch, es wäre ein leichtes, an dieser Stelle auch mit weniger bekannten Infektionen einfach weiterzumachen. Da wäre noch die Geschichte von Reinhold Messner und der Amöbenruhr in Nepal. Schließlich ist auch noch kein Wort über die
Tollwut, das Rift-Valley- oder das Krim-Kongo-Fieber gefallen. Das Ebolavirus
wurde ebensowenig erwähnt wie die Coxsackieviren und die Caliciviren. Und so
könnte man scheinbar endlos erzählen. Vielleicht ein andermal…
Dennoch soll ein letzter Blick den Kandidaten unter den bereits bekannten Krankheiten gewidmet sein, die vielleicht eines Tages auch bei den Infektionskrankheiten aufgeführt werden.
Da wäre zum Beispiel die Rheumatoide Arthritis. Schon seit Jahren wird immer
wieder spekuliert, daß ein Virus für diese Erkrankung verantwortlich sein könnte.
Mehrere Kandidaten wurden geprüft und verworfen, andere sind noch im Rennen.
Auch die Psoriasis, die sicher eine genetische Komponente hat, weist manche Aspekte auf, die auch zu einer Infektion passen könnten, die Colitis ulcerosa mag ein
weiterer Kandidat sein.
Das Thema «Viren und Krebs» schließlich ist ein noch unzureichend erforschtes
Gebiet, obwohl zumindest für das Epstein-Barr-Virus und einige Papilloma-Viren
Zusammenhänge gesichert sind.
308
SCHLÜSSEL ZUR ERKENNTNIS
Der Schlüssel zur Erkenntnis: Die Epidemiologie
Doch die Forschung geht weiter, und immer wieder werden neue Zusammenhänge
erkannt. Meist sind es epidemiologische Studien, die zunächst einmal klären, ob
die Inzidenz der fraglichen Erkrankung überhaupt mit der Verbreitung eines inkriminierten Agens zusammenpaßt. Eine dieser Studien wurde jüngst von Niklasson vorgestellt. Er hat mit seiner Arbeitsgruppe Zusammenhänge zwischen der
Populations-Dichte von Mäusen und bestimmten Krankheiten in Skandinavien
untersucht. Als Marker verwendete er die Rötelmaus (Clethrionomys glareolus),
die auch bei uns in Mitteleuropa sehr häufig ist. Die Rötelmaus ist als Reservoir
des Puumala-Virus, einer Hantavirus-Variante, bekannt (siehe dort). Fangdaten
aus mehreren Jahrzehnten zeigten eine charakteristische Schwankung mit dreibis vierjährigen Peaks (siehe Abbildung 87).
Anzahl Rötelmäuse je 100 Fangtage
Rötelmaus-Dichte 1 Jahr vorher
Todesfälle von Myocarditis
0,8
8
0,7
0,6
6
0,5
4
0,4
0,3
2
jährliche Inzidenz pro 100.000
0,9
10
0,2
0
0,1
74
75
76
77
78
79
80
81
82
83
84
85
86
Zeitraum von 1974-1986
Abbildung 87: Auftreten von Todesfällen nach Myocarditiden im Zusammenhang mit der Populations-Dichte
der Rötelmaus (modifiziert nach Niklasson et al. 1998)
Nun wurden diese Zyklen mit jenen verglichen, die erstaunlicherweise auch beim
Auftreten von Myocarditis, Guillain-Barre-Syndrom und insulinabhängigem Diabetes mellitus in der gleichen Region nachgewiesen wurden. Und – man fand eine
Überraschung! Alle drei Erkrankungen folgten geradezu gespenstisch genau den
309
SUCHE NACH VIREN
Peaks bei der Rötelmaus-Population. Allerdings traten die Peaks bei der Myocarditis
mit einer Verzögerung von einem Jahr, die des Guillain-Barre-Syndroms im selben
Jahr, der insulinpflichtige Diabetes mellitus mit zweijähriger Verzögerung auf. Die
Daten korrelieren signifikant (vgl. Abbildung 88).
