Foto: Bernhard Noll LITERATURSTUDIUM Foto: bilderbox.com Start des DFP-Literaturstudiums im NÖ Consilium Dr.in Martina Hasenhündl I m Rahmen unserer großen DFP-Informationskampagne, die im Herbst 2014 gestartet wurde, habe ich Ihnen angekündigt, künftig auch DFP-Literaturstudium im NÖ Consilium anzubieten. Jetzt ist es soweit und ich freue mich, Ihnen in dieser Ausgabe den ersten DFP-Fachartikel vorstellen zu können. Die Ärztekammer für Niederösterreich bietet Ihnen in den kommenden zehn Consilium-Ausgaben qualitativ hochwertiges, DFP approbiertes Literaturstudium aus den unterschiedlichsten Fachbereichen. Den Beginn macht ein Artikel zum Thema „Ernährungsmedizinische Konzepte bei Adipositas“, eine Problematik, mit der wir im Praxisalltag zunehmend und in Zukunft aller Voraussicht nach noch verstärkt konfrontiert werden. Für das Lecture Board konnten zwei österreichische Experten auf dem Gebiet der Ernährungsmedizin und Adipositas gewonnen werden. Herr Univ.-Prof. Dr. Hermann Toplak, Vorstandsmitglied der Österreichischen Adipositas Gesellschaft sowie Herr Univ.-Prof. Dr. Kurt Widhalm, der Doyen der Ernährungsmedizin in Österreich. Mit dem Literaturstudium stellen wir Ihnen ein weiteres kostenloses Fortbildungsangebot zur Verfügung und möchten Ihnen damit auch gleichzeitig den Weg zum Fortbildungsnachweis 2016 etwas erleichtern. An dieser Stelle verweise ich auch nochmals auf die Lange Nacht der Fortbildung am 6. November 2015 in Wien, die wir gemeinsam mit der Ärztekammer für Wien veranstalten. Der thematische Bogen reicht von Suchtmedizin über Kardiologie und Infektiologie bis hin zu Ernährungsmedizin. Die mit hochkarätigen ReferentInnen besetzte Veranstaltung in besonderem Rahmen des Apothekertraktes im Schloss Schönbrunn, wird kostenlos angeboten und soll neben der fachlichen Fortbildung auch den interkollegialen Austausch fördern. DR.IN MARTINA HASENHÜNDL Leiterin der Fortbildungsakademie der Ärztekammer für Niederösterreich Wichtiger Hinweis: Detaillierte FAQs und alle Informationen zum DFPProgramm und dem Fortbildungsnachweis 2016 finden Sie auch auf unserer Homepage unter www.arztnoe.at/ DFP2016 Für alle Fragen zur Einreichung des Fortbildungsdiploms steht Ihnen die Fortbildungsakademie der Ärztekammer für NÖ gerne zur Verfügung, E-Mail: [email protected], Tel: 01/53 751-270 Registrierung zum Online-Fortbildungskonto unter www.meindfp.at Für Detailfragen zum Online-Fortbildungskonto (Registrierung) wenden Sie sich bitte an die Supporthotline der Österreichischen Akademie der Ärzte GmbH: E-Mail: [email protected], Tel: 01/512 63 83 – 33 CONSILIUM 09/15 23 Foto: bilderbox.com DFPFORTBILDUNG Ernährungsmedizinische Konzepte bei Adipositas PROF. DR. H. HAUNER Institut für Ernährungsmedizin, Klinikum rechts der Isar der TU München, Uptown München, Campus INHALT Überlegungen zur Ernährungstherapie Ernährungsmedizinische Konzepte Praktische Umsetzung Langzeitergebnisse Fazit für die Praxis LECTURE BOARD Univ.-Prof. Dr. Kurt Widhalm Österreichisches Akademisches Institut für Ernährungsmedizin Univ.-Prof. Dr. Hermann Toplak Medizinische Universität Graz und Vorstandsmitglied der Österreichischen Adipositas Gesellschaft FORTBILDUNGSANBIETER Ärztekammer für Niederösterreich Wipplingerstraße 2, 1010 Wien REDAKTIONELLE BEARBEITUNG Punkte sammeln auf... SpringerMedizin.at Das DFP-Literaturstudium ist Teil des Diplom-Fortbildungs-Programms (DFP) der Österreichischen Ärztekammer und ermöglicht qualitätsgesicherte Fortbildung durch das Studium von Fachartikeln nach den Richtlinien des DFPs. DFP-Punkte online, per Post, Fax oder E-Mail Der Multiple-Choice-Fragebogen des DFP kann bis zum 30. September 2016 eingereicht werden: • Online: Für eingeloggte User steht der Beitrag und der