Anzahl Rötelmäuse je 100 Fangtage
Rötelmaus-Dichte 2 Jahre vorher
Auftreten von Diabetes mellitus
8
14
6
12
4
10
2
8
0
jährliche Inzidenz pro 100.000
16
10
6
75 76
77
78 79
80 81 82 83
84 85
86 87
88 89 90
91
Zeitraum von 1975-1991
Abbildung 88: Auftreten von Insulin-pflichtigem Diabetes mellitus im Zusammenhang mit der PopulationsDichte der Rötelmaus (modifiziert nach Niklasson et al. 1998)
Nun wird in verschiedenen Nagerarten nach einem oder mehreren Viren gesucht, die für die Erkrankungen in Frage kommen könnten. Erste neue Isolate hat
man bereits gefunden, darunter Echovirus-Verwandte.
Derartige Viren können, soviel ist bereits bekannt, im Tierversuch sowohl Myocarditiden als auch neurologische Symptome und einen Diabetes mellitus auslösen. Nun sollen serologische Studien mit Hilfe der neuen Virusisolate durchgeführt werden, um den vermuteten Zusammenhang weiter zu erhärten.
310
FAZIT
Ziehen wir also ein vorläufiges Fazit:
Der Umbruch der Infektiologie und die daraus resultierenden neuen Erkenntnisse
haben mit unglaublicher Geschwindigkeit unsere Auffassungen von der Ätiologie bestimmter Erkrankungen verändert - und sie tun es ständig weiter.
Dennoch sei davor gewarnt, die Fehler der früheren Blütezeiten der Infektiologie
zu wiederholen. Betriebsblindheit sollte unseren Blick nicht verstellen! Wo viel
Neues entdeckt wird, werden auch «faule Eier» unter den Perlen zu finden sein.
Dies soll uns aber nicht davon abhalten, neue Blickwinkel zu testen und unsere
überkommenen Lehrmeinungen gelegentlich genauso kritisch zu überprüfen
wie die brandneuen Erkenntnisse.
Ausgewählte Literatur:
Hörnfeldt B.: Synchronous population fluctuations in voles, small game, owls and tularemia in northern
Sweden. Oecologia 1978; 32: 141-152.
Niklasson B. et al.: Could myocarditis, insulin-dependent diabetes mellitus, and Guillain-Barre syndrome
be caused by one or more infectious agents carried by rodents?
Emerging Infect Dis 1998; 4 (Nr. 2).
311
ANHANG
15 ANHANG
1 LITERATURSUCHE
Bibliotheken sind – in manchen Fällen – out, das Internet hilft meist weiter.
Natürlich kann man mit der besten Suchmaschine nicht die spannenden älteren
Literaturstellen finden (etwa Hans Zinsser’s «Rats, Lice, and History»). Da hilft
dann nur die gute alte Unibibliothek weiter. Trotzdem kann man im Internet zu
fast allen Themen der Infektiologie die neueren und meist hochaktuellen Literaturstellen nicht nur als Abstract, sondern sogar im Volltext finden. Besonders hilfreich bei der Erstellung dieses Buches waren folgende Adressen:
Centers for Disease Control and Prevention (CDC) Atlanta:
www.cdc.gov
Wollen Sie wissen, wo gerade die Cholera ausgebrochen ist? Hier findet man einfach alles. Besonders gut sind die Volltext-Seiten der «Emerging Infectious Diseases»
mit einer Fülle von Literaturzitaten und guten Übersichtsartikeln. Man kann aber
auch einfach nach aktuellen Impfempfehlungen für ein bestimmtes Land oder
Gesundheitstips («benutzen Sie Repellents») suchen.
American Society of Microbiology (ASM) :
www.journals.asm.org
Alle Zeitschriften der ASM sind hier versammelt - vom Journal of Virology über das
Journal of Clinical Microbiology bis zu Antimicrobials and Chemotherapy. Fast alle
führenden infektiologischen Fachzeitschriften sind hier zu lesen. Recherche über
Suchwörter möglich. Nachteil: Man vergißt beinahe, daß es auch noch andere
wichtige Zeitschriften gibt.
Journal of Infectious Diseases:
www. press.uchicago.edu
Kann man leider nicht mit der Konkurrenz vergleichen. Sehr lieblos, kein Volltext.
312
LITERATURRECHERCHE
MEDLINE:
www.aerzte-seite.de
Einer der inzwischen zahlreich angebotenen kostenlosen Medline-Zugänge.
www.nlm.nih.gov
Der Medline-Originalzugang (kostenlos).
New England Journal of Medicine:
www.nejm.org
Gute Seite, Volltext-Suche möglich, aber etwas umständlich.
Suchmaschinen:
www.altavista/digital.com
Eines der führenden Rechnerverbundsysteme, wenn es um die Suche nach Dingen geht, bei denen man keine Ahnung hat, wo man überhaupt suchen könnte.
Fördert immer viel Müll, aber auch Perlen zu Tage (der Lebenslauf von Daniel Alcides
Carrión mag ein Beispiel sein). Motto: Wenn man das richtige Stichwort eingibt,
dann klappt’s auch mit dem Nachbarn!
Sonstige Beispiele:
www.outbreak.org
www.lymnet.org
Server der amerikanischen Borreliose-Selbsthilfeorganisationen; exzellente
Literatur-Suchmaschine
313
DIE AUTOREN
2 DIE AUTOREN
Prof. Dr. Rüdiger Braun
Virologe, Habilitation über Herpesviren. Aktiv tätig in der Wissenschaft, unter
anderem als Herausgeber der Zeitschrift «Intervirology». Standespolitisch tätig im
Deutschen Laborärzteverband.
Derzeit – mit Freude – tätig als niedergelassener Laborarzt.
Wundert sich immer wieder, was wir alles nicht wissen. Freut sich aber über jede neue
Herausforderung.
Priv.-Doz. Dr. Dieter Hassler
Traumberuf: Geschichtenerzähler auf der Djemma el Fnaa in Marrakesch. Wegen
fehlender Sprachkenntnisse dann doch Facharzt für Allgemeinmedizin, seit 1984
mit eigener Praxis. Seit 1996 Lehrbeauftragter an der Universität Heidelberg.
Schwerpunkt: Infektiologie; ursprünglich ein Hobby während der mehrjährigen
intensivmedizinischen Tätigkeit, später intensive Beschäftigung mit Zeckenübertragenen Erkrankungen. Eine dieser Zecken muß ein spezifisches, bisher
nicht beschriebenes Virus übertragen haben…
Wundert sich heute noch, was man in einer Allgemeinpraxis bei entsprechender «krimineller Energie» alles findet.
Dr. rer. nat. Michael Hassler
Chemiker mit diversen Hobbys. Hauptberuflich Forschungs- und Marketingleiter
bei der RÜTGERS Organics GmbH in Mannheim. Sammelt Schmetterlinge und Wissen. Seit 1991 Vorsitzender des Landesnaturschutzverbandes Baden-Württemberg.
Wundert sich über gar nichts, da er alle Artikel von Carl Barks kennt.
314
SCHLÜSSELLITERATUR
Prof. Dr. Dr. Peter Kimmig
1970 Promotion in Medizin an der Universität Tübingen, 1975 Promotion in
Biologie an der Universität Freiburg. Seit 1981 am Landesgesundheitsamt Stuttgart, seit 1992 Honorarprofessor an der Universität Hohenheim. Schwerpunkt
der wissenschaftlichen Arbeit sind Zoonosen. Derzeit tätig als Leiter der Abteilung
Infektiologie am Landesgesundheitsamt Stuttgart.
Wundert sich immer wieder, was diese Allgemeinmediziner alles anschleppen, obwohl er
auch fast alle Artikel von Carl Barks kennt.
Priv.-Doz. Dr. Matthias Maiwald
Mikrobiologe, mehrjährige Tätigkeit am Hygiene-Institut der Universität Heidelberg. Schwerpunkte: Borreliose, Legionellen, Morbus Whipple. Derzeit an den
Relman-Labs in Stanford (USA).
Gibt selten zu, daß er sich wundert, hofft aber, daß in Amerika alles besser wird.
Gemeinsames Feature aller Autoren:
➤ Intensiver Glaube an Daniel Düsentrieb
«dem Ingeniör ist nichts zu schwör»
➤ fehlende Angst vor Zecken
3 SCHLÜSSELLITERATUR
(ZUM ALLERLETZTEN MAL!)