Fragebogen unter www.springermedizin.at/ fortbildung/ zur Verfügung. • per Post: Prinz-Eugen-Straße 8-10, 1040 Wien • per Fax: +43 1 330 24 26 • per E-Mail (eingescannter Test) an: [email protected] Approbation Diese Fortbildungseinheit wird mit 2 DFP-Punkten approbiert. Die Fortbildungspunkte werden rasch und unkompliziert mit Ihrer ÖÄKNummer elektronisch verbucht. Mag. Ingo Schlager Eine Literaturliste ist auf Anfrage bei der Redaktion erhältlich. Der Originalartikel ist erschienen in der Zeitschrift „Der Internist 2/2015“. © Springer Verlags GmbH 2015 Kontakt und weitere Informationen Springer-Verlag GmbH Springer Medizin Susanna Hinterberger [email protected] SpringerMedizin.at CONSILIUM 09/15 25 DFPFORTBILDUNG Ernährungsmedizinische Konzepte bei Adipositas E ine hohe Energieaufnahme infolge überkalorischer Ernährung und eine Verringerung des Energieverbrauchs infolge von Bewegungsmangel sind – neben einem komplexen genetischen Hintergrund – die Hauptursachen für die weit verbreitete Adipositas. Nach den Ergebnissen einer kürzlich durchgeführten, bevölkerungsrepräsentativen Studie (DEGS) sind rund 24 % aller erwachsenen Deutschen mit einem Body-Mass-Index (BMI) ≥ 30 kg/m2 adipös. Von den konservativen Therapieoptionen gilt eine hypokalorische Ernährung als wirksamste Maßnahme zum Erreichen einer negativen Energiebilanz und damit zur Senkung eines erhöhten Körpergewichts. Diese Einschätzung drückt sich auch darin aus, dass es eine unüberschaubare Anzahl von „Diäten“ zur Gewichtssenkung gibt. Die meisten Menschen mit Adipositas und Wunsch auf Gewichtsabnahme versuchen zunächst eine hypokalorische Kost, meist aus Eigeninitiative und ohne medizinische Begleitung. ten (z. B. Tiefkühlpizza) ist ungebrochen. Die zahllosen Essensangebote im Alltagsleben erschweren zusätzlich ein geregeltes Essverhalten. Diese oft spontan konsumierten Take-away- und ConvenienceProdukte sind i.d.R. fett-, zucker- und kalorienreich und machen eine kognitive Kontrolle der Nahrungszufuhr schwierig. Die hohe Energiedichte dieser Produkte begünstigt zudem eine übermäßig hohe Kalorienzufuhr bei gleichzeitig niedriger Nährstoffdichte, da es sich üblicherweise um stark verarbeitete Lebensmittel handelt. Hinzu kommt, dass die angebotenen Portionsgrößen weit über den tatsächlichen und sinnvollen Bedarf hinausgehen und einen Überkonsum fördern. Eine US-amerikanische Studie hat gezeigt, dass der unverminderte Anstieg der Kalorienzufuhr in den letzten 15 Jahren v. a. auf eine Zunahme der Essgelegenheiten zurückgeführt werden kann. Ernährungsmedizinische Konzepte Alle aktuellen evidenzbasierten Leitlinien zur Behandlung der Adipositas empfehlen eine Kombination von energiereduzierter Ernährung, Steigerung der körperlichen Bewegung und Verhaltensmodifikation als sinnvollste Interventionsstrategie. In einer Metaanalyse erwies sich diese Kombination als wirksamer als Ernährungstherapie allein. In der Ernährungsmedizin dominierte bis vor etwa 10 Jahren das Dogma einer fettreduzierten Kost als diätetische Strategie zur Senkung eines erhöhten Körpergewichts. Obwohl dieses Konzept auch heute unverändert gilt, gab es in den letzten Jahren eine Vielzahl neuer Ansätze und kontrollierter Studien, um die bislang unbefriedigenden Ergebnisse der Adipositastherapie zu verbessern. Überlegungen zur Ernährungstherapie Grundsätzlich gilt, dass die Ernährungstherapie der Adipositas an den Ursachen ansetzen sollte. Eine an der Pathogenese orientierte Ernährungstherapie impliziert, sich die aktuellen Trends im Ernährungsverhalten in der Bevölkerung bewusst zu machen. Die Ernährung der mitteleuropäischen Bevölkerung hat sich in den letzten 20 bis 30 Jahren deutlich diversifiziert und verändert (Infobox 1). Dabei fällt auf, dass die