Hassler D., Hassler M.: Die Rolle des rechtswendigen Gurkenmurksers (Deflator dextrospirillus Barks) in
der Differentialdiagnose des Zeckenstichs der nördlichen Hemisphäre. Fortschr Med 1993; 111:
553-557.
Hassler D., Hassler M.: Ursulinus elasticus zur prädiagnostischen Sedierung - oder: Vergeßt doch die
Homöopathie, Leute! Fortschr Med 1995; 113: 120-123.
315
DANKSAGUNGEN
4 DANKSAGUNGEN
Die experimentellen Arbeiten des Autors zum Thema Morbus Whipple werden durch
die Deutsche Forschungsgemeinschaft gefördert (Ma 1663/2-1, Ma 1663/3-1).
Dr. Hans Jörg Meier-Willersen, Mannheim, und PD Dr. Axel von Herbay, Heidelberg,
stellten die Abbildungen 6-8 zur Verfügung.
Dr. Ronald J. Fallon (Glasgow, UK) stellte Abbildung 12 zur Verfügung.
Prof. Lucy S. Tompkins, Dr. Andrea Polesky und Nahsa Ghori (Stanford, USA) stellten
Abbildung 13 zur Verfügung.
Dr. Trevor. W. Steele (Adelaide, Australien) lieferte hilfreiche Informationen über
Legionellae longbeachae in Blumenerde.
Jeff Springer (NCSU Aquatic Botany Laboratory, USA) stellte Abbildung 76 zur Verfügung.
Die CDC/Atlanta war besonders vorbildlich; sie erteilte binnen weniger Stunden
die Erlaubnis zur Reproduktion ihrer Bilder. In gleicher Weise unkompliziert stellten uns Dr. Hans Gelderblom vom Robert-Koch-Institut in Berlin sowie Prof. Dr.
Erwin Schöpf, Ärztlicher Direktor der Universitäts-Hautklinik in Freiburg/Breisgau
und Prof. Dr. Kurt Bienz, Abteilungsleiter Virologie am Institut für Medizinische
Mikrobiologie der Universität Basel, ihre Bilder zur Verfügung.
Im übrigen danken wir allen im Bildnachweis genannten Autoren und Verlagen
für die Überlassung der Bildrechte. Ohne sie wäre dieses Buch nur halb so informativ. Viele Kollegen haben uns zusätzlich bei der kritischen Durchsicht geholfen.
Stellvertretend für diese seien Dr. Volker Fingerle, München, Dr. Anne Sander, Freiburg, und Dr. Trevor Pettney, Adelaide (Australien) genannt.
Last but not least bedanken wir uns bei den Firmen Pfizer, Hoffmann-La Roche und
Hoechst Marion Roussel für die äußerst bereitwillige Unterstützung bei diesem
aufwendigen Buchprojekt.
316
BILDNACHWEIS
5 BILD- UND QUELLENNACHWEIS
Abbildung 1:
Abbildung 2:
Abbildung 3:
Abbildung 4:
Abbildung 5:
Abbildung 6:
Abbildung 7:
Abbildung 8:
Abbildung 9:
Abbildung 10:
Abbildung 11:
Abbildung 12:
Abbildung 13:
Abbildung 14:
Abbildung 15:
Abbildung 16:
Abbildung 17:
Abbildung 18:
Abbildung 19:
Abbildung 20:
Abbildung 21:
Abbildung 22:
Abbildung 23:
Abbildung 24:
Abbildung 25:
Abbildung 26:
Abbildung 27:
Abbildung 28:
Abbildung 29:
Abbildung 30:
Abbildung 31:
Abbildung 32:
Abbildung 33:
Abbildung 34:
Abbildung 35:
Abbildung 36:
Abbildung 37:
Abbildung 38:
Abbildung 39:
Abbildung 40:
Abbildung 41:
Abbildung 42:
Reproduktion aus: Laignel-Lavastine M.: «Histoire générale de la Médecine»; Band 3, Seite 155. Albin Michel Éditeur, Paris 1936-1949.