traditionellen Ernährungsmuster nach und nach verloren gehen. Insbesondere jüngere Menschen, die häufig in Einpersonenhaushalten leben, halten immer weniger geregelte Essenszeiten ein und bereiten ihre Mahlzeiten immer seltener selbst zu. Der Trend zum AußerHaus-Verzehr und zu fast verzehrfertigen Convenience-Produk26 CONSILIUM 09/15 Im letzten Jahrzehnt wurden viele neue Konzepte zur Ernährungstherapie vorgeschlagen und in Studien evaluiert. Damit steht heute ein breit gefächertes Spektrum von evidenzbasierten Therapien zur Verfügung (siehe Tab. 1, Infobox 2). Die persönlichen Wünsche der Betroffenen können stärker als bisher berücksichtigt werden; damit ist – theoretisch – eine höhere Compliance zu erwarten. Im Folgenden werden die aktuellen ernährungsmedizinischen Konzepte zur Behandlung der Adipositas vorgestellt. Auf das nahezu unüberschaubare Angebot an mehr oder weniger unseriösen hypokalorischen Crash-Diäten soll hier nicht eingegangen werden. Mäßig energiereduzierte Kostformen Fettreduzierte Mischkost Die auch heute noch gültige Standardempfehlung ist die fettreduzierte Mischkost mit einem Energiedefizit von ca. 500 – 600 kcal/Tag. Damit ist rechnerisch eine Energieeinsparung von Infobox 1: Trends im Ernährungsverhalten, die Übergewicht fördern • • • • • Hohe Energiedichte in modernen Lebensmitteln Übermäßige Portionsgrößen Ständige Verfügbarkeit von Fastfood Anhaltender Trend zum Außer-Haus-Verzehr Hoher Konsum energiereicher Kalt- und Warmgetränke DFPFORTBILDUNG der Reduktion der Kohlenhydratzufuhr abhängig war. Durch einen anfangs deutlichen oder völligen Verzicht auf Kohlenhydrate kommt Mäßig energiereduzierte Kostformen Deutlich energiereduzierte Kostformen es zu einem erheblichen Energiedefizit (Energiedefizit 500 – 800 kcal/Tag) (Energiezufuhr von max. 1.200 kcal/Tag) und damit zu einer schnellen GewichtsAlleinige Fettreduktion Sehr niedrigkalorische Diät (Formula-Diät) abnahme. Dabei werden bis zu 40 % der Energiereduzierte Mischkost Gesamtenergie eingespart, die nur teilweise Kohlenhydratarme Kostformen durch einen höheren Verzehr von Fett und Mahlzeitenersatzstrategie Eiweiß ausgeglichen werden, sodass ein mit Formula-Produkten deutliches Energiedefizit verbleibt. Daher fand sich in der Mehrzahl der Studien Infobox 2: Kalorienreduktion anfänglich ein größerer Gewichtsverlust als bei konventionellen Bei jeder Kalorienbeschränkung sollte beachtet werden, fettreduzierten Kostformen, der aber nach spätestens einem Jahr dass die Gewichtsabnahme von Person zu Person sehr nicht mehr nachweisbar war. Tabelle 1: Evidenzbasierte ernährungsmedizinische Konzepte zur Gewichtsreduktion variabel sein kann, in erster Linie in Abhängigkeit von der unterschiedlichen Motivation und Compliance der Teilnehmer. Aus diesem Grund wird bei Gewichtsreduktionsstudien häufig der Anteil der Personen mit wenigstens 5 % oder 10 % Gewichtsverlust angegeben. Wenn mehr als 50 % der Teilnehmer > 5 % und mehr als 20 % der Teilnehmer > 10 % des Ausgangsgewichts verlieren, kann von einem wirksamen Programm gesprochen werden. 3.500 kcal/Woche zu erwarten, was einer Gewichtsabnahme von etwa 500 g entspricht. Damit ist durchschnittlich eine Gewichtsreduktion von ca. 5 kg über den Zeitraum eines Jahres möglich. Die Zufuhr aller Makronährstoffe wird moderat begrenzt; als wichtigste Einzelkomponente gilt die Verringerung des Fettverzehrs, sodass es sich um eine fettreduzierte Kost handelt. Durch Erhöhung des Verzehrs von ballaststoffreichem Gemüse, Obst und Getreideprodukten lässt sich eine gute Sättigung bei gleichzeitig hoher Nährstoffdichte erzielen. Diese Kost hat den großen Vorteil, dass sie praktisch nebenwirkungsfrei und sicher ist. Sie erfordert keinen hohen Betreuungsaufwand und kann als Ernährungskonzept ohne Einschränkung auch auf Dauer empfohlen werden. Kohlenhydratarme Kostformen Kohlenhydratarme und fett- bzw. eiweißliberale Kostformen wurden in den letzten Jahren stark propagiert. Dieser Trend war zunächst durch ein Revival der Atkins-Diät in den USA ausgelöst worden. Bereits früher hatte es Phasen gegeben, in denen diese „ketogenen Diäten“ sehr beliebt waren. Eine Metaanalyse dieser älteren Studien zeigte, dass der beobachtete Gewichtsverlust von der Dauer und der Kalorieneinsparung, nicht aber von Der Begriff kohlenhydratarme bzw. Low-Carb-Kostformen ist bislang nicht klar definiert. Die Kohlenhydrataufnahme variiert je nach Konzept zwischen 20 g/Tag (bei der Atkins-Diät) und 40 Energieprozent (En%). Eine sehr starke Kohlenhydratbegrenzung ist nach den bisherigen Erfahrungen weder sinnvoll noch auf längere Sicht durchführbar. Dagegen scheint eine mäßige Kohlenhydratreduktion gut vertretbar zu sein, sofern ein ausreichend hoher Verzehr von Ballaststoffen sichergestellt und eine hohe Zufuhr gesättigter Fette vermieden werden kann, was allerdings unter westlichen Ernährungsbedingungen schwer umsetzbar ist. In der Praxis ist eine Erhöhung der Zufuhr gesättigter Fetten und eine Abnahme der Ballaststoffaufnahme kaum zu vermeiden. Unklar ist bisher, wie sich stark kohlenhydratreduzierte Kostformen auf das kardiovaskuläre Risiko auswirken. Vor allem der mäßige Anstieg des LDL-Cholesterins wird hierbei kritisch gesehen. Inzwischen liegen die Ergebnisse zahlreicher Kohortenstudien zu dieser Frage vor: Eine neuere Metaanalyse ergab, dass eine kohlenhydratarme Kost mit einem signifikant erhöhten Risiko für Gesamtmortalität assoziiert ist; allerdings sind weitere Studien nötig, um diesen Zusammenhang genauer zu klären. Proteinbetonte Kostformen Obwohl sich Low-Carb-Diäten durch einen meist hohen Proteinanteil auszeichnen, gibt es Kostformen, die primär auf eine Erhöhung des Proteinanteils zielen. Eine Metaanalyse solcher Interventionsstudien ergab, dass eiweißreiche Diäten (20 – 30 % der Energiezufuhr) im Durchschnitt zu einem etwas größeren Gewichtsverlust führen als hypokalorische Kostformen mit übliCONSILIUM 09/15 27 Foto: bilderbox.com DFPFORTBILDUNG che n Eiweißmengen (ca. 15 % der Energiezufuhr). Dieser Vorteil wird auf die stärkere Sättigung durch einen hohen Eiweißgehalt zurückgeführt. Eine solche Kost geht allerdings auch mit einem Anstieg von Harnstoff und -säure sowie einem erhöhten Risiko für Nierensteine einher. Eigene Untersuchungen zeigten, dass eine erhöhte Zufuhr tierischer Proteine zu einem Anstieg der glomerulären Filtrationsrate (GFR) führt und damit die Nieren unnötig belasten könnte. Daneben weisen Kohortenstudien darauf hin, dass ein hoher Verzehr tierischer Proteine das Diabetes- und Arterioskleroserisiko und damit das Mortalitätsrisiko erhöht. Zu erwähnen ist hier, dass Protein aus pflanzlichen Quellen diese ungünstigen Eigenschaften nicht zu besitzen scheint, systematische Studien dazu fehlen aber. Bedeutung der Makronährstoffzusammensetzung In der Vergangenheit wurde immer wieder die Frage aufgeworfen, inwieweit die Makronährstoffzusammensetzung (Kohlenhydrate, Fette, Eiweiß) verschiedener Diäten den Gewichtsverlust beeinflusst. In einer Studie wurden 811 adipöse Erwachsenen mit einem mittleren BMI von 33 kg/m2 über 2 Jahre mit vier hypokalorischen Kostformen mit einem Kohlenhydratanteil zwischen 35 % und 65 % und normalem oder hohem Eiweiß- (15 % bzw. 25 En%) bzw. Fettanteil (20 % bzw. 40 En%) behandelt. Dabei konnten keine Unterschiede hinsichtlich Gewichtsabnahme, Besserung von Risikofaktoren sowie Hunger- und Sättigungsscores beobachtet werden. Der Gewichtsverlust hing aber mit der Therapieadhärenz zusammen. Damit ist überzeugend belegt, dass