Dr. M. Hassler, Mannheim
Corbis, USA
Dr. G. Zipperle, Bruchsal
Dr. G. Zipperle, Bruchsal
Dr. H.J. Meier-Willersen, Mannheim
Priv.-Doz. Dr. A. von Herbay, Heidelberg
Priv.-Doz. Dr. A. von Herbay, Heidelberg
Dr. G. Zipperle, Bruchsal
Dr. G. Zipperle, Bruchsal
Prof. D.J. Hampson, Murdoch, Australien
Dr. R.J. Fallon, Glasgow, UK
Prof. L.S. Tompkins, Dr. A. Polesky und N. Ghori, Stanford, USA
mit freundlicher Genehmigung der Pfizer AG, Zürich, Schweiz
mit freundlicher Genehmigung der Pfizer AG, Zürich, Schweiz
Prof. P.-A. Mårdh, Kivik, Schweden
Priv.-Doz. Dr. D. Hassler, Kraichtal
Priv.-Doz. Dr. D. Hassler, Kraichtal
Dr. H. Gelderblom, Berlin
Priv.-Doz. Dr. D. Hassler, Kraichtal
Priv.-Doz. Dr. D. Hassler, Kraichtal
Priv.-Doz. Dr. D. Hassler, Kraichtal
Prof. Dr. E. Schöpf, Universitäts-Hautklinik, Freiburg/Breisgau
Priv.-Doz. Dr. D. Hassler, Kraichtal
Corbis, USA
Priv. Doz. Dr. L. Zöller, Koblenz
CDC, Atlanta, USA
Priv. Doz. Dr. L. Zöller, Koblenz
CDC, Atlanta, USA
Links: Corbis, USA. Rechts: CDC, Atlanta, USA
Dr. H. Gelderblom, Berlin
Aus: Horseburgh C.R., Nelson A.M. (eds.): Pathology of emerging infections 2. ASM, Washington (D.C.)1998
(mit freundlicher Genehmigung von ASM Press, Washington, USA)
modifiziert nach Gubler 1998
Priv.-Doz. Dr. D. Hassler, Kraichtal
Dr. M. Zimmermanns, Steinen
Priv.-Doz. Dr. D. Hassler, Kraichtal
Priv.-Doz. Dr. D. Hassler, Kraichtal
Aus Karte: Südamerika-Nord – Maßstab 1:4 Mio.; © GeoData/Mairs Geographischer Verlag, Ostfildern
Aus: Garcia-Caceres U., Garcia F.U.: Bartonellosis – An immunodepressive disease and the life of Daniel Alcides
Carrión. Am J Clin Pathol 1991; 95 (Suppl. 1): S58-S66
(mit freundlicher Genehmigung von Prof. U. Garcia-Caceres, Lima, Peru)
Links Aus: Garcia-Caceres U., Garcia F.U.: Bartonellosis – An immunodepressive disease and the life of Daniel
Alcides Carrión. Am J Clin Pathol 1991; 95 (Suppl. 1): S58-S66
(mit freundlicher Genehmigung von Prof. U. Garcia-Caceres, Lima, Peru)
Rechts: Dr. H. Lieske, Hamburg
«Anales de la Facultad de Medicina», Universität San Marcos, Peru
Aus: Sander A. et al.: Bartonella(Rochalimaea)-Infektion: Katzenkrankheit und bazilläre Angiomatose.
Dtsch Med Wschr 1996; 121: 65-69 (mit freundlicher Genehmigung Georg Thieme Verlag, Stuttgart)
317
BILDNACHWEIS
Abbildung 43: Aus: Sander A. et al.: Bartonella(Rochalimaea)-Infektion: Katzenkrankheit und bazilläre Angiomatose.
Dtsch Med Wschr 1996; 121: 65-69 (mit freundlicher Genehmigung Georg Thieme Verlag, Stuttgart)
Abbildung 44: Aus: Sander A. et al.: Bartonella(Rochalimaea)-Infektion: Katzenkrankheit und bazilläre Angiomatose.
Dtsch Med Wschr 1996; 121: 65-69 (mit freundlicher Genehmigung Georg Thieme Verlag, Stuttgart)
Abbildung 45: Dr. M. Zimmermanns, Steinen
Abbildung 46: Prof. P. Kimmig, Stuttgart
Abbildung 47: Prof. P. Kimmig, Stuttgart
Abbildung 48: Priv.-Doz. Dr. D. Hassler, Kraichtal
Abbildung 49: Dr. M. Bechtel, Heidelberg
Abbildung 50: Dr. U.G. Munderloh, Minneapolis
Abbildung 51: Dr. U.G. Munderloh, Minneapolis
Abbildung 52: Priv.-Doz. Dr. D. Hassler, Kraichtal
Abbildung 53: Prof. Dr. W. Burgdorfer, U.G. Munderloh, S.F. Hayes sowie Rocky Mountain Laboratories des NIH, Hamilton (USA)
Abbildung 54: Priv.-Doz. Dr. D. Hassler, Kraichtal
Abbildung 55: Priv.-Doz. Dr. D. Hassler, Kraichtal
Abbildung 56: Priv.-Doz. Dr. M. Maiwald, Stanford (USA)
Abbildung 57: Priv.-Doz. Dr. D. Hassler, Kraichtal
Abbildung 58: CDC, Atlanta, USA
Abbildung 59: Corbis, USA
Abbildung 60: Prof. K. Bienz, Institut für Medizinische Mikrobiologie der Universität Basel
Abbildung 61: Priv.-Doz. Dr. D. Hassler, Kraichtal
Abbildung 62: Aus: Heinz H.-M.: Dermatology. F. Hoffmann-La Roche & Co. Ltd, Basel 1983
(mit freundlicher Genehmigung der F. Hoffmann-La Roche AG, Basel, Schweiz)
Abbildung 63: modifiziert nach Kantor, Scientific American 1998
Abbildung 64: Priv.-Doz. Dr. M. Maiwald, Stanford (USA)
Abbildung 65: Priv.-Doz. Dr. D. Hassler, Kraichtal
Abbildung 66: Priv.-Doz. Dr. D. Hassler, Kraichtal
Abbildung 67: Priv.-Doz. Dr. D. Hassler, Kraichtal
Abbildung 68: Priv.-Doz. Dr. D. Hassler, Kraichtal
Abbildung 69: Priv.-Doz. Dr. D. Hassler, Kraichtal
Abbildung 70: Priv.-Doz. Dr. D. Hassler, Kraichtal
Abbildung 71: Dr. M. Bechtel, Heidelberg
Abbildung 72: Aus: Giardia and giardiasis. Erlandsen and Meyer 1984 (mit freundl. Genehmigung von Plenum Press, New York)
Abbildung 73: Prof. P. Kimmig, Stuttgart
Abbildung 74: Dr. D. Burden. Aus: Tzipori S.: Cryptosporidium: Notes on epidemiology and pathogenesis.
Parasitology Today 1985; 1 (6): 159-165 (mit freundl. Genehmigung von Elsevier Trends Journals, Cambridge, UK)
Abbildung 75: Prof. P. Kimmig, Stuttgart
Abbildung 76: Jeff Springer (NCSU Aquatic Botany Laboratory)
Abbildung 77: Formelbild
Abbildung 78: Formelbild
Abbildung 79: Prof. H.M. Seitz, Bonn
Abbildung 80: Prof. P. Kimmig, Stuttgart
Abbildung 81: Prof. P. Kimmig, Stuttgart
Abbildung 82: Prof. P. Kimmig, Stuttgart
Abbildung 83: Dr. E. Zeyhle, Parasitologisches Institut der Universität Hohenheim
Abbildung 84: modifiziert nach Roche 1998
Abbildung 85: modifiziert nach Roche 1998
Abbildung 86: modifiziert nach Roche 1998
Abbildung 87: modifiziert nach Niklasson et al. 1998
Abbildung 88: modifiziert nach Niklasson et al. 1998
318
INDEX
16 INDEX
A
Afipia felis 176
AIDS 40, 45, 65, 271, 274, 308
Akarizide 89