der Gewichtsverlust nicht von der Makronährstoffzusammensetzung, sondern allein von der Kalorienbegrenzung abhängt. In weiteren Studien wurden populäre kommerzielle Diäten mit mäßiger Energiebegrenzung in randomisierten Interventionsstudien über 12 Monate hinsichtlich Wirksamkeit und Sicherheit verglichen. Während Dansinger et al. in ihrer Studie keine Unterschiede im Gewichtsverlust zwischen den vier eingesetzten Diäten (Atkins, Ornish, Weight Watchers, Zone) fanden, zeigte sich in einer ähnlichen Studie (Vergleich von Atkins, Zone, Ornish und LEARN) ein kleiner Vorteil zugunsten der 28 CONSILIUM 09/15 Atkins-Diät. Die Unterschiede zwischen diesen Diäten waren aber klinisch marginal, auch die Drop-out-Raten wichen kaum voneinander ab. Eine neuere Metaanalyse dieser Studien kam zu dem Ergebnis, dass mit diesen mäßig energiebegrenzten Kostformen unabhängig von ihrer Zusammensetzung im Laufe eines Jahres eine durchschnittliche Senkung des Körpergewichts um 1,9 BMI-Einheiten zu erreichen ist. Mittelmeerkost Es gibt eine Metaanalyse, die dafür spricht, dass die Einhaltung einer mediterranen Kost ebenfalls mit einer mäßigen Gewichtsabnahme einhergeht. Dies wurde v. a. in der DIRECT-Studie aber auch in anderen Studien nachgewiesen. Drastisch energiereduzierte Kostformen Mäßig hypokalorische Kostformen benötigen i.d.R. einen Zeitraum von 3 bis 6 Monaten, bis eine Gewichtsabnahme von etwa 5 – 10 % des Ausgangsgewichts erreicht wird. Ist aus medizinischen oder anderen Gründen eine schnellere und größere Gewichtsabnahme erwünscht, können – zeitlich begrenzt – auch Kostformen mit einem höheren Energiedefizit eingesetzt werden. Dazu werden meist definierte Formula-Produkte verwendet. Dabei handelt es sich um industriell hergestellte, definierte Nährstoffpulver meist auf Molkebasis, die mit einer täglichen Energiezufuhr von mindestens 800 kcal und höchstens 1.200 kcal angeboten werden. Formuladiäten müssen als diätetische Lebensmittel dem § 14 der Diätverordnung und der entsprechenden EU-Richtlinie (96/8/EG) entsprechen. Diätetische Lebensmittel, die in Österreich für den Einsatz im Rahmen der Adipositastherapie vorgesehen sind, werden zudem genauestens durch die 112. Verordnung des Bundesministeriums für Frauenangelegenheiten und Verbraucherschutz geregelt. In der Diätverordnung sind auch die zugesetzten Mengen an essenziellen Fettsäuren, Ballaststoffen, Vitaminen und Mineralstoffen festgelegt. In Österreich sind verschiedene Formula-Produkte im Handel, die u. a. über Apotheken, Reformhäuser und im Direktverkauf vertrieben werden, i.d.R. ohne fachliche Unterstützung bzw. Beratung. Sie werden meist entweder im Rahmen einer Mahlzeitenersatzstrategie oder einer zeitlich begrenzten, sehr niedrigkalorischen Diät eingesetzt. Mahlzeitenersatzstrategie Zunächst werden zwei Hauptmahlzeiten durch ein FormulaProdukt ersetzt, die dritte „normale“ Hauptmahlzeit sollte ausgewogen sein und etwa einen Energiegehalt von 500 – 600 kcal enthalten. Nach einem Gewichtsverlust von etwa 10 kg wird nur DFPFORTBILDUNG noch eine Hauptmahlzeit ersetzt, um das neue Gewicht zu halten. Der Patient kann dabei sein eigenes Gewichtsmanagement betreiben. Studien belegen, dass sich mit dieser Strategie auch langfristig eine gute Gewichtssenkung erreichen lässt. Sehr niedrigkalorische Diäten Formula-Produkte werden auch eingesetzt, um für begrenzte Zeit ein extremes Energiedefizit bei gleichzeitiger Sicherstellung der Zufuhr essenzieller Nährstoffe zu ermöglichen. Damit lässt sich ein größerer Gewichtserfolg herbeiführen. Dabei sollte eine tägliche Energiezufuhr von 800 kcal aus Sicherheitsgründen nicht unterschritten und die Anwendung auf 12 Wochen begrenzt werden. Auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr von ca. 2,5 – 3 l/Tag ist unbedingt zu achten. Die Gewichtsabnahme liegt bei 15 – 20 kg über den maximalen Zeitraum von 12 Wochen. Diese Kostform ist besonders bei Personen mit einem BMI ≥ 35 kg/m2 sinnvoll. Sie ist einfach anzuwenden, da sie stark von den normalen Verzehrgewohnheiten abweicht und es infolge der Ketonkörperbildung schnell zu einer Dämpfung des Hungergefühls kommt. Sehr niedrigkalorische Diäten erfordern wegen potenzieller Risiken eine gute medizinische Betreuung. Nebenwirkungen wie Schwindel infolge von Blutdruckabfall, Hungergefühl, Nervosität, Konzentrationsstörungen, Frieren, Verstopfung treten häufig auf. Auch gefährlichere Komplikationen wie Herzrhythmusstörungen infolge des Kaliummangels, Nierenversagen und Ketoazidose wurden beschrieben, insbesondere bei multimorbiden Patienten im mittleren bis höheren Lebensalter. Eine relativ engmaschige ärztliche Betreuung ist daher gerade bei Personen mit Begleiterkrankungen unverzichtbar. Bei schwangeren und stillenden Frauen, Kindern und Jugendlichen, Menschen im Alter von > 60 Jahren, Personen mit einem BMI < 30 kg/m2 und Personen mit schweren akuten oder chronischen Erkrankungen sollten solche Diäten grundsätzlich nicht eingesetzt werden. Formula-Diäten sollten immer mit Bewegungssteigerung und Verhaltensmodifikation (v. a. Anti-Stress-Maßnahmen) kombiniert werden, da sonst eine hohe Rückfallquote zu erwarten ist. Nach Beendigung einer solchen Diät sollte unbedingt ein neues Essverhalten mit normaler Kost eingeübt werden. Doch selbst unter optimalen Bedingungen kommt es bei den meisten Personen innerhalb weniger Monate zu einem deutlichen Wiederanstieg des Körpergewichts. Langzeitstudien zeigen dennoch, dass 4 bis 5 Jahre nach Teilnahme an einem solchen Programm im Durchschnitt noch ein mittlerer Gewichtsverlust von 7 kg bezogen auf das Ausgangsgewicht verbleibt. Praktische Umsetzung Der entscheidende Erkenntnisgewinn aus den neuen Studien ist, dass der Korridor für die Wahl einer gewichtssenkenden Ernährung relativ groß ist und eine maßgeschneiderte Therapie nach den Wünschen des Betroffenen erlaubt. Als Orientierung lässt sich grob angeben, dass der Fettanteil unter 35 – 40 % der Gesamtenergiezufuhr bleiben sollte, während die Zufuhr von Kohlenhydraten (40 – 60 % der Gesamtenergie) und Protein (10 – 30 % der Gesamtenergie) recht variabel gestaltet werden kann. Ein inhaltlich dogmatisches Vorgehen, wie in der konventionellen Ernährungsberatung nicht selten praktiziert, ist angesichts der Vielfalt begründeter neuer ernährungsmedizinischer Behandlungskonzepte nicht mehr vertretbar. Für den kurz- und langfristigen Gewichtsverlust kommt es weniger auf die Art der Kalorienbegrenzung, sondern entscheidend auf die Energiebilanz an. Dies bedeutet für die Praxis, dass es bezüglich der Lebensmittelpräferenzen großen Spielraum gibt. Durch geschickte und bewusstere Lebensmittelauswahl, insbesondere fettärmere Lebensmittel und Erhöhung der Ballaststoffzufuhr, und energieärmere Zubereitung lässt sich eine Energieeinsparung von 500 – 800 kcal/Tag ohne Einschränkung der Essensmengen und unter Erhalt einer guten Sättigung erreichen. Ein solches Konzept erfordert die Kenntnis der Ernährungsgewohnheiten des Patienten. Diese sollten stets vor Beginn einer Therapie ermittelt werden, z. B. durch Ernährungsprotokolle. Erst auf dieser Grundlage und unter Berücksichtigung der individuellen Präferenzen sollte dann eine gezielte Ernährungsberatung erfolgen (Infobox 3). Gleichzeitig sind die neuen gesellschaftlichen Herausforderungen stärker zu beachten, die eine erhöhte Energiezufuhr begünstigen. Hier sind v. a. die ständige Verfügbarkeit von Lebensmitteln meist hoher Energiedichte und der Trend zum Außer-Haus-Verzehr von Convenience-Produkten