Aktinomyceten 36, 45
Algen 279
Altweltzeckenfieber 135
Alzheimer-Krankheit 80
Amöben 64f, 266
Amöbenruhr 308
Anaplasma marginale 189
Angiomatose, bazilläre 177f
Apfelsaft 270
Apoptose-Protein 102
Argentinisches haemorrhagisches Fieber 125
Asthma 80
B
Babesien 252ff
Balkangrippe 84
Bandwurm 288ff
Bannwarth-Syndrom 229, 238
Bartonellen 79, 127, 171 ff
Baumwollratte 116, 119
Belastungs-EKG 68f
Blaualgen 18, 283
Blutmahlzeit 195, 231
Bolivianisches haemorrhagisches Fiebers 126
Bone-breaking-fever 140
Borrelien 14, 96, 182, 194, 197, 199, 233ff, 252, 255
Brevetoxine 281f
Brill-Zinsser-Krankheit 207
Burkholderia mallei 219
Burkholderia pseudomallei 219, 225
C
C-reaktives Protein 69, 71
Campylobacter 26, 266
Capillary-leak-syndrome 118, 128, 140f,
Castleman’s disease 103
Chagas-Krankheit 135
Chemokine 102
Chikungunya-Virus 151ff
Chlamydien 69, 73ff, 179, 181
Cholera 312
Cholesterin 68, 70f, 77
Ciguatera 282
Ciguatoxin 281f
Colitis ulcerosa 308
Conotoxine 284
Cowdria ruminatium 189
Coxsackieviren 308
Cryptosporidien 56, 263, 269ff
Culex 147, 149
Cyanobakterien 18, 267
Cyclothymie 109, 111
D
DDT 135
Deer Fly Fever 245
Depressionen 109, 111
Dermacentor 85, 209, 212, 246, 254
Diabetes mellitus 309f
Diarrhetic Shellfish Poisoning 282
Dinophysistoxin 282
DNA-Analyse 305
DNA-Polymerase 302ff; ➪ Taq-Polymerase
E
Ebolavirus 108, 162, 275, 308
Eichhörnchen 222f, 245
Epstein-Barr-Virus 91, 93, 97, 101, 238
Erythema (chronicum) migrans 98, 229f, 234ff, 242
Erythromyelie 228
Eutrophierung 274, 276, 280
Exanthema subitum 94, 98, 104
F
Fischsterben 273ff
Flaviviren 136, 139, 147, 182f
Fledermäuse 130, 133
Flughörnchen 207
Flughunde 130ff
Four-corners-disease 119
Francisella tularensis 244f
FSME 139, 158, 163, 182, 184ff, 252
FSME-Immunisierung 187f
Fuchsbandwurm 292, 294ff
Fugu 283
G
Gelbfieber 135f, 139, 162
Gentechnik 15, 274
Gerichtsmedizin 305
Gewässerverschmutzung 276
Gonyautoxine 281, 283
Guanarito-Virus 126, 127
Guillain-Barre-Syndrom 309, 310
Gürtelrose 91, 93
Gürteltiere 176
H
Haemaphysalis 209
Halobakterien 17
Hamster 257
Hantaan 114, 118, 123
Harnstoff 31
Hasenpest 244
Heartwater-Erkrankung 189
Heidelbeeren 294
Hendravirus 130ff
Hepatitis C 139
Herpes genitalis 93
Herpes Zoster 93
Hirschmaus 115f, 122
Hundebandwurm 294, 296
Hydatiden 289, 296f
IImmunfluoreszenz-Test 65f, 79, 100, 103, 123, 180, 199, 238
Inkoo-Virus 156
Intelligenzminderung 273
Ixodes 204, 209f, 212, 231, 246, 254
JJohne’s disease 50
Juga 191
Junin-Virus 125, 127, 129
K
koronare Herzkrankheit (KHK) 25, 70f, 73, 75, 77, 179
Kleiderlaus 173f, 178, 202, 205, 207
Kleptoplastie 279
Koreanisches haemorrhagisches Fieber 113
Kriegsnephritis 114
Krim-Kongo-Fieber 115, 308
Kugelfisch 283
Kyasanur-Waldkrankheit 182
319
INDEX
L