zu nennen. Der hohe Konsum zuckerhaltiger Getränke fördert gerade bei jüngeren Menschen eine Gewichtszunahme. Daher geht es darum, dem Patienten attraktive Alternativen bei der AußerHaus-Verpflegung aufzuzeigen, die seinen Geschmacksvorlieben und letztlich seinem Lebensstil entsprechen und dabei dennoch einer Gewichtsabnahme bzw. -kontrolle nicht im Weg stehen. Da viele Menschen den Zeitaufwand für die Mahlzeitenzubereitung möglichst niedrig halten wollen, ist es wichtig, jeden übergewichtigen/adipösen Menschen in die Lage zu versetzen, aus CONSILIUM 09/15 29 DFPFORTBILDUNG dem großen Angebot von Convenience- und Fertigprodukten diejenigen auszuwählen, die eine ausgewogene und energetisch angemessene Ernährung erlauben. Geeignete Nährwerttabellen wie „Kalorien mundgerecht“ oder Apps für Smartphones können hierbei wertvolle Unterstützung bieten. Langzeitergebnisse Das eigentliche Hauptproblem in der Adipositastherapie stellt die Stabilisierung des Gewichterfolgs dar, die offenkundig nur einer Minderheit von 10 – 20 % über einen mehrjährigen Zeitraum gelingt. Wesentlicher nachhaltiger sind dagegen die Ergebnisse der bariatrischen Chirurgie bei extremer Adipositas, die allerdings Menschen mit einem BMI von ≥ 40 kg/m2 vorbehalten ist. Vielen Patienten und ihren Therapeuten ist nicht klar, dass es nach einer Gewichtsabnahme notwendig ist, die Energiezufuhr dauerhaft zu verringern, um einen Wiederanstieg des Körpergewichts zu verhindern. Nach den Untersuchungen von Leibel et al. führt ein Gewichtsverlust von 10 % des Körpergewichts zu einer Abnahme des Gesamtenergieverbrauchs um bis zu 550 kcal/Tag. Kehren Personen nach einer Gewichtsabnahme wieder zu ihren alten Ernährungsgewohnheiten zurück, ist ein Wiederanstieg des Körpergewichts vorprogrammiert und unvermeidlich. Am besten hat sich hier eine Strategie mit fettarmer Infobox 3: Praktische Empfehlungen zur Ernährungstherapie bei Übergewicht/Adipositas • Ernährungsinformation und -schulung inkl. Nährwerttabellen • Reduzierung der Energiezufuhr um 500 – 600 kcal/Tag auf der Grundlage eines Ernährungsprotokolls • Weniger fettreiche Lebensmittel und fettarme Zubereitungsarten • Reichlich Gemüse, Salate, Obst, Vollkornprodukte • Ausreichende Proteinzufuhr, auf Wunsch und bei intakter Nierenfunktion höhere Eiweißzufuhr • Ausschließlich kalorienfreie Getränke (bei Wunsch süßstoffgesüßte Alternativen) • Verteilung auf 3 Mahlzeiten/Tag • Zwischenmahlzeiten und Snacks nach Möglichkeit ganz meiden • Monitoring der Nahrungsaufnahme (Selbstbeobachtung) • Regelmäßige Gewichtskontrolle 30 CONSILIUM 09/15 Ernährung bewährt, die sich nachweislich zur Verhinderung einer Wiederzunahme nach Gewichtsreduktion eignet. Auswertungen des US-amerikanischen National Weight Control Registry zeigen, dass v. a. eine fettreduzierte Kost bzw. ein Verzicht auf Fastfood sowie eine hohe körperliche Aktivität geeignet sind, um eine Wiederzunahme zu verhindern bzw. zu begrenzen. Die überwiegende Mehrzahl der erfolgreichen Langzeitabnehmer ernährte sich sehr fettarm, ein kleinerer Prozentsatz hielt eine kohlenhydratarme Kost ein. Auch die Selbstkontrolle des Körpergewichts durch regelmäßiges Wiegen ist eine wirksame Strategie, um einem Wiederanstieg des Körpergewichts vorzubeugen. Fazit für die Praxis •Eine übermäßige Energiezufuhr im Rahmen der modernen Ernährung ist maßgeblich an der Entwicklung einer Adipositas beteiligt. Eine wichtige Rolle spielt dabei der steigende Konsum energiedichter Fertiglebensmittel und -gerichte, die zumeist in zu großen Portionen angeboten werden. •Ziel der Ernährungstherapie ist eine ausgewogene, aber energiereduzierte Kost mit einem Energiedefizit von ca. 500 – 800 kcal/Tag und einem hohen Anteil pflanzlicher Lebensmittel, um