La Crosse-Virus 156
Lassa-Virus 127f
Läuse 182, 206
LCM-Virus 126ff
Legionellen 19, 60ff, 245
Lemming 114, 116
Lochien 86, 88
Lone Star Tick 196
Lutzomyia 171
M
Machupo-Virus 126, 127
Maitotoxin 281f
Marburg-Virus 108
Masernvirus 108, 133
Me-Tri-Virus 152, 154
Meeresleuchten 280
Megamyxovirus 130
Melioidose 219
Menanglevirus 132f
Milben 185, 205f, 213
Milch 47, 50f, 85, 88, 246
Miracidium 191
Mumpsvirus 108, 133
Muschelvergiftung 282
Mykobakterien 18, 47ff; ➪ Tuberkelbazillen
N
Neorickettsia helminthocea 194
Nephropathia epidemica 114, 117
Nipahvirus 132f
O
Ockelbo-Virus 151ff
Omsk-Haemorrhagisches-Fieber 182
Onchozerkose 136
O’nyong-nyong-Virus 153
Oozysten 267, 269f
Orientia tsutsugamushi 213f
P
Palytoxin 281f
Phleboviren 115, 163
Plankton 273, 276, 280f, 285
Pontiac-Fieber 61, 65
Proglottiden 289, 291
Protoscolices 289, 296f
Puumala-Virus 117, 309
Q
Queensland tick typhus 210
Query-Fieber 84
R
Repellentien 142, 164, 187
Rhabdomyolyse 244, 247
Rhipicephalus 208, 212, 254, 256
Rhotia dentocariosa 175
Rickettsien 60, 84f, 127, 173, 182, 189, 193, 205ff, 252
Rift-Valley-Fieber 115, 252
Rinderbandwurm 289
Ringelröteln 98
Rocky-Mountain-Spotted-Fever 135, 197, 205, 209, 212
Roseola infantum 94, 104
Ross River-Fever 151f
Rotaviren 266
Rötelmaus 116, 309f
Rotz 219
320
SSalmon poisoning disease 190
Salmonellen 13, 16, 167, 266
Sandfliegen 115, 163, 178
Sandmücken 163f, 171
Sarkoidose 39
Saxitoxine 281ff
Scaritoxin 282
Schafe 84ff, 88f, 109, 182, 189, 195, 291
Schaumzellen 73f
Schlafkrankheit 135, 162
Schweine 132f, 147, 276, 278, 291
Schwimmbäder 270
Semliki-Forest-Virus 151f
Serpulina 55ff
Sin-Nombre-Virus 115, 119
Sindbis-Virus 151ff
Süßwasseramöben 19, 62f; ➪ Amöben
Synergismus 52
T
Tache noire 204, 206, 208, 210, 248
Tahyna-Virus 156f
Taq-Polymerase 15, 304ff; ➪ DNA-Polymerase
Tenazität 85
Tetrodotoxin 281ff
Texas-Cattle-Fever 252, 256
Thermalquellen 17
Thermus aquaticus 15f, 66, 304ff; ➪ Taq-Polymerase
Tollwutvirus 108
TOS-Virus 163f
Trachom 78
Trematoden 194
Trichobilharzia 191
Trinkwasser 261, 263f, 267, 271
Tropheryma whippelii 36f
Trophozoiten 262, 264
Tuberkelbazillen 24; ➪ Mykobakterien
Tumornekrosefaktor 74, 237
U
Überschwemmungen 146
Überwärmung der Gewässer 274
Urbanisation 146
Urease 26, 30f
V
Varicella-Zoster-Virus 91, 93
Venezolanische haemorrhagische Fieber 126
Verruga peruana 168f, 171, 177
W
Wanderratte 116f
Weißwedelhirsche 193, 195f
West-Nil-Fieber 139
Whirlpool 61
Windpocken 91, 93
Wühlmäuse 178, 180, 195, 261, 291f
X
Xenopsylla cheopsis 207, 221, 224
Y
Yersinien 216, 218, 220ff, 225, 266
ZZerkarien 191ff
Zielsequenz 303ff; ➪ Taq-Polymerase
Zooxanthellen 279
Zytokine 29, 44
Zytomegalievirus 91, 93, 97
Zytostatika 35, 103
Zytotoxin 29
Herunterladen