eine gute Sättigung zu erreichen. •Bei der Auswahl der Lebensmittel und Speisen kommt es weniger auf die Makronährstoffzusammensetzung, sondern allein auf den Energiegehalt an. •Die persönlichen Vorlieben der Patienten sollten beachtet, gleichzeitig aber energieärmere Lebensmittelalternativen bevorzugt werden. •Wichtig ist, eine passende Mahlzeitenstruktur zu etablieren und spontane Snacks zwischendurch, sei es in fester Form oder als Getränke, grundsätzlich zu meiden. •Bei medizinischer Indikation können zeitlich begrenzt und unter ärztlicher Betreuung auch sehr niedrigkalorische Diäten eingesetzt werden. Ohne langfristige Ernährungsumstellung ist allerdings eine Wiederzunahme des Körpergewichts zu erwarten. PROF. DR. H. HAUNER Institut für Ernährungsmedizin, Klinikum rechts der Isar der TU München, Uptown München, Campus © Springer Verlags GmbH 2015 DFPFORTBILDUNG Foto: bilderbox.com Fragebogen zum DFP-Literaturstudium I m Rahmen des Diplom-Fortbildungsprogramms ist es möglich, durch das Literaturstudium im NÖ Consilium Punkte für das DFP zu erwerben. 1.Nach der Lektüre des DFP-Artikels beantworten Sie bitte die Multiple-Choice-Fragen. Eine Frage gilt dann als richtig beantwortet, wenn alle möglichen richtigen Antworten angekreuzt sind. Bei positiver Bewertung (66 Prozent der Fragen) werden Ihnen 2 DFPFachpunkte zuerkannt. 2.Schicken Sie diese Seite entweder per Post oder Fax an die Redaktion von Springer Medizin Wien (z. Hd. Susanna Hinterberger), Prinz-Eugen-Straße 8-10, 1040 Wien, Postfach 11, Fax: 01 / 330 24 26 3.Einsendeschluss: 30. September 2016 4.Internet: Sie haben die Möglichkeit, den Fragebogen unter www.SpringerMedizin.at/fortbildung herunterzuladen oder unter ELearning auf der Website der Österreichischen Akademie der Ärzte www.meindfp.at auszufüllen. 1. Eine Kombination welcher Maßnahmen ist Teil jeder leitliniengerechten Empfehlung zur konservativen Behandlung der Adipositas? (3 richtige Antworten) a.energiereduzierte Ernährung b.Steigerung der körperlichen Bewegung c.tägliche Flüssigkeitszufuhr von mind. 4 Litern Wasser d.Verhaltensmodifikation des Patienten 2. Welches Kriterium ist bei einer Diät ausschlaggebend für den Gewichtsverlust? (1 richtige Antwort) a.Kalorienreduzierung b.Mikronährstoffzusammensetzung c.Makronährstoffzusammensetzung d.Tageszeit der Mahlzeiten 4. Was ist bei der Durchführung von sehr niedrigkalorischen Diäten zu beachten? (3 richtige Antworten) a.Es muss eine medizinische Indikation gestellt sein b.Die Diät muss zeitlich begrenzt sein c.Die Mahlzeiten sollten möglichst reich an Proteinen sein d.Die Diät muss unter ärztlicher Aufsicht erfolgen 5. Welche schwerwiegenden Komplikationen können im Zuge einer sehr niedrigkalorischen Diät auftreten? (2 richtige Antworten) a.Ketoazidose b.Herzrhythmusstörungen c.Cerebrale Durchblutungsstörungen d.Pankreatitis 3. Welches ernährungsmedizinische Konzept zur Gewichtsreduktion zählt zu den deutlich energiereduzierten Kostformen? (1 richtige Antwort) a.Kohlenhydratarme Diät b.Energiereduzierte Mischkost c.Formula-Diät d.Alleinige Fettreduktion 6. Wodurch ist eine mäßig energiereduzierte Kostform gekennzeichnet? (1 richtige Antwort) a.Energiezufuhr von max. 1200 kcal/Tag b.Energiezufuhr von max. 1500 kcal/Tag c.Energiedefizit von 500–800 kcal/Tag d.Energiedefizit von 1000–1500 kcal/Tag Absender (bitte gut leserlich ausfüllen): Zutreffendes bitte ankreuzen: Name: __________________________________________ Frau Adresse:__________________________________________ Ich besitze ein gültiges ÖÄK-Diplom Ort/PLZ:__________________________________________ Altersgruppe: < 30 31 – 40 41 – 50 51 – 60 > 60 Telefon:__________________________________________ ÖÄK-Nummer: __ __ __ __ __ __ Herr CONSILIUM 09/15 31